Arabische Indonesier oder indonesische Araber?

Identitätsbildung und Identitätswandel der Hadramis in Indonesien in der späten Kolonialzeit und der Nationalbewegung 1900-1940


Hausarbeit, 2014

19 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung:

2. Niederlassung und Rollen der Hadramis in der indonesischen Gesellschaft
2.1. Verehrung als religiöse Führer

3. Im Hass vereint: Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls durch erfahrene Diskriminierung
3.1. Einschränkungen durch Siedlungspolitik und Passgesetze
3.2. Gemeinsamer Kampf gegen Diskriminierung

4. Verbindung und Identifizierung mit der arabischen Welt
4.1. Entstehung von Zeitungen fördern das Gemeinschaftsgefühl
4.2. Politische Verbindungen zum Ottoman-Kalifat

5. Arabische Organisationen in Niederländisch-Ostindien
5.1. Sayyids: Jam’yyat al-Khayr
5.2. Spaltung der Hadramis: Entstehung der Al-Irsyad

6. Rolle der Hadramis in islamischer Modernisierung und indonesischer Nationalbewegung
6.1. Islamische Modernisierung: Geldgeber, Gegner und Reformer
6.2 Identitätswandel der Hadramis während der Nationalbewegung

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Die Hadramis bilden heute neben den Chinesen die zweit wichtigste Minderheit in Indonesien. Die meisten arabisch-stämmigen Immigranten, oder Nachkommen von Immigranten, fühlen sich heute als Indonesier und fast alle erwarben nach der Unabhängigkeit die indonesische Staatsbürgerschaft (de Jonge 1993, 73). Dabei blieben erkennbare kulturelle Unterschiede zwischen den arabischen und den indigenen Indonesiern erhalten, sowie sich die Identität der Hadramis in dieser Region auch von der anderer Araber in der Welt unterscheidet.

Es ist dabei interessant zu untersuchen, wie es zur Ausbildung einer solchen, regional spezifischen, Identität kam, sowie zur Identifizierung mit einem neuen Heimatland und dessen Gesellschaft. Im Fokus dieser Hausarbeit sollen dabei Entwicklungen im Kontext eines gesamt-gesellschaftlichen Umschwungs in Indonesien stehen, zwischen Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Unabhängigkeit des Landes 1945. Dabei werden die verschiedenen gesellschaftlichen Rollen untersucht, welche die Hadramis unter der Kolonialregierung, im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungswesen, in der islamischen Modernisierungsbewegung und schließlich in der National- und Unabhängigkeitsbewegung einnahmen.

Einführend soll zunächst die Ankunft und Gründe der Niederlassung der Araber in Indonesien, der damaligen Kolonie „Niederländisch-Ostindien“, erläutert werden. Dabei zeigt sich wie ihre Rollen in der Wirtschaft, der Administration und vor allem der Religion Einfluss auf ihren den gesellschaftlichen Status der Hadramis hatten und haben.

Im Anschluss soll die erfahrene Diskriminierung unter der holländischen Kolonialregierung und den Widerstand der Hadramis gegen diese behandelt werden, da dieser Aspekt relevante Einflüsse auf die Bildung einer kollektiven Identität hatte.

Daraufhin sollen die Verbindung und Identifizierung der Hadramis mit der arabischen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts untersucht werden. Das Gefühl eines „Araberseins“ wurde dabei besonders durch die Entstehung arabischer Zeitungen und enge internationale Beziehungen mit anderen islamischen Ländern geprägt.

Des Weiteren wird die Entstehung arabischer Organisationen in Indonesien dargelegt, welche zunächst die Gemeinschaft stärkten und einen großen Fortschritt im Bildungswesen der Araber mit sich brachte. In diesem Kontext spielen ein starker Wandel traditioneller Hierarchien und eine konfliktreiche Spaltung der Gesellschaft der Hadramis eine Rolle.

Das letzte Kapitel behandelt schließlich eine Neudefinierung ihrer Identität während der islamischen Modernisierung, insbesondere auf Java, und der indonesischen National- und Unabhängigkeitsbewegung.

Die verwendete Literatur stammt zum Großteil aus den zwei Sammelbänden „Transcending Borders: Arabs, politics, trade and Islam in Southeast Asia“, herausgegeben von Huub de Jonge und Nico Kaptein im Jahr 2002 und „Hadhrami Traders, Scholars and Statesmen in the Indian Ocean, 1750s-1960s“, von Ulrike Freitag und William Clarence-Smith aus dem Jahr 1997, sowie weiterer Artikel aus islamischen Fachzeitschriften.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, einige Aspekte aufzuzeigen, welche in der Zeit zwischen 1900 und 1940 Einfluss hatten auf die Ausbildung und den Wandel der Identität der Hadramis innerhalb der Bevölkerung Indonesiens. Es soll dargelegt werden, inwiefern diese Zeitspanne besonders relevant für die Entwicklung gesellschaftlicher Rollen war, die bis heute prägend für den Status der Araber innerhalb der indonesischen Bevölkerung sind.

