Konfliktbewältigung an Schulen

Orientierungen für ein konstruktives Kommunikationsverhalten zur Konfliktbewältigung und -lösung


Examensarbeit, 2007

84 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung und Problemstellung

1 Kommunikation und Konflikt
1.1 Kommunikation – ein Definitionsversuch
1.1.1 Die vier Seiten von Kommunikation nach Schulz von Thun
1.2 Auseinandersetzung mit Alltagstheorien und Personenwahrnehmung
1.3 Kommunikation im Schulalltag – die Bedeutung von Wertschätzung
1.4 Interpersonelle Konflikte – ein Definitionsversuch
1.4.1 Zur Entstehung und Wahrnehmung von Konflikten

2 Konfliktprävention
2.1 Die 9 Stufen des Eskalationsmodell nach Glasl
2.2 Prävention von Konflikteskalationen
2.2.1 Gegenseitige Wertschätzung
2.2.2 Allgegenwärtigkeit des Lehrers
2.2.3 „Erlärung für ein faires Miteinander – Gegen Mobbing und Gewalt“
2.2.4 Wie Kommunikationsstörungen vorgebeugt werden kann
2.3 Einführung von Regeln (in) der Klasse

3 Kommunikation im unmittelbaren Konfliktfall
3.1 Ein Exkurs zur Themenzentrierten Interaktion
3.2 Umgang mit Provokationen - die Bedeutung der inneren Einstellung der Lehrkraft
3.2.1 Das unmittelbare Ziel von provokativem Schülerverhalten
3.2.2 Das tiefersitzende, grundsätzliche Ziel von provokativem Schülerverhalten nach Dreikurs
3.2.3 Die bestehende Problematik in der konkreten Situation oder ein kritischer Zwischenstopp
3.2.4 Umgang mit aggressivem Verhalten und Gewalt in der Schule
3.2.5 Umgang mit Mobbing
3.3 Die Problematik der Frage nach dem „Warum?“ im unmittelbaren Konfliktfall
3.4 Umgang mit „Strafen“ und „Belohnungen“
3.4.1 Umgang mit „Strafen“
3.4.1.1 Der Unterschied von „Strafe“ und „negativer Konsequenz“
3.4.1.2 „Negative Konsequenz“ versus „Neutrale Konsequenz“:
3.4.1.3 Die Notwendigkeit des Augenmaßes und der Verwendung von Sanktionen
3.4.2 Umgang mit Lob und Belohnungen
3.5 Bestimmung des Problembesitzes nach Gordon
3.6 Konfrontation durch Ich-Botschaften nach Gordon

4 Kommunikation als Lösungsprozess zur langfristigen Konfliktlösung
4.1 Die Pfeiler der Grundhaltung zur Konfliktlösung: Kongruenz, Empathie und Akzeptanz
4.2 Die Gesprächskunst des aktiven Zuhörens
4.3 Modell der kooperativen Entscheidungsfindung; Konfliktbewältigung ohne Niederlagen
4.4. Die Phasen eines Beratungsgesprächs in Bezug auf die Beratung im Lehrer-Schüler-Gespräch zur langfristigerstrebten Konfliktlösung

Fazit

Ausblick

Literatur:

Anhang:

Anlage 1) Erklärung für ein faires Miteinander "Gegen Mobbing und Gewalt"
Anlage 2) Die Vorgehensweise beim No Blame Approach (NBA)
Anlage 3) SKOTT = Sozialkompetenz an Schulen
Anlage 4) „FIT UND STARK FÜRS LEBEN“
Anlage 5) Problemlösemerkblatt aus „Fit Und stark Fürs Leben“

Abbildungsverzeichnis:

1. Abbildung: Das Nachrichtenquadrat –Vier Seiten einer Nachricht nach Schulz von Thun,

2. Abbildung: Der vierohrige Empfänger nach Schulz von Thun,

3. Abbildung: Das „9 Stufen Eskalationsmodell“ nach Friedrich Glasl (2004),

4. Abbildung: Das gleichseitige Dreieck der Themenzentrierten Interaktion (TZI),

5. Abbildung: Das Entschlüsseln einer Nachricht nach Gordon,

6. Abbildung: Grundschema für alle Beratungsformen,

7. Abbildung: Vier Phasen eines Beratungsgesprächs,

Einleitung und Problemstellung

„Worin liegt der Unterschied zwischen erfolgreichem und erfolglosem Lehren, dem Lehren, das zu guten Ergebnissen führt, und dem Lehren, das Kummer bereitet?“[1] Ein entscheidender Faktor für erfolgreiches Lehren ist eine intakte Lehrer-Schüler[2] -Beziehung, die auf gegenseitiger Wertschätzung beruht.

Wenn Lehrer die Bereitschaft entwickeln, ihren Möglichkeiten entsprechend ein offenes Ohr für ihre Schüler zu haben und die Probleme der Schüler als solche anzuerkennen (und nicht fälschlicherweise zu ihren eigenen Problemen zu machen), gewinnt die Lehrer-Schüler-Beziehung erheblich an gegenseitiger Wertschätzung – und damit an Qualität. In diesem Sinne schreibt Gordon (1994): „[…] wenn Beziehungen zwischen Schüler und Lehrer auf gegenseitiger Zuneigung, Respekt und Liebe beruhen, nehmen Probleme der Disziplin signifikant ab.“[3]

Diese Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit klingt einleuchtend. Im Schulalltag wird aber gerade diese Wertschätzung häufig durch un- oder falschgelöste Konflikte in Mitleidenschaft gezogen. Dabei ist es nicht der Konflikt an sich, der die gegenseitige Wertschätzung von Lehrern und Schülern gefährdet. Der Umgang mit Konflikten ist das Wesentliche und Brisante. Unser Umgang mit Konflikten beinhaltet einerseits das Risiko, durch das bloße, ungerechtfertigte Durchsetzen der eigenen Interessen, einen Konflikt eskalieren zu lassen und damit eine von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung zu zerstören. Andererseits verbirgt sich in unserem Umgang mit Konflikten der Schlüssel zur gegenseitigen Weiterentwicklung, zur Reifung der Persönlichkeit, zur Vertiefung von gegenseitigem Vertrauen und zur Verfestigung einer von gegenseitigem Respekt geprägten Lehrer-Schüler-Beziehung.

