Das panoptische System in John Twelve Hawks‘ Traveler


Hausarbeit, 2008

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Benthams Gefängnis - Das Panopticon als Konzept
2.1. Das Panopticon
2.2. Die gegenseitige Überwachung

3. Das panoptische System bei Michel Foucault
3.1. Die Wandlung des Strafsystems
3.2. Der Wandel zur panoptischen Gesellschaft

4. Der Panoptismus in John Twelve Hawks Dystopie „Traveler“
4.1. Kurzusammenfassung des Inhalts
4.2. Das Kontrollsystem der Bruderschaft

5. Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bei dem Roman „Traveler“ von John Twelve Hawks handelt es sich um eine Dystopie, die ein düsteres Bild der nächsten Zukunft zeichnet. Die Menschheit befindet sich in einem Zustand der ständigen Überwachung, ein elitärer Geheimbund, der sich selbst als „die Bruderschaft“ bezeichnet hat die Welt mit einem engmaschigen Überwachungsnetz, einem „Raster“, umspannt. Dabei taucht das Motiv von Jeremy Benthams Panopticon immer wieder auf. Es dient der Bruderschaft als Vorbild für ihre Vision einer überwachten Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der jeder seinen Platz kennt, und die von Ordnung dominiert wird.

Das Panopticon wurde von Bentham 1787 im Rahmen seiner Überlegungen zur Gefängnisreform als architektonische Struktur eines neuartigen, kostengünstigen Gefängnisses entworfen. Die einzigartige Struktur, die es dem Wärter ermöglicht, die Gefangenen zu sehen, ohne selbst gesehen werden zu können, sollte unter anderem zur Senkung der Personalkosten beitragen.

Erst durch Michel Foucaults 1975 erschienenes Werk „Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses“ erhielt das Panopticon seine heutige Bedeutung - als eine Metapher für moderne Überwachungsstaaten.

Ziel dieser Arbeit ist es, Hawks Dystopie hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Theorie Foucaults zu untersuchen. Dabei soll das Hauptinteresse naturgemäß dem im Roman aufgezeigten Überwachungssystem zukommen. Hier wären selbstverständlich mehrere Interpretationsansätze denkbar. In dieser Arbeit soll Hawks‘ dystopischer Ansatz der Veranschaulichung von Foucaults Theorie der panoptischen Gesellschaft dienen. Hierzu soll zunächst zum besseren Verständnis des Folgenden Bethmans Modell dargestellt werden. Anschließend sollen Foucaults Überlegungen eingehend dargestellt werden. Nach der Interpretation ausgewählter Zitate aus Hawks‘ Traveler ist schließlich ein kurzer Ausblick auf die aktuelle Situation der Überwachung zu geben.

2. Benthams Gefängnis - Das Panopticon als Konzept

2.1. Das Panopticon

Das Panopticon nimmt in den Betrachtungen Michel Foucaults eine zentrale Rolle ein1, es erscheint geradezu prototypisch als ein unheilvolles Instrument der Unterwerfung und Kontrolle, sozusagen der Inbegriff der Überwachung.2 Bevor die Theorie Foucaults einer näheren Betrachtung unterzogen wird, soll zunächst Benthams konkreter Entwurf untersucht werden. Dabei erscheint es wichtig, das Konzept in seiner Gesamtheit zu betrachten, da die einzelnen Aspekte nur in Kombination einen Blick auf den von Bentham erdachten Mechanismus zulassen.3 „The panopticon must stand, or fall, as a whole.“4

