Der Wohlfahrtsstaat in der Krise

Überprüfung der These des irreversiblen Wohlfahrtsstaates


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Fragestellung

3. Entwicklung bis heute

4. Der irreversible Wohlfahrtsstaat
4.1 Wohlfahrtsstaat und Arbeitslosigkeit
4.2 Entwicklung in der Krise
4.3 Balance der Kräfte

5. Alternative Schlussfolgerungen
5.1 Abhängigkeit von Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsquote
5.2 Anstieg und Krise
5.3 Kräfteausgleich

6. Fazit

7. Literatur
Books
Journals
Internet Ressources

8. Anhänge
Arbeitslosenquote 1960 - 1960
Ausgaben SPSS

1. Einführung

Der Wohlfahrtsstaat wie wir ihn heute wahrnehmen ist das Resultat einer Entwicklung insbesondere in den Nachkriegsjahren nach 1945. Erste wohlfahrtsstaatliche oder sozialstaatliche Leistungen lassen sich jedoch schon im ausgehenden 19. Jahrhundert erkennen. Zu dieser Zeit beschränkten sich die staatlich gesteuerten Sozialmaßnahmen allerdings lediglich auf Notlagen, die nicht durch Selbstverschulden entstanden waren. Für Krankheit, Unfall und Alter wurden zeitlich beschränkte Abfederungsmechanismen geschaffen, die eine temporäre Weiterversorgung der Familie ermöglichten. Arbeitslosigkeit galt als nicht versicherbares Risiko und fehlte als wesentliches Element im Vergleich zum heutigen umfassenden Wohlfahrtsstaat. Die damaligen Staatsgebilde, vornehmlich noch Monarchien, beschränkten ihre Reglementierung der Wirtschaft auf ein Minimum und aufkommende Sozialleistungen waren als Selbstschutzmechanismen angedacht und zielten nicht auf einen Sozialausgleich ab wie wir ihn heute erleben.

Die massive Ausweitung des Wohlfahrtsstaates ist also ein Ergebnis der Politik des 20. Jahrhunderts. Die kontinuierliche Steigerung der Ausgaben für wohlfahrtsstaatliche Leistungen führte dazu, dass sich der Staat in einer neuen Rolle wiederfand und selbst zu einem bestimmenden wirtschaftlichen und regulierenden Faktor wurde. Dieser Ausbau rief allerdings auch Kritiker auf den Plan. Denn die Finanzierung so umfassender staatlicher Leistungen war nur über ein Ausgleichssystem zu bewältigen. Demzufolge gab es nicht ausschließlich Profiteure sondern auch Finanziers die dem Staat lediglich Geld zuführten aber wenig beanspruchten. Dieser Umstand führte und führt noch immer, zu einem schwelenden Konflikt um die Höhe und Umfang wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, eine angemessene Umverteilung von Vermögen und schlussendlich zu der für diese Arbeit entscheidenden Frage, warum sich der Wohlfahrtsstaat in den vergangen Jahrzehnten als so widerstandsfähig gegen Versuche erwiesen hat, ihn stark zu beschneiden oder gar abzuschaffen und ob es diese Versuche überhaupt gegeben hat.

2. Fragestellung

Die Fragestellung dieser Arbeit orientiert sich an dem Aufsatz von Goran Therborn und Joop Roebroek, die vor dem Hintergrund zweier Wirtschaftskrisen über die Frage nachdachten, ob und wenn ja warum, der Wohlfahrtsstaat wie wir ihn heute kennen, sich als so widerstandsfähig gegenüber bestimmten Kräften erwiesen hat, die danach strebten ihn abzuschaffen.

Es soll zunächst die Entwicklung des deutschen Wohlfahrtsstaates aufgezeigt werden. Von 1960 - 2011 wird der Verlauf der Sozialleistungsquote und die politischen Entwicklungen vorgestellt. Anschließend kommen die beiden Autoren zu Wort, in dem ihre zentralen Thesen vorgestellt und erläutert werden.

Hinsichtlich der Möglichkeit auf 25 zusätzliche Jahre Datenmaterial und Geschichte zuzugreifen, wird dann versucht, alternative oder abweichende Schlussfolgerungen zu finden, die abschließend in einem Fazit nochmals zusammengefasst werden.

