Religion - Historisch-kritische Exegese der Perikope Mk 8,22-26


Seminararbeit, 2008

45 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gliederung der Textstelle Mk 8,22-26

3. Literarkritik
3.1 Kontextabgrenzung
3.2 Untersuchung auf Inkohärenz
3.3 Synoptischer Vergleich

4. Linguistik
4.1 Sprachlich-syntaktische Analyse
4.2 Semantische Analyse
4.3 Narrative Analyse
4.4 Pragmatische Analyse

5. Formgeschichte
5.1 Analyse der Motive
5.2 Sitz im Leben

6. Traditionsgeschichte

7. Redaktions- und Kompositionskritik

8. Schluss

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

10. Anhang

1. Einleitung

„Ein Jude / eine Jüdin ist kein Jude / keine Jüdin, wenn er / sie nicht täglich mit einem Wunder rechnet.“[1] Dieser Satz zeigt, dass er sich den jüdischen Glauben nicht ohne Wunderglauben vorstellen kann, aber kann es überhaupt eine religiöse Grundeinstellung ohne Wunderglauben geben? Wunder beziehen sich auf Mächte außerhalb des menschlichen Handlungsbereichs, was jedoch nicht heißen soll, dass menschliche Planungen unnötig seien, sondern Wunder bieten Hoffnung für die Fälle, in denen sich Menschen machtlos fühlen und ihren Ängsten ausgesetzt sind.[2] Diese Hoffnungen haben jedoch alle Menschen und sind nicht von der Konfession abhängig. Von daher sollte der zu Beginn zitierte Satz nicht nur für Juden gelten, sondern für die gesamte Menschheit, denn Wunder sind Werke Gottes, die er dort vollbringen kann, wo Menschen dafür zugänglich sind.

Dass das auch der Fall ist, möchte ich anhand der Bibelstelle Mk 8,22 – 26 zeigen. Diese ist eine Wundergeschichte und handelt von Jesus, der nach Bethsaida kommt, dort auf einen Blinden trifft, den er durch Auflegen der Hände und Bespucken der Augen heilen kann und ihn daraufhin auffordert, nicht in das Dorf zu gehen. Mit einem Blick auf die Landkarte lässt sich erkennen, dass Bethsaida im Gebiet der Dekapolis liegt und die Heilung somit auf heidnischem Boden passiert. Dementsprechend ist das Zitat bereits entkräftet und weist auf den weit verbreiteten und konfessionsfreien Glauben an Wunder hin, denn es geht nicht allein um die Person, der geholfen wird, sondern es geht um die Verkündigung, die alle erreicht und somit ist die Deutung und der Symbolgehalt wichtig, der für jeden von Bedeutung ist.

In dieser Arbeit soll die Bibelstelle wissenschaftlich interpretieren werden, um die Umstände der Handlung zu verstehen und falsche Eindrücke, wie zum Beispiel das nur für Juden der Wunderglaube unerlässlich ist, ausräumen. Dafür werden die methodischen Schritte der historisch – kritischen Exegese genutzt, die als älteste Auslegungsart und als Basis für Interpretationen biblischer Texte gilt.

Historisch bedeutet dabei, dass der biblische Text auf seine geschichtliche Situation und die Entstehungsgeschichte hin untersucht wird. Es muss erarbeitet werden, was der Autor in seiner Zeit sagt und wie er es in der Situation, in der er lebt, meint. Dementsprechend wird die Situation des Textes und die des Autors in der Vergangenheit betrachtet. Kritisch bedeutet, dass das Historische mit Hilfe überprüfbarer Methoden erarbeitet wird und die gewonnenen Ergebnisse zur Diskussion dargestellt werden und Exegese meint allgemein, denn Sinn des Textes herauszuarbeiten. Zu den dafür vorgesehenen Methoden gehören die Literarkritik, die Linguistik, die Formgeschichte, die Traditionsgeschichte sowie die Redaktions- und Kompositionskritik, die wichtig sind, um den Text als Teil der damaligen historischen Kommunikationssituation zu erklären, zu rekonstruieren und somit eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text garantieren, um dessen ursprünglichen Sinn weitestgehend zu erfassen. Des Weiteren ist die Anwendung der Methoden auch notwendig, da der Text nur als isoliertes Material vorliegt und weitere Informationsquellen nicht existieren. Dennoch gehört er in ein gesamtes Kommunikationsmodell, so dass ich im Verlauf der Arbeit auch auf weitere Bibelstellen verweisen werde.[3]

