Phantastik. Der literaturwissenschaftliche Multipluralismus des Genrebegriffs "Phantastik"


Hausarbeit, 2008

66 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der literaturwissenschaftliche Methodenpluralismus vor dem Hintergrund der Forschungsansätze zur phantastischen Literatur

3. Die Angst und Verstörung als wirkungsästhetische Bestimmung phantastischer Literatur
3.1. Das Erklärungsmodell zur Wirkungskonstituente Angst, welches sich auf Kriterien bezieht, die nicht primär an die Immanenz der Darstellungsebene selbst gebunden sind – die Angst vor dem fremden Ich
3.2. Das Erklärungsmodell zur Wirkungskonstituente Angst, welches sich auf Kriterien bezieht, die primär an die Immanenz der Darstellungsebene gebunden sind – die Angst vor der fremden Instanz

4. Die maximalistische Definitionsweise phantastischer Literatur
4.1. Der Forschungsansatz, welcher phantastische Literatur allein über das bloße Auftreten des Fremden definiert
4.2. Der Forschungsansatz, welcher phantastische Literatur über all jenes Fremde definiert, was beim Rezipienten eine Reaktion der Verstörung und Angst verursacht
4.2.1. Der inhaltlich- stoffliche Ansatz
4.2.2. Der strukturell orientierte Ansatz

5. Die Minimalistische Definitionsweise
5.1. Die Phantastikdefinition nach Tzvetan Todorov
5.1.1. Die Konditionen eines phantastischen Textes
5.1.2. Die Konditionen, die ein Leser beim Rezipieren phantastischer Literatur aufweisen sollte
5.1.3. Die Unschlüssigkeit des Protagonisten beispielsweise Rezipienten als Definitionskriterium phantastischer Literatur
5.1.4. Das Fantastisch- Unheimliche
5.1.5. Das Fantastisch- Wunderbare
5.1.6. Das Unvermischt- Unheimliche
5.1.7. Das Unvermischt- Wunderbare
5.2. Das Problem mit dem Begriff der „Realität“
5.3. Uwe Durst und seine Theorie phantastischer Literatur
5.3.1. Die Textebene als eigene abgeschlossene Welt
5.3.2. Das Realitätssystem
5.3.3. Das reguläre und das wunderbare Realitätssystem
5.3.4. Der Begriff des Rätsels
5.3.5. Der Systemsprung
5.3.6. Das Nichtsystem als genredefinierendes Merkmal phantastischer Literatur
5.3.7. Die durstsche Gleichung zur Darstellung textinterner Systemtrukturen
5.3.8. Immobile Texte

6. Schlusswort

7. Quellenverzeichnis

Gebundene Quellen:

Internetquellen:

Bildquellen:

1. Einleitung

antastik. Man hört oft Aussagen wie „Phantastik ist wieder in.“ oder „Die Phantastik hat eine lange Tradition in Lateinamerika.“ sowie den Ausdruck „Phantastisches Wesen“. Was bedeutet aber dieser Begriff in der Literatur eigentlich? Mit den folgenden Zeilen dieser Arbeit möchte ich sie, lieber Leser, dazu einladen sich mit mir auf die Suche nach der Antwort auf die Frage Was ist phantastische Literatur? zu begeben.

Um dem Begriff der Phantastik auf die Spur kommen zu können, muss man zu erst einmal seinen Ursprung in der Literatur betrachten. Dort trat er zum ersten Mal in einer Sammlung von Werken E.T.A. Hoffmanns unter dem Namen Fantasiestücke in Callots Manier von 1814 auf und entstand durch einen Übersetzungsfehler, als es ins Französische mit Contes fantastiques übersetzt wurde, anstatt richtigerweise mit contes de la fantaisie. Schnell begann man sich zu fragen, was man unter diesem literarisch neuen Begriff zu verstehen hat und zu versuchen das Neuartige in Hoffmanns Erzählungen zu begreifen beispielsweise zu definieren. Dieser Prozess war der Beginn der Entwicklung eines neuen Genres. Nun stellt sich die Frage in welcher Art und Weise man ein neues Genre ergründet. Ganz einfach, man bedient sich der Untersuchungsgegenstände, die schon gegeben sind, sprich genau den Erzählungen Hoffmanns, und filtert ihre Besonderheiten heraus, über die man dann die Merkmale phantastischer Literatur fundiert beschreiben und definieren kann. So eine Untersuchung hört sich ja im Prinzip ganz simpel an, gestaltet sich jedoch sehr kompliziert, wie man im Verlauf der Arbeit sehen wird.

2. Der literaturwissenschaftliche Methodenpluralismus vor dem Hintergrund der Forschungsansätze zur phantastischen Literatur

„Bis in die jüngste Zeit war ein Defizit an theoretischer Reflexion zur Kategorie des Phantastischen zu registrieren.“

(Cersowsky, Peter. 1983: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.

Kafka · Kubin · Meyrink. Wilhelm Fink Verlag: München.)

Für diese Tatsache der langjährigen Vermeidung des Terrains sind dabei vor allem zwei Gründe ausschlaggebend:

„zum Einen wurden einschlägige Texte durch eine Germanistik, die sich vorzugsweise an einem etablierten Kanon von ´Meisterwerken´ orientierte, nur allzu bereitwillig dem Bereich der ´Trivialliteratur´ bzw. des `Kitsches´ zugeordnet und damit zugleich für nicht eigentlich interpretationswürdig befunden, zum Anderen mögen es besondere Schwierigkeiten sein, die einer begrifflichen Erfassung der phantastischen Literatur im Wege stehen.“

(Cersowsky, Peter. 1983: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.

