Die Griechenlandkrise und die No Bailout-Klausel

Solidarität und Hilfen in der EU


Seminararbeit, 2013

27 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


I. Inhaltsverzeichnis

II. Literaturverzeichnis

III. Abkürzungsverzeichnis

A. Einführung

B. Getrennte Zuständigkeiten auf Ebene der Währungs- und Wirtschaftspolitik und daraus resultierender Koordinationsbedarf
a. Die Währungspolitik der Union und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten
b. Wirtschaftspolitische Vorgaben des Vertrages von Lissabon an die Mitgliedstaaten der Eurozone

C. Die Rolle der Solidarität auf europäischer Ebene
a. Der solidarische Grundgedanke der europäischen Union
b. Rechtlich angedachte Möglichkeiten, solidarische Finanzhilfen innerhalb der europäischen Union zu leisten
c. Das Spannungsverhältnis zwischen dem finanziellem Beistand und der „No Bailout“-Klausel

D. Das aktuelle Problem: Sind die Hilfsleistungen im Kontext der „Griechenlandkrise“ zulässig?
a. Inhalt und Zustandekommen der bilateralen Kredite, dem ESFM, dem ESFS und dem ESM
b. Vereinbarkeit der Hilfsleistungen mit europäischem Recht
c. Das Urteil des EuGH zum ESM vom 27. November 2012

E. Schlussteil

II. Literaturverzeichnis

ARD-DeutschlandTREND

Umfrage von Infratest dimap im März 2012; Thema: Meinung der Bundesbürger in Deutschland über die Verabschiedung des 2. Rettungspakets an Griechenland, abgerufen am 13.01.2012, http://www.infratest-dimap.de/2012/maerz/

Bieber, Roland

Beitrag in KQ zu Manfred Zuleege, Titel: Solidarität und europäische Integration, Titel des Beitrags: Solidarität als Verfassungsprinzip der europäischen Union, 1. Auflage, Baden-Baden 2002

Calliess,Christian

Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der europäischen Union,2.Auflage,Baden-Bade 999

Referat, Finanzkriese als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, S. 133ff. in VVDStRL Band 71

Calliess,Christian/
Ruffert,Matthias

Kommentar, Titel: Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Auflage, Münche 011

Classen,Dieter/
Nettesheim,Martin/
Oppermann,Thomas

Europarecht, 5. Auflage, München 2011

Deutsche
Bundesregierung

Stenografische Mitschrift der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Eurostabilisierungsmaßnahmen, a 9.Ma 010,abgerufe 3.01.2013, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Regierungserklaerung/2010/2010-05-19-merkel-erklaerung-eu-stabilisierungsmassnahmen.html

EuGH Urteil

EuGH Urteil in der Rechtssache C-370/12 (Pringle gegen Irland) vom 27.11.2012, abgerufen am 21.12.2012 auf beck-online.de, Begriff: BeckRS 2012, 82506

Fastenrath,Ulrich/
Grohe,Thomas

Europarecht, 3 Auflage, Stuttgart 2012

Grabitz,Eberhard/
Hilf,Meinhardt/
Nettesheim,Martin

Kommentar, Titel: Das Recht der europäischen Union, Band 1 EUV/AEUV, EL 48, München August 2012

Häde,Ulrich

Titel: Staatsbankrott und Krisenhilfe, in:EuZW, 2009, Hef , S.273-312

Titel: Die europäische Währungsunion in der internationalen Finanzkrise – An der Grenze europäischer Solidarität? in: EuR, 2010,S.854

Häde,Ulrich

Titel: Rechtsfragen der EU-Rettungsschirme, ZG 2011, S.1‑30

Titel: Euro-Rettung zwischen Exekutivprimat und Parlamentsvorbehalt, Dresdner Vorträge zu Staatsrecht (Hrsg. Arnd Uhle), Band. 4, 1. Aufl. 2012 Baden-Baden

Hakenberg,Waltraud

Europarecht, 6. Auflage, München 2012

Heidel,Thomas/
Hüßtege,Rainer/
Mansel,Heinz-Peter/
Noack,Ulrich

Kommentar, Titel: BGB Allgemeiner Teil – EGBGB, 2. Auflage 2011

Hentschelmann,Kai

Finanzhilfen im Lichte der No Bailout-Klausel – Eigenverantwortung und Solidarität in der Währungsunion, in: EuR, 2011, Heft 2, S. 282ff.