Ein konstruktives Konfliktverhalten ist also die Basis, das Herzstück, von erfolgreichem Lehren und Lernen. Im aktuellen Schulgesetz des Landes Schleswig-Holstein wird, in §4, Absatz 9, explizit darauf hingewiesen, dass das Lösen von Konflikten auch zum Tätigkeitsbereich der Lehrkraft gehört:

„Die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern, die Lehrkräfte und das Betreuungspersonal (§ 34 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3,5 bis 7) sind zur gegenseitigen Rücksichtsnahme und Achtung verpflichtet. Bei der Lösung von Konflikten und bei unterschiedlichen Interessen sollen sie konstruktiv zusammenarbeiten.“[4]

Was bedeutet dieses nun aber konkret? „Wenn Probleme im menschlichen Miteinander auftauchen, so spielen fast immer Gespräche eine maßgebliche Rolle. Das Miteinanderreden misslingt oder gelingt jedenfalls nicht so, daß Konflikte handhabbar und lösbar werden.“[5] Ein konstruktives Kommunikationsverhalten ist dementsprechend – gerade in Konfliktsituationen – gefragt. Dieses hat zu folgender, dieser Arbeit zugrunde liegender Forschungsfrage geführt: „Durch welches Kommunikationsverhalten können Konflikte zwischen Lehrern und Schülern im Schulalltag deeskalierend bewältigt bzw. langfristig gelöst werden?“

Zur Auseinandersetzung mit dieser Frage soll im ersten Teil dieser Arbeit zunächst auf Grundlagen eingegangen werden, d.h. auf dieser Arbeit zugrundegelegter Definitionen und auf die Bedeutung von Kommunikation und Konflikten, wodurch sich ein tieferes Verständnis für die Thematik erschließt.

Gerade in der Schule haben Lehrer und Schüler verschiedene, sich gegenseitig beeinträchtigende Bedürfnisse, wodurch die Entstehung von Konflikten begünstigt, ja geradezu vorprogrammiert ist. Um das Eskalieren von Konflikten schon im Vorfeld zu verhindern, soll im zweiten Teil dieser Arbeit auf die Konfliktprävention eingegangen werden.

Anschließend folgt, im dritten Aspekt der Arbeit die Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsverhalten in der konkreten, unmittelbaren Konfliktsituation. Da an dieser Stelle davon ausgegangen wird, dass ein Konflikt bereits entstanden ist, stehen hier kurative Interventionen im Mittelpunkt. Dadurch geht es zunächst darum, einen Konflikt deeskalierend zu bewältigen. Entsprechend schreibt Schulz von Thun: „Wenn die Nerven bloßliegen, kann jeder missverständliche Zungenschlag zum Eklat führen.“[6] Durch das Dominieren der psychischen Angespanntheit der Konfliktparteien in dieser Situation geht es hauptsächlich darum, das Entstehen eines größeren Schadens durch spontanes, sofortiges Eingreifen zu vermeiden. Denn „erst wenn man die Praxis bewältigt (im Griff hat), kann man zur schrittweisen Veränderung übergehen.“[7]

Diese erstrebte, tiefgründigere Veränderung des unerwünschten Verhaltens der Konfliktparteien wird im vierten Teil reflektiert. Dieser Punkt geht über die Begrifflichkeit „bewältigen“, im Sinne von „in den Griff bekommen“, hinaus. Es geht nicht darum, die Konflikte „zu bändigen“, sondern diese konstruktiv zu lösen. Dieses geschieht vor allem durch empathisches, aktives Zuhören und durch die kooperative Entscheidungsfindung nach Gordon. Des Weiteren wird zu dem Zweck der langfristigen Konfliktlösung auf pädagogische Beratungsgespräche nach Pallasch et al. eingegangen.

Dieser Prozess kann langwierig sein und wird deswegen gerne aus dem Schulalltag verbannt. Lehrer sind zum Unterrichten da und können sich nicht auch noch um die Probleme der Schüler kümmern, heißt es dann schnell. Aber so leicht ist das nicht. Wenn Schüler durch Probleme in der Klasse oder im Elternhaus etc. belastet sind, zeigt sich das schnell in ihrem Sozialverhalten und wird dann, im Falle von Unterrichtsstörungen, auch zum Problem des Lehrers.

Natürlich ist ein jeder Lehrer gefordert, Prioritäten zu setzen und vielen Aufgaben gerecht zuwerden. Deshalb kann er sich nicht immer aufopferungsvoll um die Probleme eines jeden Schülers kümmern. Dennoch ist diese Arbeit auch Teil des Lehrerberufs. Denn Lehrer sind auch Pädagogen.

Entsprechend werden im Schulgesetz, im § 4, Auftrag der Schule, Bildungs- und Erziehungsziele als gleichwertig aufgeführt.[8] Bildungsziele sind Erziehungszielen also nicht übergeordnet. Es ist nicht die alleinige Aufgabe der Lehrer Fachkompetenz zu vermitteln. Genauso wichtig sind laut Lehrplan die Schlüsselqualifikationen der Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz.[9]

1 Kommunikation und Konflikt

„Warum sprechen Menschen? Was veranlasst einen Menschen sich mitzuteilen?“[10] In Anlehnung an Descartes, schreibt Frindte: „Communicamus ergo sum.“[11] Weil wir kommunizieren existieren wir. Kommunikation ist also Bedingung für unsere Existenz. An dieser Stelle sei auf das Menschenbild der humanistischen Psychologie nach Gührs und Nowak (1991) hingewiesen:

„Da es a priori keinen Sinn des Lebens, verbunden mit einem Idealzustand der Humanität, gibt, muß die Menschlichkeit und der Sinn des Lebens täglich neu im praktischen Tun verwirklicht werden, was nur durch Entscheidung und Engagement geschehen kann. […] Der Weg zu Freiheit und Selbstsein führt vor allem über die Kommunikation.“[12]

Die Interaktion zwischen dem Menschen und seiner sozialen Umwelt trägt demnach wesentlich zu seiner Selbstverwirklichung bei. Durch Kommunikation und soziale Interaktion ist der Mensch also gefordert, seinem Leben einen selbst zu schaffenden, individuellen Sinn zu geben.

Der interaktive „Kommunikationsprozess beginnt, wenn ein Mensch zu einem anderen spricht, weil er ein Bedürfnis hat – es geht etwas in ihm vor.“[13] Das Sprechen ist also ein Versuch, der Außenwelt mitzuteilen, was in unserem Inneren vorgeht. „Das Bedürfnis nach Mitteilung ist menschlich und zeugt von sozialem Verhalten. Indem wir jemandem etwas mitteilen, teilen wir es mit ihm.“[14] Darin liegt einerseits der Schlüssel zu einer guten Verständigung und andererseits das Risiko der Entstehung von Miss-verständnissen und Konflikten.

