Auswirkungen der Individualisierung auf das Stadtbild Münchens nach der Individualisierungstheorie von Ulrich Beck


Bachelorarbeit, 2014

52 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Individualisierung als soziales Phänomen der Moderne

3. Theoretische Einführung in das Phänomen der Individualisierung
3.1 Simmel: Individualisierung durch soziale Differenzierung
3.1.2 Individualität durch die Schneidung von sozialen Kreisen
3.2 Arbeitsteilung und Individualisierung nach Durkheim

4. Individualisierung nach Beck

5 Die Freisetzungsdimensionen
5.1 Herauslösung aus ständisch geprägten sozialen Klassen
5.2 Veränderung der Lage von Frauen und Männer
5.3 Flexibilisierung der Erwerbsarbeitszeit und Dezentralisierung des Arbeitsortes

6. Die Entzauberungsdimension

7. Die Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension

8. Auswirkungen auf das Stadtbild der Stadt München
8.1 Überprüfung der Freisetzungsdimensionen
8.2 Überprüfung der Entzauberungsdimension
8.3 Überprüfung der Reintegrationsdimension

9. Auswertung/Ausblick.

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 : Die allgemeinbildenden Schulen in München. (Bayrisches..27 Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, München Heft 4, 1967)

Abb. 2: IW- Dossier: Wohlstand in Deutschland (IW- Köln: 2009)

Abb. 3: IW-Dossier: Wohlstand in Deutschland ( IW-Köln: 2009)

Abb. 4: Trends und Kennzahlen (Lugauer und Kizlauskas 2009)

Abb. 5: Singles in München (Statistisches Amt München 2003)

Abb. 6: Prognose Zukunftsinstitut (Statistisches Bundesamt 2010)

Abb. 7: Beschäftigte und Arbeitsstätten in München seit 1950..36 (Statistisches Amt München 1991)

Abb. 8: Entwicklung der Leiharbeit in Deutschland seit 199437 (Bundesagentur für Arbeit 2008)

Abb. 9: Heimarbeit in Deutschland ( 1964-1998 ).

Abb. 10: Durchschnittliche Beschäftigungsdauer von westdeutschen Personen bis zum 30. Lebensjahr. (IAB)

Abb. 11: Au-Tage und AU- Fälle pro 100 Versicherungsjahre aufgrund psychischer Erkrankungen (DAK Gesundheitsreport 2014)

Abb. 12: Einfluss auf das Gehalt

Abb. 13: Bruttoinlandsprodukt in Euro je Einwohner

1.Einleitung:

Die Individualisierung stellt ein Phänomen der Moderne dar, welches das Stadtbild vor allem in Großstädten in vielerlei Hinsicht veränderte und in einem noch andauernden Prozess noch immer beeinflusst.

Aufgrund der bis heute andauernden Relevanz des Themas habe ich mich dazu entschieden, die Auswirkungen der Individualisierung in Städten anhand der Großstadt München näher zu erforschen.

Als roter Faden soll dem Leser hier folgende Fragestellung dienen:

Welche Auswirkungen lassen sich anhand von Becks Theorie im Stadtbild Münchens ablesen und in wie fern bewahrheitet sich Becks Theorie für Großstädte wie die Stadt München?

Um dem Leser einen verständlichen Einstieg in die Thematik der Individualisierung zu geben, soll nach einer kurzen Einführung im Gliederungspunkt 1, später in einem Gliederungspunkt 2 der Terminus Individualisierung definiert und temporär in den Prozess der Modernisierung eingeordnet werden.

In einem Unterpunkt 3 soll anschließend anhand der Individualisierungstheorien der Soziologen Georg Simmel und Emile Durkheim näher auf die Individualisierung eingegangen werden. Ab dem Gliederungspunkt 4 soll schließlich der theoretische Charakter der Forschungsfrage durch die Ausarbeitungen Becks zur Individualisierung anhand der Bücher “Reflexive Modernisierung“ und “Riskante Freiheit: Individualisierung in der modernen Gesellschaft“ reflektiert werden. Folgend soll nach einem Gesamtüberblick von Becks soziologischer Theorie, in den Punkten 5 bis 7 auf die drei von Beck postulierten Individualisierungsdimensionen eingegangen werden. Hierbei soll die Freisetzungsdimension in einem Punkt 5, die Entzauberungsdimension in einem Gliederungsabschnitt 6 und die Reintegrationsdimension in einem Gliederungspunkt 7 gesondert von einander betrachtet werden.