Herrmann, Christoph

Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten der Eurozone, EuZW2010, S.413

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsregierung in der europäischen Union, in Titel: Herausforderungen und Perspektiven der EU, Hrsg. Giegerich, 1. Aufl. 2012, S.50-75

Hieronymi, Tonia

Solidarität als Rechtsprinzip in der europäischen Union, Frankfurt am Main 2003

Höffe,Otfried

Gerechtigkeit – Eine philosophische Einführung, 3.Auflage, München 2007

Koslowski, Peter

Die Ordnung der Wirtschaft, Tübingen 1994

Lais, Martina

Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 1. Auflage, Baden-Baden 2007

Leon deWinter

Zurück zur EWG, abgedruckt in: DerSpiegel, 2012, Ausg. 20, S. 150

Oppermann Thomas

in FS für Wernhard Möschel, Titel FS: Recht, Ordnung und Wettbewerb (Hrsg. Matthias Rohe), Titel des Aufsatz: Eurostabilisierung durch EU-Notrecht, 1. Auflage 2011, S.910ff.

Streinz,Rudolf

Kurz-Kommentare EUV/AEUV, 2.Auflage, Münche 012

Kurz-Kommentare EUV/EGV, 1.Auflage, München 2003

Wieland, Joachim

in FS für Wahl, Rainer, Titel: Öffentliches Recht im offenen Staat, Titel des Aufsatz: Unter dem Rettungsschirm – Der Euro, die PIIGS und das Recht, 2011 Berlin, S.850

III. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einführung

Die europäische Union steht vor einer Herausforderung der ganz besonderen Art. Die „Griechenlandkrise“ bringt die Union und ihre Mitgliedsstaaten an die Grenze europäischer Solidarität. Die Bevölkerung der „Geberländer“ steht bisweilen nicht mehr voll und ganz hinter den Rettungsmaßnahmen.[1] Umgekehrt hätte der Bankrott eines Staates innerhalb der Eurozone unabsehbare Konsequenzen auf den Bestand des Euro und damit auf den Bestand der gesamten europäischen Union.[2]

Ziel dieser Arbeit ist es, zu prüfen, ob finanzielle Interventionen wie Sie derzeit in der „Griechenlandkrise“ aufgewandt werden, mit dem europäischen Recht und insbesondere der „NoBailout“-Klausel des Art.125AEUV vereinbar sind. Zudem soll untersucht werden, inwieweit diese Hilfen auf Solidarität zurückzuführen sind.

Um das Verständnis des heutigen, europäischen Regelwerks zu erleichtern wird dabei zunächst die gesellschaftliche, ökonomische und historische Entwicklung der europäischen Integration dargestellt.

Die europäische Idee besteht seit dem Mittelalter und wurde wenig später von Persönlichkeiten wie Emanuel Kant oder Saint Pierre Rousseau vertreten. Kant empfahl in seinem philosophischen Entwurf „Zum ewigen Frieden“ die Vereinigung der europäischen Völker. Mit dem „Marschall-Plan“ vo 947 nahm der europäische Gedanke eine neue Dimension an. Als Folge einer Euphorie der Zusammenschlüsse entwickelte man 1945 die UNO, 1948 die GATT und die OEEC (als Vorläufer der OECD) und 1949 die NATO. Ein nächster entscheidender Schritt auf dem Weg zur EU war die Gründung der EGKS 1951, auch Montanunion genannt. Die Initiative hierfür ging von Frankreich aus, welches vertreten durch den damaligen Außenminister RobertSchuman, Verhandlungen mit verschiedenen Ländern führte (insbesondere mit Deutschland), um eine Integration der Stahl- und Kohleindustrie auf europäischer Ebene zu etablieren (auch bekannt unter dem Namen „Schuman-Plan“). Schuman stellte den Plan am 9.Ma 950 vor, was heute als „Geburtstag“ der EU gilt und mit dem „Europatag“ gefeiert wird. Ziel der Verhandlung war es, durch die enge Verschmelzung der Schwerindustrien weitere Kriege auf dem europäischen Kontinent dauerhaft verhindern zu können. Im weiteren Verlauf nahm die wirtschaftliche Entwicklung auf dem europäischen Kontinent immer weiter Fahrt auf und es zeichneten sich erste Schritte hin zu einer allgemeinen Wirtschaftsgemeinschaft ab. 1957 wurden die EWG und die EAG gegründet. Ziel der EWG war bspw. der weitere Abbau der nationalen Grenzen, um freien Handel zu ermöglichen. Im Jahre 1992 wurde letztendlich der Binnenmarkt besiegelt, was den europäischen Handel stark voran brachte. Das letzte, ausgesprochen prägende Ereignis wurde 1993 im Maastrichter-Vertrag begründet. Inhalt des Vertrages war die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Innen- und Rechtspolitik. Außerdem wurde der Grundstein für die Währungsunion gelegt, welche mit der Einführung des Euro am 1.Janua 999 als gemeinsame Währung entstand. Des Weiteren wurde die EU im Sinne einer übergeordneten Institution gegründet.[3]

