Newsroom: Vor- und Nachteile der Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit


Masterarbeit, 2010

102 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsziel

2. Herausforderungen für traditionelle Redaktionen
2.1 Ein Blick zurück auf die klassische Redaktionsorganisation
2.1.1 Einordnung und Definitionen
2.1.2 Perspektiven der Redaktionsforschung
2.1.3 Klassische Aufbauorganisation
2.1.3.1 Horizontale Arbeitsteilung
2.1.3.2 Traditionelle Ressortstrukturen
2.1.3.3 Vertikale Arbeitsteilung
2.1.4 Klassische Ablauforganisation
2.1.5 Einfluss redaktioneller Strukturen auf die Redakteure
2.2 ‚Schöne neue Medienwelt‘ – Aktuelle Herausforderungen für Zeitungen
2.2.1 Internet, Anzeigenverluste und sinkende Auflagen
2.2.2 Grenzen klassischer Redaktionsorganisation
2.2.3 Strukturschwächen überwinden: Innovative Redaktionsmodelle

3. Kulturrevolution „Newsroom“: Die Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit
3.1 Verschiedene Formen von Newsroom-Modellen
3.2 Begriffsdefinition „Newsroom“ und „Newsdesk“
3.3 Eingerissene Mauern: Wie Newsrooms aufgebaut sind
3.4 Zusammengerückte Tische: Wie in Newsrooms gearbeitet wird
3.4.1 Im Zentrum der Newsdesk
3.4.2 Veränderte Abläufe durch Crossmedialität
3.4.3 Vernetzung durch moderne Redaktionssysteme
3.5 ‚Zoom into the Newsroom‘: Praxisbeispiele
3.5.1 Unterschiedliche Konzepte – im und vom Wandel geprägt
3.5.2 Modell Freie Presse: Pionier in Chemnitz
3.5.3 Modell Main-Post: Newsdesks in Würzburg
3.5.4 Modell Rheinische Post: Nebeneinander – miteinander
3.5.5 Modell Kölner Stadt-Anzeiger: Web-TV für die Domstadt
3.5.6 Modell Hessische/Niedersächsische Allgemeine: Kein „Newsdesk“
3.5.7 Modell Frankfurter Rundschau: „Kathedrale des Journalismus“
3.5.8 Modell Springer: ‚Horizontalisten‘ und ‚Vertikalisten‘
3.6 Exkurs Nordjyske Medier: Dänischer „Superdesk“
3.7 Exkurs Daily Telegraph: Englisches Beinahe-Fußballfeld
3.8 Exkurs Nachrichtenagenturen: dpa und APA
3.9 Viele weitere Newsroom-Modelle: Vom ‚Mini-Desk‘ zum „tower of power“

4. Chancen – Die Vorteile von Newsrooms
4.1 Analyse auf drei Ebenen
4.2 Auf Mikroebene: Vorteile für die Journalisten
4.2.1 Spezialisten machen das, was sie gut können
4.2.2 Gegenseitiges Verständnis und einfachere Kommunikation
4.2.3 Berufliche Weiterentwicklung
4.2.4 Größere Reichweite der eigenen Geschichten
4.2.5 Höhere Arbeitszufriedenheit
4.2.6 Weitere Vorteile für die Journalisten
4.3 Auf Mesoebene: Vorteile für die Redaktionen als Ganzes
4.3.1 Effizientere Organisation der redaktionellen Arbeit
4.3.1.1 Schnelle Schaltzentrale ‚Newsdesk‘
4.3.1.2 Flexible Teams – flexibel einsetzbar
4.3.1.3 Kurze Wege, einfache Kommunikation
4.3.1.4 Funktionale Arbeitsteilung
4.3.2 Freiräume für Recherche und eigene Geschichten
4.3.3 Überwundener Ressortegoismus
4.3.4 Das ‚Blatt aus einem Guss‘
4.3.5 Effiziente und bereichernde Crossmedialität
4.3.6 Marktplatz der Ideen und Innovationen
4.3.7 Verbesserte Qualitätskontrolle
4.4 Auf Makroebene: Vorteile für die Medienunternehmen
4.4.1 Qualitätssteigerung – Besseres Gesamtprodukt
4.4.2 Einsparungen durch geringere Personalkosten
4.4.3 Synergieeffekte, größere Reichweite und neue Zielgruppen
4.4.4 Stärkung der Marke und Leserbindung

5. Risiken – Die Nachteile von Newsrooms
5.1 Auf Mikroebene: Nachteile für die Journalisten
5.1.2 Schlechtere Konditionen
5.1.3 Neues Aufgabenprofil und höhere Arbeitsbelastung
5.1.4 Mehr Kontrolle und weniger Autonomie
5.1.5 Machtverlust durch Hierarchieabbau
5.1.6 Hektik, Lärm und schlechtere Arbeitsbedingungen
5.2 Auf Mesoebene: Nachteile für die Redaktionen als Ganzes
5.2.1 Probleme bei der Koordination des Workflows
5.2.2 Weniger Vielfalt durch Redaktionszusammenlegungen
5.2.3 Sonstige Nachteile für die Redaktionen
5.3 Auf Makroebene: Nachteile für die Medienunternehmen
5.3.1 Die Qualität kann auch sinken
5.3.2 Der Newsroom ist kein Sparprogramm
5.3.3 Langwierige Überzeugungsarbeit

6. Fazit
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2 Einordnung und Ausblick

7. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Euphoriker preisen sie als ‚Kulturrevolution‘ in den Redaktionen, sehen in ihnen die ‚Zauberformel‘ für eine erfolgreiche Zukunft der Zeitung (vgl. Meier 2004b: 35; Milz 2005: 178). Ulrich Reitz spricht von der Erfindung der „edlen Großküche“ (vgl. Raue 2004: 22), Uwe Vorkötter von einer „Kathedrale des Journalismus“ (vgl. Jansen 2009: 6). Die Rede ist von „Newsrooms“: modernen, zentralisierten Redaktionen, die mithilfe eines „Newsdesk“ als ‚Herzstück‘ ressort- und medienübergreifend arbeiten. Bislang voneinander unabhängig operierende Arbeitsbereiche werden hier zusammengeführt, Themen gemeinsam geplant und in Teams bearbeitet, Inhalte für Print und Online aufbereitet und zunehmend auch als Audio- und Videoformate produziert (vgl. etwa Meier 2006: 204ff.; Milz 2007: 198).

Ziel dieser innovativen Redaktionsstrukturen, die vor allem bei Tageszeitungen, aber auch bei Nachrichtenagenturen und Rundfunkanstalten zu finden sind, ist, Barrieren zwischen den Ressorts abzubauen, Kommunikation und Arbeitsabläufe zu optimieren, Themen multiperspektivisch zu erfassen und über mehrere Kanäle auszuspielen, Planung und Darstellung zu professionalisieren und somit sowohl die Effizienz als auch die Qualität zu steigern (vgl. etwa Meier 2004b: 34; Lungmus 2007: 30). Was an der Schwelle zum 21. Jahrhundert – angelehnt an amerikanische Vorbilder – vereinzelt auch in deutschen Medienhäusern begann (vgl. Meier 2004b: 34; Riefler 2004b: 48), hat sich mittlerweile großflächig zu einem tiefgreifenden Reformprozess entwickelt, der über Jahrzehnte tradierte Arbeitsweisen umkrempelt. Einer internationalen Befragung zufolge haben bereits 53 Prozent der Zeitungshäuser ihre Redaktionen crossmedial integriert (vgl. Portillo 2008: 42). Arbeiteten 2004 im deutschsprachigen Raum etwa 40 Zeitungsredaktionen nach Newsroom-Konzept (vgl. Meier 2004b: 34), hat neueren Schätzungen zufolge inzwischen etwa die Hälfte der 137 publizistischen Einheiten in Deutschland die neuen Strukturen eingeführt (vgl. Lungmus 2007: 30; Meier 2007a: 356). In den Redaktionen werden Wände niedergerissen, um die architektonischen Bedingungen für die Umstrukturierung zu schaffen. Nicht selten entstehen hierbei Newsrooms gewaltigen Ausmaßes: Bei Springer arbeiten auf 408 Quadratmetern rund 60 Journalisten für die WELT -Gruppe. Die Frankfurter Rundschau bezog ein ehemaliges Straßenbahndepot, um 90 Redakteure unterzubringen. Die Deutsche Presse-Agentur bündelt ihre Dienste ab Mitte 2010 in einem 3.500 Quadratmeter großen Newsroom für 200 Mitarbeiter. Und beim britischen Daily Telegraph sitzen rund 450 Journalisten auf einer Fläche, die mit 6.300 Quadratmetern etwas kleiner ist als ein Fußballfeld (vgl. Mertes 2006: 48; Meier 2007c: 47; dpa 2009; Jansen 2009).

