Gewaltfreie Kommunikation

Eine Analyse nach pragmatischen Gesichtspunkten


Examensarbeit, 2012

80 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Vorstellung der Thematik
2. Vorgehensweise
3. Forschungsstand
4. Begrifflichkeiten

II. Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg
1. Zum Aufbau des Buches „Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens“
2. Marshall B. Rosenberg
3. Der Begriff „gewaltfrei“ bei Rosenberg
4. Die vier Komponenten der GFK (Rosenberg 2009, 25)
4.1 Beobachtung
4.2 Gefühle
4.3 Bedürfnisse
4.4 Bitten
5. Empathie
6. Zusammenfassung

III. Theoretischer Teil
1. Erving Goffman - interaction Order
2. Pragmatik
2.1 H. Paul Grice - Theorie der Implikaturen
2.2 John L. Austin/John Searle - Sprechakttheorie
3. Zusammenfassung

IV. Analyse
1. Beobachtung
1.1 Syntax
1.2 Sprechakttheorie
1.3 Theorie der Implikaturen
1.4 Facework
1.5 Fazit
2. Gefühle
2.1 Syntax
2.2 Sprechakttheorie
2.3 Theorie der Implikaturen
2.4 Fazit
3. Bedürfnisse
3.1 Syntax
3.2 Sprechakttheorie
3.3 Theorie der Implikaturen
3.4 Fazit
4. Bitten
5. Zusammenfassung/Fazit

V. Praktisches Beispiel
1. Einleitung/Ziel
1.1 Kontext
1.2 Vorgehen
2. Analyse
2.1 Teil I
2.2 Teil II
3. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

Internetquelle

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

VII. Selbstständigkeitserklärung

VIII. Anhang

I. Einleitung

1. Vorstellung der Thematik

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK)[1], entwickelt von Marshall B. Rosenberg, soll Möglichkeiten bieten, den Erfolg in (schwierigen) kommunikativen Situationen zu verbessern und zwar hinsichtlich des Umgangs miteinander, bei der Aufrechterhaltung eines positiven sozialen Umfeldes. Rosenberg nutzt dazu Sprache. Er hat sich im Laufe von mittlerweile über 40 Jahren mit diesem Thema beschäftigt, sein Konzept in dieser Zeit mehrfach erprobt und immer wieder verbessert. In seinem Buch „Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens“[2] nutzt er verschiedene sprachliche Formen, die seiner Meinung nach, zu einer allgemeinen Verbesserung des Umfeldes eines Menschen führen sollen. Ich habe mich, im Rahmen dieser Examensarbeit, dazu entschieden, mich auf die Analyse der sprachlichen Aspekte zu konzentrieren, die Rosenberg als Mittel für die GFK sieht, und diese hinsichtlich ihrer möglichen Wirkung eines gewaltfreien kommunikativen Umgangs hin zu hinterfragen.

Rosenberg gibt in insgesamt drei Kapiteln seines Werkes viele Beispiele für seiner Meinung nach angemessenen sprachlichen Umgangsformen, die es Menschen ermöglichen sollen, sich auch in schwierigen Situationen gegenseitig zu respektieren. Ebendiese sprachlichen Umgangsformen möchte ich einer genaueren Untersuchung unterziehen. Dabei wird es im Folgenden um die Fragen gehen:

Wie kennzeichnet sich die dargestellte „Gewaltfreie Kommunikation“?

Welche Merkmale müssen für eine GFK nach Rosenberg gegeben sein? (grammatisch-stilistisch/pragmatisch)

Durch welche Sprechhandlungen wird die GFK verwirklicht bzw. durch welche Sprechhandlungen kann sie verwirklicht werden?

2. Vorgehensweise

Wie vor Allem die letzten Fragen zeigen, soll sich die Untersuchung sowohl mit grammatisch-stilistischen als auch pragmatischen Aspekten beschäftigen. Dazu möchte ich die Sprechakttheorie nach Austin und Searle, die Theorie der Implikaturen nach H. Paul Grice sowie die Ideen von Goffman zum Begriff Facework nutzen. Das Ziel ist es, die Beispiel Sätze Rosenbergs aus seinen Kapiteln 3-6 hinsichtlich der eben genannten Theorien zu untersuchen. Dabei werde ich nicht auf die verschiedenen Möglichkeiten des Gebrauchs der GFK eingehen, da ich mich nur auf die theoretischen Aspekte der Vorschläge Rosenbergs konzentrieren möchte. Nachhaltigere Erforschungen, hinsichtlich deren Wirkung halte ich definitiv für sinnvoll, sie passen nur nicht in den von mir angestrebten und für eine Examensarbeit angemessenen Rahmen, da hierzu eine Vielzahl praktischer Anwendung über einen längeren Zeitraum von Nöten wäre.

Es wird bei der Analyse der dargestelhen Sätze vorrangig nach den Illokutionen im Sinne Sprechakttheorie (SAT)[3] gefragt werden und ob diese dem Wunsch, damit gewaltfrei zu kommunizieren, entsprechen. Auf Illokution wird deswegen eingegangen werden müssen, da auf die perlokutionären Kräfte[4] dieser Sätze nur spekulativ eingegangen werden könnte. Es kann jedoch Z.B. anhand der SAT zunächst festgestellt werden, welche Mittel für eine gewaltfreie Kommunikation von Rosenberg vorgesehen sind und ob der entsprechende Satz zumindest das Potential hat, gewaltfrei zu sein oder nicht. Auch die Theorie der Implikaturen nach Grice können für die weitere Analyse herangezogen werden, da sich pauschal einige Gemeinsamkeiten ergeben haben (z.B. das Kooperationsprinzip), anhand derer die Eigenschaften der Sätze bezüglich ihrer Gewaltfreiheit im Sinne Rosenbergs geprüft werden können.

Neben einer Analyse der gegebenen Beispielsätze, wird auch eine kurze Untersuchung des Begriffes „gewaltfrei“, den Rosenberg nutzt, angestrebt. Dies erscheint wichtig, da er sich bereits bezüglich des Names für diese Art der Kommunikation als wichtiger Punkt herausstellt, eine direkte und explizite Definition dessen aber nicht vorhanden ist. Es ist jedoch Voraussetzung, dass geklärt ist, was „gewaltfrei“ ist und wie dies sich in Sprache darstellen kann, wenn eine tiefgreifendere Analyse der sprachlichen Mittel, die Rosenberg benutzt, vollzogen werden soll. Nur so kann im Anschluss geklärt werden, ob eben dieser Ausdruck dann gewaltfrei ist oder nicht.

