Die Erklärungskraft der Wertewandeltheorie von Ronald Inglehart am Beispiel der Entstehung der Partei „Die Grünen“ in Deutschland


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Theorie des Wertewandels nach Ronald Inglehart
2.1 Schlüsselhypothesen der Theorie
2.1.2 Die Sozialisationshypothese
2.2 Intergenerationeller W andel und Stabilität der W erte
2.3 Prognostizierte politische Konsequenzen und Folgen der Theorie
2.3.1 Materialismus und Postmaterialismus als neue Konfliktlinie
2.3.2 Politische Präferenzen und politisches Handeln

3. Die Grünen aus Sicht der Theorie des Wertewandels von R. Inglehart
3.1 Hintergründe bis hin zur Entstehung der Partei
3.1.1 Die Studentenbewegung
3.1.2 Die „Neuen sozialen Bewegungen“
3.2 Mitglieder, W ahlen und W ähler der Partei
3.3 Programmatik der Partei

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Der Zeitgeist weht gerade ein wenig grün “
(www.sueddeutsche.de)

Dieser Satz von Frank-Walter Steinmeier in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 06.11.2010, trifft den Untersuchungskern dieser Hausarbeit. Die Partei, welche mit diesem Satz angesprochen wurde, ist in Deutschland unter dem Namen „Die Grünen“ (bzw. seit 1993 Bündnis 90/DIE GRÜNEN) bekannt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entstehung, den Wählern und der Programmatik der Partei in ihren Gründungsjahren, unter Berücksichtigung der Wertewandeltheorie von Ronald Inglehart. In einem ersten Schritt wird das Theoriemodell des amerikanischen Politikwissenschaftlers in seinen Grundzügen vorgestellt. Die wichtigsten Schlüsselhypothesen Ingelharts, die Mangelhypothese und die Sozialisationshypothese, werden anschließend erläutert und münden daraufhin in der Beschreibung des von Inglehart erwarteten intergenerationellen Wandel und der Stabilität von Werten. Anschließend werden die prognostizierten, aus den Hypothesen resultierenden, politischen Folgen und Konsequenzen der Wertewandeltheorie dargestellt. Der zweite Block der Arbeit befasst sich mit der Partei der Grünen, unter Bezugnahme der vorher erläuterten Theorie. Interessant aus der Sicht des Wertewandels sind hierbei vor allem die Hintergründe bis zur Entstehung, die Mitglieder und Wähler, sowie die Programmatik der Partei. Diese Arbeit soll jedoch nicht nur die Genese und die Geschichte der Grünen in Deutschland skizzieren, sondern dies in Hinsicht auf spezifische Faktoren und Gegebenheiten, welche sich hierzulande als besonders fruchtbar für eine postmaterialistische Partei zeigen. Innerhalb dieser Unterkapitel wird versucht, die Erklärungskraft der Wertewandeltheorie kritisch zu beleuchten, wobei nur auf die wesentlichen Erwartungen Ingleharts diesbezüglich eingegangen werden kann. In einem abschließenden Fazit wird das Ergebnis dieser Untersuchung festgehalten, Schwächen verdeutlicht und Schlussfolgerungen gezogen.

2. Die Theorie des Wertewandels nach Ronald Inglehart

Die Theorie des Wertewandels wurde maßgeblich von dem US-amerikanischen Politologen Ronald Inglehart geprägt. Mit seinem Buch The Silent Revolution von 1977, legte er die Grundlage für die anschließend folgende empirische Wertewandelforschung. Nach Inglehart unterliegen die Werte und Einstellungen eines Menschen den Einflüssen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Folge von langfristiger wirtschaftlicher Sicherheit, so die Hypothese, sei die Verschiebung der Wertprioritäten vom Materialismus hin zum Postmaterialismus. Dabei streben die jüngeren Alterskohorten, vor allem die nach dem zweiten Weltkrieg geborenen, weniger nach materieller und ökonomischer Sicherheit als die älteren (Inglehart 1977: 23). „Postmaterialistisch“ nennt Inglehart das Werteverhalten, welches verstärkt bei jüngeren Generationen auftreten soll. Schubert und Klein (2006) definieren Postmaterialismus wie folgt: “Politisch-soziologische Theorie, die davon ausgeht, dass in den modernen Demokratien die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung soweit befriedigt sind, dass die Erfüllung immaterieller Bedürfnisse (emanzipative, ökologische, ästhetische etc. Werte) zunehmend wichtiger wird. Dadurch würden sich sowohl neue Sozialmilieus als auch spezifische Interessenlagen entwickeln, so dass Parteien, Gruppen und Bewegungen, die diese Interessen vertreten, politisch wichtiger werden“. Im folgenden Kapitel wird das Theoriemodell in seinen Grundzügen beschrieben und auf die wesentlichen Begriffe und Hypothesen Ingleharts eingegangen, welche für eine anschließende Betrachtung der Partei Die Grünen unter Bezugnahme der Theorie des Wertewandels benötigt werden.