Da nun wirkliche Beweise fehlen, gibt die folgende Exegese nur Hypothesen ab. Sie umfasst dennoch die wichtigsten Punkte in relativ objektiver Sicht und gilt daher als Basis, da sie den allgemeinen wissenschaftlichen Prinzipien der Freiheit und Kritik entspricht. Das heißt, dass Freiheit dadurch gewonnen wird, dass Kritik an etwas Vorgegebenen anhand unserer Kirchenlehre geübt werden kann und somit eine begründete und auch nachvollziehbare Wahrheit schafft.[4]

Es gibt noch zwölf weitere Auslegungsarten, wie zum Beispiel die feministische oder auch die tiefenpsychologische, die jedoch unterschiedliche Sichtweisen verstärkt thematisieren und in dieser Arbeit nicht weiter erläutert werden. Wichtig ist es jedoch zu wissen, dass noch weitere existieren, die historisch – kritische jedoch als erster Zugang für die Bibelstelle und als Basis aller anderen Verfahren gilt. Sie gibt ein besseres Verständnis von der Sinnhaftigkeit und lässt mich bei der Anwendung von der Oberfläche des Textes zu den Details vordringen,[5] wobei ich die bedeutenden dann im Rahmen der Schlussbetrachtung erneut aufgreifen und interpretieren werde, insofern sie Möglichkeiten diesbezüglich zulassen.

2. Gliederung der Textstelle Mk 8,22 – 26

a) Und sie kommen nach Bethsaida.

22 b) Und sie bringen ihm einen Blinden

22 c) und sie bitten ihn,

22 d) dass er ihn berühre.

a) Und ergreifend die Hand des Blinden,

23 b) hinausbrachte er ihn,

23 c) außerhalb des Dorfes,

23 d) und spuckend in seine Augen,

23 e) auflegend ihm die Hände,

23 f) befragte er ihn:

23 g) „Siehst du etwas?“

a) Und aufschauend sagte er:

24 b) Ich sehe die Menschen:

24 c) Wie Bäume sehe ich Umhergehende.

a) Dann legte er wieder

25 b) die Hände auf seine Augen

25 c) und er sah klar

25 d) und er wurde wiederhergestellt

25 e) und anschaute er alles genau.

a) Und er schickte ihn in sein Haus,

26 b) sagend:

26 c) „Aber geh nicht ins Dorf hinein!“

3. Literarkritik

In der Literarkritik geht es darum, die neutestamentlichen Texte auf Unstimmigkeiten hin zu untersuchen. Es wird nach der schriftlichen Vorgeschichte und dem historischen Wachstum des Textes gesucht, indem Textveränderungen beobachtet werden, die dadurch entstehen, dass verschiedene Texte kombiniert oder in verschiedenen Varianten überliefert wurden. Um das zu erzielen, lässt sich die literarische Arbeit in drei Schritte unterteilen.

Als erstes erfolgt die Kontextabgrenzung. Das heißt, dass der zu bearbeitende Text vom vorangehenden und nachfolgenden abgegrenzt wird, um die Eigenständigkeit der Perikope zu ermitteln. Die Abgrenzung des Textes vom Kontext erfolgt durch das Untersuchen von Veränderungen der Personen, des Ortes, der Zeit, der Gattung und des Inhalts.

Der zweite Schritt ist die Untersuchung auf Inkohärenz, die sich auf die innere Geschlossenheit und Stimmigkeit des Textes bezieht. Der Text wird also auf Kohärenz (Einheitlichkeit) überprüft, indem Inkohärenzkriterien angewendet werden. Dazu zählt das Feststellen von auffälligen Dopplungen und Wiederholungen, Widersprüche und Spannungen sowie Brüche im Satzbau und im Handlungsverlauf. Diese Ergebnisse zeigen, an welchen Stellen des Textes möglicherweise Ergänzungen oder Einfügungen stattgefunden haben.

