Organisationskultur als Erfolgsfaktor?

Eine kritische Bestandsaufnahme


Diplomarbeit, 2009

163 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist eine Organisation? Eine Begriffseingrenzung als Basis für das Verständnis der vorliegenden Arbeit
2.1 Definition der Organisation
2.1.1 Organisationsziele
2.1.2 Formale Struktur
2.1.3 Informale Struktur
2.1.4 Mitglieder

3. Organisationskultur und ihre theoretische Einbettung
3.1 Von der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor zur Human Relations Bewegung
3.1.1 Die wissenschaftliche Betriebsführung nach Frederick Winslow Taylor
3.1.2 Die Human Relations Bewegung

4. Organisationskultur: Definition und Bedeutung
4.1 Verschiedene Ansätze der Organisationskultur
4.1.1 Der Variablen-Ansatz
4.1.2 Der Metaphern-Ansatz
4.1.3 Die dynamische Perspektive: Das Organisationskulturmodell nach Schein

5. Starke Kulturen und ihre Funktionen
5.1 Starke und schwache Kulturen
5.2 Funktionen der Organisationskultur
5.2.1 Die Integrationsfunktion
5.2.2 Die Koordinationsfunktion
5.2.3 Die Motivationsfunktion

6. Ein Rekurs auf die drei Ansätze der Organisationskultur zur veranschaulichenden Darstellung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten
6.1 Organisationskultur als Managementaufgabe: Der Variablen-Ansatz nach Peters und Waterman
6.2 Organisationskultur als Realitätskonstruktion: Der Metaphern-Ansatz ..
6.3 Kulturbewusstes Management als Ausweg? Die dynamische Perspektive

7. Organisationskultur als Erfolgsfaktor? Eine empirische Prüfung
7.1 Starke Kulturen und kulturelle Anpassungsfähigkeit als Erfolgsfaktoren: Eine empirische Prüfung nach Kotter und Heskett
7.2 Die kulturelle Lü>

8. Kritische Würdigung der vorgestellten Ansätze

9. Organisationskultur: Ein systemtheoretisches Modell
9.1 Autopoiesis
9.2 Operative Schließung und System-/Umweltdifferenz
9.3 Beobachtung
9.4 Kommunikation als Operation sozialer Systeme
9.5 Entscheidung als Operation von Organisationen
9.6 Organisationskultur aus systemtheoretischer Perspektive

10. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Hawthorne-Studien

Abbildung 2: Kulturebenen und ihr Zusammenhang

Abbildung 3: Bedürfnishierarchie nach Maslow

Abbildung 4: Das McKinsey-7S-Modell

Abbildung 5: Kulturassessment und Kulturgestaltung

Abbildung 6: Zwei Strategien der Kulturveränderung: Evolutionäre oder revolutionäre Kulturgestaltung?

Abbildung 7: Unternehmen mit relativ starken Kulturen und relativ schlechter Erfolgsbilanz im Zeitraum 1977-1988

Abbildung 8: Unternehmen mit schwachen Kulturen und gutem Unternehmenserfolg im Zeitraum 1977-1988

1. Einleitung

Die Betrachtung kultureller Phänomene kann in der Soziologie auf die Entwick- lung eines eigenständigen Forschungsstrangs zurückblicken, der sich auf Grund verschiedener geistesgeschichtlicher Einflüsse und sozialstruktureller Bedingun- gen, wie die Entstehung der Massengesellschaft und des industriellen Kapitalis- mus, bereits im 18. Jahrhundert herauskristallisierte und stetig weiterentwickelte. Im Fokus der Betrachtung sozialer Tatbestände in einem kulturellen Denkrahmen stehen vor allem das deutende und verstehende Erfassen kultureller Phänomene, kultureller Bedeutungen und kultureller Einflüsse in sozialen Zusammenhängen, wie beispielsweise die Erforschung kultureller Wahrnehmungs- und Bedeutungs- muster in Gemeinschaften oder die Unterscheidung sozialer Einheiten nach Le- bensstilen und Geschmackskulturen. Diese Forschungsfelder stützen sich auf ei- nen Kulturbegriff, dem die Auffassung der Kultur als ein historisches, aus ge- meinsam geteilten Symbolen und Werten entstehendes Bedeutungssystem zugrun- deliegt, durch welches die Individuen eines kulturellen Zusammenhangs ihrem Handeln und Erleben Sinn verleihen können (vgl. Jung 1994: 482).

Die Kultur bietet hiernach ein Bezugsmuster kultureller Normen und Werte, an dem sich die Individuen oder Kollektive in ihrem Handeln orientieren können. Die Behandlung der Kulturfrage spielt jedoch nicht nur auf gesamtgesellschaftli- cher Ebene eine Rolle, sondern gewinnt auch auf der speziellen Ebene der Orga- nisation an Bedeutung. Bereits Weber verwies mit seiner Unterscheidung zwi- schen Zweck- und Wertrationalität in Bezug auf Unternehmen darauf, dass öko- nomische Organisationen nicht nur als zweckrationale und nutzenorientierte Ge- bilde behandelt werden können, sondern auch ein soziales und werteorientiertes Gefüge darstellen, in dem das Handeln der Mitglieder sich eben nicht nur an einer spezifischen Zielsetzung, sondern auch an aus einem Kollektiv gewachsenen Normen- und Wertvorstellungen orientiert (vgl. Deeg 2008: 101).

Der Begriff der Organisationskultur lenkt den Blick von dem instrumentalisierten Unternehmensmitglied, welches unter der Zurückstellung eigener Wünsche, Be- dürfnisse und Ansprüche seinen Beitrag zur Zielerreichung leisten soll, eben auf diese Phänomene, die scheinbar keine Relevanz hinsichtlich der unternehmeri- schen Zielerreichung besitzen, weshalb der Kulturbegriff häufig in einem infor- malen Zusammenhang gedacht wird. Die Fokussierung der individuellen, nicht ausschließlich auf die organisatorische Zielerreichung zurückzuführenden Be- dürfnisse, Motive und Ansprüche der Organisationsmitglieder und die Aktualisie- rung der Kulturfrage, die vor allem in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einen regelrechten Boom erlebte, ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. So stellte sich mit dem Wandel der Werte von Gehorsam, Ein- und Unterordnung hin zu ei- ner Betonung der eigenen Selbstentfaltung, der abnehmenden Bereitschaft zur Unterordnung, der sinkenden Beurteilung der Arbeit als eine Pflicht und durch die wachsende Bedeutung der Freizeit die Frage, wie auch zukünftig die Identifika- tion und Motivation der Organisationsmitglieder gesichert werden kann (vgl. Rosenstiel 2007: 57). Auch die Sinn- und Orientierungskrise des sozialen Um- felds, welche auf die Skepsis hinsichtlich des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts, eine Unüberschaubarkeit der technisierten Welt und eine zuneh- mende Arbeitsplatzunsicherheit zurückzuführen ist, sowie die zunehmende Um- weltzerstörung bei gleichzeitig ansteigender Wertschätzung unzerstörter Natur finden als Themen gesellschaftlicher Verantwortung Eingang in die Organisationskulturthematik.

Als weiteres Motiv der schwerpunktmäßigen Behandlung der Kulturfrage sei die Erkenntnis der Grenzen rationaler und technokratischer Unternehmensführung genannt, wodurch eine schwindende Bedeutung quantitativer Schlüsselgrößen zu- gunsten einer Aufwertung qualitativer Merkmale hinsichtlich des Unternehmens- erfolgs zu verzeichnen ist. Angesichts der Grenzen der Rationalität und der schwindenden Identifikations- und Bindekräfte werden nun neue Identifikations- und Motivationsquellen benötigt, um den Unternehmenserfolg in einer Situation zunehmender Wirtschaftsprobleme zu sichern, die zudem durch einen verschärf- ten nationalen und internationalen Wettbewerb gekennzeichnet ist. Einen weiteren zentralen Ausgangspunkt, die Frage nach dem Unternehmenserfolg in einem kul- turellen Denkrahmen zu behandeln, stellt der ökonomische Erfolg der überlegenen japanischen Unternehmen dar, der nach Ouchi vor allem auf die kulturellen Un- terschiede Japans zurückzuführen ist (vgl. Deeg 2008: 102).

Der postulierte Zusammenhang zwischen der Organisationskultur und dem Unter- nehmenserfolg soll nun im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Die Haupt- these und die daraus abzuleitenden Untersuchungsfragen ergeben sich durch den Bezug auf eine Auffassung hinsichtlich der Organisationskulturthematik, die vor allem managementtheoretischen Konzepten entlehnt und durch die Anführung des folgenden Witzes verdeutlicht werden kann:

„ Es gibt da einen Witz von einem amerikanischen Manager, es k ö nnte aber genausogut ein deutscher oder ein englischer Manager sein. Also der amerikanische Manager hat in einem Wirtschaftmagazin gelesen, dass die Firmenkultur eine wichtige Sache ist. Daraufhin ruft er seine Mitarbeiter zusammen und gibt ihnen einen Auftrag:Sucht mir irgendwo eine Firmenkultur. Sie darf soundso viel kos- ten. Ihr habt dafür ein halbes Jahr Zeit.

(Wittel 1996: 9)

In Anlehnung an diesen Witz soll von der These ausgegangen werden, dass die Organisationskultur den Unternehmenserfolg maßgeblich positiv beeinflusst. Stellt diese Annahme wirklich nur einen Witz dar oder einen ernst zu nehmenden Sachverhalt von überragender Bedeutung? Zur Überprüfung der angeführten These und zur Beantwortung der Ausgangsfrage „Organisationskultur als Erfolgs- faktor?“ sollen die damit eng verknüpften Leitfragen beantwortet werden, wel- chen Stellenwert die Auffassung der starken Kulturen besitzt und welche mut- maßlichen Funktionen sie erfüllen, ob eine Organisationskultur hinsichtlich der Erfüllung ihrer Funktionen aktiv gestaltet werden kann und welche Bedeutung der Organisationskultur in Bezug auf den Unternehmenserfolg nun letztendlich zu- kommt. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, durch eine kritische Herange- hensweise und eine vergleichende Darstellung unterschiedlicher Auffassungen eine Antwort auf diese Fragen zu finden.

