Nicht-kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess

Ein empirischer Vergleich der Choice-based Conjoint-Analyse und Machine-Learning-Ansätzen


Diplomarbeit, 2012

79 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Relevanz nicht-kompensatorischer Entscheidungsregeln in Theorie und Praxis

2 Der Entscheidungsprozess in der Theorie
2.1 Entscheidungsmodelle und kognitive Vereinfachungen
2.2 Kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess
2.3 Nicht-kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess

3 Identifikation von Entscheidungsregeln
3.1 Die Conjoint-Analyse
3.1.1 Definition und Verfahren der Conjoint-Analyse
3.1.2 Die Choice-based Conjoint-Analyse
3.1.3 Schwachstelle: Nicht-kompensatorisches Entscheidungsverhalten
3.2 Methoden zur Identifikation von DOC Regeln
3.2.1 Mathematische Programmierung
3.2.2 Logische Analyse der Daten
3.3 Greedoid-Algorithmus zur Identifikation lexikographischer Regeln
3.4 Unstructured Direct Elicitation

4 Empirische Anwendung: Notebook-Umfrage
4.1 Der Aufbau der Umfrage
4.1.1 Das Produkt
4.1.2 Der Choice Task
4.1.3 Der Consideration Task
4.1.4 Der Ranking Task
4.1.5 Der Direct Elicitation Task
4.2 Durchführung der Umfrage
4.2.1 Analyse des Samples
4.2.2 Wahrgenommene Schwierigkeit und Gefallen
4.2.3 Durchführungsdauer der einzelnen Tasks
4.3 Auswertung der einzelnen Umfrage-Tasks
4.3.1 Ergebnisdaten des Choice Tasks
4.3.2 Ergebnisdaten des Consideration Tasks
4.3.3 Ergebnisdaten des Ranking Tasks
4.3.4 Ergebnisdaten des Direct Elicitation Tasks
4.4 Vergleich und Interpretation der Ergebnisse
4.4.1 Die Holdout Hit Rate der Methoden
4.4.2 Der Fit der Methoden mit den Ergebnissen der CBC /
4.4.3 Managementrelevante Implikationen

5 Zusammenfassung und Ausblick

6 Anhang

7 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispiel lexikografischer Entscheidungsheuristiken

Abbildung 2: Methoden zur Identifikation von Entscheidungsregeln

Abbildung 3: Relative Nutzung verschiedener Sawtooth Software Conjoint-Methoden

Abbildung 4: Feststellung der Lexiko-Konsistenz von L und X

Abbildung 5: Auffinden der Rangfolge L mit dem besten Fit zu Rangfolge X

Abbildung 6: Ablauf der Notebook-Umfrage

Abbildung 7: Der Choice Task

Abbildung 8: Der Consideration Task

Abbildung 9: Der Ranking Task

Abbildung 10: Wahrgenommene Schwierigkeit der verschiedenen Tasks

Abbildung 11: Wahrgenommener Gefallen der verschiedenen Tasks

Abbildung 12: Durchführungsdauer der verschiedenen Tasks

Abbildung 13: Verteilung der relativen Ausprägungswahl

Abbildung 14: Verteilung der NONE-Option

Abbildung 15: Relative Wichtigkeiten der Produkteigenschaften

Abbildung 16: Verteilung der Consideration Set Größen

Abbildung 17: Must-Haves und Unacceptables der DOCMP

Abbildung 18: Must-Haves und Unacceptables der LAD-DOC

Abbildung 19:Verteilung von Must-Haves und Unacceptables im Vergleich

Abbildung 20:Häufigkeitsverteilung der Attribute in der LBA Regel

Abbildung 21:Must-Haves und Unacceptables in der LBA Regel

Abbildung 22: Must-Haves und Unacceptables in der Direct Elicitation

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ausprägungen der Produkteigenschaften

Tabelle 2: Gewinner und Verlierer des Consideration Tasks

Tabelle 3: Ergebnisse von DOCMP und LAD-DOC im Vergleich

Tabelle 4: Gewinner und Verlierer des Ranking Task

Tabelle 5: Vergleich der Methoden über die Hit Rate

Tabelle 6: Vergleich der Methoden über die Hit Rate, bezogen auf die Grundgesamtheit