Der empirische Charakter der Bachelorarbeit soll anschließend durch eine empirische Überprüfung der Individualisierungstheorie von Beck, in einem Gliederungspunkt 5, anhand des expliziten Beispiels der Stadt Münchens erfolgen. Hierzu sollen empirische Daten des Statistischen Amtes Münchens und des statistischen Bundesamtes, sowie diverse Forschungen als empirische Quellen dienen. Abschließend wird in einem letzten Punkt 9 eine Zusammenfassung des Geschriebenen und ein Ausblick/eine Reflexion auf das Thema gegeben.

Der besseren Lesbarkeit halber wird im Text ausschließlich die männliche Form verwendet, gemeint sind selbstverständlich immer beide Geschlechter.

2. Individualisierung als soziales Phänomen der Modernisierung

Der Terminus Individualisierung ist temporär in den sozialen Wandel, den die Modernisierung mit sich gebracht hat und darüber hinaus als noch andauernder Prozess weiterhin mit sich bringt, einzuordnen. Van der Loo und Van Reijen beschreiben den Prozess der Modernisierung in ihrem Buch Modernisierung: Projekt und Paradox wie folgt:

„Modernisierung verweist auf einen Komplex miteinander zusammenhängender struktureller, kultureller, psychischer und physischer Veränderungen, der sich in den vergangenen Jahrhunderten herauskristallisiert und damit die Welt, in der wir augenblicklich leben, geformt hat und noch immer in eine bestimmte Richtung lenkt.“(van der Loo/Van Reijen 1997,S. 11)

Unter den oben genannten Veränderungen, durch die Modernisierung, sind die Auflösung der Ständegesellschaft, Urbanisierung, Rationalisierung, die Entstehung von kapitalistischen Märkten und die Lösung von religiösen Dogmen durch die Wissenschaft zu verstehen. (vgl. van der Loo/Van Reijen 1997,S.12)

Diese Veränderungen lancierten mit dem damit einhergehenden Prozess der Individualisierung, der in der Soziologie in zweifacher Bedeutung auftritt. Hillmann definiert in seinem Wörterbuch der Soziologie den Terminus Individualisierung in folgenderweise:

„Bezeichnung für den neuzeitl.- abendländischen Veränderungsprozess, in dessen Verlauf sich bei einer wachsenden Zahl von Menschen institutionelle Bindungen aufgelockert haben und sich zugleich eine verstärkte Ausrichtung des Denkens und Handelns an der eigenen Person und Lebensgestaltung ergeben hat.“ (Hillmann 2007,S. 363)

Der Unterschied zwischen den zwei Anwendungen/Bedeutungen des Begriffs Individualisierung besteht, bezogen auf die oben angeführte Definition darin, dass bei der ersten Bedeutung eine durch Auflösungsprozesse hervorgerufene Veränderung der Verhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft thematisiert werden ( „...institutionelle Bindungen aufgelockert haben…“). Bei der anderen Bedeutung des Terminus liegt der Fokus hingegen auf der sich mit der Erkenntnis der eigenen Einzigartigkeit verändernden Selbstwahrnehmung der Individuen („…verstärkte Ausrichtung des Denkens und Handelns an der eigenen Person…“).

3.Theoretische Einführung in das Phänomen der Individualisierung

Nachfolgend soll dem Leser ein umfassender Einblick in das soziale Phänomen der Individualisierung anhand der Soziologen Simmel und Durkheim gegeben werden.

3.1 Simmel: Individualisierung durch soziale Differenzierung

Georg Simmel wurde am ersten März 1858, als Kind einer vom Judentum zum Christentum konvertierten Kaufmannsfamilie in Berlin geboren. Simmel war Soziologe und Philosoph und gilt als Begründer der formalen Soziologie und der Konfliktsoziologie. Während seines Lebens sah er sich immer wieder mit antisemitistischen Anfeindungen konfrontiert. Simmel starb am 26. September 1918 in Straßburg.

