Leseprobe
Inhalt
1. Die Gleichnisse vom Verlorenen
2. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
2.1. Der jüngere Sohn als Sünder
2.2. Der innere Monolog als Eingeständnis der Schuld und Zeichen der Reue
2.3. Der ältere Sohn als Kläger
2.4. Der barmherzige Vater
3. Einladung zu Gott
4. Literaturverzeichnis
1. Die Gleichnisse vom Verlorenen
„Seine Jünger fragten ihn, was das Gleichnis bedeute. Da sagte er: Euch ist es gegeben die Geheimnisse des Reiches Gottes zu erkennen. Zu den anderen Menschen aber wird nur in Gleichnissen geredet; denn sie sollen sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht verstehen.“[1]
Dieser Antwort Jesu an seine Jünger würde der Philosoph Karl Popper wahrscheinlich entgegnen, dass „das grausame Spiel, Einfaches kompliziert und Triviales schwierig auszudrücken, […] leider traditionell von vielen Soziologen, Philosophen usw. als ihre legitime Aufgabe angesehen [wird]. So haben sie es gelernt und so lehren sie es.“[2] Beispiele für diese Vorgehensweise lassen sich nach Popper in vielen Fachbüchern und Standardwerken der Geisteswissenschaft finden und werden von ihm kritisch diskutiert; zusätzlich bietet Popper geeignete Übersetzungen in einfache und alltägliche Sprache an.[3] Auch Jesus könnte nun der Vorwurf gemacht werden, in seinen Gleichnissen bewusst auf eine komplizierte Darstellung einfacher Sachverhalte zu setzen und sich in schwer zu verstehender, bildhafter Sprache auszudrücken. Seine Jünger erkennen oft nicht die Bedeutung des Gleichnisses, verstehen die zu vermittelnde Botschaft nicht ohne eine Erklärung, die von Jesus gegeben werden muss.[4] Gleichnisse bedürfen also einer besonderen Deutung, allerdings ist diese Deutung, die Suche nach der Bedeutung und letztlich dem Verständnis eines Gleichnisses nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.[5] Jesus bezeichnet die Gleichnisse als Geheimnisse des Reichs Gottes, welche die grundlegenden Wesenszüge des Glaubens sowie des Christseins thematisieren und gerade deshalb erschlossen werden wollen.[6]
Gerade ihre Bildhaftigkeit, das Rätselhafte und Unverständliche hat die Aussagekraft der Gleichnisse Jesu in den letzten 2000 Jahren nicht verblassen lassen. Die Rätselhaftigkeit der Gleichnisse ist ein prägendes charakteristisches Merkmal, welches ihnen, auch wenn man es zu relativieren oder konkretisieren versucht, ihre ansprechende Wirkung verleiht.[7] Während die neuere medizinische Forschung kritisch zu diskutierende Ansätze wie die tiefenpsychologische Exegese unterstützt, welche auch in der Schulliteratur immer mehr Anklang findet und zu einem stark vereinfachten, weniger aussagekräftigen Verständnis der Wirkung und Bedeutung z.B. der Wunder Jesu führen kann, so sind die Gleichnisse Jesu heute wie vor 2000 Jahren nicht nur belanglose Geschichten, die sich einfach erklären lassen.[8] Vielmehr sollen die Gleichnisse zur Kommunikation anregen, um die gehörten Zusammenhänge zu diskutieren. Dass in den Gleichnissen häufig mit vorherrschenden Konventionen gespielt, diese gebrochen und bewusst übertreten werden, verstärkt mit der daraus resultierenden Provokation der Zuhörer diesen Kommunikationszusammenhang noch mehr. So kann ein Gleichnis zum Innehalten bewegen und auch später die Zuhörer zum Handeln ermutigen, die benannten Missstände zu beseitigen.[9] Das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,1-7) bildet mit den sich anschließenden Gleichnissen von der verlorenen Drachme (Lk 15,8-10) und dem Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) eine in sich geschlossene Reihe, die sich mit der Thematik des Verlierens, Suchens, Findens und der Freude über die Rückkehr des Verlorenen beschäftigt. Diese Gleichnisse sind den Lehren und dem Wirken Jesu auf seiner Reise von Galiläa nach Jerusalem zuzuordnen und Teil einer umfassenden Reihe von Gleichnissen zur neuen Ordnung im Himmelsreich.[10] Trotzdem nehmen sie allein aufgrund ihres Bekanntheitsgrades eine besondere Stellung ein; viele zählen diese Gleichnisse und insbesondere das Gleichnis des verlorenen Sohns zu den schönsten; sie werden auch als ein „Evangelium im Evangelium“ bezeichnet.[11] Auch der Einfluss auf sowie die Verwendung in der Kunst dieser Gleichnisse ist groß. Das Motiv des guten Hirten, welches vor allem im Gleichnis vom verlorenen Schaf zu erkennen ist, sowie das des barmherzigen Vaters, hauptsächlich durch das Gleichnis vom verlorenen Sohn geprägt, wurde vielfach in der Literatur, Malerei und Musik aufgegriffen und verarbeitet.[12] Auch die Rolle des Bischofs als Hirten ist maßgeblich von diesen Gleichnissen geprägt.
