Privatsphäre im Internet

Am Beispiel von Googles „Werbeökonomie“ und speziellen personalisierten Google-Online-Diensten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definition von Privatheit und der individuelle Wert von Privatheit
2.1. Informationelle Privatheit/ Privatheit der Informationskontrolle
2.2 Beziehungsformen, die auf den Schutz von Privatheit angewiesen sind
2.2.1. Private Beziehungen: Freunde, Familie, intime Beziehungen
2.2.2. Professionelle Beziehungen: Privatheit zwischen Personen mit beruflichen Rollen

3 Das Unternehmen: Google
3.1. Gründung
3.2. Fakten
3.3. Wie findet Google passende Seiten zum Suchbegriff?
3.3.1. Erweiterung von PageRank
3.3.2. Spracherkennung als Voraussetzung für maschinelles Fernen
3.4. DieGoogle-Ökonomie
3.5. Google erobert das Geschäft der Bannerwerbung
3.6. Googles Personalisierungstechnologien - Gefahr für die Privatsphäre?
3.6.1. GoogleMail
3.6.2. iGoogle
3.6.3. Google+
3.6.4. Persönliche Suche
3.6.5. Froogle&GoogleCheckOut
3.6.6. GalaxyNexus
3.6.7. GoogleAnalytics: Google beobachtet das ganze Web
3.7. Zwischenfazit: Google - eine Bedrohung für die Privatsphäre?

4 Anwendung von Rösslers Konzept der Privatsphäre auf Googles „Werbeökonomie“

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Oh, neue Schuhe von Zalando, in rot - genau die wollte ich immer! Wie praktisch, dass die Anzeige gleich ganz oben auf Googles Suchliste erschienen ist. Aber woher wusste Google das eigentlich? Höchstwahrscheinlich hat sich das jeder schon mal gefragt und hat eine vage Vermutung: Dass das irgendwas mit Datensammeln zu tun haben muss. Viele, die diese diffuse Ahnung haben, empfinden es vielfach als „guten Tausch, fur komfortable Netzangebote mit Informationen über sich selbst zu bezahlen“ (Reepesgaard, 2010: 263) Hier greift das Zitat von hr-iNFO-Redakteur Oliver Günther: "Die Währung im Internet ist nicht Geld, sondern Daten ", (http://www.sr-online.de/sr3/61/1406854.html)

Doch weshalb diese Datensammelwut? Ganz einfach: Google finanziert seine kostenlosen Dienste über Werbung und Werbeunternehmen, sind wiederum angewiesen auf möglichst präzise Daten ihrer potentiellen Kunden. Genau über diese Daten verfügt Google - ein lohnendes Geschäft.

In meiner Hausarbeit möchte ich untersuchen, inwieweit Google die Privatsphäre des einzelnen Nutzers mit seiner Datensammelei zur Finanzierung seiner Gratis-Dienste berührt oder gar einschränkt. Dazu werde ich Beate Rösslers Theorie der Privatsphäre zur Grundlage meiner Untersuchung machen. Die in Rösslers Theorie enthaltene normative Begründung des Wertes von Privatheit, d.h. warum Privatheit wichtig ist, ist maßgebend, um „Verfalls- und Veränderungsprozesse zu interpretieren“ (Rössler, 2002: 18). Im ersten Teil werde ich Rösslers Theorie erläutern, wobei ich insbesondere auf die Dimension der informationellen Privatheit eingehen werde. Anschließend werde ich zunächst neutral die „Werbeökonomie“ von Google erläutern. Da ich bei vorheriger Recherche feststellen musste, dass die Anzeigenschaltung stark mit speziellen Diensten wie Google Mail zusammenhängt, werde ich auch diese erläutern. Darauffolgend werde ich kritisch auf den durch das Anzeigensystem und die personalisierten Dienste angesammelten Datenschatz von Google eingehen. Abschließend möchte ich im letzten Teil die Verbindung zu Rösslers Theorie herstellen. Hier steht vor allem die Frage im Vordergrund, ob sich Rösslers Definition von Privatheit im Angesicht der Datenkrake Google überhaupt noch anwenden bzw. halten lässt.

