Die Armutstheologie im Lukasevangelium

Sozialgeschichtliche Hintergründe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entstehungssituation des Lukasevangeliums

3 Armutstheologie bei Lukas

4 Zentrale Texte und Begriffe der Armutstheologie im Lukasevangelium
4.1 Lukas 9,1-6: Aussendung der Jünger
4.2 Lukas 12,16-21: Der reiche Narr
4.3 Lukas 16,19-31: Der arme Lazarus und der reiche Mann
4.4 Die Begriffe für Armut im Lukasevangelium
4.5 Die Begriffe für Reichtum im Lukasevangelium

5 Sozialgeschichtliche Hintergründe
5.1 Absolute Armut
5.2 Reichtum
5.3 Relative Armut

6 Zusammenfassende Beobachtungen zur Armutstheologie im Spiegel der Sozialgeschichtlichen Hintergründe

7 Kritische Würdigung

8 Literaturverzeichnis

Rechtliche Erklärung

1 Einleitung

Im Lukasevangelium wendet sich Jesus den Armen der Gesellschaft stärker zu und übt eine radikalere Kritik an den Reichen als in den anderen Evangelien. Indem er den Armen das Reich Gottes zuspricht, es den Reichen jedoch verwehrt, entsteht ein stark polarisiertes Bild dieser Personengruppen.

In dieser Arbeit soll dieses Bild anhand der sozialgeschichtlichen Hintergründe von Armut und Reichtum zur damaligen Zeit näher untersucht werden. Es wird der Frage nachgegangen, ob und in welchem Maße sich die Lebensverhältnisse der Menschen tatsächlich voneinander unterschieden. Dazu muss eine Untersuchung dessen erfolgen, was genau Lukas unter Armut versteht und wer und warum man in diesen Zustand gelangte. Des Weiteren soll beleuchtet werden, ab welchen Umständen damals jemand als reich galt und was diesen Zustand kennzeichnete.

Dazu wird im ersten Teil der Arbeit ein Überblick über die Armutstheologie im Lukasevangelium gegeben. Im nächsten Abschnitt erfolgt die Betrachtung von drei zentralen Texten dieses Evangeliums und ihre Untersuchung hinsichtlich sozialgeschichtlicher Hintergrundinformationen. Außerdem werden einige für diese Thematik wichtige Begriffe in ihrer damaligen Bedeutung erörtert, woraus eine umfassende Darstellung der von Lukas verwendeten Begriffe Armut und Reichtum gewonnen werden soll. Im letzten Punkt erfolgt die Zusammenführung der Untersuchungsschwerpunkte, indem die Armutstheologie im Spiegel der sozialgeschichtlichen Hintergründe betrachtet wird.

2 Entstehungssituation des Lukasevangeliums

Die Entstehungssituation des Evangeliums kann an dieser Stelle nur kurz angerissen werden, um im Besonderen auf die Frage der sozialgeschichtlichen Situation der Empfänger einzugehen.

Ab Mitte des zweiten Jahrhunderts finden sich mehrere Schriften von Kirchenvätern, in denen aufgrund der Wir-Passagen in der Apostelgeschichte[1] Lukas, dem Begleiter des Paulus, die Verfasserschaft des Lukasevangeliums, sowie der Apostelgeschichte zugerechnet wurde.[2] Beide Werke werden zusammen als Doppelwerk bezeichnet, vor allem wegen der gemeinsamen Widmung an einen Theophilus und hinsichtlich der sprachlichen und theologischen Einheit.[3] Als Argument gegen eine Autorenschaft des Lukas, als dem persönlichen Begleiter des Paulus, wird darauf verwiesen, dass zentrale Aspekte der Theologie von Paulus nicht wiedergegeben werden und sich Spannungen in der Darstellung über die Missionsreisen des Paulus finden lassen.[4]

Über den Verfasser, der im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Lukas bezeichnet wird, lässt sich jedoch mit Sicherheit sagen, dass er vertraut war mit der LXX und „sich der griechisch-römischen Geschichtsschreibung verpflichtet“[5] fühlte. Seine Schreibweise zeichnet sich, im Vergleich zu den anderen Schriften des Neuen Testamentes, „durch sprachliche Gewandtheit und stilistische Vielseitigkeit aus.“[6]

