Vetospieler-Theorie in der Europäischen Union

Die möglichen Auswirkungen des Vertrages von Lissabon auf die Politikstabilität im Rat der Europäischen Union


Hausarbeit, 2013

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Grundzüge der Vetospielertheorie

3. Der Rat der Europäischen Union im Kontext des Lissabon-Vertrages.
3.1 Rechtliche Perspektive
3.2 Politikwissenschaftliche Perspektive

4. Modell zur Darstellung der Akteure im Rat der Europäischen Union

5. Szenario der Akteurskonstellation im Rat der Europäischen Union ..

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Ratifikation des Reformvertrages von Lissabon durch die Mitglieder der Europäischen Union (EU) ergab zum 1. Dezember 2009 Veränderungen für das Primärrecht der EU, den Vertrag der Europäischen Union (EUV) beziehungsweise den gleichwertigen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (Vgl. Seeger, 2008, S. 66). Diese beiden Vertragswerke definieren die grundsätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, durch die das Zusammenwirken der EU-Mitgliedsstaaten, die Arbeitsweise und Stellung der EU-Organe sowie die Abläufe der EU-Rechtssetzung bestimmt werden.

Als Zielsetzung soll der Vertrag von Lissabon die Arbeitsweise der EU „demokratischer und effizienter machen“ (AFP/Reuters, 2010). Darüber hinaus gilt er als Ersatz für die zuvor angestrebte, allerdings gescheiterte, EU-Verfassung (Vgl. ebd.).

Wichtige Neuerungen sind unter anderem die Verkleinerung der EU-Kommission, die Einführung einer EU-Bürgerinitiative, die Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen und die Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheiten im Rat der Europäischen Union (Vgl. ebd.).

Diese Änderungen vollzogen sich jedoch nicht sofort, sondern wurden beziehungsweise werden erst schrittweise umgesetzt.

Das Prinzip der doppelten Mehrheiten im Rat der Europäischen Union wird demzufolge zum Beispiel erst ab dem 1. November 2014 realisiert. Bis dahin gelten Bestimmungen, die in dem „Protokoll über die Übergangsbestimmungen“ festgelegt und dem EUV und AEUV beigefügt wurden (Vgl. Schwartmann, 2013, S. 819). Mit der konkreten Veränderung der notwendigen Mehrheiten, die ihm Rat der Europäischen Union für die Annahme einer Vorlage notwendig sind, setzt sich diese Arbeit auseinander.

Dabei steht die folgende Fragestellung im Mittelpunkt der Betrachtung: Welche Veränderungen können sich durch die Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheiten für die Politikstabilität im Rat der Europäischen Union ergeben? Als These lässt sich hierbei herausstellen, dass die Mehrheitsfindung im Rat der Europäischen Union nach der Implementierung der doppelten Mehrheiten einfacher und dadurch auch transparenter wird, da die bisher relevanten Stimmgewichte der einzelnen Akteure nicht mehr für ein Entscheidungsergebnis ausschlaggebend sind, sondern die gleichwertigen Stimmgewichte der Ratsmitglieder zählen und die Bevölkerungsgröße des Staates als objektiver Faktor hinzugezogen wird. Die Beantwortung der Fragestellung soll theoriegeleitet anhand der Vetospielertheorie nach George Tsebelis hergeleitet werden.

Grundsätzlich sollen dafür zu Beginn die für diese Arbeit relevanten Inhalte von Tsebelis Vetospielertheorie vorgestellt werden. Danach erfolgt die Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich aus dem EUV und AEUV für die Abstimmungsverfahren im Rat der Europäischen Union ergeben. Anhand der vorgegebenen Abstimmungsverfahren wird danach ein hypothetisches Modell erläutert, nach dem sich die Abstimmungen im Rat der Europäischen Union nach Ende 2014 zutragen könnten.

Mit diesem Modell soll anschließend ein denkbares Szenario grafisch dargestellt und interpretiert werden.

In dem Zusammenhang soll auch ein Vergleich der Abstimmungsverfahren vor und nach dem 1. November 2014 durchgeführt werden.

Zuletzt erfolgen eine Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse und das Fazit, mit dem die Fragestellung beantwortet werden soll beziehungsweise gegebenenfalls die aufgestellt These bestätigt wird.

Diese Arbeit betrachtet nur die Entscheidungsmodalitäten im Rat der Europäischen Union und die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Dabei steht die Analyse mithilfe der Vetospielertheorie im Mittelpunkt.

Es wird nicht näher auf die Organe der Europäischen Union eingegangen. Ebenso wird die Entwicklung der EU und auch der Weg bis zum Abschluss des Lissabon- Vertrages nicht vorgestellt. Das modellhafte Szenario, das sich nach dem 1. November 2014 zutragen könnte, wird abstrakt ohne Bezug auf ein Beispiel nähergebracht.

2. Grundzüge der Vetospielertheorie

George Tsebelis hat sich um die Jahrtausendwende mit der Politikstabilität innerhalb von politischen Systemen beschäftigt und dabei die Bedeutung von Akteuren erforscht, die mit ihrer Stimme bei Entscheidungen als Vetoakteur auftreten können. Er geht dabei von der Grundannahme aus, dass für einen Politikwandel die Zustimmung einer bestimmten Anzahl von politischen Akteuren, kollektiver oder individueller Natur, notwendig ist (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 2). Diese Akteure nennt Tsebelis Vetospieler (Vgl. ebd.), denn mit ihrem Veto können sie eine Entscheidung blockieren und den status quo bewahren.