Tabelle 7: Auszug des individuellen Vergleichs der Entscheidungsregeln

Tabelle 8: Fit der individuellen Regeln je Attribut

Tabelle 9: Top-Aspekte der DOCMP-Entscheidungsregel

Tabelle 10: Top-Konjunktionen der DOCMP-Entscheidungsregel

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Relevanz nicht-kompensatorischer Entscheidungsregeln in Theorie und Praxis

Auf Grund des rapiden technischen Wandels, gesunkener Produktlebenszyklen und neuer Kommunikationswege sehen sich Konsumenten bei Auswahl von Produkten und Dienstleistungen mit einer immer größer werdenden Anzahl an Alternativen konfrontiert. Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung weisen darauf hin, dass Konsumenten, durch Anwendung vereinfachender Regeln, die Gesamtzahl an Alternativen zunächst auf eine Vorauswahl reduzieren. Dazu treffen sie nicht-kompensatorische Entscheidungen, z.B. auf Basis von Mindestanforderungen für einzelne Produkteigenschaften, um die Komplexität des Entscheidungsproblems zu verringern. Dessen ungeachtet gehen viele Methoden der Messung von Konsumentenpräferenzen von rationalen Entscheidungen und damit verbundenen Trade-offs (kompensatorischen Regeln) aus.[1]

In der Praxis ist die Conjoint-Analyse eines der am häufigsten eingesetzten Instrumente der Präferenzmessung und stellt somit, als Teil der Marktforschung, eine wichtige Grundlage vieler unternehmerischen Entscheidungen dar. Nun stellt sich aber die Frage, in wie weit diese Methode auch das Bilden einer Vorauswahl berücksichtigen kann. Ist das, für den Kaufentscheidungsprozess eines Konsumenten unterstellte, komplexe Entscheidungsmodell in der Lage vereinfachende Heuristiken bei der Alternativenbewertung abzubilden?

„[…] if consumers are not making compensatory trade-offs among features but, rather, are using noncompensatory heuristics, a method to identify those heuristics might be appealing.”[2]

Die Wissenschaft versucht den unterliegenden Entscheidungsprozess möglichst genau zu verstehen, um Entscheidungen von Konsumenten fehlerfrei prognostizieren zu können.[3] In der Literatur wurde in diesem Zusammenhang eine Vielzahl wissenschaftlicher Beiträge veröffentlicht, die Methoden mit entsprechender Modellierung vorschlugen, jedoch nicht immer eindeutig in den Ergebnissen.[4]

Ziel dieser Arbeit soll es sein, verschiedene dekompositionelle Methoden der Präferenzmessung hinsichtlich deren Fähigkeit zur Identifikation nicht-kompensatorischer Regeln zu analysieren. Zu diesem Zweck kommen die Methoden in einer eigens konzipierten empirischen Untersuchung zum Einsatz und werden hinsichtlich der gefundenen Entscheidungsregeln miteinander verglichen. Berücksichtigt werden, neben den von Hauser et al. (2010) vorgestellten Methoden der Disjunctions of Conjunctions, auch der von Yee et al. (2007) präsentierte Greedoid-Algorithmus sowie die Conjoint-Analyse als Benchmark. Von besonderem Interesse sind mögliche Limitationen der Nutzenmessung und Prognosegüte der Conjoint-Analyse, hervorgerufen durch das grundlegende Modell eines kompensatorischen Entscheidungsprozesses. Es soll geklärt werden, in wie weit die Methoden, basierend auf nicht-kompensatorischen Modellen, potentielle Fehlimplikationen der Conjoint-Analyse beseitigen können. Der Anspruch dieser Untersuchung ist nicht, das Verfahren der Conjoint-Analyse zu ersetzen, sondern vielmehr einen Mehrwert für die Ergebnisse, durch Identifikation nicht-kompensatorischer Entscheidungsregeln schaffen zu können.