Die Tatsache, dass Lukas semitische Begriffe ins Griechische übersetzte, spricht dafür, dass er sein Evangelium vor allem an die heidenchristlichen Gemeinden schrieb.[7] Das Abfassungsdatum des Lukasevangeliums liegt bei den verschie-denen Auslegungen in einem Zeitraum zwischen 60-90 n.Chr. Für eine Spätdatierung wird auf die Tempelzerstörung in Jerusalem im Jahre 70 n.Chr. verwiesen, welche in Lukas 21,20-24 als Rückblick dargestellt worden sein könnte.[8]

Entscheidend für diese Arbeit ist die soziale Situation des Empfängers des Briefes, an welchen sich Lukas mit seinem Evangelium richtet. Das Evangelium ist namentlich einem gewissen Theophilus gewidmet, hinter dem sich eine historische Person verbergen könnte,[9] welche Lukas vielleicht sogar bei seinen Schreibtätigkeiten finanziell unterstützt hatte. Solche Widmungen wurden damals typischerweise an den finanziellen Unterstützer einer Schrift gerichtet, denn der Verfasser war aufgrund der hohen Kosten seiner Schreibtätigkeiten auf diese Person angewiesen.[10] Man kann demnach davon ausgehen, dass Theophilus ein wohlhabender Christ war.[11] Weiterhin ist festzuhalten, dass sich die Paränesen im Evangelium in den meisten Fällen an Reiche wenden.[12] Außerdem findet sich an mehreren Stellen starke Kritik an Reichtum, wie zum Beispiel in den Weherufen (Lukas 6,24-26) und in den darauf folgenden radikalen Forderungen zum Teilen (Vers 29-30). Gleichzeitig wendet sich Lukas im Besonderen den Randgruppen der israelischen Gesellschaft zu.[13] In seinem Evangelium stellt „Jesus […] die Armen geradezu in den Mittelpunkt seiner Mission und erklärt sie dadurch in betonter Weise als der Gottesherrschaft würdig.“[14] Zusammenfassend bewertet Udo Schnelle die Frage nach den Adressanten des Evangeliums im Folgenden sehr treffend: „Lukas schrieb insofern ein Evangelium an die Reichen für die Armen.“[15]

3 Armutstheologie bei Lukas

Die Thematik Reichtum und Armut wird im Lukasevangelium wie in keinem anderen Evangelium mit besonderer Deutlichkeit dargelegt. Lukas wendet sich im Besonderen den Randgruppen, also den sozial Benachteiligten der israelischen Gesellschaft zu.[16] Jesus beschreibt in seiner Antrittsrede in Lukas 4,18-21, in welcher er sich auf Jesaja 61,1-2 bezieht, seine Botschaft deutlich als Evangelium für die Armen[17] und dieselbe Ausrichtung findet sich auch in den Seligpreisungen in Lukas 6,20-23. Im starken Kontrast dazu stehen die Weherufe an die Reichen in den Versen 24 bis 26. Auffällig ist auch, das sich die Seligpreisungen an Menschen mit realer Armut richten, welche hier durch Hunger gekennzeichnet ist, und nicht, wie im Matthäusevangelium, an Menschen mit geistlicher Armut.[18] „Die Mission Jesu gilt den wirklich Armen, seien sie inhaftiert, krank oder hoffnungslos verschuldet.“[19] Darüber hinaus verwendet das Lukasevangelium, im Gegensatz zu den anderen Evangelien, deutlich häufiger Begriffe wie Armut und Reichtum und enthält eine Vielzahl von Sondergut-Perikopen über diese Thematik.[20]

Bettina Rost beschreibt die Kapitel 14 bis 16 als das „Herzstück[s] des Lukasevangeliums“[21], in welchem Armut und Reichtum eine zentrale Bedeutung einnehmen. In Kapitel 14 wird das große Gastmahl beschrieben, zu dem die „Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen“[22] von der Straße eingeladen wurden. Dies zeigt, so Rost, dass „die Armen […] nicht nur der Mildtätigkeit würdig [sind], sondern ebenso der Gemeinschaft.“[23] Deutlich hebt Lukas in seinem Evangelium hervor, dass Armut auch immer eine Dimension der gesellschaftlichen Ausgrenzung enthält,[24] wofür die lukanische Erzählung vom Verlorenen Sohn in Kapitel 15 ein weiteres Beispiel darstellt. Das Kapitel 16 widmet sich „de[m] rechte[n] Umgang mit Besitz – im Blick auf die Zukunft.“[25] Die Geschichte vom armen Lazarus aus demselben Kapitel, welche Armut und Reichtum in sehr pointierter Form gegenüberstellt, soll in einem späteren Abschnitt näher betrachtet werden.