Bäuerle (1985) schreibt:

„Konflikte gehören aufgrund unserer anthropologischen Grundbefindlichkeit zum Mensch-Sein. Schon allein deswegen wird es keine Erziehung ohne Konflikte geben können. Und die Konflikte sollten auch nicht nur als Negativum […] aufgefaßt werden, denn durchlebte und gelöste Konflikte können den Menschen in seinem Mensch-Sein weiterbringen […].“[15]

Unsere Wahrnehmung von Konflikten ist also entscheidend für ein konstruktives Verhalten. Konflikte sind auch immer Herausforderungen, uns in unserem Mensch-Sein mit unseren Interessen zu vertreten, für uns einzustehen, andere Menschen zu verstehen, Kompromisse zu finden, aufeinander einzugehen etc.. Konflikten sollte also nicht grundsätzlich aus dem Weg gegangen werden. „Konflikt-Scheuheit“ erschwert ein gemeinsames Zusammenleben, da es uns die Wege zum Erkennen der gegenseitigen Bedürfnisse, Vorlieben und Abneigungen versperrt. Dementsprechend schreibt Schulz von Thun, dass die Erfahrung dreierlei lehrt: Erstens, belastet das Unausgesprochene die Kommunikation stärker, als das Ausgesprochene.[16]

„Zweitens, unausgedrückte Gefühle verwandeln sich in Gifte, die Leib und Seele von innen her angreifen. Drittens, ausgedrückte Gefühle ermöglichen eine Veränderung der emotionalen Realität: Erst wer seinen Hass, Ärger, seine Abneigung ausgedrückt hat, kann auch wieder Liebe fühlen.“[17]

1.1 Kommunikation – ein Definitionsversuch

„Kommunikation hat etwas mit der Atemluft gemeinsam, beide sind stets vorhanden. Sie umgeben uns und bedürfen keiner ständigen expliziten Erwähnung.“[18] Kommunikation ist also allgegenwärtig. Sie ist so grundlegend und wichtig, dass wir sie zum Überleben brauchen und uns ihrer immerzu bedienen. Dementsprechend lautet das bekannte Axiom von Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“[19] Kommunikation besitzt demnach also kein Gegenteil. Auch wenn man schweigt oder nicht handelt, hat dieses Verhalten bereits Mitteilungscharakter.

Das Verb kommunizieren hat seinen Ursprung im Lateinischen „communicare“ und bedeutet: „gemeinsam machen, vereinigen, zusammenlegen, teilen, mitteilen, teilnehmen lassen, Anteil nehmen.“[20] In diesen vielseitigen Bedeutungen wird deutlich, dass Kommunikation vor allem in der Interaktion besteht. Wer etwas mitteilt, möchte etwas von sich mit anderen Menschen teilen.[21] So erhebt der Sender einer Nachricht immer Anspruch auf das Gehör seines Empfängers. Er möchte jemanden an seinen Gedanken Anteil nehmen lassen. Gelungene Kommunikation verbindet also Menschen miteinander. Kommunikation, wie sie in dieser Arbeit definiert wird, setzt voraus, dass mindestes zwei Menschen in einer Interaktion zueinander Stellung beziehen.

1.1.1 Die vier Seiten von Kommunikation nach Schulz von Thun

Durch Kommunikation, bzw. das zueinander Stellung beziehen, wird ausgedrückt, wie der Sender einer Nachricht zum Empfänger steht. „Wir finden somit in jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“[22] So schreibt der Kommunikationspsychologe Schulz von Thun: „Eine Nachricht zu senden, heißt auch immer zu dem Angesprochenen eine bestimmte Art von Beziehung auszudrücken.“[23] Schulz von Thun entwickelte das bekannte Nachrichtenquadrat, welches die vier gleichwertigen Aspekte einer Nachricht (den Selbstoffenbarungs-, den Sach-, den Beziehungs- und den Appellaspekt einer Nachricht beziehungsweise einer Kommunikation) als generell gleichwertige Aspekte hervorhebt, von denen situationsabhängig einzelne Aspekte überwiegen.[24]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Nachrichtenquadrat – ein Modellstück der zwischenmenschlichen

Kommunikation

Quelle: Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.14

Da die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler als sehr „kopflastig“ gilt, liegt der Schwerpunkt der schulischen Kommunikation auf der Sachebene. Dadurch besteht leicht die Gefahr, dass die anderen Ebenen der „vierseitigen“ Kommunikation vernachlässigt werden. „Anliegen der Kommunikationspsychologie ist es, diese Verpönung aufzuheben und aus der ein-dimensionalen Sach-Kommunikation eine lebendig-blutvolle vierseitige Kommunikation zu machen.“[25]

Entsprechend der vier Aspekte einer Nachricht hört der Empfänger diese – bildlich gesprochen– auf vier verschiedenen Ohren: dem Sach-, dem Beziehung-, dem Selbstdarstellungs- und dem Appellohr. Dieser Prozess erfolgt beim Empfänger unbewusst, entscheidend ist: „Je nachdem, welches Ohr der Empfänger gerade vorrangig auf Empfang geschaltet hat, nimmt das Gespräch einen sehr unterschiedlichen Verlauf.“[26]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Abbildung: Der „vierohrige Empfänger“

Quelle: Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 45

Diese freie Auswahl des Empfängers führt zu manchen Störungen – etwa dann, wenn der Empfänger auf eine Seite Bezug nimmt, auf die der Sender das Gewicht nicht legen wollte.[27] So kann z.B. der gutgemeinte Lehrerappell: „So, Moritz, jetzt musst du gut aufpassen!“, im Schulalltag, mit Apellohr als richtige, hilfreiche Aufforderung gehört werden, jetzt besonders gut aufzupassen, da gerade etwas Wichtiges erklärt wird. Genauso gut kann dieselbe Nachricht, mit dem Beziehungsohr, jedoch auch als Verletzung auf der Beziehungsebene gehört werden: „Du bist ein schlechter Schüler!“, „Du bist generell unaufmerksam!“ Wie der Schüler diese Nachricht verstehen wird, hängt davon ab, welches Ohr er vordergründig auf Empfang gestellt hat. Besonders wahrscheinlich ist eine Kommunikationsstörung in dem Fall, dass die Beziehungsebene aus seiner Sicht gestört ist und er dementsprechend vordergründig auf die Nachricht: „Du bist ein unaufmerksamer, schlechter Schüler!“ reagiert, z.B. mit Gedanken, wie: „Wie redet der Lehrer eigentlich mit mir?“ „Was bildet der sich ein, mir unentwegt vorzuschreiben, wie ich mich zu verhalten habe?“[28] In diesem Fall liegt, aus der Sicht des Schülers, eine Beziehungsdefinition des Lehrers vor, mit der er, als Empfänger der Nachricht, nicht einverstanden ist.