Das Spektrum der konkreten Ausgestaltung ist vielfältig wie die Redaktionslandschaft selbst: Die Modelle reichen von einfachen Produktionstischen, an denen mehrere Redakteure das Material für den Lokal- und Mantelteil koordinieren, bis hin zu Arbeitsbereichen, in denen Dutzende Mitarbeiter verschiedene Ressorts und Plattformen bedienen (vgl. Milz 2005: 178). Zu beobachten ist, dass sich immer mehr Zeitungen nicht länger ‚nur‘ als gedrucktes Medium verstehen, sondern als multimediale Akteure, die ihre Zielgruppen über mehrere Kanäle erreichen wollen. Die Branche reagiert damit auf sinkende Auflagen und Anzeigenerlöse sowie den insbesondere durch das Internet verschärften Wettbewerb (vgl. Portillo 2008: 42; Schneider 2009: 80). Viele Kritiker monieren hingegen, dass mit Newsrooms vor allem Kosten gespart werden sollen – zulasten der Redakteure (vgl. Bettels 2005: 80; Wittrock/Backhaus 2009: 13).

1.2 Forschungsziel

Sind die Ursachen für die Einführung eines Newsrooms schnell zu ergründen, so „steht die Analyse möglicher Folgen der Umbauwelle erst am Anfang“ (ebenda: 14). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema dauert zwar seit einigen Jahren an; Fallstudien befassen sich mit einzelnen Newsrooms, ihren Merkmalen und Funktionsweisen; einige Befragungen liefern Erkenntnisse über gewisse Konsequenzen der Umstrukturierungen. Doch kann auch eine Fülle von Artikeln und Fachaufsätzen nicht darüber hinwegtrösten, dass eine tiefergehende vergleichende Analyse und Systematisierung der Vor- und Nachteile der innovativen Redaktionsmodelle noch aussteht (vgl. Blöbaum 2008: 126; Meier 2008: 12). Angesichts der Größenordnung der redaktionellen Veränderungen und der damit verbundenen Folgen für die journalistische Arbeit und das publizistische Produkt, erscheint dies mehr als unbefriedigend. Auch die vorliegende Arbeit kann es nicht leisten, die Lücke auf diesem Feld der Redaktionsforschung zu schließen, dessen Analyse und Bewertung schon allein aufgrund der Vielzahl und Vielfalt der Newsroom-Modelle sowie deren unterschiedlicher Rahmenbedingungen schwierig ist (vgl. Meier 2007a: 356). Vergleichbarkeit und generalisierende Aussagen sind eingeschränkt. Doch gerade weil das Untersuchungsfeld so unübersichtlich ist, erscheint es sinnvoll, im Rahmen dieser Arbeit – auf Basis einer Literaturanalyse und unter Zugriff auf Fallbeispiele sowie die (wenigen) bereits vorhandenen empirischen Daten – die zentralen Vor- und Nachteile von Newsrooms systematisch herauszuarbeiten. Die Arbeit konzentriert sich aus forschungsökonomischen Gründen auf deutsche Tageszeitungsredaktionen, wobei vereinzelt auch Beispiele aus anderen Ländern angeführt werden. Als Forschungsziel soll eine strukturierte Übersicht entstehen, die als Grundlage für zukünftige empirische Arbeiten dienen kann – welche zweifelsfrei wünschenswert wären. Dieser Zielsetzung folgend sollen nachstehende Forschungsfragen beantwortet werden:

Was sind die zentralen Strukturmerkmale von Newsrooms? Wie werden Arbeitsabläufe in Newsrooms organisiert? Und welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus dieser Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit für Journalisten, Redaktionen und Medienorganisationen?

Um Antworten zu finden, fällt der Blick in Kapitel 2 zunächst auf klassische Organisationsformen von Redaktionen, damit im weiteren Verlauf der Analyse kontrastiert werden kann, welche Umstrukturierungen Newsrooms (warum) mit sich bringen. In einem zweiten Schritt werden die veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen thematisiert, mit denen sich Zeitungsredaktionen heute konfrontiert sehen und die als Hauptgründe für die Einführung innovativer Redaktionskonzepte gelten können; an dieser Stelle werden auch die Schwächen traditioneller Redaktionsorganisation unter den heutigen Bedingungen deutlich. Aufbauend darauf wendet sich Kapitel 3 den Newsrooms zu und ergründet deren zentrale Strukturmerkmale sowie die Organisation ihrer Arbeitsabläufe; im Anschluss daran werden mehrere Beispiele umstrukturierter Redaktionen vorgestellt. Mit Kapitel 4 und 5 richtet sich der Fokus schließlich auf das eigentliche Forschungsziel: Erst werden die Vorteile analysiert, die sich aus Newsrooms ergeben, dann die Nachteile – jeweils auf drei Ebenen: für die einzelnen Journalisten (Mikroebene), für die Redaktionen als Ganzes (Mesoebene), sowie für die Medienunternehmen als Gesamtorganisationen (Makroebene). Im 6. Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und eingeordnet.

2. Herausforderungen für traditionelle Redaktionen

2.1 Ein Blick zurück auf die klassische Redaktionsorganisation

2.1.1 Einordnung und Definitionen

Um im Verlauf der vorliegenden Analyse kontrastieren zu können, welche Veränderungen Newsrooms (warum) mit sich bringen, soll zunächst ein Blick auf die klassische Organisation von Tageszeitungsredaktionen geworfen werden. Hierbei ist zunächst zu klären, was unter einer ‚Redaktion‘ zu verstehen ist. Da der Begriff im deutschsprachigen Journalismus vielfältig verwendet wird[1], soll im Folgenden in Anlehnung an Meier mit einer Redaktion „diejenige Abteilung eines Medienunternehmens gemeint [sein], welche die journalistischen Leistungen erbringt“ (Meier 2005: 394). In ihr werden Themen, die als informativ und relevant gelten, selektiert, bearbeitet und publiziert. ‚Redakteure‘ definieren sich durch die Mitgliedsrolle: Sie sind die festangestellten Mitglieder der Redaktion, die an der Erbringung deren journalistischer Leistung beteiligt sind.

Die Zeitungsredaktion ist als funktionaler Teilbereich eingebunden in das organisatorische Gesamtgefüge eines Verlags (vgl. Moss 1998: 84).[2] Als Ort der ‚journalistischen Produktion‘ stellt sie den redaktionellen Teil der Zeitung als Wirtschaftsgut her (vgl. Esser 2000: 117). Ihre Kunden, die Leser, verlassen sich darauf, dass das Blatt regelmäßig (bei Tageszeitungen: täglich) und pünktlich erscheint und das Spektrum an aktuellen Themen ihre Erwartungen erfüllt (vgl. Meier 2005: 396). Redaktionen brauchen daher ein festes organisatorisches Korsett, um diesen Erwartungen trotz zeitlicher, räumlicher und finanzieller Beschränkungen (täglich) nachkommen zu können. Die redaktionellen Organisationsstrukturen ermöglichen den Redakteuren hierbei routinierte, standardisierte Abläufe, die sie in die Lage versetzen, die tägliche Informationsflut an (unerwartbaren) Ereignissen zu bewältigen (vgl. Esser 1998: 34).

2.1.2 Perspektiven der Redaktionsforschung

Die Wissenschaft versucht seit Jahrzehnten, sich dem Forschungsobjekt ‚Redaktion‘ zu nähern. Dennoch mangelt es gerade im deutschen Sprachraum an Grundlagenforschung, um redaktionelle Arbeitsabläufe und Strukturen transparenter zu machen (vgl. Esser 1998: 35). Grob lassen sich zwei theoretische Ansätze der Redaktionsforschung unterscheiden, die nicht gegensätzlich, sondern wechselseitig verzahnt sind: einerseits die Kommunikator- und Journalismusforschung, andererseits die Marketing- und Managementforschung (vgl. Esser 2000: 112). Neben den Anfängen der Redaktionsforschung – den US-Gatekeeper-Studien in den 1950er Jahren – erscheint hier Manfred Rühls Pionierstudie zur Zeitungsredaktion (1969) erwähnenswert, in der erstmals die Interaktionsbedingungen in einer Redaktion sowie der funktionale Zusammenhang zwischen redaktionsexterner Umwelt und redaktioneller Binnendifferenzierung Beachtung fanden (vgl. Meier 2005: 395). Rühl modelliert die Redaktion als „organisiertes soziales System“; seine Arbeit markiert den Beginn eines Forschungszweigs, der redaktionelles Handeln systemtheoretisch zu begreifen versucht – ohne, dass ihm das bislang überzeugend gelungen wäre (vgl. Esser 1998: 36).