Den Anstoß für diese Reihe von Gleichnissen bildet in Lk 15, 1-2 die Empörung der Pharisäer und der Schriftgelehrten über den Umgang Jesu mit Zöllnern und Sündern. Dass Jesus mit Sündern und Zöllnern nicht nur zusammen sitzt und sie lehrt, sondern auch noch mit ihnen eine Mahlgemeinschaft bildet, ist für die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht nachvollziehbar. Pharisäer verabscheuten andere Menschen, die sich nicht an die (religiösen) Gesetze und Vorschriften hielten und mieden den Kontakt mit diesen Sündern. So vertraten Pharisäer und Gelehrte die Auffassung, dass Gott einen Sünder eher mit dem Tod bestraft, als ihn zur Umkehr zu bewegen.[13] Mit dem darauf folgenden Gleichnis vom verlorenen Schaf, welches ebenfalls im Evangelium nach Matthäus sowie im gnostischen Thomasevangelium zu finden ist, vertritt Jesus aber gerade die Position, dass sich Gott um jeden Menschen gleichsam sorgt und einem Sünder nicht nur ohne zu zögern seine Taten vergeben wird, sondern dass er sogar aktiv nach diesen Sündern sucht.[14] Wie der Hirte, der seine restliche Herde von 99 Schafen zurücklässt und dem verlorenen Schaf hinterher eilt, um ihm den Weg zurück zu zeigen, so wird auch Gott jedem Sünder Angebote machen, auf den rechten Weg zurück zu kommen, und sollte sich der Sünder von Gott finden lassen, wird Gott ihn, wie der Hirte sein Schaf, auf dem Weg zurück unterstützend auf den Schultern tragen. Der vergleichsweise geringe Wert eines Schafs zu den übrigen 99 Schafen, lassen die Handlung des Hirten widersinnig erscheinen. Nach Zimmermann liegt der Wert eines einzelnen Schafes bei 8 Denaren; vergleicht man dies mit dem Wert eines Rinds oder eines Esels (100-200 Denare), so stellt das einzelne Schaf keinen unersetzlichen Wert dar.[15] Daher rechtfertigt der Verlust eines Schafes auch nicht das Risiko, dass den übrigen 99 Schafen während der Abwesenheit des Hirten etwas zustoßen könnte. Auf das ländlich geprägte Gleichnis vom verlorenen Schaf folgt nun in Lk 15,8-10 das Gleichnis der verlorenen Drachme, in welchem eine Frau eine Drachme in ihrem Haus verliert und unermüdlich danach sucht, bis sie sie findet. Im Gegensatz zu dem vorhergehenden Gleichnis, wechselt der Protagonist von einem Hirten zu einer (armen) Frau, die ländliche Umgebung wird zu einer städtischen Umgebung und statt einem Schaf, welches verloren geht, verliert die Frau eine der Münzen. Die Aussage des Gleichnisses bleibt jedoch erhalten, das Handeln des (männlichen) Hirten wird durch das Handeln der Frau bekräftigt.[16] Während aufgrund der Vergleichsmöglichkeiten im Evangelium nach Matthäus sowie im Thomasevangelium, nicht jedoch im Evangelium nach Markus, das Gleichnis vom verlorenen Schaf der Quelle Q zugeordnet werden kann, entfällt diese Zuordnung bei den darauf folgenden Gleichnissen; sowohl das Gleichnis der verlorenen Drachme als auch das Gleichnis des verlorenen Sohns stammen aus dem Sondergut oder sogar von Lukas selbst.[17] Allerdings ist aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten nicht zu klären, woher diese Gleichnisse nun genau stammen.[18]
Im Folgenden soll nun das Gleichnis vom verlorenen Sohn näher betrachtet und im Kontext der vorhergehenden Gleichnisse der Frage nach der Buße und Umkehr näher nachgegangen werden. Die Frage nach der Notwendigkeit der Buße ist ein aktuelles Thema; häufig wird der Kreuzestod Jesu als allumfassende Buße für die gesamte Menschheit interpretiert, durch seinen Kreuzestod soll allein der Glaube an Jesus Christus den Einzug ins Himmelreich und das ewige Leben ermöglichen. Die Haltbarkeit dieser These soll durch die Auslegung dieses Gleichnisses überprüft und ggfs. verworfen werden.