Um dieses Ziel zu verfolgen, wird der Organisationsbegriff im zweiten Kapitel zunächst umrissen, um eine Basis für das weitere Vorgehen zu schaffen. In die- sem Rahmen wird kurz die Entstehung von Organisationen nachgezeichnet und der umfassende Organisationsbegriff im Hinblick auf seinen für diese Arbeit rele- vanten Typus der Arbeits- und Unternehmensorganisation reduziert. Des Weiteren wird auf eine allgemeine Definition der Organisation mit ihren wichtigsten Merkmalen eingegangen, da auf diese auch im weiteren Verlauf der Arbeit partiell Bezug genommen wird.

Das dritte Kapitel nimmt eine theoretische Einbettung des Organisationskultur- konzepts vor, um neben einer Verortung des Kulturbegriffs in die Organisations- theorie der natürlichen/sozialen Systeme die grundlegenden Ideen und Auffas- sungen einer Entwicklung von der rationalen Betriebsführung zur Human Rela- tions-Bewegung nachzeichnen zu können, die als ein zentraler Grundstein für die Behandlung der Kulturfrage im Rahmen organisationaler Phänomene angesehen werden kann.

Im vierten Kapitel wird der Begriff der Organisationskultur zunächst definiert, um eine Grundlage für den weiteren Verlauf dieses Kapitels zu schaffen. In den Un- terpunkten dieses Kapitels werden drei verschiedene Ansätze zur Organisations- kultur erörtert, die bereits unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Frage nach der Gestaltbarkeit der Organisationskultur erkennen lassen. Durch das fünfte Kapitel wird zunächst die funktionalistisch ausgerichtete Auffassung der starken und schwachen Kulturen verdeutlicht, um daran anschließend die erfolgssteuern- den Funktionen einer starken Organisationskultur aufzeigen zu können. Das Ziel dieses Vorgehens besteht darin, das Motiv für die Auseinandersetzung mit den Fragen der Gestaltbarkeit aufzuzeigen, um an späterer Stelle überprüfen zu kön- nen, ob die hohe Bedeutungsbeimessung hinsichtlich der vermeintlichen Funktionserfüllung zu rechtfertigen ist. Im sechsten Kapitel wird durch eine noch- malige Anwendung der drei bereits referierten Organisationskulturkonzeptionen eine Überprüfung der Gestaltungsfrage vorgenommen. Dazu wird durch den Rückgriff auf das Unternehmenskulturmodell nach Peters und Waterman und in Anlehnung an die Funktionen der starken Organisationskultur die Möglichkeit der unternehmerischen Kulturgestaltung an einem sehr pragmatischen Beispiel aufge- zeigt. In einem zweiten Schritt werden die Erkenntnisse dieses Modells durch eine Gegenüberstellung des konträren Metaphern-Ansatzes diskutiert. Im Anschluss daran wird zur Überprüfung der Gestaltungsfrage eine weitere Perspektive darge- legt, die als dynamisches Modell sozusagen zwischen den Annahmen der zuvor referierten Ansätze zu verorten ist.

Nach einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse zur Gestaltungsthese findet im siebten Kapitel eine empirische Überprüfung der These, dass starke Organisa- tionskulturen zum Unternehmenserfolg beitragen, statt. Dazu wird zunächst auf eine quantitative Studie nach Kotter und Heskett Bezug genommen, welche eine schwerpunktmäßige Prüfung der Erfolgsthese vornimmt. Die im Anschluss vor- gestellte qualitative empirische Studie nach Wittel beleuchtet ein kulturelles Spannungsverhältnis, durch welches die Auffassung einer einheitsstiftenden Kon- senskultur und das managementtheoretisch geprägte Bild der kulturellen Funktionserfüllung kritisch hinterfragt werden müssen. Im achten Kapitel wird durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse eine umfassende kritische Würdigung der diskutierten Ansätze vorgenommen, um die formulierten Leitfragen beantworten zu können. Durch dieses Zwischenfazit kann der eher kritische Standpunkt hinsichtlich der Erfolgsthese und die Erkenntnis der Grenzen kultureller Gestaltbarkeit bestätigt werden.

Anlässlich dieses Fazits wird im neunten Kapitel unter dem Drepperschen Rekurs auf die Systemtheorie nach Luhmann ein systemtheoretisches Modell der Organi- sationskultur vorgeschlagen, um die Organisationskulturthematik durch eine Ab- kehr von den managementtheoretisch geprägten Konzeptionen soziologisch einzu- fangen. Dazu werden zunächst die grundlegenden systemtheoretischen Begriff- lichkeiten erörtert, da diese der Einbettung des Organisationskulturbegriffs dienen und aus diesem Grunde nicht einfach vorausgesetzt werden sollen. Auch in die- sem Kapitel wird die Frage nach der Möglichkeit der Kulturgestaltung im Hin- blick auf die vermeintliche Erfüllung der genannten Funktionen behandelt, um eine Darstellung des Organisationskulturkonzepts in einem soziologischen Denk- rahmen zu erzielen. Ein Fazit rundet die Arbeit ab.

2. Was ist eine Organisation? Eine Begriffseingrenzung als Basis für das Verständnis der vorliegenden Arbeit

Dieses Kapitel soll kurz auf die Entstehung von Organisationen eingehen und daran anschließend den für diese Arbeit relevanten Organisationsbegriff als Grundgerüst umreißen, um eine Basis für das weitere Vorgehen zu schaffen. Der Organisationsbegriff zeichnet sich durch eine hohe Vielfältigkeit sowie durch viele unterschiedliche Begriffsdefinitionen, Sichtweisen und Schwerpunktsetzun- gen aus, so dass an dieser Stelle eine Eingrenzung dieses umfassenden Theoriege- bäudes erzielt werden soll.

Die Relevanz der Beschäftigung mit Organisationen drängt sich schon durch den Begriff der Organisationsgesellschaft auf. Die Individuen einer Gesellschaft erle- ben diese überwiegend in Organisationen, sie agieren überwiegend in Organisa- tionen und verbringen den Großteil ihres Lebens in ihnen. So ist die gesellschaft- liche Teilhabe und Zugehörigkeit zu einem großen Teil über Organisationsmit- gliedschaften definiert. Organisationen stellen also ein Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft dar und strahlen gewisse Effekte auf der Ebene der Individuen und der Gesellschaft aus. So können sie einen positiven Einfluss auf die Lebenschancen von Individuen nehmen, indem sie die Bedürfnisse sozialer Zugehörigkeit und Interessen durch die Mitgliedschaft befriedigen und die Le- bensqualität verbessern. Andererseits werden auf der individuellen Ebene auch negative Effekte deutlich, die vor allem anhand der klassischen Organisations- und Rationalisierungskonzepte nachgezeichnet werden können. Als Beispiel kön- nen hier die Ausbeutung oder Entfremdung der Arbeiter und der dadurch entste- hende Identifikationsmangel und der Verlust des Sinnbezugs zur Arbeit in Orga- nisationen genannt werden. Auf gesellschaftlicher Ebene lassen sich integrale und desintegrale Effekte nennen. Die gesellschaftliche Integration vollzieht sich zum einen durch die soziale Integration, also durch die Einbindung von Individuen in Organisationen über die Mitgliedschaft, zum anderen über die Systemintegration, durch welche individuelle Interessen zu einer Kollektivorientierung gebündelt werden (vgl. Preisendörfer 2005: 163f.). Die gesellschaftliche Desintegration wird vor allem durch den Rückgang an persönlichen Bindungen in der Gesellschaft deutlich, der durch Organisationen verursacht wird. So wird die personale Un- terstützung, beispielsweise in einem Krankheitsfall, mehr und mehr durch organi- sationale Unterstützung ersetzt. Zudem zeigt sich auf Systemebene die Schwierig- keit, die einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme zu einem Ganzen zu in- tegrieren (vgl. ebd., S. 166). Ungeachtet der Effekte, die von Organisationen ausgehen, bilden sie einen unverzichtbaren Bestandteil der modernen Gesellschaft. Sie ist durch eine umfassende Durchströmung aller Lebensbereiche durch Organisationen gekennzeichnet. Dieses Merkmal, welches die moderne Gesellschaft von den vormodernen unterscheidet, lässt sich aber erst seit ungefähr 200 Jahren beobachten (vgl. Kieser 2007: 4).

Die Gesellschaftsstrukturen der archaischen oder primitiven Gesellschaften waren vorwiegend über verwandtschaftliche Strukturen definiert, nicht aber über die Or- ganisation. Die Einbindung in die vormodernen Stammesgesellschaften erschloss sich durch die Geburt und war durch eine Totalinklusion gekennzeichnet, wo- durch die Mitglieder nicht über die Möglichkeit des freiwilligen Ein- und Austritts verfügten und den einzelnen Gesellschaften, wie z.B. den Zünften, „mit Haut und Haaren“ angehörten. Diese Art der Inklusion überlagerte alle Lebensbereiche, wie beispielsweise das Familienleben, die Freizeit und die Privatsphäre, die als sol- ches in ihrem Eigenwert nicht existierten. Die ökonomische Struktur zeichnete sich durch fehlende Kapital- und Arbeitsmärkte und eine geringe Form der Ar- beitsteilung aus. Mit der zunehmenden Industrialisierung und dem Eintritt in die Moderne, der entstehenden arbeitsteiligen Massenproduktion in Fabriken durch den Einsatz von Maschinen, der wachsenden Nachfrage an Konsumgütern und der Entwicklung von Arbeits- und Kapitalmärkten wurde die ökonomische Effizienz, der Wettbewerb um ökonomische Ressourcen und die ansteigende Notwendigkeit der Koordination und Kontrolle der individuellen Aktivitäten im Rahmen der Pro- duktion bedeutsam. Zudem veränderten sich die Sozialstrukturen dergestalt, dass sich die Einzelpersonen aus den deterministischen Strukturen ihrer Totalinklusion durch die Zusprechung von Rechten befreien konnten, was zu einem Zerfall der feudalen Ordnungen führte und im Ergebnis eine neue Form der Ordnung her- vorbrachte - die Organisation.

