Orientalismus in deutschen Business-Guides für Indien


Magisterarbeit, 2010

112 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorbemerkungen
2.1 Vom Kolonialismus zur Globalisierung
2.1.1 Europäische Expansion und Entstehung des Nord-Süd-Gefälles
2.1.2 Dekolonisierung und strukturelle Ungleichheit
2.1.3 Globalisierung und das Ende der westlichen Vorherrschaft
2.2 Indiens Weg von der Kolonie zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht
2.2.1 Kolonialherrschaft und Folgen für die indische Wirtschaft
2.2.2 Indische Unabhängigkeit und Abschottungspolitik
2.2.3 Indien seit 1991: Aufstieg einer asiatischen Wirtschaftsmacht
2.3 Entwicklung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen

3. Orientalismuskritik
3.1 Vorbemerkungen
3.1.1 Theoretischer Rahmen
3.1.2 Orientalismusbegriff
3.2 Das orientalistische Indienbild nach Said und Inden
3.2.1 Die „Erfindung“ des Orients
3.2.2 Der Orient als überholter Ursprung Europas
3.2.3 Der Orient als „Anderer“ des Westens
3.2.4 Wissen, Macht und Kontinuität
3.3 Kritik und Wirkung
3.3.1 Kritik an der Kritik
3.3.2 Wirkungsgeschichte

4. Deutschland im postkolonialen Diskurs über Indien
4.1 Der deutsche Orient bei Said und Inden
4.2 Überprüfung der Sonderstellung des deutschen Orients
4.2.1 Der deutsche romantische Orient
4.2.2 Deutschland und der Kolonialismus
4.3 Reaktionen der Indologie auf die Orientalismuskritik
4.4 Folgerungen

5. Orientalismus in deutschen Business-Guides für Indien
5.1 Fragestellung und Auswahl der Datenbasis
5.2 Vorstellung der Business-Guides
5.3 Operationalisierung
5.4 Analyse der Business-Guides
5.4.1 „Beruflich in Indien“
5.4.2 „Business-Guide Indien“
5.4.3 „Praxishandbuch Indien“
5.4.4 „Geschäftserfolg Indien“

6. Untersuchungsergebnisse und Reflexion
6.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
6.2 Grenzen der Untersuchung und Forschungsausblick
6.3 Normative Implikationen

7. Zusammenfassung und Fazit

Quellenverzeichnis

Anhang

Abbildungen

Glossar

1. Einleitung

Indien boomt. Inder bauen Raketen, sind weltführend in der IT-Branche und im Biotechnologiesektor.[1] Zwei der zehn reichsten Menschen der Welt sind Inder. Bollywood ist ein Exportschlager, der internationalen Absatz findet. Indien erlebt momentan einen enormen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedeutungszuwachs.

Wie das Wort „Zuwachs“ bereits impliziert, hatte Indien nicht immer die Bedeutung auf globalem wirtschaftlichem und politischem Terrain, die es heute hat. Wie viele weitere Länder in Asien, Afrika und Amerika stand Indien jahrhundertelang unter kolonialer Herrschaft europäischer Mächte, was politische Bevormundung und wirtschaftliche Ausbeutung bedeutete. Nach der Dekolonisierung hatte sich das globale Machtverhältnis nicht automatisch geändert – die ehemaligen Kolonien waren noch immer den west-lichen Industriemächten gegenüber strukturell benachteiligt und hatten stark mit den Folgen der Kolonialherrschaft zu kämpfen.

Was den sogenannten „Orient“ betrifft, existiert laut der im Jahr 1978 formulierten Orientalismusthese des Literaturwissenschaftlers Edward Said noch ein weiteres Erbe des euro-päischen Kolonialismus. Said warf den Orientwissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts vor, ein Bild des Orients erschaffen zu haben, welches diesen Europa gegenüber abwertet und somit die dortige Herrschaft stützt. Der Historiker Ronald Inden hat diesen Vorwurf im Jahr 1991 aufgegriffen und auf die Indologie, und somit das europäische Indienbild, übertragen. Dieses „orientalistische“ Orient- beziehungsweise Indienbild, so Said und
Inden damals, habe in der westlichen Wahrnehmung im Laufe der Zeit einen festen Platz eingenommen und lebe auch nach der Dekolonisierung fort.

Said und Inden haben ihre Theorien in einer Zeit formuliert, als der europäische Kolo-nialismus noch starke Kontinuitäten zeigte. Die globalen Machtverhältnisse haben sich jedoch seit dieser Zeit verändert. Seit den 1980er Jahren beginnen diverse ehemals kolonisierte Länder, struktureller Benachteiligung zum Trotz eine beachtliche Wirtschaftsentwicklung an den Tag zu legen, welche einen erheblichen globalen Bedeutungszuwachs mit sich bringt. Ein Jahr, nachdem Inden seine Kritik am kolonialistischen Indienbild formuliert hatte, wurden in Indien einschneidende Wirtschaftsreformen durchgeführt – woraufhin sich auch die indische Wirtschaft rasant zu entwickeln begann. Heute weist
Indien mit rund 8 Prozent ein Wirtschaftswachstum auf, welches drei bis vier Mal so groß ist wie das westeuropäischer Länder und der USA. In Prognosen namhafter Finanzdienstleister und Wirtschaftsinstitute zählt Indien neben China, Russland und Brasilien zu den wichtigsten globalen Akteuren der nahen Zukunft. Die Zeit der westlichen Vorherrschaft ist nun, nach über 500 Jahren, im Ende begriffen.

Hat sich jedoch das von Said und Inden skizzierte westliche Indienbild an diese ver-änderten Machtverhältnisse angepasst? Dies ist die zentrale Fragestellung dieser Arbeit (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Veranschaulichung der zentralen Fragestellung dieser Arbeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Untersucht werden soll sie anhand desjenigen deutschen Indienbildes, welches dort entsteht, wo die neuen Entwicklungen am deutlichsten zu spüren sein müssten: In der Wirtschaftszusammenarbeit mit Indien. Als Datenbasis dienen deutsche Business-Guides für Indien, da zu erwarten ist, dass sich dort das zu untersuchende Indienbild manifestiert. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut:

In Kapitel 2, Vorbemerkungen, werden der europäische Kolonialismus und dessen weltwirtschaftliche Folgen sowie die zulasten der westlichen Industriestaaten gehende globale Machtverschiebung skizziert, welche sich seit den 1980er Jahren langsam vollzieht. Nach diesem etwas allgemeineren Überblick folgt eine Betrachtung speziell der indischen Kolonialgeschichte und deren Folgen für die indische Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens nach den Liberalisierungsmaßnahmen von 1991. Schließlich wird in diesem Kapitel noch die deutsch-indische Wirtschaftszusammen-arbeit vor und vor allem nach 1991 beleuchtet.

Kapitel 3, Orientalismuskritik, beschäftigt sich mit den Theorien Edward Saids und
Ronald Indens. Die Kernthesen Saids und Indens werden aufgrund ihrer theoretischen Nähe gemeinsam dargestellt. Weiterhin wird ein Einblick in die vielfältige Kritik an der Orientalismuskritik gegeben sowie die Wirkungsgeschichte derselben betrachtet.

In Kapitel 4, Deutschland im postkolonialen Diskurs über Indien, erfolgt eine Betrachtung der Frage, inwiefern Deutschland, welches selbst nie Kolonialmacht in Indien war, überhaupt in diesen Diskurs einbezogen werden kann. Neben den Einordnungen Saids und Indens, die der deutschen Beschäftigung mit dem Orient beziehungsweise mit Indien eine gewisse Sonderstellung innerhalb des westlichen Diskurses zusprechen, werden auch von diesen abweichende Betrachtungsweisen beleuchtet. Außerdem wird in diesem Kapitel die Wirkung der Orientalismuskritik innerhalb der deutschen Indo-logie betrachtet. Auf Grundlage dieser Vorarbeiten findet am Ende von Kapitel 4 eine Einschätzung statt, inwieweit Deutschland in die Orientalismuskritik Saids und Indens mit einzubeziehen ist.

Nach diesen theoretischen Kapiteln erfolgt in Kapitel 5, Orientalismus in deutschen Business-Guides für Indien, eine Überprüfung der zentralen Fragestellung dieser Arbeit anhand deutscher Business-Guides für Indien. Hierzu werden zunächst die vier für die Untersuchung ausgewählten Business-Guides vorgestellt. Danach werden auf Grundlage der Thesen Saids und Indens Untersuchungsthesen aufgestellt, die schließlich mittels Textanalyse an den Business-Guides überprüft werden.

In Kapitel 6, Untersuchungsergebnisse und Reflexion, werden die Ergebnisse der Untersuchung in Kapitel 5 zusammengefasst und in Bezug auf die Fragestellung dieser Arbeit interpretiert. Es folgen einige einschränkende Bemerkungen zur Aussagekraft der gewonnenen Ergebnisse sowie ein Forschungsausblick und schließlich ein Schlaglicht auf die normativen Implikationen der Untersuchungsergebnisse.

Das Fazit in Kapitel 7 fasst zum Abschluss wichtige Gedanken zusammen, präsentiert eine Antwort auf die Forschungsfrage und gibt einen kurzen Ausblick auf weiterführende Gedanken.