„Beziehungen werden verhältnismäßig selten bewusst und ausdrücklich definiert. Im allgemeinen ist es so, dass die Definition der Beziehung um so mehr in den Hintergrund rückt, je spontaner und >gesunder< die Beziehung ist, während >kranke< […] Beziehungen u.a. durch wechselseitiges Ringen um ihre Definition gekennzeichnet sind, wobei der Inhaltsaspekt fast völlig an Bedeutung verliert.“[29]

Daraus folgt, dass der Inhaltsaspekt, beziehungsweise die Sachebene, in den Hintergrund rückt, sobald eine Störung auf der Beziehungsebene vorliegt. Eine „kranke“, gestörte Beziehungsebene blockiert also geradezu die Offenheit, die die Aufnahme von Sachinformationen erfordert, weil der Empfänger und der Sender ihre Interaktionen wechselseitig interpunktieren[30]. „>Interpunktieren< heißt: (willkürlich) das eine Verhalten als Ursache, das andere Verhalten als Folge oder Reaktion auslegen. Es scheint eine menschliche Eigenart zu sein, das eigene Verhalten immer als Reaktion zu erleben.“[31] Wenn die Interaktionspartner dabei vorwiegend damit beschäftigt sind, ihre Beziehung neu zu definieren, kommt es schnell dazu, dass ein Konflikt in der Beziehungsebene auf der Sachebene ausgetragen wird, indem zwei (oder mehr) Interaktionspartner sich beispielsweise durch stark verallgemeinernde, haltlose oder aggressive Argumente versuchen mundtot zu machen, um dadurch eine Kränkung auf der Beziehungsebene zu rächen. Dass dieses Phänomen unvorteilhaft für erfolgreiche Kommunikation ist, liegt auf der Hand. Dementsprechend ist eine intakte Lehrer-Schüler-Beziehung eine wichtige Grundlage für eine produktive, förderliche Unterrichtsatmosphäre.

1.2 Auseinandersetzung mit Alltagstheorien und Personenwahrnehmung

Alltagstheorien sind Annahmen über bestimmte Sachverhalte oder deren Zusammenhänge, die wir durch persönliche Erfahrungen im sozialen und kulturellen Bereich bilden, die aber zudem auch durch die Medien verbreitet werden. Sie sind in allen Lebensbereichen wirksam und können hoch persönlich oder auch weit verbreitet sein. Sie äußern sich nicht nur in Handlungen sondern v.a. auch in persönlichen und allgemeinen Voreingenommenheiten und Vorurteilen.[32] Sie beeinflussen z.B. das Wahlverhalten, die Haltung gegenüber Minderheiten und die Art und Weise, wie man Werte in der Öffentlichkeit vertritt. Die Stimmigkeit von Alltagstheorien richtet sich nach dem Stand der Reflexion. Verdeckte Alltagstheorien aufzudecken und ihre Qualität kritisch zu beurteilen, ist eine wichtige Aufgabe der Pädagogik, denn jeder Mensch richtet sich nach bestimmten Alltagstheorien.

„Wir alle besitzen weltanschauliche Überzeugungen und damit mehr oder weniger festgefügte Meinungen über die Welt im Allgemeinen und Besonderen. Wir bevorzugen daher bestimmte Zeitungen oder Sendungen und suchen Gespräche mit Menschen, die unsere Ansichten teilen. Auf diese Weise finden wir unser Weltbild bestätigt und fühlen uns sicher. Andere Meinungen lösen dagegen leicht Verunsicherung, Angst und in Ihrer Folge bisweilen heftige Gegenwehr aus. Ob es uns gelingt, die für uns wichtigen Strukturen und Grundüberzeugungen bestätigt zu finden, hängt ganz entscheidend davon ab, inwieweit wir andere Menschen in das eigene Bezugssystem integrieren können. So verschafft es sich immer wieder ähnliche Erfahrungen, ganz im Sinne einer selbst erfüllenden Prophezeiung.“[33]

Es ist erstaunlich, doch der Mensch scheint in seiner anthropologischen Grundfassung geradezu darauf ausgelegt zu sein, immer wieder das hören zu wollen, was er eigentlich sowieso schon weiß oder zumindest gedacht oder geahnt hat. Ein Beispiel für dieses Phänomen ist auch das Anhören von Musik. Die Musik, die wir besonders mögen, möchten wir immer wieder hören.

Alltagstheorien, die besagen, dass z.B. ein fester Händedruck oder ein energisches Kinn viel über den Charakter eines Menschen aussagen, sind uns unbewusst präsent und haben einen gewaltigen Einfluss in unserer Gesellschaft.[34] Diese Art von Alltagstheorien beeinflussen uns in unserer subjektiven Gefühlswahrnehmung, sind allerdings wissenschaftlich nicht haltbar. Dieses Phänomen ist problematisch, da verbreitete Alltagstheorien leicht zu Gruppennormen werden, deren Gültigkeit nicht mehr hinterfragt wird.[35]

„So haben umfangreiche Forschungen zur interpersonalen Attraktivität gezeigt, daß gemäß der These ‚Was schön ist, ist auch gut’ bei physischer Attraktivität einer Person auch auf das Vorhandensein von sozial erwünschten Eigenschaften geschlossen wird.“[36]

Bei diesen „impliziten Persönlichkeitstheorien“[37] werden also Zusammenhänge zwischen bestimmten Persönlichkeitseigenschaften geschlossen. Da dieses unbewusst und grundsätzlich wissenschaftlich unbegründet geschieht, ist es für Lehrer sehr wichtig, sich über diese Art der Beeinflussung durch Alltagstheorien und mit ihnen verbundenen sozialen Stereotypen im Klaren zu sein, da es sonst leicht unreflektiert dazu kommen kann, dass Lehrer attraktive Schüler bevorzugt behandeln. Genauso gilt das Stereotyp, dass einer Person, die als intelligent angesehen wird, auch gleichzeitig mit hoher Wahrscheinlichkeit Eigenschaften, wie aktiv, zuverlässig, ehrlich usw. zugeordnet werden „ohne dass hierfür entsprechende Beobachtungen vorliegen. Ein anderes Beispiel ist das Stereotyp des ‚schlechten’ Schülers, das mit dem Eigenschaftskomplex dumm, faul, frech u. a. beschrieben werden kann.“[38] Da kein Lehrer in der Lage ist, frei von seinen impliziten Persönlichkeits- und Alltagstheorien losgelöst zu handeln, besteht in der Auseinandersetzung mit diesen die wichtige Chance, reflektiert mit ihnen umzugehen.