Der Grundriss des Panopticons ist hinlänglich bekannt, weshalb hier lediglich die Grundzüge der architektonischen Struktur erläutert werden sollen. Um einen zentralen Überwachungsbereich im Zentrum, bestehend aus einem Wachhaus und umschlossen von einer Gallerie, erstrecken sich kreisförmig die Zellen, jede von der Mitte aus einsehbar und somit zu überwachen, ohne dass der Überwachende selbst gesehen werden könnte.5 Das sorgt für Unsicherheit bei den Gefangenen: „[…] they could never know when the eye of inspection was upon them.“6 Jede Bewegung und Gemütsregung ist der absoluten Überwachung durch die Gefängniswärter unterworfen.7 Dieser Bereich bildet das Herzstück dies Panopticons. Große Fenster sorgen für ausreichende Ausleuchtung, mithilfe von Nachtlichtern und Reflektoren wird diese auch in der Nacht sichergestellt und somit auch dann für ausreichende Überwachung und Sicherheit gesorgt. Weiterhin führen Sprachrohre von dem Überwachungsturm zu jeder Zelle, was den Überwachenden in die Lage versetzt, die Gefangenen jederzeit zu ermahnen oder zu instruieren.8 Dabei bleiben Insassen und Überwachende stets räumlich getrennt, der Wärter kann zu jeder Zeit eine Mauer, ein Gitter oder zumindest einen Abstand von sieben Fuß zwischen sich und dem Gefangenen wissen.9 Das gesamte Konstrukt des Panopticons fußt auf drei fundamentalen Prinzipien: Milde, Strenge und Wirtschaftlichkeit. „Milde“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dem Gefangenen zwar seine Freiheit zu nehmen, nicht aber seine Gesundheit oder gar sein Leben. Körperliche Gewalt gegen den Gefangenen ist ebenso zu vermeiden wie übermäßige Arbeitsbelastung oder Unterernährung. Auch sollen die Haftbedingungen einen gewissen Standard erfüllen, der Erkrankungen der Gefangenen von vorherein ausschließt. Ein Mindestmaß an Hygiene und Komfort ist also unabdingbar. Demgegenüber steht die Regel der „Strenge“. Zwar sollen die Haftbedingungen angemessen gestaltet werden, die Lebensbedingungen der ärmsten in Freiheit befindlichen Bürger aber zugleich nicht übersteigen. Das Hauptaugenmerk soll indes der „Wirtschaftlichkeit“ zukommen, sofern sie nicht mit den anderen Prinzipien kollidiert.10 Aus Benthams Sicht ist diese Priorität verständlich: Nur wenn es ihm gelänge, den Beweis zu erbringen, dass sein Modell in der Lage ist, sich selbst zu tragen, wäre er in der Lage, die Politiker von dessen Nützlichkeit zu überzeugen. Die erwirtschafteten Profite sind also für die Existenz des gesamten Systems von entscheidender Bedeutung11, sie bestimmen die Verwaltungspraxis des Panopticons entscheidend. So sollen Zwangsmaßnahmen zum Einsatz kommen, wo sie zur Steigerung des Profits beitragen, während Annehmlichkeiten insbesondere dort der Kürzung zum Opfer fallen, wo sie zusätzliche Ausgaben verursachen würden.12 Auf den ersten Blick mag das Panopticon den Eindruck erwecken, insbesondere aus damaliger Sicht, es stelle eine wenig strenge Bestrafung dar, dort seine Haft zu verbüßen. Bentham selbst war hier anderer Meinung. Zwar habe der Gefangene dem Armen in Freiheit möglicherweise die Versorgung mit allen nötigen Gütern voraus, so ist dieser doch mit einem Privileg ausgestattet, das dem Gefangenen verweigert wird: der Freiheit.13 Die Tatsache, dass „seine“ Gefangenen weder Hunger zu leiden, noch Kälte oder Nahrungsmangel zu fürchten hatten, schien ihm keineswegs den Umstand aufzuwiegen, dass sie sich im Panopticon unter ständiger Beobachtung befanden, keine Minute ihrer Zeit zur freien Verfügung.14 Es wird also kein körperliches, sondern vielmehr ein seelisches Leiden erzielt, wie später noch genauer zu zeigen ist.

