Betriebliche Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer


Bachelorarbeit, 2009

78 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Zunahme der Bedeutung älterer Arbeitnehmer
2.1 Altersstrukturentwicklung auf dem Arbeitsmarkt
2.2 Erwerbsquoten älterer Arbeitnehmer

3 Berufliche Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand älterer Arbeitnehmer
3.1 Kompetenzmodell ersetzt Defizitmodell
3.2 Vergleich des Leistungspotentials von Alt und Jung
3.3 Arbeitsunfähigkeitsanalysen
3.4 Physische und psychosoziale Risikofaktoren für ältere Arbeitnehmer

4 Die Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
4.1 Was ist Betriebliche Gesundheitsförderung?
4.2 Das salutogenetische Modell von Antonovsky
4.3 Wirkungen von gesundheitsfördernden Maßnahmen

5 Vorgehensweisen für die Durchführung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
5.1 Partizipation
5.2 Instrumente zur Bedarfsanalyse

6 Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer
6.1 Förderung des individuellen Gesundheitsverhaltens
6.2 Förderung durch Verhältnisprävention
6.2.1 Gestaltung der Arbeitsmittel und der Arbeitsbedingungen
6.2.2 Arbeitszeitgestaltung
6.2.3 Arbeitsorganisation und Arbeitseinsatz

7 Barrieren der Umsetzung in der betrieblichen Praxis

8 Fazit

9 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

In der einen Hälfte des Lebens opfern wir die Gesundheit, um Geld zu erwerben; in der anderen opfern wir Geld, um die Gesundheit wieder zu erlangen. Und während dieser Zeit gehen Gesundheit und Leben von dannen. - Voltaire

Das Geld, um den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, verdienen sich die Men­schen seit jeher durch Arbeit. Voltaire verdeutlicht mit diesem Zitat, wie abhängig die Ge­sundheit vom ,Geld verdienen‘ bzw. von der Arbeit ist und umgekehrt. Früher wie heute hat der Arbeitsplatz einen wichtigen Stellenwert im Leben des Menschen. Er ist Quelle materieller Sicherheit. Gleichsam wird daraus Zufriedenheit und seelisches Gleichgewicht geschöpft, vorausgesetzt, die Tätigkeit und das Arbeitsumfeld werden nicht als Belastung empfunden. Setzt der Arbeitsplatz einem Menschen psychisch oder physisch zu, weist Vol­taire zu Recht darauf hin, dass sich die Belastungen spätestens in der ,zweiten Hälfte‘ des Lebens gesundheitlich bemerkbar machen.

Unter Berücksichtigung des demografischen Wandels bedeutet das heute, dass ältere Ar­beitnehmer bei säkular steigender Lebenserwartung frühzeitig ihre Leistungsfähigkeit, in­folge potentieller gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen, einbüßen können. Die zukünftige Schrumpfung und Alterung des Arbeitskräftepotentials führt dazu, dass ältere Arbeitnehmer zu einem wichtigen Thema in der Unternehmenspolitik werden.[1]Nach Be­rechnungen des Statistischen Bundesamts werden im Jahr 2020 ca. 40 Prozent des Er­werbspersonenpotentials aus 50- bis unter 65-Jährigen bestehen.[2]Gleichzeitig sinkt die Zahl des qualifizierten Nachwuchses durch schwächere Fertilitätsraten in der Vergangen­heit. Dieser Umstand, einhergehend mit der zunehmenden Lebenserwartung, macht eine verlängerte Lebensarbeitszeit des Menschen notwendig. Da sich die sozialen Sicherungs­systeme in Deutschland noch auf den Generationenvertrag stützen, sollte der ,ältere Ar­beitnehmer auch von politischer Seite ein gewolltes Instrument zur Sicherung der Zukunft sein. Menschen, die länger arbeiten sind Menschen, die weiter in das Versicherungssystem einzahlen und entsprechend später ihre Rentenansprüche geltend machen. Um das Potenti­al des älteren Mitarbeiters nutzen zu können, sind aber entsprechende Voraussetzungen, vor allem von Seiten der Unternehmen, notwendig. Die Betriebe in Deutschland scheinen jedoch nicht auf den Wandel eingestellt zu sein.[3]Erforderlich ist ein Umdenken, um dem demografischen Wandel im Betrieb innovativ zu begegnen. Es gilt, sich als Arbeitgeber darum zu bemühen, die Gesundheit seiner Belegschaft und damit deren Fähigkeit zu arbei­ten, zu wahren und zu fördern und potentielle Risikofaktoren, die gesundheitsbeeinträchti­gend wirken können, zu vermeiden. Diese Aufgabe stellt die Kernintention der Betriebli­chen Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer dar.

In der vorliegenden Arbeit wird zunächst die gegenwärtige demografische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beleuchtet. Durch die Darstellung der Erwerbsbeteiligung älterer Ar­beitnehmer und diesbezüglicher Prognosen zeigt sich, welche Rolle ältere Mitarbeiter jetzt und in Zukunft in Unternehmen einnehmen. Anschließend soll veranschaulicht werden, welches Bild über den älteren Menschen als Arbeitnehmer bei der Allgemeinheit besteht und in welcher Weise dieser tatsächlich Leistung am Arbeitsplatz erbringen kann. Soge­nannte Arbeitsunfähigkeitsanalysen geben darüber Aufschluss, wie sich der Krankenstand älterer Arbeitnehmer im Vergleich zu dem der Jüngeren gestaltet. In diesem Zusammen­hang werden mögliche Belastungen verdeutlicht, die durch die Umgebung am Arbeitsplatz oder durch die Arbeit selbst entstehen können. Kapitel 2 und 3 vermitteln somit die Legi­timation der Betrieblichen Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird zunächst auf die Betriebliche Gesundheitsförderung (im Folgenden durch ,BGF‘ abgekürzt) im Allgemeinen eingegangen, wobei dem ihr zu­grunde liegenden salutogenetischen Ansatz besondere Aufmerksamkeit zuteilwird. Im An­schluss wird ein Einblick in Instrumentarien zur Bedarfsanalyse gegeben. Aus ihnen lassen sich in der Praxis explizite Maßnahmen zur Verwirklichung der Gesundheitsförderung ableiten, die sich außerdem an den zuvor ermittelten prioritären Risikofaktoren und Krank­heitsbildern älterer Arbeitnehmer orientieren. Darauf folgt eine detaillierte Darstellung möglicher Maßnahmen der BGF. Einerseits handelt es sich um Prozesse, die den Arbeit­nehmer selbst schulen und stärken sollen, andererseits sind es Maßnahmen, welche die Verbesserung des Arbeitsumfeldes und der Tätigkeit an sich anstreben. Zuletzt wird die Frage gestellt, welche Hindernisse sich für die Umsetzung der BGF im Unternehmen erge­ben können.

