Heinrich IV. und der Bußgang nach Canossa. Anstoß für eine Neubestimmung des Verhältnisses der Universalgewalten


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Konflikt zwischen Regnum und Sacerdotium
2.1. Vorzeichen des Investiturstreites
2.2. Erste Konfrontation zwischen Kaiser und Papsttum
2.3. Die Eskalation der Jahre 1076/77
2.4. Der Gang nach Canossa nach Lampert von Hersfeld

3. Bewertung des Bußrituals von Canossa
3.1. Rituelle Bedeutung des Bußaktes
3.2. Canossa und seine Folgen

4. Abschlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis
5.1. Quellen
5.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Nur wenige Ereignisse in der Geschichte des Mittelalters sind so deutlich in Erinnerung geblieben wie der Bußgang König Heinrichs IV. im Januar 1077 zur norditalienischen Burg Canossa am Rande des Apennins. Die Diskussion über diesen oft als Wendepunkt aufgefassten Geschehen setzt sich bis in die heutige Zeit fort. Untrennbar ist der ‚Gang nach Canossa’ mit den lang andauernden Konflikt zwischen König- und Papsttum, welcher sich im Investiturstreit ausdrückte, verbunden. Eine grundlegende Analyse des Hergangs dieses Bußganges setzt daher eine Einordnung desselben in diese Auseinandersetzung vor- aus.

Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird es sein, ein tiefergehendes Verständnis der Vorgän- ge im Januar 1077 zu ermöglichen, welche den Anstoß für eine Neubestimmung des Ver- hältnisses der Universalgewalten gaben. Zu diesem Zwecke sollen die Grundlagen der Entwicklung von der Entstehung des Investiturstreites über die ersten Konflikte zwischen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. bis hin zur totalen Eskalation 1076/77 kurz dar- gestellt und analysiert werden. Aufgrund des begrenzten Umfanges dieser Arbeit ist es jedoch notwendig, die wissenschaftliche Analyse auf den Bußgang zu konzentrieren. Dies soll im Folgenden an einer Interpretation der genauen Beschreibungen des Ganges in den historischen Quellen erfolgen, welche sich in den Berichten des Mönches Lampert von Hersfeld besonders gut ablesen lassen.

Zudem soll der rituelle Charakter des Bußganges einer näheren Betrachtung unterzogen und mit zu diesem Zeitpunkt üblichen Formen der Konfliktbewältigung verglichen werden. Eine weitere elementare Aufgabe dieser Analyse wird es zudem sein, die Folgen des Investiturstreites herauszuarbeiten. Hier wird es insbesondere von Belang sein, welche Auswirkungen der Gang nach Canossa auf das sakrale Königtum gehabt hat, ob Canossa als Triumph des Königs oder des Papstes zu werten ist und inwieweit die Konsequenzen zur damaligen Zeit absehbar waren. Über diese verschiedenen Stufen der Untersuchung wird eine Einschätzung darüber gewonnen werden, ob die Ereignisse des Jahres 1077 wirklich als Wendepunkt aufgefasst werden können oder inwieweit diese nur einen Teilaspekt der E- manzipation der Kirche von der weltlichen Gewalt darstellen.

In einem letzten Schritt werden die innerhalb der Abhandlung gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse abschließend zusammengetragen und in der Folge einer kurzen Betrachtung unterzogen.

2. Der Konflikt zwischen Regnum und Sacerdotium

2.1. Vorzeichen des Investiturstreites

Grundlage und Auslöser, wenn auch nicht Hauptstreitpunkt, von Canossa bildete der sich im 11. Jahrhundert entwickelnde Investiturstreit. Bei einer Investitur handelte es sich um ein Akt zur Einführung in eine Nutzungsherrschaft, welcher aus weltlicher Tradition her- aus den Eingang in das Kirchenrecht gefunden hatte. Hier war er bei der Übertragung von verschiedenen kirchlichen Ämtern der niederen Kirchen, aber auch auf der Ebene der Diö- zese gebräuchlich.1 In letzterer wurde mit der Übergabe von Ring und Stab ein Bischof in sein weltliches und geistliches Amt eingesetzt. Hierin fand das sakrale Königtum seinen besonderen Ausdruck, welches den König als „Stellvertreter des himmlischen Königs“ verstand.2

