Stationierung, Abzug und Erbe der Roten Armee in Deutschland in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Neuformierung in der Russischen Föderation


Wissenschaftliche Studie, 2009

13 Seiten


Leseprobe


Stationierung, Abzug und Erbe der Sowjetarmee

in Deutschland in Zeiten politischer und gesellschaftlicher

Neuformierung der Russischen Föderation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Inhaltsangabe:

Der in den Jahren 1991-1994 von der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland im 2+4-Vertrag zur Deutschen Einheit geforderte Abzug der Westgruppe der russischen Streitkräfte (WGT) aus Deutschland stellte mit über 500.000 Angehörigen und rund 3 Mio. Tonnen militärischem Material als größte Truppenverschiebung in Friedenszeiten in jeder Hinsicht eine logistische, soziale und ökologische Herausforderung dar, die bis heute in den Neuen Bundesländern nachwirkt. Die nachfolgenden Textauszüge mit ausgewählter Bilddokumentation dienen als Einführung in diese Thematik und basieren auf den persönlichen Erlebnissen des Autors während seiner nunmehr 20 Jährigen photographischen Recherche um einen gigantischen und historisch bislang einmaligen Konversionsprozess, dessen Interpretation von Deutscher und Russischer Seite sehr konträr war.[1] Einblicke in den inneren Zustand der Armee im Kontext zu den ideologischen Vorgaben des Sowjetsysthems beziehen ihre Quellen aus der interdisziplinären Forschungsarbeit der Bild und Textdokumentation „Das Erbe der Sowjetarmee in Deutschland“ von Thilo Gehrke mit 146 Seiten Text und 150 Bildern, erschienen im November 2008 im Verlag Dr. Köster Berlin als Band 29, Beiträge für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.

Was bleibt-

Stationierung, Abzug und Erbe der Sowjetarmee in Deutschland

„Die Russen sind sauer, dass sie abziehen müssen und hier nichts mehr zu sagen haben.“ sagte der Volkspolizist. Kurz zuvor waren wir an einem Ort verhaftet worden, den man bislang nur vom Vorbeifahren kannte.

Als Transitreisender nach West-Berlin hatte man den vorgeschriebenen Weg vom Grenzübergang Horst bei Lauenburg auf der alten Fernstraße 5 über Ludwigslust, Perleberg und Nauen, allesamt Garnisonsstädte mit großen Kasernenanlagen der Sowjettruppen, zu nehmen. Zwischen Nauen und dem Grenzübergang Berlin- Staaken, fuhr man bei Elstal kilometerweit durch eine verwahrloste Kasernenstadt, die sich hinter stets frisch gestrichenen weißen Mauern verbarg. Manchmal öffnete sich eines der bewachten Tore mit dem roten Stern, um einen altertümlichen LKW mit exotisch aussehenden Soldaten auf der Ladefläche heraus zulassen, der eine aromatisch riechende Benzinfahne hinter sich her zog .

Ich befand mich im Oktober 1990 mit einem Freund am Rande eines sowjetischen Panzerübungsplatzes bei Dallgow, als plötzlich ein mit einem Zivilisten und Soldaten besetzter Militär-LKW auftauchte. Obwohl die DDR sich kurz zuvor aufgelöst hatte, befanden wir uns auf militärischem Sperrgebiet, nur die Schilder, die davon künden sollten, waren mit der Zeit verloren gegangen oder einfach umgefahren worden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: WGT-Hauptquartier Wünsdorf, Tag des Abschieds der russischen Armee, 11.06.1994