3. Entwicklung bis heute

Wie bereits vorrangehend erwähnt werde sich auf die Entwicklung innerhalb Deutschlands konzentriert. Wie die Arbeit von Therborn und Roebroeck aber zeigt, verliefen die Entwicklungen in den meisten von Ihnen untersuchten Ländern ähnlich. Nicht die Höhe der wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben zeigt hier die Ähnlichkeit, denn in der Höhe gibt es durchaus signifikante Unterschiede, sondern die Richtung in der sich die Ausgaben seit dem ausgehenden 19 Jahrhundert bewegen ist hier entscheidend. Denn in allen Ländern stiegen die Ausgaben sehr deutlich an (Therborn und Roebroek 1986: 320).

Geschichtlich ist die Etablierung und Einführung wohl Deutschland zuzuschreiben. Obwohl es schon vorher unterschiedliche soziale Absicherungen gab, ist die Konsequente und für alle zugängliche Absicherung ein System gewesen, welches Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert etabliert hatte (Ulrich 2005: 20). Kurz nach Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1883 folgten in kurzen Abständen die Unfallversicherung 1884 und die Rentenversicherung 1889 (vgl. Kühl und Oschmiansky 2010). Arbeitslosigkeit galt bis in die 20er Jahr des 20. Jahrhunderts als nicht versicherbares Risiko und wurde somit recht spät, als letzte der großen 4 Versicherungen, im Jahr 1927 eingeführt. Damit waren die Grundsicherungssysteme, wie wir sie noch heute kennen, geschaffen. Andere europäische und nichteuropäische Staaten zogen erst, mit teils beachtlicher Verzögerung bei der Schaffung sozialer Sicherungssysteme, nach. Die Vereinigten Staaten von Amerika treten hier besonders hervor, da diese erst nach den Ereignissen der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre erste Sicherungsmechanismen etablierten (vgl. Kühl und Oschmiansky 2010).

Seit ihrer Etablierung ist ein stetiger Anstieg der Sozialleistungsquoten zu erkennen der insbesondere seit den 60er Jahren zunehmend an Schwung gewonnen hat. Betrachtet man sich die ersten Jahre des Wohlfahrtsstaates, fällt auf, dass längst nicht alle Bürger gleichermaßen vom den Absicherungen profitierten. Diese zielten nämlich vornehmlich auf die Arbeiterschaft der Städte ab und galten als Mittel zur Wahrung sozialen Friedens. Diese Minderheit wurde erst nach und nach auf Landarbeiter und Angestellte ausgeweitet. Diese Ausweitung dauerte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein an und ist eine mögliche Erklärung für den Anstieg der Sozialleistungsquoten dieser Zeit. Ein zweiter Grund für den moderaten, aber signifikanten Anstieg der Sozialleistungsquoten bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, dass die anfänglichen Leistungen nur sehr selten die tatsächlichen Ansprüche der Personen deckten, die sie in Anspruch nahmen (vgl. Ulrich 2005: 24f.). Eine fortlaufende Verbesserung dieses Zustandes, d.h. eine Erhöhung der Bezüge aus dem Sicherungssystem, ist ein möglicher weiterer Grund für den Anstieg im ersten Teil des 20. Jahrhunderts. Zusätzlich zur Verbreiterung der Basis derer, die Anspruch auf Sozialleistungen hatten und zur Erhöhung der Leistungen ganz allgemein, kamen die Effekte der beiden Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre. Die Kombination all dieser Einflüsse führte zwischen den Jahren 1913 und 1949 zu einer Erhöhung der Sozialleistungsquote um 14 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt (Therborn und Roebroeck 1986: 320 f.). Seit 1949 steigerte sich die Sozialquote dann spürbar stärker als im Vergleichszeitraum der vorangegangenen Jahre. Ulrich (2005: 24) spricht davon, dass ein umfassender und alle gleich betreffender Wohlfahrtsstaat in Deutschland erst ab den 1960er Jahren vorzufinden war.

