Englisch als dritte Sprache bei Lernern mit bilingualem arabisch-deutschem Hintergrund


Magisterarbeit, 2007

181 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Beweggründe für die Themenauswahl

1. Einleitung

2. Spracherwerb
2.1 Erstspracherwerb
2.2 Zweitspracherwerb
2.3 Bilingualismus/ Additiver Bilingualismus
2.3.1 Der frühe Bilingualismus
2.3.2 Dominante Sprache, nichtdominante Sprache - starke Sprache, schwache Sprache
2.3.3 Sprachmischungen (Codeswitching)
2.3.4 Semilingualismus - doppelte Halbsprachigkeit

3. Interferenz
3.1 Interferenz auf phonologischer Basis
3.2 Grammatikalische Interferenzen
3.3 Lexikalische Interferenzen

4. Abriss der arabischen Linguistik
4.1. Warum wird die arabische Sprache als eine schwer zu erwerbende Sprache angesehen?
4.2 Die arabische Schrift
4.3 Zur Phonetik und Phonologie des Arabischen
4.4 Phonetischer Sprachvergleich zwischen artikulatorisch verwandten arabischen und englischen Phonemen
4.5. Zur Morphologie und Syntax des Arabischen
4.5.1 Das Nomen
4.5.2 Der bestimmte Artikel
4.5.3 Die Kopula „sein“
4.5.4 Das Verb
4.5.5 Das Pronomen
4.5.6 Die suffigierten Personalpronomen
4.5.7 Die feminine Endung „tå² marbýta“
4.5.8 Die Demonstrativpronomen
4.5.9 Die Relativpronomen
4.5.10 Die Präpositionen
4.5.11 Der Satz

5. Die Untersuchungen
5.1 Die Probanden des Aussprachetests
5.1.1 Auswertung der Aussprachetests mit den bilingualen Probanden
5.1.2 Auswertung der Aussprachetests mit den monolingualen Probanden
5.1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Aussprachetests und Schlussfolgerungen
5.2 Einleitung und Vorgehensweise zum Morphologie- und Syntax-Test
5.2.1 Die Processability Theory
5.2.2 Die Probanden des Morphologie- und Syntax-Tests
5.3 Die Interviews
5.3.1 Die Situation der Familie
5.3.1.1 Die Mütter der Probanden des Morphologie- und Syntax-Tests
5.3.1.2 Die Väter der Probanden des Morphologie- und Syntax-Tests

6. Die Untersuchungsmethode
6.1 Zur Transkriptionsmethode
6.1.1 Das Testmaterial
6.1.2 Testvorbereitungen
6.2 Auswertung des Morphologie- und Syntax-Tests (Datenerhebungsverfahren) und Vorgehensweise

7. Ergebnisse der Untersuchung
7.1 Ergebnisse für Arabisch
7.1.1 Beispiele zu den einzelnen Stufen
7.1.2 Erläuterungen zu den Abkürzungen
7.1.3 Beispiele für das NP agreement der Stufe drei aus den Äußerungen der Probanden
7.1.4. Erläuterungen zu den Abkürzungen
7.2 Ergebnisse für Deutsch
7.2.1 Beispiele für die Verb-End-Stellung der Stufe sechs aus den Äußerungen der Probanden
7.3 Ergebnisse für Englisch
7.4 Beispiele aus den Äußerungen der Probanden zum Possessive Pronoun
7.5 Beispiele aus den Äußerungen der Probanden zur Satzstellung gemäß SVO im Englischen
7.6 Beispiele für die Anwendung der Plural-s Endung bei Nomen
7.7 Beispiele für die Anwendung der Endung -ing des Present Tense Continous
7.8 Erläuterungen der Ergebnisse
7.9 Schlussfolgerungen
7.9.1 Analysen und Kommentare zu einzelnen Äußerungen der Probanden im Morphologie- und Syntax-Test
7.9.2 Sprachmischungen/Kodewechsel (Codeswitching und Codemixing) in den Äußerungen der Probanden
7.9.3 Äußerungen mit dem Einsatz von Körpersprache
7.10 Interferenz

8. Der muttersprachliche Unterricht; eine Möglichkeit zur Erweiterung der Erstsprache/Muttersprache von Lernern mit Migrationshintergrund
8.1 Der muttersprachliche Hocharabisch Unterricht (Interviewergebnisse des Lehrers Herr D. und den Eltern der Probanden)
8.2 Der muttersprachliche Hocharabisch Unterricht aus Sicht der Eltern der Probanden der fünften Klasse

9. Fazit und Ausblick

10. Literaturverzeichnis

11. Tabellenverzeichnis

12. Anhang
12.1 Leitfaden für die Interviews mit den Probanden der fünften Klasse
12.2 Leitfaden für Interviews mit den Müttern der Probanden der fünften Klasse
12.3 Leitfaden für Interviews mit den Vätern der Probanden der fünften Klasse
12.4 Leitfaden für das Interview mit einem Muttersprachenlehrer für Hocharabisch (Herr D.) am 24.01.2007 in Wolfsburg
12.5 Überprüfung von Morphologie und Syntax im Arabischen Testform: Beschreibung von Bildern
12.6 Transkription der in arabisch gestellten Fragen zur Überprüfung von Morphologie und Syntax im Arabischen
12.7 Überprüfung von Morphologie und Syntax im Deutschen Testform: Beschreibung von Bildern
12.8 Überprüfung von Morphologie und Syntax im Englischen Testform: Beschreibung von Bildern
12.9 Informationen zu den beiliegenden DVDs der aufgenommenen Aussprachetests
12.10 Erläuterungen zu den verwendeten Abkürzungen und Transkriptionszeichen
12.11 Interview Transkription 1
12.12 Interview Transkription 2
12.13 Interview Transkription 3
12.14 Interview Transkription 4
12.15 Tabelle für die Aussprachetests
12.16 Bilder für den Morphologie- und Syntax-Test [NICHT ENTHALTEN]
12.17 Elternbrief

Beweggründe für die Themenauswahl

Geboren wurde ich, Sera Hamoussi, in Wolfsburg am 5. Februar 1980. Meine Eltern stammen beide aus Tunesien. Mein Vater kam 1970 als Arbeitsmigrant nach Wolfsburg und war bis 1998 im Volkswagenwerk tätig. Am 31. August 2003 starb er im Alter von 62 Jahren.

Zu seinen Lebzeiten und auch eines seiner letzten Willen und Wünsche war, dass wir, meine ältere Schwester, meine drei jüngeren Brüder und ich, unsere Muttersprache Arabisch, sowohl in Wort als auch in Schrift beherrschen.

Daheim sprachen wir ausschließlich Arabisch und bewusste aber auch unabsichtliche Wechsel vom Arabischen ins Deutsche wurden mit kleinen Strafarbeiten (zum Beispiel das Abschreiben von arabischen Texten aus Lehrbüchern) vergolten. Auch durften wir nur selten deutsches Fernsehen schauen. An Wochenenden gestaltete mein Vater einen Videonachmittag, bei dem er uns arabische Kinderfilme oder Dokumentationen abspielte. Die Videokassetten mit Cartoons, Filmen oder Dokumentationen kaufte er während der Ferien in Tunesien aus Videotheken. Ab November 1987 als wir arabische Sender und besonders den tunesischen Sender „Tun 7“ über Satellit empfangen konnten, war mein Vater einer von vielen überglücklichen Migranten, denn er war der festen Überzeugung, dass Medien einen positiven Einfluss auf den Spracherwerb und Spracherhalt ausüben. Neben dem Fernsehen von arabischen Sendern, unterhielten wir uns grundsätzlich in arabischer Sprache und der telefonische Kontakt zu unseren Verwandten in Tunesien wurde nicht nur zu besonderen religiösen Anlässen oder Festen gepflegt, sondern auch für fast jedes Wochenende eingeplant. So kommunizierten wir mit einigen unserer Verwandten in der Heimat und die Sprechhemmungen in Arabisch wurden bei uns dadurch nach und nach abgebaut. Ich muss gestehen, dass es früher nicht eines meiner Lieblingstätigkeiten war, mich mit meinen Verwandten am Telefon zu unterhalten. Heute weiß ich aber, dass besonders diese Vorgehensweise, die durch meine Eltern realisiert wurde, einen besonderen und hervorragenden Beitrag zur Förderung meiner Erstsprache Arabisch, geleistet hat.

Überdies besuchten wir insgesamt drei Mal die Woche jeweils eineinhalb Stunden, an verschiedenen Standorten in Wolfsburg, den muttersprachlichen Hocharabisch Unterricht, wobei neben der Kommunikation, besonders die arabische Orthographie und Grammatik gelehrt wurde. Rückblickend kann ich bestätigen, dass ich sehr gerne an diesem freiwilligen Unterricht teilgenommen habe, denn wir hatten sehr kompetente Lehrkräfte, die uns das Lernen der arabischen Sprache mit wenig Druck und oft mit Lernspielen integriert vermittelt haben. Es gab zu dieser Zeit, viele Eltern, die nach und nach ihre Kinder vom Unterricht abgemeldet haben, mit der Begründung, dass ihre Kinder möglicherweise in der deutschen Schule in einzelnen Fächern Probleme haben können. Ferner waren sie der Ansicht, dass die Sprachkompetenzen ihrer Kinder in der deutschen Sprache unter den zusätzlichen Sprachunterricht leiden würde. Kurz, der muttersprachliche Unterricht würde für ihre Kinder eher Nachteile als Vorteile schaffen. Viele dieser Kinder die damals durch den Willen ihrer Eltern vom Unterricht fern gehalten wurden, bedauern heute die Fehlentscheidung ihrer Eltern sehr. Einige von ihnen sehen sich nach dem Abitur gezwungen, einen längeren Aufenthalt im arabischsprachigen Raum zu vollziehen oder einen Sprachkurs in Arabisch zu besuchen, um sich so Sprachkompetenzen anzueignen oder nachzuholen. An dieser Stelle möchte ich besonders meinen Eltern Habiba und Mohammed Hamoussi für ihr Engagement und der motivierenden Förderung besonders bezüglich der Pflege unserer Erstsprache Arabisch danken. Durch sie wurde mein Interesse für den Erwerb der arabischen Sprache gestärkt und ich fühle mich gegenwärtig der arabischen Sprache mächtig. Heute freue ich mich, dass ich längere Gespräche mit Arabern aus verschiedenen Ländern problemlos führen kann. Auch fällt mir auf, dass ich nicht so häufig vom Arabischen ins Deutsche wechseln muss. Ein solcher Wechsel kann unter anderem als ein Mangel an kommunikativer Kompetenz bewertet werden. Nichtsdestotrotz ist ein Wechsel von einem Sprachkode zum anderen, mit anderen Worten, der Wechsel von einer Sprache in die andere, ein auffälliges Phänomen, das ich besonders während meiner Tätigkeit als Betreuerin für Schüler1 mit arabischem Migrationshintergrund beobachten konnte. Dieser Wechsel kann verschiedene Ursachen haben, aber auch weitere Erscheinungen mit sich bringen. Diesen Ursachen und Folgen möchte ich besonders bei Lernern mit arabisch-deutschem Hintergrund im Rahmen der folgenden Arbeit untersuchen. Da für diese Lerner Englisch die dritte zu erwerbende Sprache darstellt, möchte ich mögliche Einflüsse vom Arabischen und Deutschen ins Englische primär nicht ausschließen und anhand eigens entwickelter Tests untersuchen.

