Die deutsche Außenpolitik der Jahre 1935-1938 unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Britischen Beziehungen sowie der britischen Appeasementpolitik


Studienarbeit, 1998

106 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II .a. Die Deutsch- Britischen Beziehungen im Jahre 1935
Il.b. Das Deutsch- Britische Flottenabkommen
II.c. Das Deutsch- Britische Verhältnis aus der Sicht Hitlers

Ill.a. Die britische Deutschlandpolitik 1935/36
III.b. Die Abessinienkrise
III.c. Die Rheinlandbesetzung

IV.a. Die Befestigung der Grenze zu Frankreich 1936
IV.b. Das Deutsch- Österreichische Verhältnis ab 1936

V.a. Das Deutsche Auswärtige Amt in den ersten NS- Jahren
V.b. Der spanische Bürgerkrieg aus deutscher Sicht
V.c. Von der Achse Berlin- Rom zum Antikominternpakt

VI.a. Der Antikominternpakt
Vl.b. Die Außenpolitik Deutschlands im Jahre 1937
VI.c. Die Deutschlandreise von Lord Halifax im November 1937

VII.a. Die Geheimkonferenz in der Reichskanzlei am 5.11.1937
Vll.b. NS- Propaganda als Mittel zum Zweck
VII.c. Das Deutsche Auswärtige Amt unter der Leitung Joachim v. Ribbentrops

VIII.a. Prinzipien der deutschen Großbritannienpolitik unter Ribbentrop ab Februar 1938
VIII.b. Großbritanniens Deutschlandpolitik zu Jahresbeginn 1938
VIII.c. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich

IX. Das Abkommen von München und die Zerschlagung der Tschechoslowakei

X. Schlusswort

XI. Chronologie 1935- 1938

Quellenverzeichnis

I. Einleitung

„Peace for our time“ - mit diesem Ausruf charakterisierte der aus München Ende September 1938 nach London zurückgekehrte britische Premierminister Chamberlain das für die Zeit zwischen 1935 und 1939 geltende Grundprinzip der britischen Außenpolitik im Verhältnis zum nationalsozialistischen Deutschland.

Meine guten Freunde, dies ist das zweite Mal in unserer Geschichte, dass aus Deutschland ein ehrenvoller Friede heimgebracht wurde. Ich glaube, der Friede in unserer Zeit ist gerettet.“1

Eine Friedenssicherung um nahezu jeden Preis, auch wenn diese Friedenssicherung, wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte, nur von vorübergehender Dauer war. Dass die Briten im Jahre 1938 glaubten, mit einer fanatisierten, expansionistischen und in jeder Weise rücksichtslosen Diktatur auf Basis „zivilisierter“ Bedingungen ins Gespräch kommen zu können, erwies sich im Nachhinein als Fehlglaube. Mit einem Herrn Hitler war im Jahre 1938 schon lange kein Geschäft auf gleichberechtigter Basis mehr machbar.

Dass sich Neville Chamberlain trotzdem nach seiner Rückkehr aus Deutschland als Friedensretter Europas feiern ließ, änderte nichts an der Tatsache, dass die britische Politik Nazideutschland gegenüber endgültig gescheitert war.

Um dies aus britischer Sicht auch wirklich als Endgültigkeit zu erkennen, dauerte es noch weitere elf Monate - bis zum 1.9.1939- dem Tag, an dem Hitler ohne Kriegserklärung das unabhängige Nachbarland Polen überfiel.

Die vorliegende Studienarbeit soll sich primär mit der deutschen Außenpolitik der letzten drei Jahre vor Kriegsbeginn befassen. Das spezifische Verhältnis des Deutschen Reiches zum Vereinigten Königreich (GB) stellt darin ein wesentliches Thema dar, und soll

anhand einer Anzahl von aus vorhandener Literatur beschafften Original­zitaten und - dokumenten besonders genau ausgeleuchtet werden. Der weiter problemlos funktionierende und noch überwiegend in den Dimensionen des Vertrages von Locarno denkende Beamtenapparat des Deutschen Auswärtigen Amtes zu Beginn des Jahres 1936, seine zunehmende Kaltstellung und schließlich dessen kompromissloser Ersatz durch eine emotional und die diplomatischen Gepflogenheiten negierende national- sozialistische „Direktaußen- und Interventionspolitik“ sollen als weitere Themen herausgearbeitet werden.

Besonders aufgezeigt werden soll dabei auch die stetige, auf eine vorerst friedliche Herausforderung Großbritanniens (GB) ausgerichtete deutsche Politik der vollendeten Tatsachenschaffung am europäischen Kontinent. Appeasement (Beschwichtigung) war in diesem Zusammenhang wohl kein gutes Rezept.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde auch ein kurzer historischer Überblick (siehe Anlage), der dem Leser die nötige Orientierungshilfe zum Verständnis mancher Vorgänge bieten soll, verfasst.

Die analytische Bewertung der nationalsozialistischen Außenpolitik des Zeitraumes 1935- 1938 wird weitgehend in jene Darstellungen, die der Chronologie der Ereignisses folgen, eingearbeitet.

ll.a. Die Deutsch- Britischen Beziehungen im Jahr 1935

Die zu Jahresbeginn 1935 erstmals öffentlich durch die deutsche Reichsregierung diskutierte Infragestellung der Rüstungs­beschränkungen des Versailler Friedensvertrages bewirkte vor allem bei den Signatarmächten Frankreich und GB zunehmendes Misstrauen in eine auch in Zukunft friedvolle und berechenbare Außenpolitik Adolf Hitlers.

Als Folge der von Hitler angefachten Wiederaufrüstungsdiskussion empfahl der damalige britische Außenminister John Simon, der in ähnlichem Unvermögen wie der spätere britische Premierminister Chamberlain die Mentalität des Fanatikers Hitler völlig verkannt hatte, die Westmächte mögen dem Deutschen Reich doch eine beschränkte Wiederaufrüstung anbieten, wenn Hitler gleichzeitig bereit wäre, der Unterzeichnung eines neuen Sicherheits- Abkommens für Zentral- und Osteuropa zuzustimmen. Simons Vorschlag wurde aufgrund entschiedenen Widerstandes Frank- reichs vorerst nicht weiter behandelt.

Nach der überwältigend für einen Wiederanschluss an Deutschland ausgegangenen Volksabstimmung im französisch besetzten Saarland (13.1.35) sowie des von Hitler erklärten endgültigen Verzichts auf die ehemals deutschen Provinzen Elsass und Lothringen änderte sich die bis dahin unnachgiebige französische Haltung, was Anfang Februar 1935 zu einem gemeinsam von Frankreich und GB an Deutschland unterbreiteten Angebot zur Unterzeichnung eines multilateralen Sicherheitspaktes bei gleichzeitiger Aufhebung der Versailler Rüstungsbeschrän­kungen führte.

Die Antwort Hitlers, dem jede Art von internationalen Abkommen, die seine Handlungsfreiheit einschränken konnten, zutiefst suspekt erschien, war dementsprechend vage. Begrüßte er zwar die nunmehr im Bereich des Möglichen liegende „offizielle" Wieder­aufrüstung Deutschlands, so hätte ein derartiges Abkommen konkret doch auch ein Hindernis bei der im Geheimen bereits geplanten Eroberung von „Lebensraum im Osten" bedeuten können. Hitler sah in dem unterbreiteten Angebot jedoch auch eine Möglichkeit, die bisher gemeinsam auftretende Allianz von England und Frankreich stören zu können. Der Gedanke, sich mit dem ihm innerlich nahestehenden Vereinigten Königreich bilateral einigen und in Zukunft vielleicht auch an Drittschauplätzen

gemeinsam agieren zu können, verfolgte Hitler bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1.9.1939 immer wieder.

Das für den 6.3.1935 anberaumte Treffen Hitlers mit dem brit. Außenminister Simon wurde ohne Angabe von Gründen im letzten Moment von britischer Seite storniert. Vermutlich hatten die Briten Hitlers Absichten durchschaut und wollten Frankreich, das gerade den zumindest wirtschaftlich problematischen Verlust des Saarlandes zu verdauen hatte, nicht zusätzlich verärgern.