2 Zunahme der Bedeutung älterer Arbeitnehmer

2.1 Altersstrukturentwicklung auf dem Arbeitsmarkt

Der demo grafische Wandel wirkt sich in unterschiedlichen Dimensionen aus. Gesamtge­sellschaftlich lässt sich eine Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung prognostizieren. Dieses Phänomen wird sich in der Population im Erwerbsalter zwischen 20 und 64 Jahren wiederspiegeln. Für den Arbeitsmarkt bedeutet die demografische Entwicklung zum einen, dass das Erwerbspersonenpotential langfristig sinkt (Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahre) nach Altersgruppen (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009, S. 19.).

Gegenwärtig umfasst die Bevölkerung im Erwerbsalter ca. 50 Millionen Menschen. Durch den Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge wird die Abnahme der Zahl ab dem Jahr 2020 wesentlich zum Ausdruck kommen.[4]Für das Jahr 2030 werden nur noch 42 bis 43 Millionen vorhergesagt. Die Prognosen stehen in Abhängigkeit zu den zu erwartenden Zuwanderungen. Davon ausgehend, dass sich diese im Jahr 2060 auf 200 000 Personen belaufen, minimiert sich die Zahl der Menschen im Erwerbsalter um 27 Prozent bzw. wird das Erwerbspersonenpotential nur noch 36 Millionen ausmachen (Obergrenze). Belaufen sich die Zuwanderungszahlen nur auf die Hälfte, so ist von 33 Millionen Personen im Er­werbsalter auszugehen (Untergrenze), also 34 Prozent weniger als im Jahr 2008.[5]Verstärkt wird dies durch niedrige Fertilitätsraten. Bereits in den letzten 20 Jahren hat sich ein, im Vergleich zu vorherigen Zahlen, niedriges Niveau der Geburtenhäufigkeit in Deutschland eingestellt. Wenngleich unterschiedliche Annahmen zu Trends in der Zukunft bestehen, wird gegenwärtig angenommen, dass sich die Geburtenrate der letzten Jahre von nahezu 1,4 Kindern je Frau bis 2060 fortsetzen wird.[6] Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass durch die genannten Entwicklungen ein genereller Arbeitskräftemangel entsteht, „(...) sehr wohl jedoch eine Knappheit qualifizierter Fachkräfte.“[7]

Daher bedingt der demografische Wandel zum anderen, dass künftige Belegschaften in den Unternehmen einen noch höheren Altersdurchschnitt aufweisen werden, als es bereits ge­genwärtig der Fall ist.[8] Denn die Schrumpfung des Erwerbspersonenpotentials wird sich, wie dargestellt, erst ab dem Jahr 2020 deutlich bemerkbar machen. Hingegen vollzieht sich, wie Abbildung 1 unterstreicht, die Alterung der Belegschaften schon in der Gegen- wart.[9] Zunehmende Erwerbsquoten der 55- bis 64-Jährigen potenzieren diese Entwicklung, wie das Kapitel 2.2 zeigen wird. Ab dem Jahr 2020 wird die Kombination von Schrump­fung und Alterung der Population im Erwerbsalter einen gravierendenden Wandel in der Altersstruktur der Belegschaften bewirken.

Nicht zuletzt trägt die schrittweise Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf 67 Jahre, sofern zu dem gegebenen Zeitpunkt die Regelaltersgrenze nicht unterschritten wird, ihren Teil dazu bei. Die Vorausrechnungen bezüglich der Verschiebung des Erwerbsalters prognosti­zieren, dass zwischen 2017 und 2024 die Gruppe der Älteren im erwerbsfähigen Alter von 50 bis 65 Jahren fast genauso stark vertreten sein wird, wie die der mittleren Altersgruppe von 30 bis 49 Jahren.[10] „Für den Arbeitsmarkt wird es auf die Älteren genauso ankommen wie auf die Menschen mittleren Alters.“[11] Die beschriebene Entwicklung dürfte kein uner­warteter Umstand für die Unternehmen sein. Jedoch hat der schleichende Prozess des de­mografischen Wandels zur Folge, dass entsprechende Umstrukturierungen und Neuaus­richtungen auf betrieblicher Ebene zum jetzigen Zeitpunkt kaum Einzug gefunden haben. Nach verschiedenen Befragungen in Unternehmen zeigt sich ein nur schleppendes Be­wusstsein für die ,alternde Belegschaft‘.[12] Die Struktur einer Belegschaft unterliegt ver­schiedenen Einflussfaktoren. So lässt sich die allgemeine Alterung des Erwerbspersonen­potentials in der Gesellschaft nicht auf jedes Unternehmen übertragen. Hier sind, unteranderem, branchenspezifische Unterscheidungen vorzunehmen.[13]Zum Beispiel gestaltet sich das Ausscheiden aus dem Betrieb zwischen Handwerkern und Bürofachkräften ver­schieden, da hier ungleiche Belastungspotentiale vorliegen. Neben Unterschieden nach Branchen ist die Beschaffenheit der betrieblichen Altersstruktur weiterhin von Unterneh­mensgrößen und -alter, Beschäftigungsentwicklung und regionalen Bedingungen abhän­gig. Folglich gestaltet sich die Ausprägung des demografischen Wandels in den Betrieben der jeweiligen Teilarbeitsmärkte unterschiedlich stark.[14]