Fundament dieser theokratischen Legitimation der Königsherrschaft bildete die sogenannte Zwei-Schwerter-Theorie. Diese beinhaltete eine gleichberechtigte Stellung der weltlichen und geistlichen Macht, welche sich in König bzw. Papst manifestierte.3 Aber gerade jene Theorie war durch die Herrschaftspraxis Heinrichs III. in gewisser Weise geschwächt wor- den. Zum einen hatte dieser im Geiste seiner Vorgänger das Ziel verfolgt seinen Einfluss auf die Personalentscheidungen für Diözesen und Abteilen zu verfestigen, was ihm zumin- dest im deutschen Reichsteil auch in einem gewissen Rahmen gelungen war.4 Zum anderen beendete er auf der Synode von Sutri das Schisma der Kirche durch die Absetzung der schismatischen Päpste und erreichte die Einsetzung eines neuen Kirchenoberhauptes. Auch wenn dies sicherlich mit der Beendigung des Schismas in gewisser Weise dem Wohle der Kirche diente, führte es doch zu einer faktischen Aufwertung der weltlichen gegenüber der geistlichen Gewalt.

Zudem bot die in vielen europäischen Ländern übliche, dem kanonischen Recht jedoch entgegenstehende, Praxis des starken Einflusses von „weltlichen Herrschaftsträgern“ auf die Besetzung von kirchlichen Ämtern grundsätzlich einen Ansatzpunkt für Kritik.

Dieser Entwicklung lief eine kirchliche Reformbewegung, welche das weit verbreitete Verlangen nach kirchlicher Erneuerung verinnerlicht hatte, diametral entgegen. Jene Er- neuerungsbewegung, die einen ihrer Ausgangspunkte in der südfranzösischen Abtei Cluny fand, beschwor eine fundamentale religiöse Neubesinnung. Sie suchte zunächst „die Le- bensführung in geistlichen Gemeinschaften zu verbessern und die besondere Bedeutung der sakralen Heilsvermittlung herauszustellen“. Konfliktpunkte mit der bestehenden kirch- lichen Realität fanden sich daher in der oftmals praktizierten Priesterehe (Nikolaitismus) und der Käuflichkeit geistlicher Ämter (Simonie). Grundsätzlich ergaben sich jedoch auch Bestrebungen den Einflusses der Laien innerhalb der Kirche zugunsten der Kleriker zu- rückzudrängen.5

Spätestens unter Papst Leo IX. fanden diese Ansätze der Modernisierung Eingang in die Politik der Kurie. Jener betrieb eine Neuordnung des Papsttums, welche mit einer Umor- ganisation der Kurie aber auch mit einem Ausbau des päpstlichen Primats verbunden war. Zudem setzte sich Papst Leo IX. verstärkt für eine Stärkung des Prinzips ‚electio canonica’ ein (Synode von Reims 1049).6 Diese Entwicklung verstärkte sich in der Folgezeit und mündete u.a. in der Papstwahlverordnung von 1059 und einem Investiturverbot, zumindest im niederkirchlichen Bereich.7 Zudem begann sich die Kurie verstärkt vom Einfluss des römischen Adels, der sie so lange geprägt hatte, zu emanzipieren und es wurde die Funkti- on des Papstes als Bischof von Rom zugunsten des Verständnisses der Leitung der gesam- ten Kirche zurückgedrängt.