Die zunehmende Individualisierung, der technische Fortschritt, die dadurch wach- sende Bedeutung von Angebot und Nachfrage und ökonomischer Effizienz führte also zu der Notwendigkeit, die damit verbundenen komplexen Aufgaben zu koor- dinieren. So bestand beispielsweise die Anforderung, den ökonomischen Bereich in ein eigenständiges spezialisiertes Gebiet zusammenzufassen, wodurch ein ra- pider Anstieg an Wirtschaftsorganisationen, wie z.B. Fabriken und Unternehmen, zu verzeichnen war. Während die Zünfte der vormodernen Gesellschaft noch alle gesellschaftlichen Aufgaben, beispielsweise rechtliche, religiöse, politische, so- ziale und militärische, umfassten und bewältigten, bildeten sich in der Entwick- lung zur modernen Gesellschaft für die verschiedenen Aufgaben eigene Institutio- nen heraus, die die Zunftgesellschaften allmählich durch flexiblere und effizien- tere Organisationen verdrängten und ersetzten. Die Organisationen der modernen Gesellschaft zeichnen sich im Gegensatz zu den Gegebenheiten der vormodernen Gesellschaften vor allem dadurch aus, dass die Mitglieder ihren Ein- und Austritt frei wählen können. Zudem besteht die Möglichkeit, gleichzeitig Mitglied mehre- rer Organisationen, wie z.B. Mitarbeiter in einem Unternehmen, Mitglied einer politischen Partei und zugleich Mitglied eines Kegelclubs, zu sein. Dadurch wird verdeutlicht, dass moderne Organisationen ihre Mitglieder nur partial, also aus- schnitthaft, über gewisse Rollen und nicht mehr gänzlich inkludieren.

Der Aspekt, dass Organisationen einen wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten Bestandteil moderner Gesellschaften ausmachen und den Übergang von den ein- fachen zu den differenzierten Gesellschaften kennzeichnen, gibt Anlass, die Or- ganisationsforschung als bedeutendes Forschungsfeld der Soziologie zu betrach- ten. Die Organisationssoziologie zeichnet sich durch unterschiedliche Herange- hensweisen an Organisationen aus. So können Organisationen anhand verschiede- ner Analyseebenen untersucht werden. Diese Analyseebenen können sich auf die sozialen Gegebenheiten beziehen, die das individuelle Verhalten im Kontext von Organisationen untersuchen, auf die strukturelle Ebene, die beispielsweise be- stimmte Strukturmerkmale der Organisationen hervorhebt, oder die ökologische Ebene, die Organisationen in ihrer Gesamtheit und ihrem Umweltbezug fokussiert (vgl. Preisendörfer 2005: 17). Außerdem werden häufig verschiedene Basisele- mente von Organisationen in den Blick genommen, auf die im Verlauf dieses Ka- pitels näher eingegangen wird. Im Weiteren werden häufig bestimmte Basispro- zesse, wie beispielsweise Entscheidungsprozesse, Kommunikationsprozesse, Konflikte in Organisationen oder der organisatorische Wandel, schwerpunktmäßig betrachtet.

Eine weitere Zugangsweise bieten organisatorische Metaphern, die ein bildhaftes Verständnis von Organisation generieren und die Herangehensweise erleichtern. So können bestimmte organisatorische Prozesse beispielsweise durch die Meta- pher der Kultur dargelegt werden, was in Kapitel 4.1.2 näher beschrieben wird.

Eine weitere Unterteilung bietet die weit verbreitete Charakterisierung von Orga- nisationen als rationale, natürliche oder offene Systeme (vgl. Scott 1986: 92ff.). Diese Perspektiven bringen in ihrer Kombination und unter der Berücksichtigung der Zeitdimension wieder eigene Theorien hervor, wie beispielsweise die Büro- kratieansätze nach Weber oder Taylor im Rahmen der Ansätze der Organisation als rationales System, die Human Relations-Schule hinsichtlich der Organisation als natürliches System oder die Kontingenztheorie in Bezug auf Organisationen als offenes System.

Die einzelnen Theorien beziehen sich zumeist auf bestimmte Grundtypen von Or- ganisationen, in deren Rahmen die organisationalen Phänomene und Prozesse stu- diert werden. So dienen die Grundtypen der Arbeits- und Unternehmensorganisa- tion häufig als Bezugsrahmen analytischer Erkenntnisse. Diese können auch als Basis für das Organisationskulturkonzept herangezogen werden. Die Erkenntnisse über die Arbeits- und Unternehmensorganisationen entspringen der häufigen Be- trachtungsweise von Organisationen als Ressourcenpool oder als korporativer Akteur. Diese entstehen vor allem dann, wenn einzelne Mitglieder sich zu- sammenschließen, um Zielsetzungen, die die Möglichkeiten des Einzelnen über- schreiten, in einem Zusammenschluss effizienter zu erreichen. So bringen die Or- ganisationsmitglieder als individuelle Akteure verschiedene Ressourcen, wie bei- spielsweise ihre Arbeitskraft, Geld, Zeit oder Rechte, als Zusammenschluss in ei- nen Pool ein. Über diese Ressourcenzusammenlegung wird dann nicht mehr indi- viduell, sondern gemeinsam entschieden und disponiert. Die eingebrachten Res- sourcen können dann, vereinfacht ausgedrückt, investiert werden, um einen Kor- porationsertrag zu erzeugen, der dann beispielsweise auf die individuellen Ak- teure verteilt werden kann. Natürlich läuft dieser Prozess nicht reibungslos ab, denn häufig entstehen Beteiligungs-, Entscheidungs- und Verteilungsprobleme. Es müssen beispielsweise Entscheidungen getroffen werden, ob die individuellen Akteure ihre Ressourcen überhaupt in die korporativen Akteure investieren sollen, in welchem Maße und für was die Ressourcen investiert werden sollen und in welcher Weise der Ertrag verteilt werden soll, worauf hier aber nicht näher einge- gangen wird.

Mit der Industrialisierung entwickelte sich ein elementarer Typus von Organisa- tionen, die Arbeitsorganisation, die den operativen Kern einer jeden Organisation ausmacht, da in jeder Organisation in irgendeiner Form Arbeit geleistet wird.

Charakteristisch für die Arbeitsorganisation im klassischen Sinne ist die schon be- schriebene Zusammenlegung von Ressourcen materieller und immaterieller Art, die Arbeitsteilung zur Erhöhung der Produktivität, die Mechanisierung und Au- tomatisierung, ein hierarchischer Aufbau, eine Rationalisierung der betrieblichen Abläufe, was in Kapitel 3.1.1 anhand des Taylorismus noch näher erläutert wird, sowie mikropolitische Prozesse im Rahmen von Machtspielen, die durch unter- schiedliche Interessen der Organisationsmitglieder hervorgerufen werden können.

In modernen Organisationen zeichnen sich gewisse Restrukturierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Arbeitsorganisation ab, die auf die steigende Massenproduk- tion, die wachsende Dynamik der Märkte und die dadurch entstehenden Anforde- rungen an Flexibilität und Produktvariation zurückzuführen sind. Dadurch kam es zu einer zunehmenden Dezentralisierung betrieblicher Aufgaben und Arbeitsab- läufe sowie zu einem Einbezug der Organisationsmitglieder in die Koordinations- und Entscheidungsprozesse. Diesbezüglich zeichnete sich bald ein Trend ab, der die Bedeutung der Mitgliederpartizipation an betrieblichen Entscheidungsprozes- sen im Hinblick auf Effizienzgesichtspunkte hervorhob. Auf diese Erkenntnis ist beispielsweise auch die Idee der bewussten Gestaltung einer gemeinsamen Orga- nisationskultur zurückzuführen.

Neben der Arbeitsorganisation dient die Unternehmensorganisation als weiterer Bezugspunkt für die vorliegende Arbeit. Die Unternehmensorganisation kann als Zusammenschluss mehrerer Arbeitsorganisationen beschrieben werden und dient

- wie die Arbeitsorganisation - als häufig verwendetes Referenzmodell zur Erklä- rung organisationsspezifischer Strukturen und Prozesse. Zusätzlich zum operati- ven Kern, der für die eigentliche Produktionsleistung zuständig ist, bestehen in der Unternehmensorganisation andere Arbeitsorganisationen, wie beispielsweise der Finanz-, Marketing-, Vertriebs- oder Verwaltungsbereich, die die Arbeitsab- läufe des operativen Kerns unterstützen. Charakteristisch für Unternehmensorga- nisationen sind die strategische Spitze und die Verwaltung. Die strategische Spitze trifft Entscheidungen über die Organisationsziele, die Koordination und das Ausmaß der Arbeitsteilung, die Investitionen, Produkte, aber auch über die Sozialordnung innerhalb der Organisation. Die Verwaltung lenkt und steuert die arbeitsorganisatorischen Abläufe, die im operativen Kern stattfinden, und umfasst häufig die bereits erwähnten Bereiche der Finanzen, des Marketings oder des Vertriebs.

Der Verwaltungsbegriff ist eng verbunden mit den Auffassungen über die büro- kratische Organisation. Der Verwaltung im bürokratischen Sinne wird durch ihre verschiedenen Merkmale, wie dem der Amtshierarchie, Unpersönlichkeit der Amtsführung oder der Regelgebundenheit, ein hohes Maß an Effizienz, die der Leistung einer Maschine gleichkommt, zugeschrieben. Die Aufgaben der Ver- waltung lagen im Sinne der klassischen Organisationstheorie vor allem noch in der Rationalisierung der Arbeitsabläufe der Arbeits- und Unternehmensorganisa- tion. Die neueren Entwicklungen der Organisationstheorien verweisen vor allem auf die Grenzen der Rationalität und deren negativen Auswirkungen, worauf an späterer Stelle noch eingegangen wird. Im Ergebnis liefert die Kritik an den büro- kratisch-rationalen Ansätzen neue Perspektiven restrukturierter Arbeits- und Un- ternehmensorganisationen. Ausschlaggebend für diese Entwicklungen sind bei- spielsweise die Anforderungen des steigenden nationalen und internationalen Wettbewerbs und die damit verbundenen Fragen des Unternehmenserfolgs. Zu- dem gelang man mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass durchrationalisierte Ar- beitsabläufe nicht nur zur vermeintlichen Steigerung der Produktionsleistung, sondern auch zur Entfremdung der Arbeit und zu einem Identifikationsverlust auf Seiten der Organisationsmitglieder führen, was auch auf den fortwährenden Wertewandel zurückzuführen ist. Somit stellen sich weiterhin die Fragen nach der Identifikation, der Integration und Motivation der Organisationsmitglieder. Als neuere Entwicklung der Organisationstheorie kann auch das Organisationskultur- konzept genannt werden, welches eine Antwort auf diese Fragen geben soll.