Der Zivilist verlangte den Film meiner Kamera. Da ich ihm die Herausgabe verweigerte, nahmen sie uns kurzerhand fest und führten uns mit entschlossenem Griff auf einen ummauerten Kasernenkomplex zu. Nach einem Tritt gegen ein Wellblechfragment gelangten wir in eine andere Kultur. Ein Sowjetsoldat mit asiatischem Aussehen hockte zwischen Ferkeln und Hühnern am Boden und kochte sich über offenem Feuer Undefinierbares in seinem Stahlhelm. Nach einem weiteren Fußtritt gegen eine andere Umzäunung gelangten wir zum Exerzierplatz der heruntergekommenen Kaserne. Dort übte eine Soldatengruppe in Webpelzmützen, braunen Filzmänteln und Filzstiefeln unter schrägen Trompetentönen und Paukenschlägen das holprige Marschieren. So sah es also hinter der weißen Mauer aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: WGT-Hauptquartier Wünsdorf, Tag des Abschieds der russischen

Kannten wir doch sowjetische Soldaten bislang nur als Finsterlinge und Folterknechte aus Agentenstreifen und wähnten uns nun schon auf dem Weg in ein sibirisches Straflager.

Nachdem wir auf der Kommandantur einem hohen sowjetischen Offizier in Reiterhosen mit roten Streifen an den Seiten vorgeführt wurden, kam nach einer Weile der frisch gewendete deutsche Volkspolizist und fuhr mit uns zur Verhaftungsstelle, um nach den Verbotsschildern zu suchen.

Danach waren wir frei.

Im Laufe des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs, der 1990 in allen Ostblockstaaten stattfand, wurde klar, das der Abzug des sowjetischen Militärs auch in Deutschland nur eine Frage der Zeit sein würde. Kam eine Stationierung in der DDR für den Rotarmisten einem Privileg gleich, da hier zumindest für die Offiziere im Vergleich zu den anderen kommunistischen Satellitenstaaten des Warschauer Paktes ein weniger entbehrungsreiches Leben herrschte, sah der Blick in die Zukunft für die Soldaten, deren Väter sich unter hohem Blutzoll von Moskau nach Berlin vorgekämpft hatten, nun ungewiss aus.

Dedowschtschina-die Herrschaft der „Großväter“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Wismar, Kaserne Lübsche Burg, der Autor (li.) im Austausch mit russischen Wehrpflichtigen, Juni 1993

Der einfache junge Wehrpflichtige hatte von Leben außerhalb der Kasernenmauern wenig mitbekommen, sie zu verlassen war nur unter Aufsicht und im dienstlichen Auftrag möglich. Sein Leben als Sowjetsoldat und Befehlsempfänger war oft gekennzeichnet von psychischer und körperlicher Gewalt, Schikanen durch Vorgesetzte,“Großväter“ genannt, Unterbringung in Massenquartieren und ethnischen Konflikten. Eine unselige Tradition namens “Dedowschtschina“, an der Putins Armee auch heute noch krankt, wie das St. Petersburger „Komitee der Soldatenmütter“ beklagt.

Das Sowjetreich war riesig, viele unterschiedliche Kulturen und Ethnien trafen in der Armee aufeinander. Einzig die Lehren des Kommunismus sollte sie zumindest theoretisch einen. Viele der jungen Soldaten sprachen noch nicht einmal Russisch.

[...]


[1] Vgl.:Thilo Gehrke : Das Erbe der Sowjetarmee in Deutschland , Beiträge für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Bd. 29, Verlag Dr.Köster, Berlin 2008, ISBN 978-3-89574-684-0, : http://www.verlag-koester.de/buch.php?fb_id=12&id=635

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Stationierung, Abzug und Erbe der Roten Armee in Deutschland in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Neuformierung in der Russischen Föderation
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V121520
ISBN (eBook)
9783640926589
ISBN (Buch)
9783640926862
Dateigröße
3264 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei dieser Publikation handelt es sich um Quellenverweise und Textauszüge von meinem Buch.
Schlagworte
stationierung, abzug, erbe, sowjetarmee, deutschland, zeiten, neuformierung, russischen, föderation
Arbeit zitieren
Thilo Jörg Gehrke (Autor:in), 2009, Stationierung, Abzug und Erbe der Roten Armee in Deutschland in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Neuformierung in der Russischen Föderation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121520

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