Georg Simmel sieht die Gesellschaft in seinen Werken als eine Summe von Wechselwirkungen zwischen Individuen an. Hierbei wirken die Individuen gegenseitig auf ihr Handeln ein. Sowohl das Handeln, als auch die Reaktion auf diese, beeinflussen hierbei das weitere Handeln der Individuen (vgl. Simmel 1908,S. 17f).

Mit dieser gegenseitigen Beeinflussung der gesellschaftlichen Elemente im Hinterkopf soll nun auf Simmels Postulationen zur sozialen Differenzierung und Individualisierung eingegangen werden:

Als zeitlich mit der Individualisierung einhergehende Kausalität ist in Simmels Theorie die soziale Differenzierung der Gesellschaft anzusehen. In undifferenzierten Gesellschaften glichen sich die Mitglieder der homogenen Gruppen zunächst durch das Vererbungsprinzip in ihrem Denken und Handeln (vgl. Simmel 1890, S. 22).

Mit zunehmender Differenzierung veränderten sich schließlich die vorher als homogen einzustufenden Gruppierungen zu heterogenen Gruppen, in welchen die einzelnen Mitglieder arbeitsteilig verschiedene Aufgaben übernahmen.

Simmel erklärt diesen sozialen Prozess anhand eines Fallbeispiels, in dem sich zwei voneinander stark unterscheidende, homogene Gruppen aneinander annäherten:

Währenddessen die einzelnen Gruppen zu Beginn, homogen in sich geschlossen, kaum Unterscheidungen zwischen ihren jeweiligen Mitgliedern aufwiesen, begannen diese sich durch die Notwendigkeit ihren Lebensunterhalt mit immer differenzierteren Mitteln zu erwirtschaften, von den anderen Mitgliedern der Gruppe zu differenzieren. Durch diese gruppeninterne Differenzierung der einzelnen Gruppenelemente wurden sich die Mitglieder der jeweiligen Gruppe immer unähnlicher. Auf der anderen Seite implizierte dies jedoch, dass die Ähnlichkeit zu den Mitgliedern anderer Gruppen, die dieselben differenzierten Tätigkeitsfelder vollzogen, immer größer wurde. Aufgrund dieser wachsenden Ähnlichkeit begannen sich nun Mitglieder aus unterschiedlichen Gruppen, welche dieselben Tätigkeitsfelder ausübten, miteinander zu differenzieren (vgl. Simmel 1890, S. 45ff.)

Simmel beschreibt die Auswirkungen dieses Differenzierungs- und den daraus folgenden Individualisierungsprozess wie folgt:

„Die Differenzierung und Individualisierung lockert das Band mit den Nächsten, um dafür ein neues – reales und ideales zu den Entfernteren zu spinnen.“ (Simmel 1890, S. 48)

Diese durch die soziale Differenzierung einhergehende Öffnung der einzelnen homogenen Gruppen und die damit einhergehende Solidarisierung zu anderen Gemeinschaften bildet im folgenden die Grundlage für Simmels Theorie über die Entstehung von Individualität durch die Schneidung von sozialen Kreisen.

3.1.2 Individualität durch die Schneidung von sozialen Kreisen

Simmel postuliert in seinem Buch Über soziale Differenzierung, dass sich eine moderne Individualität anhand der Zugehörigkeit zu sogenannten Sozialen Kreisen herausgebildet hätte. Währenddessen sich der Einzelne zuvor, wie bereits oben erwähnt, primär in Gruppen, denen er durch seine Geburt zugehörig ist, bewegt (wie z.B. seine Familie), schließt dieser im fortschreitenden Leben Kontakte zu Persönlichkeiten, die durch eine sachliche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Tätigkeiten eine Beziehung zu ihm besitzen. (vgl. Simmel 1890, S. 100f.)

Aufgrund dieser verschiedenen Beziehungen, deren Konstellationen Simmel als soziale Kreise bezeichnet, bilden sich schließlich Verhältnisse heraus, die die Individualität des Einzelnen definieren.

Unter sozialen Kreisen seien objektive Gebilde, die über Inhalte und nicht über individuelle Einstellungen definiert seien, zu verstehen. Daher gäbe es Erwartungen, die nicht nur für ein bestimmtes Individuum, sondern grundsätzlich für alle Individuen, die in einen solchen Kreis gestellt sind, gelten würden (Abels b 2009, S. 327).