Wie bereits erwähnt, besaß Hitler ein besonderes inneres Nahverhältnis zum Vereinigten Königreich. Für ihn waren die Engländer aus rassischen Gründen ein den Deutschen verwandtes Volk. Er bewunderte die Fähigkeit der Briten, ein Viertel der gesamten Erde beherrschen zu können und träumte auch noch während des Zweiten Weltkrieges von einer weltumspannenden deutsch- britischen Allianz. So äußerte er sich z.B. am 10.9.1941 2

Wenn Amerika England Hilfestellung leistet, so geschieht das immer nur in Erwägung, dem Augenblick näher zu kommen, wo man England zu beerben in der Lage ist. Ich werde es nicht mehr erleben, aber ich freue mich für das deutsche Volk, dass es eines Tages mit ansehen wird, wie England und Deutschland vereint gegen Amerika antreten. Deutschland und England werden wissen, was eins vom anderen zu erwarten hat. Und wir haben dann die rechten Bundesgenossen gefunden. Sie sind von beispielloser Frechheit, aber ich bewundere sie doch; da haben wir noch viel zu lernen!"

Der durch die Eingliederung des Saarlandes innenpolitisch gestärkte Hitler verkündete Ende März 1935 die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland sowie den Beschluss, die deutsche Reichswehr auf 36 Divisionen aufstocken zu wollen. Damit brach er bereits wesentliche Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages, was von den Signatarmächten nicht so einfach hingenommen werden konnte.

Die als Reaktion auf Hitlers erstmaligen Vertragsbruch von GB, Frankreich und Italien für den 11.4.1935 einberufene

Konferenz von Stresa endete mit einer für Hitler allemal

Verkraftbaren, lediglich verbal artikulierten Verurteilung seiner Vorhaben. Was Hitler mehr störte, war die während der Konferenz von allen drei Mächten abgegeben Sicherheitsgarantie für die östlichen Nachbarländer Deutschlands. Dies bedeutete eine auf Dauer inakzeptable Einschränkung offensiv zu gestaltender nationalsozialistischer deutscher Außenpolitik, zumal Frankreich zusätzlich kurz nach Stresa Beistandspakte sowohl mit der Sowjetunion, als auch mit der Tschechoslowakei abschloss.

Instinktiv erkannte Hitler, dass Italien das schwächste Mitglied der Stresa- Gruppe darstellte. Sein Hauptaugenmerk war daher in den folgenden Jahren auf Benito Mussolini gerichtet. Ihn galt es aus der Westallianz herauszulösen und an das Deutsche Reich fest zu binden. Von deutscher Seite waren daher jedwede Differenzen zwischen Italien und GB, wie sie im Mittelmeerraum bestanden, sowie zwischen Italien und Frankreich, wie sie in Osteuropa auftreten konnten ( Revisionsansprüche des von Italien unterstützten Ungarn gegen Länder der Kleinen Entente) zu begrüßen und wenn möglich zusätzlich zu fordern.

Das neben Hitler und seiner spontan gestalteten Außenpolitik weiterhin bestehende Auswärtige Amt war in der Regel zum Schweigen verurteilt. Die Hoffnung mancher deutscher Spitzendiplomaten, nach den Wirren der letzten Jahre der Weimarer Republik nunmehr endlich wieder alleinige außenpolitische Kompetenz zu erlangen, erwies sich bereits 1935 als Trugschluss. Hitler fällte seine außenpolitischen Entscheidungen in der Regel allein und spontan. Er hielt das Auswärtige Amt als ungeeignet für die Realisierung seiner programmatischen Lebensraumpolitik 3 und setzte zunehmend mehr auf die Mitarbeit ressortfremder nationalsozialistischer Parteifunktionäre. 4 Adolf Hitlers außenpolitische Devise in den Monaten nach der erfolgten Wieder- einführung der Wehrpflicht sowie den Erklärungen von Stresa lautete kurz gesagt: Beschwichtigung der Westmächte um jeden Preis!

Eine Überbeanspruchung der Toleranzfähigkeit vor allem Englands und Frankreichs war unter allen Umständen zu verhindern.

Dies sollte vor allem durch eine demonstrativ zur Schau gestellte Friedenswilligkeit des Deutschen Reiches herausgestrichen werden. Während einer am 21.5.1935 im Reichstag gehaltenen Rede bewies Hitler einmal mehr sein rhetorisches Meisterkönnen. Obwohl bereits sämtliche innerdeutsche Indikatoren auf eine künftig expansive Entwicklung hindeuteten, verstand er, der Welt ein einzig und allein auf die Bewahrung des Friedens festgelegtes nationalsozialistisches Deutschland zu verkaufen. Wörtlich sagte er:

„Deutschland denkt nicht im Entferntesten daran, andere Länder zu erobern. Das nationalsozialistische Deutschland will den Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen Überzeugungen. Es will ihn weiter aus der einfachen primitiven Erkenntnis, dass kein Krieg geeignet sein würde, das Wesen unserer allgemeinen europäischen Not zu beheben."5

Die im Umgang mit Diktatoren vom Schlage Hitlers noch unerfahrenen Westmächte, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht davon ausgingen, dass ein Staatsoberhaupt auch lügen konnte, waren durch Hitlers Friedensbeteuerungen wieder beruhigt worden. Was vor allem GB aufhorchen ließ, war die Erklärung Hitlers, sich auch weiterhin an die Abmachungen von Locarno sowie die nichtmilitärischen Bestimmungen von Versailles halten zu wollen.

Konnte man Hitler etwa doch trauen, oder waren mit ihm abgeschlossene Verträge nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie geschrieben worden waren?

ll.b. Das Deutsch- Britische Flottenabkommen

Die Devise "Beschwichtigung um jeden Preis" galt auch während der weiteren Monate des Jahres 1935.

Ein besonderes Lockangebot unterbreitete Hitler im Rahmen der Reichstagsrede vom 21.5.35 an das Vereinigte Königreich: Deutschland sei zur umfassenden Abrüstung sowie zum Abschluss eines Flotten­abkommens bereit, wenn die künftige Stärke der deutschen Flotte 35 Prozent derjenigen GBs betragen dürfte.

Die von Hitler erwartete allgemeine und öffentliche Bejubelung seiner Vorschläge in der britischen Presse veranlassten die britische Regierung unter ihrem damaligen Premierminister Baldwin, den ausgelegten Köder anzunehmen. GB war- auch unter Preisgabe seiner gemeinsam mit Frankreich praktizierten Deutschlandpolitik- bereit, mit Hitler versuchsweise ein bilaterales Abkommen abzuschließen. Mit der in weiterer Folge am 18.6.1935 erfolgten Vertragsunterzeichnung verbuchte Hitler somit seinen ersten großen außenpolitischen Erfolg. Die in Stresa getroffenen Vereinbarungen waren damit nach nur drei Monaten schon wieder zerbrochen.

Aus heutiger Sicht ist klar erkennbar, dass London mit der Einwilligung zum Aufbau einer deutschen Flotte im Verhältnis 1:3 Hitler freie Hand gab, auf schnellstem Wege die für Deutschland größtmögliche Flotte aufzubauen. Gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens durfte Deutschland nunmehr fünf Schlachtschiffe, einundzwanzig Kreuzer sowie vierundsechzig Zerstörer bauen. Die erste Sprosse auf der Leiter, an deren Ende der 2.Weltkrieg stand, war erfolgreich bestiegen worden.

I I.c. Das Deutsch- Britische Verh ältnis aus der Sicht Adolf Hitlers

Hitler sah im Deutsch- Britischen Flottenabkommen eine erste Partnerschaft zwischen der "alternden See- und Weltmacht" und dem "jungen, deutschen Nationalstaat", dessen Ziel in einer ersten Phase in der Erlangung der ungeschmälerten Herrschaft über den europäischen Kontinent lag.2 Zur Schaffung von neuem "Lebensraum im Osten" benötigte Deutschland eine gesicherte Rückendeckung im Westen. Die Einbindung GBs in einen ausbaufähigen bilateralen Vertragsrahmen sollte nach Hitlers Vorstellung zu einem absehbaren Zerbrechen der Allianz mit Frankreich fuhren. Dementsprechende Vorgaben an die deutsche Außenpolitik wurden von Hitler bis zum Beginn der Sudetenkrise im Mai 1938 als prioritär angesehen.