Die Konsequenzen des demografischen Wandels können für betroffene Betriebe weitrei­chend sein. Erwartet wird ein Mangel an Fachkräften und ein Mangel an Nachwuchs.[15]Gleichzeitig wird aufgrund der Überalterung des Personals von steigenden Kosten gespro­chen, die sich beispielsweise aufgrund eines etwaigen erhöhten Krankenstandes ergeben können. Außerdem steigt der Bedarf an betrieblichen Weiterbildungen und Maßnahmen, die den Erhalt der Leistungsfähigkeit der Belegschaft zum Ziel haben. Werden keine per­sonalpolitischen Schritte unternommen, die den Folgen des demografischen Wandels im Betrieb entgegenwirken, wie z. B. die bislang gelebte Frühverrentungspolitik abzuschaf­fen, resultiert ein Verlust von Erfahrungswissen.[16]Wirtschaftlich betrachtet ist das Hu­mankapital eines Unternehmens die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit am Markt. Daher gilt es, die Qualifizierung und die Gesundheit der Mitarbeiter aufrecht zu erhalten und zu fördern, um über eine leistungsstarke Belegschaft zu verfügen und im Wettbewerb zu be­stehen. Der demografische Wandel selbst ist als der Wettbewerbsfaktor von morgen anzu- sehen.[17]

2.2 Erwerbsquoten älterer Arbeitnehmer

Aufgrund der im vorherigen Kapitel erlangten Erkenntnisse werden nun die tatsächlichen Beschäftigungsquoten der einzelnen Altersgruppen betrachtet. Hierbei wird, entsprechend der Thematik dieser Arbeit, vorwiegend auf die älteren Arbeitnehmer eingegangen. Dazu scheint es an dieser Stelle angebracht, den Begriff des ,älteren Arbeitnehmers4 zu klären. In der Gerontologie unterscheidet man neben dem kalendarischen bzw. chronologischen

Alter weiterhin das biologische, das soziale und das psychologische Alter.[18]Das chronolo­gische Alter allein als Zuordnungsvariable heranzuziehen, scheint nicht ausreichend, da bei einer Gruppe von Arbeitnehmern gleichen kalendarischen Alters individuell differierende anatomische oder physiologische Veränderungen und folglich variierende Leistungspoten­tiale vorliegen können. Es sind vielmehr verschiedene Faktoren, wie Geschlecht, Kultur, Gesundheit, Art der Tätigkeit oder Branche, die die eigentliche Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bestimmen.

In der Literatur besteht daher keine Einigkeit darüber, ab wann ein Mensch der Gruppe der älteren Arbeitnehmer zuzuordnen ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert ältere Arbeitnehmer als Personen, welche das 45. Lebensjahr vollendet haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) spricht von einem fließenden Übergang von 45 bis 55 Jahren.[19]Um Vergleiche zwischen älteren Arbeitnehmern und anderen Alters­gruppen ziehen zu können, ist jedoch auf eine kalendarische Bestimmung kaum zu ver­zichten. In dieser Arbeit wird formal die Gruppe der älteren Arbeitnehmer im Alter von 55 bis 64 Jahren dargestellt, da sich der größte Teil der verwendeten Daten auf diese Alters­spanne bezieht.

In der Vergangenheit entwickelte sich die Erwerbstätigenquote der Gesamtbevölkerung rückläufig. Gründe dafür sind verlängerte Ausbildungszeiten und das frühere Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. So lag die Erwerbstätigenquote aus dem Jahr 1991 mit 49,3 Pro­zent noch über der aus dem Jahr 2004 mit 48,5 Prozent.[20]Dieser Entwicklung steht die stetige Zunahme der Erwerbsbeteiligung Älterer gegenüber. Gerade in den letzten Jahren ist der stärkste Anstieg in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen zu verzeichnen. „Noch im Jahr 1997 waren nur 38,1% dieser Altersgruppe erwerbstätig, heute sind es bereits 51,5%.“[21]Dies ist vor allem auf die 55- bis 59-Jährigen zurück zu führen, da diese den geburtenstarken Jahrgängen der 1950er Jahre angehören und eine vergleichbar höhere Er­werbsbeteiligung zeigen. Jedoch resultiert der Anstieg der Erwerbstätigenquote Älterer auch aus nicht-demo grafischen Entwicklungen. Im Verlauf der Jahre 2005 bis 2007 hat sich die Erwerbsintegration Älterer in jeder einzelnen Kohorte signifikant erhöht (Abbil- dung 2). Ursächlich sollen dafür beispielsweise modifizierte Beschäftigungspraktiken sein, wie geringere Inanspruchnahmen vorzeitiger Verrentungen.[22]Dafür sorgte die Erhöhung des abschlagfreien Renteneintrittsalters von 60 auf 65 Jahre, die seit dem Jahr 1999 suk­zessiv für alle Personenkreise (Arbeitslose, Altersteilzeitarbeiter, langjährig Versicherte) eingeführt wurde.[23]Aber auch die deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit, der geringfügi­gen Beschäftigung und der Teilzeit im Alter tragen als Übergangsformen in den Ruhestand der Erhöhung der Erwerbsquote Rechnung. Auf der anderen Seite liegt dieser Entwicklung auch ein geschlechtsspezifischer Aspekt zugrunde. Die Erwerbsquoten der älteren Frauen sind seit den 1990er Jahren stärker angestiegen als die der älteren Männer.[24]Zu dieser Zeit erhöhte sich das Arbeitsplatzangebot im Dienstleistungssektor, in welchem der Beschäfti­gungsanteil der Frauen wesentlich höher ist und der mehr Potential zur Teilzeitbeschäfti­gung bietet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Erwerbstätigenquote nach Alter (Quelle: Puch - Statistisches Bundesamt, 2009, S. 2.).

