Max Stirners philosophischer Egoismus und seine ethischen Implikationen


Hausarbeit, 2014

18 Seiten

Peter Gruber (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Einzige und seine Moral
2.1. Solus ipse
2.2. Der Mann ist Egoist
2.3. Alte und neue Besessenheit
2.4. Von Göttern, Menschen und anderem Sparren
2.5. Die unfreien Freien
2.6 Das egoistische Zeitalter
2.7. Das Ich hat immer recht
2.8. Das Ich, der Anarchist
2.9. Das Ich kennt kein Verbrechen
2.10. Genießen ist des Lebens Sinn

3. Fazit

4. Literatur
4.1. Primärtext
4.2. Sekundärtexte

1. Einleitung

„Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt“[1] – mit diesem Vers aus Goethes Gedicht Vanitas! Vanitatum vanitas! schließt Max Stirners Hauptwerk Der Einzige und sein Eigentum. Der Vers umreißt höchst treffend Stirners philosophisches Programm – seine Destruktion aller Werte, Ideen und Ideale, sodass alles zersetzend nur mehr das eigene Nichts besteht, auf das das Ich als Schöpfer tritt. Das Nichts ermächtigt das Ich zum Schöpfer.

Diesen Gedankengang in Stirners Der Einzige und sein Eigentum aufzuweisen, wird das Ziel dieser Arbeit sein – der Fokus wird dabei auf ethischen und metethischen Fragestellungen liegen; gleichwohl wird es sich nicht vermeiden lassen, auch andere Themenkreise in Stirners Werk miteinzubeziehen, etwa seine Metaphysik-Kritik, die als „antiessentialistische Radikalkur“ gleichsam die Grundlegung für seine Moralkritik darstellt oder Stirners politische Philosophie, die gleichfalls Ethisches impliziert.

Diese Arbeit wird sich grob in zwei Teile teilen lassen: Stirners Moralkritik (vgl. Kap. 2.1. bis Kap. 2.5.) und Stirners subjektive Moralbegründung (vgl. Kap. 2.6. - 2.10.) – weil aber Stirners Moralbegründung auf seiner Moralkritik beruht, aus ihr erwächst und in sie übergeht, werden sich beide Teile nicht scharf voneinander abgrenzen können. Das „Was soll nicht alles Meine Sache sein!“[2] und das „Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt“[3] gehen in einander über – nur weil nichts meine Sache ist, als Ich, stelle Ich meine Sache auf Nichts; und umgekehrt, weil Ich meine Sache nur auch mich stelle, darum soll nur Ich meine Sache sein.

Aufgrund der gebotenen Kürze wird sich die Arbeit am Primärtext orientieren. Sekundärliteratur wurde zwar eingebaut, um Kontext herzustellen oder kritische Anfragen zu stellen, nichtsdestotrotz beansprucht die Arbeit hierbei keine Vollständigkeit. Gerade die Kritik durch Marx und Engels oder die Rezeption durch Friedirch Nietzsche konnten bestenfalls angerissen werden. Oftmals wird in dieser Arbeit Stirners Wortlaut selbst mittels direkter Zitate eingebaut werden – der Reiz seiner polemischen Sprache möge dies entschuldigen.

2. Der Einzige und seine Moral

2.1. Solus ipse

Am Anfang von Stirners Philosophie steht das Hinterfragen: „Was soll nicht alles Meine Sache sein!“[4] Und Stirner beschreibt sogleich, was nicht alles seine Sache sein soll – nur eines darf nie seine Sache sein, er sich selbst: „Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!“[5], konstatiert Stirner ironisch.

Als causa sui gilt Gott, mitunter auch die Menschheit, ferner die Wahrheit, die Freiheit, die Gerechtigkeit u.s.w. – all dies sind wahrhaft egoistische Prinzipien, indem sie nur für sich selbst stehen, alles für sich proklamieren – der Mensch aber, der darf ihnen nur dienen. Dies will Stirner nicht gelten lassen: „Ich Meinesteils nehme Mir eine Lehre daran und will, statt jenen großen Egoisten ferner uneigennützig zu dienen, lieber selber der Egoist sein.“[6] Er stellt seine Sache eben auf das „Nichts von allem Anderen“[7], auf sich selbst, weil er sich selbst alles ist. Das schöpferische Nichts wird zum Ausgangspunkt für einen Einzigen, der „als Schöpfer Alles schafft“[8].