Die Gruppen, zu denen der Einzelne gehöre, bilden gleichsam ein Koordinatensystem derart, dass jede neu hinzukommende ihn genauer und unzweideutiger bestimmen würde, so Simmel. (Simmel 1890, S. 103)

Je größer folglich die Anzahl an unterschiedlichen Gruppen ist, denen der Einzelne nun angehört, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es noch ein anderes Individuum gibt, welches dieselbe Konstellation von Gruppen aufweist. Simmel schreibt hierzu:

„Die Zugehörigkeit zu je einer derselben lässt der Individualität noch einen weiten Spielraum; aber je mehre es werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass noch andere Personen die gleiche Gruppenkombination aufweisen werden, dass diese vielen Kreise sich noch einmal in einem Punkte schneiden.“ (Simmel 1890 , S. 103)

Somit stellt die Individualisierung nach Simmel eine für jedes Individuum einzigartige Stellung in einem sozialen Raum dar, welche durch verschiedene Konstellationen von sozialen Kreisen hervorgerufen wird.

3.2 Arbeitsteilung und Individualisierung nach Durkheim

Emile Durkheim wurde am 15.04.1858 in Épinal, Frankreich geboren. Er war ein französischer Soziologe, der nach seinem Tot, am 15.11.1917 in Paris, zu den Klassikern der heutigen Soziologie gezählt wird. In einem seiner HauptwerkeDe la division du travail social --- Über soziale Arbeitsteilung“ sieht Durkheim einen direkten Zusammenhang zwischen der wachsenden Bevölkerungsdichte und der Arbeitsteilung und dem daraus resultierenden sozialen Wandel und der Individualisierung. (vgl. Hillmann, S. 163 ff.)

Durkheim differenziert in diesem Zusammenhang zwischen einer Archaischen Gesellschaftsform, welche durch nicht vorhandene Arbeitsteilung und geringe Individualität der Akteure definiert ist und einer durch einen sozialen Wandel hervorgerufenen Modernen Gesellschaftsform, welche arbeitsteilig und individualisiert strukturiert ist:

Die Archaische Gesellschaftsform, die auch von Durkheim als segmentäre Gesellschaft bezeichnet wird, weist wie bereits oben erwähnt unindividualistische, sich ähnelnde soziale Elemente auf. Sie bestehen nach Durkheim aus einzelnen verhältnismäßig kleinen Klans, deren Bevölkerung gleichen nichtarbeitsteiligen Tätigkeiten nachgeht. Die Integration der einzelnen Gesellschaftsmitglieder wird in diesen Gesellschaften durch einen von Durkheim als mechanische Solidarität bezeichneten Zusammenhalt gewährleistet. Gerade die unindividuelle, homogene Ausrichtung der Bevölkerung bewirkt hier den Zusammenhalt des gesellschaftlichen Systems. (vgl. Durkheim 1992, S. 230 ff.)

Durkheim schreibt in diesem Zusammenhang: „ Die Solidarität, die aus den Ähnlichkeiten entsteht, erreicht ihr Maximum, wenn das Kollektivbewußtsein unser ganzes Bewusstsein genau deckt und in allen Punkten mit ihm übereinstimmt: aber in diesem Augenblick ist unsere Individualität gleich Null.“ (Durkheim 1992, S. 181f.)

Der nun folgende soziale Wandel in eine individualistische, moderne Gesellschaft wird, nach Durkheim, nun durch einen Zusammenhang von einer wachsenden Bevölkerungsdichte und einer damit verbundenen Zunahme von Arbeitsteilung eingeleitet. Durkheim postuliert hier, dass mit einer eingetretenen Erhöhung der Bevölkerungsdichte kongruent ein Anstieg der Arbeitsteilung zu verzeichnen ist. (vgl. Durkheim 1992, S. 321)