2. Vorbemerkungen

2.1 Vom Kolonialismus zur Globalisierung

2.1.1 Europäische Expansion und Entstehung des Nord-Süd-Gefälles

Schon vor der Zeit des europäischen Kolonialismus hatte es Handel zwischen Europa und Asien gegeben. Dieser hatte indirekt über arabische Zwischenhändler stattgefunden. Oberitalienische Kaufleute aus Venedig, Genua und Pisa handelten im Mittelalter mit asiatischen Gütern, die sie im Vorderen Orient bezogen und in Europa vertrieben. Gehandelt wurde mit Gewürzen, Gold sowie Luxusgütern wie Seide oder Elfenbein. Diese vorneuzeitlichen Handelsverbindungen waren allerdings Teil eines im Wesent-lichen asienzentrierten Interaktionsraumes, in dem Europa nur peripher mit Asien und Afrika verbunden war.[2] Als der asiatisch-europäische Handel im 15. Jahrhundert durch den Aufstieg des Osmanischen Reiches erschwert wurde und Waren sich verteuerten, wuchs das Interesse an direkten Kontakten. Hinzu kam, dass Schiffbau und Nautik einen technologischen Entwicklungsstand erreicht hatten, der erstmals lange Entdeckungsfahrten auf dem Seeweg ermöglichte.[3]

Ein Zusammenspiel dieser Motive und Voraussetzungen führte schließlich dazu, dass Spanien und Portugal erste Entdeckungsschiffe auf die Ozeane hinausschickten. Das angestrebte Ziel war der asiatische Kontinent, zu dem die Handelsverbindungen durch die Osmanen erschwert worden waren. Zunächst entdeckte der in spanischen Diensten stehende genuesische Seefahrer Christoph Kolumbus, der eigentlich auf der Suche nach
einem Seeweg nach Indien gewesen war, jedoch Amerika.[4] Mit diesem Ereignis im Jahr 1492 wurde die Phase des europäischen Kolonialismus eingeläutet, welche mehrere Jahrhunderte andauern sollte. Indien, und somit ein Seezugang zu Asien, wurde schließlich im Jahr 1498 durch den Portugiesen Vasco da Gama entdeckt. Mit dem Segen des Papstes teilten Spanien und Portugal die Welt im folgenden Jahrhundert unter sich auf. Da das katholische Oberhaupt dies als Gegenleistung für seine „Schenkung“ erwartete, betrieben die Iberer neben Handel auch christliche Mission. Spanien errichtete vor allem im heutigen Südamerika Stützpunktkolonien, während Portugal seinen Fokus auf den Asienhandel legte. Beide etablierten zum ersten Mal in der Geschichte ein globales Handelssystem, indem sie Europa, Amerika, Afrika und Asien untereinander vernetzten – und legten somit den Grundstein für die moderne Globalisierung.[5]

Die Niederlande, Frankreich und Großbritannien hatten eine Zeitlang den florierenden Überseehandel Spaniens und Portugals nur beobachtet. Um 1600 begannen sie, den Iberern deren lange postulierten Monopolanspruch auf die Welt streitig zu machen. Da sie besser organisiert, finanziert und technisch moderner ausgerüstet waren, verdrängten sie die Portugiesen aus dem Asienhandel, die sich daraufhin stärker auf ihre süd-amerikanische Kolonie Brasilien konzentrierten. Die Nordwesteuropäer verzichteten zunächst auf Mission – sie wollten nichts unternehmen, was ihre Handelsgeschäfte hätte beeinträchtigen können.[6] Trotzdem sollten sie sich spürbarer und tiefgreifender in Asien festsetzen als die Portugiesen: Die Handelsbeziehungen Frankreichs, Großbritanniens und der Niederlande gingen immer mehr in informelle Kontrolle[7] über und schlugen im Laufe des 19. Jahrhunderts schließlich in formale Herrschaft[8] um.[9]

Die europäische Expansion schritt nun unaufhaltsam voran – nachdem Südamerika und Asien erfasst waren, begannen vor allem britische und französische Siedler, in Nord-amerika Siedlungskolonien zu errichten, welche im Jahr 1776 als die Vereinigten Staaten von Amerika zu einen unabhängigen neo-europäischen Staat wurden. Den globalen Wettkampf zwischen Großbritannien und Frankreich, der im Laufe der fortschreitenden Expansion entfachte, entschied Großbritannien mit der Kolonisierung Australiens ab 1788 für sich. Großbritannien sah sich zu dieser Zeit in der führenden Position in der Welt und es setzte sich die Ansicht durch, dass das Land auserwählt sei, Fortschritt und Zivilisation in der Welt zu verbreiten. Afrika, an dessen Küsten bisher nur Handelsstützpunkte errichtet worden waren, wurde in einer letzten Kolonisierungsphase Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts der kolonialen Herrschaft westeuropäischer Mächte unterworfen. Auch andere europäische Akteure, wie Belgien, Italien und Deutschland[10], waren an dieser Unternehmung erstmals in nennenswerterem Umfang beteiligt.[11] Nach der Kolonisierung Afrikas erreichte die europäische Expansion ihre flächenmäßig größte Ausdehnung. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg, so stellte der französische Ökonom Arthur Girault damals fest, war etwa die Hälfte des Festlandes von Kolonien bedeckt. Mehr als 600 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der damaligen Weltbevölkerung, unterstanden zu diesem Zeitpunkt kolonialer Herrschaft: 400 Millionen Menschen in Asien, 120 Millionen in Afrika, 60 Millionen in Ozeanien und 14 Millionen in Amerika.[12]

Mit dem europäischen Kolonialismus in Asien, Afrika und Amerika begann eine Entwicklung, die die nördliche und die südliche Hemisphäre der Welt[13] in unterschiedlichen Positionen in einen globalen Markt integrierte: In der von Europa beherrschten Welt wurde der südlichen Hemisphäre eine zutragende Funktion zugewiesen. Sie diente als Rohstofflieferant und Absatzmarkt für Produkte des Mutterlandes. Durch die Errichtung von Plantagenökonomien, auf denen die westlichen Kolonialherren die einheimische Bevölkerung, aus Afrika importierte Sklaven oder asiatische Kontraktarbeiter für sich arbeiten ließen, wurde der Süden von der Nachfrage des Nordens abhängig und war empfindlich deren Schwankungen ausgesetzt.[14] Die Industrialisierungsprozesse in Europa und Nordamerika verschärften diese Asymmetrie weiter: In den siebziger Jahren des 19. Jahr-hunderts wurde in den industrialisierten Ländern erstmals ein Bruttosozialprodukt erwirtschaftet, das größer war als das der übrigen Regionen der Welt. Je weiter die In-dustrialisierung der Länder des Nordens voranschritt, desto mehr waren diese in der Lage, die Länder des Südens wirtschaftlich, politisch und kulturell an sich zu binden, ihre Ressourcen zu nutzen sowie Strukturen aufzubauen, die nach ihren eigenen Bedürfnissen und Gewinninteressen funktionierten. Eigenständige wirtschaftliche Entwicklungen in den Kolonien wurden dadurch gehemmt oder ganz verhindert.[15]

Während die westliche Welt bei den ersten interkontinentalen Handelsverbindungen zwischen Asien, Afrika und Europa vor 1500 nur eine sehr periphere Rolle gespielt hatte, band sie nun in der Hochphase des Kolonialismus in globalem Maßstab und nahezu flächendeckend die anderen Kontinente ökonomisch und politisch an sich. Die globale Vernetzung der Ökonomien, die sich im Zuge der europäischen Expansion vollzogen hatte, brachte ein von Asymmetrien geprägtes System hervor, in dessen Zentrum Europa, mit Großbritannien an seiner Spitze, stand.[16]

2.1.2 Dekolonisierung und strukturelle Ungleichheit

Widerstand gegen die europäischen Kolonialmächte gab es immer wieder. Oft nährte christliches und anderes kulturelles Gedankengut, welches die Kolonialherren durch
Mission und Bildung selbst in die Kolonien gebracht hatten, Forderungen nach stärkerer Selbstbestimmung.[17] Ein erster Dekolonisationsschub vollzog sich Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts, als in anderen Teilen der Erde der Expansionsprozess noch in vollem Gange war. Ein Großteil der Kolonien in Südamerika erlangte die politische Unab-hängigkeit, ebenso die bereits erwähnten Vereinigten Staaten von Amerika. Wie diese Erste, war auch die Zweite Dekolonisation Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Kanada, Süd-afrika, Australien und Neuseeland unabhängig wurden, jedoch eine rein „weiße“ Ange-legenheit. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts, als die Kolonialmächte durch die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg nachhaltig geschwächt waren und der Widerstand kaum noch einzudämmen war, erreichte der Dekolonisierungsprozess auch die anderen Teile der Erde. In der Dritten, sogenannten „farbigen“ Dekolonisation in den 1940er bis 1970er Jahren wurden zunächst die Kolonien in Asien, dann in Afrika und schließlich in der Karibik und Ozeanien unabhängig. Die letzten Kolonien, Hongkong und Macau, erlangten schließlich in den Jahren 1997 und 1999 die politische Freiheit.[18]

Doch die formale bedeutete nicht automatisch reale politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Als die südamerikanischen Kolonien unabhängig wurden, gerieten sie zunächst in Abhängigkeit von Großbritannien, das noch immer den Welthandel beherrschte. Auch im Nahen Osten übte die Industriemacht zeitweise starke informelle Kontrolle aus. Frankreich spielt bis heute ökonomisch und politisch eine zentrale Rolle in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien. In Südamerika übernahmen später die USA die britische Rolle und begannen, den südlichen Nachbarn als ihre Einflusssphäre zu betrachten. Auch in Südostasien übte die neu-europäische Macht nach der Dekolonisation starke informelle Kontrolle aus und löste somit Großbritannien schließlich als mächtigstes Im-perium ab. Die Dritte Dekolonisation hatte die politischen und ökonomischen Rollenverhältnisse auf der Welt nicht grundsätzlich verändert. Vielmehr war die Globalisierung des ausgehenden 20. Jahrhunderts weiterhin stark von den Abhängigkeiten und Hierarchien geprägt, die sich im 18. und 19. Jahrhundert herausgebildet hatten.[19] Interessen in der überseeischen Welt ließen sich auch mit Hilfe informeller Strukturen weiterhin durchsetzen. Träger und Gewinner der globalen Verflechtung der Ökonomien waren in der
Regel Unternehmen aus dem Norden – die Entfaltungsmöglichkeiten der Länder des Südens blieben hingegen weiterhin eingeschränkt.[20]