2.1 Schlüsselhypothesen der Theorie

Inglehart legt seiner Theorie des Wertewandels zwei wesentliche Schlüsselhypothesen zur Erforschung des materialistischen/postmaterialistischem Wertewandels zu Grunde. Erstens, die Mangelhypothese und die damit einhergehende Sättigungshypothese, welche auf die Bedürfnispyramide nach Maslow zurückzuführen ist und zweitens, die Sozialisationshypothese (Inglehart 1998: 190-191). Im Folgenden werden die Hypothesen genauer erläutert und dargestellt.

2.1.1 Die Mangelhypothese

Die Mangelhypothese besagt, dass die Prioritäten eines Menschen sein sozio- ökonomisches Umfeld reflektieren und somit der Mensch den Dingen den größten subjektiven Wert beimisst, welche relativ knapp sind (Inglehart 1995: 92). Die Volkswirtschaft spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Anhand der von dem Psychologen Abraham Maslow erstellten pyramidenartigen Hierarchie menschlicher Bedürfnisse, wird von verschiedenen Bedürfnissen eines Menschen gesprochen. Abbildung 1 zeigt die verschiedenen Hierarchiestufen mit dazugehörigen Beispielen.

Abbildung 1: Bedürnispyramide nach Abraham Maslow

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Bedürfnisse reichen von den physiologischen Grundbedürfnissen und physischer Sicherheit, bis zu den immateriellen Bedürfnissen, den „selfactualization needs“ (Inglehart 1977: 22). Mit immateriellen Bedürfnissen sind beispielsweise soziale Anerkennung, Wertschätzung, ästhetische Befriedigung oder Selbstverwirklichung gemeint, welche einem Subjekt erst zur Einzigartigkeit und Individualität verhelfen. Ingelhart ist der Meinung, je weiter man sich von den materiellen und lebensnotwendigen Bedürfnissen entfernt, desto unklarer wird die Rangordnung der menschlichen Bedürfnisse. Klar sei jedoch, dass ein grundsätzlicher Unterschied zwischen materiellen und immateriellen Bedürfnissen besteht (Ingelehart 1995: 93). Die Sättigungshypothese spielt der Mangelhypothese zu. Nach Maslow muss erst das grundlegendste Bedürfnis befriedigt sein, um den Wunsch nach höheren Zielen zu verspüren. Personen, die nach seinem Modell (siehe Abbildung 1) die ersten vier Bedürfnisse befriedigt haben, nennt er „basically satisfied“, so dass es lediglich noch das letzte Bedürfnis zu befriedigen gilt, die Selbstverwirklichung (Maslow 1943). Die Mangelhypothese alleine hat jedoch laut Inglehart wenig Erklärungskraft für die Ausbreitung postmaterialistischer Werte, sondern muss im Zusammenhang mit der Sozialisationshypothese interpretiert werden (Inglehart 1995: 93).

