Von den sozialen zu den ökonomischen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie

Barrington Moore im Vergleich mit D. Acemoglu und J.A. Robinson


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Von den sozialen zu den ökonomischen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie

2. Begriffsklärung: Demokratie und Macht

3. Wissenschaftliche Methode
3.1 Der Ansatz Barrington Moores
3.2 Der Ansatz Acemoglus und Robinsons

4. Demokratiebegünstigende Faktoren
4.1 Institutionelle Faktoren
4.2 Soziale und ökonomische Faktoren

5. Die Gegenprobe: Diktatur

6. Demokratische Perspektiven

7. Schlussfolgerung: Demokratie ohne Werte?

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Von den sozialen zu den ökonomischen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie

Ausgehend von den jüngeren demokratietheoretischen Forschungen von Daron Acemoglu und James A. Robinson[1] ist es Ziel dieser Arbeit, ihre Hauptinspirationsquelle, nämlich Barrington Moores „Social Origins of Dictatorship and Democracy“,[2] dem neueren Beitrag gegenüberzustellen. Auch erwähnen Acemoglu und Robinson Moores Beitrag explizit, und bekennen sich zur Inspiration, die dieser ihnen verschaffte.[3] Es ist betont nicht Ziel der Arbeit, die Entwicklung vom jüngeren Werk zum Original hin zurückzuverfolgen, da 40 Jahre Demokratieforschung sich schwerlich auf 15 Seiten zusammenfassen lassen. Einzelne Meilensteine werden daher eher am Rande erwähnt.

In beiden Werken werden die Rahmenbedingungen für die Etablierung und den Unterhalt sowohl demokratischer als auch autokratischer Regierungssysteme untersucht, und zwar hinsichtlich der sozialen, der politischen sowie der wirtschaftlichen Komponenten. Die wichtigsten Unterschiede ergeben sich aus einer offensichtlichen Tatsache, nämlich dem zeitlichen Faktor: Barrington Moores Buch erschien Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts,[4] konnte also weder die Demokratisierungswelle Lateinamerikas in den 80er bzw. 90er Jahren[5] noch diejenige nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion berücksichtigen, sprich: das empirische Material hinsichtlich erfolgreicher und konsolidierter Demokratisierung, welches Acemoglu und Robinson zur Verfügung stand, war naturgemäß größer. Als weiterer wichtiger historischer Faktor spielt die Globalisierung hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle: in den 60er Jahren noch ein weitgehend unbekannter Begriff, dominiert die Globalisierung heute mal mehr, mal weniger berechtigterweise auch demokratietheoretische Debatten[6] und spielt auch bei Acemoglus und Robinsons Beitrag eine Rolle.[7]

Von diesen naturbedingten, zeitlichen Faktoren abgesehen, spielen die fachliche Richtung und unterschiedliche methodische Ausrichtung der beiden Hauptwerke eine wichtige Rolle: während Moore als Soziologe sich vor allem des historischen Vergleichs bediente und im marxistischen Sinne gar klassensoziologisch vorging[8], liegt die methodische Zugehörigkeit Acemoglus und Robinsons in der Übertragung der aus den Wirtschaftswissenschaften stammenden Spieltheorie samt dazugehöriger Rational Choice Modelle.[9] Insbesondere auf die theoretischen Grundlagen wird im nachfolgenden Teil eingegangen, bevor die unterschiedlichen Schlussfolgerungen der beiden Richtungen hinsichtlich der notwendigen und begünstigenden Bedingungen für die Demokratie und den Erhalt der Diktatur sowie der jeweiligen Perspektiven für die Demokratie besprochen werden.

2. Begriffsklärung: Demokratie und Macht

Am Anfang einer demokratietheoretischen Abhandlung, und sei es eine Seminararbeit, besteht die Notwendigkeit, den Begriff „Demokratie“ einzugrenzen. Barrington Moore versteht unter der Demokratie einen historischen Prozess und lehnt eine anhaltende Diskussion um den Begriff als Wortklauberei ab. Für Moore ist die Demokratie schlicht ein anhaltender Kampf um drei Werte: Kampf gegen Willkürherrschaft, Willkürherrschaft durch gerechte Herrschaften zu ersetzen und Partizipationsmöglichkeiten für die Regierten zu schaffen.[10] Sein Demokratiebegriff ist demnach in erster Linie normativ geprägt und die Auseinandersetzung um eine gute Herrschaftsform im aristotelischen Sinne. In diesem Sinne ist die Antwort auf die zweite Frage ebenfalls bereits gegeben: Diktatur ist demnach schlicht das Gegenteil von Demokratie, also gleichzusetzen mit despotischer Herrschaft.