Im folgenden Kapitel werden einige grundlegende Basiselemente und Begrifflich- keiten von Organisationen erläutert, da sie einem Grundverständnis von Organi- sationen dienen. Zudem wird im weiteren Verlauf der Arbeit häufig auf bestimmte Begrifflichkeiten Bezug genommen, wodurch eine vorangehende Erläuterung die- ser notwendig erscheint.

2.1 Definition der Organisation

Die grundlegenden Merkmale von Organisationen können anhand der Definition von Organisationen nach Alfred Kieser aufgezeigt werden. Demnach sind Organi- sationen „(…) soziale Gebilde, die dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das ver- folgte Ziel ausgerichtet werden sollen“ (Kieser 2007: 6). Im weiteren Verlauf sollen nun die einzelnen Aspekte dieser Definition näher beleuchtet werden. Hier- bei ist jedoch anzumerken, dass der Rückgriff auf diese Definition nicht den An- spruch der Allgemeingültigkeit erheben soll, zumal ihre Merkmale als typische Aspekte der rationalen Organisation umstritten sind. Vielmehr soll diese Vorge- hensweise als Basis für ein Grundverständnis von Organisationen dienen.

2.1.1 Organisationziele

Organisationen zeichnen sich durch eine gewisse Zielgerichtetheit aus, welche vor allem von Konzeptionen der Organisation als rationales System betont werden. Die Zielerreichung soll durch die Aktivitäten der Organisationsmitglieder sicher- gestellt werden, indem durch das Organisationsziel Verhaltensregeln an die Mit- glieder gerichtet werden, die wiederum durch die Organisationsstruktur im Hin- blick auf das jeweilige Organisationsziel gesteuert werden (vgl. Kieser 2007: 7). Charakteristisch für Organisationsziele ist, dass sie auf Dauer angelegt sind. Trotzdem können Organisationen sich ändern, denn sie müssen, auch bei unverän- derten Zielen, in der Lage sein, sich an wechselnde Umweltbedingungen anzupas- sen. Auch wenn Organisationen nicht nur über ein Ziel, sondern ein Zielsystem verfügen, in dem die Ziele einerseits hierarchisch (vertikal), andererseits aber auch konfliktär (horizontal) angeordnet sein können (vgl. Endruweit 2004: 103), kann das übergeordnete Ziel in der Sicherstellung des Fortbestands der Organi- sation gesehen werden (vgl. Scott 1986: 121).

Die Ziele der Organisation sind nicht mit den persönlichen Zielen der Organisa- tionsmitglieder gleichzusetzen, sie müssen nicht mit diesen übereinstimmen. Or- ganisationsziele ergeben sich also nicht einfach aus den aggregierten Zielvorstel- lungen einzelner Organisationsmitglieder. Persönliche Ziele der Organisations- mitglieder können ein sicheres Einkommen, Prestige oder ein sicherer Arbeits- platz sein. Dies sind jedoch nicht die Ziele der Organisation. Das Organisations- ziel „Umsatzsteigerung“ kann aber auch ein Ziel der Organisationsmitglieder für die Organisation sein, weil dadurch wiederum das sichere Einkommen gewähr- leistet werden kann. Genauso kann das Interesse am Erhalt der Organisation zum eigenen Ziel der Mitglieder werden, ihr Verhalten beeinflussen und verfestigen.

Die Ziele für die Organisation hängen also oft mit den persönlichen Zielen der Mitglieder zusammen.

Da die Zielvorstellungen der Organisationsmitglieder nicht die Ziele der Organi- sation wiederspiegeln, weil sie sie diesen natürlich auch widersprechen können, müssen die Zielvorstellungen in einem formalen Prozess, z.B. durch eine Ab- stimmung in der Geschäftsleitung, zunächst in Ziele der Organisation übersetzt werden. Natürlich haben diesbezüglich nicht alle Mitglieder die Chance, ihre Zielvorstellungen durchzusetzen, wodurch der Aushandlungsprozess über die Ziele ungleich verteilt ist. Dies verdeutlicht, dass der Zielsetzungsprozess nicht harmonisch verläuft, sondern auch Konfliktpotenzial bietet, da die Organisations- mitglieder, die keinen Einfluss auf die Zielsetzung der Organisation haben, sich den Organisationszielen unterordnen müssen. Dieser Tatbestand kann aber bei- spielsweise durch das Arbeitseinkommen wieder kompensiert werden. Zudem können die Organisationsziele nicht willkürlich durch die Machthaber der Organi- sation formuliert und festgesetzt werden, da sie beispielsweise mit den Anforde- rungen des Wirtschaftssystems oder auch Umweltschutzrichtlinien kompatibel sein müssen.

Bezüglich der Frage, wer nun letztendlich die Ziele einer Organisation festlegt, kann, wie bereits erwähnt, nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder der Organisation am Zielsetzungsprozess beteiligt sind oder die Ziele der Organi- sation mit denen des Unternehmers gleich zu setzen sind. Cyert und March ver- weisen hier auf den Aspekt der dominanten Koalition. Demnach bestehen Organi- sationen aus Koalitionen, denen jeweils gemeinsame Interessen zugesprochen werden können. Die verschiedenen Koalitionen verbünden sich nun mit anderen, deren Interessen sie teilen oder mit solchen, deren Interessen von den eigenen differieren, von deren Unterstützung sie aber abhängig sind, um ihre Interessen durchzusetzen. Die entsprechende Koalition wird dann versuchen, andere Koali- tionen durch Anreize für sich zu gewinnen. So kann, wie bereits angeführt, eine differente Zielauffassung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Arbeitslohn kompensiert werden. An der Zielsetzung sind also alle Koalitionen beteiligt, deren Entscheidungen berücksichtigt werden müssen und die mächtig genug sind, Entscheidungen zu treffen.

Probleme ergeben sich bei dem Versuch, die Ziele einer Organisation zu erfassen, also empirisch zu ermitteln. Eine Möglichkeit ist es, Dokumente heranzuziehen, in denen die Organisationsziele niedergeschrieben sind. Hierbei ist jedoch zu be- achten, dass die tatsächlich verfolgten Organisationsziele, die ggf. nicht aus- drücklich formuliert sind, durch diese Methode unberücksichtigt bleiben. Eine weitere Methode ist es, die Mitglieder der dominierenden Koalition zu befragen. Allerdings sind diese sich über die verfolgten Organisationsziele häufig nicht ei- nig, so dass eine einheitliche Zieldefinition nicht möglich ist. Fruchtbarer er- scheint es, die Ziele aus der Beobachtung der tatsächlich vollzogenen Handlungen und Entscheidungen abzuleiten, um die tatsächlich verfolgten Organisationsziele erfassen zu können. Allerdings ist dieses Verfahren sehr aufwendig.

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch die Tatsache, dass in der Organisa- tionssoziologie unterschiedliche Verwendungsweisen des Zielbegriffs bestehen. Die Konzeption der Organisation als rationales System begreift Ziele als Ent- scheidungskriterien zwischen alternativen Handlungsstrategien. In diesem Fall dienen sie also als Richtschnur zur Entscheidungsfindung, denn die Entscheidun- gen der Organisationsmitglieder werden durch die Ziele beeinflusst, da sie ge- wisse Werthaltungen vorgeben. Hier nehmen die Organisationsziele eine kogni- tive Funktion ein (vgl. ebd., S. 348). Aus der Sicht der Organisation als natürli- ches/soziales System stiften Ziele Motivation und Identifikation, was die emotio- nalen Aspekte des Zielbegriffs hervorhebt. Ziele einer Organisation können aber auch als Evaluationskriterien zur Bewertung und Beurteilung einzelner Organisa- tionsmitglieder dienen oder eine Erfolgskontrolle darstellen, was natürlich voraus- setzt, dass die Ziele möglichst klar formuliert sind. Zudem können Organisations- ziele eine Legitimationsfunktion erfüllen. Organisationen sind auf Ressourcen ihrer Umwelt angewiesen und aus diesem Grunde müssen sie die Umwelt von ihren Vorhaben, eben ihren Zielen, überzeugen können.

Probleme bezüglich der unterschiedlichen Funktion von Organisationszielen tre- ten dann auf, wenn die Ziele beispielsweise sehr vage formuliert werden, so dass Organisationsmitglieder diese einerseits zwar schneller akzeptieren und sich mit ihnen identifizieren können, diese vage formulierten, nicht operationalisierten Ziele aber andererseits nicht der Erfolgskontrolle dienen können. Trotz dieser Un- stimmigkeiten kann gesagt werden, dass Ziele bestimmen, wie Organisationen „(…) Dinge in einer bestimmten Weise mit bestimmten Mitteln (…) tun“ (Scott 1986: 350) und dass aus diesem Grunde ihr Platz als ein relevantes Element von Organisationen gerechtfertigt ist.