Die Entstehung der Währungsunion ist als ein ambivalenter, ökonomischer Meilenstein zu betrachten. Denn einerseits birgt eine einheitliche Währung für die einzelnen Wirtschaftssubjekte ehebliche Vorteile, da eventuelle Transaktionskosten bei grenzüberschreitendem Handel fortan entfallen - auf der anderen Seite jedoch bringt eine gemeinsame Währung auch beträchtliche Gefahren für die einzelnen Mitgliedsstatten in der Eurozone mit sich. So wird ein Staat im Währungsverbund ohne Handlungskompetenz hinsichtlich der eigenen Geldpolitik seinen Staatshaushalt durch geldpolitische Maßnahmen nicht mehr selbst beeinflussen können.[4]

Außerdem darf die Einführung der gemeinsamen Währung auch gesellschaftlich nicht unterschätzt werden. Es wäre wohl kaum möglich gewesen einen derartigen Integrationsschub mit anderen politischen Bemühungen zu erreichen. Dies mag insbesondere an der starken Symbolkraft einer gemeinsamen Währung für ein vereintes Europa liegen.[5]

B. Getrennte Zuständigkeiten auf Ebene der Währungs- und Wirtschaftspolitik und daraus resultierender Koordinationsbedarf

Die Tatsache, dass die europäischen Mitgliedstaaten (MSen), deren Währung der Euro ist, die Kompetenz zur eigenen Geldpolitik verloren haben, leitet über zu der Problematik der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und deren MSen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Wirtschaftspolitik und Währungsunion“ der EU und ihrer MSen. Damit ist gemeint, dass es sich bei der Währungs- und Geldpolitik der EU um eine Vergemeinschaftung im klassischen Sinne handelt, während die Zuständigkeit für wirtschaftspolitische Fragen zum größten Teil bei den einzelnen MSen verbleibt.[6]

a. Die Währungspolitik der Union und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten

Die Währungs- und Geldpolitik der EU beinhaltet die Einführung der gemeinsamen Währung sowie die Geld- und Wechselkurspolitik innerhalb der EU. Es handelt sich dabei um eine ausschließliche Zuständigkeit der Union gemäß Art.3Abs.1Buchst.cAEUV. Ausgenommen von einigen Zuständigkeiten des Rates für die Festlegung der Wechselkurspolitik (Art.219AEUV), überträgt Art. 127 II AEUV die Währungs- und Geldpolitik dem ESZB.[7] Daraus folgt, dass die MSen der Eurozone keine eigene Geldpolitik mehr führen dürfen.

Die Wirtschaftspolitik der EU ist zu verstehen, als unspezifische Steuerung des Wirtschaftsprozess, der Wirtschaftsstruktur sowie der Wirtschaftsordnung. Die Zuständigkeit verbleibt hierbei weitestgehend bei den MSen. Allerdings kennzeichnet Art.3Abs.4EUV und Art.121Abs.1AEUV die Wirtschaftspolitik als Angelegenheit von gemeinsamen Interesse.[8] Der EU‑Wirtschaftspolitik kommt dabei die Aufgabe zu, die Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten zu koordinieren.[9]