2 Definition von Privatheit und der individuelle Wert von Privatheit

Rösslers normative Definition von Privatheit basiert auf westlich liberaldemokratischen Überlegungen (2001: 27-33), d.h. Privatheit habe im Sinne einer Norm den Zweck, einzelnen Personen* geschützte, private Bereiche zuzusichern, in denen sie frei ihren eigenen Lebensplan „nach jeweils eigenen Vorstellungen des individuellen Guten“ (2001: 83) verwirklichen können (gelungenes Leben). Individuelle Freiheit sei im Kern daher zu begreifen als personale Autonomie. (2001: 83f, 137f)

Diese These sei im Folgenden genauer erläutert:

Freiheit als personale bzw. individuelle Autonomie zu begreifen, betont Rössler mit Nachdruck: Kein modern-liberaler Mensch würde eine Person als frei bezeichnen, „wenn sie 'nur' frei, beliebig, grundlos wählen würde“ (2001: 95). Vielmehr erwartet man, „dass sie nicht nur 'frei', sondern eben autonom wählen, handeln, sich verhalten, leben“ (2001: 96). Denn nur, wer selbstbestimmt lebt, d.h. selbst entscheiden kann, wie er leben will, wer er sein will und auf welche Weise er sein eigenes individuelles Wohl bzw. Glückseligkeit anstreben will, kann sich ein gelungenes Leben ermöglichen. Ein autonomes Leben habe daher einen höheren Wert als ein 'rein' freies Leben. (2001: 95-98) Es gelten drei Bedingungen, die Menschen in Form von persönlichen Eigenschaften erfüllen müssen, damit man ihnen eine autonome Lebensführung zusprechen kann:

I. Authentizität und Identifikation

Die Handlungen und Wünsche einer selbstbestimmten Person sollten authentisch sein, d.h. sie sollte diese als ihre eigenen identifizieren können. Dritte Personen müssen die Gründe für die Wünsche und Handlungen nicht als rational begreifen, es reicht aus, wenn die Person diese für sich akzeptiert. Authentische Identifikation bedeutet aber nicht, „dass eine autonome Person (...) sich permanent (...) fragen muss, ob sie gerade authentisch wünscht und handelt“ (2001: 107). Die authentische Identifikation muss lediglich hypothetisch möglich sein, d.h. im Falle, dass die Person reflektieren würde, ob sie sich mit bspw. einer Handlung tatsächlich identifizieren kann, „müsste die Antwort entweder 'ja' sein oder zu einem geänderten Handlungsverlauf führen“ (2001: 108). Da sich Wünsche und Entscheidungen über Handlungsweisen oft innerhalb intersubjektiver Deliberationen ergeben, ist es relevant, dass auch die Gesprächspartner authentisch sind. Schließlich interpretieren wir uns selbst im Angesicht der Interpretationen und Reaktionen der anderen. (2001: 103-09)

Voraussetzung für authentische Identifikation ist weiterhin, dass die Wünsche nicht manipulativ zustande gekommen sind (nicht-manipulative Genese eines Wunsches). Manipulation (gemeint ist direkt intendierte Manipulation) kann strukturell begriffen werden als systematische Repression oder Täuschung einer Person, bspw. darüber, wer sie ist „im Sinne einer realistischen Einschätzung ihrer Fähigkeiten und Motive“ (2001: 118). Solch manipulierten Lebensverhältnisse können wiederum zur Selbsttäuschung oder falschen Meinung und damit zu manipulierten Wünschen führen. Autonome Personen müssen daher fähig sein, Wünsche und Präferenzen in ihrer Genese beurteilen zu können. Weiterhin muss Autonomie als schätzenswerte Haltung (Habitus) von der Person selbst und von den anderen anerkannt werden. (2001: 116-20)

III. Ziele und Projekte

Autonome Personen müssen entscheiden können, welche Ziele und Projekte sie verfolgen und umsetzen möchten und was sie dafür aufgeben würden. Denn nur wer Ziele und Projekte verfolgt, kann eine Identität ausbilden, sich als ein jemand begreifen. Auch, wenn Ziele und Projekte durch kulturelle, soziale und intime Kontexte (mit-)bestimmt werden, ist eine autonome Person fähig, diese Situierung zu reflektieren und sich ggf. zu befreien/ loszusagen, bspw., wenn er/ sie feststellt, falsche Ziele zu verfolgen und unauthentisch zu leben. (2001: 120-24)