Hitler hoffte tatsächlich auf ein Deutsch- Britisches "Weltbündnis". In seinem sogenannten zweiten Buch schrieb er dazu: "Es ist in Deutschland eine sehr irrtümliche Auffassung weit verbreitet, dass England nämlich jede europäische Vormacht sofort bekämpfe. Dies ist tatsächlich nicht richtig: England hat sich eigentlich um die europäischen Verhältnisse immer so lange wenig gekümmert, solange ihm nicht aus ihnen heraus ein drohender Weltkonkurrent entstand, wobei es die Bedrohung stets nur in einer Entwicklung empfand, die seine See- und Kolonialherrschaft eines Tages durchkreuzen musste. 3 Aufgrund der aus Hitlers Sicht bestehenden völkischen Verwandt­schaft zwischen Deutschen und Briten müssten die deutsch-­britischen Beziehungen schlussendlich ihren Niederschlag in einem langfristigen Bündnis finden. Hitler hoffte, dass in der britischen Demokratie Juden noch nicht, wie in Frankreich, die Oberhand gewonnen hätten, sondern sich vielmehr die "völkisch-nationalen" Kräfte in England ebenso durchsetzen würden wie in Deutschland. Für ihn fand in allen Demokratien westlicher Prägung ein erbitterter Kampf zwischen "zersetzenden" Kräften des internationalen Judentums und den völkischen „Abwehrkräften" statt. Die entscheidende Frage in seinem Werk „Mein Kampf“ lautete daher auch:

"Können die Kräfte der traditionellen britischen Staatskunst den verheerenden jüdischen Einfluss noch brechen oder

nicht?"4

Der Abschluss des Flottenabkommens bedeutete für Hitler nur einen kleiner Teilerfolg im Bestreben, die noch bestehende "Locarno- Koalition" der drei Westmächte auseinanderzubrechen. Noch war das Rheinland nicht militärisch wiederbesetzt, und noch stand Österreich nach wie vor unter dem persönlichen Schutz Mussolinis. Die im März 1934 zwischen Österreich, Ungarn und Italien unterzeichneten sog. Römischen Protokolle hinderten Hitler vorerst an der aktiven und offenen Vereinnahmung Österreichs. Nach dem gescheiterten NS- Putsch gegen Bundeskanzler Dollfuss im Juli 1934 (Dollfuss wurde in diesem Zusammenhang im Bundeskanzleramt ermordet) verfügte Hitler auf Anraten seiner Spitzendiplomaten des Auswärtigen Amtes bis auf weiteres einen Stopp aller offener NS-Aktivitäten in Österreich. Eine Phase der Konsolidierung, die in das Jahr 1936 hinüberreichen sollte, brach für die deutsche Außenpolitik an.

4. Adolf Hitler: Mein Kampf. München 1943, s.720

III.a. Die Britische Deutschlandpolitik 1935/36

GBs Außenpolitik orientierte sich nach Abschluss des Flottenabkommens im Wesentlichen an drei Grundsätzen:

1) Die vor allem von Frankreichs betriebene Reparationspolitik
Deutschland gegenüber hatte endgültig versagt. Um Deutschland
im Zaum zu halten, müssten andere Mittel angewendet werden.
2) Deutschland müsste unter allen Umständen in ein kollektives
Sicherheitssystem eingebunden werden.
3) Eine solche Einbindung wäre nur dann machbar, wenn die
geheime Aufrüstung Deutschlands als gegebenes Faktum
hingenommen und nicht über bereits in Vollendung befindliche
Tatsachen weiter gestritten werde. Ein Klima der
Gleichberechtigung müsse ab nun gelten.5

Großbritannien war sich bewusst, dass die forcierte Aufrüstung des Deutschen Reiches andernfalls nicht zu stoppen bzw. zu kontrollieren wäre. Frankreich, geschwächt durch innenpolitische Kalamitäten und einen seit 1933 anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung, schwenkte halbherzig auf die Linie der Briten ein.

Was GB Frankreich dafür anbot, war nicht mehr als die öffentliche erklärte Bereitschaft, gemeinsame, als wichtig angesehene Interessen wie z.B. die Bewahrung der Unabhängigkeit Belgiens oder die weitere Entmilitarisierung des Rheinlandes auch in Zukunft wahren zu wollen. Auch Österreichs Unabhängigkeit wurde seitens der Briten als wichtig und der weiteren friedlichen Entwicklung des Kontinents zuträglich eingestuft. Tatsächlich hoffte GB im Jahre 1935 noch auf eine Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund. Ministerpräsident Baldwin erkannte die Gefahr der deutschen Wiederaufrüstung, hielt es aber immer noch für möglich, Hitler mit einer differenzierteren Politik besänftigen und in multilaterale Verträge einbinden zu können, damit der Friede in Europa erhalten bliebe.6

5.Manfred Messerschmidt: Ursachen und Voraussetzungen des 2.Weltkrieges. Stuttgart 1989, s.721 6.M.Messerschmidt, s.722

III.b. Die Abessinienkrise

Mit dem am 2.10.1935 begonnenen Einmarsch von Mussolinis Truppen in Abessinien (Äthiopien) wurde der allmähliche Übertritt Italiens von einem Quasi- Verbündeten der Westmächte zum mit Deutschland fest verknüpften Achsenstaat eingeleitet.

Es hatte den Anschein, als betrachtete Italien- ähnlich wie Hitler­deutschland- das britische Empire als "verängstigtes, kraftloses altes Weib", das schlimmstenfalls nur große Worte machen würde und zweifellos außerstande war, wegen eines Überfalles auf ein ostafrikanisches Land auch tatsächlich Krieg zu führen.7 Tatsächlich war England zum damaligen Zeitpunkt nicht wirklich bereit, sich auf einen bewaffneten Konflikt mit Italien einzulassen. Um Mussolini nicht ganz in die vorgezeichnete Abhängigkeit Hitlers zu treiben, war man auf Seiten GBs insgeheim bereit, die Eroberung Abessiniens zu tolerieren.

Auf Antrag Großbritanniens (dem sich Frankreich nur zögernd anschloss, da es die größere Gefahr in Deutschland sah) beschloss der Völkerbund daher nur marginale Sanktionen gegen Italien. Sanktionen, die derart wirkungslos waren, dass Mussolini ungehindert weiter Krieg in Abessinien führen und sowohl über Suez, als auch über Gibraltar (beide Hafenstädte standen unter britischer Kontrolle) das für seinen Feldzug wichtige Rohöl importieren konnte. Auch für Österreich hatte sich nach der als außenpolitischer Erfolg gewerteten Erklärung von Stresa die diplomatische Lage wieder rasch verschlechtert. Vor allem die Nachteile der seit Jahren bestehenden einseitigen Bindung an Mussolinis Italien zeigten sich nun in ihrer ganzen Problematik. Schon bald nach der Stresa-Erklärung hatte der italienische Diktator erste Andeutungen eines beabsichtigten außenpolitischen Kurswechsels gemacht. So meinte er am 16.5.36, dass das österreichische Problem nunmehr ein europäisches sei, welches nicht ausschließlich Italien zu interessieren habe.8

Der Einmarsch Mussolinis in Abessinien leitete sodann direkt zu einer Annäherung an ein durch das deutsch- britische Flottenabkommen gestärktes Deutschland über, was automatisch eine Schwächung der außenpolitischen Stellung Österreichs zur

Folge haben musste. Aus deutscher Sicht konnte das Abessinien-Abenteuer nur von Nutzen sein. Hitler hoffte in Wahrheit auf eine deutliche internationale Schwächung Mussolinis, was ihn dazu zwingen würde, sich mehr Deutschland anzunähern und gleichzeitig seine Schutzmachtposition Österreich gegenüber aufzugeben.

Aus britischer Sicht war vor allem das künftige Verhältnis zu Mussolini eine Problematik für sich: Einerseits wollte man Italien nicht ganz als Partner verlieren, andererseits forderte jedoch eine über bekanntgewordene italienische Massaker in Äthiopien empörte britische Öffentlichkeit entschieden härtere Umgangsformen mit Mussolini.

Premierminister Baldwin versuchte dem britischen Unterhaus und der Öffentlichkeit daher klar zu machen, dass wirklich ernsthafte Sanktionen gegen Italien schlussendlich Krieg bedeuten würden und dass er daher entschlossen sei, es unter keinen Umständen zu einem Krieg kommen zu lassen.9

Vor allem auf Druck Frankreichs ( Ministerpräsident Laval), das neben Deutschland keinen zweiten feindlich gesinnten Staat in seiner Nachbarschaft dulden wollte, umging das mit der Aus­arbeitung der Sanktionen betraute Völkerbundkomitee daher all jene wirkungsrelevanten Boykottmaßnahmen, die Mussolini hätten auf Dauer verstimmen können. Man wollte Italien einfach nicht endgültig an Hitler verlieren. Mussolini, in absoluter Fehl- einschätzung der Lage davon überzeugt, dass es niemand wagen werde, ihn an seinen Eroberungsplänen in Afrika zu hindern, schloss im Mai 1936 sein militärisches Unternehmen in Abessinien mit der Ausrufung des italienischen Königs Viktor Emanuel zum „ Kaiser von Äthiophien" erfolgreich ab. Hitlers Politik gegenüber Italien war während des Abessinien-Feldzuges in der Tat zwiespältig.