Der Tagesablauf der Gefangenen wird von Bentham minutiös geplant.15 Als besonders erwähnenswert erscheint hier seine Überlegungen zu dem Problem, wie man den Insassen ein für die Gesundheit notweniges Maß an Bewegung verschaffen könne, wobei auch hier wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle spielen. So sollen sich die Gefangenen zumindest eine Stunde pro Tag in einem Laufrad betätigen, mit dem Vorteil, dass sich durch die Bewegung des Rades gleichzeitig Wasser in einen Tank auf dem Dach pumpen ließe.16 Bentham scheint dabei lediglich den nützlichen Aspekten einer solchen Praxis Beachtung zu schenken: „he does not appear to have been concerned with the degrading nature of wheel-walking or of the claustrophobia likely to be induced by a regime where men were only taken from cells down narrow passages to exercise enclosed in a wheel.“17 Der weitere Alltag der Gefangenen soll aus vierzehn Stunden Arbeit pro Tag, hauptsächlich im Sitzen erledigt, und anderthalb Stunden für zwei tägliche Mahlzeiten bestehen. Auch hier kommen wieder die drei Grundprinzipien Benthams zum Einsatz. So darf nach dem Prinzip der „Milde“ kein Gefangener Hunger leiden, die „Strenge“ hingegen hält dazu an, den dabei erfahrenen Genuss so weit wie nur möglich einzuschränken. Nach dem Prinzip der „Wirtschaftlichkeit“ schließlich muss die Nahrung möglichst wenig Kosten verursachen.18 Schmackhaftere Nahrung kann allerdings als Belohnung für gute Arbeit erworben werden19 Wie bereits erwähnt lehnt Bentham körperliche Bestrafung im Panopticon ab, wiewohl er durchaus den Bedarf einer gewissen Bestrafungspraktik anerkennt, auch wenn er diesen durch die konstante Überwachung eher im minimalen Bereich verortet. Auch hier ist die Wirtschaftlichkeit von entscheidender Bedeutung.20 So zieht Bentham es vor, den Gefangenen in seiner Nahrung zu beschränken.21 Den Aspekt der Unterweisung der Gefangenen betrachtet er ebenfalls von einem eher pragmatischen Standpunkt. Unterrichtet werden die Insassen lediglich in Disziplinen, die dazu geeignet erscheinen, die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern, zeigt einer ein besonderes Talent, wie zum Beispiel ein musikalisches, so ist auch dieses zu fördern. Somit steigen auch die Aussichten des Gefangenen auf eine Anstellung nach seiner Entlassung, während der Gefängnis-Gouverneur von der hochwertigeren Arbeit bereits während der Verbüßung der Strafe profitiert, was ebenfalls dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit Rechnung trägt.22

Die Macht über sein Panopticon will Bentham auf eine Person konzentrieren. Der GefängnisGouverneur ernennt sämtliches Personal, er entscheidet über Detailfragen im Tagesablauf der Gefangenen, überwacht ihre Arbeit und setzt seine disziplinären Vorstellungen durch. Er wird auf Lebenszeit ernannt und hat die Freiheit, seinen Nachfolger zu bestimmen. Konsequent dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit folgend soll seine Haupt-Motivation aus dem Streben nach eigenen Gewinnen bestehen.23 „Bentham argued cynically, that love of power grows sleepy, […] but, ‘pecuniary interest grows but the warmer with age‘.“24 Das Eigeninteresse mit der Pflichtausübung zu kombinieren erscheint Bentham als bestmögliche Form, die Funktionalität seines Konzepts sicherzustellen.25

2.2. Die gegenseitige Überwachung

Um die absolute Macht des Gouverneurs nicht in Tyrannei umschlagen zu lassen, versieht Bentham sein Konzept mit einem elaborierten System der gegenseitigen Kontrolle.26 Dieses sollte gerade im Lichte der späteren Rezeption durch Foucault einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Bentham unterscheidet hier fünf verschiedene Aspekte der gegenseitigen Überwachung: Erstens werden die Gefangenen von den Gefängnis- Autoritäten überwacht, um ihre Disziplin sicherzustellen; zweitens überwacht der Gouverneur seine Untergebenen, diese drittens aber auch ihn selbst; viertens sollen auch die Gefangenen sich gegenseitig überwachen, und fünftens die Öffentlichkeit die gesamte Einrichtung. Die einzige Unterbrechung dieser ineinander verflochtenen Kette der gegenseitigen Überwachung stellt die Unfähigkeit der Gefangenen dar, ihre Überwacher zu sehen, wie oben bereits erläutert wurde.27 Bemerkenswert erscheint hier die Tatsache, dass auch die Überwacher wiederum gegenseitige Kontrolle aufeinander ausüben. Als allen anderen übergeordnete Instanz komplettiert das Auge der Welt das System der gegenseitigen Überwachung.28