Der auf die Analyse folgende Schritt wird dann eine kurze praktische Arbeit sein. Ich habe vor einiger Zeit an der Montessori-Gmndschule in Greifswald hospitieren dürfen und dort beobachtet, dass die Prinzipien gewaltfreien Kommunizierens von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer her angewandt wurden. Ich habe mich deswegen dazu entschlossen, einen Praxisteil anzuschließen, in dem ich eine Untenïchtsstunde von dieser Montessori-Schule aufnehme und diese Aufnahme auf die vorher bestimmten Merkmale hin überprüfe. Dieser Praxisteil soll, wie bereits gesagt, lediglich als Beispiel für eine mögliche Umsetzung der GFK dienen. Es werden im Rahmen dieser Examensarbeit keine großangelegten Gesprächsanalysen stattfinden.

Ich möchte anmerkt, dass das Konzept Rosenbergs, wie schon erwähnt, auch in vielen anderen pädagogischen und sozialen Bereichen Anklang gefunden hat und zumindest in Teilen mit genutzt wird, auch ohne expliziten Hinweis darauf (vgl. Z.B. Altmann 2010). Hinzu kommt, dass auch Rosenberg sein Theoriekonzept auf Grundlage anderer Forschungen gestellt hat und dass es durchaus Vorkommen kann, dass sich diese (pädagogischen/psychologischen/sozialen) Konzepte ähneln. Das Risiko, dass es bei den Aufnahmen in der Grundschule nicht zu entsprechenden Beobachtungen im Sinne der GFK kommen kann, ist mir durchaus bewusst. Auch dies wäre ein Ergebnis, das einen Erkenntnisgewinn hervorbrächte. Höchstwahrscheinlich wird die GFK in theoretischer Reinform nie auftauchen. Dies ist meiner Meinung nach auch von Rosenberg beabsichtigt, da ich denken, dass er sich der Variation von Sprache in verschiedenen Situationen durchaus bewusst ist. Ein Hinweis dazu findet sich in der recht vagen Beschreibung der sprachlichen Vorgehensweise. Dazu später mehr.

Der Vorteil dieses praktischen Verfahrens liegt darin, dass ich eventuell prüfen kann, inwieweit die von mir beobachteten (bestenfalls gewaltfreien) Illokutionen auch wirklich ebenso von den Sprechern gemeint waren und ob eine entsprechende Wirkung bei den Hörern erzielt wurde.

3. Forschungsstand

Die Theorie Rosenbergs ist bereits in einigen sprachwissenschaftlichen Arbeiten genutzt worden,[5] jedoch ohne, dass dabei eine explizite Auseinandersetzung mit seinen Vorschlägen dabei stattgefünden hätte. Abhandlungen direkt zu Analysen der GFK unter sprachlichen Aspekten gibt es meinen Recherchen nach zu diesem Zeitpunkt nicht. Lediglich Röthke beschäftigte sich im Zuge ihrer Dissertation mit einigen sprachlichen Merkmalen der GFK (vgl.: Röthke 2009, 81-153). Dies bedeutet nicht, dass sich mit Rosenbergs Theorien noch nicht auseinandergesetzt wurde. Der überwiegende Teil einer Auseinandersetzung fand jedoch unter psychologischen bzw. soziologischen Kontexten statt und befasste sich mit Kritiken, Evaluationen und Vorschlägen zur Erstellung von Trainingsprogrammen.[6] Sehr wohl gibt es auch sprachwissenschaftliche Werke und Autoren, die sich mit Gewalt durch bzw. in Sprache beschäftigen.[7] Ich werde überwiegend auf sprachwissenschaftliche Literatur zurückgreifen, dabei vor allem auf die sprachtheoretischen Abhandlungen der bereits genannten Autoren Goffman, Grice, Austin und Searle sowie Auseinandersetzungen durch andere Autoren (wie beispielsweise Rolf oder Staffeldt). Sie sollen herangezogen werden, um das theoretische Gmndkonzept meiner Arbeit zu bilden.

Das von mir gewählte sprachwissenschaftliche Konzept zur Beschreibung der sprachlichen Vorgehensweise bei der GFK ist demzufolge ein Vorschlag und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit (wie das die genutzten Konzepte grundsätzlich nicht tun). Ich möchte damit aufzeigen, wie die Theorie der GFK sprachlich funktioniert. Im besten Falle ergeben sich daraus Möglichkeiten, einen der oft als kritisch betrachteten Punkte zu verbessern, nämlich den der Alltagstauglichkeit.

Die allgemeine Theorie der GFK, werde ich noch ausführlich thematisieren (vgl. Kap. II). Einleitend halte ich es jedoch für wichtig folgendes zu betonen: Das Werk (und damit auch zu Teilen der Autor) wirken sehr optimistisch, was den Umgang mit dieser Art des Sprechens, sowie die Zielsetzungen anbelangen:

„Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist eine Art des Umgangs miteinander, die den Kommunikationsfluss erleichtert, der im Austausch von Informationen und im friedlichen Lösen von Konflikten notwendig ist. Der Fokus liegt dabei auf Werten und Bedürfnissen, die alle Menschen gemeinsam haben, und wir werden zu einem Sprachgebrauch angeregt, der Wohlwollen verstärkt. Ein Sprachgebrauch, der zu Ablehnung oder Abwertung führt, wird vermieden.

Gewaltfreie Kommunikation geht davon aus, dass der befriedigendste Grund zu Handeln darin liegt, das Leben zu bereichern und nicht aus Angst, Schuld oder Scham etwas zu tun. Besondere Bedeutung kommen der Übernahme von Verantwortung für getroffene Entscheidungen zu sowie der Verbesserung der Beziehungsqualität als vorrangiges Ziel.“ (Rosenberg 2009, 1)

Die Grundlage dieser Theorie, „dass der befriedigendste Grund zu Handeln darin liegt, das Leben zu bereichern“ erscheint moralisch sehr hoch angesetzt und wirkt beinahe utopisch. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, durch die Benennung des ersten Kapitels „Von Herzen geben“, in dem Rosenberg seine Gründe für sein Wirken inklusive einiger Beispiele beschreibt. Vergleicht man diesen Ansatz jedoch beispielsweise mit der Idee Emile Durkheim's, welche Erving Goffman mit aufgreift, dass die

„Persönlichkeit des Menschen [...] etwas heiliges“ ist (Goffman 1971, 82),

so lassen sich definitiv Parallelen in die Soziologie und auch in die Gesprächsanalyse ziehen. Von Goffman ausgehend, halte ich einen Bezug zum pragmatischen Umgang mit dieser Thematik ebenfalls für schlüssig, allein aus der Tatsache heraus, dass sich Goffman relativ intensiv mit zwischenmenschlicher Kommunikation auseinandersetzte (vgl.: Goffman 2005). Dabei bezieht er sich u.a. auf Austin und Searle sowie auf Grice, auch wenn er die Eingeschränktheit bezüglich einer genauen Erfassung von Kommunikation bemängelt (vgl. Z.B.: Goffman 2005, 83/231-234).