Der dritte Schritt ist der synoptische Vergleich, bei dem der vorliegende Text mit Paralleltexten verglichen wird, um zu ermitteln, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede vorliegen und inwiefern die Evangelisten Texte eines anderen verarbeitet haben. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich zusätzlich feststellen, welche weiteren Quellen von den Evangelisten genutzt wurden und welchen sie besondere Beachtung geschenkt haben.[6],[7]

3.1 Kontextabgrenzung

Vergleicht man die Perikopen Mk 8,14-21, Mk 8,22-8,26 und Mk 8,27-30 miteinander, lässt sich zunächst ein Personenwechsel erkennen. In Mk 8,14 – 21 tritt Jesus mit seinen Jüngern auf. Diese werden zwar nur mit ‚sie’ bezeichnet, aber anhand des Inhalts und der vorausgehenden Perikopen, lässt sich erkennen, dass es sich dabei um Jesu Jünger handeln muss.

In Mk 8,22 – 26 steht das ‚sie’ in Vers 22a für die Menge, die ihm, also Jesus, den Blinden bringt, der die Menge in Vers 24b als Menschen bezeichnet. Also handelt diese Perikope von Jesus, dem Blinden, der nicht weiter charakterisiert wird und der Menge, die ebenfalls nicht genauer thematisiert wird. Während die Jünger gar nicht erwähnt werden, ist Jesus in Mk 8,27 – 30 wieder mit ihnen zusammen. Nach meiner vorliegenden Übersetzung werden sie als Schüler Jesu bezeichnet, wobei Petrus namentlich erwähnt wird, als er eine Frage Jesu beantwortet und das zeigt, dass die Schüler seine Jünger sind, denn Petrus ist einer von ihnen und außerdem ist in anderen Übersetzungen von den Jüngern die Rede.

Zudem ist auch ein Ortswechsel zu erkennen. In Mk 8,14 – 21 liegt keine genaue Ortsbeschreibung vor, aber anhand des Wortes Boot in Vers 14 und dem Inhalt wird deutlich, dass es sich um ein Geschehen während einer Bootsfahrt handelt. Schaut man auf die Landkarte, könnte es sich möglicherweise um den See Gennesaret im Gebiet von Dalmanuta handeln, weil dort Jesus mit seinen Jüngern nach der Speisung der Viertausend in das Boot steigt und in der darauf folgenden Perikope am Ende gesagt wird, dass sie zum anderen Ufer fahren.[8] Diese Überfahrt könnte Mk 8,14 – 21 sein, denn in Mk 8,22 – 26 erreichen sie das Dorf Bethsaida am Nordufer des Sees wobei die Geschichte voraussetzt, dass Bethsaida eher eine Stadt ist und kein Dorf[9] und das Boot immer wieder einzelne Geschichten im Verlauf des Evangeliums miteinander verbindet.[10]

In Mk 8,27 – 30 ist ein Ortswechsel deutlich erwähnt. Jesus verlässt mit seinen Jüngern Bethsaida und geht nach Norden in die Dörfer von Kaisareia Philippi, „das vom Tetrarchen Philippos zur Stadt umgeschaffene und zu Ehren des Augustus in >> die Kaiserlich << umbenannte alte Panion bzw. Paneas, am Fuß des Hermon an den Jordanquellen.“[11] Zu beachten ist jedoch, dass Jesus nicht direkt in die Stadt geht, sondern in den Dörfern bleibt, die lediglich zu der Stadt gehören.[12]

Einen Zeitwechsel in den Perikopen zu erkennen, ist nicht so einfach und eindeutig, da keine genauen Angaben gemacht werden. Es kann dazu jedoch gesagt werden, dass Mk 8,14 – 21 ein Lehrgespräch während einer Bootsfahrt ist und die darauf folgende Heilung in Bethsaida sofort passiert, als Jesus auf der Durchreise ist. Auch das Gespräch in Mk 8,27 – 30 passiert sofort auf dem Weg nach Kaisareia. Anhand dieser Beschreibung erscheint der Ortswechsel vorerst als schlüssig, da nach der Bootsfahrt Halt in Bethsaida gemacht wird und dann der Weg in den Norden nach Kaisareia angetreten wird. Allerdings muss die Entfernung zwischen Bethsaida und Kaisareia Phillipi beachtet werden. Diesen Weg legt Jesus mit seinen Jüngern zu Fuß zurück und von daher muss ein Wechsel der Zeit vorliegen, da anzunehmen ist, dass diese Strecke einige Zeit in Anspruch nimmt.