Dennoch ist die Beschäftigungsquote Älterer im Vergleich zu den mittleren Altersgruppen gering. Innerhalb der Altersgruppe 55plus ist eine weitere Abnahme der Erwerbstätigkeit zu sehen. Abbildung 2 veranschaulicht das bereits erwähnte Phänomen der ,Entberufli- chung des Alters‘; je höher das Alter, desto geringer die Erwerbstätigkeit. Im Jahr 2007 machte die Erwerbsquote der 55-Jährigen 73,2 Prozent aus. Im Vergleich lag die Erwerbs­quote der 60-Jährigen mit 47,1 Prozent zum selben Zeitpunkt bedeutend tiefer.

Darüber hinaus sind ältere Menschen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Jüngere.[25]Viele Unternehmen stellen deren Leistungsfähigkeit in Frage. Als schwer zu vermitteln gelten ältere Arbeitslose außerdem wegen mangelnder Qualifikation oder bereits bestehen­der gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Im Jahr 2001 litt, nach der offiziellen Arbeitslo­senstatistik, etwa ein Viertel aller Arbeitslosen unter gesundheitlichen Einschränkungen, die sich entsprechend auf die Vermittlung auswirkten. Dabei war der Anteil älterer Ar­beitsloser mit gesundheitlichen Einschränkungen besonders hoch.[26]Daher sind die Chan­cen auf eine Wiedereinstellung für eine Person über 50 Jahren, wenn sie erst einmal ar­beitslos ist, verhältnismäßig gering. Laut einer Studie des Gelsenkirchener Instituts , Arbeit und Technik würde nur ein Drittel der deutschen Unternehmen über 50-Jährige einstellen, sofern sie mit Beihilfezahlungen rechnen können oder keine jüngeren Bewerber zur Verfü­gung stehen.[27]

Dem bereits erwähnten Nachwuchsmangel in einigen Tätigkeitsbereichen kann durch die Erhöhung der Erwerbsquote der 55plus Generation entgegengewirkt werden. Dies bedeu­tet, dass die einst jugendzentrierte Rekrutierungspolitik sich das Potential dieser Arbeiter­schaft bewusst machen muss. Es geht darum, festzustellen, warum bislang die Regelalters­grenze von 65 Jahren weit unterschritten wurde. Welche Gründe führen zu der kontinuier­lich abnehmenden Erwerbsbeteiligung ab dem 55. Lebensjahr?

Betrachtet man die Ursachen für die Beendigung der letzten Tätigkeit von Nicht­Erwerbstätigen aus dem Jahr 2007 des Mikrozensus, fallen in der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen zwei Tatbestände besonders auf: Etwa 24 Prozent gaben an, den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen angetreten zu haben. Ein knappes Drittel dieser Altersgrup­pe kommunizierte die Entlassung als Grund.[28]Die Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen nannte zu gut 40 Prozent den Ruhestand aus gesundheitlichen, alters- oder sonstigen Moti­ven, weswegen die letzte Tätigkeit beendet wurde. Beschäftigungsaufgabe infolge von Vorruhestandsregelungen oder Arbeitslosigkeit bekundeten etwa 18 Prozent. Weitere 16 Prozent führten ebenfalls die Entlassung als Ursache an.[29]Die Daten zeigen, dass beson­ders der Gesundheitszustand und die Extemalisierungspolitik zur Aufgabe der letzten Tä­tigkeit führten. Demzufolge sind dies explizite Ansatzpunkte auf betrieblicher Ebene, um die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen zu erhöhen bzw. bestehende alternde Be­legschaften zu erhalten. Es müssen präventive Maßnahmen ergriffen werden, welche den Gesundheitszustand älterer Arbeitnehmer stabilisieren und somit ihre Beschäftigungsfä­higkeit und ihr Leistungspotential bis zur Rente sichern. Das Bewusstsein der Arbeitgeber muss für die Bedeutung und das Potential älterer Arbeitnehmer geschärft werden, damit diese Zielgruppe vorausschauend beschäftigt werden kann.

3 Berufliche Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand älterer Arbeitnehmer

3.1 Kompetenzmodell ersetzt Defizitmodell

In der Vergangenheit hat sich ein Stereotyp bezüglich des Bildes von älteren Menschen entwickelt. Dieses Vorurteil rekurriert maßgeblich auf dem sogenannten ,Defizitmodell‘. Es geht von dem allgemeinen Abbau der Fähigkeiten des älteren Menschen aus.[30]Die An­nahme postuliert, dass der Mensch sowohl körperliche und intellektuelle, als auch emotio­nale und soziale Leistungsstärke mit zunehmendem kalendarischem Alter einbüßt.[31]Des Weiteren wird älteren Arbeitnehmern in diesem Zusammenhang mangelnde Innovations­fähigkeit, weniger Arbeitsproduktivität und höhere Fehlzeiten unterstellt. Das Defizitmo­dell betrachtet das Alter als eindimensionalen Prozess und nimmt an, dass alle Menschen in gleicher Weise altern.[32]