Die Perspektive des Redaktionsmanagements und -marketings hingegen erfährt seit den 1990er Jahren verstärkt Aufmerksamkeit, weil von ihr Impulse zur Um- und Neustrukturierung traditioneller Organisationsformen ausgehen (vgl. ebenda). Die Ansätze interpretieren den Journalismus marktorientiert und ökonomisch; sie verstehen ‚Organisation‘ nicht soziologisch, sondern als Instrument zur Zielerreichung. Modernes Redaktionsmanagement wird begriffen als „strategische Implementierung, Steuerung und Sicherung publizistischer Qualität in Verbindung mit Markterfolg, auf dem Wege des konzeptionellen, organisatorischen Personal- und Kostenmanagement.“ (Meckel 1999: 22). Ziel ist, durch optimierte Strukturen ohne Qualitätsverlust möglichst effizient redaktionell zu arbeiten (vgl. Esser/Kaltenhäuser 2001: 88; vgl. Böskens 2009: 116).

2.1.3 Klassische Aufbauorganisation

2.1.3.1 Horizontale Arbeitsteilung

Die Struktur einer Redaktion richtet sich nach den funktionalen Erfordernissen und Zwecken der Organisation und somit nach der jeweiligen publizistischen Strategie (vgl. Meier 2005: 395). Die redaktionelle Aufgabe ist grundsätzlich arbeitsteilig mit mehreren Aufgabenträgern zu erfüllen; gleichzeitig sind der Arbeitsteilung in Redaktionen Grenzen gesetzt (vgl. Weischenberg 1992: 303; Moss 1998: 97). Nach welchen Kriterien die Arbeitsteilung organisiert wird, lässt sich mithilfe des aus der Managementlehre entlehnten Begriffs der ‚Aufbauorganisation‘ beschreiben. Dieser unterscheidet zwischen horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung. Horizontal erfolgt sie nach dem Kriterium der Aufgabenverteilung, vertikal beschreibt sie das hierarchische Machtgefüge in einer Redaktion (vgl. Meier 2004a: 97; Mast 2008: 494).

Die Aufgabenverteilung (horizontale Arbeitsteilung) kann auf zwei Arten erfolgen: Entweder können Redakteure auf Objekte spezialisiert sein, dann sind sie für bestimmte Sparten, Sendungen oder Themengebiete zuständig (Spartenorganisation). Oder sie sind ihrer Tätigkeit nach spezialisiert (Funktionalorganisation). In diesem Fall werden die Redakteure an unterschiedlichen Stellen des journalistischen Arbeitsprozesses eingesetzt; einzelne Schritte wie Planung, Recherche, Layout, Erstellen oder Redigieren von Texten sind hier auf unterschiedliche Stellen verteilt (vgl. Meier 2005: 396; Mast 2008: 494). Welches Prinzip bei der Organisation einer Redaktion im Vordergrund steht, hängt von Faktoren wie der Mediengattung oder der Journalismuskultur und -tradition ab. Im deutschsprachigen Raum dominiert ein ganzheitliches Prinzip: Hier erledigen in klassisch organisierten Zeitungsredaktionen die Redakteure überwiegend alle Tätigkeiten. Die Arbeitsschritte Recherche, Schreiben und Redigieren liegen meist als Einheit in der Hand eines einzigen Journalisten. Im anglo-amerikanischen Raum hingegen hat sich eine funktionale Spezialisierung in recherchierende und schreibende ‚reporters‘ einerseits, sowie redigierende und blattmachende ‚editors‘ andererseits durchgesetzt (vgl. u.a. Moss 1998: 98; Mast 2008: 494).

2.1.3.2 Traditionelle Ressortstrukturen

Bei der horizontalen Arbeitsteilung spielt die Differenzierung in Ressorts die größte Rolle (vgl. etwa Weischenberg et al. 2006: 76). Ressorts umfassen einerseits ein Sachgebiet, andererseits prägen sie die Struktur der Redaktion – die Aufteilung der Redakteure in Gruppen, die den jeweiligen Sachgebieten zugeordnet sind (vgl. Nowack 2009: 104). Informationsorientierte Medien mit universellem Themenanspruch, wie (Tages-)Zeitungen es in der Regel sind, orientieren sich im Wesentlichen an der klassischen Ressortstruktur, die sich historisch herausgebildet hat: Sie teilen die Welt in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales ein (vgl. u.a. Meier 2005: 395; Nowack 2009: 105). „Mit der Ressortbildung als innerer Differenzierung reagiert der Journalismus auf die Komplexitätssteigerung in seiner Umwelt und steigert somit seine Leistungsfähigkeit.“ (Weischenberg et al. 2006: 76). Die Aufteilung und Institutionalisierung von Ressorts erfolgt, um ein Raster zu haben, nach dem die gesellschaftlichen Teilsysteme kontinuierlich beobachtet und beschrieben werden können. Werden Themenfelder von vornherein kanalisiert, erleichtert dies die Routine, die bei der täglichen Produktion nötig ist (vgl. Meier 2004a: 96; Nowack 2009: 105). Ressorts fungieren somit auch als „Wahrnehmungsstrukturen“, die bestimmen, welche Themen auf welche Weise Eingang in die Redaktion finden (vgl. Meier 2002e: 79f.).

Als organisatorische Einheiten spiegeln die Ressorts die Sparten in der Berichterstattung wider: Bestimmte Ressorts sind für die Produktion bestimmter Seiten der Zeitung zuständig (vgl. Weischenberg et al. 2006: 77). Zu verzeichnen ist in klassisch organisierten Redaktionen eine starke Ressortautonomie: Da jedes Ressort für sich selbst verantwortlich ist und die Redakteure nur mit ihrer eigenen Sparte beschäftigt sind, planen und erarbeiten die Ressorts ihren jeweiligen Zeitungsteil weitgehend unabhängig voneinander. Zudem sind sie meist in getrennten Räumen untergebracht und werden lediglich in der Redaktionskonferenz koordiniert (vgl. Meier 2002c: 94).

2.1.3.3 Vertikale Arbeitsteilung

Kriterien der vertikalen Arbeitsteilung sind die Entscheidungskompetenz sowie die Machtverteilung (vgl. Meier 2005: 396; Mast 2008: 494). Diese drücken sich in den Arbeitsrollen aus, die in traditionell organisierten Redaktionen hierarchisch nach der Ein-Linien-Organisation mit dem klassischen Bild der Pyramide und dem Prinzip der eindimensionalen Auftragserteilung verteilt sind. Sowohl im deutschsprachigen als auch im anglo-amerikanischen Raum ist die Hierarchie von Chefredaktion – Ressortleiter – Redakteure typisch. Die Redakteure sind thematisch nach Ressorts aufgeteilt, an deren Spitze jeweils ein Ressortchef steht. Dieser organisiert, koordiniert und verantwortet die Arbeit in seinem Ressort und ist wiederum der Chefredaktion unterstellt. Der Chefredakteur trägt als Redaktionsleiter die publizistische Gesamtverantwortung und fungiert als Bindeglied zwischen Redaktion und Verlag (vgl. Wittrock 2006: 27).[3] [4] Die Position in der Hierarchie wirkt sich auf das Tätigkeitsprofil aus: Je höher die Stellung, umso größer der Anteil an administrativ-organisatorischen Aufgaben und umso geringer der Anteil genuin journalistischer Tätigkeiten (vgl. Weischenberg et al. 2006: 76). Die Ein-Linien-Organisation hat den Vorteil klarer Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Kommunikationswege (vgl. Mast 2008: 496). Zeit- und nervenaufreibende, mehrstufige Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse bleiben aus, was im aktuellen Produktionsprozess entlastend sein kann (vgl. Meckel 1999: 78).