In Kapitel 2 werden zunächst grundlegende Theorien des Entscheidungsprozesses detailliert erläutert. Das Consideration Set Modell wird dargelegt und erfährt eine verhaltensspychologische Fundierung. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden in den nachfolgenden Abschnitten kompensatorische von nicht-kompensatorischen Entscheidungsregeln abgegrenzt und die jeweils prominentesten Vertreter beider Varianten vorgestellt. Anschließend werden in Kapitel 3 die Methoden zur Identifikation der verschiedenen Entscheidungsregeln abgebildet. Neben dem Verfahren der Conjoint-Analyse werden Machine-Learning-Ansätze sowie ein Greedoid-Algorithmus als Varianten der Datenanalyse präsentiert. Der Direct Elicitation in Kapitel 3.4 kommt dabei, auf Grund der kompositionellen Natur der Methodik, eine Sonderstellung zu und soll der Verifizierung der Methodenergebnisse dienen. Kapitel 4 umfasst die empirische Studie dieser Arbeit. Im ersten Abschnitt wird der Aufbau der durchgeführten Umfrage beschrieben, vor allem die, zur Datenerhebung der Methoden verwendeten Tasks. Die Ergebnisdaten der Umfrage werden in Kapitel 4.2 bewertet und an die vorgestellten Methoden übergeben. Die Erkenntnisse aus den Methoden werden zunächst separat analysiert bevor sie in Kapitel 4.4, mit Hilfe verschiedener mittelbarer und unmittelbarer Validitätskriterien hinsichtlich der gefundenen Entscheidungsregeln verglichen werden. Schließlich gibt das Kapitel 5 eine Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse der Untersuchung. Dieses Fazit soll die Relevanz der Ergebnisse für Forschung und Praxis darstellen, deren Limitationen aufzeigen sowie auf Potential zukünftiger Forschungsarbeiten hinweisen.

2 Der Entscheidungsprozess in der Theorie

2.1 Entscheidungsmodelle und kognitive Vereinfachungen

In Literatur und Anwendung verschiedener Marktforschungsmethoden findet man oft den Begriff der Präferenz als zentralen Erklärungsfaktor von Kaufentscheidungen.[5] Dieser ist das Ergebnis eines kognitiven Prozesses der Beurteilung und steht für die subjektiv empfundene Vorziehenswürdigkeit einer Alternative gegenüber einer anderen. Es wird davon ausgegangen, dass die Kenntnis der Präferenz eines Konsumenten dessen Auswahlentscheidung gut prognostizieren kann.[6] Das Abbilden von Präferenzstrukturen dient dem Marketing bei Prognosen des Kaufverhaltens, der Entwicklung von Produkten oder der Festlegung des Preises. Sattler und Hartmann (2008, S. 107 ff.) konnten in ihrer Arbeit eine stetig steigende Anzahl kommerzielle durchgeführter Studien der Präferenzmessung feststellen und so die aktuelle sowie zukünftige Relevanz des Themas darlegen.

Eine Erweiterung dieses Konstrukts stellt der consider-then-choose Ansatz dar.[7] Dieser erklärt die Kaufentscheidung eines Konsumenten basierend auf einem zweistufigen Prozess, verbunden mit höherem Realitätsbezug und einer verbesserten Prognosegenauigkeit.[8] Aus allen Produkten die einem Konsumenten bekannt sind, dem Awareness Set, wählt er zunächst all diejenigen Produkte aus, die für einen späteren Kauf überhaupt in Frage kommen. Er trifft eine Vorauswahl, das so genannte Consideration Set. Eine Auswahl- bzw. Kaufentscheidung wird schließlich nur noch innerhalb dieses Sets getroffen.[9]

Ein gutes Beispiel für die Anwendung von Consideration Sets bieten Gaskin et al. (2007, S. 2) mit dem Entscheidungsprozess beim Autokauf. Da der Zeit- und Kostenaufwand (monetär und kognitiv) einer genauen Evaluierung von mehr als 300 verschiedenen Marken und Modelle auf dem Automobilmarkt viel zu hoch wäre, betrachtet der typische Konsument nur weniger als zehn Modelle mit größerer Sorgfalt. Ziel eines Herstellers muss es also sein, sein Produkt im Consideration Set der Konsumenten zu „platzieren“. Seine Verkaufschancen würden somit von 300:1 auf 10:1 steigen. Sind die Aspekte, auf deren Basis ein Konsument seine Vorauswahl trifft bekannt (z.B. Autos mit maximaler Sicherheit), so können Hersteller ihre Verkaufschancen durch den Einsatz der Marketing-Mix-Instrumente gezielt erhöhen.