Zudem wird die menschliche Personenwahrnehmung u.a. durch Projektion und Übertragung „verzerrt“. So schreibt Schulz von Thun: „Menschliche Wahrnehmung ist nicht nur selektiv, sondern auch ergänzend – das Ergebnis meiner Wahrnehmung ist ein Produkt aus dem, was >da< ist und dem Reim, den ich mir daraus mache.“[39]

Dieser „Reim“ wird – zusätzlich zu den Alltags- und impliziten Persönlichkeitstheorien – zum Einem – durch Projektion determiniert. D.h., dass eine eigene Persönlichkeitseigenschaft auf eine andere Person projiziert wird. „Das Wort >Projektion< kommt aus dem Lateinischen >proicere<, was soviel wie >fortwerfen< heißt. Wenn wir etwas projizieren, werfen wir etwas von uns auf einen anderen Menschen.“[40] Deshalb nehmen wir andere Personen dann durch die Schablone unserer eigenen Erwartungen und Persönlichkeitsmerkmale wahr, wodurch wir ihnen im Grunde genommen nicht gerecht werden können. So zitiert Schulz von Thun Hermann Hesse, der schreibt: „Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bilde etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“[41] Um dieses Phänomen näher zu erläutern, zitiert Schulz von Thun ebenfalls C.G. Jung: „Jung hat den Ausdruck ‚Schatten’ geprägt für den unliebsamen und unerkannten Teil der Person. Manch leidenschaftlicher Streit auf der Beziehungsebene ist ein „Schattenboxen.“[42] Dementsprechend schreiben auch Kunert und Knill über Schwierigkeiten bei der Teamarbeit: „Erstaunlicher Weise zeigt sich, dass ausgerechnet bei Lehrpersonen (die sollten bekanntlich oft alles wissen) der sogenannte Besserwisser als schwierigster Teamtyp genannt wird.“[43] Das problematische Phänomen der Projektion macht also deutlich, dass wir eine Person schnell voreingenommen mit unseren eigenen, auf sie projizierten Schwächen, Gedanken und Verhaltensmustern wahrnehmen oder etikettieren.

Zum Anderen sind wir bei der Personenwahrnehmung von dem Phänomen der Übertragung betroffen, d.h., dass unbewusst ein Dritter im Spiel ist. Die Person, die wir gerade wahrnehmen, erinnert uns durch irgendeine Äußerlichkeit, wie z.B. Sprechweise, Haarfriseur, Gesichtsform etc., an eine wichtige Person aus unserer Vergangenheit. Deshalb übertragen wir unbewusst Charaktereigenschaften der uns vertrauten Person auf die uns unbekannte.[44] Die Chance der Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Projektion und Übertragung schafft ein Bewusstsein für diese Problematiken. Dadurch wird die Gefahr vermindert, die neue Beziehung mit „unerledigten Geschäften“ aus der Vergangenheit zu belasten.[45] Ein passendes Zitat dazu schreibt Ruth Cohn, die Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI) (1975):

„Wie viel weniger Schmerz und Verletzlichkeit wären in Klassenzimmern und anderen Plätzen, wenn Menschen, die miteinander leben und arbeiten, in Gruppen erlernen könnten, daß nicht alle Reaktionen, denen sie begegnen, wirklich ihnen selbst >zugelebt< sind, sondern früheren Gestalten (Eltern, Lehrer, Geschwister) im Leben der anderen gelten; und wie viel klarer könnte jeder Mensch erfahren, welche Illusionen und Vorurteile er selbst auf andere unbewußt überträgt! Mit einem solchen Übertragungsabbau in Gruppen haben Pädagogen auch eine bessere Chance, den ihnen anvertrauten Menschen mit weniger traditionellen Vorurteilen und mehr Offenheit und Realismus zu begegnen.“[46]

1.3 Kommunikation im Schulalltag – die Bedeutung von Wertschätzung

In der Schule besteht ein asymmetrisches Beziehungsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern. „Was Lehrer und Schüler thematisch hier verbindet ist immer das, was der Lehrer kann und der Schüler noch nicht kann.“[47] Dadurch entsteht zunächst einmal fachliche Distanz, die sich leicht in sozialer Distanz widerspiegelt. In dieser sozialen Distanz besteht die Gefahr, dass Lehrer ein „reduziertes, ungünstiges Schülerbild“[48] erhalten. Es besteht also ein unrepräsentativer Kontakt zwischen Lehrer und Schüler. „Das Bild des anderen beruht auf einer Verabsolutierung der eindimensionalen Bekanntschaft – die Achtung vor dem Mitmenschen bleibt ohne Erlebnisgrundlage.“[49] Die Schüler kennen ihren Lehrer hauptsächlich als Vermittler von Wissen. Diese Limitation ist problematisch, da im Extremfall die gegenseitige Wertschätzung von Lehrer und Schüler darunter leidet.

„Zu oft sehen Lehrer ihre Schüler nicht als Menschen, sondern bewerten sie lediglich nach bestimmten Normen: leistungsschwach, begabt, wirtschaftlich benachteiligt, hoher oder niedriger Intelligenzquotient, emotional gestört, zurückgeblieben usw. Die schädliche Wirkung solcher Diagnosen wird gerade erst durch wissenschaftliche Diagnosen aufgedeckt. Sie zeigen deutlich, dass derartiges Einordnen nicht nur das Selbstverständnis des Schülers herabsetzt, sondern auch die Erwartungen des Lehrers beeinflusst und dadurch die Lehrqualität mindert.“[50]

Wünschenswert und essentiell für ein aussagekräftiges Schüler- und Lehrerbild ist also, dass Lehrer und Schüler sich auch bei außerschulischen Aktivitäten, wie Klassenfahrten, Projekten und Wandertagen kennen lernen. Dadurch können sie weitere Facetten der gegenseitigen Persönlichkeit erleben, die die gegenseitige Wahrnehmung repräsentativer macht.