2. Niederlassung und Rollen der Hadramis in der indonesischen Gesellschaft

Schon im 11. Jahrhundert reisten Händler arabischer Herkunft in das Indonesische Archipel und ließen sich in den folgenden Jahrhunderten vermehrt dort nieder (de Jonge und Kaptein 2002, 1). Besonders stark war die Zuwanderung im 19. Jahrhundert nach der Öffnung des Suez-Kanals 1869 (74), sodass die Zahl der arabischen Minderheit in der Region zwischen 1870 und 1900 von 13.000 auf 27.000 Personen wuchs (de Jonge 1997, 94). Die ersten großen Ansiedlungen befanden sich in Palembang und Pontianak und wurden im späten 19. Jahrhundert durch arabische Gemeinschaften in Batavia, Ceribon, Tegal, Pekalongan, Semarang, Surabaya und Sumenep (Madura) ergänzt (Ridell 2001, 118). 1920 lebten circa 45.000 und 1930 schon 71.335 Menschen arabischer Abstammung in Niederländisch-Ostindien, dem späteren Indonesien. Die Mehrheit der Einwanderer stammte aus der Region Hadhramaut im Südjemen und ein kleinerer Teil aus Hejaz, die Region in der Mekka und Medina liegen (de Jonge 1993, 75). Die Gründe der Hadramis für die Immigration lagen vor allem in der Hoffnung auf Arbeit und ein gesichertes Einkommen und ihre Professionen als Händler, Unternehmer, Ladenbesitzer, Geldverleiher, Schiffer, Islamgelehrte und in der Textilbranche stießen auf Nachfrage in der Kolonie, sodass sich die Mehrheit der Hadramis dauerhaft niederließ und indonesische Frauen heiratete (de Jonge 1997, 95). Huub de Jonge schreibt über ihre Motivation: „[The Hadramis; A.K.] were said to prefer an assured existence in the Indies to an uncertain future in Hadhramaut” (95). Trotz der Heirat mit Einheimischen blieb die arabische Gemeinschaft jedoch eher geschlossen, da die Nachkommen dieser Verbindungen (peranakan = in Indonesien geborene Araber ) untereinander verheiratet wurden, oder mit Personen im „Mutterland“ Hadhramaut, wodurch eine Stärkung der arabischen Gesellschaft durch diese arrangierten Ehen versucht wurde (de Jonge 1993, 78).

Auf wirtschaftlicher Ebene war und ist der Kontakt zwischen der indigenen Bevölkerung und den Arabern sehr eng. Die größte Konkurrenz bestand aufgrund starker Differenzierung der Minderheiten durch die Kolonialregierung (siehe Kapitel 2) vor allem zwischen chinesischen und arabischen Geschäftsmännern, welche in teils gewaltsamen Auseinandersetzungen endete (Mandal 2002, 165). Aus diesem Grund knüpften die Hadramis engere Kontakte zu einheimischen muslimischen Geschäftsmännern, deren Unternehmen sie, zum Beispiel im journalistischen Bereich, finanzierten (165/166). Das gute wirtschaftliche Verhältnis zeigte sich auch in ihrer Unterstützung der Vereinigung „Sarekat Islam“, welche 1912 in Surakarta gegründet wurde, um vor allem die wirtschaftlichen Interessen der muslimischen Bevölkerung gegenüber den Chinesen zu verteidigen (Joynboll 1914, 154).

Aufgrund ihrer besonderen Stellung und Einflusses auch in der lokalen Bevölkerung boten die Holländer einigen Hadramis administrative Ämter vor allem in Batavia an (Mandal 1997, 191). Folge dieser Positionierung war eine besonders starke Ansiedlung arabischer Immigranten in den urbanen Verwaltungszentren Javas Ende des 19. Jahrhunderts (Mandal 2002, 164). Allerdings wuchs besonders zur Jahrhundertwende 1800 / 1900 die Abneigung der Bevölkerung gegenüber diesen „Kollaborateuren“ der Holländer und der Vorwurf einer Ausnutzung dieser Positionen zu persönlichem, wirtschaftlichem Nutzen wurde laut (Mandal 1997,191).

Die größte Verbindung zwischen der indigenen Bevölkerung und den arabischen Immigranten bestand jedoch durch den Islam und die besonderen Rollen, welche Hadramis in dieser Religionsgemeinschaft einnahmen, worauf im Folgenden eingegangen werden soll.