Kafka · Kubin · Meyrink. Wilhelm Fink Verlag: München.)

Trotz alledem kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und seiner theoretischen Problematik. Mittlerweile kann man sogar von einem regelrechten Boom solcher Auseinandersetzungen reden, der mit zahlreichen Neueditionen phantastischer Texte einhergeht. So liegt inzwischen auf internationaler Ebene ein breites Spektrum von theoretisch ausgerichteten Forschungsansätzen vor, die sich jedoch nicht selten aufeinander beziehen und damit miteinander verknüpft sind.

Im Folgenden soll auf die verschiedenen Theorien zur Phantastik eingegangen werden. Dabei werde ich mich zu allererst Lovecrafts Ansatz zur wirkungsästhetischen Bestimmung der phantastischen Literatur widem, wobei hier „wirkungsästhetisch“ im Sinne von „der Wirkung der Texte phantastischer Texte auf den Leser“ verstanden wird.

3. Die Angst und Verstörung als wirkungsästhetische Bestimmung phantastischer Literatur

Lovecraft beobachtete bei seinen Untersuchungen der Texte Hoffmanns vorrangig eine Reaktion der Verstörung und der Angst des Rezipienten als Wirkungskonstituenten und definierte diese als Merkmal für die Phantastik. Demnach sollten zunächst alle literarischen Texte, die dieses Phänomen aufwiesen, zum Genre phantastischer Erzählungen gezählt werden. Dieser Ansatz zieht sich, obwohl, wie oben schon erwähnt, ein Methodenpluralismus im Hinblick auf die Genreforschung existiert, durch die meisten, wenn nicht sogar alle Theorien der letzten Jahrzehnte. Das bedeutet, dass sich eine Unmenge von Wissenschaftlern mit dem Merkmal Angst und Verstörung auseinandergesetzt haben und sich trotz spannenden Diskussionen über die richtige Phantastikdefinition in diesem Punkt einig zu sein scheinen. In diesem Sinne vermischen sich oftmals die Grenzen zwischen verschiedenen Ideen und Ansätzen. Es ergab sich jedoch die Frage, welche Instanz diese Angst und Verstörung auslöst und hier, in der Begründung der Angst und Verstörung, liegt der Unterschied zwischen den Ansätzen. Viele Theoretiker der Phantastikforschung haben sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und sind bei Versuchen dieses zu ergründen auf verschiedene Antworten gekommen. Auf der Suche nach der Lösung des Rätsels der Angst sind dabei im Allgemeinen zwei übergeordnete Ansatztendenzen zu verzeichnen. So rekurriert zum einen ein Forschungsstrang auf Kriterien, die nicht primär selbst an die Immanenz der Darstellungsebene gebunden sind, ein andere auf denen, die primär an diese gebunden sind. Dabei hat man unter letzterem ein Verfahren zu verstehen, bei dem der Blickpunkt nicht zuerst auf Vertextungsverfahren gerichtet ist, diesbezüglich also nicht die Besonderheit phantastischer Texte über bestimmte Motive oder strukturelle Besonderheiten zu definieren versucht, wie dies beim ersteren der Fall ist, sondern sein Hauptaugenmerk auf textexterne Instanzen wie zum Beispiel den Autor oder den Leser lenkt.

3.1. Das Erklärungsmodell zur Wirkungskonstituente Angst, welches sich auf Kriterien bezieht, die nicht primär an die Immanenz der Darstellungsebene selbst gebunden sind – die Angst vor dem fremden Ich

Einer der ersten Versuche, die Wirkungskonstituente Angst näher zu beleuchten, bediente sich des Wissenschaftsbereich der Psychologie. Man hatte bei den Untersuchungen einen realen Leser im Auge und war deshalb der Überzeugung eine solche Gefühlsregung nur mit Hilfe der Psychologie fundiert beschreiben zu können. Siegmund Freud gilt dabei als Initiator dieser Tendenz. Vor allem am Beispiel der Hoffmannschen Erzählung Der Sandmann formulierte der Psychoanalytiker seine erste Angsttheorie, wobei er nicht nur mit dem Begriff der Angst operiert, sondern auch den Begriff des Unheimlichen verwendet, welcher in diesem Kontext jene Instanz darstellt, die die Angst beim Rezipienten auslöst. Dabei ging er davon aus, dass

„Jeder Affekt einer verdrängten Gefühlsregung […] durch die Verdrängung in Angst verwandelt werden [kann]. Das Unheimliche, das Freud bei Hoffmann entdeckt, resultiert, ja ist Freud zufolge eben die aus der Verdrängung entstandenen Angst, die bei der Wiederkehr des Verdrängten erneut frei wird. Dies sei die geheime Natur des Unheimlichen. […] Das Unheimliche ist [also] das von früher her Vertraute, schon Bekannte, das als Verdrängtes oder Überwundenes im Inneren des Individuums fortlebt und scheinbar plötzlich in der Außenwelt wieder auftaucht oder eine Bestätigung erfährt.“

(Hartwich, Kai- Ulrich: Elemente der Kritik Psychoanalytischer Literaturinterpretation.