Durch meine Zweisprachigkeit und besonders durch den Erwerb des Arabischen wurde mir der Erwerb des Englischen und später des Französischen erleichtert. Insbesondere Grammatikstrukturen konnte ich mir gut merken, was bedeutet, dass ich gewisse Lernstrategien erworben habe und somit einen Vorteil durch meine Zweisprachigkeit habe. Alle Aspekte, die ich oben benannt habe sind unter anderem als Beweggründe für die Ausarbeitung dieser Magisterarbeit zu sehen. Diese Vorteile möchte ich bei jungen Lernern mit arabisch-deutschem Hintergrund untersuchen und darstellen.

1. Einleitung

Im Zeitalter der Globalisierung und der weltweiten Mobilität wachsen immer mehr Kinder - häufig sogar in einsprachigen Gebieten - mit zwei oder drei Sprachen auf. Immer mehr Menschen finden entweder durch Tourismus oder Migration den Weg zu einander. Schließlich entstehen somit zweisprachige Familien und es stellen sich den Betroffenen eine Vielzahl von wichtigen Fragen bezüglich einer korrekten Erziehung ihrer Kinder, die in einem mehrsprachigen Umfeld aufwachsen:

- Kann sich eine mehrsprachige Erziehung für das Kind möglicherweise nachteilig auswirken?
- Wie genau müssen sich Eltern sprachlich verhalten?
- Welche Konsequenz hat Mehrsprachigkeit für die Schulbildung der Kinder?
- Wird sich die Mehrsprachigkeit der Kinder beim Erlernen von Fremdsprachen und besonders der Fremdsprache Englisch, die im Zeitalter der Globalisierung und wachsender interkultureller Kommunikation nicht wegzudenken ist, möglicherweise negativ auswirken? All diese Fragen werden im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden.

In der vorliegenden Untersuchung werden besonders solche Situationen näher betrachtet, in denen Eltern eine andere Sprache als die Umgebungssprache mit ihren Kindern sprechen. Um genauer zu sein, handelt es sich um die arabische Sprache. Das Kind wächst in den ersten drei Jahren unter Einfluss der arabischen Sprache der Eltern (monolingual) auf. Sind in der Familie keine älteren Geschwister vorhanden, dann erwirbt das Kind durch deutsche Kinder, Nachbarn oder Freunde der Eltern, seine Zweitsprache Deutsch. Meist ist auffällig, dass sich die Zweitsprache Deutsch nach nur wenigen Schuljahren zur starken Sprache manifestiert (vgl. Nodari 2006, S. 2).

Bereits seit dem Schuljahr 2004/ 2005 wurde in allen Bundesländern der Frühbeginn einer Fremdsprache ab der dritten Klasse eingeführt. In den meisten Bundesländern ist die erste Fremdsprache Englisch (vgl. Pienemann M., Kessler J.-U., Roos E. 2006, S. 7). Unter den zahlreichen Grundschülern die von dieser Reform betroffen sind, befinden sich auch Grundschüler, die über einen Migrationshintergrund verfügen und folglich bilingual aufwachsen. “Diese Gruppe von Kindern wächst zu Hause bilingual auf und bringt daher besondere Voraussetzungen zum Fremdsprachenunterricht mit, die bisher kaum erforscht sind“ (Pienemann M. 2003, S. 1). Für die vorliegende Arbeit interessieren mich besonders Lerner, die mit der arabischen und der deutschen Sprache aufwachsen, weil ich selbst einen arabischen Migrationshintergrund habe. Die arabische Sprache wird besonders zu Hause mit den Eltern und hin und wieder mit den Geschwistern gesprochen. Arabisch ist somit auch die Familiensprache dieser Lerner. Die deutsche Sprache dagegen, wird in der Regel häufig außerhalb des häuslichen Rahmens angewendet. Sie wird primär mit deutschen Freunden, aber auch mit Freunden und Verwandten, die auch über einen arabischen Migrationshintergrund verfügen, gesprochen. Überdies ist für diese Kinder die deutsche Sprache, die Sprache, die im Kindergarten und in der Schule gesprochen und gelehrt wird. Es stellt sich nun die Frage, ob die Neuregelung über das Vorverlegen der englischen Sprache in die dritte Klasse der Grundschule, für Lerner mit bilingualem arabisch-deutschem Hintergrund eher vorteilhaft oder aber nachteilig zu erfassen ist. Viele Lehrer und Eltern vertreten die Meinung, dass Schüler mit Migrationshintergrund mit dem relativ früh beginnenden Lernen einer dritten Sprache überfordert sind. Es wird weiterhin argumentiert, dass die Schüler bereits Schwierigkeiten mit der arabischen und der deutschen Sprache haben. Diese Behauptungen werden besonders von einigen Eltern und sogar von Schülern selbst geäußert.2 So wird zum Beispiel festzustellen sein, ob es wissenschaftlich haltbare Indizien für die Behauptung von Lehrern und Eltern gibt, dass bilinguale Migrantenkinder unter bestimmten Bedingungen sprachliche Störungen in beiden Sprachen aufweisen (vgl. ebenda, S. 1). Man könnte an dieser Stelle aber auch argumentieren, dass ein Frühbeginn mit Englisch vorteilhaft und keine Bürde für diese Lerner sei, da sie bereits Kompetenzen in zwei Sprachen besitzen und außerdem ist die Erstsprache dieser Lerner Arabisch, die auch als eines der schwer zu erwerbenden Sprachen festzustellen ist. Warum Arabisch besonders schwer zu erwerben ist, werde ich im Kapitel 4.1 behandeln. In einem eigens entwickelten Test werden die Sprachkompetenzen in allen drei erworbenen Sprachen (Arabisch, Deutsch und Englisch) der insgesamt fünf Probanden geprüft, transkribiert und in einem weiteren Schritt analysiert und kommentiert.3

Überdies werden aber auch Kompetenzen in der arabischen, deutschen und englischen Sprache mithilfe der Processability Theory, die von Herrn Prof. Dr. Manfred Pienemann (1998) entwickelt wurde, untersucht, um so für jeden Probanden, die erreichte Spracherwerbsstufe der einzelnen Spracherwerbshierarchien zu ermitteln. Vorab werden die Besonderheiten der Processability Theory erläutert, um so die Ergebnisse, die ich in allen drei Sprachtests (Arabisch, Deutsch und Englisch) mit insgesamt fünf Probanden, die derzeit die fünfte Klasse im zweiten Schulhalbjahr besuchen erzielen werde, auf linguistischer Basis kommentieren. Die Processability Theory ist für die Untersuchung unerläßlich, da sie die Verarbeitungsprozesse darstellt, die in der Sprachproduktion von Sprachlernern ablaufen und ordnet diese in für jede Sprache festgelegte Hierarchien ein, die die Entwicklung eines Spracherwerbs erklären. Außerdem bietet sie die Möglichkeit, Sprachentwicklung sprachübergreifend vergleichen zu können (vgl. Pienemann M. 2006, S. 58).

Abschließend werde ich unter besonderer Berücksichtigung der Testergebisse versuchen herauszufinden, ob bei den geprüften Probanden möglicherweise die arabische oder die deutsche Sprache die dominante ist und ob diese Feststellung möglicherweise Auswirkungen auf die dritte Sprache Englisch haben könnte. Es handelt sich um Schüler, die über einen bilingualen arabisch-deutschen Hintergrund verfügen. Die Zielgruppe, die an den Tests partizipieren wird, lernt Englisch ausschließlich in der Schule. Für diese Lerner ist die englische Sprache die dritte Sprache. Außerdem ist zu erwähnen, dass bei diesen Lernern die Erstsprache Arabisch ist, die sie nicht nur kommunikativ beherrschen, sondern auch auf Arabisch Lesen und Schreiben können, da sie wöchentlich jeweils mindestens drei Stunden - einige der Probanden sogar sechs Stunden wöchentlich - den muttersprachlichen Hocharabisch Unterricht besuchen.

In der Stadt Wolfsburg stammt die Mehrzahl der am muttersprachlichen Unterricht Hocharabisch teilnehmenden Schüler aus Tunesien. Folglich stammt auch die Mehrzahl der Probanden, die am Aussprache- sowie Morphologie- und Syntax-Test teilnehmen, aus Tunesien. Ein Proband stammt aus dem Jemen, ein weiterer aus Syrien, einer aus dem Irak, einer aus dem Libanon und zwei aus Ägypten. Laut Aussage des Hocharabischlehrers Herr D. sei die Verteilung der Nationalitäten der teilnehmenden Kinder fast einseitig: über 90 Prozent aller Kinder sind Tunesier, wobei die anderen arabischen Nationalitäten nur in Westhagen (Stadtteil von Wolfsburg) zu finden sind; sie kommen aus dem Libanon, Jemen, Syrien, Ägypten und aus Algerien.