Weiterhin ist ein Gattungswechsel zwischen der 1. und der 2. sowie der 2. und 3. zu bearbeitenden Perikope zu verzeichnen. In Mk 8,14-21 handelt es ich um ein Lehrgespräch Jesu mit den Jüngern und in Mk 8,22-26 um eine Wundergeschichte. Es ist eine Wunderheilung beziehungsweise eine Therapie eines Blinden. Darauf folgt in Mk 8,27-30 wieder ein Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern. Dementsprechend handeln die vorausgehende und die nachfolgende Perikope allgemein von einem Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern. Unabhängig von dem Inhalt findet also ein Gattungswechsel nur in Mk 8,22 – 26 statt.

Der Inhalt der zu vergleichenden Textstellen ist sehr unterschiedlich, vor allem die Thematik der beiden Gespräche. Das Gespräch in Mk 8,14 – 21 zeigt das Unverständnis der Jünger, weil sie sich sorgen wegen des Brotmangels machen und Jesus sie daraufhin zurechtweist und sagt „Was überlegt ihr, dass Brote ihr nicht habt? Noch nicht begreift ihr und nicht versteht ihr? Habt ihr verstockt euer Herz?“[13] Daran wird deutlich, dass Markus zeigt, dass die Jünger gar nicht verstanden haben, was bei der Speisung der Vielen passiert ist. Somit enthält dieses Gespräch eindeutig Vorwürfe Jesu gegenüber den Jüngern.[14] Mk 8,22 – 26 erzählt von einer typischen Wundergeschichte. Es handelt sich um eine Heilung eines Blinden in heidnischem Gebiet und somit um eine Heidenmission.

Das darauf folgende Gespräch in Mk 8,27 – 30 thematisiert die Jüngerbefragung und das Petrusbekenntnis, denn zu Beginn stellt Jesus seinen Jüngern die Frage, wofür ihn die Leute halten. Als sie mit dem Bekannten antworten, fragt Jesus die Jünger direkt, was sie von ihm halten. Petrus antwortet als Sprecher der Gruppe, dass sie ihn als Christus ansehen. Daraufhin ordnet Jesus an, dass sie nichts davon erzählen sollen. Somit ist das Messiasgeheimnis der Kern der Szene und muss zentrale Bedeutung haben.[15] Anhand dessen wird der Handlungswechsel der drei Perikopen sehr deutlich, da zuerst Vorwürfe, anschließend eine Wunderheilung und dann das Messiasgeheimnis thematisiert werden.

Aufgrund der feststellbaren Wechsel lässt sich erkennen, dass Mk 8,22 – 26 als eigenständige Perikope angesehen werden kann, so haben beispielsweise die Personen sowie der Inhalt keinerlei Gemeinsamkeiten zu den anderen Textstellen. Allerdings passt der Ortswechsel logisch zusammen. Wenn man auf die Karte schaut erkennt man, dass der Weg eindeutig von Süden nach Norden verläuft.

Schaut man sich nun noch den Aufbau des Markusevangeliums an, kann man feststellen, dass die zu analysierende Textstelle das letzte Unterkapitel des ersten Hauptteils des Evangeliums ist, welches das Vollmächtige Wirken Jesu thematisiert. Darauf folgt der zweite Teil, die Passion des Gottessohnes, die vor allem ab Mk 8,31 deutlich wird.[16] Somit kann Mk 8,22- 26 als letzte Wunderheilung Jesu und eigenständige Perikope angesehen werden.

3.2 Untersuchung auf Inkohärenz

Beim Lesen der Perikope fallen zunächst einige Dopplungen und Wiederholungen auf. So werden viele Verse mit dem Wort ‚und’ begonnen und Begriffe wie Blinder und Hand / Hände werden mehrfach genannt. Des Weiteren erfolgt in Vers 23e das Auflegen der Hände und nochmals in Vers 25a,b. Dieser ungewohnte wiederholende Heilungsvorgang möchte möglicherweise „[…] die Schwierigkeit der Heilung und die Größe des Wunders schildern.“[17] Auch das Geheimhaltungsgebot, das in Vers 26c erwähnt wird, taucht mehrmals im Markusevangelium auf, nämlich in 1,34.44; 3,12; 5.43; 7,36 und 9,9.