Seit den 1970er Jahren wird das Alter subtiler betrachtet. Denn der Prozess des Alterns ist von Multidimensionalität geprägt, wie inzwischen bekannt ist. Das Alter hat demnach un­terschiedliche Ursachen, verläuft in ungleichem Tempo und Ausmaß und findet auf ver­schiedenen Ebenen statt.[33]In Anbetracht dessen, dass die ,Alters-Defizit-These‘ bereits Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt wurde,[34]sei bei deren Bewertung noch auf einen an­deren Aspekt hingewiesen. Aufgrund des medizinischen Fortschritts, veränderter Lebens­formen und anderen Faktoren der heutigen Zeit, unterscheidet sich die körperliche und geistige Fitness eines Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren im Vergleich damals zu heute substanziell. Das heutige Defizitmodell, wie es sich in der Auffassung mancher Ar­beitgeber findet, ist schon differenzierter. Mittlerweile gesteht man älteren Menschen Stär­ken zu, wie z. B. Zuverlässigkeit und Erfahrungswissen. Trotzdem bleiben Vorbehalte be­stehen, was Fähigkeiten, wie psychische und physische Belastbarkeit oder das Lernen be­trifft.[35]

Davon ausgehend, dass Arbeitgeber und Kollegen diese defizitäre Sichtweise älteren Mit­arbeitern entgegenbringen, kann es zu entsprechenden Handlungen kommen. Die Zu­schreibung von pauschaler Leistungsschwäche und die darauf folgende Behandlung eines solchen Menschen kann letztendlich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiungen füh­ren (engl.: Self-Fulfilling-Prophecy).[36]So werden ältere Arbeitnehmer vielleicht an Ar­beitsplätzen eingesetzt, die minimale Leistungsanforderungen mit sich bringen. Dadurch werden potentielle Fähigkeiten, die über die sich aus der Tätigkeit ergebenden Anforde­rungen hinaus gehen, nicht genutzt. Betroffene Mitarbeiter sind mit den auferlegten Auf­gaben unterfordert und verlieren langfristig ihre Motivation. Dadurch verbleiben sie bei ihrer Tätigkeit und verinnerlichen die ihnen zugeschriebene Leistungsschwäche, sodass sie letztendlich das Vorurteil bestätigen. „Eine derartige »Etikettierung« fließt auf subtile Weise in die Selbst- und Fremdbilder der Generationen ein.“[37]Natürlich kann der erwähn­te Altersstereotyp im Betrieb diverse Konsequenzen nach sich ziehen. Neben selektiver Aufgabenzuweisung kann es ebenso zu Benachteiligungen die betriebliche Weiterbildung betreffend, bis hin zur Altersdiskriminierung im Zuge mangelnder Wertschätzung kom­men.

Auch wenn sich die Auffassung, Leistung nehme im Alter stetig ab, obstinat hält, ist dies wissenschaftlich durch zahlreiche Studien widerlegt.[38]Dort hat sich das Kompetenzmodell etabliert. Dieser Perspektivenwechsel beruht auf der erwähnten Mehrdimensionalität des Alters. Nach diesem Modell sind ältere Menschen durchaus in der Lage sich auf veränderte Lebenssituationen einzustellen und sie dadurch erfolgreicher zu handhaben. Das Kompe­tenzmodell sieht zwar keinen kategorischen Ausschluss von altersspezifischen Einbußen der Leistungsfähigkeit vor. Es findet aber kein gänzlicher Leistungsabbau der geistigen bzw. intellektuellen Fähigkeiten statt, da der Mensch über Kompensationsmechanismen verfügt.[39]Leistungsanforderungen und individuelle Ressourcen stehen in Beziehung zuei­nander und verändern sich im Verlauf des Alterungsprozesses. Sie ergeben alternsentspre­chende Austauschbeziehungen, wodurch der Mensch nicht generell kompetent ist, aber für die Durchführung determinierter Aufgaben eine adäquate Kompetenz aufweist. Von Seiten der Wissenschaft erfährt das Kompetenzmodell bis heute Gültigkeit. In der Arbeitswelt verbreitet sich die Sichtweise nur schleppend.[40]So stehen Aussagen von Personalentschei- dem in direktem Widerspruch zur tatsächlichen Praxis. „Es besteht eine Kluft zwischen Deklaration und betrieblicher Praxis: Ältere Mitarbeiter sind wertvoll, aber beschäftigen wollen wir sie nicht!“[41]

Gehen Arbeitgeber weiterhin von einer umfassenden Leistungsschwäche ihrer älteren Mit­arbeiter aus, werden wohl kaum Maßnahmen ergriffen, welche diese fördern oder gar for­dern. Eben dies ist jedoch wichtig, um einerseits das Renteneintrittsalter von 65 Jahren tatsächlich zu erreichen und andererseits die Erwerbsintegration Älterer generell zu erhö­hen. Sind Arbeitgeber ihren älteren Mitarbeitern gegenüber positiv eingestellt, steigt die Motivation dieser Arbeiterschaft gleichermaßen. Die Tatsache, dass gesellschaftliche (Negativ-) Zuschreibungen bzw. Stigmatisierungen auf individueller Ebene internalisiert werden und somit wiederum den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen, kann sich in positiver Weise zunutze gemacht werden.[42]Daher ist die Manifestierung positiver Alters­bilder auf betrieblicher Ebene elementar. Zwar mag das Defizitmodell durch einige wenige altersbedingte Abbauprozesse bestätigt werden, jedoch dürfen nicht die Schwächen, son­dern die Stärken älterer Arbeitnehmer im Vordergrund stehen, um sich diese gezielt zu Nutze zu machen. Es sollten die Chancen und Potentiale älterer Mitarbeiter betont werden. Wo die Stärken dieser Gruppe im Detail liegen, wird im Folgenden veranschaulicht.