Insbesondere in der Organisation des Weltmarkts wird häufig ein wesentlicher Faktor gesehen, der die ungleichen Verhältnisse zwischen den Hemisphären bewahrt. Die EU und die USA setzen beispielsweise alles daran, die südlichen Länder zur Öffnung ihrer Märkte zu veranlassen, wenden diese Prinzipien auf sich selbst jedoch keineswegs durchgängig an. So subventionieren sie nicht nur ihre eigenen Landwirtschaften, sondern führen deren Erzeugnisse sogar in die Länder des Südens aus. Strukturen innerhalb überstaatlicher Organisationen wie der Weltbank, der World Trade Organization (WTO) oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF), deren Aufgabe eigentlich darin besteht, Handelshemmnisse abzubauen und die Entwicklung der Länder der ehemaligen Dritten Welt gezielt zu fördern, trugen letztlich lange Zeit dazu bei, die Dominanz des Nordens über den Süden zu wahren.[21]

2.1.3 Globalisierung und das Ende der westlichen Vorherrschaft

Seit einiger Zeit jedoch wendet sich das Blatt, wenn auch nur langsam: Trotz der erschwerenden Faktoren auf dem Weltmarkt gelingt es seit 1980 immer mehr Ländern auf der südlichen Hemisphäre, ihre Ökonomien zu entwickeln und die westlichen Industrie-mächte einzuholen. Der rasante Aufstieg der sogenannten „Tigerstaaten“ Ost- und Südostasiens (Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong) von Entwicklungsländern zu Industriestaaten in den 1980er Jahren zeigte erstmals, dass Fortschritt und Entwicklung nicht durch externe Faktoren determiniert sind. Alle hatten ihren Entwicklungsweg unter starker informeller Kontrolle durch westliche Länder begonnen.[22] Seitdem trotzen immer mehr Länder der strukturellen Benachteiligung: Die Ökonomie Chinas entwickelt sich seit im Jahr 1978 begonnener Wirtschaftsreformen, die insbesondere die Privatisierung bestimmter Wirtschaftszweige sowie die Einführung von Sonderwirtschaftszonen beinhalteten, beachtlich. Seit Beginn der 1990er Jahre weist die Volksrepublik ein enormes Wirtschaftswachstum auf – heute mit rund 10 Prozent eines der höchsten der Welt.[23] Eine ähnliche Entwicklung, auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird, zeigt sich seit den 90er Jahren in Indien. Auch hier sind die Wachstumsraten mit rund 8 Prozent - im Vergleich zu rund 3 Prozent in den Vereinigten Staaten sowie 1,5 Prozent in der Bundesrepublik Deutschland – bemerkenswert.[24] In manchen Bereichen haben die asiatischen Länder die westlichen Industriestaaten nicht bloß ein-, sondern sogar überholt: So hat beispielsweise Indien die USA bereits als führende Softwarenation abgelöst.[25]

Betrachtet man das Bruttoinlandsprodukt aller Länder der Welt im internationalen Vergleich in den Jahren 1980 und 2009 (siehe Tabelle 1, hier nur Ränge 1 bis 16 auf-gelistet), so fällt auf, dass neben China und Indien vor allem die Volkswirtschaften Russlands und Brasiliens in den vergangenen 30 Jahren stark aufgeholt haben. China ist von Platz 7 auf Platz 3 aufgestiegen und hat Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien überholt. Brasilien ist von Platz 15 auf Platz 8 vor Spanien und Kanada gerückt. Indien ist von Platz 13 auf Platz 11 aufgestiegen, Russland (zu dem aus dem Jahr 1980 keine Daten vorlagen) befindet sich im Jahr 2009 mit Platz 12 vor Australien, Korea und den Niederlanden.[26]

Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt im internationalen Vergleich 1980 und 2009 in Mrd. US-Dollar (Quelle: IWF World Economic Database April 2009/2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Enormes Potential birgt vor allem die Bevölkerungsgröße dieser Staaten – können die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) ihr Potential in den kommenden Jahren voll entfalten, so ein Szenario, das der Finanzdienstleister Goldman Sachs im Jahr 2006 entwarf, werden sie 2050 gemeinsam ein BIP erwirtschaften, welches das der G8-Staaten übersteigt. Auch wenn dieses (umstrittene) Szenario nicht in vollem Maße eintritt – die ökonomische Vorherrschaft des Westens ist im Ende be-griffen.[27] Durch den wirtschaftlichen Aufstieg gelingt es vielen Ländern des Südens zudem immer mehr, sich auch politisch in Organisationen wie der WTO Gehör zu verschaffen: 20 Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich unter brasilianischer und in-discher Führung zur Gruppe der Zwanzig (G20)[28] zusammengeschlossen, um ihre In-teressen dem Norden gegenüber zu behaupten.[29]

Ein Ende der westlichen Dominanz sieht auch der Autor Fareed Zakaria, wenn er vom Anbruch des „postamerikanischen Zeitalters“ spricht. Er teilt die Weltgeschichte seit der europäischen Expansion in unterschiedliche Phasen ein: Während des europäischen Kolonialismus habe es eine multipolare Weltordnung gegeben, in der eine Reihe europäischer Regierungen das Sagen hatte. Nach dem bipolaren Zeitalter während des Kalten Krieges hätten nach dem Niedergang der Sowjetunion die USA als einzig verbleibende Supermacht ein unipolares Zeitalter geprägt und seien weltwirtschaftlich und –politisch dominierend gewesen. Gegenwärtig vollzieht sich Zakaria zufolge eine erneute Machtverschiebung, hin zu einer neuen, in globalem Sinne multipolaren Weltordnung – der „Aufstieg der Anderen“. Neben den BRIC-Staaten sieht er auch in Süd-afrika und anderen Staaten der südlichen Hemisphäre wichtige zukünftige globale
Akteure.[30] Dass in den Schwellenländern noch immer starke Entwicklungsunterschiede herrschen, betrachtet er langfristig nicht als Hinderungsgrund für die von ihm geschilderte, weitreichende Entwicklung:

„Sich auf den wachsenden Wohlstand zu konzentrieren, während noch immer Hunderte Millionen Menschen in äußerster Armut leben, mag sonderbar anmuten. Tatsächlich ist der Anteil derer, die von einem Dollar oder weniger pro Tag leben müssen, jedoch von 40 Prozent im Jahr 1981 auf 18 Prozent im Jahr 2004 gesunken und wird bis 2015 schätzungsweise auf 12 Prozent zurückgehen. Allein in China konnten 400 Millionen Menschen der Armut dank des Wirtschaftswachstums entkommen. Achtzig Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen die Armut sinkt. Die Problemfälle, denen wir uns dringend zuwenden müssen, sind jene fünfzig Länder, in denen die Ärmsten der Armen wohnen. In den übrigen 142 Staaten – zu denen China, Indien, Brasilien, Russland, Indonesien, die Türkei, Kenia und Südafrika zählen – werden die Armen langsam von leistungsfähigen, wachsenden Volkswirtschaften aufgefangen. Zum ersten Mal überhaupt erleben wir echtes globales Wachstum. Dadurch entsteht ein internationales System, in dem Länder aus allen Teilen der Welt nicht mehr Objekte oder Beobachter, sondern Akteure aus eigenem Recht sind. Es ist die Geburt einer wahrhaft globalen Ordnung.“[31]

2.2 Indiens Weg von der Kolonie zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht

2.2.1 Kolonialherrschaft und Folgen für die indische Wirtschaft

Als Vasco da Gama 1498 das Kap der guten Hoffnung umsegelte und nördlich von Calicut an Land ging, hatte Indien bereits seit mehreren Jahrhunderten unter Fremdherrschaft gestanden – seit 1206 wurde der Subkontinent durch das von islamischen Eroberern gegründete Sultanat von Delhi regiert. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde dieses von weiteren Eroberern, den persischen Moguln, abgelöst. Für sie blieb die portugiesische Präsenz im indischen Ozean jedoch politisch unbedeutend – die Handelsinteressen der Iberer waren ihnen vielmehr willkommen, brachten sie doch Gold ins Land. Indien wurde Teil des portugiesischen „Estado da Índia“, welcher von Afrika bis nach Japan reichte und dessen Kerngeschäft der Gewürzhandel bildete. Die Ankunft der 1602 gegründeten niederländischen VOC beendete das erfolgreiche Indiengeschäft der Portugiesen – die VOC war besser ausgerüstet als der Estado da Índia und zerschlug diesen. Auch die Niederländer verfolgten in Indien zunächst bloß ihre Handelsinteressen. Ihr Schwerpunkt lag zuerst ebenfalls auf Gewürzen, wurde später jedoch auf Textilien, Kaffee und Tee verlagert. Der VOC wurde ihrerseits bald die im Jahr 1600 gegründete britische EIC zum Rivalen. Das britische Handelssystem erwies sich als wesentlich effizienter als das der Niederländer und setzte sich im Indienhandel durch. Im Gegensatz zum Engagement der vorigen europäischen Mächte sollte das britische Engagement in Indien jedoch nicht bei der Verfolgung reiner Handelsinteressen bleiben.[32]

Als im 18. Jahrhundert der Zerfall des Mogulreiches einsetzte, begann auch Frankreich, Stützpunktkolonien an der indischen Küste zu errichten. Der Niedergang des Mogul-reiches und die damit einhergehende Regionalisierung der Macht schufen eine Situation, in der Frankreich und England ihre entfachende Rivalität auf dem Subkontinent aus-tragen konnten: In diversen Situationen boten sich beide als Partner streitender Parteien an und verstrickten sich so immer mehr in die politischen Angelegenheiten des
Landes. Die Idee, indische Söldner auszubilden und sich ein eigenes, indisches Heer zu schaffen, kam von französischer Seite, wurde aber bald von den Briten übernommen. Frankreich und England lieferten sich so Stellvertretergefechte auf indischem Boden und mit indischen Soldaten. In der Schlacht von Wandiwasch im Jahr 1760 wurden die Franzosen schließlich entscheidend von den Briten geschlagen.[33]

Im Zuge dieser Rivalitäten zwischen Frankreich und England hatte sich in Indien ein Wandel von reinen Handelsbeziehungen zu informeller politischer Kontrolle vollzogen. Nachdem die Briten als Sieger hervorgegangen waren, breitete sich ihre Landmacht immer weiter aus. Zuerst übernahmen sie in Bengalen die Grundsteuerverwaltung, dann nach und nach in den anderen Bundesstaaten, und holten das über ihre Handelsver-bindungen zuvor investierte Silber wieder aus Indien heraus. Nachdem sie 1813 das Handelsmonopol für Indien verloren hatten, traten ihre Handelsinteressen zugunsten von Herrschaftsinteressen immer stärker in den Hintergrund. Mit der steigenden Macht der Briten in Indien wuchs jedoch auch der Unmut der indischen Bevölkerung, der sich 1857 in der „Mutiny“, einem von indischen Söldnern ausgelösten, weite Kreise ziehenden Aufstand entlud. Dieser wurde von den Briten gewaltsam niedergeschlagen und veranlasste sie schließlich dazu, Indien stärker unter ihre Kontrolle zu nehmen. 1858 übernahm die britische Krone die Herrschaft über Indien – der Wandel von informeller zu formeller Herrschaft war vollzogen.[34]

Die britische Kolonialherrschaft in Indien hatte weitreichende Folgen für die indische Wirtschaft. Im Jahr 1876 hielt der parsische Intellektuelle Dadabhai Naoroji in Bombay einen berühmten Vortrag über die Armut Indiens, in dem er seine viel zitierte Theorie vom „Drain of Wealth“ präsentierte, nach der Indien im Zuge von Ex- und Importen zwischen 1835 und 1872 Geld offensichtlich verloren gegangen sei – immerhin 500 Millionen Pfund. Andere indische Kritiker forderten daraufhin Schutzzölle sowie eine aktive Entwicklungspolitik der britisch-indischen Regierung – diese jedoch dachte gar nicht daran, derartigen Erwartungen zu entsprechen. Mit Berufung auf liberale Wirtschaftslehren ließen sie den „freien Markt“ walten. Der Nutzen dieser Praxis war jedoch sehr einseitig – die Briten erhielten als Händler und Herrscher den Löwenanteil, die Inder hatten das Nachsehen. Mit der fortschreitenden Industrialisierung Großbritanniens wurde Indien zum Rohstofflieferanten und Absatzmarkt für englische Industriepro-dukte. Wo indische Produzenten mit britischen Unternehmen konkurrierten, wurden sie vom Markt gedrängt.[35] Eine differenzierte Industrialisierung Indiens fand nicht statt. Nach der Unabhängigkeit waren weder Industrie noch Landwirtschaft in der Lage, die indische Wirtschaft zu tragen.[36] Ein überregionaler Binnenmarkt, eigentlicher Motor des Wirtschaftswachstums, kam nicht in Schwung, es überwog die Außenhandels-orientierung. Der Außenhandel wurde jedoch nahezu völlig von den Briten beherrscht, die allein über die nötige Marktkenntnis verfügten. Auch in anderen Bereichen wirkte sich die Kolonialherrschaft negativ aus: Die indische Bildungsschicht war in erster Linie auf Verwaltungs- und Lehrberufe vorbereitet worden, an technischer Ausbildung und Volksschulerziehung mangelte es. Lesen und Schreiben konnten 1947 immer noch verhältnismäßig wenige Inder. Auch war die medizinische Versorgung der wachsenden
indischen Bevölkerung gering. Diese schlechte Situation Indiens zum Ende der britischen Kolonialherrschaft war vielleicht nicht von den Kolonialherren beabsichtigt, dennoch systembedingt – und daher letztlich durch sie bewirkt.[37]

2.2.2 Indische Unabhängigkeit und Abschottungspolitik

Westliche Bildung fand unter britischer Herrschaft in Indien bald weite Verbreitung. Eine neue indische Bildungsschicht fand Posten im mittleren Verwaltungsdienst, der höhere Verwaltungsdienst blieb jedoch nach wie vor den Briten vorbehalten. Aus dieser neuen Bildungsschicht speiste sich Widerstand gegen die Fremdherrschaft. Hinzu kam, dass indische Soldaten im Ersten Weltkrieg Seite an Seite mit britischen Soldaten gekämpft hatten und Indien somit eher die Rolle eines Partners als eines Unterworfenen eingenommen hatte. Die Forderung nach Selbstbestimmung wuchs. Der 1885 gegründete National-kongress unter Führung Mahatma Gandhis sowie die 1906 gegründete Muslim-Liga mit Ali Jinnah an ihrer Spitze formulierten gemeinsame Forderungen, die die Briten unter Zugzwang setzten. Politische Aktionen unter Leitung Gandhis wie die „Quit India“-Kampagne oder der Salzmarsch verliehen dem wachsenden Streben der Bevölkerung nach nationaler Unabhängigkeit Nachdruck. Im Zweiten Weltkrieg wurde Indien schließlich vom Schuldner zum Gläubiger des Mutterlandes. Die Kolonialregierung musste reagieren. Am 15. August 1947 entließ sie Indien in die Unabhängigkeit. Pakistan wurde aufgrund unvereinbarer Differenzen zwischen Kongress und Muslim-Liga von Indien abgeteilt und zu einem neuen Staat mit muslimischer Mehrheit ausgerufen.[38]

Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister der Republik Indien, nahm sich nach der Unabhängigkeit sogleich der Wirtschaftsplanung an. Im Jahr 1950 rief er die nationale Planungskommission ins Leben, die in enger Anlehnung an die Sowjetunion Fünfjahrespläne zur Entwicklung der indischen Wirtschaft ausarbeitete. Der indische Binnenmarkt wurde komplett vom Weltmarkt abgeschottet. Der Schwerpunkt der Entwicklungspläne lag zunächst auf dem Ausbau der Schwerindustrie, was jedoch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Nach 1955 wandte sich Nehru stärker der gebeutelten Landwirtschaft zu und führte unter anderem eine Landreform durch. Auch dies erzeugte jedoch kein nachhaltiges Wachstum. Vor allem die Politik der Aussperrung der Weltmarktkonkurrenz sowie die komplizierten Genehmigungsverfahren für Unternehmer sorgten für Funktionsstörungen. So blieb die indische Wachstumsrate auf einem für Entwicklungsländer niedrigen Niveau von um die 3 Prozent – von Kritikern zynisch „Hinduwachstumsrate“ genannt. Länder mit ähnlichen Ausgangssituationen wie Indien (zunächst Südkorea und Taiwan, später Singapur, Malaysia, Thailand und der Machtkonkurrent China) zogen in den 1980er Jahren am Subkontinent vorbei.[39]

Indiens Devisenguthaben bei der Bank von England, die britischen Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg, waren rasch erschöpft. Bereits 1956 musste Indien die westlichen Industrienationen um Finanzhilfe bitten. Aufgrund des ausbleibenden Wirtschafts-wachstums wuchs das Zahlungsbilanzdefizit über die Jahrzehnte unaufhaltsam – im Juni 1991 stand Neu Delhi schließlich kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.[40]

2.2.3 Indien seit 1991: Aufstieg einer asiatischen Wirtschaftsmacht

Bereits im Jahr 1980 veranlasste Premierminister Rajiv Gandhi eine zaghafte Abkehr vom sozialistischen Modell. Ein wirklicher Kurswechsel fand jedoch erst im Jahr 1991 statt, als die indische Regierung kurz vor dem Bankrott stand. Der damalige Finanzminister und heutige Premierminister Manmohan Singh führte einschnei-dende Wirtschaftsreformen durch. Er wertete die Währung ab, privatisierte diverse Wirtschaftszweige, baute das System staatlicher Lizenzen ab, schuf Sonderwirtschaftszonen mit günstigen Investitionsbedingungen für Unternehmer und öffnete den abgeschotteten Binnenmarkt. Die indische Wirtschaft fand schließlich Anschluss an die Weltwirtschaft.[41]

Der Erfolg dieser Liberalisierungsmaßnahmen war durchschlagend: Die Exporte des Subkontinents stiegen von 10,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 1986 auf 127 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006, das BIP verdreifachte sich in diesem Zeitraum. Heute weist die indische Wirtschaft ein Wachstum von rund 8 Prozent auf. Die „Lehrbuchentwicklung“ von einer auf Landwirtschaft basierenden Volkswirtschaft über eine solide Industrie-wirtschaft hin zum Dienstleistungssektor hat Indien dabei auf den Kopf gestellt: Zugpferd der indischen Entwicklung ist der Hochtechnologiesektor, und hierbei überwiegend der Dienstleistungssektor. Indien ist heute die führende Weltnation in der Softwareindustrie, Weltspitze in der Biotechnologie und auch in der Raumfahrt erfolgreich. Zudem zeigen sich mittlerweile auch Erfolge in der Massenproduktion von Konsum- und Investitionsgütern: Exportschlager sind Automobile, Elektroartikel sowie Produkte der indischen Filmindustrie („Bollywood“). Der Subkontinent ist zum Global Player geworden.[42] Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg gewinnt Indien auch weltpolitisch zunehmend an Bedeutung – und fordert diese auch ein. So ist das Land seit 1998 in Besitz einer Atombombe, führt zusammen mit Brasilien die Gruppe der G20 an und fordert einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN).[43]

Indien wird in Zukunftsprognosen gemeinhin zu den Ländern gezählt, zu deren Gunsten die globale Machtverschiebung weg von den westlichen Industriemächten langfristig ausfallen wird – sei es im Rahmen der bereits erwähnten BRIC-Studie, in den ebenfalls bereits erwähnten Ausführungen Zakarias oder denen zahlreicher anderer Autoren, die von einem Aufstieg der Wirtschaftsmacht Indien sprechen.[44] Kritiker solcher Prognosen weisen immer wieder auf die nach wie vor vorhandenen Defizite des Landes hin: Ein großes Problem stellt die indische Landwirtschaft dar. Sie leidet noch heute an den Folgen der britischen Kolonialherrschaft und profitiert kaum von den wirtschaftlichen Entwick-lungen. Zwei Drittel der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, tragen aber nur etwa ein Fünftel zum BIP bei. Ein weiteres Problem ist das Ausbildungsgefälle. Die höhere Ausbildung in Indien ist heute im internationalen Vergleich gut, es mangelt jedoch noch immer an einer breit angelegten Volksbildung. Das führt zu einem Mangel an Facharbeitern, der ein breiteres Wachstum der Industrie hemmt. Ein weiteres Defizit besteht in der mangelhaften Infrastruktur. Ausländische Investoren beklagen häufig Schwächen im Verkehrssystem und der Energieversorgung. Eisenbahnen, Straßen und Flughäfen sind überlastet, Stromausfälle an der Tagesordnung. Schließlich stellt die Armut Indiens ein, wenn nicht das größte Problem des heutigen Indien dar. Etwa ein Drittel der indischen Bevölkerung lebt in Armut, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich zunehmend. Während manche Regionen und Bevölkerungsschichten und vor allem die urbanen Gebiete vom Wirtschaftswachstum profitieren, bleiben andere Regionen und Schichten sowie vorwiegend die ländlichen Gebiete davon weitgehend unberührt.[45]

Wie Zakaria[46] ist jedoch auch der in Delhi lebende Journalist und Autor Oliver Müller der Ansicht, dass diese Strukturprobleme dem Aufstieg Indiens langfristig keinen Abbruch tun werden. Als Träger des Aufstiegs sieht er die indische Wirtschaft:

„Es ist nicht ausgemacht, ob und vor allem wie schnell das Land seine Strukturprobleme überwindet, aber es gibt Grund für Zuversicht. Denn wo der Staat versagt, löst der Markt zunehmend Probleme. Unternehmergeist und die Willensstärke einfacher Inder machen viele politische Defizite wett. Daher erreichen zum Beispiel die Kräfte der Globalisierung nun die Dörfer. Dort und in den Slums hebt zudem eine privat finanzierte Bildungsrevolution an.“[47]

Müller ist im Bewusstsein der nicht unerheblichen strukturellen Probleme des Sub-kontinents davon überzeugt, dass Indien dabei ist, zu einer großen Herausforderung für die westlichen Industriestaaten zu werden.[48] Auch Dietmar Rothermund, emeritierter Professor für Geschichte Südasiens an der Universität Heidelberg, ist der Ansicht, dass Indien in Zukunft eine wichtige globale Machtrolle einnehmen wird – nicht zuletzt aufgrund der Größe des Landes:

„In politischer Hinsicht ist Indien ein moderner Nationalstaat so wie Groß-britannien, Frankreich oder Deutschland, doch in seinen enormen Ausmaßen gleicht es eher der Europäischen Union, der diese Nationalstaaten angehören. Auf dem Gebiet der institutionellen Integration ist Indien der Europäischen
Union weit voraus, doch in ökonomischer Hinsicht hinkt es natürlich noch hinterher. Weil Indiens Wachstumsraten drei oder viermal höher sind als die der europäischen Staaten, wird es auch auf diesem Gebiet rasch aufholen. Indien war lange Zeit isoliert und muss noch seinen Platz in der neuen Weltordnung finden. Es ist jedoch so groß, dass es automatisch zu der ganz kleinen Zahl der ‚global players‘ gehören wird. Wegen seiner Größe ist es auch dazu in der Lage, die Spielregeln zu bestimmen. Es kann nicht gezwungen werden, Regeln zu folgen, die ihm andere auferlegen.“[49]

2.3 Entwicklung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen

Deutschland gehörte selbst nie zu den europäischen Kolonialmächten in Indien, beteiligte sich jedoch zu verschiedenen Zeiten der Expansion indirekt an den kolonialen Unternehmungen Anderer: So gehen die ersten Handelsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland auf das 16. Jahrhundert zurück, wo sich große deutsche Handelshäuser wie die Fugger und Welser im portugiesischen Gewürzhandel engagierten. Im Laufe der Jahrhunderte kam es immer wieder zu deutschem wirtschaftlichem Engagement in Indien. Im Jahr 1870 verbanden beispielsweise deutsche Ingenieure von Siemens Kalkutta und London mit der ersten Telegrafenleitung und legten damit den historischen Vorläufer der Datenleitungen, die später Indiens Aufstieg zu einem führenden Dienstleistungs-Exporteur ermöglichen sollten. Nach der indischen Unabhängigkeit gab es Kooperationen mit deutschen Unternehmen wie Krupp, Bosch, Bayer und Daimler-Benz, die vorwiegend bei der Realisierung der Industrialisierungspläne helfen sollten. Aufgrund der indischen Abschottungspolitik war das deutsche Interesse an Investitionen in Indien lange Zeit jedoch sehr gering und wurde zugunsten von Investitionen in China vernachlässigt.[50]

Mit dem Beginn der indischen Reformpolitik 1991 erlebten die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen einen Aufschwung. Das bilaterale Handelsvolumen nahm rasant zu und erreichte im Jahr 2008 mit 13,4 Milliarden Euro seinen bisherigen Höchststand.
Indien steht für Deutschland als Handelspartner bei den Ausfuhren an 27. Stelle und bei den Einfuhren auf Platz 28. Deutschland ist seinerseits Indiens wichtigster Handelspartner innerhalb der Europäischen Union. Seit 1991 wurden circa 2700 deutsch-indische Kooperationen gegründet. Schwerpunkte sind die Bereiche Chemie, Pharmazie, Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik sowie Software, wobei 80 Prozent der deutschen Investoren in Indien Unternehmen der verarbeitenden Industrie darstellen. Die wichtigsten in Indien vertretenen deutschen Unternehmen sind SAP, Metro, ThyssenKrupp, Daimler, Siemens, Bayer, BASF und Robert Bosch. Als Magnet für Investoren wirkt neben vielen billigen Technikern vor allem eine schnell wachsende Mittel- und Oberschicht mit steigenden Konsumwünschen und -möglichkeiten. Für den deutschen Versicherer
Allianz AG beispielsweise hat sich das Land innerhalb kürzester Zeit zum dankbarsten Wachs-tumsmarkt weltweit entwickeln können. Heute ist dieser Konzern Indiens größter privater Lebens- und zweitgrößter Sachversicherer.[51]

3. Orientalismuskritik

„The Orient is not only adjacent to Europe; it is also the place of Europe’s greatest and richest and oldest colonies, the source of its civilizations and languages, its cultural
contestant, and one of its deepest and most recurring images of the Other.”

(Edward Said, 1978)[52]

3.1 Vorbemerkungen

3.1.1 Theoretischer Rahmen

Schon vor Said und Inden haben sich Orientwissenschaftler, Ethnologen und Historiker des 20. Jahrhunderts mit dem Bild des Orients beziehungsweise Indiens auseinandergesetzt, das die Orientwissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgebracht haben. Den Südasienethnologen Carol A. Breckenridge und Peter van der Veer zufolge haben zwei Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene Betrachtungsweisen zu diesem Orientbild als Ausgangspunkte für Saids im Jahr 1978 aufgestellter Orientalismusthese gedient.