Neben der Unterscheidung von kollektiven und individuellen Vetospielern, unterscheidet Tsebelis auch institutionelle und parteipolitische Vetospieler. Als institutionelle Vetospieler werden in dem Zusammenhang Akteure definiert, die durch die Verfassung oder einen Vertrag Vetomacht erhalten (Vgl. ebd.). Parteipolitische Vetospieler sind diejenigen Akteure, die zum Beispiel Mitglied einer Regierungskoalition sind (Vgl. ebd.).

Die Vetospielertheorie nach Tsebelis ist ein verfahrenstechnisches Analysemodell, mit dem die Bestimmungen der Entscheidungsfindung genauer betrachtet werden (Vgl. Schneider, Steunenberg, & Widgrén, 2006, S. 300) und bei dem die Position des Vetospielers im Mittelpunkt steht. Es geht also um die formellen Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung und nicht um die Bedeutung von Verhandlungen im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses, wie es in Verhandlungsmodellen der Fall ist (Vgl. ebd., S. 301).

Ein politisches System hat eine bestimmte Vetospieler-Konfiguration, die durch die folgenden Merkmale beeinflusst wird: Anzahl der Vetospieler, Distanz zwischen den Vetospielern und gegebenenfalls dem Zusammenhalt der Vetospieler (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 2).

Diese Konfiguration der Vetospieler beeinflusst die Ergebnisse, die sich in einem politischen System ergeben können. Denn dadurch kann die Größe des sogenannten Winsets des Status quo beeinflusst werden (Vgl. ebd.).

Das Winset des Status quo gibt dabei die Schnittmenge der politischen Positionen der Vetospieler an und ist ein Anhaltspunkt für die Realisierbarkeit von Alternativen für den derzeitigen Status quo. Je größer dieses Winset ist, desto wahrscheinlicher ist politischer Wandel. Tsebelis bemisst daran die Politikstabilität (Vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Eigene Darstellung

Für die grafische Darstellung setzt Tsebelis einen mehrdimensionalen Raum ein (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 20). Die Achsen stellen dabei bestimmte Politikdimensionen, zum Beispiel die Ausgabendisziplin, dar (Vgl. Abbildung 1). Anhand dieser Dimensionen kann die Position des jeweiligen Vetospielers mit seinen individuellen Präferenzen im mehrdimensionalen Raum abgetragen werden (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 20). Die genaue Einordnung der Vetospieler auf den Achsen stellt dabei eine Herausforderung dar, denn die politischen Positionen lassen sich nicht so objektiv festlegen wie Zahlenwerte (Vgl. Schneider, Steunenberg, & Widgrén, 2006, S. 309). Der Vetospieler wird also an seinem Idealpunkt lokalisiert (Vgl. Abbildung 1; Tsebelis, 2002, S. 20). Den Idealpunkt des Vetospielers umgeben unendlich viele Indifferenzkurven. Indifferenzkurven sind Kreise um den Vetospieler, auf deren Kreislinie sich mehrere politische Alternativen befinden können, die für den Vetospieler jedoch indifferent sind (Vgl. ebd.). Der Vetospieler bevorzugt also keine Alternative, wenn sich alle Alternativen auf der Indifferenzkurve befinden (Vgl. Punkte A1, A2 und A3 in Abbildung 1). Liegt ein Alternative innerhalb einer bestimmten Indifferenzkurve (Vgl. Punkt A4 in Abbildung 1), so wird sie jedem Punkt auf der Indifferenzkurve vorgezogen (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 20). Sofern sich eine Alternative außerhalb dieser Indifferenzkurve befindet (Vgl. Punkt A5 in Abbildung 1), kehrt sich diese Logik um und die Punkte auf der Indifferenzkurve werden dem Punkt außerhalb der Indifferenzkurve vorgezogen (Vgl. Tsebelis, 2002, S. 20). Entscheidend ist in diesen Szenarien also die Nähe zum Idealpunkt des Vetospielers.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Eigene Darstellung

Ein anderer Punkt, der eine Bedeutung für die Visualisierung der Vetospielertheorie hat, ist der Status quo. Der Status quo wird ebenso im mehrdimensionalen Raum abgetragen.

Im Weiteren geht Tsebelis von zwei Konzepten aus, dem Winset des Status quo und dem Kern der Vetospieler (Vgl. ebd., S. 21). Beide Konzepte geben Auskunft über die Politikstabilität. Das Winset des Status quo bestimmt die Möglichkeiten des politischen Wandels. Für die Bestimmung des Winsets müssen die Indifferenzkurven der einzelnen Vetospieler durch den Status quo dargestellt werden (Vgl. Abbildung 2). Ergibt sich zwischen den Indifferenzkurven der Vetospieler eine Schnittmenge, dann existiert ein Winset (Vgl. ebd.). Ergibt sich zwischen den Vetospielern kein Winset des Status quo, so existiert ein leeres Winset (Vgl. Abbildung 3).

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Vetospieler-Theorie in der Europäischen Union
Untertitel
Die möglichen Auswirkungen des Vertrages von Lissabon auf die Politikstabilität im Rat der Europäischen Union
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Professur für Politikwissenschaft, insbes. vergleichende Regierungslehre)
Veranstaltung
Proseminar: Vetopunkte im internationalen Vergleich
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V265389
ISBN (eBook)
9783656549291
ISBN (Buch)
9783656549062
Dateigröße
759 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, EU, Rat der Europäischen Union, Rat, Ministerrat, Tsebelis, Vetopunkte, Politikstabilität, Winset, Vertrag von Lissabon, Lissabon-Vertrag, Dreifache Mehrheiten, Doppelte Mehrheiten, Vetospieler-Theorie
Arbeit zitieren
Sebastian Liebram (Autor:in), 2013, Vetospieler-Theorie in der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265389

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