In: Schenkel, Elmar; Schwarz, Wolfgang F.; Stockinger, Ludwig; De Toro, Alfonso. 1998:

Die magische Schreibmaschine. Aufsätze zur Tradition des Phantastischen in der Literatur.

Vervuert Verlag: Frankfurt/Main.)

Bei diesem Ansatz kommt dem Psychoanalytiker die Etymologie des Wortes unheimlich entgegen und so stellt er seinen psychologischen Überlegungen die sprachliche Herkunft des Begriffes zur Seite. Der Ausgangspunkt der Sprachentwicklung von unheimlich stellt das Wort heim dar, welches neben der Bedeutung von ´Haus, Wohnort, Heimat´ eine weitere Bedeutung im Sinne ´des zum Haus Gehörigen und Vertrauten´ aufweist. Davon ausgehend weist das Wort heimlich auf ´einen sich verbergenden Rückzug in das Haus´ und somit auf ein ´Geheimnis´ hin. Nun betrachte man das Wort unheimlich. Während es im alltagsprachlichen Gebrauch nur die Bedeutung von heim verneint und somit für etwas ´Unvertrautes´ und ´Befremdliches´ steht, das in seiner Erscheinung das Gefühl der Verunsicherung hervorrufen kann, ist nach Freud zufolge das Unheimliche jedoch das einst Vertraute, was verdrängt wurde, im Unbewussten verborgen liegt und affektiv abgewehrt und verleugnet wird. Im unheimlichen Erlebnis kehrt das Verdrängte dann in entfremdeter Form zurück. Das Unheimliche wird also als etwas dem Seelenleben eigentlich Vertrautes beschrieben, das aber durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist.

Freud begründete mit diesem Phänomen auch den in der Psychologie verwendeten Begriff der Neurose. Er ging davon aus, dass sich Kinder in einem Alter, in dem sich das Bewusstsein stark entwickelt, im Normalfall für alles, was sie umgibt, interessieren, so auch für das Sexualleben und die Frage woher man denn komme. Der Umgang mit Sexualität war aber vor einiger Zeit, insbesondere gegenüber Kindern, ein Tabuthema. Vor dem Hintergrund des kulturellen Kontexts hatte man es vermieden seine Kinder aufzuklären, da man befürchtete, dass durch eine Aufklärung ein Reiz gegenüber den Trieben seitens der Kinder hervorgerufen werden könnte und so ihre „Bravheit“ in Gefahr sah. In diesem Sinne wollte man das Kind, welches als Triebwesen auf die Welt kommt, nicht nur im Hinblick auf die Sexualität, sondern auf alle Triebe, die ein Mensch besitzt, in seinen ersten fünf oder sechs Jahren zu einem annähernd zivilisierten Mitglied der Gesellschaft erziehen. In unserer heutigen Zeit nehmen sich die Erzieher in der Regel viel Zeit für die Trieberziehung, welche sie mit den Mitteln der Liebe durchzusetzen versuchen, denn im Austausch für die Liebe der Eltern ist das Kind bereit den Preis dieser Erziehung zu zahlen. Damals arbeitete man jedoch vermehrt mit unbefriedigenden Mitteln, vor allem Drohungen, Drill, Liebesentzug und Strafe. Solche Methoden wirkten schnell, direkt und dauerhaft. Es wurde als pädagogischer Erfolg betrachtet, wenn Kinder eine verbotene Handlung, für die sie einmal bestraft wurden sind, nicht wiederholten und wenn sie sich ihren primitiven Wünschen so weit entfremdeten, dass sie deren Existenz aus ihrer inneren Wahrnehmung verbannten. Doch es scheint nur so, als ob eine solche Erziehung dazu führt, dass das Kind seine Triebimpulse meistert, in Wirklichkeit hat es sie aber nur verdrängt und ist nur ungenügend im Stande seine Triebe vernünftig zu steuern. Eine „angemessene“ Steuerung der Triebe wird dagegen durch eine allmähliche Transformation und Umleitung der infantilen Triebimpulse erreicht. Ebenso wie es in der körperlichen Entwicklung keine diskontinuierlichen Sprünge gibt, gibt es auch keine schlagartige Wandlung eines „unzivilisierten“ Kindes in ein „zivilisiertes“. Im Sinne einer Trieberziehung durch den Drill kommt es zum Konflikt zwischen den verspürten Trieben und ihrer gesellschaftlichen Verachtung, das bedeutet, dass das Individuum seine Triebe nicht steuern kann, da es dies nie wirklich gelernt hat. Durch diese ungelöste Konfliktlage entsteht eine seelische beispielsweise psychosoziale Gesundheitsstörung. Um ein Gleichgewicht gegenüber dem Triebverhalten zu erreichen, entwickelt der Mensch Abwehrmechanismen, die vor gefürchteten oder verpönten Triebimpulsen schützen sollen. An dieser Stelle sei erneut der Begriff der Verdrängung erwähnt. In diesem Sinne versucht das Individuum die Impulse nicht in das Bewusstsein vorzulassen und gleichsam in das Unbewusste zurückzudrängen. Doch aus dem Bewusstsein verdrängt, bedeutet nicht automatisch neutralisiert. So bleibt das Verdrängte auch aus dem Unbewusstsein heraus wirksam. Ein wichtiges Charakteristikum für solche Neurosen stellen unter anderem Angstzustände dar. Bei dieser Krankheit sind gleichzeitig verschiedene Reaktionsmöglichkeiten gegeben um den Konflikt zu entladen, so zum Beispiel die Sublimierung, also die unbewusste Umwandlung der Triebenergie in eine Aktivität mit psychisch verwandten künstlerischen, literarischen unter anderem kreativen Zielen.

Zusammenfassend liegt die Angst also nach Freud im Konflikt mit dem Verdrängten begründet. Ich habe mir allerdings die Frage gestellt, warum man Angst vor der Wiederkehr des Verdrängten verspürt und in diesem Sinne nach einem tieferen Zusammenhang zwischen Neurose und Angst gesucht. Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jede Neurose mit einer Angst vor Verlusten einhergeht. An dieser Stelle ergibt sich die Angst vor dem persönlichen Kontrollverlust des Ichs. Dies kann aber nur im Zusammenhang mit sozialen Normen betrachtet werden. Läuft man ihnen zu wider, folgen in der Regel negative Sanktionen, wie zum Beispiel schlechtes Ansehen in der Gesellschaft, welches durchaus auch mit Bestrafung jeglicher Art gekoppelt werden kann. Nimmt man in diesem Sinne eine schlechte Position in der Gesellschaft ein, kann dies schlimme Folgen für die betreffende Person haben, so zum Beispiel Verlust von zwischenmenschlichen Kontakten, schlechtere Chancen auf Arbeit und somit insgesamt eine Verschlechterung des Lebensstandards. Ein schlechter Lebensstandard kann natürlich wiederum das leibliche Wohl eines Menschen nicht so absichern, wie dies bei einem guten der Fall ist. So bedingt der Verlust des Geistes den Verlust des Körpers, das heißt, die Verlustangst der Psyche geht wiederum mit der Verlustangst des Körpers einher. Zusammenfassend kann man also sagen, dass eine physische und psychische Verlustangst existiert. Bei beiderlei Verlusten tritt die Urangst des Menschen vor dem Verlust an sich, also vor dem Tod ein. Um all dies zu vermeiden versucht ein Neurotiker seine Triebe zu unterdrücken, tauchen sie erneut wieder auf, erfährt er ein Gefühl der Angst. Doch nach all diesen hier erwähnten Tatsachen, frage ich mich, in welcher Weise ein Text diesen Kampf zwischen der Triebkraft und dem Ich provozieren kann. Freud geht, in Bezug auf den Sandmann, davon aus, dass Autoren phantastischer Texte ihre Triebimpulse nicht unterdrücken, sondern sublimieren. Sublimieren bedeutet dabei das unbewusste Umwandeln der Triebenergie in eine Aktivität mit psychisch verwandten, künstlerischen beispielsweise literarischen und unter anderem kreativen Zielen. So stellt der Produzent der Texte seine Triebe in „metaphorischen Bildern“ dar, verschlüsselt sie also somit. Beim Lesen des Textes entschlüsselt der Rezipient diesen „Code“ wieder und sieht sich somit mit seinen eigenen Trieben konfrontiert.

Vor diesem Hintergrund könnte man phantastische Literatur auch als Literatur über Tabuthemen bezeichnen und so gleichsam ihre Funktion herausstellen.

„Ein heuristisch ergiebiger Zugang zur literarischen Phantastik ergibt sich aus der These das Phantastische sei identisch mit dem Verdrängten oder sei dessen Ausdruck. […] Phantastische Literatur ließe sich charakterisieren als Verstoß gegen Tabus des Denkens und Redens und Redens, als Literatur der Tabuthemen. Die Themen Tod und Sexualität währen hier insbesondere zu nennen.“

(Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans. Sommersemester 2007:

Skript zur Vorlesung „Phantastische Literatur“.Skript zur Vorlesung 1.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Freud thematisiert zwar nicht selbst den Begriff des Phantastischen, doch knüpfen einige Theoretiker an seinen Grundsatz an, die explizit mit dem Phantastikbegriff operieren. Diese Tatsache birgt jedoch einige Probleme in sich:

„Weiß Freud indes durchaus noch klar zwischen der Perspektive des Psychoanalytikers und der des Literaturwissenschaftlers zu unterscheiden, wird in späteren Ansätzen bisweilen die Vermischung beider Kompetenzbereiche postuliert. Der Literaturhistoriker schlüpft […] in die Rolle des Psychoanalytikers, wenn er sich die Aufgabe zumißt, neurotisches Verhalten dargestellter Figuren aufzudecken, wobei dieses seinerseits auf eine Neurose des Autors zurückgeführt wird. Die Einseitigkeit einer Beschreibung, die sich pauschal an solchen Kriterien orientiert, liegt auf der Hand.“

(Cersowsky, Peter. 1983: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.

Kafka · Kubin · Meyrink. Wilhelm Fink Verlag: München.)

Im Kern geht es darum, wie Stekel einmal formulierte, dass zwischen einem Dichter und einem Neurotiker eigentlich gar kein Unterschied besteht. In diesem Sinne ist nach ihm nicht jeder Neurotiker ein Dichter, wohl aber jeder Dichter ein Neurotiker. Diese Sicht der Dinge wird jedoch stark kritisiert. So zum Beispiel von Horst Lederer, wenn er auf solche Thesen, wie sie Stekel formulierte, wie folgt reagiert:

[DiePsychoanalyse gehorche zwei Vorgaben:] Sie vermeint erstens, an phantastischen Geschichten den Verlauf einer Neurose ausmachen zu können. Zweitens untersucht sie in Anlehnung an die analytische Praxis nicht die Gattung, sondern mißdeutet phantastische Erzählungen als Psychopathographien ihrer Produzenten (Lederer: 180)

(Hartwich, Kai- Ulrich: Elemente der Kritik Psychoanalytischer Literaturinterpretation.

In: Schenkel, Elmar; Schwarz, Wolfgang F.; Stockinger, Ludwig; De Toro, Alfonso. 1998:

Die magische Schreibmaschine. Aufsätze zur Tradition des Phantastischen in der Literatur.

Vervuert Verlag: Frankfurt/Main.)

In Anlehnung an das Zitat von Lederer möchte ich einige Ideen im Zusammenhang grundsätzlicher Grenzen einer psychoanalytischen Textinterpretationen hinzufügen. Lederer kritisiert hauptsächlich die Gleichsetzung von Dichter und Neurotiker bei hier dargestellten Interpretationen. Dies sei zwar richtig, doch bin ich der Meinung, dass man in solcher Weise einen Text zu interpretieren auch Gefahr läuft, den Leser mit einem Neurotiker gleichzusetzen. Freud geht eben primär von der Angst des Rezipienten, nicht des Autors aus, die natürlich vorrausgesetzt werden muss, das heißt, in diesem Sinne steht nicht mehr der Dichter beispielsweise Autor im Mittelpunkt der Untersuchungen, sondern der Rezipient. Verfasst ein „neurotischer“ Autor nun einen Text und bringt seine Ängste in verfremdeter, vielleicht metaphorischer Form in diesen mit ein, ist es diese Form die den Leser mit seinen verdrängten Trieben konfrontiert und ihn in dieser Weise in Angst versetzt. In diesem Falle lässt sich der Rezipient als Neurotiker im Sinne der Definition von Neurotiker nach Freud interpretieren. Ich fasse zusammen, dass die Angst, die durch einen solchen Text entsteht einen Neurotiker voraussetzt und da die Angst zunächst als Merkmal phantastischer Texte gilt, kann man sagen, dass alle Rezipienten Neurotiker sind oder anders formuliert, müssten bei dem Konzept Freuds alle Rezipienten eine Neurose aufweisen, da das System sonst aufhören würde zu existieren, wobei man an dieser Stelle wiederum von einer Tautologie sprechen kann und selbst diejenigen, wie zum Beispiel Bonarparte, die sich wie folgt äußerte:

„[Wenn] Poe nicht die geniale Gabe besessen hätte, seine fürchterlichen Triebe in den Erzählungen zu sublimieren, sie gleichsam in den glänzenden Schleier des Ästhetischen einzuhüllen, so würde er vielleicht manches Jahr seines Lebens im Gefängnis oder Irrenhaus verbracht haben. (Bonaparte, Bd. 2: 7).“

(Hartwich, Kai- Ulrich: Elemente der Kritik Psychoanalytischer Literaturinterpretation.

In: Schenkel, Elmar; Schwarz, Wolfgang F.; Stockinger, Ludwig; De Toro, Alfonso. 1998:

Die magische Schreibmaschine. Aufsätze zur Tradition des Phantastischen in der Literatur.

Vervuert Verlag: Frankfurt/Main.)

als eine Neurotikerin darstellen könnte. In diesem Sinne währe nicht nur der Dichter, sondern alle Menschen Neurotiker. Die Frage ist jedoch ob man alle Neurosen einer Figur auch auf den Rezipienten übertragen kann. Selbst wenn jeder Mensch eine Neurose aufweisen würde, bleibt festzustellen, ob jeder die gleichen oder unterschiedliche Neurosen besitzt und ob eine Neurose bei verschiedenen Menschen eine unterschiedliche Ausprägung erfährt. In der Tat handelt es sich, hat man einen realen Leser im Auge, um ein Merkmal, das nur mit Hilfe der Psychologie fundiert beschrieben werden könnte. Doch kann man nicht die Psyche eines jeden Rezipienten untersuchen. Demnach halte ich die Psyche des Rezipienten im Sinne des hier vorgestellten Konzepts für nicht erreichbar und des weitern für so individuell, dass ich einer Verallgemeinerung der psychischen Vorgänge der Rezipienten nicht zustimmen kann. In gleicher Weise verhält es sich mit der Instanz des Produzenten. So möchte ich anfügen, dass es nicht beispielsweise mehr als schwer sein dürfte, Psychopathographien der Produzenten vorzunehmen, da auch das Wesen der künstlerischen Leistungen psychoanalytisch nicht zugänglich ist.

Im Allgemeinen muss also das Angstkonzept nach Freud, welches die Reaktion des Rezipienten anhand psychoanalytischer Interpretationen des Textes erklärt als widerlegt gelten.

Ich möchte mich jedoch nicht von den freudschen Überlegungen abwenden, denn in weiteren Thesen zur Angst beim Rezipienten demonstriert Freud, dass das Unheimliche nicht nur in der Bloßlegung infantiler Triebimpulse der einzelnen Figuren beruht, sondern auch in der anschaulichen Präsentation dieser. Und hier liegt das Potential von Freuds Theorie. Er ging davon aus, dass die Dinge, Situationen und Ereignisse, die im Sandmann so anschaulich geschildert werden, den Leser in gewisser Art und Weise in Angst versetzten. Jedoch kann man in seinen Erläuterungen keine genaue Erklärung für dieses Phänomen finden. In diesem Zusammenhang haben sich einige Theoretiker der Fantastikforschung mit diesem Thema auseinandergesetzt und versucht seine Überlegungen fortzuführen um das Rätsel der Angst in phantastischen Texten zu lüften. Dabei kam man zu dem Schluss, dass die Angst des Rezipienten in der Angst vor einer fremden Instanz des Textes begründet liegt.