Einerseits stellte Deutschland nach allen Seiten Neutralität zur Schau, andererseits wurde der bedrängte äthiopische Herrscher Haile Selassie insgeheim mit Waffen beliefert, um Italien allenfalls zumindest in Schwierigkeiten bringen zu können. Der Diversions- effekt des Abessinien-Unternehmens für Mitteleuropa sollte auf jeden Fall gefördert werden10 und war ganz im Sinne der nationalsozialistischen deutschen Außenpolitik.

III.c. Die Rheinlandbesetzung

Das nächste, bis zum Jahresbeginn 1936 noch nach allen Seiten geheim gehaltene Ziel Hitlers- die militärische Besetzung der linksrheinischen Gebiete- sollte im Laufe des selben Jahres verwirklicht und durfte unter keinen Umständen durch ausländische Interventions- und Vermittlungsversuch gefährdet werden. Diplomatische Ablenkungsmanöver während des Winters 1935/36 sollten daher die Wartezeit bis zum für Hitler günstigsten Moment des Einmarsches verkürzen. Und tatsächlich ergaben sich durch die Bündnisvereinbarungen Frankreichs mit der Sowjetunion für Deutschland recht rasch außergewöhnliche Möglichkeiten, seinem Ziel näherzukommen:

Der mit der Sowjetunion am 2.3.35 in Paris sowie am 14.3.35 in Moskau unterzeichnete Französisch- Sowjetische Beistandspakt war im November 1935 noch nicht vom französischen Parlament ratifiziert worden. Das deutsche Auswärtige Amt, das diesen Pakt im Sinne Hitlers als "Element der Unsicherheit" im Rahmen des Locarno-Abkommens interpretierte, machte Paris auf diesen Umstand aufmerksam und verlangte eine Erklärung.

Der in der Folge am 21.11.35 zu Hitler vorgeladene damalige französische Botschafter Francois-Poncet musste sich anstelle eines konstruktiven Gesprächs eine tendenziöse Schmährede gegen den Beistandspakt anhören und berichtete kurz darauf nach Paris, er sei "überzeugt, dass Hitler sich mit der Absicht trage, den Pakt als Vorwand zu benutzen, um die entmilitarisierten rheinischen Gebiete zu besetzen".11 Francois-Poncet meinte wörtlich: "Meiner Ansicht nach will sich Hitler nur noch für den zu wählenden Augenblick entscheiden."12

Francois- Poncet galt zur damaligen Zeit als einer der am besten informierten Botschafter in Berlin. Trotzdem war ihm zum Zeitpunkt der Berichterstattung nach Paris noch nicht bekannt, dass der damalige deutsche Kriegsminister General von Blomberg bereits am 2.5.1935- wenige Tage vor Hitlers öffentlicher Beteuerung, er werde alle Abmachungen von Locarno sowie die Territorialklauseln von Versailles akzeptieren - die erste sich explizit auf den Rheinlandeinmarsch beziehende geheime Weisung an die deutsche Wehrmacht erteilte.

Zurückgekehrt von der Beerdigung des ermordeten Schweizer NSDAP-Führers Wilhelm Gustloff äußerte sich Hitler am 12.Februar 1936 auch gegenüber dem damaligen Oberbefehlshaber der Wehrmacht, v. Fritsch, erstmals konkret über die Absicht, das entmilitarisierte Rheinland13 besetzen zu wollen. Die Situation sei einmalig, meinte er, das französische Parlament werde garantiert den Beistandspakt mit der Sowjetunion unterzeichnen und die Welt werde ihn gerade zum jetzigen Zeitpunkt verstehen, wenn er sich gegen einen Bundesgenossen der Bolschewisten absichern wolle.14

Hitler beabsichtigte nicht, mit großen militärischen Formationen im Rheinland einzumarschieren- vielmehr dachte er an eine symbolische Besetzung mit nur neun Bataillonen und drei Artillerieabteilungen. Der militärische Befehl an die Wehrmacht zur Vorbereitung des Einmarsches erging schlussendlich am 2.3.36. Der tatsächliche Einmarschtermin blieb bis auf weiteres offen und hing vom außenpolitisch günstigsten Moment ab.

Strategisch hatte Reichskriegsminister v. Blomberg an einen sog. "friedensmäßigen" Einmarsch gedacht. Darunter war der Einmarsch nur leichtbewaffneter Einheiten, die eher mit Polizei­verbänden verglichen werden sollten, zu verstehen. Im Falle von französischer Gegenwehr war jedenfalls der sofortige Rückzug geplant gewesen.

Hitlers Truppen marschierten am 7.3.1936 völlig überraschend in das entmilitarisierte Rheinland ein. Die Botschafter Italiens, Frankreichs und Großbritanniens wurden von Reichsaußenminister v. Neurath am gleichen Tag empfangen, über die Lage aufgeklärt und gleichzeitig über die einseitige Kündigung der Vereinbarungen von Locarno durch Deutschland, sowie ein deutsches Angebot über den Abschluss eines 25-jährigen Sicherheitspaktes in Kenntnis gesetzt. In einer kurz darauf anberaumten Rede im deutschen Reichstag erklärte Hitler folgendes:

"Deutschland sieht sich nicht mehr an den erloschenen Locarno-

Pakt gebunden Im Interesse des primitiven Rechts eines Volkes

auf Sicherung seiner Grenzen und zur Wahrung seiner Verteidigungsm öglichkeiten hat daher die deutsche Reichsregierung die volle Souver änität des Reiches in der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes wiederhergestellt.In dieser geschichtlichen Stunde vereinigen wir uns alle zu zwei heiligen Bekenntnissen: Erstens zu dem Schwur, vor keiner Macht und keiner Gewalt in der Wiederherstellung der Ehre unseres Volkes zur ückzuweichen, zweitens zu dem Bekenntnis, nun erst recht für eine Verständigung der Völker Europas und ins- besonders für eine Verständigung mit unserem westlichen Nachbarn einzutreten Wir haben in Europa keine territorialen Fragen zu stellen. Deutschland wird niemals den Frieden brechen!"15

Von Hitlers neuerlicher, zumindest nach außen hin zur Schau gestellten Friedensbereitschaft beeindruckt, reagierte das Vereinigte Königreich genauso, wie es sich Hitler vorgestellt hatte: Der britische Außenminister Anthony Eden meinte schon am 9.3.36 im britischen Unterhaus, dass die Besetzung des Rheinlandes zwar dem Prinzip der einseitigen Unverletzlichkeit von Verträgen einen schweren Schlag versetzt habe, dass man jedoch zum Glück nicht annehmen müsste, dass Deutschlands Aktion im Rheinland weitere Feindseligkeiten nach sich ziehen würde.16 Im Übrigen könne England auch irgendwie verstehen, dass Deutsche nicht auf ewig unter fremder (französischer) Überwachung leben wollten.

Frankreich, alarmiert von der neuerlichen Vertragsbrüchigkeit des Deutschen Reiches sowie der Lässigkeit, mit der der Partner Großbritannien die Besetzung hinnahm, zog 13 Divisionen an der Ostgrenze entlang der Maginotlinie 17 zusammen und wartete sodann auf Bitte des Vereinigten Königreiches die weitere Lageentwicklung ab. Sich der Schwäche der in das Rheinland einmarschierten deutschen Truppen bewusst, versuchte Kriegsminister v. Blomberg aufgrund der französischen Truppenkonzentrationen Hitler dazu zu bewegen, einem symbolischen Truppenrückzug zumindest aus Aachen, Trier

und Saarbrücken zuzustimmen. Blombergs Befürchtungen, dass Deutschland eine sowohl moralische, als auch militärische Niederlage erleiden könnte, wurden von Hitler zumindest nach außen hin nicht geteilt. Seinem Chefdolmetscher Paul Schmidt gestand er jedoch später einmal ein: "Die 48 Stunden nach dem Einmarsch im Rheinland sind die aufregendste Zeitspanne in meinem Leben gewesen. W ären die Franzosen tatsächlich damals ins Rheinland eingerückt, hätten wir uns mit Schimpf und Schande zurückziehen müssen, denn die militärischen Kräfte, über die wir verfügten, hätten keineswegs auch nur zu einem massiven Widerstand gereicht."18 Am 11.3.36 flog der französische Außenminister Flandin nach London und erbat militärischen Beistand im Falle einer bewaffneten Aktion seines Landes gegen das nunmehr deutsch besetzte Rheinland. Großbritannien, obwohl durch die Bestimmungen des Locarno- Paktes zu militärischer Unterstützung Frankreichs im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit Deutschland verpflichtet, verweigerte in seinem Bestreben, eine De-eskalierung der Situation herbeizuführen, jede konkrete Hilfszusage.