Für eine Beschreibung der von Rosenberg genutzten Sätze eignen sich die genannten Autoren meiner Meinung nach jedoch sehr gut, da in seinem Buch von ihm selbst häufig einzelne Sätze oder aufgeschriebene Dialoge von erlebten Ereignissen als Beispiele für gelingende oder nicht gelingende GFK eingesetzt werden. Ich möchte das Muster dieser Sätze analysieren und davon ausgehend herausfinden, was, nach pragmatischen Gesichtspunkten, Rosenberg für gewaltfrei hält. Wie bereits erwähnt, möchte ich die Sätze zunächst nach syntaktischen Merkmalen hin untersuchen. Diese Analyse werde ich dann durch die von Austin und Searle kategorisierten Sprechakte, inklusive genauer erarbeiteter Sprechhandlungen[8] sowie Kriterien nach Grice und Goffman ergänzen. Die von Austin und Searle entwickelte sogenannte Sprechakttheorie eignet sich dahingehend für dieses Vorhaben, da es ermöglicht wird, die einzelnen Sätze, Nebensätze oder auch Wortgruppen genauer nach ihren Illokutionen - sprich dem Gemeintem hin - zu bestimmen.

Die Frage ist, ob sich anhand dieser Analyse ein Muster bestimmter syntaktischer Strukturen in Verbindung mit Sprechhandlungsmustem erkennen lässt. Sollte dies der Fall sein, so wäre es möglich eine Art Schablone zu erstellen, mit welcher man in der Lage wäre, schnell zu analysieren, ob es sich um gewaltfreie Kommunikation handelt oder nicht. Dies kann sich zum Beispiel bei Ausbildungen innerhalb eines sozialpädagogischen Kreises als hilfreich erweisen.

4. Begrifflichkeiten

Neben den genannten Abkürzungen für Gewaltfreie Kommunikation (GFK) und Sprechakttheorie (SAT), werde ich überwiegend mit den in der Sprachwissenschaft üblichen Abkürzungen S für Sprecher und H für Hörer arbeiten. Da ich im Laufe meiner Examensarbeit auch aus anderen Arbeiten zitieren werde, die sich anderer Beschreibungen von beteiligten Gesprächsteilnehmern bedienen, werden dort auch Begriffe wie Adressat (Ad) und die Abkürzung Sp für Sprecher erscheinen.

II. Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg

In diesem Abschnitt möchte ich kurz sowohl auf Marshall B. Rosenberg, als auch sein Buch „Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens“ eingehen. Damit möchte ich grob eine Vorstellung geben, welches Material zur Analyse zur Verfügung steht. Detailliertere Vorstellungen und Analysen werden erst im vierten Kapitel vorgenommen.

1. Zum Aufbau des Buches „Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens“

Mein Beschäftigungsgegenstand ist das nนn vielfach erwähnte Werk Rosenbergs. Ich nutze für diese Arbeit die achte Auflage, welche 2009 bei der Junfermannschen Verlagsbuchhandlung Paderborn erschien. Das Werk umfasst 240 Seiten, inklusive des Registers und dem Hinweis auf weitere Werke. Der Aufbau des Buches setzt sich wie folgt zusammen.

Die erste Seite stellt kurz da, worum es bei der GFK gehen soll. Erst hiernach kommt das Inhaltsverzeichnis. In 13 Kapiteln stellt Rosenberg sein Programm vor, wobei die Kapitel 1 und 2 sozusagen als theoretische Grundlage verstanden werden können. Die Kapitel 3-7 sehe ich als Lern- bzw. Praxisteil an. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass an ihrem Ende jeweils eine Übung zum vorher behandelten Thema eingefügt ist. Dies wird der Teil, mit dem ich mich überwiegend beschäftigen werde, da hier konkret Beispiele für die jeweiligen sprachlichen Äußerungen gegeben sind. Die Kapitel 8-13 sollen beispielhaft die Wirkung der GFK in verschiedenen Situationen darstellen. Dieser Teil des Buches wirkt sehr, wie ein handelsüblicher „Ratgeber für ein besseres Leben“[9] und soll in meinen Betrachtungen weniger eine Rolle spielen.

2. Marshall B. Rosenberg

Im Anhang des Buches befindet sich eine sehr kurze Beschreibung zum Autor, die jedoch eigentlich wieder sein Projekt, die GFK, in den Vordergrund rückt. Die Informationen, auf Seite 221 zu finden, erklären, dass Rosenberg Begründer des „Center for Nonviolent Communication (CNVC) sei und dort den Trainingsbereich leite. Rosenberg sei in einem „brodelnden Viertel“ in Detroit aufgewachsen und entwickelte dort ein starkes Interesse an „neuen Formen der Kommunikation als einer friedlichen Alternative zu der Gewalt, die er in seiner Jugend kennenlernte.“ 1961 promovierte Rosenberg an der University of Wisconsin in Psychologie, desweiteren studierte er vergleichende Religionswissenschaften. Der übrige Beitrag, der mit „über den Autor“ überschrieben ist, beschäftigt sich damit, wo Rosenberg sein entwickeltes Programm der GFK überall in der Welt einsetzte. Einige Seiten zuvor (Rosenberg 2009, 219) wird geschildert, dass Rosenberg daran schon seit 1963 arbeitete. In seinen Danksagungen (vgl. ebd. 17) nennt der Autor dann auch Namen, die ihn offensichtlich beeinflusst haben. Darunter befindet sich u.a. Professor Carl Rogers[10]. Eine weiter Erwähnung überhaupt irgendwelcher Einflüsse habe ich im Buch nicht gefunden.

Die Theorie Rosenbergs

Wie bereits erwähnt wirkt die grundsätzliche Theorie Rosenbergs auf mich zum Teil sehlunwissenschaftlich und vage. Beides klingt von Anfang an mit, wenn man sich die beiden grundsätzlichen angegebenen Fragen Rosenbergs vor Augen führt, die ihn dazu veranlassten, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen.