Hauser (1978) zeigt durch quantitative Messung des Consideration Set Phänomens, dass 78% der Unsicherheit in Entscheidungsmodellen durch die Kenntnis des Consideration Sets selbst erklärt werden können. Dennoch stellt sich die Frage, warum Entscheidungsmodelle, die lediglich die Bildung eines Consideration Sets erklären, notwendig sind. Da es letztendlich um die Entscheidung eines Konsumenten geht, ein Produkt j aus dem Awareness Set zu wählen, scheint eine Berücksichtigung des Consideration Sets überflüssig und eine direkte Messung der finalen Auswahlentscheidung sinnvoller. Um dem zu entgegnen sei zunächst einmal erwähnt, dass sich die Gesamtwahrscheinlichkeit, sich für ein Produkt j über den „Umweg“ Consideration Set zu entscheiden, nicht von der Wahrscheinlichkeit einer direkten Auswahlwahl unterscheidet:[10] .

Eine Begründung für diese Art der Modellkonstruktion liegt aber vor allem in den unterschiedlichen Arten von Entscheidungsregeln die Konsumenten verwenden, zunächst bei der Formierung des Consideration Sets, anschließend zur finalen Auswahl eines Produkts aus dem Set. Eine Vorhersage von Konsumentenentscheidungen ist nur dann unverzerrt möglich, wenn der jeweils zu Grunde liegende Entscheidungsprozess richtig modelliert werden kann.[11]

Gilbride und Allenby (2004, S. 392) geben eine formale Darstellung für Auswahlentscheidungen unter Berücksichtigung einer so genannten Screening Regel. Bei der Beschränkung einer Menge an Produkten auf ein Consideration Set werden solche Alternativen ausgewählt, dessen Indikatorfunktion genau dann gleich Eins ist, wenn die Entscheidungsregel des Konsumenten befriedigt ist; ansonsten gleich Null.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein Konsument wählt also genau dann ein Produkt i, wenn der Gesamtnutzen von i größer ist als der aller anderen Produkte , vorausgesetzt die Alternativen erfüllen die Regel des Konsumenten, befinden sich also im Consideration Set.

Im Entscheidungsprozess nutzen Konsumenten vereinfachende Regeln (Heuristiken) und filtern nach relevanten Produkten, die sie für eine nachfolgende Auswahlentscheidung weiter in Betracht ziehen wollen. Diese Heuristiken sind oft simpler gestrickt als klassische Nutzenmodelle, die für eine Auswahlentscheidung einen Vergleich der Produkte über alle Eigenschaften erfordern. Konsumenten können Produkte entsprechend einzelner, wahrgenommen wichtiger Eigenschaften in Rangfolgen bringen oder Produkte, die nicht erwünschte Eigenschaftsausprägungen aufweisen direkt aus der weiteren Betrachtung ausschließen. Gilbride und Allenby (2004, S. 399) können ein solches Verhalten bei 92% der Teilnehmer ihrer empirischen Untersuchung erkennen. Es wird erwartet, dass solche Heuristiken im Entscheidungsprozess für den Konsumenten deutliche Vereinfachungen im Hinblick auf kognitive Anforderungen bedeuten, verglichen mit denen, hervorgerufen durch komparative Auswahlentscheidungen.[12]