2.1.2 Die Sozialisationshypothese

Wie im Zuge des vorherigen Kapitels erläutert, bedarf es einer Kombination der bereits vorgestellten Mangelhypothese mit der im Folgenden erläuterten Sozialisationshypothese, um adäquate Voraussagen über den Prozess des Wertewandels treffen zu können. Nach Inglehart ergeben sich Wertprioritäten nicht unmittelbar aus dem sozio-ökonomischen Umfeld, sondern werden durch die Wertevorstellungen bedingt, welche im Jugendalter, der so genannten formativen Phase eines Menschen, vorherrschend waren. Demnach wird die grundlegende Persönlichkeitsstruktur eines Menschen in der Zeit geprägt, in der er heranwächst (Inglehart 1998: 191). Beispielsweise ist das Verhältnis zwischen dem ökonomischen Niveau einer Gesellschaft und dem Vorherrschen postmaterialistischer Werte keine Eins-zu-Eins- Beziehung. Sicherheitsgefühle sind nicht nur von der aktuellen Situation abhängig, sondern auch von den jeweiligen kulturellen und anderen Hintergründen aus der Zeit des Heranwachsens eines Menschen, der Sozialisation. Die Sozialisationshypothese impliziert an dieser Stelle, dass ein fundamentaler Wertewandel nicht abrupt, sondern sich allmählich über einen längeren Zeitverlauf hinweg vollzieht (Inglehart 1995: 94).

2.2 Intergenerationeller Wandel und Stabilität der Werte

Den laut Inglehart stattfindenden Aufschwung der postmaterialistischen Werte, führt er unter anderem nach den oben beschriebenen Hypothesen auf die Lebenserfahrung der Nachkriegsgenerationen zurück, welche durch den wirtschaftlichen Aufschwung der 50er Jahre und der damit einhergehenden ökonomischen Sicherheit zu erklären ist. Des Weiteren erlebten die jüngeren Generationen in ihrer formativen Phase keinen totalen Krieg, weshalb sie das Bedürfnis der physiologischen Sicherheit als befriedigt empfinden. Neben den beschriebenen Unterschieden in der Sozialisationsphase der Generationen, nennt Ingelhart noch weitere Quellen des Wandels, wie beispielsweise die der technologische Innovationen und der Entwicklung der Massenkommunikation, welche die eher postmaterialistischen Werteprioritäten der jungen Generationen erklärt (Inglehart 1977: 6 ff.). Eine hohe Stabilität der Werteprioritäten hielt Inglehart in seinem Buch The Silent Revolution fest, indem er auf eine Studie im Saarland verwies. 61 Prozent der Befragten wiesen nach einer erneuten Befragung nach einem Jahr in 1974 dieselben Werteprioritäten auf, obwohl während dieser Zeit eine schlechte, konjunkturell bedingte, wirtschaftliche Lage vorherrschte. Somit belegte Inglehart die These, dass spezifische Effekte einer bestimmten Periode (Periodeneffekte), beispielsweise einer Rezession, weniger starken Einfluss auf die Werteprioritäten von Menschen haben als die Prägung in den Jahren des Heranwachsens (Ebd.: 100-101). Zusammenfassend ist zu sagen, dass Inglehart annimmt, dass wir immense Unterschiede zwischen der vor dem zweiten Weltkrieg und der nach dem Krieg geborenen Generationen erwarten können. Dies vor allem hinsichtlich der Bewertung von materiellen und postmateriellen Werteprioritäten und Zielen (Klages/Kmieciak; 1979: 283).

2.3 Prognostizierte politische Konsequenzen und Folgen der Theorie

Als Politologe interessiert sich Ronald Inglehart natürlich für die politischen Konsequenzen und Folgen seiner Theorie des Wertewandels, welche zunächst lediglich einen gesellschaftlichen Prozess darstellt. Inglehart sieht in der Verlagerung der Bedürfnisse, weg von materialistischen, hin zu postmaterialistischen Bedürfnissen, weitreichende Folgen für das soziale und das politische Leben hochentwickelter Industriegesellschaften (Inglehart 1979: 281). Im Folgenden werden verschiedene Facetten dieser Folgen beleuchtet.

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Erklärungskraft der Wertewandeltheorie von Ronald Inglehart am Beispiel der Entstehung der Partei „Die Grünen“ in Deutschland
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Politikwissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
20
Katalognummer
V210019
ISBN (eBook)
9783656382027
ISBN (Buch)
9783656383697
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Die Grünen, Ronald Inglehart, Wertewandel, Bündnis 90, Werte
Arbeit zitieren
Tim Mehlig (Autor:in), 2012, Die Erklärungskraft der Wertewandeltheorie von Ronald Inglehart am Beispiel der Entstehung der Partei „Die Grünen“ in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210019

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