Ein weiteres zentrales Merkmal der Armutstheologie bei Lukas sind die strengen Armutsforderungen an die Jünger Jesu. An vielen Stellen, wie zum Beispiel bei der Berufung von Petrus und Levi, steht das „radikalisierende[…] Wörtchen panta[26], wodurch die entsprechenden Beschreibungen der anderen Evangelien in ihrer Radikalität übertroffen werden.[27] Hierzu zählen auch die zugespitzten Anweisungen Jesu bezüglich der Ausrüstung der Jünger in Lukas 9,3, in denen ihnen noch nicht einmal die Grundausstattung eines Reisenden zugestanden wird.[28] Auch in der Geschichte vom reichen Jüngling (Lukas 18,18-27) findet sich die Aufforderung, all seinen Besitz zu verkaufen und den Erlös den Armen zu spenden.[29] Insgesamt stehen hinter diesen radikalen Aufforderungen „in erster Line nicht asketische Ambitionen des Lukas“[30], sondern vielmehr ein Wahrnehmen und praktisches Zuwenden zum Nächsten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es Lukas nicht um ein Armutsideal, sondern um die „Zuwendung zur Welt“[31] geht. „Das große Thema des Lukas scheint es zu sein, sich zu interessieren für den Mitmenschen aus der Perspektive Gottes, statt auf sein eigenes Wohlbefinden oder Vermögen fixiert zu sein.“[32]

[...]


[1] Apostelgeschichte 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1- 28,16.

[2] Vgl. Schnelle 283.

[3] Vgl. Carson 242.

[4] Vgl. Schnelle 284-285.

[5] AaO 287.

[6] Eckey, Band I 33.

[7] Vgl. Schnelle 288.

[8] Vgl. aaO 286. Dagegen tritt Donald A. Carson für eine Datierung vor der Tempelzerstörung ein und sieht hinter dem Abschnitt in Lukas eine prophetische Rede Jesu. Vgl. Carson 247-248.

[9] Vgl. Carson 250. Andere Forscher gehen aufgrund der Transliteration von Theophilus als „Gott-Liebende“, davon aus, dass es sich um eine allgemeine Anrede und nicht um eine historische Person handelte. Vgl. ebd.

[10] Vgl. Bovon, Band I 32. Gamble 83ff.

[11] Vgl. Eckey, Band I 63.

[12] Vgl. Schnelle 289.

[13] Vgl. Klein 58. Rost 12.

[14] Rost 43.

[15] Schnelle 288. Vgl. Rost 60.

[16] Vgl. Klein 58. Rost 12.

[17] Rost betont allerdings, dass diese Ausrichtung auf die Armen nicht als eine Abwendung von den Reichen verstanden werden darf. Vgl. Rost 43.

[18] Vgl. Neumann 51-52.

[19] Rost 40.

[20] Vgl. Stettberger 49.

[21] Rost 14.

[22] Lukas 14,21.

[23] Rost 14.

[24] Vgl. ebd.

[25] AaO 14.

[26] AaO 49.

[27] Vgl. aaO 47. Rost beurteilt die dargestellten Aufforderungen zur Armut als ein Literarisches Ideal, um die Kritik an den Reichen innerhalber der Christen zu verstärken. Vgl. aaO 54-55. Stegemann dagegen vermutet, dass Jesus und seine Anhänger zumindest für den Zeitraum, als sie umherzogen, zu den Armen zu zählen seien. Vgl. Stegemann, Armut 780.

[28] Vgl. Rost 48.

[29] Eine Spannung existiert zwischen den absoluten Besitzversichts -Forderungen im Lukasevangelium (10,4; 12,33; 14,33; 18,23) und dem teilweisen Besitzverzicht (16,1-8; 19,11-27). Herbert Stettberger sieht hierin die Ausrichtung an zwei verschiedenen Zielgruppen. Vgl. Stettberger 72-73.

[30] Rost 52.

[31] Ebd.

[32] AaO 59.

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Details

Titel
Die Armutstheologie im Lukasevangelium
Untertitel
Sozialgeschichtliche Hintergründe
Hochschule
Theologisches Seminar Elstal
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
21
Katalognummer
V212019
ISBN (eBook)
9783656400066
ISBN (Buch)
9783656400875
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialgeschichtliche, hintergründe, armutstheologie, lukasevangelium, reichtum, daikonie, Neue Testament
Arbeit zitieren
Jonas Schilke (Autor:in), 2011, Die Armutstheologie im Lukasevangelium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212019

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