Aus der Verhaltensforschung lassen sich eine Reihe von Theorien aufgreifen die mit dem Konzept des Consideration Sets konsistent sind. Beispielsweise deutet die beschränkte Fähigkeit des Menschen zum Speichern und Verarbeiten von Informationen auf die Notwendigkeit von Vereinfachungen im Entscheidungsprozess hin.[13] Die Möglichkeit eines Konsumenten, sich aus der Gesamtmenge aller Alternativen für dasjenige Produkt zu entscheiden, welches ihm den höchsten Nutzen generiert (rational choice theory) ist durch die begrenzte Fähigkeit der Informationsverarbeitung gemindert. Diese Tatsache wird auch als begrenzte Rationalität (bounded rationality) bezeichnet.[14] Die Entscheidungsfindung verursacht Kosten, hervorgerufen durch eine Inanspruchnahme begrenzter kognitiver Ressourcen, z.B. in Form von Opportunitätskosten der Entscheidungszeit. In der klassischen Annahme von Akteuren mit vollständiger Rationalität werden diese Kosten vernachlässigt.[15] Modelle werden nach dem so genannten Als-Ob-Ansatz generiert, bei dem kognitive Bedingungen letztlich irrelevant sind. Das Verhalten von Akteuren wird so modelliert, als ob es das Resultat einer rationalen Optimierungsüberlegung wäre.[16] Die verschiedenen Modelle zur Reduzierung der Komplexität der Entscheidungsaufgabe (Heuristiken) werden in Kapitel 2.3 im Detail vorgestellt, gemein haben sie aber alle den Aspekt der kognitiven Vereinfachung (cognitive simplicity).[17]

Entsprechend der Erkenntnisse von Gigerenzer und Todd (1999) werden Heuristiken maßgeblich durch den Kontext der Entscheidungsaufgabe beeinflusst. Technisch anspruchsvolle B2B Produkte, z.B. im Bereich des Anlagenbaus, mit geringer Alternativenanzahl, werden im Allgemeinen von Buying Centern großer Firmen bewertet und Entscheidungen auf Basis aller Eigenschaften und durch Anwendung kompensatorischer Regeln gefällt. Ein Konsument der ein Notebook im Internet kaufen möchte sieht sich hingegen vor einer enormen Vielfalt an Alternativen mit vielen Eigenschaften und Eigenschaftsausprägungen. Es wird erwartet dass er im Laufe seines Entscheidungsprozess zu vereinfachenden, nicht-kompensatorischen Regeln greift um ein Consideration Set zu bilden. Mit dem Begriff des adaptive decision making verbindet man die Fähigkeit eines Konsumenten, die von ihm angewandten Entscheidungsregeln entsprechend der Situation anzupassen.[18]

Hauser et al. (2009, S. 7 f.) nennen die Erhebungsmethode und die Vertrautheit des Befragten mit der Produktkategorie als zentrale Aspekte einer Umfrage, die die Wahl der verwandten Heuristiken beeinflussen. So würden Konsumenten in Auswahlentscheidungen in stärkerem Maße zu vereinfachenden Regeln greifen als bei der Durchführung von Gleichsetzungsaufgaben wie dem Matching (vgl. Kapitel 3.1.2). Ganz offensichtlich spielt auch die Komponente der Zeit eine wichtige Rolle im Hinblick auf den Verlauf des Entscheidungsprozesses, denn das Evaluieren von Alternativen über alle Eigenschaften dauert natürlich länger als eine Entscheidung über ein einzelnes Kriterium (z.B. den Preis) zu fällen.

Neben den Besonderheiten der Entscheidungsaufgabe selbst, haben auch alternativenspezifische Faktoren einen hohen Einfluss auf die wahrgenommene Komplexität der Aufgabe und somit verwandte Entscheidungsstrategie. Vor allem die Anzahl an Alternativen findet in der Literatur große Aufmerksamkeit.[19] Eine hohe Anzahl an Alternativen sowie eine hohe Anzahl an Eigenschaften der Produkte können den Konsumenten überfordern und den Gebrauch von Heuristiken verstärken. Bei einer Auswahlentscheidung zwischen zwei Alternativen werden in der Regel alle Eigenschaften einer Option bewertet, bevor die zweite Option Betrachtung findet. Bei einer Konfrontation mit einer Vielzahl an Alternativen gehen Konsumenten eher attributweise vor. Die Ausprägungen einer Eigenschaft werden über alle Alternativen hinweg verglichen. Die angewandte Heuristik bestimmt wie viele Eigenschaften betrachtet werden und damit auch den Zeitpunkt, zu dem die Suche beendet wird.[20]