2.1.4 Klassische Ablauforganisation

Neben der statischen Aufbauorganisation beeinflusst auch die Ablauf organisation die Arbeitsweise einer Redaktion. Sie fragt danach, wer was wann macht, ist also dynamisch am Produktions prozess ausgerichtet (vgl. Moss 1998: 182). Innerhalb dessen bestimmt der Erscheinungsrhythmus des publizistischen Produkts die (zeitlichen) Strukturen und Arbeitsweisen (vgl. Meier 2004a: 100). Der ‚Workflow‘ bezeichnet dabei zum einen die Stationen, die ein Beitrag durchläuft, bis er publiziert wird; zum anderen umfasst der Begriff die grundsätzlichen Abläufe – von der Planung über die Produktion bis hin zum Druck. Je nach Medium unterscheiden sich die Workflows; klassisch organisierte Tageszeitungsredaktionen orientieren sich am Tagesrhythmus: Vormittags wird das eingehende Material sortiert, Themen werden vergeben, die ersten Recherchen laufen an. Nachmittags wird geschrieben, hinterher gelayoutet. Die letzten Beiträge sind abends fertig, nachts wird gedruckt (vgl. ebenda).

Die Tatsache, dass in einer Redaktion die Gesamtaufgabe arbeitsteilig zerlegt ist, legt nahe, dass die Teilaufgaben mit Blick auf das Gesamtziel koordiniert werden müssen. Insbesondere weil sich „das redaktionelle Entscheidungshandeln häufig in Situationen der Ungewissheit und des Risikos abspielt“ (Weischenberg 1992: 303), dient die Koordination dazu, Unsicherheiten zu reduzieren, Umwelteinflüsse zu kanalisieren und Handlungsweisen abzusprechen (vgl. Altmeppen 2006: 559). Unter redaktioneller ‚Koordination‘ können Altmeppen zufolge „alle Formen von Interaktion und Kommunikation zusammengefasst [werden], die […] zur wechselseitigen Absprache und Abstimmung über tätigkeitsrelevante Handlungsschritte eingeleitet werden.“ (ebenda). Darunter fallen informelle Absprachen, Gespräche, Fragen und Zurufe, aber auch institutionalisierte Mechanismen wie Ressort- und Redaktionskonferenzen. Letztere stellen beim Arbeitsablauf in der Ein-Linien-Organisation die zentralen Koordinationselemente dar (vgl. Mast 2008: 496). Sie sind wichtig für den Informationsaustausch, die inhaltliche Abstimmung sowie die Blattkritik (vgl. Weischenberg 1992: 317).[5] Für die produktionstechnischen Koordinationsaufgaben existieren zudem häufig Stabsstellen: Traditionell vermitteln ‚Chefs vom Dienst‘ zwischen Redaktion, Technik und Anzeigenabteilung und tragen die Verantwortung dafür, dass aus den Einzelteilen ein fertiges Gesamtprodukt entsteht (vgl. ebenda: 317).

2.1.5 Einfluss redaktioneller Strukturen auf die Redakteure

Bei der Verrichtung ihrer Arbeit bleiben Redakteuren Handlungsspielräume offen. Dennoch agieren Journalisten nicht in einem ‚luftleeren Raum‘, sondern unterliegen organisationalen Zwängen. Von Journalisten wird erwartet, dass sie die spezifischen Anforderungen ihrer Redaktion erfüllen, daher richten sie sich „in ihrem Handeln […] auf die organisationsspezifischen Regeln und Ressourcen als strukturelle Merkmale ein.“ (Altmeppen 2006: 556f.). Organisationsmuster und Rollenerwartungen schlagen also durch auf das, was Journalisten denken und tun (vgl. Weischenberg 1992: 286). Die redaktionellen Organisationsstrukturen setzen den Rahmen für das journalistische Handeln der Redakteure; Aufbau- und Ablauforganisation beeinflussen den Arbeitsprozess und somit auch das publizistische Produkt. Die Organisationsstrukturen wiederum richten sich nach den Erfordernissen und Zielen der Gesamtorganisation, also des Medienunternehmens. Ändern sich äußere Bedingungen, bleibt dies auch nicht ohne Folgen nach innen.

2.2 ‚Schöne neue Medienwelt‘ – Aktuelle Herausforderungen für Zeitungen

2.2.1 Internet, Anzeigenverluste und sinkende Auflagen

Jahrzehntelang, in ‚guten alten Zeiten‘, arbeiteten Zeitungsredaktionen strukturiert nach der klassischen Organisation, ohne dass größere Veränderungen stattgefunden hätten oder von den Verlagen als notwendig angesehen worden wären. Wirft man nun einen Blick auf das, was sich in den vergangenen Jahren um die Redaktionen herum gewandelt hat – auf die veränderten Rahmenbedingungen, denen sie unterliegen – wird deutlich und verständlich, warum das heute anders ist. Dieser Zwischenschritt ist notwendig, weil die Vor- und Nachteile redaktioneller Umstrukturierungen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern vor dem Hintergrund der aktuellen Lage der Zeitungen analysiert werden müssen.

„Change has become one of the few constants in the working environment of media organizations.” (Daniels et al. 2002: 661). Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber immer wieder tauchen in diesem Zusammenhang die Digitalisierung und das Internet prominent auf. Dieses vereint die Merkmale aller Medien in sich und entwickelt sich zu einer zentralen Drehscheibe für Text, Bild, Video und Audio. Dadurch wird es zu einer ernsthaften Konkurrenz für die traditionellen Plattformen der Massenmedien (vgl. Meier 2007a: 350). Am härtesten trifft das den Printmarkt: „Radio und Fernsehen knabberten an den Werbeerlösen der Zeitungen und bedrängten allenfalls deren Anzeigengeschäft – das Internet bedroht deren Existenz.“ (Thurm et al. 2002: 74). Mast beschreibt das Ausmaß der Verunsicherung: „Die öffentliche Diskussion über die Zukunft der Zeitungen verbreitet einen Hauch von Apokalypse.“ (Mast 2009a: 22).

Das ‚World Wide Web’ liefert alle Informationen weitgehend kostenlos, und das rund um die Uhr. Noch nie war die globale Informationsübermittlung so schnell und das Informationsangebot so dicht (vgl. Weischenberg et al. 2006: 197). Den Rezipienten steht heute ein stark erweitertes, vielfältiges Medienangebot zur Verfügung, welches selektiv, individuell und zunehmend auch mobil genutzt werden kann (vgl. Jarren 2006: 99). Dies verändert das Nutzungsverhalten: Die Bindung des Konsumenten an bestimmte Medien nimmt ab, was wiederum den ohnehin harten Wettbewerb der Medien um die Aufmerksamkeit des Nutzers verschärft (vgl. u.a. Matthes 2006: 38; Mast 2008: 130).

Die Abonnentenzahlen und Auflagen der Printtitel sinken kontinuierlich, besonders das jüngere Publikum, dessen Interesse am Zeitungslesen seit Jahren sinkt, wandert scharenweise ins Internet ab, und seine Zahlungsbereitschaft für journalistische Angebote im Netz tendiert gen null (vgl. etwa Meier 2008: 6; Ruß-Mohl 2009: 31). „Spätestens seit der Medienkrise stehen die finanziellen Grundlagen des Journalismus auf wackligem Fundament“ (Weischenberg et al. 2006: 142); „Die Zeiten der ‚vollen Töpfe‘ sind vorbei“ (Böskens 2009: 115). Presseunternehmen unterliegen einem doppelten Dualismus im Markt: Sie müssen mit ihren Produkten einerseits sowohl im ökonomischen als auch im publizistischen Wettbewerb bestehen. Andererseits bedienen sie zwei Märkte: Sie bieten ihre Angebote auf dem Lesermarkt an, zugleich verkaufen sie Werbeplätze (vgl. Meckel 1999: 132). Der ökonomische Druck auf dem Printmarkt hat sich durch diesen Doppelcharakter in den vergangenen Jahren deutlich verschärft: Den Zeitungen als Verbundprodukt aus redaktionellem und Anzeigenteil brechen sowohl die Leserzahlen als auch die Anzeigenerlöse weg (vgl. u.a. Mast 2009b: 5).[6]