Das Ich wird bei Stirner großgschrieben, im metaphorischen wie im wörtlichen Sinne – „Stirner lehrt also gleichsam, sich selbst groß zu schreiben“[9], bemerkt Christoph Helferich. Ich und Nichts als Ausgangspunkt lassen aber auch den Nihilismus-Verdacht aufkommen: „Ich und Nichts formieren das als Idealismus kaschierte nihilsitische Syndrom.“[10] Karl Löwith meint sogar: „B. Bauer und Stirner ließen die Philosophie in einem radikalen Kritizismus und Nihilismus verenden“[11]. Stirner lässt sich jedoch nicht auf solche Fragen der Bewertung ein – für ihn ist der Gang zum Egoismus des Einzelnen historische und individual-geschichtliche Notwendigkeit. Der Egoismus ist für ihn unvermeidlich, es kommt nur darauf an, ihn zu verwirklichen.

2.2. Der Mann ist Egoist

Stirner meint, dass der Mensch im Chaos der Welt zwar immer und von frühester Kindheit an versucht „sich herauszufinden und sich zu gewinnen“[12], dass ihm aber alles entgegensteht – „weil Jegliches auf sich hält“[13] – weshalb das Leben ein „Kampf der Selbstbehauptung“[14] sei. Wohl auch mit Ironie[15] beschreibt Stirner in seinem ontogenetischen Konzept, wie dieser Kampf verloren geht und das eigene Selbst verloren wird: In der Biographie jedes Menschen kommt der Punkt, an dem die Kindheit überwunden wird. In jenem Moment tritt der Mensch in die Welt des Geistes ein, eine Welt, die ihm scheinbar Befreiung von der Welt erlaubt, denn „die Welt ist in Verruf erklärt, denn Wir sind über ihr, sind Geist“[16] War zuvor der Gedanke noch an die Welt und ihre Gegenstände gebunden, ist er jetzt frei, ist „nichts als Gedanke, absoluter Gedanke“[17] Der Geist wird absolut gesetzt, doch nicht jeder Geist ist gleichwertig und mancher ist besser und der Beste ist der ideale Geist: „Damit verliere Ich aber, der Ich Mich soeben als Geist gefunden hatte, sogleich Mich wieder, indem Ich vor dem vollkommenen Geiste, als einem Mir nicht eigenen, sondern jenseitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle“[18].

Doch dieser Zustand wird überwunden: der Mann überwindet die jugendliche Schwärmerei und alle Ideale und „findet sich als leibhaftigen Geist“[19]. Nach seinen Interessen und nicht mehr nach Idealen handelt der Mann; er erkennt sich „hinter den Gedanken […], nämlich als ihr Schöpfer und Eigner“[20], macht sich damit selbst zum Mittelpunkt der Welt. Kurzum: Der Realismus des Kindes wird vom Idealismus des Jünglings überwunden, welcher dem „reifen“ Egoismus des Mannes weichen muss.

2.3. Alte und neue Besessenheit

Dieselbe Entwicklung kann Stirner nunmehr auch in der kulturelle Entwicklung des Abendlandes feststellen: Wie die Kinder lebten die „Alten“ – d.h. die antiken Menschen – „in dem Gefühle, daß die Welt und weltliche Verhältnisse […] das Wahre seien“[21]. Wie in der Einzelentwicklung des zum Jüngling werdenden Knaben emanzipierte sich auch der antike Mensch von der Welt – die Sophisten propagierten als erste den Verstand als „Waffe des Menschen gegen die Welt“.[22] Weil der Mensch jedoch mitsamt seinen Trieben in der Welt verhaftet war und sein Herz „ein Knecht der Welt“[23] war, so sollte auch das Herz sich emanzipieren – es begann die Periode der „Herzensreinheit[24] und „Herzensbildung[25]. Ihr Vater war Sokrates, „der Gründer der Ethik“[26] – Ziel dieser Ethik war es, ein reiner Geist zu werden und „völlig rücksichtslos und unbekümmert, so ganz beziehungslos […] ganz gleichgültig gegen die Welt“.[27] Das Gute und das Geistige wurden eins und als „Schlagenklugheit und Taubenunschuld“[28] im Christentum zur Spitze getrieben. War für die Antike der Geist als reines Verstandesding noch nicht erkannt – die „Gewalt [der Dinge] selbst mußten sie doch anerkennen“[29], auch suchten sich noch Lebensgenuss – so wurden die Alten durch ihre Entfremdung von der Welt zu den „Neuen“, denen „der Geist eine Wahrheit“[30] war. „Gott […], der Weltüberwinder“ [31], war ersonnen.