Um Unklarheiten in nachfolgenden Abschnitten zu vermeiden, sei auf die Unterschiede folgender Begrifflichkeiten hingewiesen. Ein multiattributives Produkt setzt sich aus verschiedenen Eigenschaften mit den jeweiligen Eigenschaftsausprägungen zusammen. Ist eine Produkteigenschaft binär, besitzt sie also nur zwei unterschiedliche Ausprägungen, so wird sie auch als Aspekt bezeichnet. Eigenschaften mit mehreren Ausprägungen lassen sich ebenso als eine Menge verwandter Aspekte bezeichnen. Ein Profil ist nun die Darstellung eines Produktes auf Basis dieser Aspekte.[21]

2.2 Kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess

Kompensatorische Modelle gehen von einer Substituierbarkeit der Teilnutzenwerte unterschiedlicher Produkteigenschaften aus.[22] Es wird also angenommen, dass wahrgenommen schlechte Eigenschaften durch andere, überdurchschnittlich positiv wahrgenommene Eigenschaften ausgeglichen (kompensiert) werden können.

Bei der Bewertung von Produkten folgen Konsumenten im Allgemeinen einem Prozess der durch so genannte Präferenzmodelle (auch Präferenzstrukturmodelle genannt) abgebildet werden kann. Ein solches Modell lässt sich in zwei Teilschritte untergliedern. Zunächst geschieht die Präferenzbildung auf der Ebene der Produkteigenschaften durch eigenschaftsspezifische Bewertungsfunktionen (Nutzenfunktionen), dann auf der Ebene des Produkts als Ganzes. Die Bewertungen der einzelnen Eigenschaftsausprägungen werden mit Hilfe einer Verknüpfungsfunktion aggregiert.[23]

Eine formale Darstellung dieses zweiteiligen Modells liefert Teichert (2001, S. 59):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Nutzenfunktion ordnet den objektiven Eigenschaftsausprägungen einen subjektiv wahrgenommenen Nutzen zu. Grundsätzlich können diese Funktionen dabei in ihrem Verlauf stark variieren. Die drei am häufigsten diskutierten Bewertungsfunktionen sind das lineare Vektormodell, das lineare oder quadratische Idealpunktmodell und das stückweise lineare Teilnutzenwertmodell.[24] Diese unterscheiden sich in den, ihr zu Grunde liegenden Funktionstypen sowie möglichen Skalierungsniveaus der Eigenschaftsausprägungen. Nur das Teilnutzenwertmodell kann auch auf kategoriale Eigenschaften angewandt werden und besitzt somit, auch im Hinblick auf die empirische Untersuchung dieser Arbeit, die größte Flexibilität. Es ist als Standard in gängiger Marktforschungssoftware implementiert.[25]