Trotz derartiger negativer Effekte und nach anfänglicher Sorge vor der ‚Kannibalisierung‘ des (verkauften) Printprodukts durch (gratis) im Netz publizierte Inhalte findet heute ein Umdenken statt: Zeitungsverlage versuchen, das Netz nicht mehr als Konkurrenz wahrzunehmen, sondern es als Wachstumsmotor für sich zu nutzen – um Reichweitenverluste auszugleichen, die Nutzer an sich zu binden und neue Zielgruppen zu erschließen (vgl. Mast 2008: 24f.; Meier 2008: 5f.). Nicht ohne Grund: Die Nutzungszahlen journalistischer Angebote im Netz sind in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen (vgl. u.a. Altmeppen 2006: 570; Keese 2009: 27). Die großen Zeitungshäuser konnten online die Hoheit über das Nachrichtengeschäft zurückgewinnen, welche sie jahrzehntelang an die schnelleren Medien Radio und Fernsehen abgeben mussten (vgl. Mast 2008: 24; Ruß-Mohl 2009: 30). Zeitungen können es sich nicht mehr leisten, ihre Internetpräsenz stiefmütterlich zu behandeln und lediglich die Printausgabe online zu stellen. Das Netz eröffnet ihnen eine Chance, und zwar „jenseits der geografischen und physikalischen Zwänge, die das analoge Zeitalter auferlegt hatte.“ (Keese 2009: 28). Zugleich aber zwingt es sie, sich auf einen Nachrichtenzyklus von 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, einzustellen, sowie den Nutzern multimediale Inhalte anzubieten (vgl. etwa Meier 2008: 7).[7] Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die personelle Situation, sondern auch auf die Bereitstellung von Ressourcen – und das, obwohl sich trotz steigender Wachstumsraten im Netz bislang kein Finanzierungsmodell als längerfristig tragfähig erwiesen hat (vgl. Weischenberg et al. 2006: 39; Breyer-Mayländer 2008: 144). „This new focus is predicated on an act of faith–that somewhere, a key exists that can unlock the secret to monetizing web content.“ (vgl. PEJ 2008).

2.2.2 Grenzen klassischer Redaktionsorganisation

Auch der dynamische Wandel der Medientechnik beeinflusst die Arbeit in den Redaktionen grundlegend. Waren im analogen Journalismus Medieninhalte an bestimmte Übermittlungsformen gebunden, löst sich in der digitalen Medienwelt die Bindung zwischen Inhalt und technischem Medium auf. Moderne Redaktionssysteme strukturieren und steuern die redaktionelle Produktion von Inhalten für Print, Audio, Video und Internet; Tätigkeiten und Abläufe, die einst linear vorgegeben waren, werden mithilfe der digitalen Technik vernetzt (vgl. Meier 2008: 6). Dies legt zum einen die Basis für Mehrkanalstrategien, zum anderen macht es die einst überschaubare, klar strukturierte und klar aufteilte Redaktionsarbeit komplexer. Die Notwendigkeit, Arbeitsabläufe abzustimmen und zu koordinieren, nimmt zu.

Technische Innovationen verändern das journalistische Berufsbild schon seit Jahren. Tätigkeiten aus dem Produktionsprozess wurden zunehmend an den Arbeitsplatz der Redakteure verlagert, was zu einer Erweiterung deren Aufgabenfeldes geführt hat (vgl. Esser 2000: 120); ihnen verblieb dadurch immer weniger Zeit für genuin journalistische Tätigkeiten. Heute stehen Redakteure zudem unter erheblich größerem Selektionsdruck, weil der Umfang des Informationsangebots, das von ihnen verarbeitet werden muss, um ein Vielfaches höher liegt als im vorelektronischen Zeitalter (vgl. Weischenberg et al. 2006: 196). Und diese Tatsache müssen sie mit weniger Leuten bewältigen, denn am Personal wurde und wird insbesondere bei Zeitungen gespart.[8] All das hat zu einem Termin- und PR-Journalismus sowie zu großer Abhängigkeit vom Material der Nachrichtenagenturen geführt (vgl. Esser 1998: 403f.; Möllmann 1998: 376; Weischenberg et al. 2006: 121). Gebracht hat dies die Zeitungen in eine missliche Lage: Rezipienten sind es heutzutage gewohnt, Informationen schnell und jederzeit zur Verfügung zu haben. Die elektronischen Medien versenden das Material der Nachrichtenagenturen innerhalb kürzester Zeit; im Internet verbreiten sich Neuigkeiten, auch mithilfe von Weblogs, Twitter und Co., wie ein Lauffeuer. Was tagsüber passiert ist, weiß das Publikum allerspätestens am Abend, und am Morgen liegen wieder neue Nachrichten vor. Eine klassisch organisierte Tageszeitungsredaktion arbeitet langsamer: Redaktionsschluss ist abends, nachts wird gedruckt. Der Leser konsumiert die Zeitung am Frühstückstisch oder auf dem Weg zur Arbeit – und erfährt aus ihr all das, was er bereits weiß. Ein Anachronismus – und für die Zeitungen ein großes Problem.

Vor Herausforderungen stellt die klassisch organisierten Zeitungsredaktionen zudem ihre starre Aufteilung in Ressorts. Bereits Rühl hatte auf das „Autonomiestreben“ der Ressorts hingewiesen (vgl. Rühl 1969: 170). Zahlreiche Autoren greifen den Aspekt des ‚Ressortegoismus‘ auf, der insofern problematisch ist, als dass durch das ‚Schubladen- und Kästchendenken‘ die Zeitung als Gesamtprodukt aus dem Blickfeld gerät (vgl. Meier 2002e: 13). „Eine Organisationsform, die so viel Abgrenzung und Durchsetzung von isolierten Ressortzielen zulässt, verhindert zwangsläufig jegliche ressortübergreifende, integrative redaktionelle Arbeitsweise. Die Mängel eines solchen Systems sind entsprechend ausgeprägt: hohe Barrieren […] und daher wenig Transparenz, […] keinerlei ressortübergreifende Teamarbeit, starke Konkurrenz bis hin zu Neid und Eifersucht zwischen den Ressorts.“ (Blum 2002: 120). Mangelnde Abstimmung zwischen den Ressorts erzeugt Dubletten, Missverständnisse und Ressourcenverschwendung (vgl. Esser 2000: 120). Hinderlich sind die unbeweglichen Ressortgrenzen auch aus einem weiteren Grund: „Die Realität der Tageszeitung hängt wesentlich davon ab, wie die Redaktion die Welt, über die sie berichtet, einteilt und gliedert. Bei der Zeitung besteht die Welt täglich aus den gleichen ‚Gefäßen‘ […]. Nur Themen und Ereignisse, die in die Wahrnehmungsstrukturen, also in die Sparten und Ressorts passen, werden wahrgenommen.“ (Meier 2002e: 58). Passen sie nicht, werden sie entweder in diese Strukturen gepresst und monoperspektivisch behandelt. Oder sie fallen durchs Raster: Kein Ressort fühlt sich zuständig, also verschwindet ein Thema „im Niemandsland zwischen den Ressorts“ (Meier 2002c: 95) – und wird dem Leser vorenthalten. Die traditionelle redaktionelle Arbeitsteilung wird zudem der Komplexität gesellschaftlicher Probleme immer häufiger nicht gerecht. Ereignisse lassen sich heute oft nicht mehr einfach einsortieren; die meisten Berichterstattungsthemen sind Querschnittsthemen, deren Bearbeitung nahezu alle Ressorts angeht und die komplexere, vernetzte Verarbeitungsstrukturen benötigen (vgl. etwa Weichler 2003: 133; Altmeppen 2006: 566; Böskens 2009: 121).

Zudem haben sich auch die Interessen der Leser verschoben. In den vergangenen zwei Jahrzehnten reagierten die Redaktionen darauf mit der Bildung neuer, thematisch abgrenzbarer Ressorts wie etwa Wissenschaft, Medien, Lifestyle oder Technik, sowie funktional definierter Ressorts wie Ratgeber und Service (vgl. Weischenberg et al. 2006: 43; Mast 2008: 501f.; Nowack 2009: 120). Darüber hinaus wurden an Zielgruppen orientierte Sparten und Sonderprodukte etwa für junge Leser oder Supplements für Teilzielgruppen etabliert, wobei aber nicht immer ein neues Ressort entstand, sondern häufig ein anderes Ressort die Arbeit mitbetreute (vgl. Breyer-Mayländer 2008: 142; Nowack 2009: 120). Die Redaktionen merkten allerdings, dass sie unflexibler und starrer werden, in je mehr kleinteilige Ressorts sie aufgeteilt sind; dem Grunddilemma der Ressortautonomie entkommt man nicht durch noch mehr Differenzierung. Es wächst zwar der Aufmerksamkeitshorizont der Redaktion insgesamt sowie die Chance, dass Themen nicht durchs Wahrnehmungsraster fallen. Zugleich aber sinkt die Wahrscheinlichkeit der Integration und Vernetzung von Problemzusammenhängen (vgl. Meier 2002c: 96). „Neue […] Einheiten zu schaffen ist das eine. Eine ganz andere Herausforderung liegt darin, Organisationsprinzipien zu entwickeln, welche die klassischen Ressortgrenzen überwinden und das Produkt Tageszeitung damit auf eine andere Grundlage stellen.“ (Mast 2008: 503).

