Humanitäre Intervention

Probleme und völkerrechtliche Zulässigkeit


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmung
2.1. Definition Intervention
2.2. Definition Humanitäre Intervention

3. Humanitäre Interventionen und die UN-Charta – Ein Spannungsverhältnis?
3.2. Die Anerkennung der Menschenrechte in der UN−Charta
3.3. Vereinbarkeit mit dem Souveränitätsgrundsatz nach Art. 2, Ziff. 7
3.4. Vereinbarkeit mit dem Gewaltenverbot nach Art. 2, Ziff. 4

4. Humanitäre Interventionen im Rahmen der UNO
4.2. Der Sicherheitsrat nach Ende der Ost−West−Blockade
4.3. Das erweiterte Verständnis der Friedensbedrohung
4.4. Auf Euphorie folgt Ernüchterung

5. Humanitäre Interventionen mit Mandat des Sicherheitsrates
5.2. Somalia 1992−1994
5.3. Jugoslawien 1991− 1995
5.4. Ruanda 1994
5.5. Fazit der humanitären Interventionen mit UN−Mandat

6. Unilaterale Interventionen und ihre Völkerrechtliche Zulässigkeit
6.1. Die NATO−Intervention im Kosovo 1998
6.2. Die Völkerrechtliche Zulässigkeit einer unilateralen Intervention

7. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Humanitäre Interventionen sind seit jeher sowohl politisch, als auch juristisch höchst umstritten. Schon in der klassischen Staatenpraxis vor dem ersten Weltkrieg finden sich Beispiele für Interventionen, denen zumindest Menschenrechtsverletzungen vorausgingen, wobei niemals allein aus diesem Grund interveniert wurde.[1] Nach dem Ende des kalten Krieges und der damit einhegenden gegenseitigen Blockade der Großmächte im Sicherheitsrat der UNO gewann das Thema einer rein humanitär motivierten Intervention erstmals Aktualität. Dabei führte eine zunehmende Erweiterung der Kompetenzen des Sicherheitsrates zu einer verstärkten Bereitschaft, im Namen der Menschenrechte auch in die staatliche Souveränität einzugreifen. Doch die anfängliche Euphorie über die neue Handlungsfähigkeit der Staatengemeinschaft wich schnell allgemeiner Ernüchterung, ergaben sich durch die neue Praxis doch auch eine Vielzahl von Problemen. Aufgrund der Beschlussunfähigkeit des Sicherheitsrates in der Kosovo−Frage sah sich die NATO 1998 sogar gezwungen, ohne die Zustimmung der UNO zu intervenieren.

Im Rahmen dieser Arbeit soll zunächst der Begriff der Intervention im Allgemeinen, jener der humanitären Intervention im Besonderen, genauer bestimmt werden. Anschließend soll die besondere Bedeutung der Menschenrechte in der UN−Charta untersucht werden. Ferner ist zu überprüfen, inwieweit sich die humanitäre Intervention möglicherweise in einem Spannungsverhältnis zu wichtigen Artikeln der Charta befindet. Im Folgenden werden die im Rahmen der UNO vorgenommenen humanitären Interventionen anhand von ausgewählten Fallbeispielen untersucht, wobei auch der Kompetenzerweiterung des Sicherheitsrates (im Folgenden mit „SR“ abgekürzt) genauere Aufmerksamkeit zukommen soll. Dabei sollen die Probleme angeschnitten werden, die sich bei der Durchführung einer humanitären Intervention im Rahmen der UNO ergeben können. Schließlich gilt es, die Gründe für die unilaterale humanitäre Intervention der NATO zu untersuchen und deren Vereinbarkeit mit dem Völkerecht zu überprüfen.

Dabei können im Rahmen dieser Arbeit sämtliche Themengebiete nur angeschnitten werden. Es wurde trotzdem versucht, einen Überblick über die Problematik der humanitären Intervention zu geben.

2. Begriffsbestimmung

2.1. Definition Intervention

Das „Herder Lexikon Politik“ definiert den Begriff „Intervention“ wie folgt:

„die autoritäre Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates durch Androhung oder Anwendung v. Gewalt; völkerrechtswidrig, wenn nicht vertragsgemäß oder gewohnheitsrechtl. zulässig.“[2]