Die Textstelle weist auch deutliche Spannungen auf, so passiert die Heilung außerhalb des Dorfes, da Jesus den Blinden von der Menge wegführt, aber nach dem Handauflegen sieht der Blinde plötzlich Menschen, obwohl sie ja eigentlich allein sein müssten. Weiterhin schickt Jesus den Geheilten in Vers 26a nach Hause, sagt jedoch, dass er nicht in das Dorf zurückgehen solle, wobei der Leser jedoch denkt, dass sein Haus im Dorf ist, da die Menge Jesus dem Blinden bringt, als er direkt in Bethsaida ankommt.[18]

Weiterhin sind auch Brüche im Satzbau und im Handlungsverlauf zu verzeichnen. So klingt Vers 22 wie eine Anfügung, die als Überleitung von der vorherigen Perikope und Einleitung der Handlung dienen könnte. Ebenso scheint Vers 26b und c angefügt worden zu sein, weil hier dem ehemals Blinden das Schweigegebot aufgelegt wird, was ein Hinweis auf markinische Redaktion sein könnte. Als ungewöhnlich erscheinen auch die Satzbauweisen in Vers 23b und e, die den Lesefluss stören, denn normalerweise würden die Sätze lauten: …brachte er ihn hinaus… und …legte ihm die Hände auf… . Außerdem tritt die Menge in Vers 22b unvermittelt auf, was nicht zum Handlungsverlauf passt und von den Jüngern, die mit Jesus in Bethsaida ankommen, wird im Verlauf gar nichts mehr gesagt.

Als störend im Kontext erweist sich der Wechsel zwischen den Zeitformen Präsens und Imperfekt. Vor allem in V 22 wird das deutlich, der somit auf markinische Redaktion zurückführbar wäre. Hier wird im Präsens geschrieben und im Folgenden wird das Geschehen, abgesehen von der wörtlichen Rede im Imperfekt geschildert. Außerdem folgt auch ein Wechsel zwischen Vollverben und Partizipien. Als inhaltlicher Widerspruch kann zum einen wie bereits erwähnt gelten, dass Jesus den Blinden in sein Haus schickt, er jedoch nicht in das Dorf gehen soll sowie die Tatsache, dass Bethsaida eine Stadt ist, im Verlauf jedoch von einem Dorf gesprochen wird, in der die Heilung vollzogen wird.

Als Fazit lässt sich nun anhand der festgestellten Inkohärenzen erkennen, dass Mk 8,22-26 aus unterschiedlichen Quellen entstanden sein muss. Vor allem die Verse 22a -c und 26 b, c scheinen nichts mit der eigentlichen Wundererzählung zu tun zu haben[19], sodass diese Hinweise auf markinische Redaktion zurückzuführen sind und im Folgenden erarbeitet werden muss, welche Verse als Tradition gelten, also als Geschehnisse, die dem Evangelisten vorgelegen haben und an welchen Stellen Überarbeitungen vorgenommen worden sind.

3.3 Synoptischer Vergleich

Der synoptische Vergleich erfolgt mit der Perikope Mt 15,29-31, die als Teil des Wundersummariums im Matthäusevangelium gilt.

Auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie, die im 18. Jahrhundert durch quellenkritische Erforschung des Neuen Testaments entwickelt worden ist, gilt Markus als das älteste der drei synoptischen Evangelien Markus, Matthäus und Lukas.[20] Somit hat das Markusevangelium dem Verfasser des Matthäusevangeliums wahrscheinlich als Quelle gedient. Anhand dieser Erkenntnis kann man Mt 15,29-31 als stark veränderte und verkürzte Variante von Mk 8,22-26 ansehen. Ebenso aber auch von Mk 7,31-37, denn beide Wundergeschichten sind strukturell und inhaltlich miteinander verwandt, denn in Mk 8,22 – 26 werden einem Blinden die Augen geöffnet und in Mk 7,31-37 einem Tauben die Ohren.[21] Im Folgenden soll es jedoch um den Vergleich von Mt 15,29-31 und Mk 8,22-26 gehen.