„Was geschieht genau, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur[11] verlieren und uns schließlich gewalttätig und ausbeuterisch verhalten? Und umgekehrt, was macht es manchen Menschen möglich, selbst unter schwierigsten Bedingungen mit ihrem einfühlsamen Wesen in Kontakt zu bleiben?“ (Rosenberg 2009, 21)

Diese beiden Fragen bilden die Grundmotivation Rosenbergs, sich mit der Entwicklung dieses Konzeptes zu beschäftigen. Es ist deswegen sinnvoll, sie im Hinterkopf zu behalten, da sie damit die Grundlage für seinen Umgang mit Sprache bilden.

„Als ich mich mit den Umständen beschäftigte, die unsere Fähigkeiten beeinflussen, einfühlsam zu bleiben, war ich erstaunt über die entscheidende Rolle der Sprache und des Gebrauchs von Wörtern.“ (Rosenberg 2009, 22)[12]

Im Anschluss an diese Aussage erläutert Rosenberg seine Vorstellungen zum Begriff „gewaltfrei“, den er im „Sinne von Gandhi“ versteht:

„Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unserem Herzen nachlässt.“ (Rosenberg 2009, 22)

An dieser Aussage ist sehr gut die Problematik der Begriffsbestimmung, die das Werk Rosenbergs durchziehen, zu erkennen. Der Autor nutzt den zuvor von ihm eingeführten Begriff des „einfühlsamen Wesens“, das offensichtlich zum Vorschein kommt, wenn wir nicht mehr gewalttätig fühlen oder denken[13]. Er definiert damit also „gewaltfrei“ durch die Abwesenheit von „Gewalt“, ohne sich näher mit diesem letztgenannten Begriff auseinanderzusetzen. Ich werde mich an einer anderen Stelle genauer damit beschäftigen und selbst Vorschläge für eine entsprechende Definition machen (Siehe Kap. II/3.). Hier wollte ich zunächst nur exemplarisch darstellen, inwieweit Rosenbergs Motivation und Theorie veröltet sind und Beispiele aufzeigen, was Rosenbergs Umgang mit Begrifflichkeiten angeht. Es sind weitere Stellen in seinem Buch vorhanden, die für beide Richtungen weitere Beispiele geben würden. Ich möchte es an dieser Stelle jedoch dabei belassen und dazu übergehen aufzuzeigen, wie die GFK sprachlich funktionieren soll, ohne dabei hier eine direkte Analyse vorzunehmen.

3. Der Begriff „gewaltfrei“ bei Rosenberg

An dieser Stelle möchte ich mich kurz mit dem Begriffen gewaltfrei und Gewalt auseinandersetzten, da sie im Konzept der GFK eine grundlegende Rolle spielen. Es geht mir nicht dämm, eine vollständige oder allumfassende Definition der beiden Begrifflichkeiten zu liefern. Ich möchte stattdessen den Versuch unternehmen, darzustellen, wie Rosenberg diese Begriffe versteht und wie er mit ihnen in seinem Konzept umgeht, soweit dies möglich ist.

Rosenberg selbst spricht den Begriff „gewaltfrei“ in seinem Werk nur kurz an:

„Ich nenne diese Methode Gewaltfreie Kommunikation und benutze den Begriff Gewaltfreiheit im Sinne von Gandhi: Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt.“ (Rosenberg 2009, 22; kursive Kennzeichnung übernommen)

Zur Gewalt in Sprache schreibt er:

„Ein Sprachgebrauch, der zu Ablehnung oder Abwertung führt, wird vermieden.“ (Rosenberg 2009, 1)

Damit ist „gewaltfrei“ für Rosenberg offensichtlich das Nachlassen bzw. Fehlen von Gewalt, was die Notwendigkeit hervorruft, sich mit diesem Begriff (Gewalt) zu beschäftigen. Mit seiner Vorstellung von gewaltfrei übernimmt er den allgemeinen Gebrauch des Adjektives (vgl. Z.B.: DGW 1999, 1504). Gewalt in Sprache führt Rosenberg offensichtlich auf Ablehnung und Abwertung im Sprachgebrauch zurück. Wie diese konkret aussieht, versucht er im Laufe des Buches immer wieder mit Beispielen zu belegen.

In ihrer Bachelor-Arbeit hat sich Grit Bogaczyk mit dem Themenfeld der Gewalt in der Sprache beschäftigt. Dabei bezog sie sich auf verschiedenste Bereiche, um die Herleitung des Begriffes zu ermöglichen und kam u.a. zu dem Ergebnis, dass sich die Bestimmung des Gewalt-Begriffs „zusehends in Richtung der Bedeutung einer physischen, also einerverletzenden Gewalt orientiert.“ (Bogaczyk 2011, 11). Entwickelt hatte sich der Begriff auf Grundlage verschiedener Rechtsordnungen über Jahrhunderte hinweg. Diese Entwicklung wird auch deutlich, wenn man das DGW als Mittel zur Begriffsbestimmung heranzieht. Gewalt wird hier mit Merkmalen wie Macht, Befugnis und Recht beschrieben. Ebenso wird auf Mittel referiert, die zur Verfügung Stehen müssen, um Gewalt ausüben zu können. Diese Mittel sind etwa institutioneller (staatliche, richterliche) und/oder autoritärer (elterliche, priesterliche) Natur. Aber auch unrechtmäßiges Vorgehen, wie Zwang und Kontrolle klingen in den Beispielen mit, etwa:

„sie stehen völlig unter seiner G. (werden völlig von ihm beherrscht, unterdrückt, sind ganz von ihm abhängig)“ (DGW 1999, 1503)

Sowohl beherrscht als auch unterdrückt und abhängig lassen auf ein negatives Verhältnis zwischen zwei Parteien schließen. Detailiert werden die Mittel nicht weiter benannt, von der grundlegenden Beschreibung ausgehend, kann es sich dabei sowohl um physische als auch psychische Elemente handeln (vgl.: DGW 1999, 1503).

Daraus ergeben sich für Gewalt Merkmale wie verletzend und unterdrückend, in verschiedenen Kontexten. Außerdem wird Gewalt durch Macht[14] ausgeübt, ist also in der Regel nicht passiver Natur, sondern muss mehr oder weniger durch eine Person aktiv ausgeführt werden. Diese aktive Ausübung kann bspw. auch durch Worte geschehen, wobei hier beachtet werden muss, dass das Höreiwerstehen eine wichtige Rolle spielt. Damit meine ich, dass eine Äußerung von H anders aufgefasst werden kann, als S sie gemeint hat.