Rössler stellt anschließend die o.g. These auf, dass ein autonomes Leben nur möglich ist, wenn Privatheit geschützt wird (2001: 26, 39, 137). Respektive sind geschützte, abgesteckte, private Bereiche notwendig, um „Autonomie ausbilden, entwerfen und ausüben“ (2001: 137ff) zu können. Denn Privatheit ermögliche es, Kontrolle über den Zutritt und Schutz vor unerwünschtem Eintritt anderer zu mir auszuüben (2001: 24, 139) Dabei sei es unerheblich, ob es um den Zugang oder Zutritt als „tatsächlicher physischer Zutritt (in Räume)“ (2001: 84) oder als „metaphorischer Zutritt zur Persönlichkeit“ (2001: 84) wie zu personenbezogenen Daten oder Entscheidungen gehe. Eine Gefährdung des Schutzes oder das Aufgeben des eigenen Anspruches auf Privatheit hätte die Folge, dass der Einzelne kein autonomes Leben mehr führen kann (Rössler, 2002: 18): „Privat ist etwas dann, wenn ich dazu in der Lage und berechtigt bin, den Zugang - zu Daten, zu Wohnungen, zu Entscheidungen oder Handlungsweisen - zu kontrollieren“ (2002: 16) und mich vor „unerwünschtem Zutritt anderer“ (2001: 23) zu schützen.

So unterteilt Rössler Privatheit in drei Grundtypen, diejeweils einen eigenen Wert des Privaten aufweisen und deren Verletzung jeweils einhergeht mit der Verletzung der individuellen Autonomie einer Person: die lokale, dezisionale und informationelle Privatheit. Ich werde mich auf die Erläuterung der informationellen Privatheit beschränken, da dieser Typus von den im empirischen Teil genannten Dimensionen am stärksten von Einschränkungen betroffen ist. Erläuterungen zu den anderen Grundtypen befinden sich im Anhang.

2.1. Informationeile Privatheit

Privatheit der Informationskontrolle (2001: 201-54) Informationelle Privatheit definiert das Private als metaphorische Zugangskontrolle zu Informationen über sich selbst (2001: 22ff). Als privat gelten lediglich Informationen, bei denen die Personen den „Zugang und Verbreitung selbst kontrollieren“ (2012: 3) oder zumindest abschätzen können, was andere über sie wissen, um gemäß ihrer Erwartungen zu handeln (2001: 201).

Der Schutz informationeller Privatheit ist nach Rössler nicht nur im liberalen Sinn wertvoll für den Einzelnen selbst (individuellen Wert), sondern auch für die gesamte Ordnung der Gesellschaft (sozialer Wert des Privaten). Denn nur über Schutz informationeller Privatheit ließen sich die unterschiedlichen Formen sozialer Beziehungen konstituieren (2001: 234ff; 2012: 1, 2f, 6) Dies hängt damit zusammen, dass Personen den Intensitätsgrad von sozialen Beziehungen über Informationen regulieren, die sie anderen geben wollen oder die diese unweigerlich über sie haben (Arbeitgeber den Lebenslauf).

So kann der soziale Wert sich in der „Bedeutung von Privatheit in und von (...) sozialen Beziehungen“ (Rössler, 2012: 6) ausdrücken. Bei der Privatheit in sozialen Beziehungen geht es um den Schutz der Privatheit für die Personen selbst. Das gesellschaftliche Interesse am Schutz der Privatheit wird hier indirekt über das Interesse am Schutz der Privatheit von individuellen Personen vermittelt ( indirekter sozialer Wert). Bei der Privatheit von sozialen Beziehungen geht es um den Schutz der Privatheit von sozialen Beziehungen, der von direktem Interesse der Gesellschaft ist (direkter sozialer Wert) (weitere Ausführungen folgen). (Rössler, 2012: 2,4,5)

2.2. Beziehungsformen, die auf den Schutz von Privatheit angewiesen sind

2.2.1. Private Beziehungen: Freunde, Familie, intime Beziehungen Ausgehend von relationalen Theorien gehört es zum menschlichen Grundbedürfnis,* Freundschafts- und Intimbeziehungen zu haben (Rössler, 2012: 7), da diese vertrauten Beziehungen Voraussetzung für ein gelingendes Leben, d.h. Ausbildung von stabiler Identität und Autonomie, seien (Rössler, 2012: 6ff). Denn nur in Beziehungen, die sich durch „freundschaftlicher Zuneigung oder Liebe, durch Sorge und Rücksichtnahme und eine besondere Form von Interesse“ (2001: 238) auszeichnen, können sich Personen ungeschützt öffnen, über Grundfragen ihres Lebens auseinandersetzen und sich schließlich selbst erfinden. Intersubjektive Auseinandersetzung ist somit konstitutiv für die Ausbildung von Identität*. (2001: 238-40) Private, intime Beziehungen seien wiederum angewiesen auf informationelle Privatheit, denn nur, wenn Personen gezielt bestimmen können, welche Informationen sie über sich selbst sie an andere weitergeben, seien sie imstande, die Intensität ihrer unterschiedlichen Beziehungsarten (Ich + enger Freund, Ich + Mutter, etc.) und ihre eigene Verletzlichkeit zu bestimmen („selective-self-disclosure“ (Rössler, 2012: 7)). (2001: 236f) So ist begründet, warum der Schutz der Privatheit wertvoll für die einzelnen Personen in den Beziehungen selbst ist (Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse), also der indirekte soziale Wert (Rössler, 2012: 7, 9, 11).