Es gibt zwar zahlreiche psycholinguistische Untersuchungen zum Fremdsprachenerwerb ab dem 11. Lebensjahr, jedoch kaum Untersuchungen zu Lernern, die jünger sind (vgl. Peltzer-Karpf A./Zangl R. 1998, S. 1). Mein besonderes Interesse gilt solchen Lernern, die bilingual arabisch-deutsch aufwachsen und bei denen die Erstsprache (Arabisch) in ihren Grundzügen fixiert ist. Es werden für die Untersuchungen Probanden der dritten und fünften Klasse herangezogen, da untersucht werden soll, ob zuvor gelernte Sprachen - in diesem Fall Arabisch und Deutsch - sich auf die dritte Sprache Englisch auswirken, wenn verwandtschaftliche Beziehungen zwischen diesen Sprachen bestehen (vgl. Apeltauer E, 1997, S. 31). Meiner Meinung nach ist es angebracht, für den Aussprachetest Lerner der dritten Klasse heranzuziehen, weil diese sich noch in der Anfangsphase des englischen Spracherwerbs befinden. Die Anfangsphase ist von besonderem Interesse, weil gerade hier der ungeübte Englischlerner auf die Sprachkenntnisse der Erst-und Zweitsprache zurückgreift, als der routinierte Lerner in höheren Jahrgangsstufen. Ferner soll überprüft werden, welche Differenzen in der englischen Aussprache zwischen Schülern mit arabischsprachigem Hintergrund und denen ohne bestehen. Insbesondere soll untersucht werden, wie die artikulatorisch verwandten Phoneme zwischen dem Arabischen und Englischen bei den zwei untersuchten Gruppen wiedergegeben werden. Es werden Probanden der fünften Klasse für den Morphologie- und Syntax- Test herangezogen, da diese bereits in der Lage sind, sich in allen drei Sprachen in Sätzen artikulieren zu können. Die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit werden an der arabisch- islamischen Schule des Kulturzentrums in Wolfsburg durchgeführt. Das Besondere an dieser Schule ist, dass sie bilingual (arabisch-deutsch) organisiert ist. Es stellt sich die Frage, ob Lerner die Deutsch und Englisch als Zweitsprache oder dritte Sprache erwerben, und bei denen Arabisch die Erstsprache ist, die in ihren Gehirnen bereits entwickelten Operationsprinzipien und Präferenzen neu definieren müssen und zum Teil neue Sprachsysteme aufbauen (vgl. Pelzer-Karpf A./Zangl, R. 1998, S. 19)? Desweiteren könnte diese Gegebenheit wolmöglich eine Verzögerung im Erwerb des Englischen zur Folge haben oder aber Vorteile im Vergleich zu jenen Lernern, die Deutsch oder Englisch als Erstsprache erwerben. Bei der Aneignung einer fremden Sprache ist die Lerngeschichte eines Menschen nicht unwichtig. Ferner ist die Distanz zwischen Erstsprache und fremder Sprache (beziehungsweise Zweitsprache) aber auch zwischen Herkunfts- und Zielkultur wichtig. Wenn die zu erwerbende fremde Sprache mit der Erstsprache des Lerners verwandt ist, so kann er sich unter Umständen neues Vokabular einfacher aneignen. So zum Beispiel das deutsche Wort ‚Haus’ und das englische house. Diese Feststellung über die Verwandtheit unter vielen Sprachen motiviert Lerner und das Aneignen von Sprache wird insgesamt leichter (vgl. Apeltauer E. 2001, S. 8). Wie ist es aber bei Lernern mit bilingualem arabisch-deutschen Hintergrund? Schafft der größere „typologische Unterschied“ (Wanders A. 2003, S. 99) zwischen Arabisch und Englisch mehr Schwierigkeiten, beziehungsweise Fehler in den englischen Äußerungen im Vergleich zu ihren monolingualen deutschen Altersgenossen? Sind Lerner mit arabisch-deutschem Hintergrund aufgrund ihrer Zweisprachigkeit in der Lage eine dritte Sprache wie Englisch erfolgreich zu erwerben? Auf diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit Antworten gefunden werden. Beim Sichten der Sekundärliteratur zum Fremdsprachenerwerb des Englischen von Lernern mit bilingualem arabisch-deutschen Hintergrund fällt auf, dass es kaum Erfahrungsberichte zu diesem Thema gibt. Gleichzeitig fehlt es aber auch an wissenschaftlich belegten Berichten und neuen Forschungsergebnissen besonders über den Erstspracherwerb des Arabischen und des Zweitspracherwerbs des Deutschen von Lernern mit arabischem Migrationshintergrund. Anhand der vorliegenden Magisterarbeit möchte ich gegen diesen Misstand vorgehen. Desweiteren ist zu erwähnen, dass in der wissenschaftlichen Literatur der arabisch-deutsche Bilingualismus bisher noch kaum Beachtung gefunden hat. Auch soll diese Arbeit ein Schritt in diese Richtung sein, auch wenn sie als Einzelfallstudie diese Lücke nicht schließen kann. Es besteht für das zu bearbeitende Thema die Notwendigkeit, zentrale Begriffe vorweg festzulegen, um terminologische Unklarheiten zu vermeiden.

2. Spracherwerb

2.1 Erstspracherwerb

Im Folgenden sollen die Begriffe Erstspracherwerb4, Zweit-, Fremd- und Mehrspracherwerb sowie die Aneignung fremder Sprachen vorläufig bestimmt werden. Unter Erstsprache bezeichnet man im Großen und Ganzen die Sprache, die ein Mensch zuerst erwirbt. Jeder Mensch der unter normalen Bedingungen aufwächst erwirbt in wenigen Jahren die Sprache seiner Umgebung. Oksaar E. (2003) definiert den Begriff Erstsprache folgendermaßen:

„Erstsprache wird synonym mit Muttersprache verwendet, hat aber nicht dieselben gefühlsmäßigen Konnontationen [sic], die durch die morphosemantische Motiviertheit des Kompositums durch das Wort Mutter entstehen können“ (Oksaar E. 2003, S. 13). Mit der Bezeichnung Erstsprache kann aber auch darauf gezielt hingewiesen werden, dass eine Person neben der so genannten ersten Sprache noch weitere Kompetenzen in anderen Sprachen besitzt. So kann nach der Erstsprache eine zweite, dritte usw. folgen. Erstsprache kann aber auch eine bewertende Bezugnahme wie „die erste“ oder „die beste“ herbeirufen, um eine individuelle und gesellschaftspolitische Betrachtungsweise über Sprache zu äußern (vgl. ebenda S. 13). Der Begriff „Muttersprache“ hat laut Apeltauer E. (2001, S. 10) nicht immer einwandfreie Gültigkeit. So begründet er seine Aussage mit einem Zitat von O. Jespersen (1921):

Die Sprache, die ein Kind auf natürliche Weise erwirbt, ist nicht immer die Sprache seiner Mutter. Selbst wenn eine Mutter beispielsweise die Familiensprache mit ausländischem Akzent oder mit dialektaler Lautung spricht, werden ihre Kinder diese ‚Muttersprache’ meist genauso korrekt beherrschen wie andere Kinder auch. (…) Ich habe das in vielen dänischen Familien beobachten können, in welchen die Mutter z.B. ihr Leben lang einen norwegischen Akzent bewahrt hatte, in welchen die Kinder aber dennoch lautreines Dänisch sprachen (Jespersen O. 1921, S. 10).

Die Muttersprache ist die Sprache, die ohne gezielten schulischen Unterricht erworben wird. Häufig ändern Faktoren wie Migration die Einstellungen zu den erworbenen Sprachen eines Menschen. So kann es geschehen, dass eine zuerst erworbene Sprache in den Schatten einer zweiten Sprache tritt. Man kann an dieser Stelle von einer Relation zwischen „starker“ und „schwacher“ Sprache sprechen, wobei die Ausprägung einer starken und schwachen Sprache von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Primär ist jedoch zu erwähnen, dass eine besser beherrschte Sprache demnach auch häufiger von Zweisprachigen benutzt wird. Ferner sind aber auch emotionale, soziale und persönliche Gründe für das Bevorzugen und die Neigung zu einer Sprache nicht zu verachten. Oft äußern sich Zweisprachige zu bestimmten Themen, besonders solche mit persönlichen Hintergründen, bevorzugt in der vertrauten „starken“ Sprache.

„Kurz, wir haben es mit einem vielschichtigen dynamischen Kontinuum zu tun, in dem sich beide Sprachen ständig zwischen den Polen „stark“ und „schwach“ verschieben“ (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 12). Stark vereinfacht ausgedrückt ist die Muttersprache eines Menschen, also die Sprache, die die Mutter spricht und die das Kind als erste Sprache lernt (vgl. Apeltauer E. 2001, S. 11). Auch E. Oksaar schließt sich dieser Definition erweiternd an, jedoch mit der Berücksichtigung, dass die Erstsprache oder auch „Primärsprache“, die bereits in der frühen Kindheit erworbene Sprache ist, jedoch nicht unbedingt die Sprache der Mutter, noch die am meisten geläufige Verkehrssprache bleiben muss (vgl. Oksaar E. 2003, S. 13).

2.2 Zweitspracherwerb

Es gibt unterschiedliche Formen von Aneignungsprozessen, die sich vor allem nach Lerneralter gleichzeitig (simultan) oder nachzeitig (additiv) und vom Lernkontext (ungesteuert beziehungsweise selbstgesteuert und gesteuert beziehungsweise fremdgesteuert) differenzieren lassen (vgl. Apeltauer E. 2001, S. 15). Das Aneignen einer Fremdsprache unterscheidet sich von der Aneignung einer Zweitsprache dadurch, dass Lerner ihre neue ‚fremde’ Sprache außerhalb des Unterrichts nicht so häufig gebrauchen können. Demgemäß lernen arabische Schüler in Deutschland Deutsch als Zweitsprache, weil sie die deutsche Sprache nicht nur im Schulunterricht, sondern auch im Alltag aktiv verwenden können.

Insgesamt spielt die Zweitsprache besonders für Migranten in ihrem Aufnahmeland eine wichtige Rolle. Sie kann zum Beispiel für das Überleben in einer zweisprachigen Gesellschaft unerlässlich sein, da sie dort als Verständigungsmittel dient. Ferner ist zu ergänzen, dass gewöhnlich auch dann vom Erwerb einer Zweitsprache die Rede ist, wenn es sich um eine Dritt- oder Viertsprache handelt. Gemäß der Annahme, dass in der Linguistik nur wenige Untersuchungen zu diesem speziellen Bereich vorliegen, ist die Primärsprache oder Erstsprache in solchen Fällen Ausgangspunkt und Grundvoraussetzung für den Neuerwerb (vgl. Apeltauer E. 2001, S. 17).

2.3 Bilingualismus/ Additiver Bilingualismus

Ausgehend von der Tatsache, dass es unterschiedliche Formen des Bilingualismus gibt, wird im folgenden Kapitel der additive Bilingualismus präsentiert, da die für diese Arbeit gewählten Probanden mit arabisch-deutschem Hintergrund der bilinguale Spracherwerb gemäß des additiven Bilingualismus stattgefunden hat beziehungsweise noch stattfindet.

In Deutschland gibt es immer mehr Schüler, die in einem bilingualen Umfeld aufwachsen (vgl. Keatinge D. 2006, S. 122). Es gibt Familien in denen beide Elternteile unterschiedliche Sprachen sprechen, so dass die Kinder von Geburt an zweisprachig aufwachsen. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass sie von Geburt an die Sprache ihrer Eltern lernen, welche ihre Erstsprache darstellt. Ihre Zweitsprache lernen sie meist mit Eintritt in den Kindergarten. Aus all dem lässt sich schließen, dass Bilingualismus bei Kindern unterschiedliche Ursprünge besitzt. Die oben erste, dargestellte Form spiegelt den simultanen Bilingualismus und die zweite Form den additiven Bilingualimus wieder. Beim simultanen Bilingualismus werden beide Sprachen parallel, nach dem „one-parent-one language“ Prinzip erworben (vgl. Hoffmann C. 1991, S. 19).