Weitere Ursachen der britischen Passivität in einem so entscheidenden Moment dürften u.a. auch die innenpolitischen Spannungen zum Jahreswechsel 1935/36 gewesen sein. Die Eroberung Äthiopiens (Abessiniens) durch Mussolini und die brutalen Methoden, mit denen sie durchgeführt wurde, der öffentlich empfundene Schock über eine im Nachhinein bekanntgewordene britisch- französische Initiative zur Aufteilung Äthiopiens zwischen Italien und dem Negus Haile Selassie 19, die für die britische Öffentlichkeit augenscheinliche Niederlage des Völkerbundes und seiner folgenlosen Sanktionen, sowie der unwiderrufliche Zusammenbruch der "kollektiven Sicherheit" (Stresa) hatten nicht nur in der oppositionellen Labour Party und bei den Liberalen, sondern auch in breiten Kreisen der konservativen Wählerschicht die Bereitschaft zu einer gegebenen- falls auch bewaffneten Konfrontation mit den faschistischen bzw. nationalsozialistischen europäischen Diktaturen gestärkt. Die Umsetzung dieser Strömung in ein außenpolitisch geändertes

Verhalten Großbritanniens sollte aufgrund der nachteiligen Rüstungssituation schlussendlich noch mehr als drei Jahre dauern. Winston Churchill meint in seinen Memoiren, dass zum damaligen Zeitpunkt eine entschiedenere, eventuell auch bewaffnete Vorgangsweise der Briten gegen Deutschland und Italien nur unter ausschließlicher Autorität des Völkerbundes möglich gewesen wäre 20. Einseitige Aufrüstungsbestrebungen wurden seitens der konser­vativen englischen Regierung jedoch nach wie vor abgelehnt. Sie blieb damit bis auf weiteres einer Politik treu, die in Mäßigung, halben Maßnahmen und im Beschwichtigen bestand und riet der französischen Regierung im Falle bilateraler mit Deutschland bestehender Probleme lediglich, sich an den bereits im Todeskampf befindlichen Völkerbund zu wenden. Bezeichnend lautete auch der am 10.3.36 veröffentlichte Titel des Leitartikels der regierungsfreundlichen "Times" , in welchem zwar Hitlers Vorgehen im Rheinland beklagt wurde, im Übrigen jedoch kein Missfallen an dessen Militäraktion erkennbar war, folgendermaßen: Eine Chance für den Neuaufbau!.

Selbst der berühmte britische Politiker Lloyd George merkte in aller Öffentlichkeit an, dass der doppelte Vertragsbruch Hitlers (Locarno und Versailles) eigentlich nicht wirklich ein großes Verbrechen dargestellt hätte. 21 Schließlich hätte ja auch eine Provokation vorgelegen, der es galt zu begegnen. Welche Provokation Lloyd George dabei meinte, ist bis heute unklar geblieben. Man vermutet, dass er damit das Versailler Vertrags- werk und die darin enthaltenen großen Gebietsabtretungen Deutschlands meinte.

Rückblickend lässt sich erkennen, dass der geglückte Rheinland­einmarsch Hitler einen Sieg einbrachte, dessen Folgen weit verhängnisvoller sein sollten, als man sich zum damaligen Zeitpunkt überhaupt vorstellen konnte. Zum einen wurde Hitlers Popularität im Inneren gestärkt, was eine künftige Machtstellung sondergleichen für ihn zur Folge hatte. 22

Zum anderen jedoch bedeutete die Verlegung von lediglich drei deutschen Bataillonen in das Rheinland eine grundlegende und folgenschwere Änderung der gesamteuropäischen strategischen Lage, zumal Hitler seinen eigenen Anhängern nunmehr den Beweis

erbracht hatte, dass Frechheit allemal gegen die "zaudernden Demokratien" siegen würde. Bei den Briten erkannte lediglich (wieder einmal) Churchill den Ernst der Situation und warnte im Gleichklang mit namhaften französischen Politikern vergebens vor einer internationalen Anerkennung der von Hitler geschaffenen Tatsachen. In einer am 6.April 1936 im britischen Unterhaus geführten Debatte kam er nochmals auf die vermeidbar gewesene Rheinlandbesetzung zu sprechen und skizzierte klar und nahezu prophetisch die weiteren politischen und militärischen Entwicklungen in Europa. U.a. meinte er wörtlich:

"Die Errichtung einer Kette von Befestigungen gegen über der französischen Grenze (gemeint war der sog. Westwall) wird den Deutschen die Verringerung ihrer Truppenbestände auf dieser Linie ermöglichen und der Hauptmacht eine Umgehungsoperation durch Belgien und Holland gestatten. Die baltischen Staaten, Polen und die Tschechoslowakei, zu denen überdies Jugoslawien, Rumänien, Österreich und einige andere Länder hinzukommen, sind in entscheidender Weise in Mitleidenschaft gezogen, sobald dieses gewaltige Bauvorhaben fertiggestellt ist.23

Dazu gegensätzlich äußerte sich der britische Premierminister Baldwin im Rahmen einer persönlichen Zusammenkunft mit dem verzweifelt nach möglichen "Aktionspartnern" ausschauhaltenden französischen Außenminister Flandin:

"Sie m ögen recht haben mit ihren Warnungen, aber wenn auch nur eine Möglichkeit auf hundert besteht, dass sich aus Frankreichs möglicher Polizeioperation (im Rheinland) ein Krieg ergibt, so habe ich nicht das Recht, England dieser Gefahr auszuliefern. England ist nicht in der Lage, einen Krieg zu beginnen!24

Regierungsfreundlich vertrat auch ein Großteil der britischen Presse die Ansicht, dass die Deutschen ja schließlich nur in ihr eigenes Land zurückkehrten und dies allemal legal sein müsste. Niemanden kümmerte es zum damaligen Zeitpunkt, dass man allen Mächten der Kleinen Entente 25 sowie ganz Resteuropa den Beweis geliefert hatte, dass Frankreich nicht zum Kampf entschlossen war und das Vereinigte Königreich es im Falle bestehender Kampfbereitschaft unter allen Umständen zurückgehalten hätte.26

Das fatale Versäumnis Frankreichs, die Wehrmacht sofort zurückzutreiben, und das Versäumnis Großbritanniens, Frankreich bei dieser "polizeiaktionsähnlichen" Operation zumindest symbolisch beizustehen, schufen wesentliche Voraussetzungen für von Hitler bereits geplante weitere "Überraschungen".

Nun begannen die osteuropäischen Verbündeten Frankreichs den wahren Wert ihrer mit dem durch ständige innenpolitische Krisen geschwächten Land abgeschlossenen Verteidigungspakte langsam zu erkennen. Mit einem verlässlichen Beistand gegen deutsche Eroberungsbestrebungen war in nächster Zukunft nicht mehr zu rechnen.

IV.a. Die Befestigung der Grenze zu Frankreich 1936

Deutschland begann unmittelbar nach der Rheinlandbesetzung im April 1936 mit dem fieberhaften Aufbau des entlang der französischen Grenze verlaufenden Westwalles 27. Dieser sollte, wie Churchill richtig vorhersagte, der in Mittel-und Osteuropa künftig operierenden deutschen Wehrmacht den Rücken frei halten und eine allfällig bestehende Zweifrontensituation, wie sie im 1 .Weltkrieg bestanden hatte, verhindern.