Umgekehrt ergebe sich nach Rössler aus dem Schutz der Privatheit intimer Beziehungen auch ein direkter sozialer Wert (Bedeutung der Privatheit von privaten Beziehungen). Der soziale Wert ergebe sich daraus, dass familiäre und familienähnliche Beziehungen Funktionen übernehmen, bspw. Kindererziehung, intime Kommunikation oder Rückzug, die von anderen Institutionen nicht geleistet werden (können) (Rössler, 2012: 10). Weiterhin sind Freundschaften und Familien Voraussetzung für ein gelungenes Leben, welches wiederum erlaube, „als mündige Bürger in demokratischen Gesellschaften zu leben“ (Rössler, 2012: 10). Daher seien private Beziehungen ebenso wie individuelle Privatheit in ihrer Privatheit gegenüber gesellschaftlicher Öffentlichkeit zu schützen. (Rössler, 2012: 9ff)

Die Autonomie einer Person kann im Zuge der Verletzung der informationellen Privatheit geschädigt werden: Sind die Erwartungen an den Informationsstand des Gegenübers falsch, verhält sich die getäuschte Person unweigerlich auf Grundlage falscher Annahmen. Die Betroffenen verlieren die Kontrolle über ihre Selbstdarstellung (2001: 209) „also Kontrolle darüber, wie sie sich wem gegenüber in welchen Kontexten präsentieren, inszenieren, geben (...) sich (...) verstehen und wie sie verstanden werden wollen“ (Rössler, 2002: 23). Ihr Verhalten ist in dem betroffenen Kontext lediglich vermeintlich selbstbestimmt, da die Personen in ihren Einschätzungen ihres eigenen Verhaltens und das der anderen getäuscht wurden und so Entscheidungen und Selbstinterpretationen auf falschen Annahmen treffen/ vornehmen. (2001: 246) So ist eine Verletzung der informationellen Privatheit gleichzusetzen mit einem Kontrollverlust über Selbstdarstellung und selbstbestimmtes (autonomes) Verhalten (2001: 40, 203-10, 244f).

2.2.1. Professionelle Beziehungen: Privatheit zwischen Personen mit beruflichen Rollen Soziale Beziehungen gründen auf Regulierungen bzw. sozialen Normen darüber, was privat und was öffentlich geteiltes Wissen ist. Wie o.e. haben Personen in intimen Beziehungen selbst die Kontrolle darüber, welche privaten Informationen sie über sich selbst sie mit jeweils anderen teilen möchten (Rössler, 2012: 11). So sind Regulierungen in intimen Beziehungen subjektive Momente, da die Personen die Präsentation ihres Selbst selbstständig regeln/kontrollieren. (Rössler, 2012: 11)