Hierbei handelt es sich um den klassischen Interventionsbegriff, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand und die Völkerrechtsliteratur bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte. Gerade auf sie zielt das Gewalt− und Interventionsverbot in Artikel 2 Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen. Freilich hat sich im modernen Völkerrecht noch kein Konsens hinsichtlich der Frage herausbilden können, welches zwischenstaatliche Verhalten unter den Begriff der Intervention zu fallen hat.[3] Als allgemein anerkannt gilt lediglich die Ansicht, dass der Begriff einer völkerrechtlichen Intervention ausschließlich zwischenstaatliches Handeln erfasst.[4] Ist dieser klassische Interventionsbegriff noch relativ klar umrissen, indem er nämlich lediglich die Androhung oder Anwendung von Gewalt als Intervention qualifiziert, so fassen andere Auffassungen den Begriff bedeutend weiter. So kann eine Intervention nach dem sog. „erweiterten Interventionsbegriff“ durchaus auch zwischenstaatliche Maßnahmen unterhalb der Gewaltenschwelle umfassen, während der sog. „weite Interventionsbegriff“ sie sogar mit sämtlichen Handlungen zwischenstaatlicher Natur gleichsetzt.[5] Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um die einzigen Unterscheidungskriterien des Interventionsbegriffes. Weiterhin kann dieser entweder normativ oder deskriptiv ausdifferenziert werden. Während die normative Auslegung ausschließlich zwischen einer rechtswidrigen und einer gerechtfertigten Intervention unterscheidet, kennt der deskriptive Begriff eine rechtswidrige, eine rechtmäßige, und ebenso eine gerechtfertigte Intervention. Eine verbindliche Aussage, welcher der hier genannten Interventionsbegriffe zu favorisieren ist, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen. Von entscheidender Bedeutung erscheint ohnehin der rechtliche Rahmen, unter dem die Intervention zustande kommt.[6] „Ob man ein rechtwidriges Vorgehen als rechtswidrige Intervention bezeichnet, oder ob man es nicht mehr unter den Begriff Intervention faßt, ist letztlich unerheblich. Das ändert nichts an der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Intervention, sondern nur an deren Bezeichnung.“[7] Im Folgenden soll der Begriff der humanitären Intervention genauer bestimmt werden.

2.2. Definition Humanitäre Intervention

Bereits das Attribut „humanitär“ impliziert eine Zielrichtung der Intervention, die sämtliche Zwangsmaßnahmen mit anderen Maßgaben von vornherein ausschließt. Lediglich zwischenstaatliche Maßnahmen, die humanitäre, also explizit auf das Wohl der Mitmenschen ausgerichtete Zielvorgaben erfüllen, sind so zu definieren. Zwingend bedarf es also zunächst eines allgemein anerkannten rechtlichen Rahmens, sprich sog. Menschenrechte, um überhaupt Maßnahmen im Sinne von deren Einhaltung und Gewährleistung treffen zu können. Es muss sowohl eine Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte, als auch rechtliche Legitimation zum Treffen von Zwangsmaßnahmen bestehen.[8] Die Gewährleistung dieses Rechts obliegt dabei entweder den einzelnen Staaten − in unilateraler oder kollektiver Form − oder einem zentralen Zwangsorgan. Entscheidend ist hierbei, wie weit sich die betreffende Rechtsordnung von einem internationalen Selbsthilfesystem entfernt hat, und somit der staatlichen eine zentrale internationale Gewalt überordnet.[9] Alexander Pauer definiert die humanitäre Intervention zusammenfassend (unter Verwendung des deskriptiven Interventionsbegriffs) wie folgt:

„Eine humanitäre Intervention ist unabhängig von deren Rechtmäßigkeit jede unter Anwendung von Zwang durch einen oder mehrere Staaten oder durch eine mit entsprechenden Zwangskompetenzen ausgestattete internationale Organisation erfolgende zwischenstaatliche Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit eines anderen Staates mit dem Ziel, diesen zur Beachtung des humanitären Mindeststandards gegenüber seinen eigenen Staatsbürgern zu veranlassen.“[10]