3.2 Vergleich des Leistungspotentials von Alt und Jung

„Mehr als 100 empirische Untersuchungen zur beruflichen Leistungsfähigkeit älterer Ar­beitnehmer belegen (...), dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen der Arbeits­leistung älterer und jüngerer Arbeitnehmer gibt - wenn als Maßstab das erbrachte Arbeits­ergebnis zugrunde gelegt wird.“[43]Vielmehr bestehen größere Unterschiede innerhalb der jeweiligen Altersgruppe als im Vergleich zwischen den Altersgruppen.[44]Genau genommen beginnt der körperliche Leistungsabfall bereits kurz vor dem vierten Lebensjahrzehnt.[45]Betrachtet man einzelne physische Funktionen, wie Hörvermögen, Sehstärke oder die Muskelkraft, lässt sich tatsächlich eine altersbedingte Abnahme feststellen. Jedoch sind das Fähigkeiten, deren maximale Funktionalität im Berufsalltag nicht primär notwendig ist. Diesbezügliche Schwächen lassen sich verhältnismäßig leicht ausgleichen. Eine ergonomi­sche Arbeitsplatzgestaltung erleichtert beispielsweise das Heben oder das Sehen (vgl. Ka­pitel 6.1).[46]

Es existieren andere physiologische Fähigkeiten, die durch das fortschreitende Altern be­einträchtigt sein sollen, wie beispielsweise die Ausdauerfähigkeit des Menschen. Körperli­che Dauerleistung ist jedoch nicht direkt abhängig von dem jeweiligen kalendarischen Al­ter, sondern vielmehr von der regelmäßigen Bewegung bzw. der Sportlichkeit eines Men­schen. Insofern ist dies eine Fähigkeit, die sich durch ein entsprechend angelegtes Training aneignen respektive erhalten lässt. Grundsätzlich ist es sogar möglich im Alter von 60 Jah­ren durch ein angemessenes Trainingsprogramm die Sportlichkeit eines 40-Jährigen zu erreichen.[47]Die Wahrscheinlichkeit ist nur geringer, meist sind es diejenigen, die schon immer sportlich waren.

Folglich stehen ältere Mitarbeitern gegenüber den jüngeren Mitarbeitern in ihrer körperli­chen Leistungsfähigkeit theoretisch kaum in etwas nach. Zumindest nicht, wenn man die Leistungsfähigkeit in der direkten Abhängigkeit zum natürlichen Prozess des Alterns be­wertet, ohne weitere Einflussfaktoren, wie die individuelle Lebensführung mit einzubezie­hen. Denn auf der anderen Seite existieren individuelle und lebenslaufbezogene Einfluss­faktoren, welche die Beschäftigungsfähigkeit beeinträchtigen können. Dazu zählen der individuelle Lebensstil, aber auch genetische Einflüsse, berufliche Belastungen sowie so­ziale Gesichtspunkte.[48]Diese Faktoren können die Gesundheit und damit die Leistungsfä­higkeit positiv oder negativ beeinflussen bzw. Prozesse physischer Veränderungen ver­langsamen oder beschleunigen. Beispielsweise entstehen in dem Zusammenhang chroni­sche Erkrankungen, die bei älteren Menschen häufiger auftreten.[49]

Dazu zählt aber auch der natürliche Abnutzungsprozess von körperlichen Kapazitäten in­folge von einseitiger oder übermäßiger Beanspruchung im Zuge des individuellen Lebens­verlaufs. Ältere Menschen weisen insofern ein höheres Risiko der Verletzlichkeit des Or­ganismus auf (im folgenden Kapitel werden diese pathogenen Aspekte genauer behandelt). Daher besteht die Möglichkeit, dass Höchstleistung und Widerstandsfähigkeit bei extremer physischer Belastung abnehmen. Betrachtet man also die physiologische Leistungsfähig­keit älterer Menschen, bestehen natürliche Abnutzungserscheinungen, die sich ohne erfor­derliches Gegenwirken leistungsbeeinträchtigend auswirken können. Somit bleibt festzu­halten, dass sich mit zunehmendem Alter eine qualitative Veränderung der Leistungsfähig­keit ergibt, jedoch keine gänzliche Abnahme besteht. Bestimmte Bereiche bleiben mit zu­nehmendem Lebensalter konstant, andere nehmen, wie beschrieben, ab und wiederum an­dere bauen sich im Alter aus.[50]Nachdem zuvor partielle Leistungseinbußen betrachtet wurden, werden in der folgenden Darstellung Fähigkeiten beschrieben, die bei älteren Ar­beitnehmern in der Regel konstant bleiben oder sich mit zunehmendem Alter steigern:

Abbildung 3: Stabile und zunehmende berufliche Fähigkeiten im Alter (eigene Darstellung in Anlehnung an Langhoff, 2009, S. 44.).

Aus Abbildung 3 geht hervor, welche Fähigkeiten sich durch Übung, Gewohnheit und Be­rufserfahrung persistent halten oder zunehmen. Diese Darstellung ließe sich nach kogniti- ven Kompetenzen erweitern, jedoch sollen hier vorwiegend physische Fähigkeiten betrach­tet werden, da sonst der Rahmen der Arbeit überschritten werden würde.

Letztendlich besteht im Verlauf des Lebens bzw. des Alterns ein Wandel des Leistungs­spektrums. Dabei kann die Leistungsfähigkeit im Prozess des Alterns besser erhalten wer­den, wenn sie durch den Arbeitsprozess kontinuierlich gefordert und trainiert wird.51 So­wohl aus den Defiziten, wie Abbauerscheinungen der Sinnesfunktionen, als auch aus den Stärken lassen sich Potentiale für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer ziehen. Ressour­cen müssen erhalten und gefördert werden, indem ein intelligenter Mitarbeitereinsatz sei­tens der Personalentwicklung betrieben wird. Möglichen Schwächen kann ebenfalls durch eine durchdachte Aufgabenzuteilung begegnet werden, wodurch diese vermindert werden oder überhaupt nicht in Erscheinung treten und gleichzeitig die Stärken im Vordergrund stehen. Dies wäre ein Kompensationsmechanismus, der dem beschriebenen Kompetenz­modell Rechnung trägt. Die Auswirkungen gesundheitlicher Einschränkungen, wie bei­spielsweise eine geringere physische Belastbarkeit, können dezimiert werden, indem Maß­nahmen ergriffen werden, die den Gesundheitszustand der älteren Mitarbeiter verbessern. Dadurch kann ein Erhalt der bestehenden Leistungsfähigkeit oder sogar eine Steigerung dieser erreicht werden. In diesem Zusammenhang ist es notwendig die häufigsten Krank­heitserscheinungen älterer Arbeitnehmer genauer zu betrachten.

3.3 Arbeitsunfähigkeitsanalysen

Die Produktivität einer Belegschaft steht in direkter Korrelation zu ihrem Gesundheitszu­stand. Insofern ist es für Unternehmen wichtig, Kenntnisse über die gesundheitliche Ver­fassung ihrer Mitarbeiter zu besitzen. Sowohl krankheitsbedingte Fehlzeiten, als auch be­einträchtigte Gesundheitszustände von Mitarbeitern, die dennoch ihre Arbeit verrichten, bedeuten Mehrkosten für Betriebe und damit eine Minderung der Bruttowertschöpfung in Milliardenhöhe für die deutsche Volkswirtschaft.52 Da sich gesundheitlich beeinträchtigte Verfassungen von Mitarbeitern statistisch schwer darlegen lassen, sollen hier die krank­heitsbedingten Ausfallzeiten, in Form physischer Abwesenheit, analysiert werden. Infor­mationen über die tendenziell häufigsten Erkrankungen der Erwerbstätigen liefern die Ar-[51][52]beitsunfähigkeitsmeldungen der Krankenkassen.[53]Sie geben Aufschluss über krankheits­bedingte Fehlzeiten in den divergierenden Altersgruppen. Dabei sind nicht nur die Vertei­lungen der verschiedenen Pathogenesen interessant, auch die Dauer des Krankheitszustan­des muss genauer betrachtet werden. Die hier zugrunde liegenden Daten liefern die Arbeit­sunfähigkeitsmeldungen der AOK aus dem Jahr 2007. Die Analyse dieser Daten umfasst alle, zu dem Zeitpunkt erwerbstätigen AOK-Mitglieder, das heißt 9,8 Millionen Men­schen.[54]Da die AOK über den größten Marktanteil unter den Krankenkassen in Deutsch­land verfügt, scheint die Datengrundlage ausreichend repräsentativ.

Das Krankheitsgeschehen wird, wie in den Jahren zuvor, von sechs großen Krankheitsty­pen geprägt, unabhängig davon, welchen Alters jene Versicherten sind: An erster Stelle stehen Muskel- und Skeletterkrankungen. Sehr häufig sind des Weiteren Atemwegserkran­kungen, Verletzungen, Verhaltens- und psychische Störungen, Herz-Kreislauferkrankung­en und Erkrankungen der Verdauungsorgane (Abbildung 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Tage der Arbeitsunfähigkeit je 100 AOK-Mitglieder nach Krankheitsarten und Alter im Jahr 2007 (Quelle: Heyde, Macco, Vetter, 2009, S. 236.).

„69,7% der Arbeitsunfähigkeitsfälle und 71,0% der Arbeitsunfähigkeitstage gingen auf das Konto dieser sechs Krankheitsarten.“[55]Differenziert man die Krankheitserscheinungen nach Lebensalter, so fällt auf, dass in der Gruppe der 55- bis 59-Jährigen sowie in der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen muskoskeletterale Erkrankungen und Herz-Kreislauf­erkrankungen am häufigsten zu Arbeitsausfällen führen. Bei den 60- bis 64-Jährigen ma- chen die Krankheitsbilder 41,4 Prozent des Krankenstandes aus. Diese Krankheitsarten sind bei jüngeren Versicherten wesentlich seltener vertreten. Deshalb dauert der krank­heitsbedingte Arbeitsausfall bei älteren Arbeitnehmern, im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen, wesentlich länger an. Denn tatsächlich erkranken ältere Mitarbeiter zwar seltener und verzeichnen daher weniger Arbeitsunfähigkeitsfälle, jedoch liegt die Zahl ihrer Arbeit­sunfähigkeitstage deutlich höher als bei jüngeren Altersgruppen.[56]

In Abbildung 5 wird dargestellt, wie die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage mit dem kalendarischen Alter kontinuierlich ansteigt, wobei ab dem 55. Lebensjahr eine noch deut­lichere Zunahme zu verzeichnen ist. Die Grafik belegt weiterhin, dass die Häufigkeit von Arbeitsunfähigkeitsfällen keine Domäne der älteren Arbeitnehmer ist. Hier liegen die höchsten Werte bei der Altersgruppe 15 bis 19 Jahren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Anzahl der Fälle und Dauer der Arbeitsunfähigkeit der AOK-Mitglieder im Jahr 2007 nach Alter (Quelle: Heyde, Macco, Vetter, 2009, S. 218.).

Wie Abbildung 4 und 5 zu entnehmen ist, fallen die Fehltage der 55plus-Versicherten mehr als doppelt so hoch aus, wie die der Versicherten bis 39 Jahre. Pathogenesen, die Muskeln, Skelett, oder Herz-Kreislauf-System des Menschen betreffen, sind meist chronischer Art, weshalb die längeren Ausfallzeiten bei älteren Arbeitnehmern zustande kommen.[57]Ver­längerte Ausfallzeiten von älteren Arbeitnehmern sind aber auch auf Mehrfacherkrankun­gen (Multimorbidität) zurückzuführen.[58]Mehrfacherkrankungen nehmen mit dem Alter zu, sie sind eine „(...) charakteristische Begleiterscheinung des Altems“[59].

Nach Herz-Kreislauf- und Muskel-Skeletterkrankungen sind Verletzungen verschiedener Körperregionen und Atemwegserkrankungen die häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle älterer Arbeitnehmer. Auch diese Pathogenesen sind bei jüngeren Versicherten seltener zu finden, allerdings ist hier die Spanne nicht so groß, wie bei den zuvor erwähnten Krankhei­ten. Obwohl gemeinhin die Auffassung besteht, ältere Mitarbeiter verursachen höhere Un­fallquoten, liegt auch hier das Gegenteil vor. Arbeitnehmer im Alter von 21 bis 30 Jahren verunfallen nahezu um das Dreifache häufiger als Arbeitnehmer im Alter von 51 bis 60 Jahren.[60]Dies ist vor allem auf den Erfahrungswert der älteren Mitarbeiter zurückzuführen.

Der Krankenstand ist allerdings nicht nur in Korrelation zum Lebensalter zu setzen. Weite­re Variablen, die das Krankheitsaufkommen im Alter beeinflussen, sind berufliche Stel­lung, Qualifikation, Schichtzugehörigkeit und die Art der Tätigkeit.[61]In Abhängigkeit der jeweiligen Berufsgruppe ergeben sich unterschiedliche Arbeitsanforderungen und - belastungen. Schwedische Studien haben ergeben, dass nach Alter und Gesundheit der Beruf den größten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsunfähigkeitsrente hat.[62]Berufsgruppen aus den gewerblichen Branchen mit hohen körperlichen Anforderun­gen und belastenden Arbeitsbedingungen, wie beispielsweise das Metall- oder Baugewer­be, weisen die meisten krankheitsbedingten Arbeitsausfälle auf (Abbildung 6). Gleichsam ist in diesen Branchen das Risiko der Frühberentung höher, als in Berufsgruppen, in denen die Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen stattfinden und physisch kaum Leistung abverlangen (z. B. Wirtschaftswissenschaftler).[63]

[...]


[1]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 7.

[2]Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 18f.

[3]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 28f.

[4]Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 17.

[5]Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 17.

[6]Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), S. 27f.

[7]Rump (2008), S. 34.

[8]Vgl. Maintz (2003), S. 43.

[9]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 30f.

[10]Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 18.

[11] Statistisches Bundesamt (2006), S. 22.

[12]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 28f.

[13]Vgl. Geschonke (2008), S. 32.

[14]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 31.

[15]Vgl. Buck, Bullinger (2007), S. 20.

[16]Vgl. Buck, Bullinger (2007), S. 19.

[17]Vgl. Langhoff (2009), S. 5.

[18]Vgl. Backes, Clemens (2008), S. 21f.

[19]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 63.

[20]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 34.

[21]Puch (2009), S. 2.

[22]Vgl. Bäcker et al. (2009), S. 161.

[23]Vgl. Bäcker et al. (2009), S. 188.

[24]Vgl. Bäcker et al. (2009), S. 162.; Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 25f.

[25]Vgl. Maintz (2003), S. 44f.

[26]Vgl. Hollederer (2002), S. 411.

[27]Vgl. Maikranz, Mäkinen (2008), S. 29.

[28]Vgl. Puch (2009), S. 4.

[29]Vgl. Puch (2009), S. 4.

[30]Vgl. Geschonke (2008), S. 35f.; Von Rosenstiel (2009), S. 43.

[31]Vgl. Naegele (2004), S. 353.

[32]Vgl. Geschonke (2008), S. 35f.

[33]Vgl. Geschonke (2008), S. 36.; Maintz (2003), S. 50.

[34]Vgl. Winkels (2007), S. 56.

[35]Vgl. Görlich (2007), S. 575f.

[36]Vgl. Langhoff (2009), S. 38.; Von Rosenstiel (2009), S. 44.

[37]Winkels (2007), S. 56.

[38]Vgl. Rühl (2007), S. 104.

[39]Vgl. Herrmann (2008), S. 11.

[40]Vgl. Astor (2003), S. 153f.; Herrmann (2008), S. 20.

[41]Brandenburg, Domschke (2007), S. 77.

[42]Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001), S. 65.

[43]Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 35.

[44]Vgl. Langhoff (2009), S. 43.

[45]Vgl. Herrmann (2008), S. 21.; Rump (2008), S. 35.

[46]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 35.

[47]Vgl. Huber, Morschhäuser, Ochs (2008), S. 35.

[48]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 81.

[49]Vgl. Backes, Clemens (2008), S. 109f.

[50]Vgl. Langhoff (2009), S. 38.

[51]Vgl. Langhoff (2009), S. 43.

[52]Vgl. Langhoff (2009), S. 152.

[53]Vgl. Ulich, Wülser (2005), S. 149.

[54]Vgl. Heyde, Macco, Vetter (2009), S. 206.

[55]Heyde, Macco, Vetter (2009). S. 231.

[56]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 92.

[57]Vgl. Vetter (2005), S. 47ff.

[58]Vgl. Vetter (2005), S. 42.

[59]Brandenburg, Domschke (2007), S. 94.

[60]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 93.; Vetter (2005), S. 44.

[61]Vgl. Brandenburg, Domschke (2007), S. 93.

[62]Vgl. Vetter (2003), S. 253.

[63]Vgl. Vetter (2003), S. 253f.

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Betriebliche Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Autor
Jahr
2009
Seiten
78
Katalognummer
V168705
ISBN (eBook)
9783640868353
ISBN (Buch)
9783640868322
Dateigröße
877 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demografische Entwicklung, Altersstruktur in Deutschland, Arbeitsmarktentwicklung, Betriebliche Gesundheitsförderung, Salutogenese, Aron Antonovsky, Work Ability Index, Arbeitszeitmodelle älterer Arbeitnehmer, Schichtarbeit, Verhältnisprävention
Arbeit zitieren
Beatrice Behnke (Autor:in), 2009, Betriebliche Gesundheitsförderung älterer Arbeitnehmer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168705

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