Energieressourcen als Instrument für politische Erpressungen: Der Fall Russland


Diplomarbeit, 2012

114 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALT

1 Einleitung

2 Terminologie und verwendeter ansatz

3 Ausschnitt analytischer Ansätze zum Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine

4 Außenpolitische Doktrinen Russischer Föderation
4.1 Die Anfänge außenpolitischen Denkens im neuen Russland
4.2 Zwischen 1994 und
4.3 Unter Putin und Medwedew

5 Russische Energiepolitik
5.1 Determinanten des Ausbaus des russischen Energiesektors
5.2 Der Sicherheitsfaktor

6 Russisch-ukrainischer Gaskonflikt
6.1 Chronik des Gasstreits
6.2 Typus des russisch-ukrainischen Gaskonflikts

7 (Politische) Erpressung und der zwang zur Vertragsunterzeichnung

8 Situationsstruktureller Ansatz
8.1 Politische Erpressung - ein defektives Konfliktverhalten
8.2 Machtverteilung zwischen den beteiligten Akteuren
8.2.1 Russland vs. Ukraine: (A)-symmetrie der Machtverteilung im Gaskonflikt
8.2.2 Chronik des gegenseitigen Kräftemessens
8.3 Politische Erpressung und „shadow of the future“
8.4 Der Mechanismus der synchronen Iteration
8.5 Qualität der Gesamtbeziehungen
8.5.1 Politische Dimension
8.5.2 Wirtschaftliche Dimension

9 Das Zwangsphänomen bei Friedrich von Hayek
9.1 Der Zweck und die Struktur des Zwanges
9.2 Die Intention Russlands im Gaskonflikt
9.3 Segmente der Zwangsstruktur
9.3.1 Schadensandrohung gegenüber dem Objekt des Zwanges
9.3.1.1 Zahlungs- und Preisforderungen als Zwangsgegenstand
9.3.1.2 Russlands Monopolstellung
9.3.1.3 Schweregrad des Zwangs
9.3.1.4 Temporäre Reihenfolge im Zwangsmechanismus
9.3.1.5 Schadensandrohung im Konflikt
9.3.1.5.1 Der Begriff „Drohung“
9.3.1.5.2 Glaubwürdigkeitskriterien der Drohung
9.3.1.5.3 Sekundäre Kriterien der glaubwürdigen Drohung
9.3.1.5.4 Der Glaubwürdigkeitskriterium des Kommunikationsabbruchs
9.3.1.6 Synchrone Iteration und Kommunikationsfaktor-Wechselwirkung
9.3.1.6.1 Effizienz der synchronen Iteration 2008 -
9.3.1.6.2 Kommunikative Dimension des Konflikts
9.3.1.7 Russlands Schadensandrohung der Ukraine: nicht vorhanden
9.3.2 Lenkung des Verhaltens des Gezwungenen
9.4 Analysebilanz

10 Schlussbemerkungen

11 Literatur

1 Einleitung

Die Staaten-Energieressourcenproduzenten stehen gelegentlich dem Vorwurf einer Instrumentalisierung eigener Energieressourcen für politische Zwecke gegenüber. Auch Russland geriet wegen der angeblichen Verwendung seiner Energieressourcen als illegitime Instrumente für politische Interessenpositionierung im Gasdisput mit der Ukraine in 2005 - 06 auf die Anklagebank. Dieser Disput endete im Januar 2006 in einem Gaslieferstopp für die Ukraine. Russland wurde des Schürens eines Gaskrieges, der Anwendung der „Energiewaffe“ und der „imperialen Ambitionen“ beschuldigt.

Im Januar 2009 geriet Russland erneut unter heftige Kritik, nachdem es auf die Praktik des Lieferstopps für ukrainische Gaskunden wiederholt zurückgegriffen hatte. Die Russische Föderation (RF) sah sich wieder mit den Vorwürfen der Verwendung des Gases als Waffe und somit der politischen Erpressung der Ukraine konfrontiert.

Der Gaskonflikt mit der Ukraine ist in Russlands Gasgeschäften der am längsten andauernde (aktuell noch nicht abgeschlossene) und (wegen seiner Folgen für Dritte) mit weltweiter Resonanz ablaufende Disput. Diese zwei Indikatoren des Gasdisputs determinierten eine enorme Aufmerksamkeit von Seiten Dritter. Vor diesem Hintergrund bietet sich der russisch-ukrainische Gasdisput als Materie an, mittels derer das Problem der Nutzung von Energieressourcen als Instrument für politische Erpressung objektiviert werden kann.

Als einer der längsten Gasdispute Russlands, vereint er in sich die Verhaltensmuster, auf die Russland mehr oder weniger in seinen weiteren Gaskonflikten, wie z. B. mit Georgien, Polen, Belarus, zurückgegriffen hatte. Deswegen fokussiert sich die Analyse der vorliegenden Arbeit auf den Gasdisput zwischen Russland und der Ukraine, um basierend auf den Ergebnissen dieser Fallanalyse eine Generalisierung für Russlands Verhalten in weiteren Gasdisputen abzuleiten.

Die weltweite Resonanz auf den russisch-ukrainischen Gasdisput führte zu einer relativ breiten Aufarbeitung des Konflikts. Außerhalb der unmittelbaren Parteien des Gasdisputs erfolgte sie nun meistens tendenziell aus der Perspektive der erforderlichen Maßnahmen, die vordergründig die europäische Energiesicherheit maximieren bzw. ihre Abhängigkeit von Russland als Energieressourcenexporteur minimieren sollten.

Der Weg einer wissenschaftlichen bzw. analytischen Präzisierung des Konfliktverhaltens Russlands gegenüber der Ukraine in Form von Erpressung wurde bis jetzt nicht beschritten.[1]

Bisherige Ansätze von Analytikern zum Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine werden in Kapitel 3 exemplarisch dargestellt. Die Summe der Ansätze hilft, die Prädispositionen der Parteien in der Konfrontation und den Konfliktverlauf zu verstehen, für eine zufriedenstellende Analyse des Verhaltens Russlands. Im Sinne einer politischen Erpressung greifen sie nur teilweise.[2]

Dieser Tatbestand leitet zur zentralen Fragestellung der vorliegenden Analyse: Wies Russlands Handeln im bilateralen Gasgeschäft mit der Ukraine tatsächlich die Qualitäten einer Erpressung auf oder handelte es sich um ein den Umständen des Gaskonflikts entsprechendes Verhalten?

Diese Arbeit befasst sich mit einem bei weitem nicht abgeschlossenen Konfliktprozess. Der Analysezeitraum umfasst den Gasdisput in seiner ganzen Ausdehnung, einschließlich der Konfrontation im Sommer 2011. Die Konfliktphasen in den Jahren 2005 - 06 und 2008 - 09 figurieren dabei als Objekte für eine explizite Fallanalyse, um eine adäquate Antwort auf die Basisfrage herbeizuführen.

Energiepolitische Ansprüche Russlands stehen in einer starken Korrelation mit seiner Außenpolitik. Eine rationale Handhabung der nationalen Energieressourcen seit Putin determinierte ein erstärktes Selbstbewusstsein des Landes. Seinerseits trug dieses wiedergewonnene Selbstbewusstsein zu einer zielorientierten Durchsetzung konkreter energiepolitischer Interessen im internationalen Bereich bei, wie dies im Falle des Gasdisputs mit der Ukraine deutlich zum Tragen kam. In diesem Zusammenhang ist es konstruktiv, für die vorliegende Analyse parallel zu der Energiepolitik auch auf die Entwicklungstendenzen der außenpolitischen Linie Russlands einzugehen. Dies wurde im Aufbau der vorliegenden Arbeit berücksichtigt.

Für eine optimale Darlegung der außenpolitischen Daten und Tendenzen werden diese im Begriff „Doktrin“ zusammengefasst. Danach wird der russisch-ukrainische Gasdisput in den Vordergrund der unmittelbaren Fallanalyse gerückt. Hier soll unter anderem der Typus des Gaskonflikts bestimmt werden, was für die weitere Analyse von Relevanz ist, sowie das Problem der Erpressung in Bezug auf bilaterale Gasverträge zwischen Russland und der Ukraine.

Darauf folgend wird im Kapitel 8 die Antwort entnommen werden können, ob der Vorwurf einer Erpressung gerechtfertigt ist bzw. ein derartiges Konfliktverhalten für Russland rational gewesen wäre. Gestützt auf die Fakten des Gasdisputs und auf die in den vorangehenden Kapitel gewonnen Erkenntnisse wird anschließend im Kapitel 9 beantwortet, ob die Ukraine im Gaskonflikt durch Russland erpresst wurde.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Zitate aus den russisch- bzw. ukrainischsprachigen Printmedien und Dokumentquellen aus dem Internet in eigener Übersetzung der Verfasserin (dieser Arbeit) vorgelegt sind.

2 Terminologie und verwendeter ansatz

Energieressourcen sind unterschiedliche Energieträger, die sich für die industrielle Nutzung und die Haushaltsnutzung eignen können, wie z. B. Steinkohle, Erdgas, Erdöl, Wasserenergie usw. Die aktuelle Wirtschaftskonjunktur sowie die zunehmende weltweite Nachfrage nach Erdöl und Erdgas begünstigen Situationen, in denen diese Energieträger von Seiten der Anbieter als Instrumente für die Durchsetzung politischer Interessen genutzt werden können. Die Ölkrise in den 60er Jahren kann in diesem Zusammenhang als Präzedenzfall verstanden werden.

Das Phänomen der Erpressung ist im sozialen Leben ein mehr oder weniger verbreitetes Faktum. Je nach seinem Schweregrad erfährt es diverse soziale Bewertungen und führt zu verschiedenen juristischen Konsequenzen. Während allerdings die soziale Bewertung keinen territorialen Rahmen kennt, beziehen sich die rechtlichen Folgen fast ausschließlich auf das Gebiet eines konkreten Staates.

Erfahrungsgemäß bezieht sich die Definition der politischen Erpressung vordergründig auf die Handlungen (großer) politischer Akteure, unter anderem Staaten, die dadurch die Realisierung einer konkreten politischen Intention zu erleichtern bzw. herbeizuführen suchen. Da eine erpresserische Handlung im Völkerrecht nicht den juristischen Status besitzt, wie dies im nationalen Recht der Fall ist,[3] ist es umso komplizierter, den Fakt einer Erpressung im internationalen Rahmen zu konstatieren, um sie anschließend zu beurteilen. In diesem Zusammenhang kommt es oft vor, dass bestimmte außenpolitische (Inter-)Aktionen eines Staates durch Dritte als Erpressung klassifiziert werden, obwohl sie das bei einer näheren Betrachtung nicht sind.

Die angesprochene defizitäre Lage im internationalen Bereich in Bezug auf das Phänomen der politischen Erpressung wird für die fallbezogene Analyse durch das Zugreifen auf den Zwangsbegriff von Friedrich A. von Hayek (teilweise) kompensiert. Hayeks Zwangsphänomen bezieht sich auf die Verhältnisse in der Gesellschaft bzw. zwischen den einzelnen Personen. Hayeks Zwangsbegriff steht im starken Korrelationsverhältnis mit seinem Willensbegriff[4] ; Analog wie den Willen nur ein Mensch haben kann, wird auch der Zwang nur vom einem Mensch und gegen einen Menschen ausgeübt.[5] Den Staat versteht Hayek als die Regierung, die aus einzelnen Menschen besteht, die einen Willen besitzen. So gesehen können Staaten bzw. Regierungen einen Zwang ausüben bzw. einem Zwang unterworfen werden. In dem Sinne eignet sich Hayeks Zwangsbegriff auch für die Analyse des Zwangsphänomens im internationalen Rahmen.

Zusätzlich ist Hayeks Zwangsbegriff für die vorliegende Fallanalyse insofern relevant und hilfreich, weil Hayek die Indikatoren des Zwangs tiefgreifend in ihrer Substanz und ihrer Bedeutung für den Betroffenen auslegt. Darauf basierende Ausführungen Hayeks helfen zwischen dem Phänomen des echten (schweren, unrechtmäßigen) Zwangs, den zwangsähnlichen Handlungen (milden Zwang) und den Handlungen, die für Hayek keinen Zwang darstellen, zu unterscheiden.

Als die zweite theoretisch-analytische Komponente, die eine möglichst adäquate Evaluation von Russlands Verhalten im Gasdisput ermöglichen soll, agiert in dieser Arbeit der situationsstrukturelle Ansatz von Michael Zürn. Im Zusammenhang mit dem Zwangsbegriff bildet er ein zweidimensionales Konstrukt für die Analyse der zentralen Fragestellung der vorliegenden Arbeit.

Während Hayeks Zwangsbegriff helfen soll, das Vorhandensein erpresserischer Züge im Verhalten Russlands zu konstatieren bzw. zu widerlegen, ist Zürns Ansatz multifunktional und soll seinerseits helfen

- die Determinanten und Einflussfaktoren für das russische Konfliktverhalten zu lokalisieren und
- die (In-)Effizienz einer Erpressung seitens Russlands gegenüber der Ukraine präzise nachzuvollziehen.

3 Ausschnitt analytischer Ansätze zum Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine

Wie bereits erwähnt, entbehren bisherige analytische Ansätze zum Gasdisput zwischen Russ­land und der Ukraine jeglicher wissenschaftlichen Präzisierung. Meistens gehen die Kritiker nicht über die reine „Faktenkonstatierung“ einer erpresserischen Handlung bzw. erpresseri­scher Intentionen Russlands hinaus. So nennt Edward Lukas Russlands Energiepolitik eine mächtige Waffe[6], womit Russland den Westen zu schaden, zu frustrieren und zu schwächen beabsichtigt,[7] und aus diesem Grund müssen Europa und Amerika gemeinsam die wachsende Monopolstellung Russlands brechen.[8]

Margarita Gürtenhofer stellt eine Instrumentalisierung russischer Energiepolitik seit Putin fest, wobei diese Feststellung als wenig begründet und überzeugend erscheint.[9] In seiner neut­ralen Kritik legt Marshall Goldman dar, dass die Energieressourcen zu einem neuen Selbstbewusstsein Russlands, „ja sogar der Dominanz“[10] geführt haben. Seine umfassende Analyse des modernen Russlands als ein Öl-Imperium geht auf die Frage der Instrumentalisierung der Energieressourcen leider nur insofern ein, als dass die gelegentliche Erpressung Europas als ein Faktum wahrgenommen wird.

Anders verhält sich Thomas Roth in seiner Kritik. In Bezug auf die „internationale Diskus­sion“ zur angenommenen Bedrohung Europas durch die „einseitige Abhängigkeit Europas von Energie Russlands“[11] mildert er den Faktor dieser angeblich einseitigen Abhängigkeit mit dem simplen Argument einer „hohen Abhängigkeit beim leistungsgebundenen Erdgasex­port auf beiden Seiten: Weder der Exporteur noch der Importeur kann von heute auf morgen den Geschäftspartner wechseln.“[12] Dieses Faktum einer wechselseitigen Abhängigkeit plus den Faktor der Nüchternheit des Kremls und der wirtschaftlicher Effizienz Gazproms lassen, laut Roth, die Gasdiskussionen mit der Ukraine sich „auch andersherum lesen“[13], als nur nach dem Motto: „Wer Richtung Westen entweicht, bei dem entweicht der Druck aus der Gasleitung - oder das Gas wird sehr viel teuer.“[14]

Gleichzeitig ist es für die russischen Analytiker in Bezug auf den Gaskonflikt relevant auszu­diskutieren, ob es eine Erpressung seitens Russlands gegeben hat und wenn ja, was sie schließlich bezwecken sollte bzw. ob sie sich für Russland rentiert hätte.[15]

Nach der Meinung von Leonid Grigoriew ist „.использования Россией энергетики как не­кого оружия, о чём заговорили в СНГ и в Европе“ insofern unbegründet, weil dies „ про­сто не имеет ни разумной цели, ни разумного сценария. Самой России не только не нужна, но и крайне невыгодна даже мысль об энергетике как об орудии“[16].. Der Grund dafür ist einfach und explizit: Er besteht in einer Abhängigkeit Russlands von Europa als den größten Gaskunden: „Взаимозависимость общая-таков характер современного мира.“[17]

Analog legt in ihrer Konfliktanalyse Natali Grib den Wert für diesbezügliche Differenzen zwischen Russland und der Ukraine auf die wirtschaftlichen Gründe. Dabei gibt sie das wirt­schaftliche Interesse Russlands zu: „Желание … сохранить влияние на территории со­седних стран за счёт возврата под контроль „Газпрома“ трубопроводов, созданных под руководством Министерства газовой промышленности СССР“[18].

Wjatscheslaw Igrunow sieht die Gaskrisen als etwas Ordinäres. Sie sind für ihn lediglich ein Kettenglied in einer ganzen Reihe von Krisen im russisch-ukrainischen Verhältnis.[19]

4 Außenpolitische Doktrinen Russischer Föderation

4.1 Die Anfänge außenpolitischen Denkens im neuen Russland

Unmittelbar nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR fehlte der jungen russischen Diplomatie in Sachen des Konstruierens einer außenpolitischen Doktrin jegliche Erfahrung. Die russische Diplomatie sah sich Anfang der 90er Jahre vor einer äußerst schwierigen Herausforderung gestellt. Sie musste das neue Russland in die sich radikal veränderte Welt bzw. Außenwelt integrieren und dabei die unvermeidlichen Verluste auf einem Minimum halten.

Bei dem neuen Kräfteverhältnis zwischen Moskau und Washington Anfang der 90er Jahre konnte von irgendeiner Rivalität zwischen ihnen keine Rede sein. Zur Schlüsselverhaltensli­nie für die russische Diplomatie wurde der Ausgleich der russischen Haltung in den internati­onalen Angelegenheiten mit der außenpolitischen Haltung der USA und der EU.

Der zeitliche Abschnitt zwischen 1991 und 1993 ist einzigartig in der Geschichte der RF ge­wesen. Die russische Führung vermied, die eigenen nationalen Interessen im Bereich der Au­ßenpolitik deutlich zu artikulieren; man setzte sie einfach mit den Interessen demokratischer Staaten gleich. Moskau unternahm vieles, um seine westlichen Partner zu überzeugen, dass das außenpolitische Ziel der RF in der Unterstützung der Initiativen westlicher Staaten be­steht. Symbolisch in diesem Sinne war die Person des russischen Außenministers Andrej Kosyrew.[20]

Die Logik der demokratischen Solidarität, wonach eine Demokratisierung der Welt nur auf der Basis der solidarischen Bemühungen aller demokratischer Staaten, zu denen sich seit 1991 auch Russland zählte, erreicht werden kann, die Kosyrew in die Tat umsetzte, kam am deut­lichsten in der Reaktion Moskaus auf den Zerfall Jugoslawiens in seiner ersten Phase (1991 - 1992) zum Vorschein. Russland hat ohne jegliche Vorbehalte die Entstehung der neuen unab­hängigen Staaten hingenommen und unterstützt.

In der ersten Hälfte der 90er Jahre hatte Russland mit immensen inneren Problemen zu tun. Daher konnte es zu dieser Zeit keine aktive Außenpolitik betreiben. Das Fehlen eines Mini­malkonsenses und die Polarisierung in der Gesellschaft wirkten sich bedeutend auf die Ge­staltung der Außenpolitik Russlands aus. Das neue Russland war folglich nicht im Stande, eine konsequente und vorhersehbare außenpolitische Linie zu verfolgen. Im Prinzip unter­nahm Russland nichts Großes, um das überhaupt zu versuchen. Die zunehmende Einfluss­nahme der USA in Osteuropa und in den früheren Sowjetrepubliken rief in der RF weder Proteste noch Gegenwirkungen hervor.

Die erste Hälfte der 90er Jahre war eine Zeit, in der Russland seine Beziehungen mit den früheren sozialistischen Ländern, mit den Länder des arabischen Raums, Südasiens, des afri­kanischen Kontinents und Lateinamerikas freiwillig auf ein Minimum reduziert bzw. abge­brochen hat.

4.2 Zwischen 1994 und 2000

Die zwei Jahre wirtschaftlichen Elends zwischen 1992 und 1993 wurden in Russland seitens der Gesellschaft mit dem Kurs der radikalen liberalen Reformen des Kremls in Zusammen­hang gebracht. Die linke Opposition beschuldigte den Präsidenten der Vernachlässigung nati­onaler Interessen und des Betreibens einer westenorientierten Politik. „Der Zustand im Lande wurde in der russischen Mentalität zu Recht mit dem politischen Kurs des Kremls und seinen dahinter stehenden amerikanischen Beratern assoziiert.“[21] Die frühere Euphorie in Bezug auf den potenziellen Nutzen der Zusammenarbeit mit dem Westen ließ langsam nach.

Im Laufe des Jahres 1993 rückte die russische Führung allmählich von ihrer bis dahin streng liberalen Position ab und verlagerte den Schwerpunkt außenpolitischer Interessen Russlands. Im Februar 1993 zeigte Jelzin Interesse an der Behebung der regionalen Konflikte in Russ­lands Nachbarstaaten. Im darauf folgenden Monat erklärte er in einer Rede vor den Vereinten Nationen das „nahe Ausland“ zur „russischen Interessensphäre“ und betonte erstmalig auf der internationalen Ebene die Rolle Russlands als Friedensgarant in dieser Region.[22]

Im Verlauf des Jahres 1994 verlagerten sich die außenpolitischen Interessen Russlands weiter auf den GUS-Raum. Jelzin betonte in seiner Neujahrsansprache zum Stand der russischen Außenpolitik die bedingungslose Verfolgung nationaler Interessen der RF sowie den Schutz der außerhalb der Föderation lebenden russischen Bevölkerung.

1994 wurde zum ersten Mal ein Konzept russischer Politik gegenüber den ehemaligen Staaten der Sowjetunion formuliert. Demnach zählten zu den möglichen Instrumenten der Durchset­zung russischer Interessen innerhalb der GUS:

1. die Konsolidierung und Umwandlung der GUS in eine handlungsfähige Institution,
2. die wirtschaftliche Zusammenarbeit,
3. der Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems, insbesondere die Einrichtung militäri­scher Stützpunkte in den anderen GUS-Staaten sowie eine gemeinsame Sicherung der äu­ßeren Grenzen.

„Die Euphorie des freien Umherschwimmens im stürmischen Meer lässt bei vielen nach. Die Rückkehr zueinander im Rahmen GUS beginnt.“[23] So verfolgte die russische Führung genau den Kurs, den sie 1992/1993 noch vehement bekämpft hatte. Trotz der internen Machtkämpfe und des Fehlens institutionell kohärenten Handelns bestand der außenpolitische Kurs in dieser Zeit nicht mehr aus „Formalkompromissen auf Zeit“, wie das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen war.

Die Stimmungen und Empfindungen innerhalb der Bevölkerung Russlands waren in jener Zeit für die politische Führung des Landes sehr relevant. Mit der Korrektur des außenpoliti­schen Kurses versuchte die Regierung um Jelzin, diesen Stimmungen Rechnung zu tragen, sie aufzufangen oder ihnen sogar zuvorzukommen. Vor allem die (unzufriedene) Stimmung in Russland brachte Jelzin dazu, Kosyrew durch den neuen Außenminister Jewgeni Primakow[24] zu ersetzen.

Im Gegensatz zu Kosyrew hatte Primakow keine Hemmung, darüber zu sprechen, dass es notwendig sei, nationale Interessen auf dem internationalen Parkett zu verteidigen und durch­zusetzen. Nationale Interessen machte er zum Refrain seiner Reden und der Vorträge seiner Mitarbeiter. Westliche Journalisten nannten ihn „antiwestlich und asiatisch orientiert“.

Als Realist hatte Primakow keine Illusionen in Bezug auf die Kraftverhältnisse zwischen dem Westen und Russland, aber gleichzeitig auch keinen Zweifel an der Notwendigkeit einer Zu­sammenarbeit mit den stärksten und perspektivreichsten Staaten des Westens. Seine Aufgabe als Außenminister sah er nicht in der Gegenüberstellung der russischen und westlichen Inte­ressen. Vielmehr wollte er den Westen zur Koordinierung mit der außenpolitischen Linie Russlands bei allen wichtigen Entscheidungen, die russische Interessen betrafen, bewegen.

Zwischen 1991und 1995 hatte die russische Diplomatie nicht einmal versucht, einen derarti­gen Anspruch zu erheben. Unter Primakow erhob Russland den Anspruch auf eine volle Be­teiligung Russlands an Entscheidungen von weltpolitischer Bedeutung im internationalen Konzept der Großmächte. Dies wurde ein tragendes Element des neuen russischen Selbstbe­wusstseins gegenüber dem Westen. Russland wollte sich nicht mehr mit der Rolle „eines Ju­niorpartners bescheiden, dessen politische Teilhabe sich auf Symbolik begrenzen lasse“.[25]

Eine soziologische Studie von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die 1996 in Moskau durchgeführt wurde[26], macht die Tendenzverschiebungen bei den Außenpolitikern der Russischen Födera­tion deutlich. Sie zeigt, dass die außenpolitische Elite im Vergleich zu 1993, als die erste Stu­die gemacht wurde, mehr „russlandorientiert“ und in ihren Empfindungen weniger „westlich“ wurde. Zu den wichtigsten Zielen, welche im außenpolitischen Kurs Russlands verfolgt wer­den sollten, zählten die Befragten zunächst vier Ziele auf: 1) den Schutz russischer Minder­heiten, 2) die Beziehungen zu China, 3) die Wahrung einer Sonderrolle Russlands in der Staatengemeinschaft und 4) die Wiederherstellung Russlands als eine weltweit respektierte Großmacht.

Militärische Sicherheitsaspekte und die Sicherung der russischen Einflusssphäre rangierten gleichfalls unter den außenpolitischen Zielen, denen man große Bedeutung beimaß. Diese waren:

- die Verhinderung der NATO-Osterweiterung,
- der Ausbau der GUS zu einem militärischen Sicherheitssystem,
- die Begrenzung des Einflusses fremder Staaten auf russische Regionen und andere GUS-Staaten.[27]

Die Finanzkrise im Sommer 1998 zog die Feindseligkeit des Volkes gegenüber der Politik Jelzins, einschließlich der Außenpolitik nach sich. Der Westen verstand die damalige Schwäche Russlands. Ausgerechnet in jener Zeit holte er Russlands Meinung bei internationalen Angelegenheiten weniger ein. Während die Friedensmission in Bosnien 1996 noch als Ergebnis eines koordinierten Beschlusses seitens NATO, EU und Russlands gesehen werden konnte, ist die Einmischung im Kosovo-Konflikt gegen den Widerstand des Kremls zu Stande gekommen.

4.3 Unter Putin und Medwedew

Die Voraussetzungen für grundlegende Änderungen in der Außenpolitik Russlands reiften heran. Nach der Meinung Solzenizins wurde der Krieg der NATO gegen Serbien 1999 zum eigentlichen Wendepunkt in den Beziehungen des postkommunistischen Russlands mit dem Westen.[28]

Somit begann mit Wladimir Putin eine neue Epoche. In der Außenpolitik versuchte er, die Beziehungen zur EU und zur NATO auf einer neuen konstruktiven Basis aufzubauen. Seine ehrgeizigen Pläne für die Modernisierung Russlands konnte er im Falle einer Konfrontation mit dem Westen nicht umsetzen. Er erklärte, dass er Russland und den Westen in vielen Fragen zusammenbringen wollte, er habe aber nicht vor, Russland zu einem Teil des Westens zu machen.[29]

Gleich am Anfang seiner ersten Präsidentschaft im Mai 2000 versammelte Putin die neu beru­fene Regierung und gab einen Kurs vor: eine Korrektur der politischen Reformen von einer liberalen zu einer sozialen Marktwirtschaft die Rückkehr der staatlichen Macht zur Leitung in den Reorganisationsprozessen , eine rationale Verwendung des Ressourcenexports für das Aufstocken des Haushalts. Ab nun, hieß es,solle Russland sein Potenzial nüchtern einschätzen und die günstigen Bedingungen für die Wiedergewinnung des Status einer Weltmacht herbeiführen.[30]

Russland stand vor der Herausforderung, sich möglichst optimal an die Globalisierung anzupassen. Diese Aufgabe sollte der neue russische Präsident bewältigen.[31] Das neue Russland verfügte nicht mehr über die außenpolitischen Ressourcen, wie Territorium, Industrie, Rüstungsausgaben usw., auf denen früher die Stärke der UdSSR beruhte. Aber auch der Begriff „Ressourcen“ änderte sich, nachdem die traditionellen russischen Ressourcen die Stärke ihrer früheren Relevanz eingebüßt hatten.[32] Zum ersten Mal in seiner Geschichte verfügte Russland nicht (mehr) über die Ressourcen, die seiner traditionell globalen Rolle entsprechen konnten.

In den Medien - sowohl im Westen als auch in Russland - wurde ab nun über die Labilität der Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen und über die Zunahme der Diskrepanzen zwischen ihnen gesprochen. Eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen gab es in Wirklichkeit nicht. Zu verzeichnen war lediglich eine Drosselung der Geschwindigkeit der Annäherung zwischen ihnen. Vor dem Hintergrund der anomalen Schnelligkeit der Annäherung in den 90er Jahren konnte sie als ein Rückschritt in den Bezie­hungen bewertet werden.

Die Ölpreise lagen immer noch hoch und die Geldzunahme in das russische Staatsbudget war reichlich. Die Regierung konnte zum ersten Mal in den letzten Jahren das Geld für die Ver­besserung der Lebensbedingungen der Menschen in Russland verwenden. Die russische Füh­rung freute sich über die Erfolge, was sich ihrer Auffassung nach über die Rolle Russlands in der Welt niederschlug.

Am 27. Juni 2006 wurde dem Anschein nach ein routinemäßiges Treffen Putins mit ausländi­schen Botschaftern und den Vertretern der RF in dem Außenministerium organisiert. Als formaler Vorwand sollte der Terroristenangriff auf die russischen Diplomaten in Bagdad 2006 dienen. Die Rede Putins sollte sich auf das Thema „Die Schwierigkeiten des Diplomatenbe­rufs in der neuen internationalen Lage“ beziehen. Putin hielt konzeptuell die inhaltsvollste Rede der russischen Führung seit dem Auseinanderbrechen der UdSSR.

Zum ersten Mal wurden die Prioritäten der RF in der Welt eindeutig formuliert. Putin sagte folgendes: „Russland soll entsprechend seiner Stellung in der Welt und seinen Möglichkeiten die Verantwortung für die globale und sozialwirtschaftliche Entwicklung tragen.“[33] Er berief sich auf die verbesserte wirtschaftliche Lage Russlands und machte den Vorschlag, den russischen politischen Einfluss in der Welt entsprechend den erworbenen wirtschaftlichen Möglichkeiten anzupassen, d. h. ihn auszubauen. In diesem Sinne kann die Doktrin der Anpassung des politischen Einflusses Russlands an seine wirtschaftlichen Potenziale als erste globale Doktrin der RF gesehen werden.[34]

Das Fehlen einer außenpolitischen Doktrin erwähnte man häufig als einen Faktor, der dem Ansehen Russlands in der Welt schadet.[35] Unter Putin arbeitete die russische Führung zum ersten Mal das optimale Modell für die außenpolitische Entscheidungsfindung aus. In seiner Juli-Rede von 2006 regte Putin die russische Diplomatie an: „Не просто участвовать в ра­боте по „глобальной повестке“ но и вносить реальный вклад в её формирование.“[36]

Die Doktrin der Anpassung des politischen Einflusses Russlands in der Welt an seine neue wirtschaftliche Stärke bildete die dritte Generation im russischen außenpolitischen Konzept. Sie zeigte die konzeptuelle Reife der russischen Diplomatie des modernen Typus. Nun war sie fähig, Konstruktionen aufzustellen, die das internationale Publikum beeinflussen konnten. Im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen demonstrierte die Doktrin, wenn nicht gleich die Rück­kehr, dann zumindest eine Rückbesinnung innerhalb der russischen politischen Elite zum Denken in globalen Kategorien, die über die Beziehungen mit dem Westen oder dem Osten hinausgingen.

Im Bereich der außenpolitischen Prioritäten Russlands behielt der Westen seine frühere Rele­vanz. Gleichzeitig aber sprach Moskau im Bedarfsfall ohne jegliche Gezwungenheit von der Uneinigkeit mit den westlichen Partnern. Putin übernahm von seinem Vorgänger ein ge­schwächtes Russland, das höchstens beschränkte regionale Interessen hatte, seinem Nachfol­ger „vermachte“ er eine Großmacht, die Interessen in der ganzen Welt hat.[37]

Seit Mai 2007 sitzt im Kreml der dritte russische Präsident Dmitri Medwedew. Fast unmittelbar nach seinem Präsidentschaftsantritt musste er, nach seinen Worten im Interview vom 8. Mai 2011, den schwierigsten außenpolitischen Entschluss fassen: den militärischer Einsatz russischer Truppen in Südossetien am 8 August 2008. Seinen Widerhall fand dieser Krieg in den fünf Basisprinzipien für die (Neu-)Gestaltung der russischen Außenpolitik, die am 31. August 2008 bekannt gegeben wurden. Inhaltlich stimmen die Prinzipien mit denen überein, welche als Grundlage für die Außenpolitik unter Putin galten:[38]

- In den zwischenstaatlichen Beziehungen erkennt Russland bedingungslos den Vorrang der grundlegenden völkerrechtlichen Prinzipien an.
- Eine Monopolarität der Welt ist inakzeptabel, weil eine solche Weltordnung an einer Stabilitätsschwäche leidet.
- Die wichtigste außenpolitische Priorität Russlands liegt in dem Schutz des Lebens und der Ehre russischer Staatsbürger außerhalb Russlands, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort.
- Darüber hinaus ist der Staat für den Schutz der Interessen der russischen Unternehmen im Ausland verantwortlich: И всем должно быть понятно, что все, кто будет совершать агрессию, получат ответ.“[39]

Ähnlich wie auch andere Staaten hat Russland in einigen Regionen der Welt privilegierte Interessen.

Die darauf folgenden drei Jahre machten deutlich, dass die Außenpolitik Russlands nicht so radikale Züge aufweist, wie die Töne in „Medwedews Doktrin“ angedeutet worden war. Obwohl Russland mit Libyen durch freundschaftliche Beziehungen verbunden war und vor Ort große wirtschaftliche Interessen verfolgte (unter anderem betrugen die russischen Investitionen in Libyen mehrere Milliarden Dollar), entsprachen die Entscheidungen des Kremls bezüglich des Konflikts in Libyen 2011 nicht dem, wovon Medwedew 2008 gesprochen hatte. Die Überzeugung von der Richtigkeit des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, die unter Putin eine große außenpolitische Rolle spielte, kam im Fall Libyens nicht zum Tragen.

Medwedews außenpolitische Handlungslinie richtet sich eher auf die Durchführung der wirt­schaftlichen und sozialen Reformmaßnahmen, die zur Steigerung der Lebensqualität in Russ­land führen sollen. So bemüht man sich ein günstiges Investitionsklima zu schaffen, dank dem ausländische Investoren nach Russland kommen sollen.[40] Eine starke Konfrontation mit der Außenwelt würde selbstverständlich die Erreichung dieses Zieles behindern.[41]

Interessant, und in dieser Hinsicht begründet, scheint der Gedanke des russischen Journalisten Fjodor Lukjanow zu sein. Er schlägt vor, dass die Außenpolitik Russlands nicht anhand der Person des Präsidenten analysiert werden solle, sondern umgekehrt. Folglich sei es richtig, nicht danach zu fragen, wie die Person des Präsidenten die Realität „formt“, sondern wie ob­jektive Gegebenheiten die außenpolitische Linie des Präsidenten determinieren. In diesem Fall würde die russische Außenpolitik seit 1991 nach Meinung Lukjanows ein ganzheitliche­res Bild von sich geben, als behauptet wird.[42]

Dementsprechend ist auch Medwedews außenpolitische Linie durch die äußerlichen Realitä­ten bestimmt worden. Die Präsidentschaft Medwedews fiel mit einer Übergangsperiode in der Welt zusammen. Die frühere Agenda war nicht mehr aktuell und eine neue fehlte. So gesehen ist Medwedews außenpolitisches Verhalten eher als eine Politik des Abwartens und nicht als die Bereitschaft zu neuen kollektiven Aktionen mit dem Westen zu interpretieren.

Der Russlandkenner Alexander Rar bemerkt, dass „Сегодняшнее развитие в Росси едва ли подвержено влиянию Запада. Похоже,Запад упустил свой исторический шанс воздей­ствовать на Россию“[43] . Und Edward Lukas konstatiert mit Bedauern, der Westen solle sich nun von der naiven Vorstellung verabschieden, dass er auf die russische Innenpolitik noch einen Einfluss nehmen könnte: “Das war in der Jelzin-Ära noch möglich, als sich die Men­schen, die Russland regierten (…) wirklich dem Westen anschließen wollten und bereit wa­ren, Ratschläge zu akzeptieren, wie sie dieses Ziel erreichen konnten. Diese Ära war vielleicht zu schön, um wahr zu sein.“[44]

5 Russische Energiepolitik

„Конечно, Россия - богатая страна, и этим богатством мы ещё, может быть, не научи­лись даже как следует пользоваться, мы только учимся это делать.“[45] Das ist ein Aus­schnitt aus der Rede Putins auf dem internationalen Wirtschaftsforum im Kreml im Oktober 2003. Die Schritte Russlands in diesem Lernprozess subsummieren sich in seiner Energiepo­litik, die international unterschiedlich beurteil wird, öfters mit einer starken Tendenz zur kompromisslosen Kritik.

Im November 2007 in einem Interview für die „Dallas Morning News“ äußerte sich Con­doleezza Rice diesbezüglich folgendermaßen: „Russlands Energiepolitik ist die größte Her­ausforderung für die Welt.“[46] Mit dieser Einstellung war sie nicht alleine. Ähnlich äußerten sich Zbigniew Brzezinski und George Soros sowie weitere gleich gesinnte Politiker, Journa­listen und Unternehmer. Als Opfer der von Russland betriebenen Energiepolitik werden Eu­ropa, das Russland angeblich beabsichtigt, in die „Energiezange“ zu nehmen, und die GUS-Länder, die Russland durch Manipulationen mit dem Energiehahn zu zähmen versucht.[47]

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Russlands energiepolitische Linie tatsächlich als ein starkes Durchsetzungsinstrument für die außenpolitischen Ziele bewertet werden könnte, oder ob sich Russland in der Durchsetzung seiner (Außen-)Energiemaßnahmen streng in einem legitimen Rahmen verhält.

Welche Interessen verfolgt die russische Energiepolitik? Worauf beruht sie? Worin besteht ihre Relevanz für das territorial unermesslich große Land? Analog zu Russlands Außenpolitik durchlief auch die Energiepolitik ihre Entwicklungs- bzw. Anpassungsstadien abhängig von den äußerlichen Gegebenheiten. Während in der UdSSR die Energiepolitik einen doppelten Charakter getragen hatte,[48] ist die Energiepolitik der RF eher pragmatisch und entideologi­siert.

Nachdem die RF nach 1991 den Kurs auf die Marktwirtschaft[49] genommen hatte, wurden die außenwirtschaftlichen Beziehungen etappenweise auf die „рельсы рыночной экономики“[50] umgestellt. Die ideologische Komponente in der außenwirtschaftlichen Politik musste den Platz für die junge, nicht selten kompromisslose, Politik des wirtschaftlichen Nutzens räumen.

Die russische Führung verstand damals, dass die Energieressourcen, d. h. Erdöl und Erdgas, während der Reformprozesse als eine unersetzbare Geldquelle dienen könnten. Folglich libe­ralisierte man den Energieressourcenmarkt. Durch das ausländische Kapital beabsichtigte die Regierung um Jelzin, zwei wichtige Ziele zu erreichen:[51]

- kurzfristig: Haushalteinnahmen aus den Pachtzinsen,
- langfristig: Modernisierung der Erdöl- und Erdgasförderindustrie und die Erschließung neuer Förderfelder.

Sowohl die Modernisierung der Erdöl- und Erdgasförderindustrie als auch die Erschließung neuer Förderfelder sollte dazu dienen, die Exportkapazitäten für Erdöl und Erdgas zu steigern. Aus einem einfachen und verständlichen Grund: die RF verspürte damals einen enormen Geldbedarf, der sich mit der Zeit, was für jeden offensichtlich war, nur noch steigert. Die Lie­ferungen von Energieressourcen an die Staaten des früheren Ostblocks unterlagen nun den Prinzipien der marktwirtschaftlichen Preissetzung. Günstige Exportkonditionen von früher wurden restlos abgeschafft.

Gegenüber den ehemaligen Republiken der UdSSR galten lange Zeit erleichterte Zahlungsbedingungen für die Lieferungen von Energieressourcen. 1993 erließ Jelzin eine Verordnung mit dem Inhalt, dass die unverbrauchten Reste der Kredite der RF an die früheren Republiken von 1993 zur Begleichung der Schulden dieser Republiken bei Gazprom[52], d. h. bei der RF, verwendet werden sollten.[53] Das stellte eine recht große finanzielle Belastung für die junge RF dar.

Unter Putin änderte sich die Lage bedeutend. „Am Neujahrsmorgen 2000 war der große Computercrash ausgeblieben, drehte sich die Welt weiter, aber für Russland war ein neues Zeitalter angebrochen. Und wie sich später herausstellte, führte der Anstieg Putins auch zu einer Zeitenwende in der weltweiten Energiepolitik.“[54] Dem Kreml lag nun viel daran, in den Beziehungen zwischen Russland und den ehemaligen Republiken klare Verhältnisse zu schaf­fen. Dieses Vorhaben betraf auch die energiepolitischen Fragen Russlands mit seinen wirt­schaftlichen Partnern im Ausland. Die Struktur des Energiehandels sollte ab nun übersicht­lich, einheitlich und wirtschaftlich produktiv gestaltet werden.

Für die Staaten, die bis dahin in diesem Bereich gewisse Handelsvergünstigungen genießen durften, bedeutete dies, dass sie sich auf die marktwirtschaftlichen Energieimportpreise einstellen mussten: „В реализации нефти и газа за рубежом Россия жёстко переходит на рыночные рельсы. Она полностью отказывается от занижения цен на нефть и газ, по­ставляемые в ряд стран СНГ только по причине их формального нахождения в Содру­жестве. Переход на рыночные цены будет завершен для всех стран СНГ в 2011 году. “[55] Unter Medwedew wird diese pragmatische energiepolitische Linie weiter verfolgt.

5.1 Determinanten des Ausbaus des russischen Energiesektors

Idealerweise ist jeder Staat bestrebt, seine Energiepolitik entsprechend dem nationalen Inte­resse zu formulieren und anschließend auszuüben. Einer der ausschlaggebenden Unterschiede im Bereich der Energiepolitik zwischen den Staaten besteht darin, dass die Staaten auf dem internationalen Energiemarkt entweder als Energieexporteure oder als Energieimporteure agieren. Darauf basierend variieren sich entsprechend die nationalen Interessen der Staaten.

Verallgemeinert lässt sich sagen, dass ein Staat-Energieverkäufer daran interessiert ist, dass seine Energieexporte dauerhaft und zum bestmöglichen Preis abgewickelt werden, während der Staat-Energiekäufer sich verpflichtet sieht, den eigenen Energiebedarf sicher und kosten­günstig befriedigen zu können.

Ziel der russischen Energiepolitik als eines der größten Energieexporteure weltweit ist: „Мак­симально эффективное использование энергетических природных рессурсов и потен­циалов энергетического сектора для устойчивого роста экономики, повышения каче­ства жизни населения страны и содействия укреплению её внешнеэкономических пози­ций.“[56]

Das erhöhte Wirtschaftspotenzial des Landes hat zur Verbesserung der Lebensqualität von vielen Millionen Menschen beigetragen. Dank des wirtschaftlichen Wachstums konnten einige Millionen Russen dem Zustand der Arbeitslosigkeit entkommen.[57] Eingedenk der Tatsache, dass der Energiesektor über 40 % aller Finanzhaushaltseinnahmen einbringt, 12 % in der gesamten Industrieproduktion beträgt und 3 % von der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung Russlands beschäftigt, wird die Relevanz der Energieindustrie[58] für das Land ohne Weiteres deutlich. Der Faktor eines derartigen Korrelationsverhältnisses gehört zu „спе­цифических обстоятельств, которые непосредственно влияют на её энергетическую политику.“[59] Diese spezifischen Umstände in der russischen Energiepolitik werden nicht immer und nicht ausreichend von den westlichen Opponenten Russlands berücksichtigt.[60]

In Russland wird nicht bestritten, dass der Energieexport, insbesondere die Zunahme der Förderung von Energieressourcen, eine Verstärkung der außenpolitischen Position Russlands nach sich zieht. Aber nach der Überzeugung von Primakow verhält es sich folgendermaßen: „Главные побудительные мотивы наращивания потенциала энергоносителей для их внутреннего потребления и экспорта лежат в плоскости интересов экономического раз­вития нашей страны“.[61]

Definitiv steht wirtschaftliches Wachstum an erster Stelle. Aber die Russlandbeobachter se­hen die aktuellen Tendenzen in der russischen Energiepolitik differierend: Die wenigsten sind der Meinung, dass Russland in seiner außenwirtschaftlichen Politik rein ökonomische Interes­sen verfolgt. Die meisten von ihnen gehen entschieden davon aus, dass Russland durch seine starke wirtschaftliche Lage im internationalen Energiebereich versucht, diese günstige Lage mit dem Ziel zu instrumentalisieren, sich den Status einer Großmacht wieder zu erlangen bzw. die „Hegemonie über seine Nachbarstaaten auszubauen“[62].

„Dem Kreml ist bewusst, dass die Macht in der heutigen Welt auf der wirtschaftlichen Stärke beruht.“[63] Dass der außenpolitische Einfluss Russlands in der Welt zum großen Teil auf seinen vorteilhaften Kapazitäten von Energieressourcen basiert, ist eher ein Nebeneffekt, der Russland zwar gelegen kommt und der von Russland genutzt wird, ist aber nicht das primäre Motiv für die russische außenwirtschaftliche Energiepolitik: „Укрепление позиций россий­ского ТЭК в мировой энергетике может способствовать усилению внешнеполитических позиций страны на долгосрочную перспективу.“[64]

Der Energiemarkt ist jedoch relativ labil dafür, dass er ausschließlich als Basis für den Ausbau der außenpolitischen Position in der Welt genutzt werden könnte: „Мы понимаем, сколь нестабильна конъюнктура энергетического рынка (это было в очередной раз до­казано событиями конца 2008-го – начала 2009года), она часто меняется, и зачастую не в пользу государств, которые производят энергию, в том числе России.“[65]

Die oben angedeutete, nicht zu überschätzende Bedeutung des Energiesektors für Russland determiniert die Energiepolitik der RF. Hauptanliegen der langfristigen russischen Energie­politik sind unter anderem die Energiesicherheit und die Finanzhaushaltseffizienz des Ener­giesektors.

[...]


[1] Hier sticht Dirk Friedrich mit seinen diesbezüglichen lakonischen Beiträgen aus der Masse tendenzieller Kritiker heraus. Er dringt zum Kern des Problems durch, indem er darüber diskutiert, ob Russlands Verhalten gegenüber der Ukraine als eine Erpressung definiert werden kann. Der verbreiteten Behauptung, dass Russland „Öl und Gas als Druckmittel“ verwendet, liegt laut Friedrich ein eigenwilliges Verständnis des Begriffs der Erpressung und eine gewisse Ignorierung der Eigenart des Eigentums zu Grunde. Die elementare Einsicht, dass kein Anbieter von Gütern die Möglichkeit hat, die Nachfrager zu erpressen, indem er ihnen sein Angebot vorenthält, ist leider wenig verbreitet, konstatiert Friedrich. Vgl. Friedrich, Dirk: Richtigstellung. Russische Erpressung durch Einstellung der Gaslieferung? (3.01.2009.), in: http://ef-magazin.de/2009/01/03/876-richtigstellung-russische-erpressung-durch-einstellung-der-gasbelieferung. Vgl. hierzu auch Friedrich, Dirk: Ukraine, Russland und Deutschland. Versorgungssicherheit als Ergebnis politischer Interventionen (17.01.2009.), in: http://ef-magazin.de/2009/01/17/893-energiepolitik-ukraine-russland-und-deutschland. (Zugriff 3.12.2011.)

[2] Im diesem Sinne dient das infolge der Recherche gewonnene Material überwiegend als Faktenbasis für eine genaue problembezogene Analyse des Verhaltens Russlands im Konflikt.

[3] Eine Ausnahme bildet das Verbot des Zwanges der Vertragspartei(en) beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags.

[4] „Wille“ bedeutet bei Hayek die Ausrichtung des Menschen auf die Verwirklichung eines bestimmten Ziels, d. h. den Vorsatz zu einer Handlung.

[5] … „kann nur ein Individuum Zwang ausüben, genauso wie auch der Gezwungene nur ein Individuum sein kann.“ Batthyany, Philipp: Zwang als Grundübel der Gesellschaft? Der Begriff des Zwangs bei Friedrich August von Hayek, Tübingen: Mohr Siebeck Verlag, 2007, S. 168.

[6] Vgl. Lucas, Edward: Der Kalte Krieg des Kreml. Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht, München: Riemann Verlag, 2008, S.305.

[7] Vgl. ebenda, S. 360.

[8] Vgl. ebenda, S. 262.

[9] Vgl. Gürtenhofer, Margarita: Die Instrumentalisierung russischer Energiepolitik seit Putin. Auswirkungen der neuen russischen Energie(außen)-politik auf die Versorgungssicherheit der EU bei Erdgas- und Erdölimporten, Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller, 2010.

[10] Goldman, Marshall: Das Öl-Imperium. Russlands Weg zur Supermacht, Kulmbach: Börsenmedien AG, 2009, S. 314.

[11] Roth, Thomas: Russland. Das wahre Gesicht einer Weltmacht, München, Zürich: Piper Verlag, 2008, S. 284.

[12] Ebenda, S. 284.

[13] Ebenda, S. 285.

[14] Ebenda, S. 286.

[15] Eine eindeutige Bewertung des Gaskonflikts in der Ukraine als eine Erpressung seitens Russlands determiniert anscheinend das Ausbleiben einer analytischen Aufarbeitung des Gasdisputs im Land.

[16] „Der Gebrauch der Energie als eine Waffe hat weder ein vernünftiges Ziel, noch ein vernünftiges Szenario. Selbst der Gadanke von der Energie als einer Waffe ist für Russland nicht nur unnütz, sondern äußerst unvorteilhaft.“ Григорьев, Леонид: Украина-Россия: Экономика газовой войны, in: Стратегия России, № 3 (27), март 2006, S. 81

[17] „Der Charakter der Welt besteht heutzutage in der allgemeinen wechselseitigen Abhängigleit.“ Ebenda, S. 83.

[18] „Wunsch ( … ) mittels Wiedererlangung der Kontrolle Gazproms über Pipelines, die unter der Führung des Energieministerims der UdSSR aufgebaut wurden, den Einfluß in den Nachbarstaaten beizubehalten.“ Гриб, Наталья: Газовый император. Россия и новый миропорядок, Москва: Коммерсант, 2009, S. 13.

[19] Vgl. Игрунов, Вячеслав: С кем будем договариваться?, in: Стратегия России, № 2 (26), февраль 2006, S. 13 - 15.

[20] Russischer Außenminister zwischen 1990 - 1996.

[21] Daschitschew, Wjatscheslaw: Russland. Schwirige Scuhe nach einer neuen Außenpolitik, in: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Die Außenpolitik der neuen Republiken im östlichen Europa. Russland und die Nachfolgerstaaten der Sowjetunion in Europa, Bonn: Europa Union Verlag, 1994, S. 24.

[22] Zuvor wurde ein Sonderstatus Russlands innerhalb der GUS seitens Jelzins strikt abgelehnt.

[23] Westphal, Kirsten: Hegemon statt Partner. Russlands Politik gegenüber dem „nahen Ausland“, Münster: Lit, 1995, S, 145.

[24] Außenminister Russlands zwischen 1996 und 1998.

[25] Alexandrowa, Olga: Die rissische Außenpolitik gegenüber dem „ferenen Ausland“, in: Kaiser, Karl/ Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Die Außenpolitik der neuen Republiken im östlichen Europa. Russland und die Nachfolgerstaaten der Sowjetunion in Europa, Bonn: Europa Union Verlag, 1994, S. 41.

[26] Die Umfrage wurde unter leitenden Mitarbeitern in Regierungsstäben, Mandatsträgern, Parteiführern und Wissenschaftlern durchgeführt.

[27] Vgl. Russische Außenpolitik 1996 im Urteil von außenpolitischen Experten. Eine soziologische Umfrage bei leitenden Mitarbeitern in Regierungsstäben, Mandatsträgern, Parteiführern und Wissenschaftlern. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Moskau, SINUS Moskau Gesellschaft für Sozialforschung und Marktforschung, Moskau, München, Mai 1996, S. 14.

[28] Vgl. Рар, Александр: Россия жмёт на газ. Возвращение мировой державы, Москва: „ОЛМА Медиа Групп“, 2008, S. 42.

[29] Vgl. Рар, Александр: Россия жмёт на газ. Возвращение мировой державы, Москва: „ОЛМА Медиа Групп“, 2008, S. 44

[30] Vgl. ebenda, S. 118.

[31] Медведев, Сергей: Пересмотр национальных интересов. Российская внешняя политика в эпоху Путина. Публикация Центра им. Маршалла, Август 2004, № 6, S. 31 - 32.

[32] Die russische Atomwaffe konnte weder den NATO-Einsatz in Jugoslawien 1999 noch die Tragödie im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 abwenden.

[33] Путин, Владимир: Выступление на совещании с послами и постоянными представительствами Российской Федерации (27.06.2006), in: http://laidinen.viperson.ru/wind.php?ID=278890&soch=1 (Zugriff 27.08.2011).

[34] 1993 und 1996 war sich die Mehrheit der außenpolitischen Experten Russlands darin einig, dass noch keine konsistente außenpolitische Doktrin des Landes zu verzeichnen sei. 48 % sprachen davon, dass sich die russische Außenpolitik den äußeren Gegebenheiten von Fall zu Fall anpasst, und 43% sind der Meinung gewesen, dass sie noch in der Vorbereitung ist. Nur 6 % von Experten sagten, dass eine konsistente russische Außenpolitik schon existiert. Vgl. Russische Außenpolitik 1996 im Urteil von außenpolitischen Experten. Eine soziologische Umfrage bei leitenden Mitarbeitern in Regierungsstäben, Mandatsträgern, Parteiführern und Wissenschaftlern. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Moskau, SINUS Moskau Gesellschaft für Sozialforschung und Marktforschung, Moskau, München, Mai 1996, S. 7. Dementsprechend wurde das Fehlen einer außenpolitischen Doktrin häufig als ein Faktor erwähnt, der dem Ansehen Russlands in der Welt schadet.

[35] Vgl. ebenda, S. 17.

[36] „Sich nicht nur einfach an der globalen „Tagesagenda“ beteiligen, sondern sie aktiv mitgestalten“. Богатуров, Алексей: Три поколения внешнеполитических доктрин России, in:

http://www.intertrends.ru/thirteen/005.htm. (Zugriff 24.08.2011.).

[37] So die Kritik des Hauptredakteurs der Zeitschrift „Россия в глобальной политике“ Fjödor Lukjanow in einem Interview für Moscow University Alumni Club im Februar 2007 in Bezug auf die Rede Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 13. Februar 2007, in: http://www.moscowuniversityclub.ru/home.asp?artId=6426. (Zugriff 24.08.2011.)

[38] Vgl. Медведев назвал "пять принципов" внешней политики России. Интервью Медведева российским телеканалам в Сочи (31.08.2008), in: http://ria.ru/politics/20080831/150827264.html. (Zugriff 27.08.2011.)

[39] „Und allen soll klar sein, dass jede Aggression beantwortet wird“ Медведев назвал "пять принципов" внешней политики России. Интервью Медведева российским телеканалам в Сочи (31.08.2008), in: http://ria.ru/politics/20080831/150827264.html. (Zugriff 27.08.2011.). Trotz gewisser inhaltlicher Undeutlichkeit des Satzes (es ist nicht ohne Weiteres klar, was unter „Aggression“ und „Reaktion“ verstanden wird), ist die außenpolitische Botschaft des Satzes eindeutig.

[40] Innovationszentrum Skolkowo, Sotschi 2014.

[41] Der Krieg in Südossetien 2008 zeigte das mit einer besonderen Deutlichkeit. Das „Angebot“ der Repressalien, die gegen Russland angewendet werden konnten, ist ziemlich umfassend gewesen: Unter anderem wurde das Absagen der Olympische Winterspiele in Russland in Erwägung gezogen, es wurde eine Drohung ausgesprochen, den WTO-Aufnahmeprozess mit Russland zu stoppen und manche Politiker riefen zum Boykott der russischen Vertreter auf der internationaler Bühne auf.

[42] Als Form eines Korrelats zu Lukjanows Gedanken könnte die Tendenz der Washingtoner „Psychologen“ gesehen werde, dass die Verhaltenskomplexe führender politischer Personen im Lande als Explanation für die außenpolitische Linie Russlands zu verstehen sein sollen. So gesehen geht es um einen psychologischen Ansatz, und in den letzten zwanzig Jahren hatten die USA mehrmals versucht, die unterschiedlichen Varianten dieses Ansatzes auf Russland anzuwenden. Nach Überzeugung von Daniel Treisman und Andrei Shleifer sind all die Versuche nicht geglückt, weil der genannte Ansatz auf einem tiefen Irrtum hinsichtlich der Motivation Russlands beruht. Folglich ist der reale Grund des russischen Verhaltens nicht im psychologischen Bereich zu suchen, sondern entspringt einer objektiven Bewertung des russischen Nationalinteresses, so Shleifer und Treisman. Vgl. Трейсман, Даниел/ Шлейфер, Андрей: Почему Москва говорит „нет“. Вопрос российских интересов а не психологии, in: Россия в глобальной политике, Том 9, № 1 (январь-февраль 2011), с. 54-69.

[43] „Die heutige Entwicklung in Russland ist für den westlichen Einfluss kaum mehr anfällig. Dem Anschein nach verpasste der Westen seine historische Chance, Russland beeinflussen zu können.“ Рар, Александр: Россия жмёт на газ. Возвращение мировой державы, Москва: „ОЛМА Медиа Групп“, 2008, S. 7.

[44] Lucas, Edward: Der Kalte Krieg des Kreml. Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht, München: Riemann Verlag, 2008, S. 359.

[45] „Russland ist ein reiches Land, aber wir haben anscheinend noch nicht gelernt, diesen Reichtum richtig zu verwenden. Wir sind erst dabei, das zu lernen.“ Послание президента Российской Федерации Федеральному Собранию Российской Федерации. О положении в стране и основных направлениях внутренней и внешней политики государства. Стенограмма выступления от 16 мая 2003 г. Москва, 2003, c. 196.

[46] Vgl. Примаков, Евгений: Мир без России? К чему ведёт политическая близорукость, Москва: „Российская газета“, 2009, c. 143.

[47] Vgl. ebenda, S. 143.

[48] Die Energieexporte gen Westen beruhten auf einem rein wirtschaftlichen Interesse, während die Energielieferungen zur kostengünstigen Konditionen für die Staaten des Ostblocks dem Zusammenhalt der Interessengemeinschaft dienen sollten.

[49] Aber erst 2002 wurden die Bemühungen Russlands um den Status einer Marktwirtschaft seitens USA und EU von Erfolg gekrönt.

[50] „Gleise der Marktwirtschaft“- damals zum ersten Mal erschienene Wortbindung.

[51] Das politische Ziel der Öffnung des russischen Ressourcenenergiemarktes war durch den Wunsch der Landesführung motiviert, sich möglichst schnell den demokratischen Standards anzupassen.

[52] Der größte Gaskonzern Russlands.

[53] Vgl. Указы Президента Российской Федерации, вносимые на рассмотрение Федерального Собрания Российской Федерации, Москва: Издательство „Известия“, 1994, S. 86.

[54] Müller-Kraenner, Sascha: Energiesicherheit. Die neue Vermessung der Welt, München: Verlag Antje Kunstmann, 2007, S. 60.

[55] „Bei der Absetzung des Erdöls und Erdgases ins Ausland steigt Russland hart auf die marktwirtschaftlichen Gleise um. Es lehnt die Preisvergünstigungen für Erdöl und Erdgas für einige GUS-Länder nur aufgrund deren formalen Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft ab. Der Übergang zur marktwirtschaftlichen Preissetzung wird für alle GUS-Länder 2011 abgeschlossen sein.“ Примаков, Евгений: Мир без России? К чему ведёт политическая близорукость, Москва: „Российская газета“, 2009, S. 146.

[56] „Maximal effektives Nutzen der Energieressourcen und des Potenzials des Energiesektors für den stabilen Wirtschaftswachstum, die Erhöhung des Lebensstandards im Lande und die Stärkung seiner außenpolitischen Lage.“ Энергетическая стратегия России на период до 2030 года, in: http://www.energohelp.net/articles/law/62403/, S. 1. (Zugriff 23.09.2011.)

[57] Послание президента Российской Федерации Федеральному Собранию Российской Федерации. О положении в стране и основных направлениях внутренней и внешней политики государства. Стенограмма выступления от 16 мая 2003 г. Москва, 2003, S. 23.

[58] Der Anteil des Energiesektors im Bruttoinlandsprodukt beläuft sich auf 30 %. Vgl. http://minenergo.gov.ru/activity/energostrategy/ch_8.php. (Zugriff 3.10.2010.)

[59] „Spezifischen Umständen, die seine [ Russlands ] Energiepolitik unmittelbar beeinflussen.“ Примаков, Евгений: Мир без России? К чему ведёт политическая близорукость, Москва: „Российская газета“, 2009, S. 144.

[60] Vgl. ebenda, S. 144.

[61] „Die Hauptbeweggründe für die Steigerung des Energieträgerpotenzials sowohl für den Innenbedarf als auch für den Export liegen im Interessenbereich der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.“ Примаков, Евгений: Мир без России? К чему ведёт политическая близорукость, Москва: „Российская газета“, 2009, S. 145.

[62] Pleines, Heiko/Schröder, Hans-Henning (Hrsg.): Die russische Außenpolitik unter Putin.Arbeitspapiere und Materialien- Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, 2005, Nr. 73, S. 105.

[63] Трейсман, Даниел/ Шлейфер, Андрей: Почему Москва говорит „нет“. Вопрос российских интересов а не психологии, in: Россия в глобальной политике, Том 9, № 1 (январь-февраль 2011 ), с. 54 - 69, S. 56

[64] „Die Stärkung der Position des russischen Energiesektors in der Weltenergetik könne die außenpolitische Rolle des Landes auf die langfristige Perspektive begünstigen.“ Жизнин, Станислав: Энергетическая дипломатия России. Экономика, политика, практика, Москва: Ист Брук, 2005, S. 130.

[65] „Wir verstehen, wie unstabil die Konjunktur des Energiemarktes ist (die Ereignisse 2008 - 2009 bewiesen das mit besonderer Deutlichkeit), sie verändert sich häufig, und oft nicht zum Nutzen der Staaten, welche die Energie produzieren, Russland inbegriffen.“ Медведев, Дмитрий: Доктрина энергетической безопасности (20.12.2010), in: http://energypolis.ru/portal/2010/603-doktrina-yenergeticheskoj-bezopasnosti-rossii.html. (Zugriff 3.10.2011.)

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Energieressourcen als Instrument für politische Erpressungen: Der Fall Russland
Hochschule
Hochschule für Politik München
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
114
Katalognummer
V200020
ISBN (eBook)
9783656323266
ISBN (Buch)
9783656324782
Dateigröße
971 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Energieressurcen, Erpressung, Russland
Arbeit zitieren
Lyudmyla Synelnyk (Autor:in), 2012, Energieressourcen als Instrument für politische Erpressungen: Der Fall Russland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200020

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