Hier fällt auf, dass das der Ausgangspunkt des Angstkonzeptes nicht mehr in Untersuchungen textexterner Instanzen liegt, sondern in Instanzen des Textes selbst. Man bezog sich also nun auf Kriterien, die primär an die Darstellungsebene selbst gebunden sind.

3.2. Das Erklärungsmodell zur Wirkungskonstituente Angst, welches sich auf Kriterien bezieht, die primär an die Immanenz der Darstellungsebene gebunden sind – die Angst vor der fremden Instanz

Schaut man sich den Sandmann einmal genauer an, fällt auf, dass zum Beispiel die Puppe Olimpia kein „normales“ Mädchen ist, wie man es im Alltag zu Gesicht bekommt, sondern durch bestimmte, menschlich untypische Eigenschaften wie zum Beispiel den starren und tot zu schein seienden Augen, den steifen Gang, den eiskalten Händen und dem auf wenige Worte reduzierten Wortschatz „abnormal“ zu seien scheint.

„ Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar starr und tot. […] In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes und Steifes, das manchem unangenehm auffiel. […] Eiskalt war Olimpias Hand, er fühlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost. […] Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte kein Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leise erzwungenen Husten bezwingen- Kurz- Stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen. […] „Liebst du mich?“ So flüsterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: „Achach“ „Ja du mein holder herrlicher Liebesstern“ sprach Nathanael, „bist mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres immerdar!“ „Ach-ach“ replizierte Olimpia fortschreitend.“

(Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann. In: Hamburger Leseheft Nummer 174. Der Sandmann.

Das öde Haus, Untertitel: Nachtstücke. Hamburger Lesehefte Verlag: Husum/Nordsee.)

Die Figur der Olimpia stellt demzufolge nicht etwas Gewohntes, Vertrautes, sondern etwas Fremdes dar und der Leser scheint genau vor dieser Befremdlichkeit der Figur Angst zu haben. Es stellt sich hier jedoch die Frage, warum man diese Verstörung verspürt. Um dieses Prinzip begreifen zu können begebe ich mich ins 18. Jahrhundert, das Jahrhundert in dem die phantastische Literatur geboren wurde und versuche den Zusammenhang zwischen den zu untersuchenden Begriffen und der Zeit der Entstehung phantastischer Literatur herauszustellen.

Das hier angeführte Jahrhundert wird auch als Zeitalter der Lichter, im Französischen Siècle des Lumières, ins Spanische übersetzt siglo de la luces, bezeichnet. Im deutschen Sprachraum leitete man sich von dem französischen Begriff den Epochenbegriff Aufklärung ab. Er etablierte sich für die Zeit von 1740 und 1790.

Hier stellt sich die Frage, welcher Gedanke sich hinter dem Begriff Zeitalter der Lichter verbirgt. Die Professorin Monika Schmitz- Emans äußert sich zu diesem Thema wie folgt:

„Mit der Karriere dieses Begriffs ist ein Säkularisierungsprozeß verbunden.[…] „Erleuchtung“ ist nämlich zunächst gebräuchlich als Ausdruck für etwas, das dem Gläubigen zuteil wird; aus diesem Bereich dann wird die Erhellungsmetapher auf den Bereich säkularen Wissens übertragen. […] Entscheidend für die Aufklärung ist der Gedanke, der Verstand des Menschen selbst sei das Licht, welches die Welt erhelle und erkennbar werden lasse. Gegenüber der ursprünglich theologischen Bedeutung des Erleuchtungsgleichnisses verschiebt sich damit der Sinn der Lichtmetapher nachhaltig: Das Licht wahrheitsgemäßer Erkenntnis kommt nicht von „außen“ oder von „oben“ zu den Menschen, sondern es hat in ihnen selbst seinen Ursprung.

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 3. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Den Gedanken dieser Zeit kann man mit der einstigen Äußerung Kants auf einer Zeile zusammenfassen: Sapere aude!

Dieses Sprichwort fordert den Menschen auf, den Mut aufzubringen sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

In diesem Sinne sollten nun die Phänomene der Natur mittels des natürlichen Verstandes erfasst, scheinbar übernatürliche Zusammenhänge in ihrer Natürlichkeit erkundet und scheinbare Mysterien in rationale Funktionszusammenhängen aufgelöst werden. Vor diesem Hintergrund wird erkenntlich, dass

„[den] Gegenständen des Volksglaubens, des sogenannten Aberglaubens, den Dämonen, Gespenstern, Engeln, Teufeln, Natur- und Totengeistern der kollektiven Phantasie […] die Aufklärung skeptisch [gegenüberstand].

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 3. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Die Aufklärung versucht die Phänomene der Realität zu ordnen und so ein systematisches Wissen über sie zu erlangen, mit dem sie die Welt in ihrer Ganzheit begreifen kann. Dieses Bedürfnis nach systematischem Wissen geht also einher mit der kohärenten Ordnung der Dinge und gerade in ihr, so absurd es auch klingen mag, findet die Phantastik ihren Ursprung.