3. Das panoptische System bei Michel Foucault

3.1. Die Wandlung des Strafsystems

In seinem 1975 erschienenen Werk Surveiller et punir. La naissance de la prison (Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses) bezeichnet Michel Foucault das Panopticon als ideales Instrument der modernen Machtphysik.29 In diesem Zusammenhang geht es ihm vordergründig um eine genealogische Erklärung der Modernitätsschwelle, deren Ursprung in einer Veränderung der Machtverhältnisse und Machttechnologien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu suchen ist.30 Diese Schwelle versucht Foucault mittels zwei historischer Beispiele einzukreisen, einerseits die qualvolle Hinrichtung des Königsattentäters Damiens 1757, andererseits das Reglement »für das Haus der jungen Gefangenen in Paris« aus dem Jahre 1838. Diese beiden Fälle stehen exemplarisch für einen grundlegenden Wandel im Strafsystem31 von der unmittelbaren physischen Strafe hin zu „subtileren, geräuschloseren und prunkloseren Schmerzen“.32 Zwar ist dieser Wandel lediglich ein Effekt größerer Umwälzungen.

„Gleichwohl ist eine Tatsache unbestreitbar: binnen weniger Jahrzehnte ist der gemarterte, zerstückelte, verstümmelte, […] zum Spektakel dargebotene Körper verschwunden. Verschwunden ist der Körper als Hauptzielscheibe der strafenden Repression.“33

[...]


1 Vgl. Semple, Janet: Bentham’s Prison - A Study Of The Panopticon Penitentiary, Oxford: 1993, S. 9.

2 Vgl. Ebda., S. 10.

3 Vgl. Ebda., S. 111.

4 Ebda., S. 112.

5 Vgl. Ebda., S. 116.

6 Ebda., S. 140.

7 Vgl. Ebda., S. 140

8 Vgl. Ebda., S. 117.

9 Vgl. Ebda., S. 119.

10 Vgl. Ebda., S. 112.

11 Vgl. Ebda., S. 113.

12 Vgl. Ebda., S. 114.

13 Vgl. Ebda., S. 113.

14 Vgl. Ebda., S. 114.

15 Vgl. Ebda., S. 122.

16 Vgl. Ebda., S. 123-124.

17 Ebda., S. 124.

18 Vgl. Ebda., S. 125.

19 Vgl. Ebda., S. 126.

20 Vgl. Ebda., S. 127,

21 Vgl. Ebda., S. 128.

22 Vgl. Ebda., S. 128.

23 Vgl. Ebda., S. 136.

24 Ebda., S. 136-137.

25 Vgl. Ebda., S. 137.

26 Vgl. Ebda., S. 140.

27 Vgl. Ebda., S. 140.

28 Vgl. Ebda., S. 142.

29 Vgl. Ebda., S. 144.

30 Vgl. Sarasin, Philipp: Michel Foucault zur Einführung, Hamburg: 2005, S. 127.

31 Vgl. Ebda., S. 129.

32 Vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main: 1976, S. 15.

33 Ebda., S. 15.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das panoptische System in John Twelve Hawks‘ Traveler
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Utopien im 20. Jahrhundert
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V203173
ISBN (eBook)
9783656297512
ISBN (Buch)
9783656297970
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Foucault, Bentham, Überwachnung, Panopticon, Hawks, Traveler, Dystopie, Utopie, Gefängnis
Arbeit zitieren
Martin Maerschalk (Autor:in), 2008, Das panoptische System in John Twelve Hawks‘ Traveler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203173

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