2.2.Erste Konfrontation zwischen Kaiser und Papsttum

Durch die beschriebene kirchliche Erneuerungsbewegung und das sich entwickelnde Re- formpapsttum ergaben sich zahlreiche Konfliktpunkte mit der salischen Monarchie. Die Ansätze der Kirchenreform zielten insbesondere im Bereich der Investitur auf Grundpfeiler der Herrschaft des deutschen Königs (Kaiser). Geistliche Autoritäten übernahmen vielfach weltliche Verwaltungsaufgaben und wurden aufgrund ihres Fachwissens sowie der vom Zölibat verursachten Nichtvererbbarkeit ihrer weltlichen Ämter bevorzugt eingesetzt.8

In der Zeit König Heinrichs IV. konnten sich Reformgedanken jedoch zunächst sogar bis in das deutsche Episkopat verbreiten. Streitschlichtungen oder -entscheidungen wurden immer öfter von der Kurie und nicht mehr vom Königtum vorgenommen. Dies ist mit den Schwierigkeiten der Regentschaft und der noch schwachen Autorität des jungen Königs zu erklären9, verschärfte aber sicherlich die Gegensätze. Eine Konfrontation wurde auch noch dadurch gefördert, dass König Heinrich IV. im Gegensatz zu seinem Vater kaum Kontakte zu Kirchenreformern unterhielt.10 So suchte Papst Alexander II. (1061-73) dem königli- chen Einsetzungsrecht entgegenzuwirken und bezog im Mailänder Kirchenstreit Stellung. Hier hatte sich ein langwieriger Bürgerkrieg um die Herrschaft in der Stadt entwickelt, welcher auch den Bischofssitz mit einbezog. Der Papst stellte sich auf die Seite einer „Re- ligiös inspirierten Volksbewegung“ (Pataria) und verlangte vom Kaiser die faktische Inves- titur deren Kandidaten für den Stuhl des Erzbischofs. Als König Heinrich IV. auf seinem eigenen Kandidaten bestand wurden mehrere königliche Ratgeber im Jahre 1073 mit dem Bann belegt.11 Dies war sicherlich als Warnung an das Königtum zu verstehen.

Die Tendenz dieser Jahre verschärfte sich noch unter dem Nachfolger Alexanders. Am 22. April 1073 war bei der Beerdigung des Papstes der Archidiakon Hildebrand unter tumultartigen Umständen vom Volk zum neuen Pontifex ausgerufen. Dieser Kleriker stand in der Tradition des Reformpapsttums und hatte dessen Entwicklung unter seinen Vorgängen aus verschiedenen Kirchenämtern heraus maßgeblich beeinflusst.12

Die Wahl stand jedoch weder im Einklang mit dem Papstwahldekret, noch war sie dem Königshof angezeigt worden. Der Grund hierfür ist zum einen im andauernden Umgang des Königs mit seinen exkommunizierten Räten13, zum anderen aber sicherlich auch im Selbstverständnis des neuen Papstes zu suchen. Diesem schien die königliche Mitwirkung irrelevant14, denn er stellte das Primat des Papsttums und den absoluten Gehorsam gegen- über diesem allem voran. Am deutlichsten ist dies in den 27 Leitsätzen des Dictatus papae vom März 1075 erkennbar, im dem er seine Vorstellungen über die Suprematie des römi- schen Bischofs niederlegte und die Nichtjudizierbarkeit des Papstes durch klerikale oder weltliche Kräfte betonte.15 Mit diesen Vorstellungen konnte er in den verschiedenen, oft sehr selbstständigen Episkopaten mit nur wenig Gegenliebe rechnen. Auf dem Grundsatz dieser Überlegungen führte er in der Folge den Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus, dessen Handhabung jedoch von vielen kirchlichen Würdenträgern als ungerecht ausgelegt wurde.16

Im Verhältnis zu König Heinrich IV. zeichnete sich nach kurzem jedoch eine Entspannung ab. Hierzu hat maßgeblich ein Brief Heinrichs aus dem Spätsommer 1073 beigetragen. In diesem bezichtigte sich der weltliche Herrscher selbst der Simonie und gelobte Besserung sowie eine versöhnliche Zusammenarbeit, insbesondere im Kirchenstreit zu Mailand.