In formalen Beziehungen hingegen können Regulierungen auch „quasi-objektives Moment“ (Rössler, 2012: 11) sein. Der Einzelne ist nicht in der Lage, vollkommen autonom (i. Vgl. zu privaten Beziehungen) zu regulieren/ kontrollieren, welche Information andere über ihn wissen. Die Personen setzen vielmehr voraus, dass bestimmte Informationen über sie bekannt sind (Rössler, 2012: 13). Bspw. sind dem Arbeitgebern Informationen über Ausbildung, Schulabschluss, etc. ihrer Arbeit bekannt (Rössler, 2012: 15). Laut Rössler nehmen die Personen in formellen Beziehungen Rollen ein, mit denen sie an sozialen Praktiken teilnehmen (Rössler, 2012: 14). Die jeweiligen formellen Beziehungsformen und Rollen regulieren und bestimmen von sich aus, welche geteilten Informationen jeweils relevant sind (Rössler, 2012: 13, 15). Das Wissen wird somit quasi-objektiv über die rollenspezifischen Anforderungen reguliert (Rössler, 2012: 15). Wie viel gegenseitiges Wissen bekannt sein darf, wird über Normen gesteuert. Aus den Normen ergeben sich Standards darüber, welche Informationen und Wissen für eine Beziehung wichtig sind (Rössler, 2012: 13, 15,17). Je nach Absicht einer formellen Beziehungsform (Arbeitnehmer & Arbeitgeber gegenüber Dozent und Student) ändern sich auch die Standards, an denen sich die Personen orientieren (Rollenerwartungen). Der soziale Wert des Privaten bei formellen Beziehungen kann zum einen indirekt sowie direkt sein (Rössler, 2012: 16f): Hat bspw. der Arbeitgeber Informationen über den Arbeitnehmer, die nicht mit dem normativen Standard übereinstimmen, würde der Arbeitnehmer dieses Vordringen als nicht berechtigt, sondern „invasiv“ (Rössler, 2012: 16) ansehen - das Gelingen der Beziehung wäre gefährdet. Allgemeiner formuliert dürfen die Erwartungen einer Rolle an das geteilte Wissen nicht verletzt werden, da dies gleichzeitig eine Verletzung der Kontrolle über Informationen über sich selbst darstellt (Rössler, 2012: 16). Die „geschädigten“ Personen könnten sich in solche Situationen nicht mehr „autonom verhalten und in ihren unterschiedlichen Bezügen autonom präsentieren“ (Rössler, 2012: 13) Der Schutz informationeller Privatheit und der Erwartungen an das je rollenspezifisch geteilte Wissen ist somit zum einen von Interesse für das einzelne Individuum. Zum anderen ist das Gelingen der formellen Beziehung auch ein gesellschaftliches Interesse (indirekter sozialer Wert des Privaten). (Rössler, 2012: 16f) Einen direkten sozialen Wert des Privaten gibt es bei formellen Beziehungen, die nicht nur des Schutzes der einzelnen Individuen bedürfen, sondern des Schutzes der Privatheit und Vertraulichkeit der gesamten formellen Beziehung selbst, bspw. Arzt und Patient. „Zufällig anwesende Andere würden die Beziehung als solche zerstören“ (Rössler, 2012: 17). Sie unterliegen daher besonderem rechtlichen Schutz, was Ausdruck gesellschaftlichen Interesses ist.

Exkurs: Auswirkungen der Standards in formellen Beziehungen Bis zu einem gewissen Punkt behalten Personen in formellen Beziehungen selbst die Kontrolle über die Informationen, die andere über sie wissen. Informationelle Privatheit bedarf bis zu diesem Punkt des Schutzes. Ab einem gewissen Punkt ist das Verhalten der Personen abhängig von ihrer Erwartung, die sie an den Standard des rollenspezifisch geteilten Wissens in der Beziehung haben, den sie aber nicht selbst regulieren können. So schränken die Standards die individuelle Informationskontrolle und damit autonome Selbstpräsentation ein. (Rössler, 2012: 11, 14f) Damit die Standards aber kritisierbar bleiben, müssen sie durch Normen begründet sein. Die höchste Norm in liberaldemokraktischen Gesellschaften liege im Schutz der individuellen Autonomie (Rössler, 2012: 16). Zusammenfassend zieht die Verletzung Privatheit die Verletzung von Autonomie nach sich, weshalb die Standards überdacht werden müssten.

Zentral bei informationeller Privatheit ist, inwieweit der Einzelne die Informationspreisgabe regulieren bzw. kontrollieren kann (Rössler, 2012: 12f, 2001: 234f). Die Erwartungen daran, welche Informationen in den einzelnen Beziehungsformen und Rollen individueller Kontrolle unterliegen, d.h. Strukturen von individueller informationeller Privatheit (...) geteiltem Wissen“ (Rössler, 2012: 23) sowie Reserve und Indifferenz, orientieren sich an kulturell geprägten Normen und sozial, rechtlichen Konventionen. Normative Grundlage sollte die Sicherung der Autonomie sein. (2001: 212-14) Damit die Individuen geschützt sind und die Konstitution der sozialen Beziehungen erfolgen kann, müssen diese Privatheitsnormen geschützt sein.

Das individuelle Interesse am Schutz der Privatheitsnormen (indirekter sozialer Wert in sozialen Beziehungen) liegt darin, dass individuelle Autonomie abhängig ist von gesicherten Erwartungen „an das Wissen anderer über uns selbst“ (2002: 20ff). Das gesellschaftliche Interesse ist direkt, da Privatheitsnormen soziale Beziehungen und Rollen wie „Freundschaften und Familien, (...) professionelle Beziehungen und (...) soziale Interaktionen zwischen Fremden in der Öffentlichkeit“ (Rössler, 2012: 23) regulieren und konstruieren (direkter sozialer Wert von sozialen Beziehungen). (Rössler, 2012: 2-5, 23)

Der Grund, warum der Schutz informationeller Privatheit in liberalen Demokratien so wichtig ist, liegt im normativen Prinzip der Autonomie von Personen. Diesem ist in liberalen Demokratien wie o.e. mehr Wert zuzumessen, als dem bloßen Recht auf individuelle Freiheit, das sich bspw. in freier Meinungsäußerung und Freiheit zur Betrachtung der Welt zeigt. Denn liberale Demokratien sind darauf angewiesen, dass ihre Bürger ein Interesse an Selbstbestimmung haben. Gefährden Bürger ihre private Autonomie, werde gleichzeitig öffentliche Autonomie gefährdet. (2002: 26, 2001: 218) Die Autonomie einer Person ist wiederum angewiesen auf die Kontrolle über den Wissensstand anderer und damit angewiesen auf ein stabiles Gefüge von Wissen, Erwartungen und Kontrolle. (2001: 228f)

3 Das Unternehmen: Google 3.1. Gründung

Offiziell wurde Google am 07.09.1998 in einem Gemeinschaftsprojekt von Sergey Brin und Lawrence Edward Page gegründet, die beide Computerwissenschaften studiert hatten (Thor, 2011: 13/ Levy, 2012: 27). Der Begriff Google leitet sich von googol ab, mit dem Milton Sirotta 1938 der Zahl 10100 einen Namen gab (Thor, 2011: 13, Reepesgaard, 2010: 17f/ http://www.google.com/intl/en/about/companv/historv/).

,,'Der Name entsprach der Dimension unserer Vorhabens', erläuterte Brin ein Jahr später. ’Da wir es mittlerweile täglich mit Milliarden Seiten, Bildern, Gruppen, Dokumenten und hundertmillionen Suchanfragen zu tun haben, ist der Name heute eine noch bessere Wahl'“ (Levy, 2012: 42).

[...]


* Da Rössler den Begriff der Privatheit auf einzelne Personen bezieht, handelt es sich um eine „Theorie individueller Privatheit“ (2001: 10). Die Trennlinie zwischen Privatem und Öffentlichen muss in den liberalen Demokratien immer aufs Neue hinterfragt werden, so dass das Private ein historisch und gesellschaftlich wandelbarer Begriff ist, d.h. vom Kontext definiertundüber Diskurse konstruiert. (2001:10,24f, 137;2012: 12)

*Die Beziehungsform „Interaktionen zwischen Fremden in der Öffentlichkeit“ wird im Laufe der vorliegenden Arbeit nicht stark genug berührt und ist deshalb im Anhang nachzulesen.

* Mead spricht von der „dialogischen Konstitution des Selbst“ (Rössler, 2012: 9) innerhalb geschützter Beziehungen.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Privatsphäre im Internet
Untertitel
Am Beispiel von Googles „Werbeökonomie“ und speziellen personalisierten Google-Online-Diensten
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Strukturveränderungen von Öffentlichkeit und Privatheit im Informationszeitalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
34
Katalognummer
V233287
ISBN (eBook)
9783656498445
ISBN (Buch)
9783656500179
Dateigröße
739 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
privatheit, individueller wert, informationelle privatheit, schutz der privatheit, private beziehungen, professionelle beziehungen, pagerank, suchbegriffe, google, google-ökonomie, googlemail, persönliche suche, googleplus, igoogle, froogle, google checkout, galaxynexus, googleanalytics, personalisierungstechnologien, personalisierung, bannerwerbung, werbung, werbeökonomie, gratis-dienste, datensammelie, daten, privatssphäre, anzeigensystem, digital natives, liberale demokratie, selbstbestimmung, autonomie, bürgerfreiheit, kontrolle, ausspähung, überwachung, wlan, ip-adresse, suchmaschine, ixquick, cookies, brwoser, sicherheitseinstellungen, europäisches datenschutzsiegel, datenschutzregelung, datenschutz, surfaktivitäten, surfen, datenmissbrauch, datenspuren, cookie-id, tauschhandel, search-logs
Arbeit zitieren
Sarah Hölting (Autor:in), 2012, Privatsphäre im Internet, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233287

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