Die nun durch die Arbeitsteilung eingetretene moderne Gesellschaft definiert sich durch individuelle Akteure, die arbeitsteiligen, unterschiedlichen Aufgaben nachgehen. Anders als bei archaischen Gesellschaftsformen, die ihre Mitglieder anhand ihrer Ähnlichkeit integrierten, entsteht in der Modernen Gesellschaft eine individualistische Integration, die ein Bestehen der Gesellschaft ermöglicht. Da die einzelnen Individuen jeweils speziellen, einzigartigen Aufgaben nachgehen, welche nicht von den jeweiligen anderen Individuen verrichtet werden können, entsteht eine Abhängigkeit unter den einzelnen Elementen der Gesellschaft. Durch diese entstandene Abhängigkeit von den individuellen, arbeitsteiligen Funktionen der anderen Individuen und der Erkenntnis der eigenen individualistischen Funktion für die Gesellschaft, entwickeln die Individuen eine Berufsmoral, welche sie an ihre gemeinsame Solidarität erinnert. Durkheim bezeichnet diese Art des gesellschaftlichen Zusammenhalts als organische Solidarität und schreibt in diesem Zusammenhang:

„Wer sich dagegen einer bestimmten Aufgabe widmet, wird jeden Augenblick durch tausende von Pflichten der Berufsmoral an das Gefühl der gemeinsamen Solidarität erinnert.“ (Durkheim 1992, S. 472)

4. Individualisierung nach Beck

Ulrich Beck wurde am 15.05.1944 in der Stadt Stolp/Pommern geboren. Er doziert Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, sowie an der London School of Economics and Political Science. Er gilt unter anderem durch seine Theorie der Risikogesellschaft zu einem der meist zitierten Soziologen unserer Gegenwart. (vgl. Hillmann, S. 74)

In seinen Publikationen Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne und Reflexive Modernisierung Eine Kontroverse beschreibt Beck den sozialen Wandel aus der Moderne der Industriegesellschaft zu einer reflexiven Moderne der Risikogesellschaft. Seine Definition zur Risikogesellschaft lautet wie folgt:

„Der Begriff der Risikogesellschaft bezeichnet einen System- und Epochenwandel in drei Bereichen: Es handelt sich erstens um das Verhältnis der Industriegesellschaft zu ihren Ressourcen, die sie aufbraucht. Zweitens um das Verhältnis der Gesellschaft zu den von ihr erzeugten Gefahren, die die Grundannahmen der bisherigen Gesellschaftsordnung erschüttern. Drittens um den Prozeß der Individualisierung, da alle kollektiven Sinnquellen erschöpft sind.“ (Beck 2012, Außenseite Cover)

Bevor wir uns dem für die vorliegende Ausarbeitung thematisch zutreffenden Bereich der Individualisierung als System und Epochenwandel in die Risikogesellschaft zuwenden, soll zunächst eine kurze Einführung in Becks gesamte Theorie gegeben werden.

Beck hat mit seiner Ausarbeitung „Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne“ und „reflexive Modernisierung Eine Kontroverse“ den Anspruch, dem sich vollziehenden sozialen Wandel, von der Moderne in eine Postmoderne, eine theoretische Gestalt zu geben. Währenddessen die vorherige wissenschaftliche Betrachtungsweise den Sozialen Wandel aus der Industriegesellschaft der Modernen undefiniert unter dem Terminus Post, als einen Zustand nach der Moderne beschreibt, versucht Beck die Begrifflichkeit Post näher zu definieren. (vgl. Beck 2012, S. 12)

Er entwirft hierzu ein Szenario der fortgeschrittenen Moderne, in welchem sich neue Risiken durch die Produktion von Reichtum für die Gesellschaft entwickelt haben. Wohingegen sich die Mangelgesellschaft durch Verteilungsprobleme und -konflikte kennzeichnen würde, seien nach Beck Probleme aus der Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken entstanden. (Beck 2012, S. 25)

Den zeitlichen Entwicklungskontext beschreibt Beck, indem er zwischen einer einfachen Modernisierung, die eine Ablösung von traditionellen hin zu industriellen Gesellschaftsformen beinhaltet und einer reflexiven Modernisierung, welche die Auflösung der Industriegesellschaft zu einer neuen Moderne, der Risikogesellschaft, impliziert, differenziert. „Der Unterschied der zwei Phasen moderner Gesellschaften liegt also darin, daß das eine Mal vorindustrielle Traditionen, das andere Mal die Traditionen und Sicherheiten der Industriegesellschaft selbst zum Gegenstand von Auf- und Ablösungsprozessen werden.“ (Beck u .a. 1996, S. 39)