2.2.3 Strukturschwächen überwinden: Innovative Redaktionsmodelle

Die Struktur einer Redaktion ist jedoch nicht für alle Zeiten festgelegt: „Wenn sich die Wünsche und Interessen des Publikums ändern, wenn sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Herangehensweise an Themen wandeln und dementsprechend die Inhalte eines Mediums modernisiert werden sollen, muss auch und vor allem die Redaktion umgebaut werden.“ (Meier 2005: 397). Auf der Suche nach Strategien, die strukturellen Schwächen zu überwinden, begannen bereits in den 1990er Jahren viele Zeitungshäuser damit, ihre Redaktionen punktuell umzubauen.[9] Viele lösten die Fachressorts auf und bildeten neue Einheiten, indem sie etwa Politik und Wirtschaft zu einem Großressort zusammenlegten. Einige hoben (teilweise) die Trennung zwischen Lokal- und Mantelressorts auf, um lokale Geschichten in allen Zeitungsteilen erscheinen zu lassen. Durch Rotation versuchten andere, ihren Redakteuren Einblicke in den Gesamtablauf zu ermöglichen (vgl. Meier 2002c: 98; Raue 2004: 23). Einige Redaktionsleiter richteten zudem Stabsstellen ein (Stab-Linien-Organisation), bei denen ein Redaktionsmanager Themenabsprachen zwischen den Abteilungen, den Beitragsaustausch, die gegenseitige Zuarbeit und die Teamarbeit über Ressortgrenzen hinweg koordiniert (vgl. Meier 2004a: 99; Mast 2008: 495f.).

Andere erprobten Modelle, die auf ressortübergreifendes Teamwork setzen. Der Begriff ‚Team‘ meint hier allerdings nicht mehr die Zusammenarbeit von Redakteuren eines Ressorts über Jahre hinweg, sondern „die immer wieder neue Einrichtung temporärer Arbeitsgruppen mit begrenzter, genau definierter Aufgabe zur innovativen Lösung komplexer Probleme.“ (Meier 2002f: 105). Mehrere Redakteure aus verschiedenen Bereichen arbeiten (etwa als ‚Recherchetruppe‘) längerfristig, oder zu einzelnen Schwerpunkten, Projekten und Themen kurzfristig für verschiedene Ressortleiter zusammen (vgl. Möllmann 1998: 83; Meier 2002c: 99). Derartige Konzepte werden als Mehr-Linien-Organisation bezeichnet, bei der die vertikalen Kommunikationswege durch horizontale Ergänzung finden (vgl. Mast 2008: 495).[10] Als Trends kristallisierten sich ferner Layout-Veränderungen und neue Blattstrukturen heraus, zudem legte man gesteigerten Wert auf lokale Themen, mehr Hintergrundberichterstattung, Spezialseiten, Beilagen und Service-Orientierung (vgl. Möllmann 1998: 375). Im Konkurrenzkampf mit den elektronischen Medien reichen solche konzeptionellen Änderungen jedoch nicht aus. Vor dem Hintergrund des ökonomischen Drucks bleiben den Zeitungshäusern zwei Möglichkeiten, ihre Wettbewerbsbedingungen zu verbessern: Einerseits müssen sie die Kosten senken beziehungsweise so gering wie möglich halten, andererseits versuchen, sich mit ihrem Angebot positiv von der Konkurrenz abzuheben (vgl. Meier 2002h: 17; PEJ 2008). Die Redaktionen „müssen herausfinden, worin die Stärken der Tageszeitung liegen und ob sie diese ausspielen können“, konstatiert Blum (2002: 118). Das Produkt ‚Zeitung‘ muss seine Alleinstellungsmerkmale stärken – bieten, was kein anderes Medium kann: die Geschichten hinter den schnellen, zusammenhanglosen Nachrichten.

Die Mehrheit der Chefredakteure hat die Zeichen der Zeit erkannt und bringt ihre Blätter auf den Weg vom Nachrichten- hin zu einem Analysemedium (vgl. Mast 2009b: 4). Denn während Nachrichten immer und überall zu haben sind, kommt eine einordnende Hintergrundberichterstattung zu kurz – eine Chance für Zeitungen, sich zu profilieren. Denn: „Weithin unstrittig ist, dass ein hochwertiger Journalismus in einer Gesellschaft, die unübersichtlicher wird, unentbehrlich ist und bleibt.“ (Ruß-Mohl 2009: 257). „Wer diese inhaltlichen Ziele anstrebt, muss […] strukturell Freiräume für Kreativität abseits der Routine, für eigene Schwerpunkt-Themen und Zusammenhänge sowie für Hintergrund-Recherchen schaffen.“ (Meier 2004a: 103). Mit den Worten einer amerikanischen Weisheit: „If you can’t be the first, you have to be the best” (ebenda).

Gleichzeitig sind vor dem Hintergrund der sich wandelnden Nutzungsgewohnheiten die Vernetzung mit dem Online-Angebot sowie Mehrkanalstrategien von zentraler Bedeutung für die Zeitungshäuser (vgl. Meier 2007c: 46; Mast 2009b: 4). „Zur Notwendigkeit ressortübergreifender Arbeit kommt in den nächsten Jahren zunehmend crossmediale Teamarbeit hinzu.“ (Milz 2005: 184). Einer Studie von Mast zufolge setzen 65 Prozent der deutschen Tageszeitungs-Chefredakteure auf eine medienneutrale Produktion von Inhalten, die über verschiedene Kanäle verbreitet werden. Das Printprodukt wird dabei weiterhin als Markenkern angesehen, um das herum diversifizierte Angebote etabliert werden (vgl. Mast 2009b: 7). International ist die Lage ähnlich: Laut „Newsroom Barometer 2008“ glauben mehr als 80 Prozent der Redakteure, integrierte Newsrooms und multimediales Arbeiten würden in Zukunft zur Norm.[11] Eine solche Strategie kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn die Bereitstellung der Inhalte effizient organisiert wird (vgl. Meier 2007c: 46); in klassisch organisierten Redaktionen erscheint sie nicht möglich. Diese stoßen an Grenzen, die die Zeitungen in Existenznöte bringen: „Ohne Berücksichtigung der Ressourcen, einer entsprechenden Marktorientierung und einer den Gegebenheiten angepassten Struktur ist ein Überleben im Medienmarkt nicht möglich.“ (Böskens 2009: 115). Optimale Themenplanung und -umsetzung in multimedialer Form „setzen […] die Veränderung der Redaktionsstruktur zu einer prozessorientierten Organisation mit funktionierendem Workflow-Management voraus, das den Themen- und Arbeitsfluss steuert. […] Traditionelle Ressort-Fürstentümer müssen aufgelöst, die Grenzen zwischen Einzelredaktionen abgebaut werden – bis hin zur Entfernung physischer Barrieren wie Wänden […]. Erst eine integrative Organisationsform schafft die Voraussetzung für eine ganzheitliche Themenauswahl und den Raum für neue Formen der Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg.“ (Blum 2002: 121). Diese Erkenntnis hat einen „Prozess schöpferischer Zerstörung“ (Ruß-Mohl 2009: 32) ausgelöst: Newsroom-Konzepte werden als Ausweg aus der Krise betrachtet.