2.1.2 Formale Struktur

Der Aufbau von Organisationen sowie die Abläufe in Organisationen werden durch formale Strukturen geregelt. Die formale Organisationsstruktur besteht aus der Gesamtheit von Regeln und Standards, worauf die Organisation zu ihrem Fortbestand angewiesen ist. Durch diese Regelungen, die schriftlich fixiert, aber auch mündlich tradiert werden können, wird das Verhalten der Organisations- mitglieder gesteuert, zudem vorhersagbar und planbar gemacht sowie transparent gehalten, wodurch die Organisationsmitglieder stabile Erwartungen an andere Or- ganisationsmitglieder knüpfen können (vgl. Scott 1986: 95). Die formale Struktur ermöglicht es, rationale Entscheidungsfindungen zu vereinfachen, da in bestimm- ten Situationen nicht immer wieder neu darüber verhandelt werden muss, welche Entscheidungen getroffen werden sollen. Des Weiteren dient die formale Struktur dazu, der Organisation Legitimität zu verleihen. Zu diesem Zweck wird die Orga- nisation so aufgebaut, dass sie den Erwartungen von Anforderungsgruppen in der Organisationsumwelt entspricht, da sie auf diese zu ihrem Erhalt angewiesen ist, weil sie beispielsweise bestimmte Ressourcen von ihnen bezieht. Die Regeln und Standards, aus denen die formale Organisationsstruktur besteht, werden durch legitimierte Personen festgelegt, die beispielsweise berechtigt sind, Stellen und die dazugehörigen Aufgaben zu definieren. Allerdings können solche Regeln auch durch Organisationsmitglieder entstehen, die nicht dem legitimierten Kreis ange- hören, indem sie sich informell untereinander auf bestimmte Arbeitsabläufe eini- gen. Ein weiterer Ursprung organisationaler Regeln sind kollektive Lernprozesse. So können Organisationsmitglieder bzgl. sich wiederholender Aufgaben gewisse Programme entwickeln, die sich in der Vergangenheit bewährt haben und somit als altbewährte Strategien fortgeführt werden. Diese Routineprogramme führen auch selbst wieder zu einer Organisationsstruktur, ohne dass sie eigens organisiert werden muss. Somit beruhen nicht alle Regeln auf der Festlegung durch legiti- mierte Stellen und auch die organisatorischen Aktivitäten müssen nicht aus- schließlich durch offiziell bestehende Regeln gesteuert werden, da die Organisationsmitglieder sich auch selbst Regeln setzen können. Natürlich können diese Regeln den offiziellen widersprechen. Kieser nennt hier das Beispiel der Akkordarbeit: Organisationsmitglieder können Regeln entwickeln, die eine noch zügigere Arbeit ermöglichen, um dadurch ihr Einkommen zu erhöhen. Dieses Vorgehen würde dann den Vorgaben der den Regeln setzenden, legitimierten Stellen widersprechen (vgl. Kieser 2007: 22).

Bezüglich der formalen Organisationsstruktur bestehen nach Kieser fünf ver- schiedene Dimensionen, die das Konzept der Organisationsstruktur bestimmen und für eine Analyse von Organisationen relevant sind: Die Spezialisierung, die Koordination, die Konfiguration, die Entscheidungsdelegation und die Formalisie- rung, auf die hier nur kurz eingegangen werden soll (vgl. ebd., S. 77). Mit der Spezialisierung ist die Arbeitsteilung in Organisationen gemeint, welche es er- möglicht, die gesetzten Organisationsziele effizienter zu erreichen. Hierzu werden für einzelne Arbeitsabläufe spezielle Stellen eingerichtet. Die Gesamtaufgabe wird so in Einzelaufgaben untergliedert, die durch die einzelnen Stellen ausge- führt werden. Demnach üben nicht alle Stellen einer Organisation die gleichen Tätigkeiten aus, sie sind auf bestimmte Tätigkeiten, d.h. Teilaufgaben, speziali- siert. Wenn zur Erfüllung des Gesamtziels einer Organisation die verschiedenen Tätigkeiten durch die Spezialisierung nun in einzelne Teilaufgaben aufgeteilt werden, die zudem durch gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnet sind, sind diese natürlich aufeinander abzustimmen. Die einzelnen Arbeitsabläufe müssen durch gewisse Regelungen koordiniert werden. Hierzu existieren verschiedene Koordinationsinstrumente, wie z.B. die Koordination durch die Organisations- kultur. So wird davon ausgegangen, dass einzelne Arbeitsabläufe durch die von den Organisationsmitgliedern geteilten Überzeugungen, Werte und Normen koor- diniert werden können. Hierauf soll aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, um dem Konzept der Organisationskultur nicht vorzugreifen. Mit der Dimension der Konfiguration wird „(…) die äußere Form des Stellengefüges (…)“ (Kieser 2007: 137) beschrieben. Neben reinen Ausführungsstellen existieren bspw. Leitungsstellen, wodurch das Gesamtgefüge der Stellen in einzelne Berei- che gegliedert ist. Die Strukturdimension der Entscheidungsdelegation beschreibt den Umfang der Entscheidungsbefugnisse, über die eine Stelle verfügt. Der Inha- ber einer Organisation ist bei wachsender Auftragslage beispielsweise nicht mehr in der Lage, alle Entscheidungen für die Organisation allein zu treffen. Einzelnen Stellen oder Abteilungen können so übergeordnete Instanzen zugewiesen werden, an die dann wiederum Entscheidungsbefugnisse delegiert werden. Der Umfang und Inhalt der Entscheidungsbefugnisse kann nun unterschiedlich sein - während eine Instanz befugt sein kann, über Investitionen und Geldbeträge zu entscheiden, sind andere Instanzen damit beauftragt, Entscheidungen über Arbeitszeiten, Be- förderungen oder Entlassungen zu fällen. Bei der Strukturdimension der Formali- sierung handelt es sich um die schriftliche Dokumentation von Strukturen, Abläu- fen und Regelungen der Organisation. So können bspw. Regelungen der Speziali- sierung, Koordination, Konfiguration und Entscheidungsdelegation schriftlich fixiert und für Außenstehende zugänglich gemacht werden. Hinsichtlich der eben umschriebenen Strukturdimensionen der formalen Organisation ist zusammenfas- send zu erwähnen, dass sie eher in großen Organisationen vorzufinden sind. In kleinen Organisationen finden sie wahrscheinlich in Teilen ihren Niederschlag, so dass die einzelnen Aktivitäten in kleinen Organisationen beispielsweise nicht hochgradig spezialisiert sind, jedoch trotzdem koordiniert werden müssen.

Durch die formale Struktur und die bestehenden Regeln kann also ein reibungsloser Ablauf in Organisationen sichergestellt werden. Die mit der formalen Struktur einhergehenden Regeln sind also ein konstituierendes Merkmal von Organisationen. Neben diesen formalen Regelungen, die das organisatorische Handeln lenken, existieren jedoch auch informale Organisationsstrukturen, worauf im folgenden Kapitel näher eingegangen wird.

2.1.3 Informale Struktur

Neben den offiziellen Regeln, die das organisatorische Handeln auf das Organisa- tionsziel hin lenken sollen, existieren auch inoffizielle Regeln - eine informale Organisationsstruktur, die durch informelle Gruppen festgelegt wird. Informelle Gruppen sind kleine Arbeitsgruppen in Organisationen, die sich zum Teil ganz ei- gener Regelungen der Kommunikation und der Arbeitsabläufe bedienen. Die Ba- sis der Entdeckung dieser informalen Organisationsstrukturen ist die arbeitswis- senschaftliche Kleingruppenforschung, die im Rahmen der Human Relations- Schule als die Hawthorne-Experimente bekannt geworden sind. Zu dieser Zeit bestand die Auffassung, die formale und informale Organisationsstruktur seien zwei konkurrierende Bestandteile.

Die informale Struktur wurde als Störfaktor bezeichnet, „(…) die das Ordnungs- monopol der formalen Organisation erschütterte“ (Luhmann 1999: 30). Durch die Entdeckung dieser Strukturen, welche die Auffassung der Organisation als durch- rationalisiertes Konstrukt schwächten, wurde die soziale Komponente der Organi- sation hervorgehoben. Auch die zu Anfang dieses Kapitels angeführte Definition von Kieser verweist auf den Terminus der Organisation als soziales Gebilde. Hiernach ist die Sozialstruktur ein wichtiges Element von Organisationen. Sie beschreibt die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Organisation. Neben einer formalen Struktur mit ihren Normen und Regeln, die eben den normativen, geregelten Ablauf in Organisationen festlegen, besteht die Sozialstruktur, welche die tatsächlichen Abläufe wiederspiegelt. Ersteres soll hier in Anlehnung an Scott als normative Struktur, zweites als Verhaltensstruktur bezeichnet werden (vgl. Scott 1986: 36).

Da das tatsächliche Verhalten der Organisationsmitglieder von den normativen Strukturen und Regelungen abweichen kann, sind beide Gefüge nicht als deckungsgleich anzusehen, sondern vielmehr als ineinander verzahnt. Die Diskre- panz zwischen der normativen Struktur und der Verhaltensstruktur ist mal mehr, mal weniger groß. In manchen Fällen kommen beide zu einer vollständigen Deckung, in anderen Fällen bestehen starke Divergenzen zwischen den Normen und den tatsächlichen Verhaltensweisen. Die normative Struktur übt auf die Ver- haltensstruktur gewisse Zwänge aus, um ihre Regelhaftigkeit zu gewährleisten. Andererseits können Organisationsmitglieder aus diesen normativen Strukturen ausbrechen und sich von diesen abweichend verhalten, wodurch Veränderungen in der normativen Struktur hervorgerufen werden können. Trotzdem wird durch die normative Struktur ein gewisses Maß an Ordnung im Verhalten der Organisa- tionsmitglieder hervorgerufen und beibehalten.

Die Perspektive, informale Strukturen seien Störfaktoren innerhalb der rationalen, durch formale Regelungen gekennzeichneten Organisation, hat sich entscheidend geändert. Demnach leisten die informalen Strukturen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des Systems. Auch Luhmann verweist auf das Bestehen einer informalen Struktur und erhebt den Anspruch, die formale Organisation nicht einzig anhand des rationalen Handelns der Organisationsmitglieder und des Organisations- zwecks zu definieren, wobei die Organisationsmitglieder des rationalen Handelns auch nur begrenzt fähig sind. Vielmehr müssen formale und informale Strukturen gemeinsam gedacht werden (vgl. Luhmann 1999: 32f.). Dazu bedient Luhmann sich des Konzepts der Verhaltenserwartungen. Demnach kann nur Mitglied einer Organisation werden, wer die in der Organisation bestehenden Verhaltenserwar- tungen, wie z.B. die in der Organisation herrschenden Regeln, akzeptiert und anerkennt. Es ist somit nicht möglich, gleichzeitig Mitglied einer Organisation zu sein und die in ihr vorherrschenden Verhaltenserwartungen nicht zu akzeptieren. Ein Dissens bzgl. dieser Verhaltenserwartungen würde den Austritt bzw. Aus- schluss aus dem System nach sich ziehen. Nach Luhmann ist eine Organisation oder sind die Strukturen in ihr insoweit formalisiert, als die Verhaltenserwartun- gen an die Mitglieder des Systems formalisiert sind. Durch die Formulierung von Erwartungen wird ein klares Entweder/Oder geschaffen, welches von den Mitglie- dern akzeptiert werden muss, jedoch beziehen sich diese formulierten Verhaltens- erwartungen nicht auf das gesamte System.