Stabilität auf der ökonomischen Ebene lässt sich nur mit einer abgestimmten Wirtschafts- und Geldpolitik erreichen. Beide müssen sozusagen „an einem Strang“ ziehen. Daraus ergibt sich, dass eine Wirtschaftspolitik, mit einem starken öffentlichen Sektor, gestützt auf ein erhebliches Haushaltsdefizit, eine eher inflationäre Währungs- und Geldpolitik zur Folge haben muss. Bezieht man das Zielsystem der EU mit ein, zeigt sich die Geldpolitik vielmehr als stabilitätsorientiert, was sich im vorrangigen Ziel der Preisstabilität[10] äußert. Damit muss allerdings auch die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten definiert sein. Preisstabilität als Ziel der Geldpolitik fordert ceteris paribus Haushaltsdisziplin als Ziel der Wirtschaftspolitik.[11] Um in diesem Sinne eine Koordination zu erreichen, ist die Wirtschaftspolitik folgendem Grundsatz gemäß Art.120AEUV verpflichtet:

einer offen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb um einen effizienten Einsatz von Ressourcen zu fördern[12]

b. Wirtschaftspolitische Vorgaben des Vertrages von Lissabon an die Mitgliedstaaten der Eurozone

Um oben genannte, marktliche Ausrichtung zu gewährleisten und gleichzeitig der Stabilitätserhaltung Rechnung zu tragen, macht der Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union wirtschaftspolitische Vorgaben für die Mitgliedstaaten und insbesondere zu deren Haushaltspolitik. Die Vorgaben äußern sich in Form von Verboten gemäß Art.123‑126AEUV. Diese stecken grundsätzlich ab, in welchem Rahmen die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik betreiben dürfen.[13]

Die vier Verbote bilden ein System. Um das Oberziel der Stabilität zu erfüllen, werden die MSen bei der Haushaltsfinanzierung dem Marktmechanismus folgendermaßen unterworfen:

- Art.123AEUV: „Verbot von Kreditfazilitäten für öffentliche Einrichtungen“. Durch die inflationsfördernde Eigenschaft solchen Verhaltens lässt sich dieses Ziel nicht mit dem Preisstabilitätsziel der Währungsunion vereinbaren. Der öffentliche Sektor wird hierdurch zur Kreditfinanzierung am Kapitalmarkt gezwungen. Da der Kapitalmarkt eines hohen Haushaltsdefizits durch hohe Zinsen abstraft, resultiert ein Bemühen des entsprechenden Mitgliedstaates zu einer soliden Haushaltspolitik.[14]
- Art.124AEUV: „Verbot bevorrechtigten Zugangs zu Finanzinstituten für öffentliche Einrichtungen“. Ähnlich wie in Art.123AEUV soll sich der öffentliche Sektor den disziplinierenden Regeln des Marktmechanismus unterordnen und sich diesem nicht durch hoheitliche Sonderkonditionen entziehen können.[15]
- Art.125AEUV: „Haftungsausschlüsse“. Die sog. „No Bailout“-Klausel hat zum Ziel die disziplinierende Wirkung des Marktes aufrecht zu erhalten. Dies ist nur möglich, wenn kein Mitgliedstaat sich bei der Kreditaufnahme auf die Mithaftung der Union oder anderer Mitgliedstaaten berufen kann und somit von deren niedrigen Zinsen profitiert.[16] Allerdings besteht hier noch erheblicher Diskussionsbedarf, weswegen an dieser Stelle auf den weiteren Verlauf dieser Arbeit verwiesen werden soll.
- Art.126AEUV: „Vermeidung übermäßiger Defizite. Haushaltsdisziplin“. Im Vergleich zu Art.123-125 AEUV übt Art.126 nicht lediglich indirekten Zwang zur Haushaltspolitik aus, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten stattdessen ganz unmittelbar.[17]

Insgesamt ergeben sich daher drei Säulen vertraglicher Vorkehrungen zur Sicherung der (Preis-)Stabilität der europäischen Währung. Die erste Säule bildet die Unabhängigkeit der EZB in Bezug auf ihre Geldpolitik sowie ihre Verpflichtung zur Preisstabilität. Die zweite Säule stellen die Art.123-125AEUV dar, welche die öffentlichen Haushalte solide halten sollen, da sich diese zur Kreditfinanzierung des Kapitalmarkts bedienen müssen. Die dritte Säule formt Art.126 AEUV und Art. 121 AEUV. Diesen kommt die Aufgabe der Überwachung sowie dem Verfahren bei übermäßigem Haushaltsdefizit zu.[18]

Wie oben gezeigt sind die in Art.123 und Art.124 AEUV genannten Verbote unmissverständlich nachzuvollziehen, da ein derartiges Finanzgebaren entgegen dem Ziel der Preisstabilität stark inflationsfördernd wirken würde. Es ist also insbesondere auf den Sinn und Zweck von Art. 125 AEUV einzugehen.