Die Phantastik konnte nur aus einem einzigen Grund entstehen: Die wissenschaftliche Auffassung setze eine rationale Ordnung der Dinge durch und der strenge Determinismus in Bezug auf Ursache und Folge wurde allgemein angenommen. So kam es dazu, dass jeder mehr oder weniger von der Unmöglichkeit des Übernatürlichen überzeugt war, das Übernatürliche wurde aus den Köpfen der Menschen einfach verdrängt und es wurde ihnen fremd, sie konnten diese Dinge nicht mehr begreifen. Werden in Texten nun außergewöhnliche Dinge, Situationen oder Ereignisse geschildert, die dieser Ordnung widersprechen, wird das Mysteriöse, das Ungewöhnliche in einer vertrauten, gewohnten Welt als Störung beispielsweise Skandalon empfunden. Roger Caillois, ein französischer Soziologe, Literaturkritiker und Philosoph, 1978 in Paris verstorben, war in diesem Sinne der Meinung, dass das Wunder nur Angst hervorruft, weil die Wissenschaft es verbannt hatte.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Phantastische nur entstehen konnte, da das neue Weltbild keine Wunder mehr zulässt und von einer strengen Kausalität bestimmt wird.

Auf dem gerade genannten Aspekt des Phantastischen als etwas der Weltordnung Widersprechendes beruht auch der Beschreibungsansatz des Genrebegriffes als Literatur über Fremdes, in den oben bereits eingeführt wurde. Nach diesem Erklärungsansatz handelt phantastische Literatur vom Einbruch des Fremden in eine zunächst vertraut geglaubte Welt, die durch diesen Einbruch an Vertrauen zu verlieren scheint.

„Etwas zu begreifen heißt, es sich anzueignen, in Eigenes zu verwandeln. Sobald etwas begriffen ist, wird es vertraut. Fremd ist die Welt dann, wenn sie nicht ´begriffen´, nicht mit Begriffen erfaßt ist. Dieses Befremden auf intellektueller Ebene kann als Kernthema und zugleich als Haupteffekt phantastischer Literatur gelten.“

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 2. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Man muss sich allerdings fragen, warum das Befremdliche gerade die Reaktion der Angst hervorruft. Ich gehe davon aus, dass der Mensch deshalb Angst vor fremden Dingen, Situationen und Ereignissen verspürt, da er sie nicht nur nicht begreift, sondern sie auch nicht durchschauen kann, das bedeutet, er weiß nicht, ob zum Beispiel ein fremdes Wesen böser oder guter Natur ist. So tritt er allem Fremden zunächst skeptisch und misstrauisch gegenüber. Die Angst liegt also darin begründet, dass man nicht ausschließen kann, dass das fremde Wesen mit dem Ziel auftaucht uns Schaden zuzufügen und uns damit in unserer Existenz zu gefährden. Schon bei Freuds Angstkonzept, lag die das Merkmal der Angst des Rezipienten in der Angst vor dem Verlust der eigenen Existenz begründet. Bei ihm gestaltete sich die Furcht vor dem Tod im Zusammenhang mit dem Verlust der Selbstkontrolle hin zur Kontrollübernahme des fremden Ichs. Bei dem nun vorliegenden Angstkonzept muss man jedoch davon ausgehen, dass die Angst des Menschen im möglichen Verlust der Selbstkontrolle hin zur Kontrollübernahme über das eigene Ich durch eine fremde Instanz begründet liegt. Die Angst gestaltet sich also nicht als Angst vor uns selbst, sondern als Angst vor dem fremden anderen. Hierbei ist es jedoch wichtig sich vor Augen zu führen, dass ein Rezipient beim Lesen eines Textes, indem etwas dem Menschen fremdes erscheint und von dem eine Gefahr ausgehen könnte, nicht wirklich von ihm bedroht ist. Dennoch versetzen sich die Leser durch die allgemeine Empathiefähigkeit des Menschen in die Situation hinein.

Im letzten Absatz wird erkenntlich, dass die zwei vorgestellten Angstkonzepte gewisse Parallelen aufweisen. In diesem Sinne bleibt festzuhalten, dass die freudsche These zwar auf der einen Seite im Hinblick einer psychoanalytischen Interpretation der Angst des Rezipienten und des Autors einige Probleme mit sich bringt, auf der anderen Seite jedoch wichtige Aspekte aufweist, die viele Theoretiker zu weiteren Überlegungen zum Forschungsgegenstand anregten oder noch immer anregen. So ist übergreifend zu sagen, dass sich zwar die Überlegungen vor dem Hintergrund der Phantastiktheorie von einem Konzept der Angst, die vom Menschen selbst ausgeht, hin zu einem Konzept der Angst bewegte, die von einer fremden Instanz ausgeht, die Vorraussetzung für das Entstehen eines Angstgefühls aber beide Konzepte in der Instanz des Fremden sehen, welche durch die Verbannung des einst Vertrauten in Wissenschaft beispielsweise Gesellschaft entstand. Des Weiteren stimmen die beiden Konzepte auch in Hinblick der Begründung der Angst an sich im Sinne des Kontrollverlustes überein. Und auch bezüglich der letztendlichen Definition von Angst als Angst vor dem Verlust der eigenen Existenz sind sie identisch. Zusammenfassend möchte ich nun einen kurzen Überblick, in Form eines Schemas, über die zwei Angstkonzepte geben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im letzten Abschnitt meiner Ausführungen habe ich den Prozess der Aufklärung und ihren Zusammenhang mit der Angst vor dem Fremden thematisiert. Ich frage mich allerdings, ob man wirklich in jedem Fall ein Angstgefühl gegenüber allem Fremden verspürt.