Mit der Problematik des Hörerverstehens befassten sich unteranderem Goffman und Grice, aber auch Rosenberg versucht in seinem Werk durch die aufgezeigten Methoden (beobachten ohne bewerten, Gefühle und Bedürfnisse äußern, bitten) Transparenz und Klarheit und damit Verständnis zu schaffen, sowohl beim Sprecher selbst, als auch beim Hörer. Der Begriff Gewalt bei Rosenberg erfüllt damit die oben genannten Merkmale (verletzend, unterdrückend, aktive Ausführung, auf menschliche Physis und Psyche bezogen), die er mit seinen Methoden vermeiden möchte. Er sieht offensichtlich die Grundlage für Gewalt durch Missverständnisse, sowie den Mangel an Einfühlungsvermögen uns selbst und anderen gegenüber[15] gegeben.

4. Die vier Komponenten der GFK (Rosenberg 2009, 25)

Rosenberg sieht sein Ziel, gewaltfrei zu kommunizieren, mit der Erfüllung von vier Komponenten erreichbar.

1. Beobachtungen
2. Gefühle
3. Bedürfnisse
4. Bitten

Diese vier Schritte sollen aufeinander aufbauen, müssen jedoch nicht immer in dieser Reihenfolge stattfinden.

4.1 Beobachtung

Als erstes soll S so neutral wie möglich angeben, was er wahrgenommen hat. Diesem Punkt wird viel Bedeutung zu teil, da er die Grundlage für das gewaltfreie Kommunizieren bildet. S soll auf Beurteilungen oder Bewertungen seinerseits zunächst verzichten, darf aber über seine eigene Wahrnehmung und damit auch sein eigenes Verständnis gewisse Vorgänge betreffend darstellen. Das heißt, dass er den Eindruck, den ein anderer vorher auf ihn gemacht hat, mit äußern darf und auch soll, dabei aber darauf achten muss, diese Beobachtung von Beurteilungen oder Bewertungen zu trennen. Ein sehr einfaches Beispiel, das Rosenberg selbst anbringt, ist die Situation, das H einem Straßenmusiker eine unüblich große Summe Geld gibt. S sieht dies und kann dann, im Sinne der GFK, sagen:

„Wenn du dem Straßenmusiker 20 Mark gibst, dann finde ich, dass du großzügig bist.“ (Rosenberg 2009, 46).

Das Problematische an diesem Beispiel ist, dass es sich nicht genau an die Konzeption hält. Es erscheint weniger wie eine Trennung von Beobachtung und Bewertung, als vielmehr wie eine logische Satzkonstruktion, die einen kausalen Zusammenhang darstellen soll.[16] Wenn ich das Beispiel unter den Vorgaben von Beobachten entsprechend ergänze, kann dabei folgendes herauskommen:

„Ich sehe, du gibst dem Straßenmusiker 20 Mark. Das finde ich (sehr) großzügig“

In diesem Beispiel habe ich formal durch zwei Hauptsätze die Beobachtang von der Bewertung getrennt. Diese wäre auch in einem Gespräch durch Intonation gut zu erkennen, da in der Regel die Stimme bei Satzende nach unten geht und zwischen den Sätzen eine kurze Pause entsteht.

Was Rosenberg genau mit der Trennung von Beobachtung und Bewertung meint, gibt er selbst nur kurz an:

„Wir müssen das, was unser Wohlbefinden stört, deutlich beobachten (was sehen, hören oder berühren wir?), ohne es mit irgendeiner Bewertung zu verknüpfen.“ (Rosenberg 2009, 45).

Das vom Autor in Klammem gesetzte, verstehe ich als seine eigentliche Definition von beobachten. Sie macht deutlich, dass es ihm dabei ausschließlich um die von den Sinnen erfassten Reize geht. Er begründet die Trennung der Beobachtung von der Bewertung damit, dass durch eine Vermischung der beiden Handlungen und deren Äußerung eine Kritik für H zu hören sei, welche sich negativ auf das Gespräch an sich auswirken kann.[17]

4.2 Gefühle

An die Beobachtung, getrennt von einer Bewertung, schließt sich der Punkt Gefühle an. An dieser Stelle soll S ausdrücken, wie er zu der eben beobachteten Sache steht. Das eben aufgeführte Beispiel beinhaltet diesen zweiten Schritt noch nicht, das von S gesagte müsste also entsprechend ergänzt werden. Hierbei treffen wir auf ein weiteres Defínitionsproblem. Rosenberg gibt Beispielhaft an, was er unter Gefühlen versteht („verletzt, erschrocken, froh, amüsiert, irritiert usw.“ (Rosenberg 2009, S. 25)). Nichtsdestotrotz kann das Wort Gefühl auch anderweitig verstanden werden, zum Beispiel als einfacher Sinnesreiz (Hunger, Schmerz)[18]. Gemeint sind in diesem Kontext ganz offensichtlich seelische Zustände. Ein Beispiel von Rosenberg dazu wäre:

„Ich freue mich, dass du kommen kannst.“ (Rosenberg 2009, 65 Satz 5)

Das Beispiel Rosenbergs von oben kann ich dahingehend wie folgt ergänzen:

„Ich sehe, du gibst dem Straßenmusiker 20 Mark. Das finde ich (sehr) großzügig und es freut mich.“

Hier habe ich versucht eine Beobachtung getrennt von einer Bewertung zu formulieren und explizit ein Gefühl an die Äußerung angeschlossen.