Nach 1960 stieg die Sozialleistungsquote dann von rund 20.8% (siehe Tab 1), gemessen am BIP, auf 25.8% im Jahr 1990 weniger deutlich, aber nach wie vor messbar an. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Sozialleistungsquote 1975. Gründe hierfür waren die Einführung des Kindergeldes 1955 und fortlaufende Erhöhungen in Folge von Wahlversprechen, die Einführung von Bafoeg 1971 und die Wirtschaftskrise der 1970er Jahre, die mit dem Ende der Vollbeschäftigung einhergingen. Mit 28.8% des BIP waren die Ausgaben 1975 für Sozialleistungen, gemessen am gesamten BIP, so hoch wie sie es erst wieder in den 1990er Jahren werden sollten. Nach 1975 fiel die Sozialleistungsquote bis zum Jahr 1990 stetig ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab 1. Sozialleistungsquote in % des BIP 1960 - 2011 (sozialpolitik-aktuell.de)

Besonders auffallend ist ein extremer Anstieg der Quote zwischen 1970 und 1975 um 5%. Diese Zeit markiert die erste große Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland die geschichtlich heute als Ölkrise oder Ölschock bekannt ist. Diese Krise beendete abrupt das bis dahin anhaltende Wirtschaftswunder Deutschlands und die Zeit der annähernden Vollbeschäftigung.

Als wichtiger Einschub zum Thema Vollbeschäftigung der damaligen Zeit sei angemerkt, dass Frauen noch nicht dem berufsfähigem Anteil zugerechnet wurden. Deutschland verfolgte nach wie vor das Konzept der arbeitsteiligen Familie, welches gelebt und staatlich gefördert wurde. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur heutigen Zeit und dürfte sich auch nachhaltig in den Quoten für z.B. Arbeitslosigkeit niederschlagen.

Die hohe Differenz der Quoten von 1970 und 1975 lässt sich also nicht allein dadurch erklären, dass neue Sozialleistungen geschaffen wurden. Vielmehr wurden die bereits existierenden durch eine erhöhte Arbeitslosigkeit, in Folge der Wirtschaftskrise, von der Bevölkerung vermehrt in Anspruch genommen. 1970 betrug die gemeldete Arbeitslosenquote 0.7% oder 148000 Personen der arbeitsfähigen Bevölkerung (www.destatis.de). Bei dieser Quote konnte berechtigt von Vollbeschäftigung gesprochen werden. Nach einem leichten Anstieg bis 1973 schnellte die Arbeitslosigkeit nach 1973 auf 4.7%. Und mit ihr stieg, bedingt durch die funktionsweiße der Versicherungssysteme in Deutschland, die Sozialleistungsquote auf 28.8%.

Die Sozialleistungsquote errechnet sich als Anteil der Staatsausgaben für Soziales und Wohlfahrt vom Bruttoinlandsprodukt. Ein Anstieg der Sozialleistungsquote kann demzufolge auch dadurch geschehen, dass das BIP sinkt, bei gleich bleibender Höhe der Sozialausgaben oder das die Sozialleistungen im Vergleich zu den Einnahmen des Staates steigen. Beides führt beinahe zwangsläufig dazu, dass Anpassungen vorgenommen werden müssen. Eine gleichbleibende Quote bedeutet auch nicht, dass die Sozialausgaben sinken, sondern vielmehr, dass sie einfach nur dem Inflationsbedingt ansteigendem BIP angepasst werden.

Nach 1975 sank die Sozialleistungsquote wieder, stabilisierte sich aber bis Mitte der 80er Jahre dennoch auf einem hohen Niveau von über 28%. Um 1990 war die Sozialleistungsquote wieder auf 25.8% gesunken. Die sich anschließende Entwicklung wurde zum Großteil bestimmt durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und ihre unterschiedliche Wirtschaftskraft zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung und der dadurch zwangsläufig negativen Entwicklung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern.

In den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung stieg die Sozialleistungsquote bis zu ihrem vorläufigem Höhepunkt 1996 auf 31.2% und erreichte den absoluten Höchststand 2003 mit 32.6% des BIP. Wie Tab. 1 zu entnehmen ist, sank die Sozialleistungsquote bis 2008 mit über 3% recht deutlich auf 29.4%. Der danach einsetzende starke Anstieg fiel exakt auf die Zeit der beginnenden und anhaltenden Weltwirtschaftskrise.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Wohlfahrtsstaat in der Krise
Untertitel
Überprüfung der These des irreversiblen Wohlfahrtsstaates
Hochschule
Universität Leipzig  (Soziologie)
Veranstaltung
Globalisierung, Europäisierung und soziale Sicherheit
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V205434
ISBN (eBook)
9783656327455
ISBN (Buch)
9783656327622
Dateigröße
652 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wohlfahrtsstaat, irreversibel, Wirtschaftskrise, Ölkrise, Sozialleistungsquote, Sozialquote, Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenquote, Verlaufsdaten
Arbeit zitieren
Marcel Viola (Autor:in), 2012, Der Wohlfahrtsstaat in der Krise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205434

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