2.1. Verehrung als religiöse Führer

Der Großteil der Einwanderer aus Hadhramaut gehörte zu der Klasse der sayyid welche als Nachfahren von Husein, dem Enkel des Propheten Mohammads, gelten und darum als „religiöser Adel“ unter den Hadramis (de Jonge 1993, 76 /77). Sie werden auch Ba-´Alawi oder nur Alawi genannt, nach dem Enkel dieses Namens ihres Vorfahren Ahmad bin ‘ Isa, der vor über tausend Jahren von Basra (Irak) nach Hadhramaut migrierte (76). Aufgrund ihrer Abstammung haben die sayyid einen privilegierten Status inne und bekleiden hohe soziale, religiöse aber auch wirtschaftliche Führungsämter, sodass sie die wohlhabendste Schicht bilden (77). Als Folge dieses Reichtums war es vor allem dieser Gesellschaftsgruppe möglich, nach Niederländisch-Ostindien auszuwandern (77). Auch hier erhalten sie besondere Anerkennung als religiöse Autoritäten durch die indigene muslimische Bevölkerung, sodass sie als Islamgelehrte sehr respektiert werden, bis hin zu einer Verehrung als Heilige nach ihrem Tod (Ridell 2001, 118). Hierzu schreibt van der Kroef:

„Perhaps traditionally most Arabs in Indonesia lay claim to this title [des s ayyid; A.K.] and certainly in the eyes of the untutored Indonesian masses every Arab stands in a certain aura of holiness because of his possible descent from Muhammad” (1953, 306).

Der Anspruch auf ihre Rolle als religiöse Führer und diese „Aura der Heiligkeit“ wurde auch von den Arabern selbst betont, da die arabischen Religionsgelehrten (s ada) die Indonesier in früheren Jahrhunderten erst zum Islam bekehrt hätten (Mandal 1997, 194). Mandal zitiert hierzu Sayf al-Din: „‘had the Arabs not travalled in these parts, then the people would have remained in their coarse savage state‘“(194). Die arabischen Immigranten neigen in der Regel dazu, ihre Religiösität stärker zu betonen als indonesische Muslime, deren Religion oft mit lokalem Glauben vermischt ist (van der Koef 1953, 307). Sie erfüllen ihre religiösen Pflichten in der Regel sehr gewissenhaft, weshalb ihnen durch die lokale Bevölkerung oftmals eine religiöse „Reinheit“ und „Überlegenheit“ anerkannt wird (van der Koef 1953, 307). Die arabische Gemeinschaft hat ein großes Mitspracherecht in religiösen Angelegenheiten, zum Beispiel bei der Besetzung von Ämtern der Moscheen (307). Van der Koef geht so weit zu sagen, dass die Araber ihre Macht aus dieser privilegierten religiösen Position heraus zu anderen Zwecken im sozialen Leben missbrauchten (307). Es wurde ihnen vorgeworfen, dass ihre Rhetorik sich dem Islam widme, sie in Wahrheit jedoch vor allem wirtschaftliche Interessen verfolgten (Mandal 2002, 166).

Es zeigte sich in der Regel ein großes Selbstbewusstsein bis hin zu einem paternalistischen Verhältnis der Araber gegenüber den indigenen Einwohnern Indonesiens Anfang des 20. Jahrhunderts (Mandal 1997, 196). Ihre selbstgeschaffene Rolle als „Anführer“ der muslimischen lokalen Gesellschaft blieb jedoch auf Enklaven in großen Städten wie Surabaya oder Batavia beschränkt (Mandal 2002, 164). Die holländische Kolonialmacht stand diesem Verhältnis gelassen gegenüber, solange es sich auf religiöse Beziehungen beschränkte und die Hadramis aufgrund dieser privilegierten Position keine politischen Ansprüche stellten (Mandal 1997, 196). Die Furcht vor dem Einfluss der Araber auf die indigene Bevölkerung wuchs jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts an und führte zu starken gesetzlichen Einschränkungen gegenüber den Hadramis, auf welche im folgenden Kapitel eingegangen werden sollen. Diese Diskriminierung führte zu einer Stärkung des Zusammenhalts der arabischen Gemeinschaft in Indonesien.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Arabische Indonesier oder indonesische Araber?
Untertitel
Identitätsbildung und Identitätswandel der Hadramis in Indonesien in der späten Kolonialzeit und der Nationalbewegung 1900-1940
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Ethnologie)
Veranstaltung
Regionalanalyse Indonesiens: Historisch-kulturelle Entwicklungen zu Indonesiens vor- und postkolonialer Zeit
Autor
Jahr
2014
Seiten
19
Katalognummer
V273019
ISBN (eBook)
9783656653714
ISBN (Buch)
9783656653691
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arabische, indonesier, araber, identitätsbildung, identitätswandel, hadramis, indonesien, kolonialzeit, nationalbewegung
Arbeit zitieren
Amelie Katczynski (Autor:in), 2014, Arabische Indonesier oder indonesische Araber?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273019

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