Prinzipiell wäre es einem Staat mit eigener Währung und der Kompetenz zur eigenen Geldpolitik möglich, durch Erhöhung der Geldmenge innerhalb seiner Volkswirtschaft, sein relatives Haushaltsdefizit (Defizit in Prozent des BIP) zu senken. Wenn durch eine gezielte Inflation die Preise und Löhne steigen, steigt auch das BIP. Allerdings bleibt das Haushaltsdefizit nominal gleich, was zur Folge hat, dass das relative Haushaltsdefizit abnimmt. Ein derartiges Verhalten ist auf den Kapitalmärten bekannt und wird dort antizipiert. Dieser Staat würde bei steigendem Haushaltsdefizit an den Kapitalmärten demnach konstant höhere Zinsen für neue Kredite bezahlen. Eine Motivation hin zu einem geringeren Haushaltsdefizit entsteht, was auf Dauer einen soliden Staatshaushalt zur Folge hätte. Ein Staat ohne eigene Währung und somit ein Staat innerhalb eines Währungsverbundes wie der Eurozone, kann keine eigene Geldpolitik betreiben. Bei der Finanzierung des Haushaltsdefizits über die Kapitalmärkte besteht nun die Gefahr, dass ein Staat mit hohem relativem Haushaltsdefizit, Kredite zu den geringen Zinsen seiner übergeordneten Union erhält. Dieser Effekt kann eintreten, wenn die Kapitalmärkte erwarten, dass die Union oder andere Mitgliedstaaten (wie in der EU bspw. Deutschland) bei Problemen einspringen werden. Der verschuldete Staat erhält nun günstige Kredite bis die eigenmächtige Rückzahlung unmöglich wird. Ab Erreichen dieser Grenze wird den Kreditgebern des hochverschuldeten Staates klar, dass die Rückzahlung der Schulden von der Erfüllung ihrer Erwartung abhängt. Wird diese Erwartung nur im Geringsten negativ beeinflusst, erhöhen sich die Zinsen für den betroffenen Staat sprunghaft. Dies ist damit zu erklären, dass die Zinsen auf das Haushaltsdefizit des betroffenen Staates nun von der Wahrscheinlichkeit der „Rettung“ durch die anderen Staaten seiner Union abhängen, anstatt von der Rückzahlungswahrscheinlichkeit des betroffenen Staates. Hier setzt Art.125AEUV durch seinen Haftungsausschluss an: die Idee war eine derartige Erwartung der Kapitalmärkte im Vorhinein zu verhindern, um zu erreichen, dass die Zinsen für Kredite zur Haushaltsfinanzierung konstant mit dem relativen Haushaltsdefizit steigen. Die Zinsen sollten von der Rückzahlungswahrscheinlichkeit abhängen und nicht von der Bailout Wahrscheinlichkeit.[19]

Der Art.125AEUV hat somit die Aufgabe für eine realistische Einschätzung des Haushaltsdefizits auf den Kapitalmärkten zu sorgen. Aus diesem Grund wirkt er auch als Verbot freiwilliger Hilfen, denn solche hätten den gleichen Effekt wie eine verpflichtende Haftung.[20] Daneben sollte stabilitätsstörendes Moral-Hazard-Verhalten[21] innerhalb der Eurozone verhindert werden, da kein Staat sich auf die Mithaftung der Union oder anderer MSen berufen kann.[22] Allerdings ist es nicht im Sinne des Art.125AEUV, Hilfsleistungen für MSen in Not zu verhindern.[23] Solidarität zwischen und für Mitgliedstaaten der EU soll weiter möglich bleiben[24], worauf auch die Ausnahme von Art.125AEUV, dem finanziellen Beistand in Art.122Abs.2 AEUV, hindeutet.