Die versöhnlichen Worte werden von der Warte der heutigen Zeit in der Regel als takti- sches Manöver erklärt, da sich Heinrich IV. einer möglichen Koalition der wiedererstark- ten norddeutschen Opposition mit dem Papsttum gegenübersah. Seine Handlungsweise änderte der König jedoch in der Zukunft nicht grundsätzlich.17 Gregor hingegen war offen- sichtlich an einer guten Zusammenarbeit mit dem Königtum zur Verbesserung der damali- gen Zustände interessiert und schöpfte aus dem Brief neues Vertrauen und beließ es bei Ermahnungen. Die am Horizont sichtbar werdende Schiedsrichterfunktion des Papstes auch in weltlichen Fragen scheint ein zusätzliches Motiv gewesen zu sein.18 Der Papst ging sogar soweit, dass er dem König die Aufsicht über die gesamte Kirche anvertrauen wollte, während er auf einem geplantem Kreuzzug weilte, der zu jener Zeit angedacht war.19

2.3. Die Eskalation der Jahre 1076/77

Anfang des Jahres 1076 änderte sich jedoch die Situation und der Investiturstreit weitete sich zu einem grundsätzlichen Konflikt um die Freiheit der Kirche von königlicher Gewalt aus. König Heinrich hatte in Reaktion auf lokale Mailänder Ereignisse abermals einen neu- en Erzbischof in der Stadt eingesetzt und besetzte zudem noch die Bistümer von Fermo und Spoleto.20 Der Papst antwortet auf diese faktische Herausforderung mit einer scharfen Abmahnung an Heinrich, in die er wiederum seine Vorstellung von Gehorsam gegenüber der Kirche integrierte.

[...]


1 Vgl. Lexikon des Mittelalters, S. 587.

2 Vgl. Weinfurter, Stefan: Canossa, S.173f.

3 Vgl. Boshof, Egon: Die Salier, S. 224f.

4 Vgl. Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, S. 12ff.

5 Vgl. A.a.O., S. 9.

6 Vgl. Weinfurter, Stefan: Canossa, S. 78ff.

7 Vgl. Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, S. 28.

8 Vgl. Zimmermann, Harald: Das Papsttum im Mittelalter, S. 110.

9 Vgl. Schieffer, Rudolf: Das Reformpapsttum seit 1046, In: Canossa 1077, S. 107.

10 Vgl. Weinfurter, Stefan: Herrschaft und Macht der Salier, S. 126.

11 Vgl. Schieffer, Rudolf: Das Reformpapsttum seit 1046, In: Canossa 1077, S. 107.

12 Vgl. Boshof, Egon: Die Salier, S. 207f.

13 Vgl. Goez, Werner: Kirchenreform und Investiturstreit 910-1122, S. 120.

14 Vgl. Zimmermann, Harald: Das Papsttum im Mittelalter, S. 114.

15 Vgl. Laudage, Johannes: Gregorianische Reform und Investiturstreit, S. 96.

16 Vgl. Goez, Werner: Kirchenreform und Investiturstreit 910-1122, S. 120.

17 Vgl. Althoff, Gerd: Heinrich IV., S. 122.

18 Vgl. A.a.O., S. 121f.

19 Vgl. A.a.O., S. 123.

20 Vgl. Schieffer, Rudolf: Das Reformpapsttum seit 1046, In: Canossa 1077, S. 108.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Heinrich IV. und der Bußgang nach Canossa. Anstoß für eine Neubestimmung des Verhältnisses der Universalgewalten
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster  (Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V144162
ISBN (eBook)
9783640533800
ISBN (Buch)
9783640533992
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich IV., Gregor VII., Investiturstreit, Canossa, 1077
Arbeit zitieren
Christian Prahl (Autor:in), 2006, Heinrich IV. und der Bußgang nach Canossa. Anstoß für eine Neubestimmung des Verhältnisses der Universalgewalten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144162

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