So möchte ich anfügen, dass man, vorrausgesetzt man glaubt nicht mehr an das Übernatürliche, vor ihm auch keine Angst entwickeln kann. Wie kann es also sein, dass zum einen das Übernatürliche im Prozess der Aufklärung als nicht real dargestellt wird, sich zum anderen aber die Menschen vor dem Unrealistischen fürchten. Roger Caillois war der Meinung:

„Nur wo man nicht mehr an die Magie glaubt, kann „Phantastik“ entstehen, aber sie kann auch nur entstehen, weil man sich dem Bann magisch- mystischer Vorstellungsmuster nie ganz entzogen hat.“

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 2. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Er bringt des Weiteren eine Anekdote um die zu ihrer Zeit berühmte Madame Deffand an. Auf die Frage, ob sie an Gespenster glaube, antwortete sie, dass sie es nicht tue, aber sie hätte trotzdem Angst vor ihnen. Es scheint also von enormer Wichtigkeit den Aspekt der Aufklärung, der das Fremde durch die Verbannung des einst Vertrauten um folgenden zu ergänzen:

„Die Aufklärung vertreibt […] das Übernatürliche, das Übersinnliche nicht – sie macht es zum Gegenstand der Auseinandersetzung, der Kritik, aber manchmal auch der Rechtfertigung. Bedeutend war das Bedürfnis nach systematischem Wissen.“

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 3. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Fest steht, dass man zwar die Welt versucht in ihrer Ganzheit zu begreifen, dies jedoch nicht möglich ist da die Natur mehr an Geheimnissen birgt, als die rationalistische Naturwissenschaft zu erfassen vermag. Diesem Aspekt des Unerklärlichen gab man zur Zeit der Wende zum 19. Jahrhundert den Begriff Nachtseite der Natur. In diesem Sinne kommt es zu einer Opposition der Begriffe Zeitalter des Lichtes und Nachtseite der Natur.

„Im Zeichen einer metaphorischen Verkopplung von Licht und Erkenntnis gilt die Welt der [sic] Tages seit der Antike als die Sphäre des klar Erkennbaren, weil gegeneinander Abgegrenzten und Geordneten, als Reich des sondernden und begrifflich ordnenden Verstandes. Die Nacht steht demgegenüber für das Ungeschiedene, Ungeordnete, Unverständliche bzw. für die dem Verstand antagonistischen Instanzen und Zustände. In der Selbstauslegung des neuzeitlich- abendländischen Denkens ist die Hell- Dunkel- Metaphorik von konstitutiver Bedeutung. Die Áufklärung´ […], deren Lichtmetaphorik subjektbezogen ist, versteht sich selbst als Erleuchtung des (noch) verdunkelten Intellekts, als Aufhellung dessen, was (bislang) im Dunkeln lag, mithin als progressiver Siegeszug der Licht- Welt – im Vertrauen auf die prinzipielle Allmacht der Ratio. […] Zur „Nachtseite der Naturwissenschaft“ gehören Gegenstände, die bisher von der Wissenschaft ignoriert wurden und zum Wunderglauben gerechnet wurden. Das Licht der Aufklärung ist demnach auf diese Gegenstände bislang nicht gefallen, darum liegen sie noch im Dunkel.“

(Prof. Dr. Schmitz- Emans, M.: Skript der 4. Veranstaltung

zur Vorlesung „Phantastische Literatur“ im SS 2007.

Auf: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/veranstaltungen/ss2007.html#1)

Hier wird deutlich, dass der Mensch auf der einen Seite angehalten wird sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nicht alles Unerklärliche als Wunder zu begreifen, ihm auf der anderen Seite aber auch keine rationale Erklärung für außergewöhnliche Phänomene gegeben wird. In diesem Sinne kann er das Unbekannte weder vollends als übernatürlich, noch als natürlich bezeichnen, es ist schlichtweg fremd und verunsichernd. Diese Verunsicherung entsteht dabei im Kampf zwischen der Ratio und mystischen Vorstellungsmustern.

[...]

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Phantastik. Der literaturwissenschaftliche Multipluralismus des Genrebegriffs "Phantastik"
Hochschule
Universität Leipzig  (Romanistik)
Veranstaltung
(Neo-)Phantastik in lateinamerikanischen Erzählungen
Note
1.0
Autor
Jahr
2008
Seiten
66
Katalognummer
V133057
ISBN (eBook)
9783640396009
ISBN (Buch)
9783640395545
Dateigröße
870 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturwissenschaft, Phantastik, Neophantastik, Fantastik, Neofantastik, Hispanistik, Uwe Durst, Todorov, Genre, Unheimliche, Märchen, Fabel, Horror, Freud, Kafka, Die Verwandlung, Poe, Systemsprung, Nichtsystem
Arbeit zitieren
Tina Hofmann (Autor:in), 2008, Phantastik. Der literaturwissenschaftliche Multipluralismus des Genrebegriffs "Phantastik", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133057

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