C. Die Rolle der Solidarität auf europäischer Ebene

Welche Stellung die Solidarität auf europäischer Ebene hat, ergibt sich schon aus der Historie der EU, die weniger aus wirtschaftlichem Interesse gebildet wurde, sondern vielmehr aus einer sozialen Motivation heraus. Das zeigt sich schon am ersten großen Schritt hin zur EU: der Gründung der EGKS. Der Schumann-Plan, welcher der EGKS zugrunde liegt, war vordergründig von wirtschaftlichem Interesse. Bei genauerer Betrachtung jedoch treten die rein ökonomischen Ziele hinter dem sozialen Ziel des dauerhaften Friedens zurück. Selbst wenn damals die Solidarität nicht wörtlich in den Verträgen aufgeführt war, so fand sie sich doch als Leitbild in den Vereinbarungen und Mechanismen wieder, worauf folgender Ausschnitt aus der Rede des damaligen Außenministers hindeutet:

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Taten schaffen“

Die Staaten waren demnach bereit, einen Teil ihrer nationalen Kompetenzen an die übergeordnete Einheit (EGKS) abzugeben, um gemeinsam das Ziel der Friedenssicherung zu erreichen. Dieses Ziel wäre autonom durch die Staaten nicht realisierbar gewesen.[25]

a. Der solidarische Grundgedanke der europäischen Union

Man bezeichnet Solidarität als „die Bereitschaft die Angelegenheiten Anderer als die Eigenen zu betrachten“. Die Grundlage für ein derartiges Verhalten bilden gemeinsame Ziele. Dies führt dazu, auch gegebenenfalls Nachteile in Kauf zu nehmen, um die Anderen oder den gemeinsamen Vorteil zu begünstigen. Ein derartiges Verhalten resultiert aus dem Vertrauen, dass die Anderen sich genauso verhalten würden.[26]

Das Erfordernis zur weiteren, solidarischen Verbindung der europäischen Staaten nach der Gründung der EGKS, ergibt sich aus der zunehmenden Internationalisierung. Es fällt einem autonomen Staat zusehends schwerer die Lebensgrundlage seiner Bürger zu sichern, bzw. seine eigenen Interessen durchzusetzen, da Probleme immer häufiger international angesiedelt sind und der einzelne Staat international zu unbedeutend ist um sich durchzusetzen. Es bilden sich Verbände, welche gemeinsam bestimmte Ziele verfolgen. Vertreten werden die einzelnen Staaten durch eine übergeordnete Einheit (in der EU die Union), welcher die Kompetenzen hierfür von den einzelnen MSen übertragen werden. Der einzelne, integrierte Staat sieht sich nun aber einer neuen Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft gegenüber. Er muss die Umsetzung der Solidarität innerhalb seines Staates sicherstellen.[27]

Das Solidaritätsprinzip richtet sich nach ebendiesem Verständnis und ist für die europäische Union von zentraler Bedeutung. Um die Union funktionsfähig zu halten, ist es entscheidend, dass die MSen die Regelungen der Union als bindend akzeptieren und umsetzten. Dies bezieht sich besonders darauf, wenn Regelung den Interessen eines Staates entgegen stehen. Nach dem EuGH[28], gilt hier sozusagen eine Pflicht der MSen zur Solidarität. Der EuGH leitet dies aus dem Prinzip des „Gleichgewichts von Vorteilen und Lasten“ ab, welches das Verhältnis der MSen zur Union wiedergibt.[29] Nur so kann Recht auf europäischer Ebene geschaffen werden, denn die Union verfügt lediglich über eingeschränkte Sanktions­möglichkeiten, um europäisches Recht durchzusetzen.[30] Das Solidaritätsprinzip nimmt somit einen Leitwert in der europäischen Union ein und fungiert gleichzeitig als grundlegendes Rechtsprinzip.[31]

[...]


[1] siehe Umfrage ARD-DeutschlandTREND vom März 2012, zu: 2. Hilfspaket an Griechenland, durchgeführt durch: Infratest dimap; oder auch Äußerungen in den Medien wie im Essay von Leon de Winter, Thema: Zurück zur EWG, abgedruckt im: Spiegel, Ausg. 20, 2010

[2] Vgl. stenografische Mitschrift der Regierungserklärung vom 19. Mai 2010, Abs. 5

[3] Vgl. Hakenberg, Europarecht, 2012, S. 1 ff.

[4] Vgl. Fastenrath/Groh, Europarecht, 2012, S. 173 ff.