Kinder, die bereits im Alter von drei oder vier Jahren mit einer fremden Sprache konfrontiert werden, befinden sich in einer ähnlichen Situation wie Kinder, die gleichzeitig zwei Sprachen lernen. Je jünger die Kinder sind, und je weniger sie von ihrer Erstsprache bereits erworben haben, umso eher wird die Lernsituation der Ausgangssituation beim gleichzeitigen Erwerb zweier Sprachen gleichen (vgl. Apeltauer E. 2001 S. 11).

Sobald in einer Erstsprache Grundbegriffe erworben werden, verändern sich daraufhin künftige Lernprozesse. Um diese Aussage zu verdeutlichen, erwähnt Apeltauer E. ein plausibles Beispiel, in dem er erklärt, dass sobald ein Kind in seinem Lexikon über Farbwörter verfügt und genau begriffen hat, was genau eine Farbe ist, dann wird es Farbwörter in einer neu zu erwerbenden Sprache leichter erschließen können, als wenn es den Farbbegriff erst noch entwickeln muss (vgl. Apeltauer E. 2001 S. 12).

Desweiteren ist anzuführen, dass je mehr Wissen ein Lerner über das Funktionieren von Sprache hat und dadurch seine Alltagserfahrungen und Fähigkeiten bei der Aneignung einer Sprache einsetzt, desto leichter wird ihm der Erwerb einer neuen Sprache fallen. Mit anderen Worten: Das in der Vergangenheit erworbene Weltwissen erleichtert primär das Erfassen von regelhaften Aspekten einer fremden Sprache. „Dies unterscheidet die nachzeitige (oder sekundäre) Aneignung einer fremden Sprache vom gleichzeitigen Erwerb zweier Sprachen (Apeltauer E. 2001, S. 12). Der Begriff additiver Bilingualismus wird in der Literatur auch als sekundärer Zweitspracherwerb oder sekundärer Bilingualismus bezeichnet, meint aber generell, jeden weiteren Spracherwerb, der nach dem Erwerb der Primärsprache also im Kindesalter stattfindet (vgl. Apeltauer E. 2001, S. 16).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zweisprachige Personen, die beide Sprachen wie Muttersprachler beherrschen, ihre „allgemeine mentale Kapazität“ durch das Vorhandensein mehrerer Arten der Organisation mentaler Repräsentationen bereichert wird (vgl. Paradis M. 1979, S. 42). Dieses bedeutet, dass zweisprachige Personen gegenüber monolingualen Personen einen Vorteil haben. Auch MacNamara (1966) vertritt diese Meinung und kommt zu dem Schluss, dass Bilingualismus eher Vorteile als Nachteile aufdeckt, da durch eine Zweitsprache die Möglichkeit besteht, die Ideen anderer Menschen kennen zu lernen. „Aber natürlich bedeutet eine Zweitsprache in der Regel den Zugang zu einer ganz neuen Welt eines Volkes, zu Literatur und Ideen“ (MacNamara J. 1966, S. 34).

2.3.1 Der frühe Bilingualismus

Die Formen des simultanen, sukzessiven und additiven Bilingualismus werden von den folgenden Faktoren gelenkt:

- einer vom Alter und der bzw. den bereits erworbenen Sprach(en) abhängigen neuronalen Vernetzung,
- den altersspezifischen kognitiven Fähigkeiten,
- dem entsprechenden Sprachtyp,
- umweltspezifischen Faktoren (Art, Intensität und Dauer des Kontakts) und schließlich
- persönlichen Eigenschaften wie Motivation und sozialer Integration des Lerners (vgl. Peltzer-Karpf A./Zangl R. 1998, S. 18).

Diese soeben genannten Faktoren treten entweder zeitgleich oder nebeneinander auf. Sie sind jedoch abhängig voneinander. Bilinguale Kinder verfügen über Sprachsysteme, die in verschiedenen und für jede Sprache einzeln, in unterschiedlichen Zeitspannen aufgebaut werden. Der Aufbau ist folglich sprachbedingt und das Erwerbstempo ist abhängig von der Komplexität der zu erwerbenden Sprache. Wichtig für den Aufbau der Sprachsysteme von bilingualen Kindern ist die Selektion von Daten und die Differenzierung der Sprachsysteme über die das bilinguale Kind verfügt. In Abhängigkeit jeder Erwerbssituation hat es dadurch seine zwei, drei oder manchmal auch mehr Sprachsysteme entweder simultan oder sukzessiv erworben. Folglich findet bei diesen Kindern im Gehirn das Selektieren, Differenzieren und Reorganisieren von Sprache nebeneinander und nacheinander statt (ebenda 1998, S. 19). Auf die spezielle Situation von bilingualen und multilingualen Kindern angewandt, sollte die Wechselwirkung zwischen Gehirn und der sprachlichen Umwelt die folgenden Prozesse beinhalten:

1. die Selektion von Inputdaten aus zwei oder mehreren Sprachsystemen, die in Abhängigkeit von der Ähnlichkeit und der Komplexität simultan oder sukzessiv erfolgen können und dementsprechend den zeitlichen Verlauf des Erwerbs bestimmen.
2. Die Differenzierung von Systemen, nicht nur innerhalb einer Sprache, sondern parallel dazu auch zwischen den Sprachen.
3. Die verschiedenen Ordnungszustände und Phasenübergänge, in welchen das Interface zwischen den Subsystemen umformuliert und kontinuierlich an die neuen Systembedingungen angepasst wird (Peltzer-Karpf A./Zangl R. 1998, S. 19).

Alle Sprachen werden nach gewissen Strukturen und nach vorgesetzten Hierarchien erworben. Dagegen werden Sprachen aber von Lernern individuell bezüglich der Geschwindigkeit erworben. Komplexe Strukturen innerhalb eines Sprachsystems können erst dann erworben werden, wenn ein Fundament bereits vorhanden ist, auf dem nicht nur einfache, sondern auch komplexere Strukturen aufgebaut werden können (vgl. ebenda 1998, S. 20).

2.3.2 Dominante Sprache, nichtdominante Sprache - starke Sprache, schwache Sprache

Man spricht von dominanter Sprache, wenn eine bilinguale Person durch interne und externe Bedingungen sich für eines der erworbenen Sprachen in einer bestimmten Situation entscheidet. Mit anderen Worten: Eine dominante Sprache ist also situationsbezogen oder abhängig von bestimmten Anlässen.

Aus all dem könnte man schließen, dass Dominanz der Sprache vom Verhältnis eines Individuums zu den Sprachen, die er beherrscht, zusammenhängt. Interne Bedingungen sind zum Beispiel die Vorliebe eines Individuums für eine Sprache, weil diese für ihn leichter zu gebrauchen ist. Externe Ursachen sind laut E. Oksaar durch soziale und gesellschaftspolitische Umstände bedingt (vgl. E. Oksaar 2003, S. 16). Kielhöfer B. und Jonekeit S. sprechen in ihrer Ausführung über Sprachbeherrschung nicht von dominanter und nichtdominanter Sprache, sondern verwenden hierfür die Synonyme „starke und schwache Sprache“. Dabei ist nach ihnen die Verteilung von starker und schwacher Sprache Erlebnis- und Themengebunden. Aber auch einige andere Faktoren sind für eine Ausbildung von starker beziehungsweise schwacher Sprache anzuführen. Zu erwähnen ist, dass Art und Zeitpunkt des Erwerbs einer jeden Sprache des Individuums und daraus folgend auch die Häufigkeit des Sprachgebrauchs wichtige Kriterien sind, um entscheiden zu können, wann eine Sprache stark oder schwach ist. Somit bedingen also die Sprachübung eines Individuums und emotionale, soziale und persönliche Gründe die Präferenzen für die Ausbildung einer starken beziehungsweise dominanten Sprache. Kielhöfer B. und Jonekeit S. beschreiben die Wahl von starker oder schwacher Sprache als einen Kreislauf von Ursache und Wirkung, wobei der bilinguale Sprecher eine starke Sprache dann besonders benutzt, wenn er die Wahl zwischen zwei Sprachen hat, die er mit unterschiedlichem Niveau beherrscht: Der Sprecher entscheidet sich für die starke Sprache, weil er meint, sich durch sie verständlicher ausdrücken zu können und er sie häufiger benutzt (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 12). Meist hat ein Zweisprachiger nicht unbedingt die freie Sprachwahl. Somit wechselt der Gebrauch zwischen starker und schwacher Sprache sich von Situation zu Situation und von einem Ereignis zum anderen ab.

2.3.3 Sprachmischungen (Codeswitching und Codemixing)

Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf dem Phänomen der Sprachmischung und seiner Rolle in der kommunikativen Kompetenz von bilingualen Sprechern. Im Folgenden sollen die Begriffe „Codeswitching“ und „Codemixing“ vorgestellt werden. In der Literatur über die Definitionen dieser Begriffe gibt es häufig keine klaren Abgrenzungen, sodass Überschneidungen oder Widersprüche meist nicht auszuschließen sind.

[…] as so often happens in the fields of linguistics, there are no clear-cut distinctions or commonly agreed approaches to analysis or description, and the definitions one comes across may, at times, seem contradictory. In other cases some of the descriptions may overlap so that the task of separating, for example, discussions of mixing from those of switching is not as easy as one would like it to be (Hoffmann C. 1991, S. 95-96).

Solche Sprachwechsel, die innerhalb bilingualer Kommunikation stattfinden, bezeichnet man als „Codeswitching“ und „Codemixing“. Codeswitching bezeichnet den Wechsel zwischen den Sätzen, wobei einzelne Sätze in einer Sprache geäußert werden ohne das Merkmale der anderen Sprache auftauchen. Codemixing hingegen beinhaltet den satzinternen Wechsel, wobei einzelne Wörter oder Satzteile in der anderen Sprache erfolgen (vgl. Romaine S. 1989, S. 112 und Myers-Scotton C. 2006, S. 239).

In einer pauschalen Betrachtung geschehen Sprachmischungen, wenn Zweisprachige Wörter, Sätze oder Satzteile ihrer beiden Sprachen miteinander verbinden. Kielhöfer B. und Jonekeit S. erklären die Verbindung der Sprachen eines bilingualen Individuums als das „Zusammenflicken“ zweier Sprachen und erweitern ihre anschauliche Beschreibung soweit in ihrem Verständnis, dass bei Sprachmischungen jeweils eine Sprache Grundsprache und damit auch die „starke“ Sprache des Individuums ist. In der Grundsprache treten einzelne „eingeflickte“ Elemente auf, die ein Hörer als Fremdkörper und als mangelnde Sprachkompetenz deutet. Es werden entweder Wörter, Sätze oder Satzteile der beiden Sprachen zusammengefügt. Auch können Sprachmischungen Folgen von häufigem Umschalten eines Zweisprachigen sein. Ein solcher Sprecher hält in seinen Äußerungen nicht einen Sprachkode ein, sondern wechselt punktuell von einem Sprachkode zum anderen, sodass diese Vorgehensweise zur Gewohnheit wird.