Durch das Christentum wurde der Geist zum obersten Prinzip der Welt – die Welt wurde „vergeistigt und ein rätselhaftes Gespenst“, wie Stirner meint, sie wurde das »Vergängliche, Nichtige« oder ein »Schein« [32] Jedes höhere Wesen ist jedoch „Spuk[33], doch der Spuk wurde als das Einzige und Wahre angesehen und die Welt als falsch und scheinbar denunziert. Stirner zeigt hier die Verquickung von Geistigem, Wahrem, Ewigem und Heiligem[34].

Die Kritik am „entfremdende[n] Charakter des (hegelschen) Geistes[35] ist dabei immer präsent; das nur Geistige hat bei Stirner seinen Wert verloren – seine Kritik am Geistigem trägt die Züge des Linksheglianismus, dessen Ziel die Befreiung von „selbstgeschaffenen Phantasmen“[36] war – nichtsdestotrotz lässt sich bei Stirners Philosophie selbst eine Affinität zum Geist feststellen, Ahlrich Meyer spricht vom „idealistischen Erbteil des Einzigen, qua Geist zum Herren der Welt geworden zu sein“[37].

[...]


[1] Goethe, Johann Wolfgang: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16]. Band 1. Berlin: Aufbau-Verlag, 1960 ff. S. 92 (Aufgerufen unter http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Gedichte/Gedichte+%28Ausgabe+letzter+Hand.+1827%29/Gesellige+Lieder/Vanitas!+Vanitatum+vanitas [Stand 03.04.2014])

[2] Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort herausgegeben von Ahlrich Meyer. Stuttgart: Reclam, 1972. S. 3

[3] A.a.O. S. 412

[4] A.a.O. S. 3

[5] Ebd.

[6] A.a.O. S. 5

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Helferich, Christoph: Geschichte der Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart und Östliches Denken. Siebte Auflage. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2009. S. 336

[10] Lütkehaus, Ludger: Nichts. Abschied vom Sein, Ende der Angst. Zürich: Haffmans Verlag, 1999. S. 663

[11] Löwith, Karl: Philosophische Theorie und geschichtliche Praxis in der Philosophie der Linkshegelianer. In: Die Hegelsche Linke. Texte aus den Werken von Heinrich Heine, Arnold Ruge, Moses Hess, Max Stirner, Bruno Bauer, Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Sören Kierkegaard. Ausgewählt und eingeleitet von Karl Löwith. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag (Günther Holzboog), 1988. S. 16

[12] Stirner (1972): S. 9

[13] Ebd. 9

[14] Ebd. 9

[15] Vgl. Vercellone, Frederico: Einführung in den Nihilismus. Aus dem Italienischen von Norbert Bickert. München: Fink, 1998. S. 35

[16] Stirner (1972): S. 10

[17] A.a.O. S. 12

[18] A.a.O. S. 13

[19] A.a.O. S. 14

[20] Ebd.

[21] A.a.O. S. 16

[22] A.a.O. S. 17-18

[23] A.a.O. S. 18-19

[24] A.a.O. S. 18

[25] A.a.O. S. 19

[26] A.a.O. S. 18

[27] A.a.O. S. 20

[28] Ebd.

[29] A.a.O. S. 22

[30] A.a.O. S. 26

[31] A.a.O. S. 28

[32] A.a.O. S. 37

[33] A.a.O. S. 42

[34] Dass gerade dem Heiligen gleichwohl schon ein egoistischer Impetus zu eigen ist, betont Stirner: „Heiliges existiert nur für den Egoisten, der sich selbst nicht anerkennt, den unfreiwilligen Egoisten […] der nur sich dient und zugleich stets einem höheren Wesen zu dienen meint“ (A.a.O. S. 39) Bei einer so weiten Definition von Egoismus besteht die – bei Stirner zumindest latent vorhandene – Gefahr, dass „der Egoismus […] auf das Postulat eingeschränkt [wird], immer schon Praktiziertes so zu nennen“. (Meyer, Ahlrich: Nachwort. In: Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort herausgegeben von Ahlrich Meyer. Stuttgart: Reclam, 1972. S. 460)

[35] Vercellone (1998): S. 35

[36] Safranski, Rüdiger: Nietzsche. Biographie seines Denkens. Frankfurt am Main: Fischer, 2010. S. 126

[37] Meyer (1972): S. 433

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Max Stirners philosophischer Egoismus und seine ethischen Implikationen
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V272269
ISBN (eBook)
9783656642503
ISBN (Buch)
9783656642480
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stirners, egoismus, implikationen
Arbeit zitieren
Peter Gruber (Autor:in), 2014, Max Stirners philosophischer Egoismus und seine ethischen Implikationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272269

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