Ausschlaggebend für eine gute Zusammenarbeit, ist das Gefühl der gegenseitigen Wertschätzung von Lehrer und Schüler. Auch wenn ein Schüler leistungsschwach ist, muss das Gefühl der Akzeptanz und der Wertschätzung seiner Person durch die Lehrkraft vorhanden sein. Hier geht es erneut darum, dass ein Defizit auf der Sachebene, in diesem Fall mangelnde Schulleistungen, nicht die Beziehungsebene stören dürfen. Auch bei schlechten Schulleistungen muss der Schüler als Mensch akzeptiert und angenommen werden können.

Allerdings bleibt die Quadratur der Nachricht, bzw. Kommunikation vorherrschend. „Ich kann nicht Sachbotschaften vermitteln, ohne gleichzeitig den anderen als Menschen in irgendeiner Weise zu behandeln (oder misshandeln).“[51] Somit finden Unterricht und Erziehung immer gleichzeitig statt.[52] Dass diese Erziehung von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sein sollte, ist Voraussetzung für das Gelingen von gutem Unterricht. So kann Friedrich Fröbels Erziehungsgrundsatz: „Erziehung ist Liebe und Beispiel, sonst nichts.“[53], in seiner Bedeutung nur ausdrücklich unterstrichen werden.

Dementsprechend hebt auch Gordon in seinem Weltbestseller „Lehrer-Schüler-Konferenz“ die Wichtigkeit von Wertschätzung durch die „Sprache der Annahme“[54], hervor, indem er schreibt: „Wenn jemand einen anderen so annimmt, wie er ist, trägt er entscheidend dazu bei, dass der andere sich entwickeln kann, zu konstruktiven Veränderungen fähig wird, Probleme lösen lernt und produktiver und kreativer wird.“[55] Die Vermittlung des Gefühls von Akzeptanz und Wertschätzung eröffnet einem Menschen das Gefühl von freier Entfaltungsmöglichkeit. Das Potential für Kreativität und Individualität wird bei Schülern auf diese Weise maßgeblich gefördert. „Einen anderen anzunehmen, >wie er ist<, ist ein echter Akt der Liebe; sich angenommen zu fühlen, heißt, sich geliebt zu fühlen.“[56] So ist eine solche Annahme eines der wichtigsten Elemente für eine positive Entwicklung. Umgekehrt schreibt Gordon weiter: „[…] daß Nicht-Annahme Menschen verschließt, in ihnen Abwehr hervorruft, Unbehagen und Angst auslöst, sie hindert, zu sprechen oder einen Blick auf sich selbst zu werfen.“[57] Der Kerngedanke der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Rosenberg (2004) greift diesen Grundsatz ebenfalls auf, indem er konstatiert: „[…], daß Angst, die Angst nicht zu genügen, oder etwas falsch zu machen und daraus negative Konsequenzen zu erleiden, einer der größten lern- und beziehungshemmenden Faktoren ist.“[58] Selbsterklärend gilt es demnach, diese „Sprache der Nicht-Annahme“ bzw. Geringschätzung, zu vermeiden.

1.4 Interpersonelle Konflikte – ein Definitionsversuch

In diesem Abschnitt wird auf folgende Fragen eingegangen: „Was genau ist ein Konflikt?“ und „Welche Voraussetzungen impliziert unser Verständnis eines interpersonellen Konflikts?“ Nach Friedrich Glasl liegt ein Konflikt erst dann vor, wenn zwischen mindestes zwei Akteuren bzw. Individuen, Gruppen, Organisationen usw. eine Differenz bzw. Unvereinbarkeit im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen vorliegt, die die Verwirklichung dessen, was die jeweils oppositionelle Partei erstrebt, beeinträchtigt.[59] Diese Definition, die dieser Arbeit zugrundegelegt wird, geht also davon aus, dass ein Konflikt noch nicht besteht, wenn unterschiedliche Handlungstendenzen aufeinander treffen[60], sondern erst dann, wenn diese sich gegenseitig beeinträchtigen, bzw. blockieren. D.h., dass eine Meinungsverschiedenheit, wie z.B. die Vorliebe für Reisen in verschiedene Länder, an sich noch keinen Konflikt darstellt. Erst dann, wenn es darum geht, sich für ein Land als Reiseziel für die Klassenfahrt zu entscheiden, entsteht ein interpersoneller Interessenkonflikt, da sich die unterschiedlichen Länder als Reiseziel gegenseitig ausschließen. Genauso stellt es für den Lehrer noch keinen Konflikt dar, wenn ein Schüler zeitweise nicht konzentriert beim Unterrichtsthema ist. Erst dann, wenn der Schüler durch seine Ablenkung den Unterricht stört und andere Schüler und den Lehrer vom Thema ablenkt, entsteht der Konflikt zwischen Lehrer und Schüler, da dieses Verhalten das Unterrichten des Lehrers beeinträchtigt. Entsprechend definiert auch Deutsch (1976) den Begriff des Konflikts folgendermaßen „Ein Konflikt liegt vor, wenn das beabsichtigte Verhalten einer Partei das Verhalten der anderen Partei behindert, blockiert, dieses stört und es weniger aussichtsreich und wirksam macht.“[61]

1.4.1 Zur Entstehung und Wahrnehmung von Konflikten

Es liegt einfach in der Natur von menschlichen Beziehungen, dass unvereinbare Handlungstendenzen, die sich gegenseitig beeinträchtigen, aufeinandertreffen. Dadurch ist es ein fester, unvermeidlicher Bestandteil des Lehrerberufs, mit Konflikten konfrontiert zu sein.[62] „Konflikte zwischen den Bedürfnissen der Lehrer und Schüler sind so unvermeidlich wie Regen oder Steuern. Ihr Auftreten ist sicher und manchmal auch recht häufig.“[63] Dennoch werden Konflikte in unserem Sprachgebrauch grundsätzlich als etwas Negatives angesehen. Nach Gordon definiert

„Websters Wörterbuch >Konflikt< mit einer Ableitung aus dem lateinischen Wort conflictus, d.h. aneinandergeraten, zusammenstoßen. Als Synonyme sind angegeben: Unstimmigkeit, Krieg, Schlacht Kollision. Als Verb bedeutet der Begriff im Englischen, sich antagonistisch verhalten, sich bekriegen und bekämpfen.“[64]

Durch diese Definition werden Konflikte quasi mit Krieg gleichgesetzt. Als Folge dessen sind Konflikte in jedem Fall zu vermeiden.