Beck nennt folgend 6 Unterscheidungen/Merkmalsgruppierungen zwischen der einfachen und der reflexiven Modernisierung:

1. Durch entstehende Nebenfolgen verselbständigt sich die einfache Modernisierung zu einer reflexiven Modernisierung, welche ein hohes Maß an Ungewissheit mit sich bringt.
2. Die einfache Modernisierung sieht ausschließlich die Zwecksrationalität als antreibende Modernisierungskraft. Die reflexive Modernisierung hingegen betrachtet auch die entstehenden Nebenfolgen der Modernisierung.
3. Einfache Modernisierung wird als Halbmoderne wahrgenommen, in welcher die Moderne, Vormoderne und die Gegenmoderne sich gegenseitig ablösen. Die Modernisierung des 21. Jahrhunderts beschäftigt sich deshalb mit einem gleichzeitigen Gegeneinander von reflexiver Modernisierung und Gegenmodernisierung
4. Währenddessen die einfache Modernisierung ihre Sozialstruktur, Lebenslagen und Lebensführung in Großgruppen kategorisiert, treten in der reflexiven Modernisierung die Individualisierung und ihre Folgen der sozialen Ungleichheit in den Fordergrund.
5. Durch die funktionale Differenzierung der Teilsysteme in der Industriegesellschaft wird die Frage nach Koordinationen und Vernetzungen der einzelnen Teilsysteme aufgeworfen.
6. Wohingegen die politische Strukturierung der Industriegesellschaft lediglich auf die Grundunterscheidung zwischen linker und rechter politischer Attitüden beruhte, werden in der reflexiven Modernisierung „…politisch- ideologisch -theoretische Auseinandersetzungen, die sich in den Dichotomien Sicher – Unsicher, Innen – Außen, Politisch – Unpolitisch umreißen lassen“, ersichtlich. (Beck u.a.1996, S. 65 ff.)

Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass Beck den Begriff der Individualisierung unter einem makrosoziologischem Gesichtspunkt, als institutionellen Wandel der Gesellschaft sieht. Um eine Verwechslung mit einer mikrosoziologischen Auslegung des Terminus Individualisierung entgegenzuwirken, schlägt Beck vor, zwischen Individualisierung und Individualismus zu differenzieren:

„Mit anderen Worten: Individualisierung muss klar unterschieden werden von Individualismus oder Egoismus. Während Individualismus gewöhnlich als eine persönliche Attitüde oder Präferenz verstanden wird, meint Individualisierung ein makro-soziologisches Phänomen, das sich möglicherweise – aber vielleicht eben auch nicht – in Einstellungsveränderungen individueller Personen niederschlägt. Das ist die Krux der Kontingenz: Es bleibt offen, wie die Individuen damit umgehen.“ (Beck 2008, S. 303)

Was genau Beck unter einer Individualisierung auf der Makroebene versteht, macht er folgend in seiner Definition der Individualisierung deutlich.

Modernisierung führt nach Beck zu einer dreifachen Individualisierung: „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und –bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (Freisetzungsdimension), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (Entzauberungsdimension) und –womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird –eine neue Art der sozialen Einbindung (Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension).“ (Beck 2012, S. 206)

5. Die Freisetzungsdimension

Die oben unter der Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne von Herrschafts- und Versorgungszusammenhängen beschriebenen Freisetzungsdimensionen bilden den Grundstein des Sozialen Wandels in Becks Theorie. Durch sie kommt es erst zu einer Handlungsunsicherheit der Gesellschaftlichen Mitglieder in Form einer Entzauberungsdimension, sowie der Notwendigkeit einer neuen sozialen Einbindung im Sinne einer Reintegrationsdimension. Folgend soll anhand verschiedener sozialer Phänomene die eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen der Freisetzungsdimension näher untersucht werden. Die Entzauberungsdimension wird hierbei immer wieder angeschnitten werden, da sie als Folgeerscheinung der Freisetzungsdimension nahe mit dieser verbunden ist. In einem Kapitel 5 soll nach den folgenden Ausführungen zur Freisetzungsdimension jedoch noch einmal explizit auf die Entzauberungsdimension eingegangen werden.