4.3 Bedürfnisse

Mit den Bedürfnissen soll S ausdrücken können, weswegen er wie (sprachlich) handelt und was genau hinter den Gefühlen steckt, die er gerade geäußert hat. Die angestrebte Konstruktion soll also nach Möglichkeit explizit den emotionalen Sachverhalt darstellen bzw. begründen. Ein Beispiel Rosenbergs:

(Mutter zu ihrem Sohn) „Felix, ich ärgere mich, wenn ich zwei zusammengerollte schmutzige Socken unter dem Kaffeetisch sehe und noch drei neben dem Fernseher, weil ich in den Räumen, die wir gemeinsam benutzen, mehr Ordnung brauche.“ (Rosenberg 2009, 25)

Erneut erscheint unklar zu sein, was ein Bedürfnis eigentlich ist. In diesem Beispiel ist es anscheinend „Ordnung“. Formal beginnt der Satz, der hypotaktisch aufgebaut ist, mit dem Gefühl (2.), gefolgt von der Beobachtung (1.), gefolgt von der Begründung durch ein Bedürfnis (3.). An dieser Stelle ist gut zu beobachten, dass Rosenberg den einzelnen Schritten offensichtlich eine gewisse Hierarchie zugedacht hat, wohl insofern, dass er sowohl einen gewissen Ablauf als auch eine gewisse Wichtigkeit im Sinn hatte. Er hat dieses Konzept jedoch offensichtlich nicht so angelegt, dass es als feste und/oder unveränderbare Satzkonstruktion bestand haben soll. Vielmehr ergibt sich dadurch eine gewisse Flexibilität im Umgang mit der GFK. Ich möchte versuchen auch diesen Punkt in das Beispiel von oben zu integrieren:

„Ich sehe, du gibst dem Straßenmusiker 20 Mark. Das finde ich (sehr) großzügig und es freut mich, da ich Großzügigkeit sehr schätze.“

Ich habe an dieser Stelle wieder eine Beobachtung getrennt von einer Bewertung formuliert und zusätzlich dazu ein Gefühl geäußert, welches ich mit einem Bedürfnis als Begründung verbunden habe.

Die Übernahme von Verantwortung durch die Äußerung eines Bedürfnisses

Ein wichtiger Punkt, den Rosenberg für die Umsetzung der GFK sieht, ist der der Verantwortung:

„Die GFK schärft unsere Wahrnehmung der Tatsache, dass das, was andere sagen oder tun, ein Auslöser für unsere Gefühle sein mag, aber nie ihre Ursache ist. Wir erkennen, dass unsere Gefühle aus unserer Entscheidung kommen, wie wir das, was andere sagen oder tun, aufnehmen wollen; und sie entstehen aus unseren jeweiligen Bedürfnissen und Erwartungen in der aktuellen Situation.“ (Rosenberg 2009, 69)

Ziel ist es, ein Maß an Bewusstsein dafür zu entwickeln, zu erkennen, weswegen Emotionen bei mir ausgelöst werden. Rosenberg sieht die Grundlage hierfür in Bedürfnissen und Erwartungen, die ich als Mensch habe. Ein vorher angesprochenes Gefühl soll durch ein Bedürfnis näher erläutert werden, was dann gleichzeitig die Übernahme von Verantwortung für das entsprechende Gefühl zeigen soll. Diese hier dargestellte Verantwortung halte ich persönlich für den wichtigsten Punkt der GFK, da hierdurch der Sprecher dazu veranlasst wird, genau zu prüfen, was ihn gerade in welchem Maße stört oder glücklich macht. Dieses Fokussieren auf die eigene Person kann dazu führen, dass der Ursprung von Emotionen erkannt wird, wodurch eine Auseinandersetzung damit vereinfacht werden kann. Die zuvor besprochenen Mittel (Beobachten ohne Bewerten und Gefühle genau benennen) sollen dafür Hilfsmittel sein.

Rosenberg gibt an dieser Stelle auch an, dass er Urteile, Kritik, Diagnosen und Interpretationen als entfremdende Äußerungen der eigenen Bedürfnisse einer Person auffasst (vgl. Rosenberg 2009, 73). Das problematische bei diesen Ausführungen ist, dass Rosenberg noch auf derselben Seite Schlussfolgerungen zum beobachteten Verhalten zweier Gesprächsteilnehmer zieht und dabei auch bei den aufgeführten Begriffen keine weitere Unterscheidung trifft. So kann man laut DGW nämlich davon ausgehen, dass bspw. die Begriffe „Interpretation“ und „Kritik“ definitiv mit einer Wertung verbunden sind. Der Unterschied besteht nนn darin, dass eine Kritik ausgesprochen werden muss, um zu einer solchen zu werden. Eine Interpretation hingegen kann als Teil des allgemeinen Wahrnehmungsprozesses angesehen werden und ist damit quasi immer präsent (vgl. dazu Z.B. Yamaguchi 1982).

4.4 Bitten

Der (formal) letzte Schritt ist das Bitten. Damit soll nach Rosenberg die allgemeine Situation der Gesprächsteilnehmer verbessert werden:

„Was kann er oder sie konkret tun, um unsere Lebensqualität zu verbessern?“ (Rosenberg 2009, 25)

Das Bitten bildet den Abschluss dieser Kette an Beobachtungen und dem Äußern der eigenen Befindlichkeiten. Gleichzeitig ist dies auch eine wichtige Komponente, da erst hierdurch eine Veränderung zwischen den beiden Gesprächspartnern zustande kommen kann. Rosenbergs Beispiel dazu ist erneut auf das Problem der Socken zwischen Mutter und Felix bezogen (erneut die Mutter):

„Würdest du bitte deine Socken in dein Zimmer oder in die Waschmaschine tun?“ (Rosenberg 2009, 25)

Ich habe mein Beispiel von oben entsprechend ergänzt:

„Ich sehe, du gibst dem Straßenmusiker 20 Mark. Das finde ich (sehr) großzügig und es freut mich, da ich Großzügigkeit sehr schätze. Würdest du dies auch bitte in Zukunft so machen, zum Beispiel wenn wir Weggehen?“[19]

Dieser Ausdruck ist relativ unproblematisch und wurde in dieser Form („Würdest du bitte...“) von jedem sicherlich schon einmal benutzt. Das besondere daran ist, dass ihm die oben beschriebenen drei Punkte vorrausgehen und sich damit eine gewisse Transparenz eingestellt hat. Diese soll H vermitteln, dass S in diesem Moment keine „Macht“ bzw. „Gewalt“ ausüben möchte. Der Grund für den Wunsch bzw. die Aufforderung[20] ist im Vorfeld klar gemacht worden. Die Frage an dieser Stelle bleibt natürlich, ob H diese nนn recht genaue und auch umfangreiche Erklärung, ebenso aufgefasst hat, wie S sie darstellen wollte, sprich: gewaltfrei?

5. Empathie

Als Empathie, oder auch Einfühlen, beschreibt Rosenberg die Technik, die angewandt werden soll, um Bedürfnisse und Gefühle bei anderen zu erforschen. Dazu sollen die oben genannten Schritte in Abwandlung vollzogen werden. Wenn uns jemand etwas sagt, sollen wir eine Beobachtung heraushören, unabhängig davon, ob diese von unserem Gegenüber explizit als solche markiert wurde oder nicht. Danach soll darauf geachtet werden, was er fühlt und braucht. Wie gesagt soll dies den vier Schritten beobachten, Gefühle, Bedürfnisse, Bitten von oben entsprechen. Die Realisierung des Einfühlens stellt sich Rosenberg durch das Mittel der Paraphrasierung vor. Der Sprecher fasst zusammen, was er gehört hat und bittet (direkt oder indirekt) dämm, dass ihm mitgeteilt wird, ob diese Paraphrasiemng das ist, was auch die beabsichtigte Intention der vorher wahrgenommenen Äußerung war. In dieser Phase der GFK wird hauptsächlich mit Fragen operiert.

6. Zusammenfassung

Marshall B. Rosenberg unterteilt sein Konzept der gewaltfreien Kommunikation in vier Punkte. Diese sind das Ausdrücken von eigenen Beobachtungen, ohne das eine Beurteilung oder Bewertung dabei mit einbezogen wird, gefolgt von der Äußerung eines Gefühls. Danach soll das Bedürfnis, das hinter dem Gefühl steckt benannt werden, um im Anschluss daran eine Bitte zu formulieren, die konkret darstellen soll, was der entsprechende Gegenüber tun kann/soll, um die Lebenssituation beider Parteien verbessern zu können. Mit diesem Vorgehen soll eine Transparenz geschaffen werden, die dann die Bitte auch wirklich als Bitte erscheinen lassen soll. Die einzelnen Punkte sind zwar nach einer gewissen Hierarchie geordnet, doch auch Rosenberg hat in seinen Beispielsätzen diese Reihenfolge verändert. Ich folgere daraus, dass es durchaus möglich ist, die angebotene Anordnung der Abfolge gegebenen Situationen und Sprechern anzupassen.

Problematisch sind, wie dargestellt, die Beispiele des Buches, die überwiegend ohne einen Kontext präsentiert werden, sowie die fehlenden Ausführungen von Definitionen der gewählten Begriffe. Ebenso wirkt das sprachliche Konzept aufgrund seiner Komplexität sehlsteif. Durch die Aussprache dessen, was man gerade beobachtet hat, kommt es quasi zu einer Wiederholung des Kontextes, in dem Sinne, dass S H darauf aufmerksam macht, was dieser (H) gerade gesagt oder getan hat. Da die Aktion Hs in der Regel erst wenige Sekunden zurückgeht und eigentlich sowohl H als auch S noch im Bewusstsein ist, wirkt diese Art der Äußerung eher provozierend und verwirrend, denn gewaltfrei. Der Grund dafür ist, dass durch das detailierte Wiederholen sich H nicht auf den eigentlichen Äußerung (Gefühle/Bedürfnisse/Bitte) konzentrieren kann und auch durchaus der Eindruck entsteht, dass S daran zweifelt, dass H die gerade stattgefündene Situation kognitiv überhaupt erfasst hat. Das Konzept an sich finde ich verständlich und durchaus sinnvoll. Die sprachliche Realisierung erscheint mir zum Teil jedoch nicht durchführbar, unter der Voraussetzung, dass beide Gesprächspartner respektvoll miteinander umgehen sollen.

III. Theoretischer Teil

Nachdem ich nนn sowohl einige Begrifflichkeiten als auch das Konzept Rosenbergs dargestellt habe, möchte ich nนn kurz die theoretischen Grundlagen vorstellen, die meiner Meinung nach helfen können, die GFK nach pragmatischem Gesichtspunkten zu analysieren. Dazu dienen mir Ansätze von Erving Goffman, H. Paul Grice, John L. Austin und John Searle, die ich nนn kurz erläutern möchte.

1. Erving Goffman - interaction Order

Als Grundlage zur Untersuchung der GFK möchte ich an dieser Stelle die Theorie der „interaction Order“ von Erving Goffman nutzen, mit dem Ziel Rosenbergs Grundsätze in einem soziologischen und damit auch wissenschaftlichen Kontext zu stellen. Außerdem sind Teile der Arbeit Goffmans ebenso Grundlage der Arbeiten von Grice. Die Überlegungen zur interaction Order eignen sich meiner Meinung nach deswegen, da die von Goffman beobachteten Eigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen in (Gesprächs-) Situationen in etwa denen entsprechen, die Rosenberg als Grundlage seines Modells annimmt.

Die Überlegungen Goffmans, der überwiegend Beobachtungen zu diesem Themenbereich anstellte, um damit seine Theorie zu begründen, ähneln den Grundsätzen der GFK dahingehend, dass von (individuellen) positiven Werten die Rede ist (face), die jeder Mensch hat. Innerhalb einer Gesellschaft wird sich dahingehend bemüht das eigene sowie das face des Gegenübers zu wahren, durch Mittel wie Ehrerbietung (deference) und (gutes) Benehmen (demeanour). Diese Annahmen lassen zunächst auf einem zumindest respektvollen Umgang miteinander schließen, wobei es auch zu versehentlichen (faux pas) und absichtlichen (Demütigung) Verstößen gegen das (eigene/fremde) face kommen kann. Es ist möglich diese Verstöße zu reparieren, in dem man entsprechende Rituale vollzieht (z.B. sich entschuldigt)[21]. In der GFK geht es ebenfalls um einen positiven Umgang miteinander, der durch eine Art des (sprachlichen) Benehmens geregelt werden soll. Vor allem der Umgang mit Fehlwegen sowie die Venneidung von Demütigungen Stehen dabei im Fokus.

Goffman geht noch einen Schritt weiter, was die Grundlagen seiner Gedanken angeht:

„In diesem Aufsatz habe ich vorgeschlagen, Dürkheims Thesen über primitive Religionen in Begriffe von Ehrerbietung und Benehmen zu übersetzen, weil diese Begriffe uns dabei helfen können, einige Aspekte urbanisierten säkularisierten Lebens zu begreifen. Damit wird impliziert, dass es in einem gewissen Sinn diese säkularisierte Welt nicht so areligiös ist, wie wir denken. Viele Götter sind abgeschafft worden, aber der Mensch bleibt hartnäckig als eine wichtige Gottheit bestehen. Er schreitet mit Würde einher und ist Empfänger vieler kleiner Opfer. Er achtet eifersüchtig auf die Anbetung, die ihm gebührt; wird er aber im richtigen Glauben angesprochen, dann ist er bereit denen zu vergeben, die ihn beleidigt haben.“ (Goffman 1971, 104f)

Dieser Vergleich Goffmans des Menschen mit einer Gottheit und den daraus folgenden Konsequenzen für die Achtung und Wertschätzung, spricht meiner Meinung nach auch Rosenberg an, wenn er in seinem Kapitel „Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken in Gewaltfreier Kommunikation“ schreibt:

„Er (gemeint ist ein palästinensischer Seminarteilnehmer eines von Rosenbergs GFK-Seminaren) hakte seinen Daumen in meinen ein, schaute mir in die Augen und sagte: ,Ich küsse den Gott in dir, der dir erlaubt, uns das zu geben, was du uns gegeben hasť [...] Nafez (eben dieser Teilnehmer) zeigte mir, dass ich Wertschätzung freudig aufnehmen kann in dem Bewusstsein, dass Gott allen Menschen die Kraft gegeben hat, das Leben ihrer Mitmenschen zu bereichern. Wenn ich mir darüber bewusst bin, dass es die Macht Gottes ist, die durch mich wirkt und mir so die Macht verleiht, das Leben anderer zu verschönern, dann kann ich sowohl die Fallstrike „Selbstüberschätzung“ als auch „falsche Bescheidenheit“ umgehen.“[22] (Rosenberg 2009, 206; Ergänzungen in Klammern durch Hampel)

Diese Ausführung unterscheidet sich dahingehend, dass Rosenberg, aufgrund persönlicher Einstellungen von einem Gott und dessen Macht ausgeht (auch wenn das Beispiel, auf das er sich bezieht zumindest in der deutschen Übersetzung, eigentlich weniger Anlass dazu gibt, da sein Gegenüber von dem „Gott in dir“ spricht), während Goffman dies auf jeden einzelnen Menschen projiziert. Ich denke aber, dass der Grundkonsens beider Autoren unabhängig voneinander der ist, dass sie davon ausgehen, dass jeder Mensch eine Art der Anerkennung und Wertschätzung für sich selbst möchte und auch bereit ist, anderen gegenüber diese zu geben.

[...]


[1] Ich werde im Verlauf dieser Arbeit überwiegend mit dieser Abkürzung arbeiten.

[2] Übersetzt von Ingrid Holler, 8. Auflage Paderborn 2009.

[3] Im Folgenden werde ich überwiegend mit dieser Abkürzung für den Begriff Sprechakttheorie arbeiten.

[4] Kann grob beschrieben werden, als Effekt einer Äußerung, der dem entsprechen kann, was ร sich durch seine Illokution als solchen erhofft hat. Vergleiche dazu Z.B. Staffeldt 2007.

[5] Vgl. Herzu zum Beispiel Röthke 2009.

[6] Vgl.: Tobias Altmann 2010.

[7] Vgl. hier zum Beispiel Brock/Meer 2004,Corbineau-Hoffmann/Nicklas 2000 oder Herrmann/Krämer/Kuch 2007.

[8] Vgl. dazu Z.B. Diegritz/Fürst 1999 oder Kiesendahl 2011.

[9] Wobei dies nur meinen persönlichen Leseeindruck darstellt. Ein entsprechender Vergleich zu solchen Rat­gebern ist hierbei nicht angedacht.

[10]. Januar 1902 - 4. Februar 1987, gilt als Entwickler der klientenzentrierten Gesprächstherapie (Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Rogers 20.11.2011).

[11] Rosenberg gibt zuvor an, dass das einfühlsame Geben und Nehmen Freude bereitet und dem natürlichen Wesen des Menschen entspricht = „Einfühlsame! ร) Natur/Wesen“ ( Vgl. Rosenberg 2009, 21.).

[12] Es ist an dieser Stelle möglich einen Exkurs Richtung Sozio-, Psycho- und Neurolinguistik sowie kogniti­ven Linguistik zu machen. Da diese jedoch nicht Bestandteil dieser Arbeit sind, möchte ich kurz darauf ver­weisen, dass in den besagten linguistischen Richtungen u.a. die Meinung vertreten wird, dass die Form der Sprache das Denken beeinflussen kann. Vgl. hierzu Z.B.: Coseriu 1988, Rickheit/Strohnerl993 oder auch Labov 1976.

[13] Der Ausdruck „unseren Herzen“ erscheint hier sehr vage.

[14] „Macht, die; -, Mächte [mhd., ahd. mäht, zu mögen]: 1. Gesamtheit, der Mittel und Kräfte, die jmdm. od. einer Sache anderen gegenüber zur Verfügung Stehen; Einfluss [.. ,]“(DGW 1999, 2482).

[15] „...น ns selbst und anderen gegenüber...“ referiert sowohl auf Einfühlungsvermögen, als auch auf Missver­ständnisse, in dem Sinne, dass Rosenberg dafür ist, dass jeder Mensch sich selbst klar macht, was er will und was er von anderen erwartet.

[16] In der Logik wird dies als Subjunktion bezeichnet, mit einem „พenn“-Teil ( Antezendens), der die Bedin­gungien) festlegt und einem „Dann“-Teil (Sukzendens).“ Vgl. dazu u.a. Kamlah/Lorenzen 1996.

[17] Rosenberg verdeutlicht seine Beispiele an dieser Stelle durch die Darstellung eigener Erfahrungen und einem Liedtext einer Freundin (vgl.: Rosenberg 2009, 46-49).

[18] Vgl. Z.B : DGW 1999, 1411. 1

[19] Zugegebener Maßen ist dieses Beispiel relativ unglücklich, da es meines Erachtens nach durch seinen Kontext (Geld an Straßenmusiker) die Konzeption eher schlecht zulässt. Es wirkt dadurch vielleicht etwas zu abstrakt. Mein Ziel war es darzustellen, dass sich diese Art des Umganges auf quasi alle Bereiche ausdehnen lässt.

[20] Dies wird noch sprechakttheoretische geklärt.

[21] Zusammenfassend vgl.: Auer 1999, Kap. 14.

[22] Rosenberg schreibt, er habe in der Schweiz ein Seminar gegeben und dieser Teilnehmer wollte sich ent­sprechend fur die Ausführungen und das gelernte bedanken. Es soll ein Beispiel für die Kapitelthematik darstellen (Vgl. Rosenberg ร. 205f).

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Gewaltfreie Kommunikation
Untertitel
Eine Analyse nach pragmatischen Gesichtspunkten
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Deutsch Sprachwissenschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
80
Katalognummer
V233580
ISBN (eBook)
9783656500681
ISBN (Buch)
9783656501893
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gewaltfreie, kommunikation, eine, analyse, gesichtspunkten
Arbeit zitieren
Alexander Hampel (Autor:in), 2012, Gewaltfreie Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233580

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