Welchen Wert diese entstehenden Befestigungen für Hitler hatten, deutete der damalige deutsche Außenminister von Neurath am 18.5.36 dem in Berlin zu Besuch weilenden Botschafter der USA in Frankreich, William Bullit, an. Neurath meinte, die Politik des Deutschen Reiches sei nunmehr diejenige, auf außenpolitischem Gebiet nicht eher etwas zu unternehmen, bis das "Rheinland verdaut" sei. Solange die Befestigungen entlang der französischen Grenze nicht fertiggestellt worden seien, werde Deutschland sowohl in Österreich, als auch im bilateralen Verhältnis zur Tschechoslowakei Zurückhaltung ausüben. Neurath sagte u.a. wörtlich:

"Sobald unsere Befestigungen aufgebaut sind und die mittel­europ äischen Länder erkannt haben, dass Frankreich nicht mehr nach eigener Willkür in deutsches Gebiet einfallen kann, werden alle diese Länder ihre außenpolitischen Ansichten modifizieren müssen, und es wird sich eine neue Konstellation ergeben.28

Hier wurde vom deutschen Außenminister explizit auf die künftige Ausgangsposition seines Landes hingewiesen: Das Deutsche Reich als ein an seinen Westgrenzen abgedecktes Machtzentrum, das in Zukunft mit den östlichen Nachbarländern nach eigenem Geschmack und Gutdünken verfahren würde.

IV. b. Das Deutsch- Österreichische Verhältnis ab 1936

Mit der durch die Rheinlandbesetzung sowie den italienischen Einfall in Äthiopien erfolgten Änderung der geostrategischen Gesamtlage wurde die weitere Eigenständigkeit des klerikal­autoritär regierten Kleinstaates Österreich immer problematischer. War bis zum Äthiopienabenteuer Mussolinis Italien ein sicherer Verbündeter Österreichs gegen das Deutsche Reich gewesen, so änderte der strategische Schwenk des Duce in Richtung Hitler­deutschland die Situation grundlegend. Mit einer gegebenenfalls auch militärischen Unterstützung Italiens gegen Deutschland, wie sie angesichts der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuss im Juli 1934 zumindest angedeutet worden war 29, konnte seitens Österreichs von nun an nicht mehr gerechnet werden.

Das ambivalente Verhältnis zweier deutschsprachiger, autoritär regierter zentraleuropäischer Staaten zueinander konnte sich schlussendlich nur in der schrittweisen Anpassung des schwächeren Staates an die Forderungen des stärkeren Staates weiterentwickeln, zumal weder prinzipielle nationale noch ideologische Dogmen von beiden Seiten als unüberwindlich angesehen wurden. Die zum damaligen Zeitpunkt seitens des österreichischen Bundeskanzlers Kurt v. Schuschnigg beschworene österreichische Identität war in breiten Kreisen der Bevölkerung nur halbherzig verankert. Das durch extremen Katholizismus sowie Sympathien für die unter­gegangene Habsburgermonarchie gekennzeichnete "vater­ländische" Bewusstsein konnte nach der im Februar 1934 erfolgten Ausschaltung der österreichischen Linksparteien jedenfalls nicht die Basis für eine erfolgreiche Abwehr der ständig stärker werdenden nationalsozialistischen und großdeutsch denkenden Anhängerschaft Hitlers in Österreich bieten.

Kurt von Schuschnigg schrieb im Rahmen seiner nach dem 2.Weltkrieg veröffentlichten Memoiren: "Schon am Grabe meines Vorgängers30 war mir völlig klar, dass alles darauf ankam, diese Lage zu meistern, sollte Österreich bestehen bleiben. Jene Politik, die Österreich erhalten wollte, musste danach trachten, Hitler keine Angriffspunkte zu bieten und auf irgendeine Weise sich mindestens die Toleranz des Deutschen Reiches, das heißt Adolf

Hitlers, zu sichern.“31

Die Folge dieser Erkenntnis des damaligen österreichischen Bundeskanzlers war der Abschluss des Deutsch- Österreichischen Abkommens vom Juli 1936.

Bereits im Jänner 1936 hatte der deutsche Botschafter Franz v. Papen an Hitler berichtet, dass Österreich aufgrund der veränderten strategischen Situation sich entweder an die Staaten der Kleinen Entente annähern, oder aber eine weiträumige Verständigung mit dem Deutschen Reich werde eingehen müssen.

Hinsichtlich der ersten Variante (Annäherung an die Kleine Entente) war der damalige Gesandte des Vatikans in Österreich politisch besonders aktiv. In einem ursprünglich an Schuschnigg gerichteten, durch NS- Verbindungsleute über Mithilfe v. Papens an Hitler weitergeleiteten Schreiben 32 präzisierte Kardinal- Pronuntius Sybilla (Gesandter des Vatikans) seine Vorstellungen einer künftigen österreichischen Außenpolitik:

l) Ausdrückliche und eindeutige Orientierung nach Großbritannien und Frankreich, solange beide Mächte eine gemeinsame völkerbundkonforme Außenpolitik verfolgen.
2) Wiederherstellung des in sich geschlossenen Wirtschaftsraumes der ehemaligen österreichisch- ungarischen Monarchie, d.h. unbedingte Annäherung an die Staaten der Kleinen Entente.
3) Vermittlung zwischen Ungarn und der Kleinen Entente 32
4) Aktive Beteiligung an den von Paris und Prag unternommenen Versuchen, eine neuerliche Annäherung zwischen London und Rom zustande zu bringen. Bundeskanzler Schuschnigg nahm die Ratschläge Sybillas sehr ernst und reiste bereits am 16.1.36 nach Prag, um sie mit Staatspräsident Benesch sowie Ministerpräsident Hodscha zu erläutern.

Eines der weiteren Gesprächsthemen war die mögliche Schaffung eines kollektiven Sicherheitspaktes der Donaustaaten unter Einbindung Ungarns. Schuschnigg schnitt dabei auch das Thema einer möglichen Restauration der Habsburger 34 an, was von tschechischer Seite jedoch mit Entschiedenheit zurückgewiesen wurde. Ein Habsburgermonarch als Gegengewicht zu Hitler war für die Tschechoslowaken unter keinen Umständen akzeptabel.

Die beabsichtigte Annäherung Österreichs an die Länder der Kleinen Entente scheiterte schließlich einerseits aufgrund der spürbar gewordenen Deutschlandsympathie Italiens, andererseits am Verhalten des grenzrevisionistisch gegen die Staaten der Kleinen Entente eingestellten ungarischen Königreiches 35. Auch die Nichtteilnahme Österreichs an den von den Westmächten gegen Italien verhängten Sanktionen in der Folge des Überfalls in Abessinien (Äthiopien) hatte eine nachhaltige außenpolitische Schwächung Österreichs zur Folge. Bei der Ende März 1936 von Mussolini in Rom einberufenen Konferenz der Regierungschefs der Römer-Pakt Staaten 36 empfahl Mussolini in deutlichen Worten dem österreichischen Bundeskanzler, er möge in absehbarer Zeit einen „Modus Vivendi" mit dem Deutschen Reich in Form eines bilateralen Abkommens suchen, da bis auf weiteres mit keiner substantiellen Unterstützung durch die Westmächte zu rechnen sei.

Ursprünglich der Ansicht, dass die deutsch- österreichische Aussöhnung nur auf multilateraler Basis erfolgen könne, änderte Schuschnigg daraufhin bereits im April 1936 seine Einstellung und gab seine Bereitschaft bekannt, mit Deutschland ein bilaterales Abkommen abschließen zu wollen.

Rasch begonnene Verhandlungen führten schlussendlich zum deutsch- österreichischen Vertrag vom 11.7.1936, in dem sich Deutschland verpflichtete, die Souveränität Österreichs anzuerkennen, sowie sich jeder mittelbaren bzw. unmittelbaren Einwirkung auf die innenpolitische Gestaltung Österreichs "einschließlich der Frage des österreichischen National-

sozialismus“37 bis auf weiteres zu enthalten. Österreich definierte sich im Gegenzug zum "deutscher Staat" und versicherte, dieser Tatsache in seiner künftigen Außenpolitik Rechnung tragen zu wollen. In einem geheimen Zusatzabkommen verpflichtete sich Österreich außerdem, die im Lande bestehende nationale Opposition und Anhängerschaft der NSDAP in die Einheitsbewegung "Vaterländische Front" einzugliedern und damit zu legalisieren. Für Italien bedeutete dieser Vertragsabschluss eine wesentliche Erleichterung für seine bisher recht schwierige verlaufende Annäherungspolitik an das Deutsche Reich. Nach wie vor durch den Einfall in Abessinien (Äthiopien) international isoliert, führte das von Hitler und Schuschnigg unterzeichnete Abkommen zum Wiedergewinn außenpolitischer Flexibilität unter weitgehender Wahrung der weiterhin einflussreichen Stellung als Schutzmacht Österreichs und Ungarns. Die Ende Juli 1936 durch die Westmächte und den Völkerbund erwartungsgemäß erfolgte Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Italien bestätigten Mussolini in seinem außenpolitischen Kurs.