Wie schon am Beispiel der Organisation als soziales Gebilde veranschaulicht wurde, kann durch solche formalisierten Erwartungen eine gewisse Ordnung im Verhalten der Organisationsmitglieder hervorgerufen werden. Innerhalb dieser Ordnung ereignen sich aber eben auch nicht formalisierte Verhaltensweisen, die die faktischen Beziehungen, Verhaltensweisen und informale Regeln wiederspie- geln. Die Nichterfüllung informaler Verhaltenserwartungen, wie beispielsweise inoffizieller Regeln von Arbeitsabläufen, ist nicht mit einem Ausschluss aus dem System verbunden, kann aber beispielsweise mit einer Abwendung anderer Orga- nisationsmitglieder einhergehen oder als unangemessen angesehen werden. Luhmann betont die Wechselwirkung zwischen formaler und informaler Organi- sation und den bedeutenden Beitrag informaler Strukturen. So kann die informale Struktur die Organisation flexibler machen, die Kommunikation kann unkompli- zierter gestaltet werden und die Schwächen der starren formalen Organisation können kompensiert werden. Zwischen formaler und informaler Struktur kommt es zu einer „elastischen Kombination“: „Systembedürfnisse, die im Rahmen der formalen Struktur nicht anerkannt werden können, müssen in informalen Situatio- nen befriedigt werden“ (Luhmann 1999: 285).

Auch die Konzepte der Organisationskulturtheorie verweisen auf die große Ein- flusskraft informaler Strukturen. Die Einflüsse der informalen Strukturen haben hiernach sogar häufig eine größere Prägekraft im Hinblick auf die Leistung der Organisationsmitglieder und den Erfolg einer Organisation als die formalen Fak- toren. Dieser Annahme wird im späteren Verlauf der Arbeit noch größere Be- trachtung geschenkt.

2.1.4 Mitglieder

Hinsichtlich des Begriffs der Mitgliedschaft in Bezug auf Organisationen stellt sich die Frage, wer als Mitglied einer Organisation bezeichnet werden kann. Nach Endruweit ist es nicht zweckmäßig, den Mitgliedschaftsbegriff so weit zu fassen, dass beispielsweise auch Insassen eines Gefängnisses Mitglieder einer Organisa- tion darstellen, da sie keinen aktiven Beitrag zur Erreichung der Organisations- ziele leisten (vgl. Endruweit 2004: 122f.). Denn gerade die Erreichung von Zielen veranlasst Individuen dazu, sich in Organisationen zusammenzuschließen, da sie so zumeist effizienter erreicht werden können als durch einzelne Individuen, wo- bei die Zielerreichung durch eine einzige Person häufig unmöglich ist. Als Mitglieder einer Organisation werden zumeist solche Personen bezeichnet, die sich durch eine aktive Teilhabe am Zielerreichungsprozess auszeichnen und die an den organisatorischen Entscheidungen, die auf den Zielerreichungsprozess hin ausgerichtet sind, beteiligt sind (vgl. ebd., S. 122).

So werden die Klienten und die Träger einer Organisation aus dem Mitglieder- kreis ausgeschlossen, da sie eben nicht aktiv am Zielverwirklichungsprozess teil- haben und keine für die Zielerreichung relevanten Entscheidungen treffen. Auch das Personal einer Organisation wird nach Endruweit aus dem Kreis der Mitglie- der ausgeschlossen, denn das Personal wirkt zwar am Zielerreichungsprozess mit, trifft aber diesbezüglich auch keine relevanten Entscheidungen. Ein bedeutender Unterschied zwischen tatsächlichen Mitgliedern und dem Personal ist, dass die Mitglieder die Mitbegründer einer Organisation sind. Das Personal wird mit an- wachsender Größe der Organisation extern rekrutiert und übernimmt meistens, wie im Rahmen der Spezialisierung bereits ausgeführt, spezialisierte Aufgaben, ohne aber - im Gegensatz zu den Mitgliedern - eine Identifikation mit den Orga- nisationszielen aufweisen zu müssen. Das Personal wird über die Festlegung von Rollen in die Organisationsstruktur eingebunden und die Tätigkeiten des Perso- nals werden auf das Erreichen der Organisationsziele hin ausgerichtet.

Nach Luhmann ist die Mitgliedschaft in Organisationen durch Grenzziehung und bewusste Ein- und Austrittsentscheidungen gekennzeichnet. Demnach ist es den Mitgliedern einer Organisation möglich, ein Innen-Außenverhältnis wahrzuneh- men und sich somit in die Situation von Nicht-Mitgliedern zu versetzen, wodurch die Grenzen einer Organisation in das Bewusstsein gehoben werden. Zudem be- darf es auch bewusster Ein- oder Austrittsentscheidungen, d.h. das Mitglied kann die Mitgliedsrolle im System bewusst wählen, sich also bewusst für oder gegen eine Mitgliedschaft entscheiden, indem es beispielsweise Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft abwägt. Es wird also deutlich, dass der Aspekt der Bewusstheit in Bezug auf die Mitgliedschaft in Organisationen eine große Rolle spielt. Über die Mitgliedsrolle erhält das Mitglied dann Zugang zu allen anderen Rollen im Sys- tem (vgl. Luhmann 1999: 39). Mit dem bewussten Eintritt in das System als Mitglied erklärt es sich bereit, gewisse Systemerwartungen und an die Mitglieds- rolle geknüpfte Verhaltenserwartungen zu erfüllen. Beim Eintritt lässt es seine persönlichen Motive hinter sich zurück, wodurch die Unterscheidung persön- lich/dienstlich in Kraft tritt (vgl. ebd., S. 42).

Durch die bewussten Ein- oder Austrittsentscheidungen, also die Möglichkeit, das Innen-/Außenverhältnis zu betrachten, und durch die an die Mitgliedsrolle ge- knüpften Verhaltenserwartungen wird das System formalisiert. Das Mitglied muss die Mitgliedschaftsregeln akzeptieren und einhalten, da ein Verhalten entgegen der bestehenden Regeln den Ausschluss aus dem System zur Folge haben kann. Die mögliche Konsequenz des Ausschlusses bewirkt, dass in formalen Situationen mit regelkonformem Verhalten gerechnet werden kann. Jedoch bestehen, wie im Kapitel der informalen Organisation bereits erläutert, auch informale Rollen und Verhaltenserwartungen, deren Erfüllung oder Nichterfüllung nicht mit dem Aus- schluss aus dem System verbunden ist, da sie einerseits in Bezug auf die formale Rolle nicht vorgesehen sind und andererseits wichtige Systemfunktionen erfüllen können. Beispielsweise kann der Austausch von Neuigkeiten, der innerhalb der formalisierten Verhaltenserwartungen nicht vorgesehen ist, dazu führen, dass die Mitglieder wissen, in welcher Situation sie und das System als Ganzes sich befin- den. Auch innerhalb der formalen Rollen sind beispielsweise kommunikative Verhaltenserwartungen nicht eindeutig festgelegt, so dass die Kommunikation teilweise variabel gestaltet werden kann. Diesbezüglich sind lediglich gewisse Standards vorgegeben, die die Kommunikation in gewisse Bahnen lenken können. Die formalen Rollen, die teilweise variable Gestaltung dieser und das informale Verhalten sind ineinander verwoben, wodurch das System Lenkbarkeit und Elas- tizität vereint (vgl. ebd., S. 48).

Der Begriff der Rolle legt nahe, dass eine Person nie als Ganzes Teil der Organi- sation wird. Die Mitgliedsrolle bezieht sich nur auf bestimmte Leistungen, die Mitglieder erhalten eben nur über definierte Rollen Zugang zu der Organisation und werden über Verträge in diese eingebunden. Der Zugang zu der Organisation ereignet sich also nicht in Bezug auf eine bestimmte Person, sondern nur auf die Handlungen dieser (vgl. Kieser 2007: 15f.). Da Organisationsmitglieder neben der Mitgliedsrolle in Organisationen zugleich weitere Rollen in sich tragen, wie z.B. bezogen auf das Privatleben die Vaterrolle oder die Rolle des Ehemannes, sind sie nur partiell in die Organisation eingebunden, was mit dem Begriff der Partialin- klusion beschrieben wird. Von einer Totalinklusion hingegen würde man in Be- zug auf das genannte Beispiel der Gefängnisinsassen sprechen.

Nach Kieser ist die intensivste Form der Einbindung von Mitgliedern in Organi- sationen der Arbeitsvertrag, wodurch das Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Mitglied und Organisation definiert wird. Das durch einen Arbeitsvertrag geschaf- fene Verhältnis zwischen den Mitgliedern und der Organisation wird durch An- reize der Organisation und Beiträge der Mitglieder bestimmt. Die Beiträge beru- hen auf dem Engagement der Mitglieder, welche durch ökonomische Anreize ein- gefordert werden können. Neben den materiellen Anreizen existieren jedoch auch Anreize normativ-ideeller Art, „(…) die zusätzlich eine moralische Einbindung und damit Motivation sicherstellen [sollen]“ (Kieser 2007: 13). Jedoch verweist dieser Aspekt bereits auf das Konzept der Organisationskultur, dem an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden soll.

3. Organisationskultur und ihre theoretische Einbettung

Das Konzept der Organisationskultur entstammt der Betrachtung von Organisa- tionen aus der Perspektive, sie als natürliche/soziale Systeme zu begreifen. Wie im Kapitel über die informalen Organisationsstrukturen bereits erläutert, können Organisationen in einem modernen Verständnis nicht als durchrationalisierte Ge- bilde verstanden werden, innerhalb derer das Verhalten der Organisationsmitglie- der ausschließlich durch die formalen Strukturen gelenkt und bestimmt wird. Mit der Entwicklung verschiedener Strömungen des so genannten „natural systems view“ (Preisendörfer 2005: 114), dem auch das Konzept der Organisationskultur zugeordnet werden kann, traten die sozialen, d. h. die tatsächlichen Abläufe in Organisationen, in den Fokus der Betrachtung. Während Organisationen im Rah- men der Auffassung als rationale Gebilde vor allem durch Ziele und Formalität charakterisiert werden, tritt hinsichtlich der Betrachtung von Organisationen als natürliche Gebilde das Verhalten der Organisationsmitglieder in den Vordergrund. Zwar finden auch Merkmale wie Ziele oder Formalität ihre Berücksichtigung, ihr großer Einfluss auf das Verhalten der Organisationsmitglieder wird jedoch in Frage gestellt, so dass der Einfluss informeller Organisationsstrukturen auf die formale Struktur in den Fokus der Betrachtung rückt.

Basierend auf dieser Sichtweise kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Formalität rationalitätsfördernd wirkt. Starre Regeln, Strukturen und die Forde- rung nach rationalem Handeln werden von den Vertretern des natural systems view als Last bezeichnet, denn die Mitglieder einer Organisation sind des ratio- nalen Handelns eben nur begrenzt fähig und nicht in der Lage, nach dem Prinzip des rational-choice-Modells alle möglichen Entscheidungsalternativen zu antizi- pieren und als Folge die rationalste Entscheidung zu treffen. Die Beteiligten einer Organisation treten nicht als rationale Maschinen in die Organisation ein - sie bringen auch immer ihre eigenen Wünsche und Motive mit. Diese Aspekte geben der informellen Struktur ihr Gepräge. Im Rahmen dieser informellen Strukturen bilden sich eigene Normen und Verhaltensmuster aus, wodurch die allgemeinen Defizite der starren formalen Struktur ausgeglichen und die Initiative und Intelli- genz der Organisationsmitglieder gefördert werden können, während stark forma- lisierte Organisationen diese wertvollen Ressourcen verschwenden (vgl. Scott 1986: 125).

Der Organisationskulturansatz findet seine theoretische Einbettung also in den Ansätzen der Organisation als natürliches soziales System, die den sozial gepräg- ten Charakter von Organisationen - die Wünsche, Motive, Bedürfnisse und Ansprüche der Organisationsmitglieder - fokussieren. Das Organisationskultur- konzept wird als Rückbesinnung auf die Human-Relations-Bewegung - ein An- satz der Neoklassischen Organisationstheorie - angesehen, die wiederum auf die von 1924 bis 1932 in den USA von Roethlisberger und später Mayo durchge- führten Hawthorne-Experimente zurückgeht (vgl. Sanders 2006: 64). Diese Orga- nisationstheorien entwickelten sich also in einer kritischen Distanz gegenüber der Auffassung, Organisationen seien rational geprägte Gebilde und wurden von de- nen ins Leben gerufen, die dem Rationalitätsprinzip von Organisationen einige Kritik entgegenbrachten und an diesem zweifelten.

3.1 Von der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor zur Human Relations-Bewegung

Schon die frühen Managementlehren beschäftigten sich mit der Frage der effi- zienten Arbeitsgestaltung und Produktivität in Organisationen. Ziel war es, die Arbeiter zu möglichst hoher Leistung zu bewegen und es stellte sich die Frage, welche Faktoren das Arbeitsverhalten positiv beeinflussen. Der Ausgangspunkt war die Leitidee, die Wirkung physischer Einflussfaktoren auf die Arbeitsleistung zu untersuchen, um so die effizienzsteigernden Größen herauszustellen und in der Praxis umzusetzen. Während im Rahmen der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor der Lohn noch als einziger positiver Wirkfaktor auf die Arbeitsleis- tung galt und die Vorstellung bestand, dass die Arbeiter „(…) primär ökonomisch motiviert [sind]“ (Mikl-Horke 2000: 124), wandelte dieses ökonomisch ausge- richtete Menschenbild sich mit der Human Relations-Bewegung. Als Ergebnis rückten die sozialen Einflussfaktoren und die Organisation - hier der Arbeitsbe- trieb - mehr und mehr als soziales Gebilde in den Vordergrund.

Im Folgenden soll kurz auf die Entwicklung von der wissenschaftlichen Betriebs- führung nach Frederick Taylor zur Human Relations-Bewegung eingegangen werden, um die jeweiligen Auffassungen vergleichend darzustellen und die Ent- wicklung von einem instrumentalisierten Menschenbild der klassischen Organisa- tionstheorien zur Entdeckung des Humanfaktors durch die neoklassischen Organi- sationstheorien nachzuzeichnen.

3.1.1 Die wissenschaftliche Betriebsführung nach Frederick Winslow Taylor

Der Ansatz der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor ist, wie bei- spielsweise auch der Bürokratieansatz nach Weber oder der Administrationsansatz nach Fayol, den klassischen Ansätzen der Organisationstheorie zuzuordnen. Auch wenn diese Ansätze in ihren Grundideen divergieren, so haben sie gemeinsam, Organisationen als rationale Systeme zu betrachten und sie u.a. durch Regeln, Gehorsam und Kontrolle zu charakterisieren. Taylors wissenschaftliche Arbeiten fanden im Rahmen der zweiten industriellen Revolution statt und nahmen am Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang. Ausgelöst durch die Leistungszurück- haltung der Industriearbeiter war es Taylors Leitgedanke, die Arbeitsleistung der Arbeiter durch eine wissenschaftliche Herangehensweise zu optimieren und somit die Konflikte zwischen Arbeitern und Management zu überwinden. Diese Konflikte zeigten sich auf der einen Seite in der Willkür des Managements, wel- cher die Arbeiter unterworfen waren, und auf der anderen Seite in der Leistungszurückhaltung und Sabotage der Industriearbeiter. Taylors übergeord- netes Ziel war die Effizienzsteigerung nach dem ökonomischen Prinzip, durch minimalen Aufwand maximale Leistung zu erzielen: „Die größte Prosperität ist das Resultat einer möglichst ökonomischen Ausnutzung des Arbeiters und der Maschinen, d.h. Arbeiter und Maschine müssen ihre höchste Ergiebigkeit, ihren höchsten Nutzeffekt erreicht haben“ (Taylor 1977: 10). Dazu arbeitete er mit wis- senschaftlichen Beobachtungen und Experimenten, wodurch seine praktischen Arbeiten auch mit dem Begriff des Scientific Management bezeichnet werden. So wollte er beispielsweise anhand der durchgeführten Schaufelgrößenexperimente herausstellen, welche Schaufelbelastung für die Industriearbeiter zur Effizienz- steigerung optimal ist, wobei anzumerken sei, dass hier keine genügende Reprä- sentativität gegeben war.

Wie bereits erwähnt, war der Ausgangpunkt Taylors Überlegungen das „Sich-um- die-Arbeit-drücken“ (ebd., S. 12), was seiner Auffassung nach einerseits in dem menschlichen Instinkt und andererseits in dem Motto begründet lag, so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich zu tun. Diesem Tatbestand galt es nach Taylor anhand seiner vier Grundprinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung ent- gegenzuwirken: Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Leistungs- statt Festlohn, ein hohes Maß an Arbeitsteilung und eine sorgfältige Personalauswahl (vgl. Minssen 2006: 28). Durch die Trennung von Hand- und Kopfarbeit sollten die Industriearbeiter als reines Ausführungsorgan dienen und durch genaue, verbind- liche Vorschriften und Regeln geleitet werden, so dass die Arbeitsleistung nicht mehr von ihrem eigenen Ermessen abhing, denn sie verfügten selbst über das nö- tige Erfahrungswissen zur Verrichtung der Arbeit. Für die zuvor durch die Ar- beiter selbst auszuübende Arbeitsvorbereitung und -planung wurden somit zu- sätzliche Stellen eingerichtet, um die Arbeitsvorgänge optimal zu gestalten. Zu- dem ermöglichte die Trennung der planerischen und der rein auszuführenden Tä- tigkeiten eine höhere Kontrollierbarkeit der Industriearbeiter.

Die Entlohnung im Rahmen der Tayloristischen Produktionsweise wurde in Pen- sum und Bonus gegliedert, um einen Anreiz für hohe Leistungserbringung zu schaffen. Diese Art von Entlohnung sollte nach Taylor jedoch auch den Arbeitern zugute kommen, da sie auf diese Weise einen höheren Lohn erzielen konnten. Des Weiteren wurden die Arbeitsabläufe zwecks Spezialisierung und Effizienz in ein- zelne Teilprozesse untergliedert, um den Leistungsgrad zusätzlich zu erhöhen. Zudem konnte durch die Spezialisierung geringer qualifiziertes Personal rekrutiert werden, wodurch wiederum eine Kostensenkung aufgrund der niedrigeren Ent- lohnung erzielt werden konnte. Das letzte Prinzip der sorgfältigen Personalaus- wahl sollte dazu führen, die einzelnen Arbeitsabläufe nochmals optimal zu ge- stalten, indem durch spezifizierte Anforderungsprofile eine Auswahl der für die jeweiligen Stellen bestgeeigneten Arbeiter erfolgte.

Durch die Umsetzung dieser Prinzipien kam es zu einer hohen Ausdifferenzierung der Organisationsstrukturen und einer Veränderung der Gesamtstruktur der Arbeitsverhältnisse (vgl. Scott: 1986: 99). Die Organisationskosten stiegen unter dem nun erforderlichen Koordinationsaufwand. Jedoch konnten durch die Steigerung der Produktionsmenge bei gleichzeitiger, durch die hohe Spezialisierung hervorgerufene, Senkung der Personalkosten ökonomische Erfolge erzielt werden, wodurch die Tayloristische Produktionsweise die industriellen Arbeitsabläufe maßgeblich beeinflusste und als Vorreiter des fortschrittlichen Denkens hinsichtlich der Steigerung der Arbeitsproduktivität galt.