Ausgangspunkt für die Erzählung der Gleichnisse vom Verlorenen ist die Empörung der Schriftgelehrten und Pharisäer in Lk 15,1, die sich über den Umgang Jesu mit Sündern und Zöllnern wundern. Jesus erzählt dann die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme als Erklärung für sein Handeln.[19] Anschließend folgt nun das Gleichnis vom verlorenen Sohn, in welchem der jüngere von zwei Söhnen den ihm zustehenden Erbteil einfordert und das Land verlässt, während der ältere Sohn bei seinem Vater im Haus bleibt. Nachdem der jüngere Sohn in der Fremde sein Erbe aufgebraucht und zwischenzeitlich als Schweinehüter gearbeitet hat, fasst er den Entschluss zu seinem Vater zurückzukehren. Er will ihm gegenüber seine Schuld eingestehen, fortan nicht mehr sein Sohn sein und für ihn als Tagelöhner arbeiten. Als er nach Hause zurück kommt, wird er von seinem Vater freudig empfangen und kann seinen Entschluss gar nicht erst vortragen, da ihm sein Vater ins Wort fällt und mit Planungen für ein Fest beginnt. Als der ältere Sohn dies während der Feldarbeit hört, ist er zornig über die Reaktion des Vaters und stellt ihn zur Rede. Er wirft ihm vor, den jüngeren Sohn für sein Fehlverhalten zusätzlich noch mit einem Fest zu belohnen, anstatt ihn für sein Handeln zu bestrafen. Der Vater geht auf die Vorwürfe des älteren Sohnes kaum ein und entgegnet ihm, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder sein Leben zu Hause und gut versorgt habe leben können, die Rückkehr des jüngeren Sohns aber ein Grund zur Freude sei und man deshalb ein Fest feiern müsse. Das Gleichnis endet, ohne eine weitere Reaktion des älteren Sohns zu beschreiben.
Den meisten dürfte Lk 15,11-32 als Gleichnis vom verlorenen Sohn, so wird das Gleichnis unter anderem in der Einheitsübersetzung benannt, bekannt sein. Allerdings gehört schon der Titel dieses Gleichnisses zur exegetischen Diskussion und wird nicht einheitlich verwendet. So steht für Adolf Jülicher der jüngere Sohn im Mittelpunkt des Gleichnisses, weshalb er das Gleichnis auch dementsprechend „Vom verlorenen Sohn“ überschreibt. Eduard Schweizer geht in seiner Auslegung von einer zentralen Stellung des Vaters aus und versieht Lk 15,11-32 daher mit der Überschrift „Die Ohnmacht des allmächtigen Vaters“ während Walter Grundmann mit seiner Überschrift „Gleichnis von den beiden Söhnen“ einen Kompromiss zwischen der Bedeutung sowohl des jüngeren als auch des älteren Sohnes anstrebt.[20] Die Vergabe einer Überschrift kann in den jeweiligen Auslegungen Einfluss auf die Auslegung des gesamten Textes haben und somit den Schwerpunkt etwa auf die Freude des Vaters sowie seine Vergebung oder auch das Verhalten des älteren Sohnes legen.[21] Die folgende Auslegung übernimmt lediglich die Überschrift der Einheitsübersetzung, will aber nicht nur den jüngeren Sohn sondern auch den Vater sowie den älteren Sohn berücksichtigen und ihre Bedeutung für das Gleichnis analysieren. Das Gleichnis und seine Aussage sollen daher nicht auf einen Titel reduziert werden.[22]
[...]
[1] Lk 8,9-10.
[2] Popper 2011, S. 112.
[3] Vgl. ebd..
[4] Vgl. Mt 13,18-23; Mt 13,36-43; Lk 8,11-15; Mk 7,17-19.
[5] Vgl. Zimmermann 2008, S. 4.
[6] Vgl. Mk 4,11-12.
[7] Vgl. Zimmermann 2008, S. 5.
[8] Vgl. Garske 2008.
[9] Vgl. Zimmermann 2008, S. 5.
[10] Vgl. Lk 13-19.
[11] Vgl. Kremer 2010, S. 160.
[12] Rembrandt: Heimkehr des verlorenen Sohns (1636); Schubert: Der 23. Psalm (D 706); Dvořák: Biblische Lieder (op. 99); Bernstein: Chichester Psalms; Kafka: Heimkehr als einige Beispiele für die Verwendung in allen Bereichen der Kunst; vgl. auch Kremer 2010, S. 160, Bovon 2001, S. 60.
[13] Vgl. Barclay 1991, S. 219.
[14] Vgl. Mt. 18,12-14 bzw. EvThom 107.
[15] Vgl. Zimmermann 2007, S. 208.
[16] Vgl. Bovon 2001, S. 31.
[17] Vgl. ebd..
[18] Vgl. Kremer 2010, S. 157.
[19] Vgl. Lk 15,1-10.
[20] Vgl. Müller 2008, S. 137-138
[21] Vgl. ebd., S. 138.
[22] Vgl. Bovon 2001, S. 40.
- Arbeit zitieren
- Markus Jansen (Autor:in), 2013, Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32). Umkehr und Vergebung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230047
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