Die im Deutsch- Österreichischen Abkommen verankerten Geheim­klauseln über die künftige Einbindung von Nationalsozialisten in die österreichische Regierung sollten das absehbare Ende des unabhängigen Österreich im März 1938 beschleunigen. Mit der Akzeptanz eines "trojanischen Pferdes" im eigenen Land durch Bundeskanzler Schuschnigg wurden dem Wiener Rechtsanwalt Arthur Seyss- Inquart 38 Tür und Tor für die sofort einsetzende nationalsozialistische Unterwanderung des österreichischen Staatsapparates geöffnet.

in der Regierung Schuschnigg; Kurzzeitbundeskanzler Österreichs unmittelbar während und nach dem Anschluss an das Deutsche Reich, zu Kriegsende Reichskommissar in den besetzten Niederlanden („Festung Holland,,)

V. a. Das Deutsche Ausw ärtige Amt in den ersten NS- Jahren

Die Rolle des Auswärtigen Amtes in den ersten Jahren der national­sozialistischen Herrschaft in Deutschland bestand, wie schon in der Einleitung kurz erwähnt, in der Verwaltung eines zum Zuträger und Kurier degradierten diplomatischen Dienstes. Weiterreichende Außenpolitik wurde von den zumeist noch in der Weimarer Zeit ernannten Botschaftern und Gesandten ab 1933 immer weniger bis gar nicht mehr betrieben. Waren Politiker wie Gustav Stresemann noch davon überzeugt, dass die Rückkehr Deutschlands in das Konzert der Großmächte nur auf dem Weg berechenbarer und vertrauensvoller Kooperation mit den anderen europäischen Mächten möglich schien, um auf friedlichem Wege angestrebte Revisionen durchsetzen zu können, so wurde diese Devise sofort nach Übernahme der Macht durch die National­sozialisten ersatzlos gestrichen.

Um das Bild des Auslandes von Deutschland jedoch vorerst nicht zu trüben, wurde der Führer der national- sozialistischen Bewegung in seiner ersten von ihm gebildeten Reichsregierung vorerst von einer Mehrheit konservativer Minister "eingerahmt", was den Eindruck erwecken sollte, Hitler sei in Wirklichkeit "gezähmt" worden. Diese "Bändigungspolitik"39 gegenüber Adolf Hitler schien sich vor allem auf dem außen- politischen Sektor vorerst bestätigt zu haben. So wurde Konstantin von Neurath, der schon Außenminister in den Weimarer Kabinetten Papen 40 und Schleicher 41 war, erneut zum Reichsaußenminister in einem Kabinett Hitler ernannt und konnte diese Position immerhin bis zum Februar 1938 halten. Praktisch bedeutete dies: die Nationalsozialisten so weit wie möglich von gefährlichen Experimenten abhalten sowie sich der NS-Massenbewegung zwecks Realisierung lang angestrebter Revisionsziele einfach bedienen.42

NS-Staates, sondern um die eigennützige Indienststellung der "guten" vaterländischen und nationalen Elemente, die Erfüllungsgehilfen der selbst beabsichtigten Transformation der politischen und sozialen Ordnung werden sollten- nach Jost Dülffer, Die Machtergreifung und die Rolle der alten Eliten im 3.Reich

In diesem Sinne wies der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes -. Bülow, der persönlich an eine nur kurze Kanzlerschaft Hitlers glaubte, die deutschen Missionschefs an, auf die Regierung des jeweiligen Empfangsstaates beruhigend einzuwirken und darauf hinzuweisen, dass mit -. Neurath ohnehin ein Garant für die weitere außenpolitischen Kontinuität Deutschlands gegeben sei.

Mit den rasanten außenpolitischen Direkterfolgen Hitlers während der ersten Jahre der NS- Herrschaft wurde den Beamten des Auswärtigen Amtes jedoch zunehmend deren eigener Bedeutungs­verlust bewusst. Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, Vater des späteren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, im Februar 1938 vom neuen Reichsaußenminister v. Ribbentrop in diese Funktion bestellt, war bemüht, den Einfluss des Auswärtigen Amtes auf die tatsächlich praktizierte Außenpolitik zurück- zugewinnen und das Amt insgesamt wieder an die sich mehr und mehr verselbstständigende "Staatsmaschine" anzukoppeln.43

Tatsächlich dürfte auch der fanatische Nationalsozialist und spätere Außenminister Joachim v. Ribbentrop offensichtlich bestrebt gewesen sein, zumindest die fachliche Kompetenz des Auswärtigen Amtes gegenüber anderen konkurrierenden NS- Dienststellen zu bewahren und dessen außenpolitische Zuständigkeit innerhalb des Reiches wieder zu stärken- ein Bemühen, das von den Diplomaten hinter vorgehaltener Hand begrüßt wurde. Die guten privaten Beziehungen Ribbentrops zu Himmler 44 führten zu einem immer gewichtiger werdenden Einfluss der SS auf das Auswärtige Amt, was sich sowohl negativ auf die Personalstruktur- geplant war die Schaffung eines diplomatischen Korps neuen, völkischen Typs- als auch auf die vom Auswärtigen Amt nach wie vor betriebene "offizielle" Außenpolitik auswirkte. Eine radikale Reform des Auswärtigen Dienstes war allerdings- zumindest nach der recht neuen These des Historikers Hans- Jürgen Döscher 45 -gar nicht notwendig, da sich die alten Eliten mehrheitlich aus Opportunismus und Anpassungsbereitschaft ohnehin allen von den National­sozialisten vorgegebenen Regelungen gefügt hatten.

in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Die nationalsozialistische Machtergreifung, Paderborn 1984, s.184

V.b. Der spanische Bürgerkrieg aus deutscher Sicht

Der wachsende Verfall des parlamentarischen Regimes in Spanien und die ständig innenpolitischen Einfluss gewinnende spanische kommunistische Bewegung lösten am 17. Juli 1936 eine von in Spanisch Marokko 46 unter Führung des Generals Francisco Franco stationierten nationalistisch gesinnten spanischen Truppenteilen angeführte Militärrevolte gegen die Zentralbehörden aus. Ziel dieser Revolte war die Vernichtung der im Begriffe der Machtübernahme befindlichen Kommunisten, die die Errichtung eines marxistisch orientierten Staates nach leninistischem Vorbild (mit allem dazugehörendem Terror gegen sog. Klassenfeinde) planten. Internationale Unterstützung wurde seitens der Westmächte vorerst weder den sog. Republikanern 47 noch den Nationalisten 48 unter Franco zuteil. Großbritannien, obwohl prinzipiell antikommunistisch eingestellt, wahrte strengste Neutralität. Frankreich hingegen stand nach dem im Mai 1936 erfolgten Regierungswechsel vom Kabinett Flandin zum Kabinett Leon Blum unter Druck der in die französische Volksfrontregierung eingetretenen kommunistischen Minister, die die Unterstützung der formal legalen linken spanischen Regierung mit Kriegsmaterial verlangten. Heimlich wurden daher Flugzeuge und sonstiges Kriegsmaterial nach Spanien geliefert, was die Kampffähigkeit der französischen Armee als bis dahin stärkste Armee Europas beträchtlich schwächte und wesentlich zum übersteigerten militärischen Selbstbewusstsein Hitlers in den Tagen der Sudetenlandkrise des Jahres 1938 fuhren sollte.

Für Hitler und seine Regierung bedeutete der spanische Bürgerkrieg einen willkommenen Anlass, die Kluft zwischen Italien sowie Frankreich und GB weiter zu vertiefen. Hatten die Westmächte gehofft, mit der Aufhebung der Sanktionen gegen Italien eine Verhandlungsbasis bzw. eine neuerliche Annäherung an Mussolini einleiten zu können, so wurde dieses Vorhaben durch das massive italienische Eingreifen in Spanien mit Militärmaterial

[...]