Auch C. Hoffmann liefert eine allgemeine Beschreibung des Phänomens „Codeswitching“ und betont, dass es sich beim „Codeswitching“ um ein abwechselndes Bedienen zweier Sprachen innerhalb ein und derselben Konversation handelt. „…it involves the alternate use of two languages or linguistic varieties within the same utterance or during the same conversation“ (Hoffmann C. 1991, S. 110). Die Auslöser für einen Sprachwechsel sind situationsabhängig und werden von einem Individuum zum anderen unterschiedlich verwendet. Jedoch rein objektiv betrachtet, sind Wort- und Sprachnot in einer „schwachen“ Sprache und das Beherrschen anderer Sprachen sowohl strukturell als auch wortbezogen, die Gründe für einen Sprachwechsel. Kielhöfer B. und Jonekeit S. erwähnen als weitere Ursachen die Faktoren „Ökonomie“ und „Bequemlichkeit“ eines Sprechers, wobei zuerst gelernte, geläufige Wörter einer Sprache in die andere - oft schwache Sprache - eingeschoben werden (1998, S. 76). Erstaunlich ist, dass bilinguale Lerner im fortschreitenden Alter sich über ihre Mehrsprachigkeit bewusst werden, jedoch trotzdem in ihren Äußerungen hin und wieder zwischen zwei Sprachen wechseln. Sprachmischungen sind vermeidbar und können verhindert werden. So kann eine funktionale Sprachtrennung erfolgsversprechend sein. Ferner ist ein diszipliniertes Sprachverhalten der Eltern eine wichtige Voraussetzung, denn „das Vorbild einer solchen Mischsprache ist nicht selten dafür verantwortlich, dass Zweisprachige keines der beiden Sprachen richtig und fließend lernen. Diese Lerner können dann semilingual (halbsprachig) werden“ (vgl. ebenda, S. 72). Ist sich ein Lerner aber über das Wechseln von einem Sprachkode zum anderen bewusst und betrachtet diese Vorgehensweise als negativ, dann beginnt wie Kielhöfer B. und Jonekeit S. darauf hinweisen die Trennung der Systeme zuerst im phonetischen Bereich und im Weiteren erfolgt die Aufteilung der morphologischen Bereiche. Bezüglich der Syntax ist eine deutliche Trennung nicht immer realisierbar, denn besonders hier treten die meisten Sprachmischungen auf, weil wahrscheinlich das Lexikon eines Individuums von zwei oder mehr Sprachen als ein Komplex untrennbar ist (vgl. ebenda, S. 72). Myers-Scotten C. und Ury W. definieren das Phänomen Kodewechsel als „… den Gebrauch von zwei oder mehreren linguistischen Varietäten in einer einzigen Konversation oder Interaktion“ (Myers-Scotten C./Ury W. 1975, S. 165). Sie fügen ihrer allgemeinen Definition bei, dass es sich beim Kodewechsel um den Gebrauch eines einzigen Wortes oder um einige Minuten Rede handelt. Letzteres meint, dass das Integrieren einer Phrase oder eines ganzen Satzes in Betracht kommt (vgl. Oksaar E. 2003, S. 129). Romaine S. schließt sich der Definition von Myers- Scotten C. und Ury W. an, jedoch ergänzt sie, dass der Begriff „Code“ im Großen und Ganzen sich nicht nur auf verschiedene Sprachen beruht, sondern sich auch auf Dialekte innerhalb ein und derselben Sprache beziehen kann, die von einzelnen Sprechern in einer Konversation beherrscht werden. „ …’code’ [here] in a general sense to refer not only to different languages, but also to varieties of the same language as well as styles within a language” (Romaine, S. 1989, S. 111).

Myers-Scotton C. und Ury W. gehen in ihrem Aufsatz mit dem Titel ‚Bilinguale Strategien: Die sozialen Funktionen des Kodewechsels’ der Frage nach, warum Sprecher ihren Kode wechseln. Dabei schließen sie sich Romains Definition an, in dem sie erwähnen, dass die an dem Kodewechsel beteiligten Varietäten von genetisch unverwandten Sprachen, bis zu zwei Stilformen einer Sprache variieren können (vgl. Myers-Scotton C. und Ury W.1975, S. 165). Ferner erwähnen sie, dass es zwei Typen von Kodewechsel gibt: Einerseits den situativen Wechsel, der unter Einbeziehung von Themen, Orten, Personen und Zwecken erfolgt. Andererseits beinhaltet Typ zwei einen methaphorischen Wechsel, der zur Betonung verwendet wird. Mit anderen Worten: Er dient zur Schaffung von Aufmerksamkeit oder der Hervorhebung bestimmter Informationen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass durch einen Kodewehsel entweder ein Themenwechsel bewirkt wird oder die Hervorhebung beziehungsweise Betonung eines Themas dargestellt werden soll. Desweiteren kann ein Hin- und Herwechsel eines Sprechers, auf seine Unsicherheit in den betroffenen Sprachen hindeuten. Das Phänomen Kodewechsel besitzt zudem aber auch vorteilhafte Implikationen. So zum Beispiel kann Kodewechsel eine kommunikative Fertigkeit und eine Reaktion auf die vom Sprecher gewählte Sprache und somit seine Definition des sozialen Bereichs, in dem diese Interaktion fällt sein. Die beteiligten Gesprächspartner können entweder den vom Sprecher gewählten Kode akzeptieren oder sie bedienen sich einer eigenen Redefinition, indem sie einen anderen ihnen zur Verfügung stehenden Kode wählen.

„Die darauf folgende Interaktion aller anderen Teilnehmer stellt die Rückmeldung zu jedem Sprecher oder jedem möglichen Sprecher dar und muß daher in jeder Definition eines Kodewechsels in Interaktion eingeschlossen sein“ (Myers-Scotton C./Ury W. 1975, S. 166). Ferner nimmt ein bilingualer Sprecher einen Kodewechsel vor, weil er in einer linguistischen Varietät über bestimmte Themen flüssiger und verständlicher sprechen kann, als in einer von ihm erworbenen anderen. Generell lässt sich festhalten, dass ein bilingualer Sprecher wechselt, weil er durch seine sprachlichen Grenzen dazu veranlasst wird. Laut Hasselmo N. (1970) ist Kodewechsel eher positiv einzustufen und als eine Kompetenz des bilingualen Sprechers gilt. Bevor es zu einem Kodewechsel kommt, gibt es zwischen zwei Sprachen eine „Spannung“. Um diese aufzulösen bietet der Kodewechsel eine Möglichkeit, indem Elemente der anderen Sprache verwendet werden. Ein bilingualer Sprecher muss nicht unbedingt den Normen einer Sprache strikt folgen, sondern kann die Sprachdistanz, die zwischen den erworbenen Sprachen besteht durch den Gebrauch lexikalischer Einheiten, syntaktischer, morphologischer und nicht zuletzt phonologischer Merkmale der anderen Sprache reduzieren (vgl. Hasselmo N. 1970, S. 84).

Besonders dann wenn Menschen mit unterschiedlichen Sprachen aufeinandertreffen, kann es zu Sprachwechsel nicht nur zu Beginn von Gesprächen, sondern auch in einzelnen Gesprächsäußerungen kommen. Solche Wechsel können ein fester Bestandteil von Alltagskonversationen sein, weil man sich an diese Vorgehensweise gewöhnt hat. Sie können aber auch sprachliche oder sozialpsychologische Funktionen besitzen. Ersteres will heißen, dass man etwas zu betonen vermag, präziser ausdrücken möchte, um Wortschatzlücken zu überbrücken. Letzteres meint Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren oder unerwünschte Individuen von einem Gespräch auszuschließen (vgl. Apeltauer E. 1997, S. 11).

2.3.4 Semilingualismus - doppelte Halbsprachigkeit

Besonders häufig unter Migrantenkindern ist das Phänomen „Semilingualismus“ verbreitet. Darunter ist zu verstehen, dass die Migrantenkinder weder ihre Heimatsprache, das heißt die Sprache ihrer Eltern, noch die Umgebungssprache, also die Sprache des Gastlandes in einem ausreichenden Maß beherrschen (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 91). Hansegård (1975) zitiert in Romaine (1998) erweitert diese Definition indem er anmerkt, dass beim Semilingualismus insgesamt sechs Sprachbereiche erwähnt werden können, in denen linguistische Defizite festgestellt werden können:

1 size of the repertoire of words, phrases understood or actively available in speech; 2 linguistic correctness, i.e. the ability to understand correctly and to realize in a speech act elements of language such as phonemes, suffixes, etc.; 3 degree of automatism, the extent to which understanding and active use of a language takes place without conscious deliberation, 4 ability to create or neologize; 5 mastery of the cognitive, emotive volitional function of language; richness or poorness in individual meanings, i.e. whether reading or listening to a particular linguistic system evokes lively and reverberating images or not (Hansegård N.E. 1975, zitiert in Romaine S. 1989, S. 233-243).

Die oben angeführten Sprachbereiche, in denen semilinguale Sprecher Defizite aufweisen, treffen selbstverständlich nicht alle auf einmal und für jeden Sprecher zu. Sie sind deshalb eher objektiv als subjektiv zu betrachten. In Anlehnung an Hansegårds Definition, die insgesamt sechs Punkte umfasst, kann man ohne weiteres und vereinfacht von einem semilingualen Individuum behaupten, dass dieser über zwei schwache Sprachen verfügt und beherrscht demzufolge weder die eine noch die andere Sprache weder qualitativ noch quantitativ (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 92). Das Phänomen Semilingualismus kann als Mangel an sprachlicher Kompetenz verstanden werden und trifft bei einem bilingual arabisch-deutschem Lerner, der am Morphologie- und Syntax-Test teilgenommen hat, im Wesentlichen zu. Der Proband konnte sich weder auf Arabisch noch auf Deutsch verständlich ausdrücken. Die Ursachen für diese sprachlichen Defizite sind mannigfaltig und können wie folgt angeführt werden: Die Eltern pflegen ihre Heimatsprache kaum, so dass sie mit ihren Kindern ausschließlich in der Umgebungssprache des Landes in dem sie leben sprechen. Sie vertreten die Meinung ihren Kindern somit den Schulbesuch zu erleichtern. Sie benutzen dann die Fremdsprache Deutsch mit einem nur sehr begrenzten Vokabular und meist vielen grammatikalischen Fehlern. Sowohl qualitativ als auch quantitativ ist der Sprachkontakt zu der Sprache des Gastlandes nicht ausreichend und auch der Sprachkontakt zu der Heimatsprache ihrer Eltern ist nur sehr begrenzt, so dass ein normaler Spracherwerb in dieser Sprache nicht garantiert werden kann (vgl.

Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 92). Oftmals hören Migrantenkinder zu Hause die Heimatsprache ihrer Eltern lediglich als Dialekt oder die Eltern wechseln ständig von einem Sprachkode zum anderen, sodass diese Kinder weder in der arabischen noch in der deutschen Sprache einen normalen Spracherwerb erfolgreich erfahren. Nach Grosjean ist jedoch nicht ausreichend bewiesen, dass „Codeswitching“ ohne Einschränkungen zum Semilingualismus führe (1982, S. 147). Eine weitreichende Beleuchtung des Sprachwechsels wird in Punkt 2.3.3 dieser Arbeit behandelt.

Neben besonders markanten „Gebrauchsmängeln“ in beiden Sprachen, werden Migrantenkinder manchmal mit psychosozialen Konflikten konfrontiert. Hierbei wird das Engagement der Migrantenkinder, die Umgebungssprache möglichst besonders gut zu erlernen von einheimischen Kindern ohne Migrationshintergrund gebremst (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 92). Dabei werden Migrantenkinder nicht selten von den Kindern des Gastlandes auf ihre Sprachdefizite aufmerksam gemacht, was besonders die Motivation für das korrekte Erlernen der deutschen Sprache senkt. Daraus folgt, dass Migrantenkinder somit den Kontakt zu einheimischen Kindern meiden und sich fast ausschließlich Kindern mit gleichem Migrationshintergrund wenden. Besonders negative und unangenehme Erfahrungen können Auslöser für Sprachverweigerungen sein, so dass sich daraus die Konsequenz ergibt, dass bei diesen Lernern in der Sprache des Gastlandes und in der Heimatsprache der Eltern Sprachmängel zu verzeichnen sind. Darüber hinaus treten bei diesen Migrantenkindern häufig zusätzlich Identitätskrisen auf, die noch im Laufe des Lebens hin und wieder auftauchen können.

3. Interferenz

Im Folgenden soll der negative Transfer, also das Phänomen der Interferenz näher beleuchtet werden. Besonders bei Lernern mit Migrationshintergrund und eben auch bei Lernern mit arabisch-deutschem Hintergrund tauchen Interferenzen nicht konsequent aber hin und wieder in den sprachlichen und schriftlichen Äußerungen auf. In der Linguistik sind Interferenzen sogenannte Abweichungen von der Norm einer Sprache. Im Zusammenhang auf einen Zweisprachigen ist Interferenz so zu verstehen, dass beide Sprachen indirekt aufeinander wirken, so dass Strukturen beider Sprachen zusammenschmelzen. Schließlich kommt es zu Veränderungen, die äußerlich nicht immer zu erkennen sind. Mit anderen Worten: Es verbinden sich bestimmte Regeln von zwei Sprachen, die auf Normabweichungen und Fehler deuten. Bestimmte Funktionen und Sprachgebiete verflechten sich und führen zu Interferenzfehlern. Meist wirkt sich eine „starke“ Sprache auf eine „schwache“ aus, so dass häufig die Interferenzfehler eher in der „schwachen“ Sprache als in der „starken“ Sprache zu konstatieren sind (vgl. Kielhöfer B. & Jonekeit S. 1998, S. 77).

C. Hoffmann (1991) beschreibt das Phänomen Interferenz als den Transfer von Elementen einer Sprache in eine andere. Der Transfer kann sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache auftreten. Laut Mackey 1970, S. 569 in C. Hoffmann 1991, S. 95) tritt Interferenz besonders durch „Psychological, situational and discourse factors“ auf. Ervin-Tripp S. und Osgood C.E. kommen zu dem Schluss, dass Interferenz besonders dann vorkommt, wenn die Sprachen nahe verwandt sind und es Ähnlichkeiten in den Kulturen oder Erfahrungen gibt, die mit den erworbenen Sprachen assoziiert werden. Mit anderen Worten: Je ähnlicher die Bedeutungen oder „repräsentationalen Prozesse“ zwischen Sprachen sind, desto mehr Fehler werden produziert. Sie vergleichen das Phänomen Interferenz als das Eindringen einer „falschen“ Sprache in eine andere Sprache (vgl. Ervin-Tripp S./Osgood C.E. 1976, S. 13). Es gibt verschiedene Typen von Interferenzerscheinungen, die im Folgenden vorgestellt werden. F. Grosjean (1982, S. 299) liefert eine neutrale Definition von Interferenz, die besagt, dass unter Interferenz ein unfreiwilliger Einfluss einer Sprache auf die andere geschieht. Im Weiteren merkt er an, dass Phänomene wie borrowing und codeswitching eher auf freiwilliger Basis auftreten. In einer objektiven Betrachtung ist Interferenz als „Störung“ eines spezifischen Sprachsystems aufzufassen. Subjektiv hingegen ist Interferenz eine Art „Hilfestellung“, denn ein Zweisprachiger bedient sich der Interferenz, um im Falle von Sprachnot, auf Sprachstrukturmuster der anderen Sprache zu greifen. Er oder sie vermeidet damit ein unangenehmes Stottern, um komplexe Strukturen gegen einfachere Strukturen auszutauschen und sich folglich konkreter ausdrücken zu können (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 87). Nun soll im Folgenden das Phänomen Interferenz auf verschiedenen linguistischen Ebenen dargestellt werden. Besonders bei Lernern mit Migrationshintergrund treten Interferenzfehler auf, die im Folgenden mit konkreten Beispielen aus meiner Untersuchung mit den Probanden der fünften Klasse belegt werden können. S. Romaines behauptet dass Interferenz besonders bei bilingualen Sprechern vorkommt und besonders zwischen Sprachen mit ähnlichen Merkmalen in der Phonologie und Morphologie „[…] interference is always present in bilingualism and is more marked, the closer the languages are in their phonological and morphological features“

(Romaine S. 1995, S. 205). Interferenz tritt demgemäß auch zwischen Sprachen auf, die weder in der Phonologie noch in der Morphologie Äquivalenzen aufweisen. Es ist zu berücksichtigen, dass zwischensprachliche Interferenz sich nicht nur unbedingt nachteilig auswirken muss, sondern Individuen kognitive Vorteile liefern kann. Es werden allgemeine Denkprozesse ausgelöst und in Bewegung gesetzt, mit dem Ziel Strategien zu entwickeln, um Interferenzen zu vermeiden. Interferenz im Zweitsprachenerwerb ist damit zu erklären, dass es zu Sprachmischungen kommt. Desweiteren bedeutet es, dass die jeweilige Erwachsenensyntax im jeweiligen Sprachsystem nicht ausreichend beherrscht wird und die Regeln des „strukturellen Inventars“ für beide erworbenen Sprachsysteme individuell zu unterscheiden ist (vgl. Al-Jamal Z. S. 1988, S. 57). Ferner ist zu erwähnen, dass ein Sprachsystem besser als das andere beherrscht wird. Interferenz kann in der Erstsprache aus der Zweitsprache oder in der Zweitsprache aus der Erstsprache vorkommen.

3.1 Interferenz auf phonologischer Basis

Nach Kielhöfer B., Jonekeit S. (1998, S. 77) und Hoffmann C. (1991, S. 96) wird Interferenz auf phonologischer Basis mit „ausländischem Akzent“ gleich gesetzt. Der Akzent umschließt sowohl bestimmte Einzellaute als auch Sprachrhythmus und Intonation. Diese Auffälligkeit ist häufig bei erwachsenen Bilingualen als auch bei jüngeren zu beobachten, wobei Merkmale der Erstsprache in die Zweitsprache einfließen oder auch phonologische Merkmale der Zweitsprache in der Erstsprache auftauchen. Hoffmann C. führt insgesamt drei Beispiele phonologischer Interferenz auf, wobei ein englischer Muttersprachler und ein deutscher die folgenden phonologischen Interferenzen vollführen. Das erste Beispiel ist besonders in den Äußerungen englischer Muttersprachler und die letzten beiden bei deutschen Muttersprachlern verbreitet. Es werden unter diesem Punkt auch solche phonologischen Interferenzen geliefert, die ich bei den Äußerungen der Probanden der fünften Klasse festgestellt habe.

[…] a native speaker of English may carry over the ‘dark’ (or velarized) [ɫ] after vowels as in halt, to the same position when using German, which has only a non-velarised or ‘clear’ [l], thus realizing behalten as [b haɫtņ] instead of [b haltņ]; and the German speaker of English may fail to suppress his native final devoicing of plosives and produce only one form, e.g.[kˆt] for the two English forms kid and kit, or [kʌp] for cup and cub (Hoffmann C.1991, S. 97).

Die Liste der phonologischen Interferenzen, die in den sprachlichen Äußerungen von englischen oder deutschen Muttersprachlern könnte natürlich erweitert werden. An dieser Stelle soll aber auch ein phonologischer Interferenzfehler von arabischen Muttersprachlern geliefert werden:

Auf die Frage: What do you see on the commode in the background? Im Morphologie- und Syntax-Test artkulierten drei Probanden /bå…nå…n\/ gemäß des tunesischen

Dialekts anstatt /b «nɑ…n / was einer korrekten englischen Aussprache entspricht. Ferner ist zu erwähnen, dass das Lexem ‚Banane’ im Hocharabischen mawza ist. Die Probanden bedienten sich also einer Entlehnung aus dem Deutschen.

3.2 Grammatikalische Interferenzen

Grammatikalische und lexikalische Interferenzen lösen häufig Kettenreaktionen aus, denn durch lexikalisch-semantische Lehnübersetzungen werden häufig grammatische Fehler realisiert. Zu Interferenzen kommt es häufig, wenn ein Sprecher in der gesprochenen Sprache aber auch in der geschriebenen Sprache für ihn oder sie komplexe Strukturen in der Ziel- oder Zweitsprache durch Strukturen seiner oder ihrer Erstsprache ersetzt. Diese Art des Bedienens an einfacheren Strukturen ist folglich auch für bilinguale Lerner das Entfliehen von unübersichtlichen Strukturen. Mit anderen Worten: Interferenz bildet für bilinguale Lerner eine mögliche Form der Hilfestellung, die ihnen nützt, komplexe Strukturen in einer Sprache durch geläufige Strukturen einer anderen zu ersetzen. Dabei denkt der Lerner primär nicht an Interferenzfehler. Auch im Morphologie- und Syntax-Test kam es zu den folgenden grammatikalischen Interferenzen in den Äußerungen der Probanden. Es folgen nun drei Beispiele aus dem Morphologie- und Syntax-Test.5

Beispiel 1: S: *Ja, da machen sie es hübscher, nicht auf diese Art, die machen [*] besser.

Bei diesem Satz handelt es sich um grammatikalische Interferenz aus dem Arabischen. Es wurde hier das Personalpronomen ‚es’ ausgelassen, so dass die Syntax in diesem Satz an eine arabische Syntax erinnert. Es ist zu erwähnen, dass die Form des Verbes darauf schließen lässt, um welches Personalpronomen es sich handelt. Im deutschen Satz steht das Personalpronomen allein. Dieses könnte offensichtlich der Grund sein, weshalb der Proband es ausgelassen hat.

Beispiel 2: S: NEIN! (S. ist aufgeregt) #…*Englisch ist ~ne Weltsprache aber ich habe trotzdem ~ne drei drauf +/…

Bei diesem Satz handelt es sich um grammatikalische Interferenz aus dem Arabischen. Die Präposition ‚drauf’ wurde in Anlehnung an den arabisch syrischen Dialekt gebraucht und ins Deutsche übertragen. Der Satz würde im arabisch syrischen Dialekt folgendermaßen entsprechen: ¹indy ¹аlå ²аlаngliziyå -аlå-а.

Im Hocharabischen müsste die Präposition fi verwendet werden, was der deutschen

Präposition ‚in’ entspricht: ¹indy fil²аlаngliziyå -аlå-а.

Beispiel 3: S: *A teacher learning a~children +//…

Hier ist erneut der Proband der Regel der arabischen Syntax gefolgt. Der äquivalente arabische Satz würde lauten: ²almudarris yudarris ²atalamið. Die Verbindung des unbestimmten Artikels ’a’ mit dem Phonem ’t∫’ in children könnte möglicherweise auf den Versuch, den arabischen determinierten Artikel al-mit einer Assimilierung des ’l’ des Artikels zu verwenden. Das Phonem ’t∫’ ist ein Sonnenbuchstabe, der mit dem determinierten Artikel assimiliert wird. Ferner gehört er zu den 14 von 28 Phonemen des Arabischen, vor denen ebenfalls das ’l’ des Artikels ’al’ assimiliert wird. Es handelt sich bei diesem Satz um grammatikalische Interferenz aus dem Arabischen. Es ist jedoch zu erwähnen, dass das Phänomen Interferenz nicht systematisch und fortlaufend in sprachlichen Äußerungen auftritt, sondern oft mit korrekten Strukturen im Wechsel agiert. „Sie ist ein punktuelles Phänomen, das von situativen, kontextuellen und personalen Faktoren abhängt“ (Kielhöfer B./Jonekeit S. 1998, S. 80). Al-Jamal S. beschreibt grammatikalische Interferenzen als „Fehlleistungen“ wobei häufig die Struktur beziehungsweise die Struktur der starken Sprache übernommen wird (Al- Jamal, S. 1988, S. 24). Hoffmann C. liefert zwei plausible Beispiele wobei ein 11 jähriges Mädchen in einer Äußerung in ihrer Zweitsprache Deutsch, einen nicht zu übersehenden Einfluss und diesbezüglich eine grammatikalische Interferenz aus ihrer starken Sprache Englisch aufweist.

Beispiel 4: *Ich kann das nicht kaufen, weil ich hab’ kein Geld mehr. Englisch: I cannot buy it because I have no more money. Korrekter Satz: Ich kann das nicht kaufen, da ich kein Geld mehr habe.

Es handelt sich bei dem Satz unter Beispiel 4 um eine falsche Wortstellung. Von einer grammatikalischen Interferenz sind häufig Aspekte wie falsche Wortstellung, falsche Pronomen, Präpositionen, Zeiten, Modalverben betroffen (vgl. Hoffmann C. 1991, S. 97).

Im fünften Beispiel bedient sich das gleiche Mädchen einer falschen Präposition, deren Ursache Interferenz aus der starken Sprache Englisch ist.

Beispiel 5: *Ich fahre auf dem Bus nach Hause.

Englisch: I go/am going home on the bus.

Korrekter Satz: Ich fahre mit dem Bus nach Hause.

3.3 Lexikalische Interferenzen

Lexikalische und grammatikalische Interferenzen sind kaum von einander zu trennen. Häufig bringen lexikalische Äquivalenzen zwischen zwei Sprachen grammatikalische Interferenzen mit sich (vgl. Kielhöfer B./Jonekeit 1998, S.84). Lexikalische Interferenzen sind im Vergleich zu den bereits zuvor behandelten Besonderheiten, nämlich phonetische und grammatikalischen Interferenzen, sehr vielfältig. Weinreich führt insgesamt zwei Hauptgruppen von lexikalischen Interferenzen an: Die erste Gruppe beinhaltet „einfache Wörter“ und die zweite Gruppe umschließt „zusammengesetzte Wörter“ und Redewendungen. Dabei weist er darauf hin, dass es unterschiedliche Vorgehensweisen gibt, die zu lexikalischen Interferenzen leiten. Er verdeutlicht seine Feststellung mit einem anschaulichen Beispiel:

Es gibt die unterschiedlichsten Arten, wie ein Vokabular mit einem anderen interferieren kann. Gegeben zwei Sprachen A und B, können Morpheme von A nach B transferiert werden, oder es können B- Morpheme nach dem Vorbild von A-Morphemen, mit deren Inhalt sie identifiziert worden sind, in neuen Bezeichnungsfunktionen gebraucht werden; im Falle zusammengesetzter lexikalischer Elemente können auch beide Vorgänge miteinander kombiniert werden (Weinreich U. 1976, S. 69).

Bezüglich der ersten Form der lexikalischen Interferenz durch einfache Wörter, äußert sich Hoffmann C. wie folgt:

“Another kind of word interference is the overextension of the meaning of a word into the realm of the other language. This may happen, in particular, in the case of idiomatic expressions and items with cognate forms” (Hoffmann, C. 1991, S. 99). In einer weiteren Analyse erwähnt sie, dass Interferenzen überwiegend aus der starken Sprache in die schwache treten. Beachte man aber ältere bilinguale Sprecher, wie zum Beispiel Migranten, die über einen längeren Zeitraum in ihrem Aufnahmeland leben, so beeinflusst ihre Zweitsprache beziehungsweise ihre Umgebungssprache ihre Muttersprache (Erstsprache) so stark, dass in ihren muttersprachlichen Äußerungen hin und wieder einzelne Wörter oder Fehlleistungen vorkommen.

So kann das folgende Beispiel angeführt werden, ein unfreiwilliger Satzbau, der aus dem Deutschen ins dialektale tunesische Arabisch übernommen wurde, welches eine

Freundin meiner Mutter, eine tunesischen Migrantin, die seit über 25 Jahren in

Deutschland lebt, geäußert hat.

Beispiel :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In dieser Äußerung ist das Personalpronomen ²ana vollkommen überflüssig, weil die Form des Verbes šr÷²t das Personalpronomen bereits erkennen lässt. Es wurde wie im Deutschen das Personalpronomen ‚ich’ als alleinstehendes Personalpronomen im Satz geäußert. Auch müsste es tiffa”ateyn- die Dualform des Lexems tiffa”- und nicht -n÷n tiffa”åt heißen. Die Migrantin hat hier jedoch die deutsche Form benutzt, in dem sie ‚zwei Äpfel’ direkt übersetzt hat. Man könnte diesen Interferenzfehler auch als Lehnübersetzung betrachten. Da diese Migrantin seit über dreißig Jahren in Deutschland lebt und überwiegend Obst und Gemüse auf deutschen Wochenmärkten kauft, ist sie aufgefordert in deutsch nach der gewünschten Ware und der Anzahl zu fragen. Folglich hat sich die deutsche Übersetzung im aktiven Sprachschatz gefestigt und wird in der arabischen Äußerung wie oben unbewusst falsch angewendet.

Nach F. H. Köhler (1975, S. 6) ist Interferenz in Relation mit dem Erwerb einer Fremdsprache zu verstehen. Er bezeichnet die Muttersprache einer Person als das „interferierende Moment“. Es stellt sich nun die Frage, ob nicht auch eine Zweitsprache ein „interferierendes Moment“ darstellt wie Hoffmann C. (1991, S. 95) anmerkt, dass Interferenz hauptsächlich das sich Bedienen von bestimmten fixierten Sprachnormen und Strukturen einer Sprache in eine andere darstellt. Es müssen nicht unbedingt Sprachstrukturen der Muttersprache bzw. der Erstsprache in eine Zweit- beziehungsweise Fremdsprache auftreten. F. H. Köhler greift in einem weiterführenden Teil seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Interferenz fast genau die C. Hoffmannsche Feststellung wieder auf und führt an, dass Interferenz insgesamt durch Beeinflussung von unterschiedlichen sprachlichen Elementen verursachte Verletzung einer sprachlichen Norm beziehungsweise als ein Prozess der Einwirkung zu verstehen ist. Desweiteren führt er an, dass Interferenz insgesamt ein aus dem „Reflex“ entstehender Gebrauch einer Sprache ist, wobei sich eine Person einem systemfremden Modell bedient, das in ihrem Bewusstsein dominiert (vgl. Köhler F. H. 1975 S. 7). An dieser Stelle soll nun erörtert werden, in welchen Sprachebenen Interferenzen besonders häufig vorkommen. Es wurde bewiesen, dass phonetische Interferenzfehler vor allem und meist häufiger auftreten als grammatikalische und semantische Interferenzen. Köhler F. H. (1975) begründet diese Festlegung damit, dass in den meisten Ländern zu spät mit der Einführung von Fremdsprachenunterricht begonnen wird. Er erwähnt weiterhin, dass häufig der Fremdsprachenerwerb erst dann in Kraft gesetzt wird, wenn die „kritische Phase“ für den Mutterspracherwerb schon fast zu Ende ist, die laut E. H. Lenneberg (1967) zwischen dem zweiten und 13. Lebensjahr liegt (vgl. Lenneberg E. H. 1975, S. 18). Pienemann, M. (1981, S. 85) erweitert die Definition des Begriffes Interferenz, indem er anführt, dass Interferenz ein direkter „Rückgriff“ auf Strukturen der Erstsprache darstellt. Besonders dann, wenn ein Lerner überfordert ist, zielsprachliche Strukturen anzuwenden. Dabei werden weniger komplexe Strukturen aufgegriffen und geäußert. Hierbei ist das Alter nicht von besonderer Wichtigkeit zu betrachten, jedoch die unbewusste Strategie des Lerners und die Ursache des Auftauchens von Interferenz, nämlich dann, wenn ein Lerner unbewusst komplexere Strukturen vermeidet, um einfachere zu produzieren.