Zunächst ist zu den Gemeinsamkeiten der Perikopen zu sagen, dass jeweils der erste Vers, also Vers 29f bei Matthäus und Vers 22a bei Markus mit ‚und’ anfangen. Inhaltlich ergeben sich ebenfalls Parallelen, so beginnen beide mit einer Reisebewegung Jesu, sowie der Tatsache, dass die Volksmenge die Kranken zu Jesus bringt. Außerdem kommt bei Matthäus unter anderen Kranken auch ein Blinder vor, der, wie auch bei Markus nach der Begegnung mit Jesus wieder sehen kann.

Trotzdem sind auch einige Unterschiede zu verzeichnen. So ersetzt Matthäus die genaue Ortsangabe Bethsaida bei Markus durch „von dort“, was darauf hinweisen könnte, dass die Heilung Jesu im Matthäusevangelium nicht auf heidnischem Boden passiert. Außerdem findet in Matthäus ein Lobpreis Gottes durch die Volksmenge statt und bei Markus hingegen soll die Menge nichts davon mitbekommen. Diesbezüglich ist zu erwähnen, dass Matthäus direkt von der Volksmenge spricht, Markus hingegen nur von ‚sie’, wobei ich in vorherigen Schritten bereits erwähnt habe, dass es sich dabei um die Menge handeln wird. Weiterhin treten bei Matthäus verschiedene Kranke auf, wie zum Beispiel Lahme, Blinde, Krüppel und Taubstumme, denen Jesus allen helfen kann. Bei Markus dagegen wird nur ein Blinder geheilt, wobei der Augenöffnung des Blinden symbolische Bedeutung zukommt und auf alle Menschen übertragbar ist. Sie steht stellvertretend für die Begegnung mit Jesus, wobei die Öffnung bei denen geschieht, denen es Gott durch Jesus und anhand ihres eigenen Glaubens ermöglicht.[22]

[...]


[1] Zitiert nach Rapp, Ursula: Das Wunder ist nur im Lob zu sagen. Versuche zur Wunderrede im Buch, in: Pichler Josef / Heil, Christoph (Hrsg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, S.41.

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. Fenske,Wolfgang: Arbeitsbuch, S.17.

[4] Vgl. Lührmann, Dieter: Auslegung, S.22.

[5] Vgl. Berg, Horst Klaus: Feuer, S.40.

[6] Vgl. Fenske, Wolfgang: Arbeitsbuch, S.27ff. / S.177ff.

[7] Vgl. Berg, Horst Klaus: Feuer, S.49.

[8] Vgl. Die Bibel: Einheitsübersetzung, Mk 8,1 – 10 Vers 10 und Mk 8,11 – 13 Vers 13.

[9] Vgl. Gnilka, Joachim: Markus (Bd. II/1), S. 313.

[10] Vgl. Lührmann, Dieter: Markus – Evangelium, S.139.

[11] Gnilka, Joachim: Markus (Bd. II/2), S.14.

[12] Vgl. Gnilka, Joachim: Markus (Bd. II/2), S.14.

[13] Mk 8,14 – 21: Vers 17 (nach der Übersetzung von M. Fresta).

[14] Vgl. Kertelge, Karl: Markusevangelium, S.81.

[15] Vgl. Lührmann, Dieter: Markus – Evangelium, S.143.

[16] Vgl. Niebuhr, Karl – Wilhelm: Einführung, S.99.

[17] Schweizer, Eduard: Markus, S.87.

[18] Vgl. Lührmann, Dieter: Markus – Evangelium, S.140.

[19] Vgl. Schweizer, Eduard: Markus, S.87.

[20] Vgl. Berg, Horst Klaus: Feuer, S.51.

[21] Vgl. Gnilka, Joachim: Markus (Bd. II/1), S.312.

[22] Vgl. Kertelge, Karl: Markusevangelium, S.83.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Religion - Historisch-kritische Exegese der Perikope Mk 8,22-26
Hochschule
Universität Paderborn
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
45
Katalognummer
V144082
ISBN (eBook)
9783640530571
ISBN (Buch)
9783640530878
Dateigröße
857 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Religion, Historisch-kritische, Exegese, Perikope
Arbeit zitieren
Jennifer Nienhaus (Autor:in), 2008, Religion - Historisch-kritische Exegese der Perikope Mk 8,22-26, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144082

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