1. Originalzitat Neville Chamberlains anlässlich einer kurzen, nach der Rückkehr aus München am 30.9.1938 erfolgten Ansprache vor Passanten in Downing Street No.10

2 siehe bei: Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941/ 42. Neu herausgegeben von Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber und Martin Vogt. Stuttgart 1965, s.145

3 Wolfgang Michalka: Vom Motor zum Getriebe- das Auswärtige Amt und die Degradierung einer traditions-­
reichen Behörde 1933- 1945; in: Der 2. Weltkrieg, hrsg.von W. Michalka. München 1989, s.251

4. ebenda

5. W.L.Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches; Bindlach 1990, s.276

2. J.Henke: England in Hitlers politischem Kalkül. Vom Scheitern der Bündniskonzeption bis zum Kriegsbeginn (1935-1938), Boppard a.Rh. 1973, s.187

3. Hitlers Zweites Buch. Dokument aus dem Jahre 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L.Weinberg. Vorwort von Hans Rothfels. Stuttgart 1961, s. 167

7. Winston.S.Churchill: Der 2.Weltkrieg-Memoiren- Der Sturm zieht auf. Frankfurt 1985, s.209

8. Norbert Schausberger: Der Griff nach Österreich. Wien 1978, s.335

9. W.Churchill, s.218

10. M.Messerschmidt, s.733

11. W.L.Shirer, s.280

12. Andre Francois-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931-1938. Mainz 1947, s.252/53

13. Diese Zone des Rheinlandes wird in den Artikeln 42, 43 und 44 des Versailler Friedensvertrages definiert und verpflichtete Deutschland u.a. dazu, keine Befestigungen am linken Rheinufer sowie innerhalb von 50 km am rechten Rheinufer zu besitzen bzw. zu errichten. Ferner war es Deutschland untersagt, in diesem Gebiet zu irgendeiner Zeit Militärmanöver durchzuführen noch irgendwelche Vorkehrungen zur Mobilisierung zu treffen.

14..Harry Wilde:Die Reichskanzlei 1933-1945.Frankfurt 1978, s.198

15. W.L.Shirer: Berlin Diary.New York 1941, s.43

16. A.Francois-Poncet, s.196

17. Maginotlinie: Militärisches Befestigungssystem an der franz. Ostgrenze zur Verhinderung eines etwaigen deutschen Überraschungsangriffes. Im 2. Weltkrieg durch deutschen Umgehungsangriff über Belgien als völlig nutzlos erwiesen.

18. Paul Schmidt: Statist auf diplomatischer Bühne 1923-45; Zürich 1949, s.320

19. Negus: äthiopisches Wort für „Kaiser, Herrscher". Gesamte Anrede Haile Selassies lautete „Negus Negisti-
Löwe von Juda"- Die Herrscherdynastie Haile Selassies sah ihren Ursprung in der Nachkommenschaft von
König Salomon und der legendären Königin von Saba

20. W.Churchill, s.235;

21. W.Churchill, s.241

22. Am 29.3.36 abgehaltene Reichstagswahlen (ohne Oppositionsparteien) samt nachträglicher Volksabstimmung über die Wiederbesetzung erbrachten u.a.ein Ergebnis von 98,8 Prozent Ja-Stimmen

23. W.Churchill, s.255

24. Pierre-Etienne Flandin, Politique francaise, 1919 - 40; Paris 1948, s.207

25. Kleine Entente: 1933 unter Führung Frankreichs gegründeter, gegen Ungarn gerichteter Verteidigungspakt Rumäniens, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei

26. W.Churchill,s.248

27. Dieses Pendent zur Maginotlinie wurde von FRankreich selbst nach der an Deutschland erfolgten
Kriegserklärung im September 1939 nur symbolisch attackiert, verfiel während der folgenden
Jahre und wurde erst zum Jahreswechsel 1944/45 wieder ernsthaft in strategische Überlegungen der
Wehrmacht miteinbezogen

28. Nürnberger Dokumente L-150

29. Mussolini Hess am 26.7.34 als Warnung an Hitler vier Divisionen an den Brennerpass verlegen

30. Gemeint ist der 1934 ermordete Kanzler Dollfuss

31. Kurt von Schuschnigg: Ein Requiem in Rot- Weiss- Rot; Zürich 1949, s. 21, 26

32. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Auswärtiges Amt II Österreich 144, Pol 1 Oe, Bericht Nr.A 192
Papen an Hitler vom 10.1.36: Versuche einer Umgruppierung in Österreich. Aussprache mit
Starhemberg,s.3

33. Die Mitgliedstaaten der Kleinen Entente befürchteten revisionistische Bestrebungen Ungarns hinsichtlich
seines Staatsgebietes sowie der in den drei Paktstaaten befindlichen großen ungarischsprachigen Minder-­
heiten

34. Eine der Begründungen Hitlers für die Okkupation Österreichs war u.a. die drohende Rückkehr der
Habsburger, die es zu verhindern galt. Das militärische Unternehmen der dt. Wehrmacht im Zusammenhang
mit dem Anschluss Österreichs im Jahre 1938 wurde daher auch als "Unternehmen Otto" nach dem Sohn
des letzten habsburgischen Kaisers Karl bezeichnet

35. Ungarn war nach wie vor ein Königreich, allerdings mit vakantem Thron. Als sog.“Reichsverweser"
(Vertreter des absenten Königs) agierte der ehemalige Admiral der k.u.k. Marine, Nikolaus v.Horthy

36. 1934 zwischen Italien, Ungarn und Österreich abgeschlossener Pakt, der Italiens Einfluss im Donauraum
absichern sollte

37. Max Löwenthal: Seiltanzen über dem Abgrund-Österreichs Außenpolitik und die Haltung der
Großmächte, ,aus: 1938- Anatomie eines Jahres,Hrsg.Thomas Chorherr; Wien 1987, s.21

38. Arthur Seyss-Inquart (1892- 1946, hingerichtet in Nürnberg). Nationalsozialistischer Innenminister

39. W.Michalka, s.250

40. Franz von Papen (1879- 1969) - mehrfacher konservativer Reichskanzler während des Jahres 1932-ermöglichte Hitler im Januar 1933 die Machtergreifung und wurde später deutscher Botschafter in

Wien, wo er den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich mitvorbereitete.

41. Kurt von Schleicher (1882-1934; ermordet) - General-1932 Reichswehrminister im Kabinett v.Papen; letzter

Reichskanzler der Weimarer Republik, am 28.1.33 von Hitler abgelöst

42. Den meisten Angehörigen der alten Führungsschichten ging es nicht um die Schaffung eines spezifischen

43. Weizsäcker gebrauchte in einem die Rolle des Auswärtigen Amtes beschreibenden Brief die treffende Formu­ lierung: " ist das Amt aus einem Motor bestenfalls ein Getriebe geworden", in: Leonidas E.Hill (Hrsg.):

Die Weizsäcker- Papiere 1933- 1950, Frankfurt/M 1974, s.99

44. Heinrich Himmler; Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei- Selbstmord 1945

45. Hans-Jürgen Döscher, Das Auswärtige Amt und das Dritte Reich, Diplomatie im Schatten der „Endlösung“
Berlin 1987

46. Spanisch Marokko: Unter spanischer Herrschaft stehender Teil Nordmarokkos mit den Städten Tetuan und Tanger. 1956 an das unabhängige Marokko zurückgegeben. Als Reste des ehemaligen spanischen Kolonial­besitzes in Nordafrika existieren noch heute die beiden Exklaven (sog. Presidios) Ceuta und Melilla sowie die vor der marokkanischen Küste liegende Inselgruppe Penon de Velez.

47. Als Republikaner wurden die unter kommunistischer Führung stehenden linken politischen Gruppierungen

sowie internationalen Kampfbrigaden im Spanien des Bürgerkriegs bezeichnet.

48. Als Nationalisten wurden die unter Führung General Francos stehenden rechtsgerichteten Militärs sowie politischen und klerikalen Gruppierungen bezeichnet

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Außenpolitik der Jahre 1935-1938 unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Britischen Beziehungen sowie der britischen Appeasementpolitik
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,2
Autor
Jahr
1998
Seiten
106
Katalognummer
V198647
ISBN (eBook)
9783656249641
ISBN (Buch)
9783656250692
Dateigröße
949 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Studienarbeit für den zweiten Studienabschnitt im Mag.art.- Studium
Schlagworte
Deutsch-Britische Beziehungen, Deutsches Reich, Appeasement Politik 1935- 1938
Arbeit zitieren
B.A., M.A. Martin Krämer (Autor:in), 1998, Die deutsche Außenpolitik der Jahre 1935-1938 unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Britischen Beziehungen sowie der britischen Appeasementpolitik , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198647

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die deutsche Außenpolitik der Jahre 1935-1938 unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Britischen Beziehungen sowie der britischen Appeasementpolitik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden