Planung, Seeding und Steuerung von Viral Marketing im Social Web


Diplomarbeit, 2010

153 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhangverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A. Einführung in den Themenkomplex
1. Motivation und Zielsetzung
2. Methodik und Vorgehensweis
3. Aufbau der Arbei

B Theoretische Abhandlun
1. Das Social We
1.1 Historische Einordnung und Definition des Begriffs Web 2.
1.2 Definition des Begriffs Social Web und Abgrenzung zum Begriff Web 2.0
1.3 Klassifizierung von Social Web Plattforme
1.3.1 Charakterisierung der Weblog
1.3.2 Charakterisierung der Wiki
1.3.3 Charakterisierung der Content Communities
1.3.4 Charakterisierung der Social Network
1.4 Funktionen und Nutzen der Social Web Plattforme
2. Viral Marketing als Weiterentwicklung des Word-of-Mout
2.1 Grundlagen des Word-of-Mouth
2.2 Wirtschaftliche Erfolgsfaktoren des Word-of-Mouth
2.3 Charakterisierung des Viral Marketin
2.3.1 Zum Einfluss der Medienwahl auf das Viral Marketing
2.3.2 Zum Einfluss der Interaktivität im Social Web auf das Viral Marketing
2.4 Abgrenzung zwischen Word-of-Mouth und Viral Marketin
3. Soziologische und psychologische Einflüsse auf Viral Marketing im Social Web
3.1 Wesentliche soziologische Einflussfaktoren
3.1.1 Grundlagen sozialer Netzwerkstrukture
3.1.1.1 Zum egozentrierten Netzwerk
3.1.1.2 Zu starken und schwachen sozialen Bindungen
3.1.2 Beschreibung der Charakteristika sozialer Netzwerkstrukturen im Social Web
3.1.2.1 Analyse der Dichte 2.
3.1.2.2 Analyse der Abgrenzung 2.0
3.1.2.3 Analyse der Reichweite 2.
3.1.2.4 Zwischenfazit zu Charakteristika sozialer Netzwerke im Social We
3.1.3 Zur Bedeutung von Meinungsführern und Social Hubs in sozialen Netzwerke
3.1.4 Abschließende Betrachtung soziologischer Einflussfaktoren auf Viral Marketing im Social We
3.2 Wesentliche psychologische Einflussfaktoren
3.2.1 Zum Konstrukt des Involvement
3.2.1.1 Zum situativ-produktbezogenem Involvemen
3.2.1.2 Zum selbstbezogenem Involvemen
3.2.1.3 Zum botschaftsbezogenem Involvemen
3.2.2 Zur Emotion der Überraschun
3.2.3 Abschließende Betrachtung psychologischer Einflussfaktoren auf Viral Marketing im Social We
4. Diffusion von Viral Marketing Botschaften in virtuellen sozialen Netzwerken
5. Der Viral Marketing Prozess im Social We
5.1 Phase 1: Zielsetzung
5.2 Phase 2: Analyse
5.3 Phase 3: Kreatio
5.4 Phase 4: Steuerun
5.5 Phase 5: Verbreitun
6. Diskussion zur theoretischen Abhandlung

C. Empirische Erhebun
1. Empirische Erhebung und Untersuchungsziel
1.1 Konzeptspezifikation und Hypothesenentwicklun
1.2 Indikatorenbildung und Operationalisierun
1.3 Die Erhebungsmethode
1.3.1 Das Erhebungsinstrument
1.3.2 Die Durchführung und Stichprob
1.3.3 Analyse der Gütekriterien im Rahmen der Hauptuntersuchun
1.3.4 Die Methoden der Datenanalys
2. Hypothesenprüfung und Ergebnisdarstellung
3. Die Ergebnisdiskussion
4. Eine kritische Betrachtung

D. Schlussbetrachtun
1. Implikationen für die Marketing-Praxis
2. Ausblick und offene Fragen

Anhan

Glossar

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Didaktischer Aufbau der Arbeit

Abb. 2: Informationsfluss im klassischen WWW

Abb. 3: Informationsfluss im Web 2.0

Abb. 4: Klassifikation von Social Media Applikationen

Abb. 5: Bedürfnispyramide nach Maslow

Abb. 6: Informationstheoretische Grundstruktur der Marktkommunikation

Abb. 7: Organic Interconsumer Influence Model

Abb. 8: Linear Marketer Influence Model

Abb. 9: Virale Weitergabesequenz zwischen Konsumenten.

Abb. 10: Stufen des Weitergabeprozesses

Abb. 11: Modell eines egozentrieten Netzwerks

Abb. 12: Modell eines egozentrierten Netzwerkes mit starken und schwachen Bindungen sowie Cliquen

Abb. 13: Selbstbezogenes Involvement

Abb. 14: Botschaftsbezogenes Involvement

Abb. 15: Modelhafte Darstellung einer Diffusionskurve

Abb. 16: Relativer Übernahmezeitpunkt und ‚Tipping Point‘

Abb. 17: Modell des Viral Marketing Prozess im Social Web

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Ausgewählte Definitionen des Begriffs Viral Marketing

Tab. 2: Verbreitung einer Nachricht in einem sozialen Syste

Tab. 3: Operationalisierung der theoretischen Konstrukte

Tab. 4: Ergebnisse der t-Tests für unabhängige Stichproben mit der Testvariablen ‚Social Hub‘ und den Gruppenvariablen

Tab. 5: Ergebnisse der Motivatoren für die Initialisierung von interpersoneller Kommunikation bei Faceboo

Tab. 6: Top 4 Motive für die Initialisierung von Kommunikation

Anhangverzeichnis

Anh. 1: Vergleich Viral Marketing: offline vs. Social Web

Anh. 2: Gegenüberstellung starker und schwacher Bindungen in sozialen Netzwerken

Anh. 3: Mediale Ausprägungen des Viral Marketing im Social Web

Anh. 4: Analyseprozess im Rahmen der strategischen Planung einer Viral Marketing Kampagn

Anh. 5: Zentrale Fragen zur Phase 2: Analyse im Rahmen der strategischen Planung viraler Marketing Kampagnen im Social Web

Anh. 6: Zentrale Fragen zur Phase 4: Optimierung im Rahmen der operativen Planung viraler Marketing Kampagnen im Social Web

Anh. 7: Spezifisches und unspezifisches Seeding

Anh. 8: Facebook: Demographie in Deutschland 2010

Anh. 9: Zentrale Fragen zur Phase 5: Verbreitung, im Rahmen der operativen Planung viraler Marketing Kampagnen im Social Web

Anh. 10: Der Fragebogen zur selbstadministrativen Online-Umfrage (Teil 1

Anh. 11: Der Fragebogen zur selbstadministrativen Online-Umfrage (Teil 2

Anh. 12: Der Fragebogen zur selbstadministrativen Online-Umfrage (Teil 3

Anh. 13: Reliabilität und Faktorenanalyse des Pre-Tests

Anh. 14: Reliabilität und Faktorenanalyse der Hauptuntersuchung

Anh. 15: Social Hub: Interpretation der Rating-Skala

Anh. 16: Statistische Hypothesen

Anh. 17: Häufigkeitsverteilung: Faktor 'Freude

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einführung in den Themenkomplex

1. Motivation und Zielsetzung

Das Zeitalter des Web 2.0 hat die interpersonelle Kommunikation als auch die Kulturindustrie revolutioniert. Dabei stellt das Web 2.0 Marketing-Verantwortliche vor neue Herausforderungen, bietet ihnen aber auch neue Mittel und Wege ihre Kunden in einer Welt der Informationsinflation und -Überflutung von Produkt- und Markeninformationen auf neuen Wegen zu erreichen, um durch innovative und kreative Kommunikationsstrategien eine hohe Markenbekanntheit, sowie ein unverwechselbares Markenimage zu kreieren. Eine besondere Rolle spielen hierbei emanzipierte Konsumenten, die sich als aktive Gestalter des Word Wide Web (WWW)[1] verstehen. Diese aktiven Konsumenten schreiben, bloggen, posten, bookmarken, rezensieren, bewerten, kreieren und verbreiten Informationen über sich selbst, Marken, Produkte, Ideen und Geschehnisse mit nie dagewesener Geschwindigkeit und Intensität. Dies führt zu einer demokratisierten Umschichtung der etablierten Informationsdistribution der klassischen Medien. Somit löst sich ein Teil der Gesellschaft von bestehenden Zwängen der Kulturindustrie (vgl. Ziemann, 2006, S. 36ff.). Die modernen Technologien, die sich nach Horkheimer/Adorno (2009, S. 141ff.) in den Händen der ökonomisch Mächtigsten befinden und den „ […] Zirkel von Manipulation und rückwirkenden Bedürfnissen […] (ebd.)“ kontrollieren, werden revolutioniert und fallen zurück in die Hände einer emanzipierten und mündigen Gesellschaft. Die Konsumenten stellen dabei ihre eigens kreierten Inhalte, den ‚User Generated Content‘ (UGC), der gesamten ‚WWW-Community‘ zur Verfügung. Dies geschieht über sog. Social Web Plattformen wie Twitter, Facebook, StudiVZ, YouTube oder Xing, um nur einige der bekanntesten Plattformen zu nennen. Somit entwickelt sich das WWW von einer Plattform des reinen Informationskonsums zu einem ‚Mitmachweb‘, in dem die WWW-Nutzer die Rolle des Konsumenten ablegen und sich zum Prosumenten[2] weiterentwickeln. Dabei klinken sich die Nutzer in die Wertschöpfungskette des WWW ein, kreieren eigene Inhalte und reichern bestehende Inhalte an (vgl. Teil B: Abschn. 1.2). Somit entwickelt sich das Social Web zu einem neuen Kontaktpunkt zwischen Unternehmen und Konsumenten. Dieser Kontaktpunkt wird immer häufiger in den Kommunikations-Mix aufgenommen. Ziel ist es, häufig die eigenen Zielgruppen gezielt anzusprechen, um einen Dialog zu fördern und eine Beziehung mit den Konsumenten zu forcieren (vgl. Esch, 2010, S. 325ff.; Trusov et al., 2009, S. 90ff.). Diese neue Wahrnehmung des Kunden als Partner in einer Beziehung auf ‚Augenhöhe‘ wird von Vargo/Lusch (2004, S. 1ff.) als ‚New Dominant Logic of Marketing‘ verstanden.

Die Motivation der Nutzer, Informationen mit anderen Nutzern zu teilen, ist kein Phänomen, welches mit dem Auftreten der ersten Social Web Plattformen einhergeht sondern ist so alt wie die Menschheit selbst. Word-of-Mouth (WOM) (auch: Mundpropaganda oder Mund-zu-Mund-Propaganda) wird seit dem es Menschen und deren Sprachen gibt betrieben, um Botschaften an andere weiterzuleiten (vgl. Kozinets et al., 2010, S. 71ff; Schmidt, 2009, S. 1). Diese Mechanismen der Mund-zu-Mund Propaganda bieten vor allem im Social Web aufgrund der Kommunikations- und Netzwerkstrukturen immense Potentiale für die Verbreitung von (Marketing-) Botschaften durch den Konsumenten (vgl. Teil B: Abschn. 3.1.2). Das Social Web ist dabei nicht mehr nur als Medium zu betrachten sondern ist mehr als globale Infrastruktur zu sehen, die nach Meinung von Kommunikationsexperten die Unternehmenskommunikation radikal verändern wird und Verantwortliche auf Unternehmens- wie auch auf Agenturseite vor neue Herausforderungen stellt (vgl. Kassei, 2010a).

Aufbauend auf der Mechanik des Word-of-Mouth wurde 1995 durch den Harvard Professor Rayport der Begriff des Viral Marketing etabliert und steht seither für die virusartige Verbreitung von (Marketing-) Botschaften die sich durch Konsumentenhand über Mundpropagandamechanismen verbreiten. Esch (2010, S. 335) beschreibt Virales Marketing als eine moderne Form der Mund-zu-Mund Propaganda. Grundlegende Idee beim Viral Marketing ist es, einen ‚Virus‘ in Form einer (Marketing-) Botschaft in soziale Netzwerke zu injizieren, um eine seuchenartige Verbreitung des Virus innerhalb einer Gesellschaft zu erzielen (vgl. Teil B: Abschn. 2.3). Diese Idee bietet diverse Vorteile im Vergleich zur klassischen Marktkommunikation. Zum einen wird sie als Kosteneffizient angesehen, da sie nicht wie klassische Werbung hoher Budgets und intensiven Werbedruck bedarf, um verbreitet und wahrgenommen zu werden. Zum anderen besteht eine erhöhte Glaubwürdigkeit durch Word-of-Mouth im Vergleich zur klassische Werbung, welche häufig eine Reaktanz beim Konsumenten hervorruft (vgl. Teil B: Abschn. 2.2). Damit scheint Viral Marketing die passende Antwort auf die kommunikativen Herausforderungen unserer Zeit zu sein (vgl. Esch et al., 2009, S. 11). Viral Marketing birgt jedoch auch Gefahren. Ist eine Viral Kampagne einmal initiiert, ist es fast unmöglich eine Verbreitung zu stoppen. Daher sollte vor der Initialisierung einer Viral Kampagne besonderes Augenmerk auf die strategische Planung gelegt werden (vgl. Kap. 6). Jedoch mangelt es oft an der professionellen Planung und Umsetzung von Viral Marketing Kampagnen, da die ‚magische‘ Schwelle zu einer expansiven Diffusion der viralen (Marketing-) Botschaft, der ‚Tipping-Point‘, häufig nicht überschritten werden kann oder die Kampagne nicht mit der Marke ‚fittet‘ und somit eine Markenerosion mit sich bringt (vgl. Esch, 2010, S. 186ff.; Esch et al., 2009, S. 12; Koppelmann/Groeger, 2009, S. 7). Daher kommt der strategischen Planung, der Verbreitung (auch: Seeding) und der Steuerung einer Viral Marketing Kampagne im Social Web kommt eine besondere Bedeutung zu. Ziel der Arbeit ist es Erkenntnisse zu gewinnen, welche der Marketing-Praxis Hinweise geben, den Planungs- und Initiierungsprozess von Viral Marketing Kampagnen zu professionalisieren und mangelnder Planbarkeit entgegenzutreten. Dabei soll der Faktor Zufall minimiert werden. Zielführend wird ein Modell entwickelt und empirisch fundiert, welches als problemlösungsorientiertes Planungsinstrument ‚Marketern‘ und Kommunikationsexperten bei der Entwicklung von Viral Marketing Kampagnen Hilfestellung bieten soll.

2. Methodik und Vorgehensweise

Der strategischen Planung, dem Seeding und der Steuerung von Viral Marketing wurde in der wissenschaftlichen Forschung bisher wenig Beachtung geschenkt. Umfassende wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen zum Thema Viral Marketing findet man im wissenschaftlichen Diskurs nur in geringer Anzahl. Eine erste umfangreiche, geschlossene und wissenschaftliche Betrachtung zum Thema ‚Soziale Epidemien‘ liefert Groeger (2008). Populärwissenschaftliche Abhandlungen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen bieten lediglich partielle Betrachtungsweisen oder gehen von Koinzidenz-Hypothesen aus, was einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht gerecht wird und aus denen keine praxisrelevanten, problemlösungsorientierten Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Hier sind insbesondere Arbeiten von Watts (2003), Godin (2001), Gladwell (2000) und Langner (2009) zu nennen. Erste wissenschaftliche Arbeiten wie die von Mayzlin (2002), Phelps et al. (2004), Thurau et al. (2004), Leskovec et al. (2007), de Bryn/Lilien (2008), Schulz et al. (2008) und Lee et al. (2009), befassen sich mit Teilbereichen des Viral Marketing wie der Netzwerkanalyse, psychologischen oder soziologischen Aspekten der Weitergabe von Produkt- oder Markeninformationen und deren Wirkungsweise auf das Untersuchungsobjekt. Ein solch komplexes Thema bedarf jedoch im nächsten Schritt keiner monokausalen Erklärungsversuche sondern einer Integration diverser Disziplinen zur Darstellung von vielschichtigen Wirkungszusammenhängen zur Ermittlung theoretisch fundierter und kritisch zu betrachtender Erkenntnisse, wie auch praxisrelevanter und problemlösungsorientierter Implikationen zur Optimierung von Viral Marketing Kampagnen. Diesbezüglich werden im Rahmen der Arbeit Erkenntnisse der Epidemiologie, der Soziologie, der Psychologie, der Sozialpsychologie, der Netzwerktheorie und der Betriebswirtschaftlehre integriert, um ein Grundverständnis über den Forschungsgegenstand zu erarbeiten, offene Forschungslücken zu ermitteln und diese durch sachlich-analytische und empirische Forschungsstrategien zu schließen, um darauf aufbauend praxisrelevante Problemstellungen zu lösen. Trotz der begrüßenswerten Interdisziplinarität ist davor zu warnen, sich von der Mutterdisziplin zu lösen und jegliche Kontur zu verlieren. Daher wird im Laufe der Arbeit immer der Bezug zum Marketing gesucht, ohne dabei das Ziel der Arbeit aus den Augen zu verlieren. Ziel der Arbeit ist es ein Modell zur Planung, zum Seeding und zur Steuerung von Viral Marketing im Social Web zu entwickeln, theoretisch zu stärken und empirisch zu fundieren.

Um ein Grundverständnis für den Forschungsgegenstand zu schaffen, wird zunächst die Strategie einer heuristischen Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand gewählt. Ziel ist es, durch Plausibilitätszusammenhänge und durch bestehende empirische Teilzusammenhänge einen heuristischen Bezugsrahmen zu entwickeln, um dadurch ein bisher nicht systematisch erfasstes Problem abzuleiten und zu strukturieren (vgl. Grochla, 1978, S. 72). „Ausgangspunkt der Konstruktion eines heuristischen Bezugsrahmens ist ein vom Forscher als nicht genügend verstandenen und/oder beherrscht angesehenes generelles Phänomen, das als theoretisches Problem bezeichnet werden soll. Zur Identifikation eines solchen Problems benötigt der Forscher eine theoretische Perspektive, unter der er die Realität betrachten kann und die es ihm erlaubt, das Problem überhaupt gedanklich-sprachlich fassen und Fragen formulieren zu können (Kubicek, 1976, S. 17).“ Dies ist besonders sinnvoll, da multikausale und holistische Erklärungsversuche zur Analyse einer kaum behandelten Problemstellung, wie Viral Marketing im Social Web, der Erkenntnisgewinnung dienlich sind (vgl. Groeger, 2008, S. 4ff.). Aufbauend auf dem heuristischen Bezugsrahmen wird eine Theorie entwickelt, welche Forschungslücken aufdeckt und somit die Grundlage für eine empirische Strategie mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns schafft. Die empirische Strategie und der damit zusammenhängende Erkenntnisgewinn werden gemäß den Anforderungen des kritischen Rationalismus und dessen methodologischen Falsifikationismus realisiert, indem die erarbeitete Theorie ihre empirische Bewährung im Begründungszusammenhang finden muss (vgl. Popper, 2003, S. 54ff.; Chalmers, 2001, S. 56ff.).

3. Aufbau der Arbeit

Der Aufbau der Arbeit bedient sich der folgend dargestellten Didaktik. Zunächst wird das Phänomen des Web 2.0 dargestellt und gegenüber dem Begriff des Social Web abgegrenzt. Ziel ist es das Kommunikationsverhalten von Individuen im Web 2.0 bzw. im Social Web grundlegend zu erläutern, wie auch ein grundlegendes Verständnis für die verschiedenen Plattformen zu geben. Dies ist von besonderer Bedeutung, da das Social Web im Rahmen dieser Arbeit die Übertragungsinfrastruktur für Viral Marketing darstellt und die Verbreitung viraler (Marketing-) Botschaften im Social Web untersucht werden soll. Nachdem ein grundlegendes Verständnis für das Übertragungsmedium vermittelt wurde, widmet sich der nächste Teil der Arbeit dem Viral Marketing als Weiterentwicklung der Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Bedeutung und die Wirkungsweise der Mund-zu-Mund-Propaganda bilden die Grundlage der viralen Verbreitung von Botschaften. Beide basieren auf interpersoneller Kommunikation in sozialen Netzwerken, weisen jedoch immanente Unterschiede im Gesamtverständnis und in der Mechanik auf. Nachdem ein konzeptionelles Verständnis für Viral Marketing aufgebaut wurde, widmet sich die Arbeit der Betrachtung des Übertragungsumfeldes in dem sich (Marketing-) Botschaften verbreiten. Hier werden soziologische, sozialpsychologische und netzwerktheoretische Erkenntnisse zu Rate gezogen, um Makro-Variablen, also Einflussgrößen die das überindividuelle Handeln beeinflussen, zu erklären. Dabei werden Wirkungsweisen und Potentiale von sozialen Bindungen sowie die Netzwerkstruktur von virtuellen sozialen Netzwerken analysiert, um Erkenntnisse bzgl. der Diffusion von viralen Marketingbotschaften im Social Web zu gewinnen. Gefolgt wird die Analyse der Makro-Variablen von der Analyse der Mikro-Variablen, die das individuelle Handeln begründen und ein Verständnis für individuelle Motive zur Weitergabe von (Marketing-) Botschaften schafft. Eine Betrachtung der Mikro- und Makroebene ist Grundvoraussetzung einer ganzheitlichen Betrachtung von Verhalten, da beide Ebenen das Verhalten durch verschiedene Treiber wechselseitig beeinflussen. Die bis zu diesem Punkt gesammelten Erkenntnisse werden folgend verdichtet und im Rahmen der Diffusion von Viral Marketing im Social Web analysiert und diskutiert. Aus dieser Analyse wird folgend ein Viral Marketing Prozess im Social Web abgeleitet, welcher der strategischen Planung, dem Seeding und der Steuerung von Viral Marketing Kampagnen im Social Web dienlich sein soll. Im Rahmen der theoretischen Abhandlung werden final alle Ergebnisse zusammengefasst, reflektiert und offene Problemstellungen diskutiert. Diese Problemstellungen werden folgend einer empirischen Untersuchung unterzogen, um relevante und empirisch fundierte Lösungsansätze zu erarbeiten. Die empirisch ermittelten Erkenntnisse werden aufbereitet und diskutiert, bevor problemlösungsorientierte Ansätze für die Marketing-Praxis aus den heuristischen und empirischen Elementen der Arbeit abgeleitet werden können. Der Aufbau der Arbeit ist noch einmal in Abb. 1 komprimiert zusammengefasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 1: Didaktischer Aufbau der Arbeit

B Theoretische Abhandlung

1. Das Social Web

Der Begriff des Web 2.0 hat in den letzten Jahren für große Aufmerksamkeit und viele Diskussionen in den Medien und insb. in der Marketing- und Werbewelt gesorgt (vgl. Burgold et al., 2009, S. 9). Das folgende Kapitel definiert den Begriff Web 2.0 und ordnet ihn in den historischen Zusammenhang der Entwicklung des WWW ein. Darauf folgt eine Operationalisierung des Begriffs Social Web, welcher häufig als Synonym für den Begriff Web 2.0 verwendet wird. Das Kapitel schließt mit einer Kategorisierung der bedeutendsten Anwendungen im Social Web und bildet so die Grundlage zum Verständnis der Wirkungsweisen von Kommunikation im Web 2.0. Diese Vorgehensweise ist unumgänglich, um ein ausgeprägtes Verständnis für die virale Verbreitung von (Marketing-) Botschaften im Social Web zu entwickeln.

1.1 Historische Einordnung und Definition des Begriffs Web 2.0

Das WWW ist aus historischer und wirtschaftlicher Sicht eine der bedeutendsten Erfindungen unserer Zeit. Entwickelt durch Berners-Lee (1989), sollte es in erster Linie Forschungsgruppen aus aller Welt einen schnellen und unkomplizierten Informationsaustausch ermöglichen. Das WWW entwickelte sich daraufhin rasch zu einem Massenmedium (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4f.). Allein in Deutschland nutzten im Jahr 2009 67,1% (43,5 Mio.) der Bevölkerung das WWW. Zehn Jahre zuvor waren lediglich 17,7% (11,2 Mio.) der Menschen in Deutschland online. Dies bedeutet ein Wachstum von 388% in nur zehn Jahren (vgl. ARD/ZDF Onlinestudie, 2010). Der Grundgedanke des WWW war es, Informationseinheiten und Verweise so miteinander zu vernetzen, dass eine einfache Navigation zwischen den Informationseinheiten über Hyperlinks ermöglicht wird. 1990 wurde der erste Webbrowser entwickelt, mit dem es möglich war einfache Textseiten aufzurufen. Ein integrierter Editor machte es möglich eigene Textseiten zu erstellen. Im selben Jahr wurde der erste Webserver eingerichtet und die erste Webseite ging online. Seit diesem Zeitpunkt schritt die Entwicklung des WWW stetig voran. 1991 entstanden weitere Webpräsenzen in verschiedenen Instituten in ganz Europa und den USA. 1992 gab es weltweit 26 Webserver. 1993 waren es bereits 200 Webserver (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4f.). Im Dezember 2009 erreicht die Zahl der Webserver die 233 Mio. Marke (vgl. Netcraft, 2010). Großen Aufschwung erlebte das WWW neben der wissenschaftlichen Nutzung vor allem durch die private und wirtschaftliche Nutzung. Die Zahl der WWW-Nutzer betrug im September 2009 weltweit 1,73 Mrd. Menschen, welche rund 90 Billion E-Mails verschickten und denen 234 Mio. Websites zur Verfügung standen (vgl. pingdom, 2010).

Mit der Verbreitung und der stetigen Entwicklung des WWWs änderte sich auch das Nutzungsverhalten der WWW-Nutzer. Die Bereitstellung von Informationen lag zu Beginn ausschließlich in den Händen weniger Anbieter, die über eine ausreichende Infrastruktur und entsprechendes Wissen verfügten, um einen Webserver zu betreiben und eine WWW-Seite zu erstellen. Diese Informationen konnten dann passiv durch die WWW-Nutzer konsumiert und abgerufen werden (vgl. Schiele et al., 2008, S. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Schiele et al., 2008, S. 5.

Abb. 2: Informationsfluss im klassischen WWW

Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich das WWW von einer starren und einseitigen Informationsquelle zu einem interaktiven ‚Mitmachmedium‘ (vgl. Schiele et al., 2008, S. 6ff.). Dieser Wandel wurde erstmals von O´Reilly (2005) beschrieben und unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst. Er beschreibt das Web 2.0 wie folgt: „Like many important concepts, Web 2.0 doesn´t have any hard boundary, but rather, a gravitational core. You can visualize Web 2.0 as a set of principles and practices that tie together a veritable solar system of sites that demonstrate some or all of those principles, at a varying distance from that core.” Kaplan/Haenlein (2010, S. 62) hingegen wurden konkreter und definieren Web 2.0 als eine Plattform, auf der Inhalte und Applikationen nicht länger von Individuen, sondern kontinuierlich von allen Nutzern in einer partizipativen und kollaborativen Art und Weise erstellt werden. Hier wird deutlich, dass Web 2.0 keine reine Informationsquelle ist sondern durch seine Interaktivität und seine Netzeffekte mit anderen Nutzern einen wachsenden Mehrwert bietet.

Zu den von O´Reilly beschriebenen und von Kilian et al. (2008, S. 4f.) aufgegriffenen Prinzipien zählen die Kundenintegrationbzw . Interaktivität, die VerteilungoderDezentralität und die Offenheitbzw . Interoperabilität , welche im weiteren Verlauf dargestellt werden. DieKundenintegrationbzw.Interaktivität beschreibt das Web 2.0 im Kern als interaktives ‚Mitmachmedium‘. Die Nutzer werden in die Wertschöpfungskette integriert und produzieren Inhalte, wie bspw. Artikel, Bilder, Videos, Kommentare oder Bewertungen, welche auf einer WWW-Plattform veröffentlicht werden und die Plattform inhaltlich anreichern (vgl. Russell 2009, S. 1ff.). Die vom Nutzer selbst produzierten Inhalte werden unter dem Begriff des ‚User-Generated-Content‘ (UGC) zusammengefasst (ebd.). Die OECD (2007, S. 17) definiert den UGC als diverse Möglichkeiten von medialen Inhalten, welche durch den Endnutzer (im Gegensatz zu traditionellen Media-Produzenten wie Schriftsteller, Texter, Verleger, Journalisten, lizensierte Rundfunkanstalten and Produktions-Firmen) produziert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Schiele et al., 2008, S. 6.

Abb. 3: Informationsfluss im Web 2.0

Die Verteilung bzw. Dezentralitätim Web 2.0 ist geprägt durch den UGC. Jeder Nutzer wird nun auch Anbieter von Informationen in vielfältiger Art. Diese Informationen sind dezentral gespeichert und werden durch Knoten miteinander verbunden. Dieses Konstrukt lässt sich am Beispiel des ‚Taggings‘ veranschaulichen. Der Nutzer entscheidet selbst, ob und unter welchen Begriffen eigene Inhalte im Netz gefunden werden können. Dies wird nicht zentral von einem Anbieter gesteuert sondern dezentral durch den Nutzer selbst. Weiterhin erfüllen private Blogs oder Social Networks wie bspw. Xing oder Facebook ähnliche Zwecke wie konventionelle Webseiten oder ersetzen diese gar ganz (ebd.). Das Prinzip der Offenheitbzw.Interoperabilitätbeschreibt die Möglichkeit einzelne Blogs oder Profile von Social Networks zu vernetzen und Inhalte in weitere Plattformen zu integrieren. Hierbei handelt es sich um sogenannte ‚Mash-Ups‘, welche Aggregationen von Inhalten verschiedener online Quellen darstellen (vgl. McKinsey, 2007, S. 6). Somit lassen sich bspw. YouTube Videos in die Social Network Seite Facebook oder Fotos von Flickr via geometrischer Daten in die interaktiven Weltkarte von Google Earth integrieren (ebd.). Auf Basis der oben beschriebenen Prinzipien definieren Kilian et al. (2008, S. 7) Web 2.0 wie folgt:

„Das Web 2.0 umfasst Internet –Anwendungen und –Plattformen, die Nutzer aktiv in die Wertschöpfung integrieren – sei es durch eigene Inhalte, Kommentare, Tags oder auch nur durch ihre virtuelle Präsenz. Wesentliche Merkmale sind somit Interaktivität, Dezentralität und Dynamik.“

Die Debatte über eine einheitliche und detaillierte Definition des Begriffs Web 2.0 ist noch nicht abgeschlossen, daher wird die Definition von Kilian et al. als Nominaldefinition beibehalten (vgl. Schiele et al., 2008, S. 4). Gegenwärtig gilt der Begriff Web 2.0 „[…] als Chiffre, um eine Reihe von Veränderungen zusammenzufassen, welche die Geschäftsmodelle, Prozesse der Softwareentwicklung und Nutzungspraktiken des Internets berühren (Schmidt, 2008, S. 18).“ Web 2.0 wird von Burgold et al. (2009, S. 9) als Auslöser einer neuen Ära in der WWW-Kommunikation und als das Leitmedium für die Kommunikation der Zukunft verstanden. Die bereits beschriebenen evolutionär entstandenen Veränderungen in der WWW-basierten Kommunikation führen zu einer radikalen Verschiebung der Kommunikationskultur. Burgold et al. (2009, S. 10) beschreiben dieses Phänomen als stille Revolution, da sich das „[…] bis dato stabile Paradigma der monoklassischen Kommunikationsvertikalität zugunsten einer omnikanaligen und reziproken Kommunikationsplattform mit beträchtlicher Horizontalität […]“ entwickelt hat. Somit ist der Begriff Web 2.0 nicht als abgeschlossenes Paradigma zu betrachten sondern als ein offenes Konzept. Dieses Konzept beschreibt die aktive Gestaltung des WWW durch die Nutzer und Software-Entwickler, welche das WWW durch ihren Beitrag, dem UGC, anreichern, aktiv gestalten und in seiner Ausprägung durch innovative Konzepte und Plattformen immer wieder neu erfinden. Das WWW wird nicht durch den Inhalt einzelner Individuen gestaltet sondern durch eine kontinuierliche Modifikation und Weiterentwicklung gemeinsam arbeitender Nutzer, welche sich durch eine partizipative und kollaborative Philosophie auszeichnet (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 59ff.). Somit entwickelt sich das WWW zu seinen Anfängen zurück, als Medium was einen inhaltlichen Austausch zwischen seinen Nutzer ermöglicht, ganz im Sinne der Idee von Berners-Lee.

1.2 Definition des Begriffs Social Web und Abgrenzung zum Begriff Web 2.0

Das Konstrukt des Web 2.0 ist, wie bereits angedeutet, nicht klar und eindeutig zu definieren. Die Philosophie des Web 2.0 liegt in der vollständigen Selbstbeteiligung durch die Nutzer, welche durch eine Art ‚kollektive Intelligenz‘ und Netzwerkeffekte eine neue Art der Kommunikation schaffen (vgl. Schiele et al., 2008, S. 6f.). Das Web 2.0 hat die Gewohnheiten und Verhaltensweisen vieler WWW-Nutzer grundlegend verändert. Die Kommunikation zwischen Gleichgesinnten ist einfacher und schneller geworden. Es entstanden Webseiten, die es ermöglichen Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen, Informationen zu bündeln und miteinander zu vernetzen, um so eine Art ‚kollektive Intelligenz‘ zu schaffen. Auf diese Weise entsteht ein globales soziales Netzwerk, welches Grenzen überwindet und Menschen weltweit verbindet (vgl. Weinberg, 2010, S. 2).

Diese sozialen Netzwerke bedürfen technologischer Plattformen, die solche Verbindungen erst ermöglichen. Diese Plattformen werden ‚Social Web‘ oder auch ‚Social Media‘ genannt. Kaplan/Haenlein (2010, S. 61) definieren Social Web als eine Gruppe Internet basierter Applikationen, welche auf der Ideologie und den technischen Möglichkeiten des Web 2.0 aufbauen und den Nutzern den Austausch und die Kreation von User Generated Content ermöglichen. Daher wird im Rahmen dieser Arbeit der Begriff Social Web als Synonym für die vielfältig ausgeprägten Plattformen verstanden. Der Begriff Web 2.0 repräsentiert hierbei die ideologische und sozial konstruktivistische Basis auf dem ein kommunikativer Austausch und somit soziales Handeln als dynamischer Prozess ermöglicht wird (vgl. Löber, 2008, S. 25). User Generated Content kann im Rahmen dieser Arbeit als die Summe aller Möglichkeiten gesehen werden, mit denen Nutzer auf Social Web Plattformen kommunizieren (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 61.).

1.3 Klassifizierung von Social Web Plattformen

Nachdem der Begriff Social Web definiert wurde, wird deutlich, dass auf Basis des breiten Angebotes von Social Web Plattformen eine weitergehende Differenzierung von Social Web Angeboten sinnvoll ist. Kaplan/Haenlein (2010, S. 61ff.) greifen zur Kategorisierung auf drei Theorien zurück. Zum einen auf den sozialen Prozess der Selbstdarstellung, welcher von Goffman (1956) geprägt wurde. Zum anderen greifen sie auf die ‚Social Presence Theory‘, die von Short et. al. (1976) zurück. Im Kontext der Klassifizierung des Social Web wird die ‚Social Presence Theory‘ durch die ‚Media Richness Theory‘ von Daft/Engel (1986) angereichert. Auf Basis der genannten Theorien wird im Folgenden eine Kategorisierung der gängigen Social Web Plattformen vorgenommen.

Zur Verdeutlichung der sozialen Komponente der Selbstdarstellung von Individuen, greifen Kaplan/Haenlein (2010, S. 61f.) auf die Theorie von Goffman (1959, S. 248ff.) zurück, die in ihrem Kern aussagt, dass Menschen versuchen ihr Fremdbild gemäß ihren eigenen Vorstellungen beeinflussen und steuern zu wollen. Dies ist zum einen durch den Wunsch getrieben ein Image aufzubauen, das den eigenen Wünschen und Idealvorstellungen entspricht (und nicht zwingend das Bild der Realität widerspiegelt), zum anderen durch den Wunsch sich selbst zu offenbaren. Schau/Gilly (2003, S. 398f.) bestätigten dies und fanden heraus, dass dieser Wunsch aus der realen Welt in die Welt des WWW hineingetragen wird. Das Ausmaß der Selbstdarstellung im realen Leben ist identisch mit der Selbstdarstellung im ‚Webspace‘ des Individuums. Der Grad der Selbstoffenbarung kann somit als ein Unterscheidungsmerkmal von Social Web Plattformen verstanden werden (vgl. Schulz et al., 2008, S. 249).

Die ‚Soziale Präsenz‘ beeinflusst die Kommunikation durch den Grad der Intimität (interpersonell vs. moderiert) und den Grad der Unmittelbarkeit (asynchron vs. synchron). Die soziale Präsenz ist umso stärker, je interpersoneller und je unmittelbarer die Kommunikation abläuft (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 61f.). Short et al. (1976, S. 157ff.) fanden in diesem Zusammenhang heraus, dass der Einfluss von Kommunikationspartnern aufeinander durch eine stärkere soziale Präsenz steigt. Durch intensivere Integration multimedialer Möglichkeiten (bspw. Fotos, Videos, Musik, usw.) kann ein positiver Einfluss bezüglich der Reduktion von Ambiguität und Verunsicherung zwischen den Kommunikationspartnern erreicht werden (vgl. Daft/Lengel, 1986, S. 564ff.). Zudem zeigt eine Studie von Lira et al. (2008, S. 728ff.), dass über mediale Interaktion die Kommunikationseffizienz von Kommunikationspartnern gesteigert wird. Darüber hinaus können über eine starke mediale Ausgestaltung der Kommunikation soziokulturelle Grenzen abgebaut und Störsignale in der Kommunikation von Individuen unterschiedlicher kultureller Kreise verringert werden (vgl. Leonard et al. 2009, S. 866ff.). Somit kann die ‚Soziale Präsenz‘ gepaart mit ‚Medialer Ausgestaltung‘ als zweite Determinante der Klassifizierung von Social Web Plattformen verwendet werden.

Kombiniert man die Dimension ‚Soziale Präsenz‘ und ‚Mediale Ausgestaltung‘ mit der Dimension der ‚Selbstdarstellung‘ und integriert die gängigen Social Web Applikationen, ergibt sich nachstehende Klassifikation gemäß Abb. 3. Im Folgenden werden die einzelnen Klassen des Social Web genauer betrachtet und ihre Charakteristika erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kaplan/Haenlein, 2010, S. 62.

Abb. 4: Klassifikation von Social Media Applikationen

1.3.1 Charakterisierung der Weblogs

Weblogs (kurz: Blogs) sind das zurzeit am intensivsten diskutierte Format des Social Web (vgl. Weinberg, 2010, S. 97). Dies liegt vor allem an der kommunikationsarchitektonischen Rolle von Weblogs im WWW, da sie teilweise die bestehende Öffentlichkeit des Journalismus und der professionellen Marktkommunikation ergänzen (vgl. Schmidt, 2009, S. 122). Formal definiert Schmidt (2009, S. 122) Weblogs als regelmäßig aktualisierte Webseiten, auf denen Beiträge rückwärts chronologisch angeordnet und separat kommentierbar sind. Die Beiträge in Blogs werden häufig durch Bilder, Grafiken und Videos ergänzt und durch Kommentare der Leser angereichert (vgl. Weinberg, 2010, S. 97). Durch die Kommentare von Lesern, aber auch durch Verlinkungen auf weitere Inhalte im WWW, entsteht ein Informationengeflecht, das Informationen zu bestimmten Inhalten verdichtet und eine ‚verteilte Konversation‘ ermöglicht (vgl. OECD 2007, S. 36). Spezielle Themengebiete lassen sich nicht eingrenzen. Es wird über Alles und Jeden ‚gebloggt‘. Daher sind die Verwendungsweisen und Themen von Blogs genau so vielseitig, wie Ihre Anzahl hoch ist. Am 22.04.2010 betrug die durch blogpuls (2010) ermittelte Anzahl von Weblogs 162.861.574 Stück. Das waren 42.234 Blogs mehr, als einen Tag zuvor. Gemäß einer Studie von Schmidt (2008b, S. 18ff.) lassen sich die Nutzungsweisen von Blogs analytisch kennzeichnen durch:

-Veröffentlichung von Aspekten der eigenen Person (wie Meinungen, Erlebnisse, Kompetenzen o.ä.);
-Kontaktaufnahme und Austausch mit anderen Personen;
-Wiedergabe und Diskussion der eigenen Meinung in der Öffentlichkeit.

Dementsprechend ermöglichen Weblogs Leistungen des Identitäts-, Informations- und Beziehungsmanagements (vgl. Schmidt 2008, S. 123). Wesentliches Merkmal von Weblogs ist die Authentizität der Informationsdarbietung. Vor allem für Personen die Alternativen zu oft unauthentisch und manipulativ wahrgenommenen Massenmedien suchen, sind Weblogs interessante Informationsquellen und Diskussionsforen (vgl. Levinson, 2007, S. 268).

1.3.2 Charakterisierung der Wikis

Der Begriff ‚Wiki‘ ist die Bezeichnung für ein offen zugängliches Content Management System, das den Nutzern des WWW als virtuelle Gemeinschaft ermöglicht gemeinsame Inhalte zu erstellen (vgl. von Lucke, 2008, S. 138). Ebersbach et al. (2008, S. 14) definieren Wikis als webbasierte Software, die es allen Betrachtern einer Seite erlaubt, den Inhalt zu ändern, indem sie diese Seite online im Browser editieren. Damit sind Wikis einfach und leicht zu editierende Plattform für kooperatives Arbeiten an Dokumenten und Hypertexten. Mitglieder eines Wikis können sowohl neue Inhalte editieren, als auch bestehende Inhalte ergänzen. Das Konzept eines Wikis ermöglicht ein weltweites Zusammenarbeiten aller WWW-Nutzer zur jeder Tageszeit (vgl. West/West, 2009, S. 3) und wird von Kaplan/Haenlein (2010, S. 62) als: „[…] most democratic manifestation of UGC“ verstanden. Gestaltete Inhalte werden gemeinschaftlich diskutiert bis ein Ergebnis erreicht wird, das durch die Gruppe der User akzeptiert und veröffentlicht wird. Wesentliche Strukturmerkmale von Wikis sind Neutralität, freie Inhalte und ein offener Entscheidungsprozess (vgl. von Lucke, 2008, S. 139).

1.3.3 Charakterisierung der Content Communities

Unter Content Communities versteht man Social Media Plattformen auf denen mediale Inhalte ausgetauscht werden können. Mediale Formate sind hierbei vor allem Videos, Fotos, Musik oder Präsentationen (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 63). Die wohl bekannteste Content Community ist YouTube. YouTube (2010) erlaubt es Mitgliedern nach einer kostenlosen Registrierung Videos auf die Plattform hochzuladen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das Anschauen der hochgeladenen Videos ist ohne Registrierung möglich. Obwohl in den Nutzungsbedingungen der gängigen Content Communities das Hochladen und damit Veröffentlichen von urheberrechtlich geschütztem Material ausdrücklich verboten ist, werden Content Communities häufig dazu missbraucht urheberrechtlich geschütztes Material entgegen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu veröffentlichen (vgl. Kaumanns/Siegen-heim, 2009, S. 250ff.). Content Communities zeichnen sich durch starke soziale Präsenz aus und ermöglichen durch die Integration von Videos, Bildern und weiteren Medien eine starke mediale Ausgestaltung. Die Möglichkeit der Selbstdarstellung ist in dieser Kategorie des Social Web eher gering.

1.3.4 Charakterisierung der Social Networks

Social Networks[3] gehören weltweit zu den am stärksten genutzten Social Media Anwendungen und ermöglichen den Nutzern die Bildung virtueller sozialer Netzwerke. Innerhalb dieser Networks ist es den Nutzern möglich ein persönliches Profil anzulegen und dieses Profil zur Pflege und zum Aufbau persönlicher Kontakte zu nutzen (vgl. Cyganski/Hass, 2008, S. 103). Die persönlichen Profile können durch Informationen, Bilder, Videos, Interessengruppen, usw. angereichert werden. Der Austausch zwischen den Mitgliedern erfolgt in der Regel über E-Mails, Instant-Messages oder News-Feeds (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 63f.). Die Zielgruppen der einzelnen Social Networks sind unterschiedlich ausgestaltet. Es existieren Networks für geschäftliche Kontakte (bspw. Xing oder LinkedIn), Schüler (bspw. SchülerVZ), Studenten (bspw. StudiVZ), Singles (bspw. ElitePartner) oder ohne spezifische Ausrichtung (bspw. Facebook) (vgl. Cyganski/Hass, 2008, S. 103). In Verbindung mit der vorangegangenen Kategorisierung von Social Web Anwendungen zeichnen sich die Social Networks, aufgrund der oben genannten Möglichkeiten, durch den höchsten Grad der Selbstdarstellung und den höchsten Grad an sozialer Präsenz sowie medialer Ausgestaltung aus (vgl. Abb. 4).

1.4 Funktionen und Nutzen der Social Web Plattformen

Nachdem die Charakterisierung der gängigen Social Web Plattformen und ihre wesentlichen Merkmale dargestellt wurden, wird in diesem Abschnitt der Arbeit eine Operationalisierung der Funktion des Social Web für den Nutzer vollzogen. Denn nur ein relevanter Nutzen gilt als immanenter Erfolgsfaktor für die einzelnen Plattformen. Insbesondere die immense Anzahl von Nutzern der größten Social Web Plattformen lässt vermuten, dass hier grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt werden (vgl. Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kroeber-Riel et al., 2009, S. 171.

Abb. 5: Bedürfnispyramide nach Maslow

Zur Veranschaulichung wird die Bedürfnispyramide nach Maslow zur Klassifizierung von Motivklassen verwendet. Diese ist zwar im wissenschaftlichen Diskurs umstritten, jedoch für die Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit hinreichend (vgl. Trommsdorff, 2009, S. 112). Die Bedürfnispyramide klassifiziert fünf hierarchisch aufeinander aufbauende Motivklassen, die das Handeln des Menschen beeinflussen. Wenn die Bedürfnisse der jeweils unteren Ebene erfüllt sind, wird die Motivation zur Erfüllung der jeweils nächsten Stufe aktiviert. Dabei können keine Stufen übersprungen werden (vgl. Kroeber-Riel et al., 2009, S. 170). Betrachtet man die dritte Stufe wird deutlich, dass die dort aufgeführten sozialen Bedürfnisse wie Kommunikation, Freundschaft und Gruppenzugehörigkeit durch die verschiedenen Plattformen des Social Web erfüllt werden können (vgl. Häusler, 2007, S. 14). Ob Social Media Plattformen auch Bedürfnisse der vierten Stufe befriedigen wird im weiteren Verlauf der Arbeit geklärt (vgl. Teil B: Abschn. 3.2.1.2). Schmidt (2008b, S. 23f.) ordnet dem Social Web drei Funktionen zu, welche die o.g. Bedürfnisse der dritten Stufe zufriedenstellen. Dabei gelangt Schmidt (2008) durch die Abstraktion gängiger Anwendungen zu drei verschiedenen Leistungen. Diesen Leistungen werden Funktionen bzw. Nutzungsabsichten zugeordnet, die das individuelle Handeln auf der sog. Mikro-Ebene manifestieren (vgl. Teil B: Abschn. 3.2). Die Mikro-Ebene wird beeinflusst durch die sog. Makro-Ebene des überindividuellen Handelns und spiegelt die sozialen Strukturen wieder, in denen soziales und individuelles Handeln möglich werden (vgl. Schmidt, 2008b, S. 22; Teil B: Abschn. 3.1). Eine genauere Betrachtung der Mikro- und Makro-Ebene erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit. Verdeutlicht werden soll an dieser Stelle die generelle Bedeutung sowie die umfangreichen Folgen, die vom Social Web auf das menschliche Handeln aus psychologischer Perspektive (Mikro-Ebene) und soziologischer Perspektive (Makro-Ebene) entstehen.

2. Viral Marketing als Weiterentwicklung des Word-of-Mouth

Nach dem im vorangegangenen Kapitel das Konstrukt des Web 2.0 und eine Kategorisierung verschiedener Social Web Plattformen vorgenommen wurde, befasst sich dieses Kapitel mit den theoretischen Grundlagen des Word-of-Mouth (WOM). Dies dient als Grundlage zur Annäherung an das Viral Marketing. Da es sich bei WOM um interpersonelle Kommunikation handelt, muss zuerst die informationstheoretische Grundstruktur der interpersonellen Kommunikation erläutert werden, um ein grundlegendes Verständnis für die Funktionsweisen der Übermittlung einer Botschaft zu erzeugen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Belch/Belch, 2007, S. 139.

Abb. 6: Informationstheoretische Grundstruktur der Marktkommunikation

Das in Abb. 6 dargestellte Kommunikationsmodell dient als Basis zum Verständnis interpersoneller Kommunikation. Der Sender einer Botschaft übersetzt (kodiert) diese Botschaft in eine sinnbildliche Form (bspw. Bilder, Wörter, Video-Clips, etc.) und übermittelt diese über ein Medium (bspw. gesprochenes Wort, E-Mail, Brief, etc.) an den Empfänger einer Nachricht. Diese Botschaft wird beim Empfang vom Empfänger dekodiert. Der Empfang dieser Botschaft löst folgend eine verhaltensbeeinflussende Wirkung beim Empfänger aus. Diese Wirkung wird dem Sender als Feedback seitens des Empfängers zurückgespiegelt. Während des Prozesses wirken Störsignale auf die Kommunikation ein und verhindern dabei typischerweise eine fehlerfreie Übermittlung der Botschaft (vgl. Belch/Belch, 2007, S. 139ff.). Das dargestellte Kommunikationsmodell dient nachfolgend zum Verständnis der interpersonellen Kommunikation als der Austausch von Gedanken, Ideen, Botschaften und Informationen durch Sprechen, Schreiben, Verhalten oder weiterer Mittel (vgl. Blackwell et al., 2006, S. 734).

2.1 Grundlagen des Word-of-Mouth

Als Basis für die Darstellung von Viral Marketing bedarf es eines grundlegenden Verständnisses des WOM, da Viral Marketing auf den Funktionsweisen von WOM aufbaut und als evolutorische Weiterentwicklung betrachtet werden kann (vgl. Schulz et al., 2008, S. 250). Dieses Kapitel charakterisiert den Begriff WOM und beschreibt seine Funktionsweisen.

Ein früher Definitionsansatz für WOM stammt von Brooks (1957). Er beschreibt WOM als eine Form der interpersonellen Kommunikation zwischen Individuen über Marken, Produkte und Dienstleistungen (vgl. Brooks, 1957, S. 154ff.). Arndt (1967, S. 295) ermittelte einen ersten Zusammenhang zwischen WOM und der Akzeptanz eines neuen Produktes beim Konsumenten und legte somit den Grundstein für die Anwendung des WOM im Marketing. Eine empirische Untersuchung von Engel et al. (1969, S. 17ff.) ordnete WOM einen stärkeren positiven Einfluss auf das Kaufverhalten von Kunden zu als ‚klassische Werbung‘ und untermauerte damit die persuasiven Möglichkeiten von Mund-zu-Mund-Propaganda. Im Rahmen dieser Arbeit muss die von Brooks gegebene Definition erweitert werden. WOM wird in Anlehnung an Godes et al. (2005, S. 416) als ‚one-to-one‘ und ‚face-to-face‘ Informationsaustauch über eine Marke, ein Produkt oder eine Dienstleistung verstanden. Jedoch wird diese ‚one-to-one‘ Kommunikation gemäß dem ‚Organic Interconsumer Influence Model‘ (vgl. Abb. 7) durch Elemente des Marketing-Mix passiv beeinflusst und entspricht dabei dem Konzept der zweistufigen Kommunikation nach Katz/Lazarsfeld (1962, S. 38 ff.). Somit kann die folgende Nominaldefinition für WOM festgelegt werden:

„Word-of-Mouth ist die Verbreitung von Informationen oder Empfehlungen durch mündliche Weitergabe im persönlichen Gespräch zwischen Individuen. Dieses persönliche Gespräch verläuft freiwillig (ohne Incentivierung) und ungesteuert. Eine indirekte Beeinflussung der Gesprächspartner durch Marketing Mix Elemente von Unternehmen, kann dabei nicht generell ausgeschlossen werden.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kozinets et al., 2010, S. 72.

Abb. 7: Organic Interconsumer Influence Model

Nachdem die Wissenschaft auf die Wirkung von WOM aufmerksam gemacht hat, wurde das Thema der Mund-zu-Mund-Propaganda für das angewandte Marketing interessant. Diverse Studien haben nachgewiesen, dass WOM aufgrund einer höheren Glaubwürdigkeit im Vergleich zur ‚klassischen Werbung‘ einen stärkeren Einfluss auf die Kaufentscheidung von Konsumenten ausübt (vgl. Radic/Posselt, 2009, S. 252). ‚Marketer‘ erkannten die Bedeutung des WOM, versuchten dessen positive Wirkungen zu steuern und gezielt zu beeinflussen, um Konsumenten anzuregen in ihren sozialen Netzwerken positiv über Marken, Produkte und Dienstleistungen zu berichten (vgl. Sernovitz, 2009, S. 1ff.; Feick/Price, 1987, S. 84 ff.). ‚Marketer‘ sehen durch gezielte Ansprache und Instrumentalisierung von Multiplikatoren die Chance, eine auf den Wirkungsweisen des WOM basierende Verbreitung, eine positive Meinung über Ihre Produkte zu erzielen (vgl. Buttle, 1998, S. 241ff.; Dichter, 1966, S. 165; Katz/Lazarsfeld, 1955, S. 31ff.). Diese professionelle Nutzung der WOM-Mechanismen wird als Word-of-Mouth-Marketing (WOMM) bezeichnet. Die Funktionsweise von WOMM wird von Kozinets et al. (2010, S. 72) als ‚Linear Marketer Influence Model‘ dargestellt (vgl. Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kozinets et al. 2010, S. 72.

Abb. 8:Linear Marketer Influence Model

Nachdem nun der Begriff der Mund-zu-Mund-Propaganda und deren Funktion grundlegend erörtert wurde, werden im nächsten Abschnitt wirtschaftliche Erfolgsfaktoren des WOM detailliert dargestellt. Dieser Abschnitt dient dem Verständnis für die Bedeutung von WOM aus Sicht des Marketing und zeigt Gründe auf, warum eine aktive Planung, Steuerung und Kontrolle des WOM seitens der ‚Marketer‘ unternommen wird.

2.2 Wirtschaftliche Erfolgsfaktoren des Word-of-Mouth

Aufgrund der immensen Informationsflut, der sich Konsumenten täglich ausgesetzt sehen, reagieren sie durch ausweichen und abschotten gegenüber den auf sie einwirkenden Informationen. Rezipienten von Marketingbotschaften selektieren Informationen sehr sorgfältig und nehmen diese in verdichteter Form auf, dabei werden nur ungefähr zwei Prozent der Marketingbotschaften aufmerksam wahrgenommen (vgl. Kroeber-Riel et al., 2009, S. 657; Brünne et al., 1987, zit. nach Esch, 2010, S. 28). Speziell vor dem Hintergrund einer Inflation der Wahrnehmung kommunikativer Maßnahmen wird deutlich, dass klassische Werbung kaum noch die Aufmerksamkeit der Konsumenten erregt. Daher wird seitens der ‚Marketer‘ nach Alternativen gesucht, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu erlangen (vgl. Esch, 2010, S. 29). Empirische Studien haben gezeigt, dass sich WOM aufgrund erhöhter Glaubwürdigkeit aus der Masse der Werbemaßnahmen hervorhebt und durch den Konsumenten aufmerksamer wahrgenommen wird (vgl. Posselt/Radic, 2005, S. 310; Kaas, 1973, S. 55ff.). Es werden drei Ursachen für die Überlegenheit der persönlichen Kommunikation zwischen Konsumenten gegenüber Maßnahmen der klassischen Werbung aufgeführt (vgl. Helm, 2000, S. 137; Kaas, 1973, S. 54):

-Größere Glaubwürdigkeit und stärkere soziale Kontrolle des Kommunikators.
-Eine bessere und selektivere Informationsaufnahme durch die Kommunikanten.
-Größere Flexibilität beim gegenseitigen Informationsaustausch.

Die größere Glaubwürdigkeit wird dadurch begründet, dass die Kommunikatoren innerhalb der interpersonellen Kommunikation i.d.R. nicht kommerziell motiviert ist (vgl. Kroeber-Riel et al., 2009, S. 657f.; Derbaix/Vanhamme, 2002, S. 100). Zudem wirkt hier eine Form sozialer Kontrolle. Der Empfänger eines Ratschlags fühlt sich häufig seinem Gegenüber verpflichtet, dem erhaltenen Rat Folge zu leisten, um seinen Gegenüber nicht zu enttäuschen. Der o.g. Punkt der selektiven Informationsaufnahme ist ein automatisch ablaufender psychischer Filtermechanismus, der nur eine Informationsaufnahme im Zusammenhang mit individuellen Bedürfnissen der Konsumenten zulässt. Aus diesem Grund wird ein Großteil der Werbung durch die Konsumenten nicht wahrgenommen. Die persönliche Kommunikation unter Konsumenten ermöglicht meist eine bedürfnisspezifische Kommunikation, die die Aufmerksamkeit der Kommunikatoren gezielt und nachhaltig positiv beeinflusst. Größere Flexibilität beim gegenseitigen Informationsaustausch wird durch eine laufende Rückkopplung (Feedback) während des Gesprächs ermöglicht (vgl. Abb. 6). Themen werden innerhalb des Gesprächs angepasst und auf die speziellen Bedürfnisse der Kommunikatoren zugeschnitten (vgl. Kroeber-Riel et al., 2009, S. 543f.). Daher wird deutlich, dass eine (Marketing-) Botschaft via Mund-zu-Mund-Propaganda den Konsumenten wirkungsvoller und zielgruppenkonformer erreicht, als über Massenmedien gestreute Werbung (vgl. Thurau/Walsh, 2003, S. 63f.). Durch WOM ist es somit möglich die Reaktanz der Konsumenten gegenüber beeinflussenden Werbebotschaften zu umgehen und eine stärkere ‚Persuasion‘ zu erzielen (vgl. Trommsdorf, 2009, S. 271f.). Diese Erkenntnis schlägt sich auch im Unternehmenserfolg wieder. Eine Studie von Reichheld (2003, S. 57) bestätigt einen positiven Zusammenhang zwischen dem gezielten Einsatz von WOM Aktivitäten und dem Unternehmenserfolg. „The path to sustainable, profitable growth begins with creating more promoters (ebd.).“

Die in diesem Abschnitt angeführten Punkte machen deutlich, welche Bedeutung die interpersonelle Kommunikation zwischen Konsumenten für das Marketing hat. Marken-, Produkt- oder Dienstleistungsinformationen können glaubwürdiger, überzeugender und kostengünstiger übermittelt werden, wenn es den ‚Marketern‘ gelingt eine Welle der WOM-Kommunikation auszulösen und damit einen nachhaltigen kommunikationspolitischen Erfolg zu erzielen. Sernovitz (2009, S. 1) bringt dies auf den Punkt und schreibt: „Give people a reason to talk about your stuff.“

2.3 Charakterisierung des Viral Marketing

„Think of a virus as the ultimate marketing program. When it comes to getting a message out with little time, minimal budgets, and maximum effect, nothing on earth beats a virus (Rayport, 1997).” Nachdem das WOM und seine Erfolgspotentiale erläutert wurden, wird in diesem Abschnitt das Viral Marketing definiert und die Verbindung zwischen WOM und Viral Marketing verdeutlicht. Wie bereits einleitend erwähnt, basiert Viral Marketing auf den Prinzipien des WOM und profitiert dabei von persönlichen Empfehlungen (vgl. Bauer et al. 2008, S.269; Abb. 8). Viral Marketing beschreibt dabei jedoch im Unterschied zum WOM das gezielte Auslösen von Mundpropaganda zur Vermarktung von Produkten, Marken und Dienstleistungen (vgl. Langner, 2009, S. 27). Groeger (2008, S. 284) definiert das Ziel des Viral Marketing konkret und schreibt, dass die Förderung sozialer Interaktion zwischen Konsumenten entlang mehrstufiger Weiterempfehlungssequenzen essentiell ist. Dabei baut das Viral Marketing auf Forschungsergebnissen diverser Wissenschaften, wie der Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie, der Psychologie, der Sozialpsychologie und der Epidemiologie auf. So ist bspw. der Terminus ‚Viral‘ als Analogie aus der Epidemiologie entnommen und soll die Verbreitung von Informationen in sozialen Netzwerken mit exponentiellen Charakter, ähnlich der Verbreitung eines ansteckenden Virus, veranschaulichen (vgl. Bauer et al., 2008, S. 269). Entscheidend, ob sich ein Virus zu einer Epidemie ausbreitet, ist dabei nicht die Anzahl infizierter Personen, sondern die Wachstumsrate der Neuinfektionen. Ist die Zahl der Neuinfizierten größer, als die Zahl der vom Virus durch Tod oder Heilung befreiten Träger, kommt es zu einer exponentiellen Verbreitung des Virus und zur Epidemie. Sofern die Zahl der Neuinfizierten kleiner ist, stirbt der Virus aus. Epidemiologen sprechen dabei von der Reproduktionsrate ‚R‘, die größer 1 sein muss, damit sich ein Virus zu einer Epidemie ausbreitet (vgl. Merrill, 2010, S. 3ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Groeger, 2008, S. 108.

Abb. 9: Virale Weitergabesequenz zwischen Konsumenten

Anlog gilt dies auch für die Weitergabe von Informationen. So muss jeder Teilnehmer sozialer Interaktion im Schnitt mehr als eine weitere uninformierte Person ‚anstecken‘. Daraus ergibt sich, dass mehrere Weitergabesequenzen bzw. Weitergabestufen durchlaufen werden müssen, wobei ein Konsument eine für ihn neue Information erhält und diese an mindestens eine weitere Person weiterleitet (vgl. Rayport, 2004, S. 3; Abb. 9). Daher reicht das zweistufige Kommunikationsmodell von Katz/Lazersfeld (1962, S. 39ff.) nicht mehr aus, um eine virale Verbreitung von (Marketing-) Botschaften zu erklären, da eine mehrstufige Weitergabesequenz notwendige Bedingung für eine epidemische Ausbreitung darstellt (Rüthnick/Moffett, 2006, S. 490ff.). Gladwell (2000) beschreibt dieses Phänomen der sozialen Epidemie in seinem populärwissenschaftlichen Werk ‚Tipping Point‘. Dabei setzt er sich mit dem Phänomen und den Ursachen sich exponentiell verbreitender, gesellschaftlicher Epidemien auseinander. In diesem Zusammenhang verfasste er das ‚Gesetz der Wenigen‘, welches besagt, dass wenige Träger von ‚virulenten‘ Nachrichten ausreichen, um eine gesellschaftliche Epidemie auszulösen (vgl. Gladwell, 2000). Die Gründe hierfür werden in Kap. 4 erläutert.

In der wissenschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl von Definitionen für den Begriff des Viral Marketing. Im Folgenden werden eine Reihe von Definitionsansätzen dargestellt und diskutiert, bevor eine Nominaldefinition entwickelt werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung.

Tab. 1: Ausgewählte Definitionen des Begriffs Viral Marketing

Wie Tab. 1 zeigt, ergeben sich unterschiedliche Begriffsauffassungen zu Viral Marketing. Im Allgemeinen werden Strategien dargestellt, die eine ansprechende, motivierende und ansteckende Wirkung bezüglich der Weitergabe von Marketingbotschaften aufweisen. Im Fokus steht hier die schnelle und unkomplizierte Übertragung des ‚Virus‘ von einem Empfänger auf den nächsten (vgl. Yang et al., 2009, S. 859ff.). Der daraus resultierende Schneeballeffekt führt zu einer epidemischen Verbreitung der Botschaft und kann ausgeprägte Pioniervorteile mit sich bringen (vgl. Bauer et al., 2008, S. 269). Die Verbreitung von Marketing- ‚Viren‘ entwickelt sich dabei in den sozialen Netzwerken der infizierten Individuen (vgl. Leskovec et al., 2007, S. 1).

Der Vorteil von viraler Kommunikation gegenüber herkömmlichen Kommunikationsinstrumenten ist, dass natürliche Beziehungen und Kommunikationswege in sozialen Netzwerken aufgrund spezifischer Netzwerkstrukturen genutzt werden (vgl. Trusov et al., 2009, S. 90; Abschn. 3.1.2ff.). Daraus ergeben sich zwei immanente Erfolgsfaktoren. Zum einen kann die Verbreitung der (Marketing-) Botschaft kostengünstig realisiert werden (vgl. Mayzlin, 2002, S. 19). Zum anderen verliert das Werbeversprechen seinen aufdringlichen Charakter, da es von Freund zu Freund weitergegeben wird (vgl. Langner, 2009, S. 29; Trusov et al., 2009, S. 90). Phelps et al. (2004, S. 338) betonen dabei insbesondere die Wirkung des ehrlichen Charakters der Botschaft durch die Weitergabe von vertrauenswürdigen Personen. Dies hat eine positive Auswirkung auf die Absicht des Weiterleitens der erhaltenen Nachricht durch den Empfänger. Weiterhin postuliert Langner (2009, S. 29), dass sich durch Viral Marketing eine ‚Win-Win-Situation‘ für Unternehmen und Kunden ergibt. Der Konsument gewinnt durch die Befriedigung seiner Ego-Bedürfnisses wie soziale Interaktion, Wertschätzung, Geltungsstreben und/oder Selbstdarstellung (vgl. Kaplan/Haenlein, 2010, S. 61f.; Scherrer, 1975, S. 58). Das Unternehmen gewinnt seinerseits durch eine offenere Haltung der Konsumenten gegenüber der (Marketing-) Botschaft (vgl. Hünnekens, 2009, S. 123ff.; Kirby, 2006, S. 88). Insbesondere durch die Kommunikation in sozialen Netzwerken ist von zielgruppenspezifischen Weiterempfehlungen und damit einem gesteigertem Interesse an den Inhalten auszugehen (vgl. Schulz et al., 2008, S. 251f.). Dies spiegelt sich ebenfalls in der Geschwindigkeit der Verbreitung von (Marketing-) Botschaften wider. Trusov et al. (2009, S. 98) ermittelten eine ca. 20-fach schnellere Verbreitung von (Marketing-) Botschaften durch Mundpropaganda im Social Web, als durch traditionelle Marketing Maßnahmen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die soziologischen und psychologischen Einflüsse auf das Viral Marketing detailliert betrachtet, um durch eine systematisch und theoretisch fundierte Analyse von Einflussfaktoren auf das Viral Marketing zu ermitteln (vgl. Kap. 0).

Eine Mehrheit der Autoren im wissenschaftlichen Diskurs zum Thema Viral Marketing sieht das WWW als konstitutive Infrastruktur. Langner (2009, S. 32f.) widerspricht hier und postuliert, dass eine virale Verbreitung auch offline möglich sei und nicht auf ein Medium beschränkt ist. Gladwell (2000) beschreibt in seinem Buch ebenfalls konkrete Fälle viraler Verbreitung von (Marketing-) Botschaften, die nicht über das WWW verbreitet wurden und trotzdem soziale Epidemien auslösten. Dennoch schreibt Langner (2009, S. 32 f.) dem WWW eine besondere Rolle als Verbreitungsmedium zu.

Nach ausführlicher Analyse der einschlägigen Literatur wird im Rahmen dieser Arbeit Viral Marketing in Anlehnung an Zorbach (2001, S. 16) wie folgt definiert:

“Viral Marketing ist eine Strategie zur Stimulation der Mundpropaganda mittels verschiedener Instrumente des Marketing-Mix. Der Begriff ‚Viral‘ impliziert eine infektionsartige, mehr oder weniger kontrollierte Verbreitung einer ehrlichen und freiwilligen Marken-, Produkt- oder Dienstleistungsbotschaft von einem Individuum zum anderen, innerhalb ihrer sozialen Netzwerke. Die Verbreitung der Botschaft kann dabei sowohl online als auch offline erfolgen.“

Nachdem eine Nominaldefinition für Viral Marketing gefunden wurde, werden nachfolgend Determinanten des Viral Marketings analysiert. Im Fokus der Betrachtung steht dabei der Einfluss der Medienwahl und der Einfluss der Interaktivität im Social Web auf das Viral Marketing. Dieses Kapitel schließt mit einer Abgrenzung zwischen WOM und Viral Marketing, um die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen der Mund-zu-Mund-Propaganda deutlich herauszustellen.

2.3.1 Zum Einfluss der Medienwahl auf das Viral Marketing

Wie bereits aus der Definition des Begriffs Viral Marketing deutlich wird, ist die Frage nach der Bindung von Viral Marketing an ein Medium anscheinend offen. Langner (2009, S. 32f.) gibt hier jedoch eine klare Antwort und vermerkt, dass ist Viral Marketing grundsätzlich an kein spezifisches Medium gebunden ist. Jedoch schreibt er dem WWW eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Informationen via Mund-zu-Mund Propaganda zu und hält fest, dass gerade durch das WWW das gezielte Auslösen von Mundpropaganda eine Renaissance erlebt. Die Geschwindigkeit mit der sich Informationen im WWW verbreiten ist wesentlich höher als durch offline Mund-zu-Mund Kommunikation. Zudem ist die Reichweite des Senders einer Botschaft im WWW um ein vielfaches höher (vgl. Abschn. 3.1.2.3). Innerhalb kürzester Zeit kann ein einzelner Sender über das Social Web eine Vielzahl von Menschen erreichen, während durch die klassische Mundpropaganda i.d.R. eine Nachricht von einer Person zur nächsten (one-to-one) oder in eine kleine Gruppe (one-to-few) ermöglicht wird. Daher besteht im Social Web die Möglichkeit mit einer Nachricht eine Vielzahl von Personen zu erreichen (one-to-many). So können bspw. durch Social Networks ohne weiteren Aufwand Nachrichten an den gesamten ‚Freundeskreis‘ gesendet und innerhalb kürzester Zeit sämtliche Kontakte des virtuellen sozialen Netzwerks mit einer Botschaft konfrontiert werden (vgl. Groeger, 2008, S. 152). Zudem kommt es im Social Web zu einer asynchronen und zeitlich verzögerten Kommunikation. Der Rezipient nimmt die Nachricht erst war, wenn er sie im Netz abruft. Daher wird i.d.R. keine Rücksicht auf die aktuelle Situation des Rezipienten seitens des Kommunikators genommen. Somit ist die Kommunikation via Social Media flexibler und weniger situationsabhängig als die direkte ‚face-to-face‘ Kommunikation (vgl. Riemer/Totz, 2002, S. 419).

Ein Erfolgsaspekt des Social Web basierten Viral Marketing ist die Interaktivität des Mediums. „Für das Marketing im Allgemeinen und für die digitale Mundpropaganda im Speziellen bedeutet dies (Anm. d. Verf.: Interaktivität), dass Kunden in radikaler Abkehr vom gewohnten Marketingumfeld kommerziell orientierte Inhalte in einem Medium bereitstellen (vgl. Groeger, 2008, S. 150).“ Anhang 1 bietet einen Vergleich zwischen viralem Marketing auf Social Web Plattformen und offline Medien. Dieser zeigt, dass gerade die Expansion, bzw. die Geschwindigkeit und die Multiplikationseffekte, innerhalb der Social Web Plattformen einen immanenten Erfolgsfaktor für eine virale Marketingkampagne darstellen (vgl. Schulz et al., 2008, S. 249). Jedoch ist der Anwendungsbereich limitiert. Es können nur Zielgruppen erreicht werden, die in den gängigen Social Web Plattform aktiv sind. Wie jedoch die ARD/ZDF Onlinestudie (2010) zeigt, wird die Zahl der Social Media Nutzer immer größer. Gleichwohl lassen sich online vermehrt jüngere Zielgruppen ansprechen, während ältere Zielgruppen weniger häufig zu erreichen sind.

2.3.2 Zum Einfluss der Interaktivität im Social Web auf das Viral Marketing

Wie zuvor angedeutet, kann das Viral Marketing im Social Web als Abkehr vom gewohnten Marketingumfeld verstanden werden. Im Rahmen der Interaktivität haben die Konsumenten als Überträger einer (Marketing-) Botschaft eine besondere Rolle. Sie können als aktive Koproduzenten der Nachricht verstanden werden, indem sie durch die Weitergabe und Kommentierung der Botschaft, Meinungen und Werte bezüglich der Wahrnehmung der Botschaft beim Rezipienten schaffen (vgl. Kozinets et al., 2010, S. 72; Russell, 2009, S. 3). Dies geschieht nicht wie im traditionellen WOM im Rahmen der ‚one-to-one‘ Kommunikation, sondern durch die technischen Möglichkeiten der Social Web Plattformen im Rahmen einer ‚one-to-many‘ Kommunikation. Durch die Vernetzung der Rezipienten in virtuellen sozialen Netzwerken fließen Informationen nicht nur in eine Richtung. Stattdessen entsteht ein kommunikativer Austausch unter den Konsumenten im Netzwerk. Im Rahmen dieses kommunikativen Austausches werden Botschaften kritischer durchleuchtet und können sowohl auf Akzeptanz, als auch auf Gegenwehr treffen (ebd.). Somit muss sich jede Viral Marketing Kampagne im Social Web möglicher Kritik stellen und auf sie eingehen (vgl. Langner/Fischer, 2008, S. 18). Die RWE AG sah sich im Jahr 2009 mit herber Kritik aus dem ökologischen Lager der WWW-Community konfrontiert. Eine Imagekampagne des Unternehmens, die die Marke RWE nachhaltiger positionieren sollte, wurde durch Greenpeace scharf kritisiert und im Social Web als ‚Greenwashing‘ denunziert (vgl. horizont.net, 2010). Ein Satirespot von Greenpeace, eingestellt auf die Content Community YouTube und in diversen Blogs, erreichte binnen kurzer Zeit mehr Zuschauer als der Original-Spot der RWE AG. In der einschlägigen Literatur werden Strategien zum Umgang mit kritischen Meinungsäußerungen diskutiert und Handlungsempfehlungen gegeben (vgl. Weinberg, 2010, S. 47ff.; Langner/Fischer, 2008, S. 18ff.; Bauer et al., 2008, S. 67f.; Thompson/Sinha, 2008, S. 65ff.; Ecclestone/Griseri, 2008, S. 591ff.). Innerhalb der vorliegenden Arbeit reicht ein Grundverständnis für die Mechanik der interaktiven Kommunikation im Social Web und deren möglichen Konsequenzen.

Ganz im Sinne der Philosophie des Web 2.0, die den User als Teil der Wertschöpfungskette im Produktionsprozess von Inhalten (UGC) integriert, können ‚Marketer‘ durch direkten Einfluss einzelner Konsumenten Multiplikatoreffekte bezüglich der Diffusionsgeschwindigkeit und -reichweite erzeugen (vgl. Rosenkranz, 2009, S. 1ff.; Kap. 5). Konsumenten sollen dabei als Kommunikatoren instrumentalisiert werden und intrinsisch motiviert eine Weitergabe der (Marketing-) Botschaft innerhalb ihrer virtuellen sozialen Netzwerke via Mundpropaganda initiieren (vgl. Schulz et al., 2008, S. 265). Im weiteren Verlauf der Arbeit werden Wirkungsmechanismen der überindividuellen und individuellen Einflüsse auf die Weitergabe von (Marketing-) Botschaften analysiert. Zuvor wird jedoch eine abschließende Abgrenzung der Begriffe WOM und Viral Marketing vorgenommen, um ein klares Verständnis für die Zusammenhänge und Unterschiede zu schaffen.

2.4 Abgrenzung zwischen Word-of-Mouth und Viral Marketing

Wie die beiden vorangegangenen Abschnitte zeigten, sind die Grenzen zwischen WOM, WOMM und Viral Marketing fließend. Autoren wie Phelps et al. (2004, S. 333) oder Kozinets et al. (2010, S. 71) verwenden die o.g. Begriffe synonym und definieren: „Word-of-Mouth-Marketing (WOMM) is the intentional influencing of consumer-to-consumer communications by professional marketing techniques. Known also as […] viral marketing.“ Im Kern vereinen alle drei Begriffe die Kommunikation von Konsument zu Konsument. Die Begriffe WOMM und Viral Marketing umfassen dabei die gezielte Beeinflussung der Kommunikation zwischen den Konsumenten durch professionelle Beeinflussungsstrategien (vgl. Fuerguson, 2008, S. 179ff.; Buttle, 1998, S. 241ff.). Viral Marketing und WOM unterscheiden sich jedoch eindeutig durch ihren Auslösemechanismus. Während WOM freiwillig und ohne direkten Einfluss von Marketingverantwortlichen durch persönliche Kommunikation von Individuen initialisiert wird, wird Viral Marketing durch gezielte Impulse ausgelöst und bedient sich lediglich der Mechanik des WOM, um die Vermarktung von Marken, Produkten und Dienstleistungen zu fördern. Somit wird deutlich, dass WOM als Kommunikationsphänomen instrumentalisiert wird und gezielt als effektives und kostengünstiges Instrument, in Form des Viral Marketing, in den Marketing-Mix von Unternehmen integriert werden kann.

Im Anschluss an die Abgrenzung der Begriffe WOM und Viral Marketing werden folgend Erkenntnisse der Soziologie und der Psychologie herangezogen, um die Funktionsweisen von Viral Marketing im Social Web zu analysieren. Hierzu werden im ersten Schritt soziale Netzwerke auf ihre Netzwerkstruktur im Social Web analysiert. Dies soll Aufschluss über die Informationsdiffusion innerhalb virtueller sozialen Netze geben soll. Im Anschluss daran werden die Motiv-Kategorien von Individuen analysiert, um zu ermitteln was, sie aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht zur Weitergabe von Informationen im Social Web bewegt.

3. Soziologische und psychologische Einflüsse auf Viral Marketing im Social Web

Dieses Kapitel befasst sich mit den Funktionsweisen und Einflüssen auf die Mundpropaganda. Hierzu wird eine multidisziplinäre Perspektive gewählt, die soziologische, psychologische und sozialpsychologische Erkenntnisse heranzieht, da Mund-zu-Mund Propaganda zum einen auf sozialen Kontakten (sozialen Netzwerken) und zum anderen auf sozialer Interaktion basiert. Die Konstrukte WOM und Viral Marketing werden im Folgenden nicht weiter unterschieden, da beide auf den Grundprinzipien der Mundpropaganda beruhen (vgl. Langner, 2009, S. 16f.). Des Weiteren werden die Betrachtungen immer im Kontext der interpersonellen Kommunikation im Social Web betrachtet. Zunächst werden soziologische Einflussfaktoren auf das Viral Marketing dargestellt. Hierbei wird das Individuum in einem sozialen System dargestellt und dessen Verbindungen mit anderen Individuen innerhalb dieses sozialen Netzwerkes analysiert. Daraus ergeben sich Implikationen für die Diffusion von Botschaften innerhalb sozialer Netzwerke aufgrund spezieller Netzwerkstrukturen, die als immanente Erfolgsfaktoren für das Viral Marketing zu verstehen sind. Im Anschluss an die Betrachtung der Makro-Ebene werden die psychologischen Determinanten der Mundpropaganda analysiert. Hierbei handelt es sich um die Mikro-Ebene, d.h. um die Ebene des individuellen Handelns. Auf der Mikro-Ebene steht die Frage der Motivation des Individuums zur Initialisierung von sozialer Interaktion und somit auch zur Weitergabe von Informationen (innerhalb eines sozialen Netzwerks) im Zentrum der Betrachtung. In diesem Zusammenhang fassen Kroeber-Riel et al. (2009, S. 540) vier Wahrscheinlichkeitsgrößen für die Verbreitung einer Nachricht in einem sozialen System zusammen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Kroeber-Riel et al., 2009, S. 540.

Tab. 2: Verbreitung einer Nachricht in einem sozialen System

Die vorhergehend genannten Wahrscheinlichkeitsgrößen werden durch Variablen der Mikro- und Makro-Ebene, d.h. von individuellen und überindividuellen Treibern beeinflusst. Die Informationsdiffusion ist dabei abhängig von den Makro-Variablen, wie der Netzwerkstruktur und den Bindungen innerhalb eines Netzwerks. Die Mikro-Variablen wirken auf die Entscheidung des Individuums eine Nachricht weiterzugeben ein (vgl. Groeger, 2008, S. 160f.). In diesem Zusammenhang werden verschiedene Ausprägungen des Involvements analysiert. Abbildung 10 stellt die verschiedenen Stufen des Weitergabeprozesses dar und verdeutlicht mögliche Auswirkungen, die sich aus dem Kontakt zweier Kommunikationspartner ergeben. Die Struktur des sozialen Netzwerks beeinflusst die Kontaktwahrscheinlichkeit und kann gemäß Kroeber-Riel et al. (2009, S. 540f.) nicht exogen bestimmt werden, da sie vom Diffusionsprozess abhängig ist. Groeger (2008, S. 163) erweitert diese Betrachtungsweise und schreibt: „Jene Wahrscheinlichkeit wird nicht nur von dem betrachteten Zeitpunkt des Diffusionsverlaufs maßgeblich beeinflusst, sondern auch von der Struktur des […] sozialen Beziehungsgeflechts – wodurch eine Einschätzung der Kommunikationswahrscheinlichkeit möglich scheint.“ Im weiteren Verlauf der Arbeit wird Groegers Betrachtungsweise gefolgt und eine Analyse der sozialen Beziehungsgeflechts im Social Web durchgeführt, um durch eine Analyse der Netzwerkstruktur im Social Web Rückschlüsse auf die Kontaktwahrscheinlichkeit zu ziehen (vgl. Abschn. 3.1.2.4). Die Informationswahrscheinlichkeit wird durch unterschiedliche Motivationen der Kommunikationspartner beeinflusst. Groeger (2008, S. 164) geht davon aus, dass starkes situativ-produktbezogenes Involvement interagierend mit hohem selbstbezogenes Involvement die Informations- und Übernahmewahrscheinlichkeit von (Marketing-) Botschaften erhöht. Bezüglich der Weitergabe von Informationen werden stark selbstbezogene und botschaftsbezogene Motive als Treiber gesehen. Die Übernahme einer Botschaft ist in diesem Zusammenhang stark abhängig von der Glaubwürdigkeit des Kommunikators. Diesbezüglich wird in Abschn. 3.1.3 das Meinungsführerkonzept analysiert und in den Gesamtzusammenhang eingeordnet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Kroeber-Riel et al. aus: Karlsson, 1967, S. 80ff.

Abb. 10: Stufen des Weitergabeprozesses

In der vorliegenden Ausarbeitung ist es nicht möglich eine vollständige Dokumentation aller Makro- und Mikro-Variablen für die Verbreitung von Mundpropaganda zu erfassen. Die folgende theoretische Darstellung soll jedoch als Fundament für das Verständnis der Komplexität des Weitergabeprozesses dienen und darüber hinaus praxisrelevante Handlungsempfehlungen für die Planung, das Seeding und die Steuerung von Viral Marketing im Social Web ermöglichen.

3.1 Wesentliche soziologische Einflussfaktoren

Um im weiteren Verlauf der Arbeit die Verbreitung von sozialen Epidemien analysieren zu können, bedarf es der Betrachtung des ‚Raumes‘, in dem sich Kommunikation und damit die Verbreitung von sozialen Epidemien per Mundpropaganda abspielt. Hierzu wird das Netzwerkkonzept, das der Analyse von Sozialstrukturen dient, zur genaueren Betrachtung herangezogen. Diese Sozialstrukturen werden repräsentiert durch die Beziehungen zwischen sozialen Einheiten wie Gruppen, Organisationen oder Personen (vgl. Schenk, 1995, S. 14ff.). Das bedeutet, dass im Rahmen dieser Arbeit die interaktional-soziale Ebene zwischen den o.g. Einheiten analysiert wird. Das Social Web kann dabei als Gemeinschaft, Teilgemeinschaft oder Teilöffentlichkeit unter dem Gesichtspunkt einer kommunikativen Ordnung verstanden werden (vgl. Bucher et al., 2008, S. 45f.). Die Netzwerkanalyse dient als Instrument, um zwischen makrosoziologischem Strukturfunktionalismus und mikrosoziologischen Handlungstheorien zu vermitteln (ebd.). Dabei kann die Netzwerkanalyse ein Instrument zur Verbindung von Akteur- und Handlungstheorien mit Theorien über Institutionen, Strukturen und Systeme darstellen. Entsprechend dient die Netzwerkanalyse der Integration von Mikro- und Makroansätzen in den Sozialwissenschaften (vgl. Jansen, 2006, S. 11). Im Folgenden wird das theoretische Konstrukt des sozialen Netzwerks grundlegend erläutert, um sich im weiteren Verlauf der sozialen Ordnung und den Handlungstheorien in Online-Netzwerkstrukturen anzunähern. Anschließend werden daraus Erkenntnisse über die Kontaktwahrscheinlichkeit und Übernahmewahrscheinlichkeit abgeleitet.

3.1.1 Grundlagen sozialer Netzwerkstrukturen

Vorreiter der modernen Netzwerkforschung war Simmel, der sich in seinen Arbeiten mit einzelnen sozialen Beziehungen zwischen Individuen sowie gesamtgesellschaftlichen Strukturen befasste. Dies waren die Grundlagen der Netzwerkforschung und insb. der Entwicklung des Konzeptes von ‚sozialen Netzwerken‘ (vgl. Häußling, 2009, S. 7ff.). Simmel (1992, S. 237ff.) sieht gerade im Spannungsverhältnis zwischen Individualität und gesellschaftlicher Differenzierung, hervorgerufen durch fortschreitende Rollenunterscheidung der Individuen, entfacht durch die Entwicklung zur modernen Gesellschaft, den Grund für neue Individualitätsspielräume. Dem stimmt Giddens (1996, S. 22) zu und beschreibt Gesellschaft als abgesondertes System sozialer Beziehungen. Simmel (1992, S. 237ff.) sieht die soziale Differenzierung und die diversifizierten Rollen eines Individuums als Grundlage für die Herausbildung unterschiedlichster Formen der sozialen Interaktion. Entscheidend für die Entstehung von Individualität ist hierbei die ‚Kreuzung sozialer Kreise‘ (vgl. Simmel, 1992, S 466ff.). Die Schnittmenge von sozialen Kreisen, die als soziale Beziehungen verstanden werden können, kann als Charakteristika eines jeden Individuums sowie als persönliches Netzwerk verstanden werden. Granovetter (1957. S. 1367ff.), greift die Idee der persönlichen Netzwerke auf und nennt diese ‚Cliquen‘ (vgl. Abschn. 3.1.1.2). Der Begriff des ‚sozialen Netzwerkes‘ wurde erstmalig von Barns (1954, S. 43ff.) verwendet, der in seinen Arbeiten die Ideen Simmels aufgriff und das Konstrukt des sozialen Netzwerkes wie folgt definiert: „Each person is, as it were, in touch with a number of people, some of whom are directly in touch with each other and some of whom are not. […] I find it convenient to talk of a social field of this kind as a network.” Wassermann/Fast (1992, S. 20) werden konkreter und beschreiben ein soziales Netzwerk als: „[…] a finite set or sets of actors and the relation or relations defined on them.” Diese sozialen Netzwerke werden durch soziale Beziehungen aufrechterhalten und nach Luhmann (1984, S. 148ff.) durch Kommunikation und soziales Handeln operationalisiert. Dementsprechend können soziale Systeme eine innere Struktur nur dann entwickeln, manifestieren und als System überleben, wenn kommuniziert und interpersonell gehandelt wird (ebd.).

Soziale Netzwerke lassen sich in totale und partielle Netzwerke differenzieren. Gleichwohl ist eine vollständige empirische Erhebung einer totalen Netzwerkstruktur aufgrund der Vielzahl von Beziehungsstrukturen unmöglich. Daher werden Ausschnitte aus totalen Netzwerken, die partiellen Netzwerke, zum Gegenstand der Forschung herangezogen (vgl. Kähler, 1975, S. 284).

3.1.1.1 Zum egozentrierten Netzwerk

Aus der Perspektive egozentrierter Netzwerke, werden Sozialbeziehungen in einem partiellen sozialen Netzwerk betrachtet. Dies bedeutet aus Sicht der persönlichen Sozialbeziehungen eines Individuums. Das egozentrierte Netzwerk stellt die Beziehungen (Kanten) zwischen einem Individuum (Ego) und anderen Menschen seiner sozialen Umwelt (Alteri) sowie die Beziehungen der Alteri untereinander dar (vgl. Schenk, 1995, S. 14). Ein egozentriertes Netzwerk lässt wie folgt vereinfacht grafisch darstellen (vgl. Abb. 11). In der einschlägigen Literatur wird beschrieben, dass Ego als Knotenpunkt zwischen einer Vielzahl von Alteri fungiert und diese aufgrund ihrer Vernetzung eine Verbreitung von gesellschaftlich übertragenen Erkrankungen, Meinungen oder Informationen verursachen (vgl. Trusov et al., 2009, S. 92f.; Ferguson, 2008, S. 179; Newman, 2002, S. 9f.). Zudem weisen stark vernetzte Egos (mit einer Vielzahl von Kanten) einen starken Einfluss auf das Verhalten von Alteri auf (vgl. Goldenberg et al., 2009, S. 2f.;. de Bryn/Lilien, 2005, S. 153; Hoffman/Novak, 1996, S. 52f.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: In Anlehnung an Langner 2009, S. 22.

Abb. 11: Modell eines egozentrieten Netzwerks

Das egozentrierte Netzwerk dient der Beschreibung und Darstellung der Struktur und der Beziehungen eines partiellen Netzwerkes einer Person. So soll das Verhalten von Ego gegenüber Alteri (direkte Verbindung), das Verhaltens von Alteri untereinander (indirekte Verbindung), sowie das Verhalten von Alteri gegenüber Dritten (indirekte Verbindung) im Rahmen der kommunikativen Ordnung des Social Web dargestellt werden. Dabei werden sowohl die Bindungen der Akteure untersucht, als auch die Netzwerkstruktur, die sich in die Faktoren Dichte, Abgrenzung und Reichweite unterteilen lässt. Hieraus sollen sich Indikatoren für die Diffusion von Botschaften und somit Implikationen für die Planung, das Seeding und die Steuerung von Viral Marketing Kampagnen innerhalb des Social Web ergeben. Zuvor muss jedoch eine Analyse der verschiedenen Ausprägungen von Bindungen zwischen den Individuen erfolgen, da diese starke Einflüsse auf die Netzwerkstruktur ausüben.

3.1.1.2 Zu starken und schwachen sozialen Bindungen

Zwischen Individuen entsteht eine soziale Beziehung und damit auch eine gegenseitige Bindung, wenn sie wiederholt miteinander kommunizieren. Bezieht man dies auf soziale Netzwerke, ist Kommunikation die notwendige Bedingung für eine soziale Bindung zwischen Ego und Alteri (vgl. Watzlawick et al., 1990, S. 124f.; Luhmann, 1984, S. 192). Zudem wirken sich neben der Kommunikation auch die soziale Handlungen zwischen Alteri und Ego auf die soziale Bindung innerhalb ihrer Beziehung aus (vgl. Parsons, 1991, S. 2). Luhmann (2002, S. 18f.) stützt diese These und bringt sie in dem Ausdruck ‚system is action‘ auf den Punkt (vgl. Villányi et al., 2009, S. 363f.). Thimm (2004, S. 51) greift dieses Verständnis von sozialer Bindung auf und überträgt dies von sozialen Bindungen in die virtuelle Gesellschaft. Dabei beschreibt Thimm (2004, S.51), dass genau wie für ‚reale‘ Gesellschaften Sozialität durch Kommunikation und Handlung auch für die durch technologische Rahmenbedingungen geprägte Umwelt des elektronischen Netzes und seiner ‚virtuellen‘ Gesellschaften gelten. Nach Simmel (1992, S. 237ff.) erweitern und differenzieren sich soziale Bindungen eines Individuums als Folge fortschreitender gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, d.h. die sozialen Beziehungen Egos werden zahlreicher und vielfältiger. Daraus folgt, dass Ego im eigenen persönlichen Beziehungsnetz im Schnittpunkt vieler sozialer Kreise (auch: Cliquen) steht. Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss die sozialen Beziehungen bzw. die Ausprägung sozialer Beziehungen auf Kontaktwahrscheinlichkeit und damit auf die Diffusion von Botschaften innerhalb sozialer Netzwerke haben. Diese Frage wird durch die Theorie der ‚Strength of Weak Ties‘ von Granovetter (1973) beantwortet. Granovetter (1973) unterscheidet bezüglich der interpersonellen Beziehungen von Ego und Alteri in starke Bindungen (‚Strong Ties‘) und schwache Bindungen (‚Weak Ties‘). Die Stärke einer Bindung definiert Granovetter (1973, S.1362) als: „the strength of a tie is a (probably linear) combination of the amount of time, the emotional intensity, the intimacy (mutual confinding), and the reciprocal services which characterize the tie.” Somit zeichnen sich starke Bindungen durch ein hohes Maß an Emotionalität und Intimität, gemeinsame Interessen und Aktivitäten, ein dauerhaftes Engagement und hohen Zeitaufwand zur Pflege dieser starken Bindungen aus. Zu starken Bindungen gehören vor allem familiäre und partnerschaftliche Beziehungen (vgl. Homans, 1950, S. 153). Brown/Reingen (1985, S. 360) ermittelten einen positiven Zusammenhang zwischen den starken Bindungen und dem Senden einer Information und schreiben: „[…] strong ties were shown to be important at the micro level of referral behavior. When both strong and weak ties were available sources of information, strong ties were more likely than weak ties to be activated for the flow of information (ebd.).” Dies bedeutet, je stärker eine Bindung ist, desto eher wird eine Botschaft zwischen den Knoten vermittelt, was letztlich auf eine häufige Interaktion zwischen starken Verbindungen zurückzuführen ist. Schwache Bindungen hingegen bedürfen weniger zeitlichen Aufwand und sind weniger emotional. Das Aufrechterhalten dieser Beziehungen bedarf lediglich temporärem Engagement seitens Ego. Zudem sind ‚Weak Ties‘ unverbindlich und leicht kündbar. Zur Gruppe der schwachen Verbindungen zählen i.d.R. entfernte Verwandte, Kollegen, Bekannte, und weitere Personen mit denen Ego in Kontakt steht (vgl. Granovetter, 1983, S. 203f.). Ungeachtet der starken Beziehungen ordnet Granovetter (1983) den schwachen Beziehungen eine besondere Stärke ‚The Strength of Weak Ties‘ zu. Die besondere Stärke, die in schwachen Bindungen liegt, ist deren Brückenfunktion (vgl. Brown/Reingen, 1985, S. 360). Menschen mit denen Ego in engem Kontakt steht, bzw. durch starke Bindungen verknüpft ist, leben in einem ähnlichen sozialen Umfeld. Gemäß dem Prinzip der Homophilie stehen ihnen ähnliche oder gleiche Informationen zur Verfügung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung.

Abb. 12: Modell eines egozentrierten Netzwerkes mit starken und schwachen Bindungen sowie Cliquen

[…]


[1] Die Abkürzung WWW wird im Folgenden als Synonym für den Begriff Internet verwendet.

[2] Prosumer: Person aus dem Kreis der Konsumenten, die in die Produktionstätigkeit des Produzenten einbezogen wird. Der Prosumer nimmt somit Einfluß auf die Produkteigenschaften (vgl. o.V., 2004, S. 2439).

[3] Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Begriff ‚soziales Netzwerk‘ bzw. ‚Social Network‘ in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Zum einen als Social Web Portal, zum anderen als soziales Netzwerk aus soziologischer Perspektive. Daher wird im weiteren Verlauf der Arbeit für das soziale Netzwerk aus Social Web Perspektive der englische Begriff ‚Social Network‘ und aus soziologischer Perspektive der deutsche Begriff ‚soziales Netzwerk‘ verwendet.

Ende der Leseprobe aus 153 Seiten

Details

Titel
Planung, Seeding und Steuerung von Viral Marketing im Social Web
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Schumpeter School of Business and Econimics)
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
153
Katalognummer
V262997
ISBN (eBook)
9783656517368
ISBN (Buch)
9783656517375
Dateigröße
2298 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
planung, seeding, steuerung, viral, marketing, social
Arbeit zitieren
Ralf Brüser (Autor:in), 2010, Planung, Seeding und Steuerung von Viral Marketing im Social Web, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262997

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