[5] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art. 119 AEUV, Rdnr. 9

[6] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.119 AEUV, Rdnr. 2

[7] Vgl. Fastenrath/Grohe, Europarecht, 2012, S. 174, Rdnr. 289

[8] Vgl. Nettesheim, Europarecht, 2012, S. 310, Rdnr. 16

[9] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.119 AEUV, Rdnr. 12

Zum Thema Koordination genauer: Schomberus, ZeuW, 1999, Nr. 102, S.1ff.

[10] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.126 AEUV, Rdnr. 1

[11] Vgl. Fastenrath/Grohe, Europarecht, 2012, S. 174, Rdnr. 288 Abs. 2

[12] Vgl. Hakenberg, Europarecht, 2012, S. 157, Rdnr. 448

[13] Vgl. Nettesheim, Europarecht, 2012, S. 310, Rdnr. 20

[14] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.123 AEUV, Rdnr. 1

[15] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.124 AEUV, Rdnr. 1

[16] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.125 AEUV, Rdnr. 1

[17] Vgl. Kempen, in: Streinz Kurzkommentar EUV/AEUV, 2012, Art.126 AEUV, Rdnr. 3

[18] Vgl. Hentschelmann, EuR 2011, S. 283

[19] Vgl. Fastenrath/Grohe, Europarecht, 2012, S. 174, Rdnr. 288 Abs. 2

[20] Vgl. Häde, in KM. EUV/AEUV von Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art.125AEUV, Rdnr.3

[21] Genauer nach Koslowski, 1994, S. 305: Moral Hazard als das „Restaurant-Rechnungs- Problem“, sinngemäß: Die Rechnung in einem Restaurant wird regelmäßig höher ausfallen, wenn sich eine Gruppe im Vorhinein einigt die Rechnung zu gleichen Teilen zu entrichten. Jeder einzelne versucht aus Egoismus einen möglichst großen Teil zu konsumieren, um diesen auf die Gemeinschaft abzuwälzen. Dadurch konsumiert die Gruppe aber insgesamt mehr, als jeder einzeln bereit wäre zu bezahlen bzw. zu konsumieren.

[22] Vgl. Hentschelmann, EuR 2011, S. 151-314, Rdnr. 284

[23] Vgl. Häde, EuZW 2009, S. 273

[24] Vgl. Hieronymi, in: Solidarität als Rechtsprinzip in der europäischen Union, 2003, S.165

[25] Vgl. Lais, Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2007, S. 19

[26] Vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, 1999, S.187

[27] Vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, 1999, S.188 ff.

[28] EuGH Urteil vom: 07.02.1973 , C-J003/72, Entscheidungsgrund 24

[29] Vgl. Bieber, in KQ zu Manfred Zuleeg, 2002, S. 46

[30] Vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, 1999, S.194, Abs. 1.

[31] Vgl. Calliess, KM. EUV/AEUV von Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art.222AEUV, Rdnr.1

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Griechenlandkrise und die No Bailout-Klausel
Untertitel
Solidarität und Hilfen in der EU
Hochschule
Universität Hohenheim  (Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Institut für Rechts- und Sozialwissenschaften Lehrstuhl für Öffentliches Recht)
Veranstaltung
Europarecht
Note
1,00
Autor
Jahr
2013
Seiten
27
Katalognummer
V212387
ISBN (eBook)
9783656402596
ISBN (Buch)
9783656403807
Dateigröße
685 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europa, Jura, Europarecht, Europäisches Recht, Europäische Union, Mitgliedstaaten, Haftung, Einstehen, Art. 125, AEUV, EUV, Griechenland, Krise, Griechenlandkrise, Art. 125 AEUV, ESM, EFSM, bilaterale Kredite, EZB, Art. 136, Art. 136 AEUV, EuGH, Bailout, No-Bailout, Beihilfe, Solidarität, Euro, Währungspolitik, Wirtschaftspolitik, Eurozone, Calliess, Nettesheim, Oppermann, Häde, ESFS, Geldpolitik, Art. 126, Streinz, Finanzhilfen, Urteil, Klausel, Hilfen, Hilfe, Hilfsleistungen, teleologische Reduktion, Reduktion, teleologisch, Eurobonds, Euro-Bonds
Arbeit zitieren
Mark Mayer (Autor:in), 2013, Die Griechenlandkrise und die No Bailout-Klausel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212387

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