3. Kulturrevolution „Newsroom“: Die Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit

3.1 Verschiedene Formen von Newsroom-Modellen

Nachdem in Kapitel 2 gezeigt wurde, wie traditionelle Redaktionsorganisation aussieht, welchen Herausforderungen Zeitungsredaktionen heute unterliegen und an welche Grenzen sie dabei stoßen, soll sich nun der Fokus auf die Newsrooms richten, zu denen klassisch organisierte Redaktionen als Reaktion auf diese Probleme umgebaut wurden und werden. Die Konzepte, die hierbei zum Tragen kommen, sind so vielfältig wie die Redaktionslandschaft selbst (vgl. Meier 2004b: 34; Milz 2005: 178). Jede Redaktion unterliegt anderen Rahmenbedingungen; die konkreten Ausgestaltungsformen von Newsrooms sind individuell auf die einzelnen Redaktionen zugeschnitten und hängen nicht zuletzt mit der jeweiligen Tradition und Redaktionskultur zusammen (vgl. Meier 2002g: 32). In ihren Innovationszielen stimmen die Konzepte meist überein – in ihren organisatorischen Details nicht (vgl. Meier 2006: 211). Das eine Newsroom-Modell gibt es nicht. Diese Tatsache erschwert vergleichende und generalisierende Aussagen. Auch der Forschungsstand lässt sich an dieser Stelle nicht in gewohnter Weise referieren, weil der Gegenstand der Betrachtung so vielfältig und verhältnismäßig neu ist; die Umbaulawine rollte erst nach der Jahrtausendwende los (vgl. Meier 2005: 397). Die theoretische und empirische Decke ist daher (noch) dünn. „Es gibt [..] weder flächendeckende Erhebungen noch einheitliche Definitionen.“ (Meier 2006: 206). Dennoch lassen sich – auf Basis einer Literaturanalyse und unter Rückgriff auf Fallbeispiele – sowohl zentrale Strukturmerkmale von, als auch typische Arbeitsabläufe in diesen innovativen Redaktionsmodellen zusammenfassen. Beides soll im Folgenden geschehen, um Newsrooms anschließend auf ihre Vor- und Nachteile hin analysieren zu können. Um eine klare Kontrastierung zur klassischen Redaktionsorganisation und somit eine bessere Nachvollziehbarkeit zu erreichen, gliedert sich Kapitel 3 analytisch ähnlich wie Kapitel 2: Nach der Begriffsdefinition erfolgt die Beschreibung der Aufbau organisation von Newsrooms (Strukturmerkmale), anschließend wird die Ablauf organisation (Arbeitsabläufe) vorgestellt, wobei sich beide Ebenen bei der Beschreibung von Newsroom-Konzepten nicht immer klar trennen lassen, sodass teilweise Überlappungen entstehen. Im Anschluss werden zur Veranschaulichung einige Fallbeispiele von Newsrooms genauer vorgestellt.

3.2 Begriffsdefinition „Newsroom“ und „Newsdesk“

Newsrooms stehen international seit mehreren Jahren im Zentrum redaktioneller Innovationen, und auch in Deutschland gewinnen sie nun zunehmend an Bedeutung (vgl. Meier 2007a: 358). Neueren Schätzungen zufolge hat hierzulande bereits etwa die Hälfte der 137 publizistischen Einheiten „Newsrooms“ eingeführt (vgl. Lungmus 2007: 30; Meier 2007a: 356). Gemeinsam ist den innovativen Redaktionskonzepten, dass es bei ihnen um die „Neu-Organisation und Neu-Definition von Strukturen, Abläufen und Tätigkeiten“ geht (Meier 2006: 204). Zentral erscheint zudem, dass nicht wild neue Arbeitsformen eingeführt, sondern zunächst Strategien und Ziele definiert werden, bevor man die redaktionellen Strukturen daraufhin ausrichtet (vgl. Meier 2002g: 32). Unter den Motiven für Newsrooms stechen dabei drei Ziele hervor[12]: Erstens sollen hier, meist mithilfe eines „Newsdesks“, die Ressorts zusammengeführt, ressortübergreifende Teams gefördert sowie Themen- und Produktinnovationen ermöglicht werden. Optimierte Kommunikation und Arbeitsabläufe sollen zweitens sowohl Qualität als auch Effizienz steigern, wodurch (gegebenenfalls trotz weniger Personal) Freiräume für Eigenproduktionen geschaffen werden sollen. Drittens soll der Newsroom crossmediales Arbeiten und die Ausspielung der Inhalte über mehrere Plattformen erleichtern beziehungsweise ermöglichen (vgl. Meier 2006: 204f.). Da viele Redaktionen die Anglizismen „Newsroom“ und „Newsdesk“ teils nur im weitesten Sinne verwenden und begriffliche Missverständnisse bestehen[13], hat Meier eine Definition vorgenommen (vgl. ebenda: 210):

- Der Newsroom ist demnach „nicht einfach ein traditionelles Großraumbüro, sondern unterstützt architektonisch neue redaktionelle Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens und Arbeitens. Die Wände zwischen Ressorts und Medien werden eingerissen; alle Journalisten sitzen in einem gemeinsamen Redaktionsraum und sollen sich so besser absprechen und koordinieren. Mit dem Begriff ‚Newsroom‘ ist indes gar nicht so sehr die Architektur, sondern eher das neuartige Organisationsmodell und die neue Art journalistisch zu denken und zu handeln gemeint. Oft ist die Rede vom ‚Fall der Mauern im Kopf‘.“
- Der Newsdesk hingegen ist „eine Koordinations- und Produktionszentrale, in der alles zusammenläuft, was die Redaktion an Material zur Verfügung hat. In Zeitungsredaktionen werden dort die Seiten verschiedener Ressorts und/oder Lokalredaktionen gemeinsam koordiniert und produziert. Am Newsdesk können zudem crossmedial mehrere Plattformen abgestimmt und bedient werden. Je nach Konzept können am Newsdesk nur ein oder zwei Redakteure, aber auch bis zu einem Dutzend oder sogar noch mehr Redakteure […] sitzen.“

Häufig werden beide Konzepte verbunden: Der Newsdesk bildet dann das Zentrum eines Newsrooms. Die vorliegende Analyse lehnt sich an Meiers (einschlägigen) Definitionsvorschlag an, fokussiert sich aber – aus Gründen der Vergleichbarkeit und weil es die meisten der umstrukturierten Redaktionen betrifft – auf Newsroom-Modelle, die mit einem Newsdesk arbeiten und ferner mindestens zwei verschiedene Plattformen (etwa Print und Online) integrieren.

3.3 Eingerissene Mauern: Wie Newsrooms aufgebaut sind

Zunächst soll beschrieben werden, welche zentralen Strukturmerkmale Newsrooms auszeichnen. „Wer Ressortmauern einstürzen lässt, macht auch vor wirklichen Wänden nicht Halt.“ (Raue 2004: 23). Die Idee eines Newsrooms stellt viele Redaktionen erst einmal vor architektonische Herausforderungen: Es müssen Mauern eingerissen oder neue Räumlichkeiten bezogen werden, damit die einst durch separate Ressort-/Einzelbüros getrennten Redakteure in einem gemeinsamen Großraum auch physisch zusammenrücken können. Im Newsroom arbeiten dann die Redakteure aller Ressorts sowie Produktionsabteilungen (Bild, Grafik, Dokumentation, etc.) zusammen. Das ‚Herzstück‘ bildet der Newsdesk, der oft zentral in der Raummitte positioniert ist. Er ist der Dreh- und Angelpunkt der Redaktion, an dem alle Fäden zusammenlaufen (vgl. Mast 2008: 497). Newsroom-Konzepte lehnen sich am Vorbild angelsächsischer Redaktionsorganisation an, die auf funktionaler Arbeitsteilung und Spezialisierung der Redakteure in „editors“ und „reporters“ basiert (vgl. Kap. 2.1.3.1). Am Newsdesk vereinigen sich die inhaltlichen, fachlichen und organisatorischen Kernkompetenzen der Redaktion: Sogenannte ‚Editoren‘ sind hier zusammen mit Technikredakteuren für die Planung, Organisation, Produktion und Kontrolle der journalistischen Beiträge zuständig. Mit ihnen am Desk sitzt der ‚Redaktionsmanager‘ (ähnlich dem ‚Chef vom Dienst‘, vgl. Kap. 2.1.4), dem der Kontakt zu allen anderen Abteilungen (Druck, Anzeigenabteilung, etc.) und die Koordination von Mantel- und Lokalredaktionen obliegen. Der ‚Desk-Chef‘ ist im Tandem mit der Chefredaktion gesamtverantwortlich (vgl. Ritter 2004: 11).[14]