Acemoglu und Robinson folgen dagegen einem institutionenzentrierten Demokratiebegriff, wonach die Demokratie Methode zur Verteilung politischer Macht ist.[11] Sie lehnen sich damit an Jospeh Schumpeters Demokratiebegriff an, wonach die Demokratie eine Methode des politischen Systems darstellt.[12] Einfach zusammengefasst sind ihre Begriffe von Diktatur in „A Theory of Political Transitions“: „In a democracy, the median voter sets the tax rate, and because the poor are more numerous, the median voter is a poor agent. In a non-democratic regime, taxes are set by the rich.”[13] Es besteht also schlicht das Gegensatzpaar Democracy vs. Nondemocracy, festgemacht daran, ob bestimmte Politiken dem Willen von mehr oder weniger als 51% der Bevölkerung entsprechen.

Da Acemoglu und Robinson in ihrer Abhandlung auf den Begriff Macht Wert legen und ihn näher eingrenzen,[14] scheint auch diese Klärung sinnvoll, da sie zwischen de facto und de jure vorhandener Macht unterscheiden. Dabei folgen sie Thomas Hobbes (wenn auch nicht in der genauen Begrifflichkeit, wohl aber in der Sache), indem sie feststellen, dass es zunächst auf de facto vorhandene Macht ankommt, denn: „whoever is more powerful, whoever has more brute force, will eat the fruit.“[15], während es analog bei Hobbes heißt: „...dass die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird., und zwar in einem Krieg eines jeden gegen jeden.“[16] Dies ist insofern von Belang, als dass Acemoglu und Robinson von der im Naturzustand jederzeit einsetzbaren de facto Macht eine de jure Macht ableiten, die in politisch institutionalisierter Form politische Macht genannt wird.[17] Sie ist ohne Untermauerung de facto freilich so wertlos wie ein Vertrag im Naturzustand bei Hobbes; vielmehr ist die politische Macht eine Kombination aus der Fähigkeit, Macht auszuüben (also de facto) sowie der wie auch immer gearteten gesetzlichen Legitimation hierzu (also de jure). Dabei ist der zeitliche Aspekt wichtig: wer nur kurzfristig politische Macht ausübt, übt diese zwar de facto, nicht aber unbedingt de jure aus. Zur Ausübung von Macht de jure gehört die verbriefte Sicherheit, die Macht auch in der absehbaren Zukunft genießen zu können. Dies bedeutet die Institutionalisierung der Macht, und wenn diese Institutionen über einen längeren Zeitraum von der Mehrheit beherrscht werden, so handelt es sich um demokratische Institutionen.[18] Kurz gefasst ließe sich sagen, dass sie die Webersche Begrifflichkeit umdrehen, Macht als Herrschaft ansehen und unter Macht die Fähigkeit verstehen, unter definierbaren Personen für einen Befehl Gehorsam zu finden.[19]

3. Wissenschaftliche Methode

Nicht nur bei der Definition, sondern auch bei der wissenschaftlichen Methode gehen Barrington Moore und Acemoglu/Robinson sehr unterschiedlich heran – angesichts der exakt 40 Jahre, die zwischen den beiden Veröffentlichungen liegen, wohl kaum verwunderlich – und zu einem gewissen Grad auch eine Widerspiegelung der sozialwissenschaftlichen „Trends“. In einem allerdings sind sich die Autoren ähnlich: sie gehen von wirtschaftlichen Verhältnissen als der treibenden Kraft aus.

3.1 Der Ansatz Barrington Moores

Die wirtschaftliche Orientierung wurde Barrington Moore entsprechend vorgeworfen,[20] und letztlich folgt dieser dem marxistischen Geschichtsdeterminismus, ist aber in seinen Schlussfolgerungen deutlich flexibler, indem er drei mögliche Wege in die Moderne aufzeigt: die bürgerliche Revolution, die „Revolution von oben“, welche im Faschismus mündet, sowie die bäuerlich-proletarische Revolution am chinesischen und russischen Beispiel.[21] Es wäre aber zu kurz gegriffen, Moore als Marxisten zu bezeichnen. Zwar hat er mit dem Marxismus die Rückbesinnung auf Hegel gemeinsam, allerdings weniger in der Dialektik, als im Fortschrittsglauben und im Sinne der unaufhaltsamen Entwicklung in Richtung Moderne. Gleichzeitig folgt Moore aber dem Utilitarismus in der Annahme, dass Menschen in erster Linie nach Glück streben und gesellschaftliche Entwicklungen nicht zuletzt eine Frage der eigenen Entscheidung sind.[22] Gleichzeitig ist, in literaturwissenschaftlichen Kategorien gesprochen, Moores Demokratiebegriff[23] eine explizite Selbstcharakterisierung in Hinblick auf seine normative Grundausrichtung. Mit seiner Verbindung aus Hegelschem Fortschrittsdenken, historisch-soziologischer Methode, marxistischer Wirtschaftsanalyse und normativ-teleologischem Demokratiebegriff ist es schwer, Moore einer bestimmten methodischen Schule zuzuordnen; es genüge daher an dieser Stelle, diese vier Richtungen festzuhalten.

[...]


[1] D. Acemoglu, J.A. Robinson (2006): Economic Origins of Dictatorship and Democracy, Cambridge et al.: Cambridge University Press.

[2] B. Moore (1969): Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie. Die Rolle der Grundbesitzer und Bauern bei der Entstehung der modernen Welt, übers. v. Gert H. Müller, Frankfurt: Suhrkamp.

[3] D. Acemoglu, J.A. Robinson (2006): S. 38.

[4] Die Originalausgabe erschien 1966. Im folgenden wird daher mit Moore (1966) zitiert.

[5] T. Vanhanen (2003): Democratization. A Comparative Analysis of 170 countries, London & New York: Routledge, S. 113.

[6] D. Nohlen (22004): Globalisierung, in: D. Nohlen, R.O. Schulze: Lexikon der Politikwissenschaft Bd. 1, München: Beck, S. 301-303.

[7] Siehe hierzu Acemoglu und Robinson 2006 insbesondere S. 321-347.

[8] M.G. Schmidt (32006): Demokratietheorien. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag S. 447.

[9] Buchbesprechung von J. Møller (2006): Equality or Liberty? in: Journal of Democracy 17 (4), S. 169-172.

[10] B. Moore (1966), S. 476.

[11] D. Acemoglu und J. Robinson (2006), S. 22.

[12] Ebenda, S. 17 sowie Schmidt (32006): Demokratietheorien. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag, S. 197 f.; J. Schumpeter (51980): Kapitalismus, Sozialismus, und Demokratie, München: A. Francke, S. 452.

[13] D. Acemoglu u. J.A. Robinson (2001): A Theory of Political Transitions, in: The American Economic Review 91 (4), S. 940. Zur Bestimmung von „Elite“ und Mehrheiten siehe auch S. 941 f.

[14] D. Acemoglu und J. Robinson (2006), S. 21.

[15] Ebenda, S. 21.

[16] T. Hobbes (1966): Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hg. u. eingeleitet v. Iring Fetscher, übers. v. Walter Euchner, Frankfurt: Suhrkamp, S. 96.

[17] D. Acemoglu und J. Robinson (2006), S. 21.

[18] Ebenda, S. 24.

[19] Max Weber (51972): Wirtschaft und Gesellschaft Tübingen: J.C.B. Mohr (P. Siebeck) , S. 28 f.

[20] J.M. Wiener (1975): The Barrington Moore Thesis and Its Critics, in: Theory and Society 2 (3), S. 302.

[21] Ebenda, S. 301-303 sowie B. Moore (1966): S. 475-553.

[22] D. Smith (1984): Morality and Method in the Work of Barrington Moore, in: Theory and Society 13 (2), 160 f.

[23] Siehe Punkt 2

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Von den sozialen zu den ökonomischen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie
Untertitel
Barrington Moore im Vergleich mit D. Acemoglu und J.A. Robinson
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Empirische und normative Demokratietheorien
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V127214
ISBN (eBook)
9783640339617
ISBN (Buch)
9783640338863
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ursprüngen, Diktatur, Demokratie, Barrington, Moore, Vergleich, Acemoglu, Robinson
Arbeit zitieren
Nicholas Williams (Autor:in), 2007, Von den sozialen zu den ökonomischen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127214

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