Die eine Betrachtungsweise betone den imaginären Charakter des der europäischen Vorstellung entsprungenen, historisch gewachsenen Orientbildes. Als repräsentative Schrift dieser Richtung nennen die Autoren das Buch „ The Oriental Renaissance: Europe’s Rediscovery of India and the East, 1680-1880 “ (französische Ersterscheinung 1950, englische Übersetzung 1984) des französischen Indologen Raymond Schwab.[53] Schwab, der die Indologie als romantische Tradition betrachtet, ist zwar der Ansicht, das damalige Indienbild sei eine europäische Konstruktion, in dieser werde Indien jedoch wert-schätzend als Komplement Europas betrachtet.[54] Das im Jahr 1988 auf Englisch erschienene „ India and Europe. An Essay in Understanding “ (auf Deutsch bereits 1980 erschienen) des deutschen Indologen Wilhelm Halbfass ordnen die Autoren ebenfalls in dieser Denkrichtung ein.[55] Halbfass untersucht, wie Indien und Europa einander bei ihren Begegnungen im Laufe der Geschichte wahrgenommen haben und die Wahrnehmung des jeweils Einen zur Identitätsstiftung des Anderen beigetragen hat.[56]

Die andere, kritischere Betrachtungsweise hat Breckenridge und van der Veer zufolge vor allem den politischen und ideologischen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit für orientwissenschaftliche Projekte Beachtung geschenkt und eine Verbindung zwischen den Orientwissenschaften und der kolonialen Expansion gesehen. Als repräsentativ für diese Richtung sehen die Autoren den 1963 erschienenen Aufsatz „ Orientalism in Crisis “ des sozialistisch geprägten Denkers Anwar Abdel Malek.[57] Malek forderte damals erstmals eine Überprüfung der politischen Ambitionen des orientalistischen Projekts.[58] Bevor Said ihn Ende der 1970er Jahre aufgriff, so Breckenridge und van der Veer, ist dem Ansatz allerdings nicht viel Beachtung geschenkt worden.[59]

Abbildung 2: Theoretische Ansatzpunkte der Orientalismuskritik (eigene Darstellung in Anlehnung an Breckenridge/van der Veer 1993 S.3f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Said, so die Autoren weiter, habe nun diese beiden Betrachtungsweisen zu einer neuen Theorie zusammengefügt und in seinem 1978 erschienenen Buch „ Orientalism “ das Orientbild des 18. und 19. Jahrhunderts als ein aus kolonialistischen Antrieben gespeistes, europäisches Konstrukt skizziert – und somit die bis heute kontrovers diskutierte Orientalismuskritik ins Leben gerufen. Inden sei Said in dessen politisch motivierter Kritik an den Orientwissenschaften gefolgt und habe diese im Jahr 1990 in seinem Werk „ Imagining
India
“ auf das von der Indologie hervorgebrachte Indienbild übertragen.[60]

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der von Said initialisierten und von Inden weitergeführten, politisch orientierten Orientalismuskritik und untersucht, inwiefern Elemente des in dieser Kritik beschriebenen Orient- bzw. Indienbildes noch heute in demjenigen deutschen Indienbild zu finden sind, welches in der Wirtschaftszusammenarbeit mit dem Subkontinent vorherrschend ist. Auf Halbfass, der ebenfalls einen bedeutenden aktuellen Beitrag zur konstruktivistischen Wahrnehmung Indiens in Europa geleistet hat, jedoch die von Said und Inden hervorgehobene politische Komponente nicht im gleichen Maße berücksichtigt, wird an signifikanten Stellen verwiesen. Zum Einen, um die Orientalismuskritik in einen breiteren Kontext einzuordnen, zum Anderen, um eine alternative, nicht-politisch motivierte Sichtweise aufzuzeigen.

Bei „ Orientalism “ handelt es sich um eine diskursanalytische Studie, in der Said Werke von Schriftstellern und Gelehrten aus dem Zeitraum vom 18. Jahrhundert bis zur damaligen Gegenwart analysiert. Theoretisch stützt er sich vor allem auf den poststrukturalistischen französischen Philosophen und Soziologen Michel Foucault, von dem er die
Methode der Diskursanalyse[61] übernimmt, sowie auf den italienischen marxistischen Philosophen Antonio Gramsci, dem er dessen Hegemoniebegriff[62] entleiht. Neben wissenschaftlichen Texten analysiert Said auch Reiseberichte und Belletristik. Sein Fokus liegt auf Schriften britischer und französischer Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts sowie jüngeren Schriften US-amerikanischer Autoren über die islamisch-arabische Welt; er verallgemeinert seine Annahmen jedoch auf den gesamten Orient.[63]

Wie Said bedient sich auch Inden sowohl der Methode der Diskursanalyse Foucaults als auch des Hegemoniebegriffs nach Gramsci. Zusätzlich verwendet er den Begriff der kom-plexen Handlungsfähigkeit[64] des britischen Posthegelianers Robin George Collingwood. Indens Fokus liegt auf indologischen Schriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert.[65] Ebenso wie Said hält er in älterer Zeit die britische und französische und in jüngerer Zeit die US-amerikanische Indologie für tonangebend im indologischen Diskurs, bezieht im Gegensatz zu Said jedoch auch die deutsche Indologie in seine Betrachtung mit ein.[66]

Die Kernthesen Saids und Indens stimmen im Wesentlichen überein. Inden selbst bemerkt dies zu Anfang seiner Ausführungen in „ Orientalist Constructions of India “:

„To a large extent I agree with Said’s critique and so, too, perhaps do many other scholars of Asia. My intention here is not to interpret Said’s book, to defend it against its detractors, or to attack them. What I would like to do is to continue with a more detailed discussion of the Indological or South Asian branch of Orientalist discourse. I would like to point to the peculiar form in which Indologists and, for that matter, sociologists, historians, political scientists, anthropologists, and historians of religion have presented their knowledge of alien cultures.“[67]

Aufgrund dieser Nähe der beiden Autoren werden die „allgemeineren“ Thesen Saids über den Orient sowie die „spezielleren“ Thesen Indens, die sich mit dem konkreten Fall der Indologie beschäftigen, in Abschnitt 3.2 gemeinsam dargelegt.

3.1.2 Orientalismusbegriff

Laut der Enzyklopädie der Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte „ Der neue Pauly “ wurden mit dem Begriff „Orientalismus“ traditionell die Beschäftigung mit den Sprachen, Kulturen und Religionen des Orients[68] sowie romantische Zugänge zum Orient in Musik und Malerei bezeichnet. Zum Orient werden Stefan R. Hauser, dem Autor des Eintrages „Orientalismus“ in der Enzyklopädie, zufolge üblicherweise die Länder Asiens bis nach Japan, die östliche Mittelmeerküste bis zum Iran sowie teilweise die islamisch geprägten Länder Nordafrikas gezählt. Im Englischen und Französischen stehe der Begriff „Orientalism“/„Orientalisme“ seit dem Ende des 17. Jahrhunderts vor allem für die wissenschaftliche Beschäftigung[69] mit dem Orient – wofür im Deutschen und Niederländischen der Begriff „Orientalistik“ stehe. Traditionell hatte der Begriff laut der Enzyklopädie eine positive Konnotation im Sinne einer Wertschätzung des Gegenstands sowie der damit verbundenen wissenschaftlichen Arbeit. Ende des 20. Jahrhunderts habe jedoch, angestoßen durch Said, ein grundlegender Begriffswandel stattgefunden, indem er nunmehr im Kontext westlich-kolonialer Diskurse und falscher, diskriminierender Vorstellungswelten verwendet worden sei.[70]

Said selbst hat dem Begriff Orientalismus (Orientalism) drei Bedeutungen zugeordnet:

1. „Orientalism“ als Bezeichnung für die akademische Disziplin (siehe oben);
2. Orientalismus als Denkstil, der auf der grundlegenden Unterscheidung von „Orient“ und „Okzident“ beruht;
3. Orientalismus als westliche Art, den Orient auf diskriminierende und dominierende Art und Weise zu beschreiben und zu behandeln.[71]

Said, so Hauser, gab dem Orientalismusbegriff somit einen völlig neuen, ideologischen Gehalt.[72]

3.2 Das orientalistische Indienbild nach Said und Inden

3.2.1 Die „Erfindung“ des Orients

Wissenschaftler im 18. und 19. Jahrhundert – auch Indologen – haben, so Inden, ihrer Forschung eine „representational theory of knowledge“ zugrundegelegt, welche auf der Annahme gründet, dass es eine objektive Realität gebe und Wissenschaft diese einfach „spiegele“.[73] Sowohl Said als auch Inden vertreten jedoch den Standpunkt, dass Wissen keine objektive Realität abbilde, sondern Wahrheit stets konstruiert sei.[74] Inden schreibt hierzu:

„[…] the knowledge of the knower is not a disinterested mental representation of an external, natural reality. It is a construct that is always situated in a world apprehended through specific knowledges and motivated by practices in it. What is more, the process of knowing actively participates in producing and trans-forming the world that it constructs intellectually.“[75]

Weiterhin:

„The knower does not transcend the world that he or she takes as object; on the contrary, the reality in which the knower is situated transcends him or her.“[76]

Said und Inden betonen, dass der „Orient“ keine per se gegebene geographische Größe, sondern vielmehr eine Erfindung, eine Konstruktion des Westens ist. Während des Mittelalters und zur Zeit der Renaissance sei der Orient in Europa vor allem mit dem Islam in Verbindung gebracht und als Gegenstück des christlichen Abendlandes betrachtet worden. Dementsprechend habe man im Orient lange Zeit eine starke Bedrohung, ja einen elementaren Feind gesehen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts habe sich diese Sichtweise jedoch geändert: Im Zuge der europäischen Expansion, in der immer mehr Länder und Regionen jenseits des altbekannten islamischen Orients (wieder)entdeckt wurden, habe sich der geographische Rahmen der Bezeichnung „Orient“ ausgedehnt und schließlich über ganz Asien erstreckt.[77]

Mit der Kolonialisierung war laut Said erstmals eine stärkere Exploration der Länder des Orients möglich, und man begann, Wissen über den Orient zu generieren und festzuhalten, um dessen Bedrohlichkeit (insbesondere die des so lange gefürchteten Islam) zu reduzieren.[78] Die Produktion von Wissen über den Orient habe diesen jedoch erst konstituiert: „Knowledge of the Orient, because generated out of strength, in a sense creates the Orient, the Oriental, and his world.“[79] Der Orient wurde und wird demnach erst durch den Westen zum Orient gemacht.[80]

3.2.2 Der Orient als überholter Ursprung Europas

„Au siècle de Louis XIV on était helléniste, maintenant on est orientaliste.“

(Victor Hugo, 1829)[81]

Im Zuge der durch den Kolonialismus ermöglichten intensiveren Beschäftigung mit dem Orient wurde, so Said, der bipolare Gegensatz von Westen und Islam aufgebrochen und man entdeckte, dass versteckte Elemente einer Verwandtschaft zwischen dem Orient und Europa existierten. Die Entdeckung der indo-europäischen Sprachverwandtschaft Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts durch die relativ junge akademische Disziplin der Philologie[82] habe zu einer neuen Konzeption der Menschheitsgeschichte geführt. Die gängigen Herleitungen der europäischen Identität aus dem Geist der griechisch-römischen Antike oder aus der biblisch-christlichen Tradition seien relativiert worden und man habe begonnen, die Wiege der europäischen Zivilisation nunmehr im Orient zu verorten. In den „Ariern“[83] habe man nunmehr eine gemeinsame „Ur-Rasse“ Europas und des Orients gesehen.[84] Die Entdeckung dieses gemeinsamen Ursprungs hat, so Said weiter, zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer enthusiastischen Begeisterung für alles Orientalische, Asiatische und in diesem Zusammenhang Exotische geführt, was sich sowohl in einer großen Zahl romantisch geprägter orientwissenschaftlicher Arbeiten als auch in Poesie und Philosophie niederschlug. Der europäische Enthusiasmus für die griechische und lateinische Antike in der Hochphase der Renaissance sei somit wenig später mit dieser „orientalischen Renaissance“[85] weiter nach Osten verschoben worden – und der hellenistische sei durch den orientalistischen Zeitgeist abgelöst worden, wie der zeitgenössische französische Schriftsteller Victor Hugo bemerkte.[86]

Diese Begeisterung beschränkte sich laut Said jedoch allein auf den alten Orient, auf die Geburtsstätte der eigenen Kultur – die Kehrseite dieser enthusiastischen Bewunderung für den Orient der Vergangenheit sei allerdings die geschichtsphilosophische Abwertung des Orients der Gegenwart gewesen. Es habe die Annahme vorgeherrscht, dass der Orient und Europa zwar einen gemeinsamen Ursprung hatten, die Europäer jedoch im Laufe der Geschichte einen höheren Grad an Zivilisation erreicht hätten.[87] Der gegenwärtige Orient sei demnach als kulturell beziehungsweise rassisch unter-legen betrachtet worden:

„[…] the ‚good‘ Orient was invariably a classical period somewhere in a long-gone India, whereas the ‘bad’ Orient lingered in present-day Asia, parts of North Africa, and Islam everywhere. ‘Aryans’ were confined to Europe and the ancient Orient […].”[88]

In den Bewohnern des heutigen Orients habe man hingegen bloß „Semites and other ‚low‘ Orientals“ gesehen.[89]

Scheffler beschreibt die von Said beschriebene Ambivalenz zwischen der Begeisterung für den vergangenen Orient einerseits und der Geringschätzung des gegenwärtigen Orients andererseits folgendermaßen:

„Die orientalistische Rekonstruktion des ‚Orients‘ als ‚Wiege der Zivilisation‘ war die sublime Krönung des europäischen Anspruchs auf Weltherrschaft. ‚Orientale‘ zu den goldenen Zeiten der Upanishaden (oder wenigstens Avicennas) gewesen zu sein, war ein Privileg der Geschichte. Es im 19. Jh. zu bleiben, bedeutete vor allem, Kulturmensch zweiter Klasse zu sein: nicht zu ‚Europa‘ zu gehören – dem Erben des ‚Lichtes‘ der Zivilisation, das einst aus dem ‚Orient‘ gekommen war.“[90]

Auch im Fall der Indologie sieht Inden diese von Said und Scheffler beschriebene Ambivalenz gegeben und führt als Beispiel die Bewertung der historischen Entwicklung des Brahmanismus an. Indologen, so Inden, nahmen im 19. Jahrhundert gemeinhin an, dass Europäer und Inder in den Ariern ihren gemeinsamen zivilisatorischen Ursprung hatten. Der Brahmanismus, die Religion der Indoarier, sei demnach als Vorfahre der eigenen Religion, des Christentums, betrachtet worden. Die Indoarier, die man für eigentlich vernunftbegabte, körperlich starke Menschen gehalten habe, seien nach ihrer Einwanderung nach Indien nun einem zunehmenden religiösen Ritualismus verfallen – was als Resultat der Begegnung des „arischen Geistes“ mit dem heißen, emotionalen und schwachen Indien und seiner niederen, dravidischen Urbevölkerung gedeutet worden sei. Der in Indien aus dem Brahmanismus hervorgegangene Hinduismus, ein „product of the Aryan mind gone astray because it is in a tropical setting”, sei somit als „Entartung“ des Brahmanismus betrachtet worden, während die eigene Entwicklung durchweg positiv gewertet worden sei: „Instead of being an improvement to the past, as Christianity was on paganism, this growth was a ‚degeneration‘.“[91]

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Regel lediglich die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist jedoch stets mitgemeint.

[2] Siehe Abbildung 4 im Anhang.

[3] Vgl. Wendt 2007, S.21ff.

[4] Benannt wurde der Kontinent jedoch nach dem Florentiner Amerigo Vespucci, der als erster von den neuen Ländern als „mundus novus“ (neue Welt) gesprochen hatte, während Kolumbus bis zu seinem Tod davon überzeugt gewesen sein soll, Indien entdeckt zu haben. Vgl. ebd., S.34.

[5] Vgl. Wendt 2007, S.30ff; Reinhard 2008, S.11ff, 28ff, 67ff. Siehe Abbildung 5 im Anhang.

[6] Als die Handelsaktivitäten stabilisiert waren, betrieben sie allerdings doch Mission. Pioniere der protestantischen Mission wurden 1706 die Deutschen Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau in Südindien. Im britischen Indien sowie anderen englischen und niederländischen Kolonien übernahm die Mission daraufhin zunehmend wichtige Aufgaben im Bildungs- und Gesundheitswesen. Vgl. Wendt 2007, S.144.

[7] Siehe Glossar.

[8] Siehe Glossar.

[9] Erste Ansätze formaler Herrschaft lassen sich bei der der niederländischen Vereinigten Ostindischen Kompagnie (VOC) auf Java erkennen. Nachdem die VOC den Sultan von Mataram unterstützt hatte, als der sich im 17. Jahrhundert mit einem Aufstand konfrontiert sah, wurde das Sultanat zum Protektorat der VOC. Dieses Handlungsmuster setzte sich fort und bis 1830 stand praktisch ganz Java unter niederländischer Kontrolle. In größerem Maßstab war der Aufstieg der britischen East India Company (EIC) in Indien mit dem Übergang von Handel und informeller Kontrolle zu Territorialherrschaft verbunden (siehe Abschnitt 2.2.1). Vgl. Wendt 2007, S.107ff; Reinhard 2008, S.40ff, 201ff.

[10] Dies war die einzige Phase der Expansionsgeschichte, in der sich Deutschland in nennenswertem Ausmaß mit kolonialen Unternehmungen beteiligte. Jedoch war Deutschland auch zu anderen Zeiten indirekt an der europäischen Expansion beteiligt: Beispielsweise investierten im 16. Jahrhundert oberdeutsche Handelshäuser wie die Fugger und Welser in die kolonialen Unternehmungen Spaniens und Portugals. Häufig reisten deutsche Handwerker, Kaufmänner oder Geistliche mit portugiesischen oder niederländischen Schiffen in die Kolonien. Deutschland gehörte außerdem zu den wichtigsten Auswandererländern nach Nordamerika. Vgl. Wendt 2007, S.52ff, 150f.

[11] Vgl. Wendt 2007, S.132ff, 221ff; Reinhard 2008, S.115, 153ff, 256ff.

[12] Vgl. Osterhammel 2006, S.29. Siehe Abbildung 6 im Anhang.

[13] Siehe Glossar.

[14] Spanier und Portugiesen ließen in Südamerika zunächst die einheimischen Indios für sich arbeiten. Diese starben jedoch sehr rasch aufgrund der zehrenden Arbeit oder aus Europa eingeschleppter Krankheiten, oder entzogen sich durch Flucht. Da die Iberer jedoch nicht selbst Hand anlegen wollten, importierten sie Sklaven aus Afrika. Mit dem Verbot der Sklaverei im Jahr 1865 war jedoch nicht das Ende der Plantagenökonomien gekommen: Abhängige Kontraktarbeiter aus Indien oder China ersetzten die Schwarzafrikaner. Vgl. Wendt 2007, S.160.

[15] Vgl. Wendt 2007, S.160f, 253ff; Osterhammel 2006, S.78ff.

[16] Vgl. Wendt 2007, S.253f.

[17] Auf kolonialen Schulen kam die einheimische Elite mit den Gedanken der Aufklärung und den Prinzipien der Französischen Revolution ebenso in Berührung wie mit der Idee des Nationalstaats und der des Konstitutionalismus als dessen strukturellem politischen Rahmen. Die Gleichheitsvorstellungen und Erlösungsbotschaften des Christentums entfalteten ebenfalls antikoloniale Wirkung. Vgl. Wendt 2007, S.278f.

[18] Vgl. Wendt 2007, S.177ff, 274ff, 320ff; Reinhard 2008, S.142ff, 172ff, 332ff.

[19] Der ghanaische Politiker Kwame Nkrumah prägte im Jahr 1965 für die Politik der Länder des Nordens ge-genüber den Ländern des Südens nach der Dekolonisierung den Begriff „Neokolonialismus“, um die Kontinuitäten aus der Zeit der europäischen Kolonialherrschaft zu verdeutlichen. Vgl. Reinhard 2008, S.360f. Siehe auch Nkrumah 1965.

[20] Auf den Sonderfall Japan als bereits damals einzige nicht-westliche Industriemacht soll an dieser Stelle hingewiesen, im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht näher eingegangen werden. Vgl. Wendt 2007, S.279ff.

[21] Vgl. Wendt 2007, S.180, 317ff; Osterhammel 2008, S.78ff.

[22] Vgl. Wendt 2007, S.353ff.

[23] Vgl. o.V. 2010a.

[24] Vgl. o.V. 2009b; o.V. 2010b.

[25] Vgl. Rothermund 2008, S.131ff.

[26] IWF World Economic Database April 2009/2010.

[27] Vgl. o.V. 2006. Laut einer Prognose des schwedischen Statistikers Hans Rosling wird das Bruttoinlandsprodukt Indiens und Chinas das Großbritanniens und der USA sogar bereits im Jahr 2048 überholen. Siehe Abbildung 7 im Anhang.

[28] Durch wechselnde Mitgliederanzahl manchmal auch Gruppe der 21 oder 22. Nicht zu verwechseln mit der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20). Vgl. Hartmann 2009, S.189ff.

[29] Vgl. Wendt 2007, S.355.

[30] Vgl. Zakaria 2009, S.29ff.

[31] Ebd., S.31.

[32] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.207ff, 270ff; Wendt 2007, S.31ff, 118ff, 123ff.

[33] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.284ff, 475; Wendt 2007, S.130ff.

[34] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.295ff; Wendt 2007, S.152ff.

[35] Beispielsweise zerstörte die Kolonialverwaltung systematisch die aufstrebende indische Textilindustrie, während die Produktion von Stoffen und Farben als Halbfertigprodukte für die britische Industrie gefördert wurde. Vgl. Müller/Rauch 2008, S.7.

[36] Selbst die Einführung der Eisenbahn in Indien brachte kein Wachstum für die Industrie: Von der Lokomotive bis zu den Eisenbahnschienen wurde alles aus England importiert. Das von dem indischen Industriellen
Jamshed Tata 1907 gegründete Stahlwerk kam nur im Ersten Weltkrieg richtig zum Zuge, als die Importe ausfielen und der Krieg die Nachfrage nach Stahl und Eisen steigerte. Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.336.

[37] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.332ff; Müller/Rauch 2008, S.7f. Für eine anschauliche Darstellung der unterschiedlichen Entwicklung von Lebenserwartung und Bruttoinlandsprodukt in Indien und Großbritannien seit 1800, siehe Abbildung 8 im Anhang.

[38] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.313f, 328ff, 347ff.

[39] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S. 396ff; Müller/Rauch 2008, S.7ff; Rothermund 2008, S.93ff.

[40] Vgl. Kulke/Rothermund 2006, S.396ff; Müller/Rauch 2008, S.8f.

[41] Vgl. Müller/Rauch 2008, S.9; Rothermund 2008, S.102ff.

[42] Vgl. Müller/Rauch 2008, S.9f; o.V. 2009b.

[43] Vgl. Rothermund 2008, S.76ff; o.V. 2000. Siehe Abschnitt 2.1.3.

[44] Siehe exemplarisch Mahbubani 2008 und Müller 2006. Siehe noch einmal Abbildung 7 im Anhang.

[45] Vgl. Rothermund 2008, S.153ff, 172ff, 230ff, 255ff; Müller/Rauch 2008.

[46] Siehe Abschnitt 2.1.3.

[47] Müller 2006, S.6.

[48] Vgl. ebd., S.8f.

[49] Rothermund 2008, S.297f.

[50] Vgl. Wendt 2007, S.52ff; o.V. 2009a; Waldkirch 2006, S.70ff.

[51] Vgl. o.V. 2009a; Waldkirch 2006, S.70ff; Müller 2007.

[52] Said 2003, S.1.

[53] Vgl. Breckenridge/van der Veer 1993, S.3f.

[54] Siehe Schwab 1984.

[55] Vgl. Breckenridge/van der Veer 1993, S.3f

[56] Siehe Halbfass 1988.

[57] Vgl. Breckenridge/van der Veer 1993, S.3f.

[58] Siehe Malek 1963.

[59] Vgl. Breckenridge/van der Veer 1993, S.3f.

[60] Ebd.

[61] Siehe Glossar.

[62] Siehe Glossar.

[63] Und schließt Indien so implizit und explizit immer wieder mit ein. Exemplarisch Said 2003, S.17, 78f.

[64] Siehe Glossar.

[65] Indens Thesen erschienen teilweise bereits in seinem 1986 veröffentlichten Aufsatz „Orientalist Constructions of India“, siehe Inden 1986. Indens Kritik wendet sich eigentlich an die Wissenschaftsdisziplin der Indologie, er schließt jedoch, ähnlich wie Said, auch andere Geistes- und Sozialwissenschaftler in seine Betrachtung ein, die sich in dieser Zeit mit Indien beschäftigt haben. Vgl. Inden 1986, S.410.

[66] Vgl. Inden 2000, S.18ff, 36; Said 2003, S.3f.

[67] Inden 2000, S.38.

[68] Siehe Glossar.

[69] Jemand, der sich wissenschaftlich mit dem Orient beschäftigt, werde dementsprechend „Orientalist“ genannt. Vgl. Hauser 2010.

[70] Vgl. ebd.

[71] Vgl. Said 2003, S.2f.

[72] Vgl. Hauser 2010.

[73] Vgl. Inden 1986, S.410.

[74] Vgl. Said 2003, S.21; Inden 2000, S.33f.

[75] Inden 2000, S.33.

[76] Ebd., S.34. Said und Inden vertreten einen konstruktivistischen Standpunkt. Der Konstruktivismus als er-kenntnistheoretische Denkrichtung ist erst im 20. Jahrhundert entstanden. Der Indologie des 18. und 19. Jahrhunderts schreibt Inden hingegen einen erkenntnistheoretischen Standpunkt zu, den man dem Realismus zuordnen könnte. Siehe Glossar.

[77] Vgl. Inden 2000, S.49f; Inden 1986, S.404f; Said 2003, S.1, 40, 87, 116f.

[78] Vgl. Said 2003, S.91f.

[79] Vgl. ebd., S.40.

[80] Halbfass vertritt eine ähnlich konstruktivistische Sichtweise: „India and Europe deals primarily with images, projections theoretical responses and reflections, as they occurred in the history of encounters between these two great cultural domains. It seems to neglect the ‚real world‘ of social, anthropological, economic, political, and military events and conditions. But the sense in which projections, ideas, fundamental ‚theoretical‘ orientations and hermeneutic constellations reflect and shape this ‚real world‘, and are realities themselves, should not be underestimated.“ Halbfass 1988, S.ix. Auch Halbfass beschreibt, wie Konstruktionen über den Anderen die Realität erst erschaffen, bezieht dies jedoch sowohl auf die indische Wahrnehmung Europas als auch auf die europäische Wahrnehmung Indiens, während Said und Inden bloß die europäische Seite betrachten.

[81] Zitiert nach: Said 2003, S.51.

[82] Laut dem Orientwissenschaftler Thomas Scheffler durch die Erschließung des Sanskrit (ab 1784) sowie die Entzifferung der assyrischen Keilschrift (ab 1802) und der ägyptischen Hieroglyphen (ab 1822). Vgl. Scheffler 1995, S.106.

[83] Siehe Glossar.

[84] Scheffler zufolge wurde die Annahme des Orients als Wiege der europäischen Zivilisation mit dem Schlagwort „ex oriente lux“ (lat. aus dem Orient [kam] das Licht) versehen. Vgl. Scheffler 1995, S.107.

[85] Siehe in diesem Zusammenhang Schwab 1984.

[86] Vgl. Said 2003, S.51, 98f, 116ff. Siehe Eingangszitat.

[87] Vgl. Said 2003, S.98f, 128. Scheffler zufolge habe man angenommen, dass Dekadenz und kulturelle Minderwertigkeit des Orients schon dadurch bewiesen wären, dass dieser – trotz so glänzender Anfänge – zu schwach war, um sich gegen das jüngere Europa zu behaupten. Vgl. Scheffler 1995, S.107. Vgl. auch Abschnitt 2.1.1.

[88] Said 2003, S.99.

[89] Vgl. ebd.

[90] Scheffler 1995, S.107.

[91] Vgl. Inden 2000, S.113, 119f. Auch Halbfass skizziert diese Ambivalenz von Bewunderung und Geringschätzung für den indologischen Kontext: „Of course, India was often viewed as the seat of an extraordinarily old and pristine culture and tradition, yet it also served as an example of degeneration and decay, as an example of a tradition that had been unable to safeguard its original purity against superstition and priestly fraud.” Die Idee des Hinduismus als degenerierte Form einer indoeuropäischen Urreligion war Halbfass zufolge bereits in der Periode der Aufklärung weit verbreitet: „India thus illustrates the theme of the eclipse and suppression of the ‘natural light’ through superstition and ritualism, a theme that enjoyed great popularity among thinkers of the Enlightenment.” Halbfass 1988, S.60.

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Orientalismus in deutschen Business-Guides für Indien
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
112
Katalognummer
V200241
ISBN (eBook)
9783656275640
ISBN (Buch)
9783656277163
Dateigröße
2112 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Orientalismus, Edward Said, Ronald Inden, Indien, Business Guides, Kolonialismus, Globalisierung, postkolonialer Diskurs, Indologie
Arbeit zitieren
Friederike Knoblauch (Autor:in), 2010, Orientalismus in deutschen Business-Guides für Indien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200241

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