Mithilfe des Newsdesks können Themenplanung und Abläufe von einer zentralen Stelle aus gesteuert werden (vgl. Mast 2008: 497). Die genaue Zusammensetzung bestimmen die einzelnen Redaktionen: So gibt es Tische, an denen immer ein fest installiertes Editoren-Team sitzt, Desks, deren Besetzung wochenweise nach dem Rotationsprinzip wechselt, und Tische, die zwar eine feste Einteilung aufweisen, bei denen aber auch die Newsdesk-Leute ein, zwei Themen haben, um die sie sich kümmern, sodass auch sie gelegentlich zum Schreiben kommen (vgl. Kemper 2004: 31). Idealtypisch sind um den Newsdesk herum weitere Desks angeordnet, an denen nach Themen zusammengestellte Teams sitzen. Die Redakteure an diesen Tischen erfüllen funktional die Aufgabe der ‚Reporter‘: Sie recherchieren und bearbeiten die ihnen zugewiesenen Themen. In einigen Redaktionen fungiert an jedem dieser Tische ein Desk-Chef (ähnlich einem Ressortleiter, vgl. Kap. 2.1.3.3) für das Team; dabei sitzt er häufig am Tischkopf in unmittelbarer Nähe zum Newsdesk. Jedoch sind die Hierarchien im Newsroom deutlich abgeflacht: Ein Desk-Chef besitzt nicht die Machtfülle, wie sie einst ein Ressortleiter inne hatte, da alle relevanten Entscheidungen am Newsdesk getroffen werden.

Charakteristisch für Newsrooms ist auch das medienübergreifende Arbeiten: „Es geht um eine neue Philosophie des crossmedialen Publizierens, bei der die Information und die Lesergewohnheiten im Vordergrund stehen und nicht mehr das klassische Trägermedium Zeitung.“ (Rainer Mittelbach, damaliger IFRA -Chef, zit. nach Milz 2005: 186). Vom Newsdesk aus können mehrere Plattformen abgestimmt und bedient werden – von der Zeitung übers Web bis zu mobilen Endgeräten. Insbesondere der Verzahnung von Print und Online kommt hier eine tragende Rolle zu: Zeitungsredaktionen nutzen den Newsroom dafür, die einst am ‚Katzentisch‘ oder in separaten Räumen untergebrachten, oft als ‚zweitklassige‘ Journalisten betrachteten Online-Redakteure mit ihren Print-Kollegen zusammenzubringen und in die ‚Mutter-Redaktion‘ zu integrieren. „Wo stets ein wenig überheblich Distanz gepflegt wurde, soll künftig Nähe herrschen.“ (Mast 2008: 647).

Newsroom-Konzepte stellen in ihrer Aufbauorganisation eine „angepasste Kombination“ (Nowack 2009: 121) aus Funktional- und Spartenorganisation (vgl. Kap. 2.1.3.1) sowie Ein-Linien- und Mehr-Linien-Organisation (vgl. Kap. 2.1.3.3 und Kap. 2.2.3) dar. Das Newsdesk-Prinzip bringt eine funktionale Arbeitsteilung und zentrale Steuerung mit sich. Die formalen Ressortgrenzen weichen auf; die Redakteure arbeiten ressortübergreifend in Teams, welche situations- und themenabhängig immer wieder neu zusammengestellt werden (vgl. Meier 2004a: 99; Mast 2008: 495ff.). Dennoch schwindet die Ressortzugehörigkeit nicht völlig: Die Redakteure bleiben fachlich spezialisiert, ihre Sachkompetenz wird ausgiebig und unterschiedlich genutzt. So schreibt etwa der Experte für Wirtschaftspolitik meist für die Politikseiten, bei Bedarf aber auch (zusammen mit Kollegen) für die Wirtschaftsseiten (vgl. Meier 2004a: 99).[15] Mit dem Newsroom-Prinzip verabschieden sich die meisten Redaktionen von der traditionellen Gleichung ‚Ressort = Sparte‘ (vgl. Meier 2002f: 103; vgl. auch Kap. 2.1.3.2). Zwar bleiben die Sparten in der Zeitung bestehen – vielfach werden sie optisch sogar stärker voneinander abgehoben – doch entspricht die Gliederung des Printprodukts nicht mehr der Gliederung der Redaktion. Bei der Planung steht anstatt der Sparten- jetzt die Themen orientierung im Mittelpunkt (vgl. ebenda).

[...]


[1] Mitunter werden damit die Gesamtheit aller journalistischen Mitarbeiter, die Räume bzw. die organisatorischen Strukturen, in denen sie arbeiten, oder auch die Tätigkeit der Redakteure bezeichnet (vgl. Meier 2005: 394).

[2] Neben der Redaktion werden traditionell die verlagsinternen funktionalen Teilbereiche ‚Anzeigen‘, ‚Technik‘ und ‚Vertrieb‘ unterschieden (vgl. Moss 1998: 84).

[3] Daneben sind zusätzlich Volontäre und freie Mitarbeiter in die redaktionelle Arbeit eingebunden.

[4] Ferner kann unterschieden werden, ob eine Redaktion eher dezentral und demokratisch geführt wird (Kollegialverfassung), oder strikt hierarchisch (Chefredakteursverfassung), wobei Letzteres weit häufiger vorzufinden ist (vgl. Weischenberg et al. 2006: 74).

[5] Ferner erfüllen sie die Funktion der internen Wertevermittlung: Redakteure werden in den Konferenzen ‚auf Redaktionslinie gebracht‘ (vgl. Weischenberg 1992: 319).

[6] Selbst der Ertrag aus ‚Kleinanzeigen‘ (wie Jobbörse, Immobilienmarkt, etc.) sinkt, weil sich diese Rubriken ins Internet verlagern (vgl. Mast 2008: 194; Karle 2009: 76).

[7] Mast zufolge stellen bereits mehr als 50 deutsche Zeitungs-Websites ihren Nutzern Video-Nachrichten zur Verfügung (vgl. Mast 2008: 25). Ruß-Mohl zitiert eine Studie aus dem Jahr 2007, laut der in den USA gar 92 Prozent der Zeitungen online Videos offerieren und 49 Prozent auch Podcasts (vgl. Ruß-Mohl 2009: 141).

[8] War im Jahr 2005 die durchschnittliche Zahl der Journalisten pro Redaktion bereits um ein knappes Zehntel gesunken (vgl. Weischenberg et al. 2006: 188), dürften die Entlassungswellen der vergangenen Jahre die personellen Ressourcen in den Redaktionen weiter ausgedünnt haben.

[9] Einer Studie von Meier zufolge experimentierten um die Jahrtausendwende bereits 80 Prozent der deutschen Zeitungschefredakteure mit innovativen Modellen (vgl. Meier 2002e: 286ff.).

[10] Ferner gibt es noch die Matrix-Organisation, eine Kombination aus funktionalen und objektorientierten Gruppen wie Layouterpools oder Reportergruppen, die jedoch in der Praxis selten vorkommt. Auch die anderen Organisationsformen existieren häufig nicht in Reinform (vgl. Meier 2004a: 99; Mast 2008: 495).

[11] Hierfür wurden 700 Redakteure aus 120 Ländern befragt (vgl. Chainon 2008; IFRA Newsplex News Area).

[12] Wobei nicht jedes davon bei jedem Umbau eine Rolle spielen muss (vgl. Meier 2006: 206).

[13] So meint etwa der Begriff „Newsroom“ im anglo-amerikanischen Raum übersetzt nichts anderes als ganz einfach die Redaktion an sich (vgl. Meier 2006: 209).

[14] Bei einigen Zeitungen haben auch die Lokalredaktionen eigene Newsdesks (vgl. Nowack 2009: 121).

[15] Einige Redaktionen behalten ihre klassische Ressortstruktur auch im Newsroom ganz bei und setzen nur sporadisch ressortübergreifende Teams ein, während sie jedoch Themenverteilung, -koordination, -platzierung sowie die Produktion dem Newsdesk überlassen (vgl. Lungmus 2007: 31; Mast 2008: 503).

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Newsroom: Vor- und Nachteile der Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschafft)
Note
1,6
Autor
Jahr
2010
Seiten
102
Katalognummer
V206919
ISBN (eBook)
9783656340553
ISBN (Buch)
9783656340751
Dateigröße
797 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Journalismus, Redaktionen
Arbeit zitieren
Olivia Konieczny (Autor:in), 2010, Newsroom: Vor- und Nachteile der Neuorganisation journalistischer Redaktionsarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206919

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