Die Verknüpfungsfunktion verbindet die einzelnen Teilnutzenwerte logisch zu einem Gesamturteil für das betrachtete Produkt. Es lassen sich kompensatorische und nicht-kompensatorische Modelle unterscheiden, die sogleich die Art des Entscheidungsprozesses definieren. Für die in Kapitel 3.1 folgende Conjoint-Analyse wird das kompensatorische Verknüpfungsmodell unterstellt.[26] Mathematisch lässt sich die kompensatorische Aggregation der Teilnutzenwerte mit linearen, nicht-linearen und multiplikativen Verknüpfungsfunktionen darstellen. Das einfachste und am häufigsten verwandte Modell ist das additive Teilnutzenwertmodell:[27]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Damit auch eine kompensatorische Regel dem Konsumenten, bewusst oder unbewusst, zur Formierung eines Consideration Sets verhelfen kann, bedarf es einer unteren Schranke für den Nutzen eines Produkts. Ein Konsument definiert welchen Gesamtnutzen ein Produkt mindestens erzielen muss um nicht ausgeschlossen zu werden.[28] Der Grenzwert kann dabei bedingt sein durch die kognitiven Kosten der Suche und Beurteilung der Produkte. Mit als binären Vektor der Teilnutzenwerte von Konsument h wird Produkt j genau dann von h gewählt, wenn gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine weitere Option zur Formierung von Consideration Sets ergibt sich aus der umfassenden Gültigkeit des additiven Teilnutzenmodells. Beispielsweise kann es bei der Beurteilung von Profilen mit F Eigenschaften zu folgender Verteilung der Teilnutzenwerte kommen: . In diesem Fall wäre ein additives Model gleichbedeutend mit einem nicht-kompensatorischem Modell, da die wichtigste Eigenschaft höher gewichtet wird als die Summe aller verbleibenden Eigenschaften. Ein Trade-Off der Teilnutzenwerte kann hier nicht erfolgen und die Bewertung der wichtigsten Eigenschaft ist nicht zu kompensieren.[29] Damit ein Konsument, der einer additiven Regal folgt aber auch eindeutig als kompensatorisch eingeordnet wird, definieren Yee et al. (2007, S. 540) ein q-kompensatorisches Modell. Bei diesem eingeschränkt additiven Modell kann die relative Wichtigkeit[30] einer Eigenschaft maximal q-mal größer sein als die einer anderen Eigenschaft. Mit folgt ein strikt additives Modell, führt zu oben beschriebenem Fall einer nicht-kompensatorischen Regel. Yee et al. wählen um Respondenten mit kompensatorischen Regeln ausreichend genau von solchen mit nicht-kompensatorischen unterscheiden zu können.

2.3 Nicht-kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess

Im Gegensatz zu kompensatorischen Entscheidungsregeln findet bei den Verknüpfungsfunktionen, denen eine nicht-kompensatorischen Regel zu Grunde liegt, kein Ausgleich von Teilnutzenwerten unterschiedlicher Eigenschaften statt. Genau genommen werden bei dieser Art von Entscheidungsregel auch keine Nutzenwerte zu einem Gesamtnutzen verknüpft, denn eine Präferenz wird hier direkt aus den Ausprägungen einzelner Eigenschaften abgeleitet. Hohe kognitive Anforderungen, geringes Involvement oder Faktoren wie Zeitdruck bei der Beurteilungsaufgabe bringen Konsumenten dazu ihre Entscheidungsregeln zu vereinfachen.[31]

In der Literatur wurde bereits eine Vielzahl solcher Heuristiken identifiziert und studiert.[32] Zu ihnen gehören konjunktive, disjunktive und lexikographische Regeln sowie deren Generalisierungen und Erweiterungen. Die wichtigsten Heuristiken sollen nun vorgestellt werden.

Konjunktive Entscheidungsregel (CON)

Bei einer konjunktiven Entscheidungsregel (conjunctive rule) legt der Konsument für die Produkteigenschaften Mindestanspruchsniveaus fest, die erfüllt sein müssen, damit ein Produkt akzeptiert wird.[33] Sobald eine der Eigenschaften nichtakzeptable Ausprägungen aufweist, wird das Produkt abgelehnt. Die Höhe der einzelnen Teilnutzenwerte spielt dabei keine Rolle, solange sie über den jeweiligen Mindestanforderungen liegen. Theoretisch können die Anforderungen auch so niedrig gewählt sein, dass keine Produkte eliminiert werden bzw. alle Produkte in das Consideration Set aufgenommen werden. Für eine formale Darstellung lässt sich ein Produkt j als binärer Vektor aller möglichen Ausprägungen beschreiben. Mit folgt, dass Produkt j die Ausprägung l bei Eigenschaft f besitzt; falls nicht gilt . Weiterhin gilt , falls diese Eigenschaftsausprägung für Konsument h akzeptabel ist; falls nicht gilt . Sei nun der binäre Vektor akzeptabler Ausprägungen für Konsument h, so zieht h ein Profil j in Betracht, wenn das Produkt der Vektoren genau der Anzahl relevanter Eigenschaften F entspricht:

[...]