5.1 Herauslösung aus ständisch geprägten sozialen Klassen

Als erste Freisetzungsdimension nennt Beck eine Herauslösung aus Klassen und Schichtzugehörigkeiten der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegsentwicklung. Als auslösenden Faktor führt er hierbei den Fahrstuhleffekt und die damit einhergehende Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen an, welche die Individuen aus Klassen und Schichtidentitäten herauslöst. Unter weiterhin bestehenden Ungleichheiten in der Bevölkerung kommt es beim Fahrstuhleffekt zu einem kollektiven Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft und Massenkonsum. Dieses kollektive Mehr führt nun dazu, dass die Klassengesellschaft eine Etage höher gefahren wird. (vgl. Beck 2012, S. 122)

Durch eine Zunahme an finanziellen Mitteln und einer Erhöhung der Freizeit verändern sich schließlich die Lebensbedingungen und Lebensstile der Bevölkerung. Wohingegen in der früheren Klassengesellschaft die Freizeitgestaltung noch weitestgehend klassenintern vollzogen wurde, werden nun die einzelnen sozialen Kreise untereinander vermischt. Durch das Mehr an monetären Ressourcen können folglich weitere Teile der Bevölkerung am Konsum teilhaben. So entsteht ein Massenkonsum, der sich in unterschiedlichen Konsumstilen erkennbar macht. Konsumstile, wie unterschiedliche Wohnungseinrichtung, Kleidungsstile und die Nutzung von Massenmedien ersetzen so die vorher bestehende Differenzierung nach Klassenwelten zu einer Differenzierung nach Individuallagen, welche eine neue Form der sozialen Ungleichheiten implizieren. (vgl. Beck 2012, S. 124 f.)

Auch die oben erwähnte Zunahme von Bildung innerhalb der Gesamtbevölkerung trug dazu bei, dass sich die Klassenverhältnisse auflockerten. Die in den sechziger und siebziger Jahren entstandene Bildungsexpansion führte zu einer Steigerung der Absolventen von weiterführenden Schularten (Realschule und Gymnasium), sowie einer Zunahme bei Studienanfängern sowohl unter der männlichen, als auch unter der bis dahin noch wenig im Bildungssystem integrieren weiblichen Bevölkerung. Währenddessen in der Vorkriegszeit klassenkulturelle Bindungen und Vorgaben des Herkunftsmilieus über die Bildung des Einzelnen entschieden, wurde der Bildungssektor nun nach dem Leistungsprinzip der Gesamtbevölkerung zugänglich gemacht. Dies hatte zur Folge, dass sich traditionale Orientierungen, Denkweisen und Lebensstile der Klassengesellschaft durch universelle Lehrbedingungen und Wissensinhalte abschwächen. Durch diese Veränderung musste der Einzelne, im Gegensatz zur Klassengesellschaft, im Laufe seines Bildungs- und Berufslebens selbst seine Stellung im Gesellschaftsgefüge finden. (vgl. Beck 2012, S. 127 ff.)

Desweiteren ist eine Zunahme der sozialen Mobilität erkennbar. Durch den Ausbau des Dienstleistungssektors seien die sozialen Aufstiegschancen im unteren Drittel der sozialen Hierarchie bei wiederum gleich bleibenden Abständen zu den anderen Großgruppen der Angestellten und Beamten beträchtlich verbessert worden. ( Beck 2012, S. 125)

Soziale, geographische und alltägliche Mobilität bilden zusammen ein Gefüge, welches das Leben des Individuums maßgeblich beeinflusst, da es auf verschiedenen Bedingungen der einzelnen Mobilitätsanforderungen eingehen muss. (vgl. Beck 2012, S. 126)

[...]

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen der Individualisierung auf das Stadtbild Münchens nach der Individualisierungstheorie von Ulrich Beck
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,1
Autor
Jahr
2014
Seiten
52
Katalognummer
V277675
ISBN (eBook)
9783656763727
ISBN (Buch)
9783656763796
Dateigröße
1470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auswirkungen, individualisierung, stadtbild, münchens, individualisierungstheorie, ulrich, beck
Arbeit zitieren
Jan Block (Autor:in), 2014, Auswirkungen der Individualisierung auf das Stadtbild Münchens nach der Individualisierungstheorie von Ulrich Beck, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277675

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