„Aus Angst vor Konflikten vermeiden Menschen, unterschiedliche Bedürfnisse zu haben.“[65] Diese Entwicklung ist gefährlich, da die Unterdrückung von Bedürfnissen zu angestauten Frustrationen und zu einer Hemmung der Entfaltungs- und Entwicklungsfreiheit führt. Schon Heraklit sagte: „‚Der Konflikt ist der Vater aller Dinge.’ Das Gegenteil ist nicht etwa die ewige Harmonie, sondern die in der Routine erstarrte Gleichförmigkeit.“[66] Da eine „in Routine erstarrte Gleichförmigkeit“ keinen Raum für Entwicklung und Wachstum lässt, gilt es diese – auch wenn sie noch so bequem sein mag – in jedem Fall zu überwinden. Der Konflikt impliziert demnach bereits das Potential für einen Lösungsprozess, welches es zu finden und zu nutzen gilt (siehe 4). „Konflikte sind deshalb gut und notwendig für den Wandel zum Besseren, so wie der Volksmund meint: ‚Das Bessere ist der Feind des Guten.’“[67] In diesem Sinne ist ein Konflikt auch immer eine ungelöste Aufgabe, die uns zu neuen Lern- und Lösungsprozessen herausfordert.

Ständig begleiten Interessenskonflikte die Unterrichtssituation. Deshalb ist es für Lehrkräfte so wichtig, ein lösungsorientiertes Konfliktverhalten zu entwickeln, bei dem Konflikte nicht übergangen, sondern als positive Entwicklungschance angesehen werden. Nach Gordon besteht sogar Grund zur Annahme, dass die Häufigkeit von Konflikten in einer zwischenmenschlichen Beziehung „in keinem Zusammenhang zu der Solidität oder Qualität steht. Wichtig sind einzig und allein a) die Anzahl der ungelösten Konflikte und b) die angewandten Methoden zur Konfliktlösung.“[68]

Interessanterweise kann das lateinische Wort „conflictus“, alternativ zu Gordons Übersetzung, auch als das Partizip Perfekt Passiv von „confligere“ abgeleitet werden. In diesem Fall heißt die Übersetzung ebenfalls „zusammenstoßen“, aber zudem auch „vereinigen“ und „vergleichend zusammenhalten.“[69]

2 Konfliktprävention

Grundlegend ist unsere Sicht von Konflikten. Nur wenn wir davon ausgehen, dass Konflikte nicht ungewollt und willkürlich eskalieren, sondern wir als Involvierte die Möglichkeit haben, diese durch unser Kommunikationsverhalten entscheidend steuern zu können, macht es Sinn, sich mit dem Vorbeugen von Konflikteskalation auseinander zu setzten. Doch was genau heißt Eskalation in diesem Zusammenhang? Die Übersetzung des englischen Wortes „escalation“ heißt auf deutsch „Steigerung“ oder „Verschärfung“.[70] Ursprünglich bezieht sich diese Steigerung auf eine Verschärfung bei der Anwendung von militärischen und politischen Mitteln. Im Bereich der Kommunikationstheorie wird der Begriff der Eskalation verwendet, um Beziehungsverläufe zu charakterisieren, die einen sich steigernden Intensitätsverlauf aufzeigen.[71] Dieses kann sich bei Liebesbeziehungen sehr positiv äußern, bei Konflikten jedoch in ein gegenseitiges Verletzen oder gar Vernichten abgleiten.

Auch wenn hier die Auffassung zugrunde gelegt wird, dass wir bei der Involvierung in einen Konflikt sehr wohl die Möglichkeit haben einer Konflikteskalation durch bewusstes Kommunikationsverhalten entgegenzuwirken, bleibt der Verlauf des Konflikts immer ein Stück weit unberechenbar, da sein Wirkungsgeflecht vielseitig ist. Es kann z.B. dazu kommen, dass ein Empfänger auf „verborgene Schlüsselreize“[72] einer Nachricht für den Sender völlig unverständlich reagiert. In solchen Fällen „hat eine >psychochemische Reaktion< stattgefunden mit einer Nachrichtenkomponente, die der Sender in seiner eigenen Nachricht gar nicht vermutet hätte oder auf die er das Schwergewicht seiner Nachricht nicht legen wollte.“[73] D.h. also, dass eine Nachricht durch unsere Vorerfahrungen und unsere Wahrnehmung, die sich auch immer auf spezielle Erkenntnisse ausrichtet und entsprechend unserem Weltbild Informationen selektiert, in einen für den Sender völlig überraschenden, verfremdeten Zusammenhang eingeordnet worden ist. „Es stimmt eben beides: Der eine hat dieses gesagt, der andere hat jenes gehört.“[74] Solche Situationen wirken verwirrend für beide Interaktionspartner, können allerdings auch hochinteressant sein, wenn man die Gelegenheit ergreift, eine solche Aussage aus der Perspektive seines Gegenübers empathisch unter dessen Selbstoffenbarungsaspekt (vgl. 1.1) zu hören.

„Es wäre viel gewonnen, wenn wir die gefühlsmäßigen Ausbrüche, Anklagen und Vorwürfe unserer Mitmenschen mehr mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr zu empfangen in der Lage wären. Dann könnten wir den anderen eher seine Gefühle zugestehen, könnten uns ruhig darauf einlassen, ohne gleich in große Sorge um unsere >weiße Weste< und um unser seelisches Heil zu geraten. Wir wären weniger mit unserer eigenen Rehabilitation beschäftigt und könnten statt dessen besser zuhören und so besser dahinterkommen, was mit dem anderen wirklich los ist.“[75]

Diese wünschenswerte Gesprächshaltung wird ausführlicher unter 4.2 beschrieben, da sie eine entscheidende Komponente zur Konfliktbewältigung und auch zur langfristigen Konfliktlösung, außerhalb der Konfliktsituation, darstellt.

2.1 Die 9 Stufen des Eskalationsmodell nach Glasl

Wovon ist eigentlich genau die Rede, wenn ein Konflikt eskaliert? Glasl (2004) hat zur Erörterung dieser Frage das „9 Stufen Eskalationsmodell“ entworfen. Dieses Modell (siehe Abbildung 3) geht davon aus, dass neun abwärtsfolgende Stufen erfolgen, bis ein Konflikt auf der untersten Stufe „Gemeinsam in den Abgrund“ eskaliert.[76]

Kennzeichnend für dieses Modell ist, dass zwischen diesen neun Stufen jeweils Wende- oder Schwellenpunkte existieren, die „das Abrutschen“ auf eine weitere untere Stufe der Regression charakterisieren und damit auch erschweren. Diese Wendepunkte dienen in gewisser Weise als Grenzen der Gewaltanwendung, die - in der Regel - unausgesprochen festlegen, auf welcher Stufe ein Konflikt ausgetragen wird.[77] In Bezug auf Schelling (1957) stellt Glasl die Schwellenmomente folgendermaßen dar:

- sie sind evident und beanspruchen eine selbstverständliche Geltung
- sie appellieren an erster Stelle nicht an die Logik, sondern an das Gefühl
- sie haben symbolische Bedeutung
- sie liefern deutliche Meilensteine im Kontinuum möglicher Lösungen und Übereinstimmungspunkte[78]

Diese Schwellen- und Wendepunkte sind wichtig, da sie Sicherheit gewähren und man sich generell daran halten sollte, diese Grenzwerte nicht zu überschreiten. Zum Beispiel galt in den Bürgerkriegsverhandlungen in Nordirland ein von Katholiken und Protestanten absolut anerkannter Schwellenwert: „keine Kinder, Frauen oder Priester zu töten.“[79] Nachdem dann allerdings 1975 absichtlich ein Kind von einem Panzer der britischen Armee überfahren worden ist, entwickelte sich eine drastische Verschärfung der Situation bzw. die Eskalation des Nordirlandkonflikts erfolgte auf einer tieferliegenden Stufe.[80]

Auf jeder Stufe gelten eigene Normen und Rechtfertigungsmomente für das praktizierende Ausmaß der Gewaltanwendung. Dementsprechend werden „derartige Schwellen- oder Wendepunkte oft als ‚point of no return’ erlebt.“[81] Im Folgenden soll das „9 Stufen Eskalationsmodell“ von Glasl veranschaulicht und näher erläutert werden:

[...]


[1] Gordon, Thomas (1994), S. 18

[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit nur die männliche Form benutzt,

wenn beide Geschlechter gemeint sind.

[3] Gordon, Thomas (1994), S. 80

[4] Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.) (April 2007), S.9

[5] Gührs, Manfed und Nowak, Claus (1991), S. 9

[6] Schulz von Thun, Friedemann (20062), S.310

[7] Pallasch (1985), S. 92

[8] Vgl. ebd., S.9

[9] http://lehrplan.lernnetz.de/intranet1/links/materials/1117787563.pdf, S. 6

[10] Gordon, Thomas (1994), S. 67

[11] Frindte, Wolfgang (2001), S. 9

[12] Gührs, Manfed und Nowak, Claus (1991), S. 18

[13] Gordon, Thomas (1994), S. 67

[14] Adl-Amini, Bijan (2004), S. 110, Herv. i. O.

[15] Bäuerle, Siegfried (1985), S. 211

[16] Vgl. Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 78

[17] Ebd.

[18] Kunert/Knill (2000), S.27

[19] Watzlawick/ Beavin/ Jackson (1990), S. 51

[20] Kunert/Knill (2000), S. 26

[21] Vgl. Adl-Amini, Bijan (2004), S. 110

[22] Watzlawick/ Beavin/ Jackson (1990), S. 53

[23] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 28

[24] Vgl. ebd., S.16

[25] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 16

[26] Ebd., S.44

[27] Vgl. ebd.

[28] Vgl. Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 45 (Beispiel der Autofahrt.)

[29] Watzlawick/ Beavin/ Jackson (1990) , S. 55

[30] Vgl. ebd., S. 61

[31] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S. 85

[32] Vgl. Forgas, Joseph P. (1994), S. 5

[33] Gührs, Manfed und Nowak, Claus (1991), S.46, hier setzt die Transaktionsanalyse an, auf die an

dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll.

[34] Rosenberg, Marshall B.(2004), S.20

[35] Vgl. Neubauer/Gampe/Knapp/Wichterich (1999),S. 20

[36] Vgl. ebd., S. 21

[37] Vgl. ebd.

[38] Ebd., S.21

[39] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.176

[40] Zurhorst, Eva-Maria (2004), S. 112

[41] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.176

[42] Ebd.

[43] Kunert/Knill (2000), S.109

[44] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.176

[45] Vgl. ebd., S. 177

[46] zitiert nach Schulz von Thun, Friedemann (20061) , S. 196

[47] Ebd., S. 178

[48] Ebd.

[49] Ebd.

[50] Gordon, Thomas (1994) , S.22

[51] Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.156

[52] Vgl. ebd., S. 157

[53] Kasper, Horst (2004), S.32

[54] Im englischen Original “the Power of the Language of Acceptance“. Vgl.

http://www.gordontraining.com/article-the-power-of-the-language-of-acceptance.html

[55] Gordon, Thomas (1994), S.60

[56] Ebd., S.62

[57] Ebd., S.61

[58] Rosenberg, Marshall B.(2004), S.12

[59] Vgl. Glasl, Friedrich (2004), S. 17

[60] Vgl. Neubauer/Gampe/Knapp/Wichterich (1999), S.18 ; oder vgl. Glasl, Friedrich (2004), S.15

[61] zitiert nach Neubauer/Gampe/Knapp/Wichterich (1999), S. 7

[62] Vgl. Neubauer/Gampe/Knapp/Wichterich (1999), S. 7

[63] Gordon, Thomas (1994), S.166

[64] Ebd.

[65] Schwäbisch/ Siems (1974), S. 118

[66] zitiert nach Kasper, Horst (2004),S.20

[67] Ebd.

[68] Gordon, Thomas (1994), S.166

[69] Langenscheidt Redaktion (Hrsg.) (1963), S. 122, die originale Übersetzung des Partizip Perfekt

Passiv lautet: vereinigt haben, bzw. vergleichend zusammengehalten haben.

[70] Langenscheidt Redaktion (2003), S.134

[71] Vgl. Glasl, Friedrich (2004), S. 43

[72] Vgl. Schulz von Thun, Friedemann (20061), S.71

[73] Ebd.

[74] Ebd., S. 63

[75] Ebd., S.55,56

[76] Vgl. Glasl, Friedrich (2004), S. 236

[77] Ebd., S. 228

[78] Vgl. ebd., S. 229

[79] Ebd., S. 228

[80] Vgl. ebd.

[81] Ebd., S. 230

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Konfliktbewältigung an Schulen
Untertitel
Orientierungen für ein konstruktives Kommunikationsverhalten zur Konfliktbewältigung und -lösung
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Schulpädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
84
Katalognummer
V115083
ISBN (eBook)
9783640159079
ISBN (Buch)
9783640187867
Dateigröße
1630 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konfliktbewältigung, Schulen, Orientierungen, Kommunikationsverhalten, Konfliktbewältigung
Arbeit zitieren
Levke Landt-Hayen (Autor:in), 2007, Konfliktbewältigung an Schulen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115083

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