Aber so fortschrittlich die wissenschaftliche Betriebsführung auch war - es zeig- ten sich auch negative Effekte. Das hohe Maß an Arbeitsteilung und die Standar- disierung der Arbeitsabläufe waren auf Massenkonsum ausgelegt, der durch die hochgradig arbeitsteilige Produktionsweise und die dadurch vergleichsweise nied- rigen Kosten - da nur minder qualifiziertes Personal eingesetzt werden musste - zwar effizient gestillt werden konnte, sobald aber das Konsumverhalten auf Pro- duktvariation und -innovation abzielte, war man auf qualifiziertere Arbeitskräfte angewiesen (vgl. Kieser 2007: 100). Zudem sind die Arbeitsbedingungen im Rahmen der wissenschaftlichen Betriebsführung kritisch zu betrachten. Es herrschten rigide Vorschriften, Zwang, Kontrolle und Disziplinierung. Weiterhin wehrten die Industriearbeiter sich gegen die Standardisierung eines jeden Arbeits- prozesses und den Zwang, stetig Höchstleistungen zu vollbringen. Durch die Kontrolle und Überwachung kam es zu einer Entfremdung der Arbeit, zur Fremd- statt Selbstbestimmung. Die Folge waren Streiks auf Seiten der Arbeiter. Taylors Anliegen war es jedoch, das Management und die Arbeiterschaft zu versöhnen, einen „industriellen Frieden“ (Scott 1986: 100) herzustellen.

Durch diese rationale Strukturierung der Arbeitsabläufe wurden die Industriear- beiter zwar tatsächlich unabhängig von der Willkür des Managements, jedoch wurde Taylor ein „(…) mechanistisches und autoritäres Menschenbild vorgewor- fen (…)“ (Endruweit 2004: 59), was durch einige beispielhafte Aussagen Taylors untermauert werden kann: „Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgend ein Mensch“ (Taylor 1977: 62). Oder: „Ein Mann, der sich in dem Beruf eines Roheisenverladers auf die Dauer wohl fühlt, muss natürlich geistig sehr tief stehen und recht gleichgültig sein“ (ebd., S. 62). Auf Grund dieser negativen Effekte wird die Zeit des Scientific Managements auch mit dem deutlich negativ behafte- ten Begriff des Taylorismus bezeichnet.

3.1.2 Die Human Relations-Bewegung

Das regelgesteuerte Verhalten der Organisationsmitglieder, Befehl und Gehorsam können also als Leitsätze der klassischen Organisationtheorien angesehen werden. Emotionen, Motivation und zwischenmenschliche Beziehungen hatten im Rah- men dieser Ansätze keinen Platz und wurden als Störungen aufgefasst. Diese As- pekte rückten im Rahmen der Humanisierung des Arbeitslebens als Leitidee der Human Relations-Bewegung in den Fokus der Betrachtung. Die Human Relations-Bewegung gründet in den von 1924 bis 1932 von Roethlisberger und später Mayo in den Hawthorne-Werken der Western Electric Company in den USA durchgeführten Hawthorne-Experimenten (vgl. Sanders 2006: 64). Zunächst war das Ziel dieser Untersuchungen, die Wirkung physischer Einflussfaktoren auf die Arbeitsleistung zu untersuchen, da die Auffassung bestand, dass die Methoden der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor nicht ausreichen, eine produktivitätssteigernde Wirkung hinsichtlich der Arbeitsleistung zu erzielen. Im Rahmen der Hawthorne-Experimente sollten nun die „(…) ‚wirklichen‘ Bedürfnisse der Arbeiter (…)“ (Kieser 2007: 36) aufgedeckt werden.

Die ersten Experimente sollten einen Zusammenhang zwischen der Beleuchtungs- stärke am Arbeitsplatz und dem Leistungsniveau der Arbeiter herausstellen. Dazu wurde die Beleuchtungsstärke variiert und die Produktivität erhöhte sich tatsäch- lich, jedoch nicht nur bei erhellter, sondern auch bei absinkender Beleuchtung, also auch im Rahmen verschlechterter Lichtverhältnisse. Diese Tatsache ließ da- rauf schließen, dass weitere Faktoren einen Einfluss auf das nun erhöhte Leis- tungsniveau ausüben. Daraufhin führte man die Beleuchtungsexperimente mit einer Experimental- und einer Kontrollgruppe durch, um mögliche Störfaktoren kontrollieren zu können. Jedoch stieg in beiden Gruppen die Produktivität, ob- wohl die Lichtintensität lediglich in der Experimentalgruppe erhöht wurde. Um diesem Aspekt nachgehen und die tatsächlichen Einflussfaktoren auf die erhöhte Arbeitsleistung bestimmen zu können, wurden anschließend weitere Experimente mit der so genannten Relais-Montage-Testgruppe durchgeführt.

Im Rahmen dieser Experimente sollte im Hinblick auf die einstige Fragestellung überprüft werden, welchen Einfluss beispielsweise eine Verkürzung des Arbeits- tages, ein erhöhter Lohn oder eingeführte Ruhepausen auf die Produktivität ausü- ben. Um nun erstmals auch mögliche psychologische Störfaktoren ausschließen zu können, wurden die Mitarbeiterinnen hinsichtlich ihrer verbesserten Arbeitsbe- dingungen befragt. Wie zu erwarten, stieg auch hier die Produktivität, so dass die Müdigkeit der Arbeiterinnen als physische Einflussgröße auf die Arbeitsleistung bestimmt wurde. Jedoch blieb die Arbeitsleistung auch nach Versetzung der ge- nannten Faktoren in ihren ursprünglichen Zustand auf gleichem Niveau. Der be- rühmte Hawthorne-Effekt stellte sich ein. So stieg die Arbeitsleistung nicht auf Grund der Änderung der physischen Umstände, sondern durch das Bewusstsein der Arbeiter, an einem wissenschaftlichen Experiment teilzunehmen und die ihnen im Rahmen des Experiments geschenkte Aufmerksamkeit. Diese These konnte dadurch gestützt werden, dass die Arbeiter angaben, sich über die Aufmerksam- keit der Forscher zu freuen und aus dass sie aus diesem Grunde das Beste für sie und ihren Betrieb tun wollen (vgl. Scott 1986: 128). Folglich bestand die Vermu- tung, „(…) dass möglicherweise die Beziehung der Arbeiter zu den Vorgesetzten (…) eine Erklärung bot“ (Sanders 2006: 67).

Durch die Befragungen der Mitarbeiter und die Tatsache, dass sie nun erstmals ihre eigene Meinung offen kundtun durften, wurde eine neue Situation geschaf- fen: Es stellte sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten ein. Auf Grund dieser neuen Ausgangssituation und der inkonsis- tenten Ergebnisse der vorangegangenen Experimente wurde die Fragestellung modifiziert: „Was bedeutet dem Arbeiter der ganze Betrieb, seine Tätigkeit, seine Vorgesetzten, seine Arbeitsbedingungen?“ (Roethlisberger 1954: 19f.). Im Rah- men von Interviews, die durch eine non-direktive Gesprächsführung gekenn- zeichnet waren, sollten nun auch menschliche Faktoren erfasst werden. Auch hier zeigte sich ein Phänomen: Die Arbeiter äußerten auch dann eine Zufriedenheit am Arbeitsplatz, wenn beispielsweise Beschwerden unberücksichtigt blieben. Zudem schien es so, als benötigten einige Mitarbeiter in erster Linie ein offenes Ohr für ihre Probleme, jedoch keine Hilfe bezüglich ihrer Beschwerden. Es wurde deut- lich, dass ein Fehler aufgetreten war und das neuartige Problem falsch behandelt wurde. Die Versuchsleiter waren davon ausgegangen, „(…) dass die Menschen Erfahrungen in logische Erkenntnisse umsetzen. Dabei operierten sie mit dem Begriff des ‚homo ökonomicus‘, der in erster Linie von wirtschaftlichen Motiven geleitet ist und seine logischen Fähigkeiten lediglich zur Förderung seiner persön- lichen Interessen nutzt“ (ebd., S. 22). Dies unterstützt wieder die These der neoklassischen Organisationtheorien - im Gegensatz zu den klassischen Ansätzen

- dass Menschen eben nicht als rationale, ökonomisch geprägte Wesen betrachtet werden können, sondern auch individuelle Motive und Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen.

Da nun die sozialen Aspekte in den Vordergrund gerückt waren, wurde in weite- ren Experimenten das Verhalten von Gruppen untersucht und es konnte bei- spielsweise herausgestellt werden, dass Gruppen ganz eigene spezifische Normen hinsichtlich ihrer Arbeitsweise entwickeln. Eine weitere Erkenntnis war somit die

Bedeutung infomeller Gruppen, die, wie im Kapitel der informalen Organisations- prozesse erläutert, ganz eigene Regeln der Kommunikation, Normen und Verhal- tenserwartungen konzipieren. So wechselten die im Rahmen dieser Gruppenunter- suchungen beobachteten Drahtzieher beispielsweise die Arbeitsplätze und halfen einander aus, ohne dass dies in Bezug auf formelle Normen und Regeln vorgese- hen war. Rosenstiel nennt drei Aspekte bezüglich der Entstehung solcher infor- meller Gruppen: Die Häufigkeit der Kontakte zwischen Organisationsmitgliedern, die wahrgenommene Ähnlichkeit der Gruppenmitglieder und das Bewusstsein über eine gemeinsam zu erfüllende Aufgabe (vgl. Rosenstiel 2007: 290).

Durch die Untersuchungen des Verhaltens von Gruppen im Rahmen der Hawthorne-Experimente konnte herausgestellt werden, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen in Gruppen eine größere Prägekraft hinsichtlich des Verhaltens der Organisationsmitglieder besitzen als beispielsweise finanzielle Anreize. Außerdem wurde ein Zusammenhang zwischen dem Zugehörigkeitsgefühl zu Gruppen und einer steigenden Produktivität entdeckt. Die folgende Übersicht soll der Zusammenfassung der Untersuchungsphasen, der Ergebnisse und der daraus resultierenden Interpretationen dienen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 163 Seiten

Details

Titel
Organisationskultur als Erfolgsfaktor?
Untertitel
Eine kritische Bestandsaufnahme
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Soziologie)
Note
2,2
Autor
Jahr
2009
Seiten
163
Katalognummer
V198445
ISBN (eBook)
9783656247906
Dateigröße
966 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Organisationskultur, Kultur, Unternehmenserfolg, Organisationssoziologie
Arbeit zitieren
Nina Montag (Autor:in), 2009, Organisationskultur als Erfolgsfaktor?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198445

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Titel: Organisationskultur als Erfolgsfaktor?



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