4. Abriss der arabischen Linguistik

Im Folgenden soll eine Übersicht über die arabische Linguistik vorgestellt werden, um im Anschluss daran auffällige Äußerungen der Probanden gezielt kommentieren zu können. Die Ausarbeitung des arabischen Teils wird hauptsächlich durch Fischers und Jastrows ‚Lehrgang für die arabische Schriftsprache der Gegenwart’ und ‚Lehrbuch arabischer Grammatik’ von Sabuni A.G. unterstützt.

4.1 Warum wird die arabische Sprache als eine schwer zu erwerbende Sprache angesehen?

„Das Arabische wird allgemein als eine schwer zu erlernende Sprache angesehen, obgleich seine Morphologie klar aufgebaut ist, kaum Unregelmäßigkeiten kennt und die Syntax einfachen Prinzipien folgt“ (Fischer/Jastrow 1996, S. XIV). Die Schwierigkeiten sind unter anderem in der besonderen Schreibweise des Arabischen zu finden, wobei man die kurzen Vokale unterdrückt und die Flexionsendungen (außer beim Akkusativ) unbeachtet belässt. Ferner entdeckt man nur kaum bekannt klingende Wörter, die man sich leicht merken kann. Der Grund hierfür ist die unterschiedliche Struktur der Wortbildung in europäischen und semitischen Sprachen. Auch bezüglich der Schriftbilder ist festzustellen, dass sie fast nie eindeutig sind. Sie können meist nur gelesen werden, wenn man über ein möglichst großes Niveau an sprachlicher Kompetenz verfügt. Besonders Lerner, die lediglich am Anfang des Erwerbs der arabischen Sprache sind, haben Schwierigkeiten mit dem Lesen von authentischen Texten, denen man zum Beispiel in Tageszeitungen oder in Sachbüchern begegnet, die ohne Vokalisierung erfolgen. Der Lerner steht folglich vor der Aufgabe, sich das Lesen ohne Vokalzeichen anzueignen. Zuerst muss er das unvollständige und mehrdeutige Schriftbild durch erworbene sprachliche Kompetenz in erster Linie interpretieren und in einem weiteren Schritt vervollständigen (vgl. ebenda S. XIV). Eine weitere Schwierigkeit beim Erlernen der arabischen Sprache liegt in der Vielzahl der Synonyme, die in der arabischen Sprache vorhanden sind. Häufig gibt es für nur einen Begriff mehrere gleichbedeutende Ausdrücke. Die hocharabische Sprache ist im gesamten arabischen Raum überwiegend die Schriftsprache und gleichzeitig die Sprache von Rundfunk, Fernsehen, der Literatur, der Bürokratie und der Zeitungen. So wie zum Beispiel in England das RP (Received Pronunciation) ein Soziolekt ist, das von der gebildeten Mittel-und Oberschicht gesprochen wird, wird das Hocharabisch jedoch nicht nur in einem arabischen Land, sondern in allen arabischsprachigen Ländern von Menschen gesprochen, die der Mittel- und Oberschicht zugehören. Dazu zähle man besonders auch Politiker und Geistliche. Das Arabische enthält insgesamt drei Formen (vgl. Kästner 1981, S. 24ff zit. in Benzian 1992, S. 22).

1. Das klassische Arabisch oder auch Hocharabisch genannt. Es hat sich seit dem achten Jahrhundert nach Christus kaum verändert und wird meist an Universitäten für das Studium von älterer arabischer Literatur und als religiöse Sprache des Islams unterrichtet.
2. Das moderne Hocharabisch (MHA) wird auch als modernes Standardarabisch bezeichnet. Es ist der sogenannte Nachfolger des klassischen Hocharabisch und wird vor allem schriftlich angewendet und teilweise auch in formellen Situationen sowie in den Medien, Schulen und Universitäten.
3. Die arabischen Dialekte werden von den Menschen in den einzelnen arabischen Ländern unabhängig vom Bildungsstand als natürliche Muttersprache mündlich benutzt.

Jeder Mensch, der in engeren Kontakt mit dem arabisch sprechenden Raum treten will (Nordafrika oder Teile Asiens), hat die Aufgabe das Hocharabische als Grundlage seines Spracherwerbs zu machen. Der Grund hierfür ist, dass die Dialekte lediglich mündlich verwendet werden und überdies lokal beschränkt sind (vgl. Fischer/Jastrow 1996, S. XVI). Das bedeutet, dass zum Beispiel in einem Gespräch ein Jordanier und ein Tunesier sich einander kaum verstehen. Es ist zu erwähnen, dass die grammatischen Normen der heutigen Schriftsprache auf den Normen des klassischen Arabisch zurückzuführen sind. Abweichungen sind lediglich im Wortschatz und in der Phraseologie und nicht in der Grammatik zu konstatieren (vgl. ebenda S. XVI).

4.2 Die arabische Schrift

Tabelle 1: Das arabische Alphabet

Arabischer DMG-6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Araber benutzten die arabische Schrift seit dem dritten Jahrhundert nach Chr. und die endgültige Festsetzung der arabischen Grammatik und der Orthograpfie erfolgte im neunten Jahrhundert. Man bezeichnet die arabische Schrift als „kursive Konsonantenschrift“ (vgl. Sabuni, A. 1987, S. 127). Im Arabischen wird von rechts nach links geschrieben und gelesen. Die Schriftzeichen werden innerhalb des Wortes miteinander verbunden. Durch die oft obligatorische Verbindung ergeben sich unterschiedliche Zeichenformen, die danach bestimmt werden, wo ein Zeichen (Buchstabe) im Schriftzug steht. Das Zeichen kann entweder am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Schriftzugs stehen und in jeder Position hat es eine ähnliche aber andere Form. Bezüglich der Verbindung der Schriftzeichen gibt es insgesamt sechs Buchstaben, die nicht mit dem darauffolgenden Buchstaben verbunden werden. Es sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sie stehen entweder alleine oder sie sind am Wortende als Schlußform präsent. Nach diesen Buchstaben, muss der nächste Buchstabe entweder mit der Anfangs- oder der alleinstehenden Form gebildet werden.

4.3 Zur Phonetik und Phonologie des Arabischen

Im Folgenden soll eine Übersicht über die Phonetik und Phonologie des Arabischen gegeben werden. Desweiteren soll im Zusammenhang mit dem Aussprachetest der Probanden der dritten Klasse auf die insgesamt vier artikulatorisch verwandten Phoneme der arabischen und englischen Sprache eingegangen werden, wobei besonders auf die Aussprache dieser markanten Phoneme Stellung genommen wird. Es werden in dieser Arbeit nicht alle 28 Phoneme des Arabischen im Detail beschrieben, da ein solcher Anspruch zwangsläufig den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

Das Hocharabische enthält insgesamt 28 Konsonanten. Drei dieser Konsonanten können konsonantisch und vokalisch verwendet werden.

1. Vokalisation

Im Arabischen gibt es insgesamt drei Kurzvokale, die in der Schrift nicht unbedingt ausgedrückt werden müssen. Die folgenden bestimmten Vokalzeichen über oder unter den vorhergehenden Graphemen werden dafür verwendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4.4 Phonetischer Sprachvergleich zwischen artikulatorisch verwandten Arabischen und Englischen Phonemen Die folgenden vier arabischen Phoneme sind mit vier Phonemen im Englischen verwandt. Insbesondere Lerner mit arabischen Sprachkompetenzen dürften bei einer korrekten Aussprache von englischen Wörtern, die die folgenden vier artikulatorisch verwandten Phoneme beinhalten, keine Schwierigkeiten haben. Daraus kann man schließen, dass für diese Zielgruppe ein Vorteil zumindest in der englischen Aussprache zu erwarten ist, gegenüber solchen Lernern, die über keine arabischen Sprachkompetenzen verfügen.

Die vier artikulatorisch verwandten Arabischen Phoneme mit den Englischen sind:

1 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] wird zwischen den oberen Schneidezähnen und vorderem Zungensaum gebildet. Es ist ein stimmloser Engelaut, der auch als Lispellaut bezeichnet wird.

2 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ist eine stimmhafte Kombination des Verschlusslautes d mit dem. darauffolgenden Engelaut , die beide zwischen dem vorderen Zungenrücken und dem vorderen Hartgaumen realisiert werden.

3 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] wird zwischen den oberen Schneidezähnen und vorderem Zungensaum gebildet. Es ist ein stimmhafter nicht gepresster Engelaut, der auch als Lispellaut bezeichnet wird.

4 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Das arabische [w] darf nicht durch das deutsche [v] in Wörtern wie zumو4. Beispiel Wagen, Wolle, Welt ersetzt werden, weil dieser deutsche Laut zwischen Unterlippe und oberen Schneidezähnen gebildet wird. Das arabische [w] jedoch wird mit gerundeten und vorgewölbten Lippen bei gleichzeitiger Hebung des Hinterzungenrückens gegen den weichen Gaumen gebildet.

[...]


1 Bei Beschreibungen und Aussagen, die für beide Geschlechter Gültigkeit haben, erlaube ich mir, überwiegend das generische Maskulinum zu verwenden, das männliche und weibliche Personen einschließt.

2 Siehe dazu Tabelle 5: Angaben über die Probanden und ihren Eltern und Punkt: 9.2 Der muttersprachliche Hocharabisch Unterricht aus Sicht der Eltern der Probanden der fünften Klasse

3 Eine genaue Testvorbereitung und Vorgehensweise wird in Kapitel 7 detailliert beschrieben.

4 In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe „Erstsprache“ und „Muttersprache“ als Synonyme und in Abwechslung verwendet.

5 Weitere grammatische Interferenzen können im Punkt 8.9.1 ‚Analysen und Kommentare zu einzelnen Äußerungen der Probanden im Morphologie und Syntax Test’ entnommen werden.

6 DMG = Deutsche Morgenländische Gesellschaft. Die DMG-Umschrift (Arabisch) wird in wissenschaftlichen Bibliotheken in der Regel auch für alle anderen Sprachen, die mit dem arabisch- persischen Alphabet geschrieben werden einheitlich angewendet. (vgl. Roth C.http://islamwissenschaft.uni-hd.de/material/tutorium_ws0506/transkription.pdf).

Ende der Leseprobe aus 181 Seiten

Details

Titel
Englisch als dritte Sprache bei Lernern mit bilingualem arabisch-deutschem Hintergrund
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Autor
Jahr
2007
Seiten
181
Katalognummer
V122643
ISBN (eBook)
9783668077805
ISBN (Buch)
9783668077812
Dateigröße
1197 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
english, sprache, lernern, hintergrund
Arbeit zitieren
Sera Hamoussi (Autor:in), 2007, Englisch als dritte Sprache bei Lernern mit bilingualem arabisch-deutschem Hintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122643

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