3. Humanitäre Interventionen und die UN-Charta – Ein Spannungsverhältnis?

3.2. Die Anerkennung der Menschenrechte in der UN−Charta

Die Anerkennung des Individuums als Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten stellt ein Novum dar, welches erst im modernen Völkerrecht Geltung erlangt hat. Das klassische Völkerrecht kannte nur souveräne Staaten als seine Subjekte, das Individuum war ausschließlich der innerstaatlichen Rechtsordnung unterworfen, seine Behandlung somit allein dem staatlichen Gutdünken unterstellt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ein verstärktes Bemühen erkennbar, die Rechte des Einzelnen fester im Völkerrecht zu verankern, als Beispiele können hier die Kodifikationen des Haager und Genfer Rechts angeführt werden.[11] Indes vermochten erst die verheerenden Eindrücke des Zweiten Weltkrieges ein drastisches Umdenken zu bewirken. Der Eindruck des Völkermordes an den europäischen Juden, sowie eine weitere Unzahl von massiven Menschenrechtsverletzungen rückten den Bedarf einer ve]rbindlichen internationalen Norm zum Schutz der Menschenrechte in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Insofern schien eine Verankerung eines umfassenden Menschenrechtskataloges in der Charta der neu zu gründenden Vereinten Nationen wünschenswert.[12] Dass man dem Menschenrechtsschutz schließlich allenfalls einen Nischenplatz in der Charta einräumte, hatte mehrere Gründe. Zum Einen wurde der Friedenssicherung im Geiste der Verhinderung einer weiteren globalen Katastrophe eine höhere Priorität eingeräumt, zum Anderen drohte ein allzu konsequenter Menschenrechtsschutz auch mit den Interessen der Siegermächte in Konflikt zu geraten.[13] Immerhin wurde der Schutz der Menschenrechte als verbindliches Ziel der UNO in Art. 1, Ziff. 3 der UN−Charta fixiert, indem die UNO sich zu der „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion […]“[14] bekennt, ohne aber einen mit den Kapiteln VI und VII vergleichbaren operativen Rahmen zu erhalten.[15] Die wenig prominente Platzierung der Menschenrechte innerhalb der UN− Charta ist allerdings keinesfalls mit deren kompletter Missachtung gleichzusetzen. Immerhin ist das in Art. 1, Ziff. 3 niedergelegte Diskriminierungsverbot ein konstitutiver Bestandteil der Charta und damit für die Mitgliedsstaaten rechtsverpflichtend. Eine weitere Ausgestaltung erfolgt in den Kapiteln IX und X der Charta. Hier wird einerseits ein Zusammenhang von wirtschaftlicher, sozialer und humanitärer Wohlfahrt und dem Weltfrieden unterstrichen, und andererseits zudem eine Voranbringung der Menschenrechte und Grundfreiheiten unter besonderer Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots von der UNO verlangt.[16] Dieser Forderung kam die UNO in der Hauptsache mit der Schaffung der internationalen Menschenrechtscharta, ebenso mit weiterführenden Vertragswerken wie dem Rassendiskriminierungsverbot, der Anti−Folter−Konvention oder der Kinderrechtskonvention nach. Konkrete Handlungskompetenzen zur Verwirklichung der Menschenrechte entfallen auf die Generalversammlung und dem ihr unterstellten Wirtschafts− und Sozialrat (ECOSOC). Allerdings gehen die Kompetenzen dieser Organe über ein Empfehlungsrecht nicht hinaus, weder verfügen sie über eine Sanktionsbefugnis, noch kann die menschenrechtliche Situation gegen den Willen eines Staates innerhalb seiner Grenzen überprüft werden. Immerhin erhielt somit erstmals eine internationale Organisation ein Selbstbefassungsrecht hinsichtlich problematischer Menschenrechtsorganisationen innerhalb ihrer Mitgliedsstaaten[17], was, wie noch zu zeigen sein wird, auch für die Durchführung von humanitären Interventionen von Bedeutung ist. Zunächst soll jedoch näher auf das Spannungsverhältnis mit anderen Artikeln der Charta eingegangen werden.

[...]


[1] Vgl. Henke, Christoph: Die humanitäre Intervention, Völker− und Verfassungsrechtliche Probleme unter besonderer Berücksichtigung des Kosovo−Konfliktes, Bochum: 2002, S. 7−19.

[2] Herder Lexikon Politik, mit rund 2000 Stichwörtern sowie über 140 Abbildungen und Tabellen, Freiburg, Basel, Wien: 1995, S. 113.

[3] Vgl. Henke, Intervention, S. 4.

[4] Vgl. Pauer, Alexander: Die humanitäre Intervention, Militärische und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zur Gewährleistung der Menschenrechte, Basel und Frankfurt am Main, S. 6.

[5] Vgl. Pauer, humanitäre Intervention, S. 6.

[6] Vgl. Henke, Intervention, S. 5.

[7] Ebda., S. 5.

[8] Vgl. Pauer, humanitäre Intervention, S. 14.

[9] Vgl. Ebda., S. 18.

[10] Ebda., S. 23.

[11] Vgl. Ebda., S. 15.

[12] Vgl. Gareis, Sven BernhardƒVarwick, Johannes: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente, Reformen, Opladen 2006, S. 169.

[13] Vgl. Opitz, Peter J.: Die Vereinten Nationen, Geschichte, Struktur, Perspektiven, München: 2007, S. 141.

[14] Charta der Vereinten Nationen, In: Opitz, Peter J.: Die Vereinten Nationen, Geschichte, Struktur, Perspektiven, München: 2007, S. 385.

[15] Vgl. GareisƒVarwick, Vereinte Nationen, S. 169−170.

[16] Vgl. Ebda., S. 174.

[17] Vgl. Ebda., S. 174.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Humanitäre Intervention
Untertitel
Probleme und völkerrechtliche Zulässigkeit
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister- Scholl- Institut für politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Übung: Genese, Struktur- und Funktionswandel der Vereinten Nationen
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V113624
ISBN (eBook)
9783640148387
ISBN (Buch)
9783640148479
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Humanitäre, Intervention, Genese, Struktur-, Funktionswandel, Vereinten, Nationen
Arbeit zitieren
Martin Maerschalk (Autor:in), 2008, Humanitäre Intervention, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113624

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