[1] Vgl. Bettman, Luce, & Payne, 1998, S. 187 für den gesamten Absatz.

[2] Vgl. Yee, Dahan, Hauser, & Orlin, 2007, S. 533.

[3] Vgl. Roberts & Lattin, 1991, S. 430.

[4] Vgl. Gilbride & Allenby, 2004; Yee, Dahan, Hauser, & Orlin, 2007; Dieckmann, Dippold, & Dietrich, 2009.

[5] Vgl. Hauser, Ding, & Gaskin, 2009, S. 1.

[6] Vgl. Sawtooth Software, 2008, S. 1 f..

[7] Vgl. Gilbride & Allenby, 2004; Roberts & Lattin, 1991; Hauser, Ding, & Gaskin, 2009; Yee, Dahan, Hauser, & Orlin, 2007; Ding, Hauser, Dong, Dzyabura, Yang, Z., Su, C., & Gaskin, 2011; Hauser, 2011; Hauser & Wernerfelt, 1990.

[8] Vgl. Hauser, Ding, & Gaskin, 2009, S. 1 f.

[9] Vgl. Roberts & Lattin, 1991, S. 429.

[10] Vgl. Hauser, Ding, & Gaskin, 2009, S. 5.

[11] Vgl. Roberts & Lattin, 1991, S. 430 f.

[12] Vgl. Bettman, Luce, & Payne, 1998, S. 188.

[13] Vgl. Gigerenzer, Todd, & the ABC Research Group, 1999, S. 4.

[14] Vgl. Bettman, Luce, & Payne, 1998, S. 187 f.

[15] Vgl. Bettman, Luce, & Payne, 1998, S. 192 ff.

[16] Vgl. Gigerenzer, Todd, & the ABC Research Group, 1999, S. 4.

[17] Vgl. Hauser, Ding, & Gaskin, 2009, S. 5 f.

[18] Vgl. Payne, Bettman, & Johnson, 1988, S. 534 ff.

[19] Vgl. Payne, Bettman, & Johnson, 1988, S. 535 f.

[20] Vgl. Dieckmann, Dippold, & Dietrich, 2009, S. 204.

[21] Vgl. Yee, Dahan, Hauser, & Orlin, 2007, S. 534.

[22] Vgl. Homburg & Krohmer, 2006, S. 409.

[23] Vgl. Green & Srinivasan, 1978, S. 105 für den gesamten Absatz.

[24] Vgl. Green & Srinivasan, 1990, S. 4.

[25] Vgl. Sawtooth Software, 2008.

[26] Vgl. Green & Srinivasan, 1978, S. 107.

[27] Vgl. Green & Srinivasan, 1978, S. 105 f.

[28] Vgl. Gilbride & Allenby, 2004, S. 392 f.

[29] Vgl. Kohli & Jedidi, 2007, S. 381.

[30] Die relative Wichtigkeit einer Eigenschaft ergibt sich als Differenz aus maximalem und minimalem Teilnutzenwert einer Eigenschaft.

[31] Vgl. Payne, Bettman, & Johnson, 1988, S. 534 ff.

[32] Vgl. Gilbride & Allenby, 2004; Hauser, Toubia, Evgeniou, Befurt, & Dzyabura, 2010; Yee, Dahan, Hauser, & Orlin, 2007.

[33] Vgl. Hauser, Toubia, Evgeniou, Befurt, & Dzyabura, 2010, S. 486 für den gesamter Absatz.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Nicht-kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess
Untertitel
Ein empirischer Vergleich der Choice-based Conjoint-Analyse und Machine-Learning-Ansätzen
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
79
Katalognummer
V201902
ISBN (eBook)
9783656321538
ISBN (Buch)
9783656328087
Dateigröße
1471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Conjoint, Entscheidungsregeln, Greedoid, nicht-kompensatorisch, Conjoint-Analyse, Hauser, Yee, Entscheidungsprozess, Präferenzmessung, kompensatorische Regeln
Arbeit zitieren
Jan Timmann (Autor:in), 2012, Nicht-kompensatorische Regeln im Entscheidungsprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201902

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