Der Umgang der Firma Grünenthal mit dem Contergan Skandal und seinen Opfern

Unter quellenkritischer Berücksichtigung der tagesaktuellen Berichterstattung in der HAZ


Facharbeit (Schule), 2014

25 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung

3 Hauptteil
3.1 Der Wirkstoff Thalidomid und seine Wirkung
3.2 Durch Thalidomid verursachte Schäden
3.3 Der Arzneimittelkonzern Grünenthal
3.4 Markteinführung Contergan
3.5 Meldungen des Verdachts über fruchtschädigende Nebenwirkungen und Reaktion von Grünenthal
3.6 Marktrücknahme von Contergan
3.7 Das Strafverfahren gegen Grünenthal
3.7.1 Einleitung eines Strafverfahrens 1961
3.7.2 Eröffnung des Hauptverfahrens 1968
3.7.3 Einstellung des Verfahrens
3.8 Stiftungsgründung „Hilfswerk für behinderte Kinder“
3.9 Die Entschuldigung von Grünenthal bei den Opfern 2012

4 Schlussteil
4.1 Zusammenfassung
4.2 Diskussion

5 Anhang
5.1 Literatur- und Quellenverzeichnis
5.2 Abbildungen

1 Vorwort

Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts traten in der Bundesrepublik Deutschland bis dahin unbekannte Fehlbildungen bei Neugeborenen an Extremitäten, Ohren und inneren Organen auf

Aus dem schon im Frühjahr 1959 geäußerten Verdacht, dass die thalidomidhaltigen Medikamente Grippex, Contergan und Contergan forte des Arzneimittelkonzerns Grünenthal für diese Fehlbildungen bei über 5000 Neugeborenen verantwortlich waren, wurde bis Ende des Jahres 1961 zunehmend Gewissheit, sodass der Arzneimittelkonzern Grünenthal den Vertrieb am 27.11.1961 einstellte.[1]

In der Folge von über 600 Strafanzeigen von Geschädigten bis 1962 gegen den Arzneimittelkonzern Grünenthal wurde schließlich gegen neun leitende Angestellte des Arzneimittelkonzerns Grünenthal Anklage erhoben. Der Prozess wurde 1970 wegen geringer Schuld eingestellt. Noch während des Prozesses bot der Arzneimittelkonzern Grünenthal den Contergangeschädigten eine pauschale Entschädigung von 100 Millionen DM an, die 1972 in das Hilfswerk für behinderte Kinder eingeflossen ist.[2]

Seinen vorläufigen Abschluss fand der Skandal Ende 2012 mit der ersten offiziellen Entschuldigung der Grünenthalgeschäftsführung bei den Geschädigten.[3]

2 Einleitung

Mein Interesse an diesem Thema wurde unter anderem durch einen Zeitungsartikel geweckt, der am 1. September 2012 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschienen ist und von einer Entschuldigung des Arzneimittelkonzerns Grünenthal bei den Contergangeschädigten berichtete (Siehe dazu Anhang: Abbildung 5).[4]

Kurz darauf haben wir in Biologie im Rahmen der Sexualerziehung auch die Schwangerschaft, insbesondere die Embryonalentwicklung behandelt. Dabei kamen wir auf Missbildungen unter anderem auch durch Contergan zu sprechen. Mich begann das Medikament „Contergan“ mit seinen massiven Nebenwirkungen zu interessieren, mehr aber zu schockieren. Dass die Entschuldigung des Arzneimittelkonzerns erst über 50 Jahre nach dem Skandal ausgesprochen wurde und mit einer Entschädigung an die Contergan-Stiftung im Jahr 2009 in Höhe von nur 50 Millionen einherging, hat mich sehr betroffen gemacht und ich habe mich entschlossen, diesen Vorgängen näher nachzugehen.

Mein Ziel ist es, den Umgang der Firma Grünenthal mit den Geschädigten zu untersuchen und die Rolle Grünenthals in diesem Konflikt näher zu beleuchten.

Durch Internet-, Bibliotheks- und Mikrofilmrecherche habe ich zahlreiche Quellen für meine Thematik ausfindig machen können. Es handelt sich um Bücher, Zeitungsartikel und Internetartikel. Diese enthalten sowohl subjektive Aspekte von beiden Seiten als auch objektiv historisch belastbare Fakten. Dieses Material möchte ich chronologisch darstellen und auswerten.

3 Hauptteil

3.1 Der Wirkstoff Thalidomid und seine Wirkung

Der Wirkstoff Thalidomid wurde im März 1954 von dem Pharmakologen Dr. Dr. Herbert Keller und dem Apotheker Dr. Wilhelm Kunz, die beide Angestellte des Arzneimittelkonzerns Grünenthal waren, zufällig synthetisiert und seine sedierende Wirkung entdeckt.[5]

Thalidomid erhielt aufgrund seiner chemischen Bauweise zunächst die Bezeichnung beziehungsweise das Kürzel „K17“ und erst später bei der Markteinführung 1957 in Deutschland den Präparatnamen Contergan.

Das neu entwickelte Thalidomid war ein Derivat des Schlaf- und Schmerzmittels Doriden, eingeführt durch den Schweizer Pharmakonzern Ciba. Zunächst stellten Pharmakologen der Firma Grünenthal im November 1955 toxikologische und pharmakologische Resultate der von ihnen durchgeführten Studie mit dem Wirkstoff Thalidomid beziehungsweise „K17“ vor, wobei die medizinischen Test lediglich bei Nagetieren vorgenommen wurden. Besonders positiv wurde die nahezu unerreichbare letale Dosis beurteilt, was ein bis dahin nicht aufgetretenes Phänomen bei Sedativa war.[6]

An der Medizinischen Universitätsklinik Köln wurde der Wirkstoff „K17“ auf seine Verträglichkeit als Sedativum getestet. Das Ergebnis der Studie war, dass der Wirkstoff „K17“ ohne nennenswerte Nebenwirkungen eine gute sedative Wirkung hätte. Dr. Heinrich Mücker, Leiter der Forschungsabteilung der Firma Grünenthal belegte die sehr gute Verträglichkeit des Wirkstoffes „K17“ in dem Fachblatt „Arzneimittelforschung“ mit einer klinischen Studie, obwohl der Wirkmechanismus bis dahin nahezu unbekannt war.

Im Jahre 1956 wurde eine klinische Studie über die Verträglichkeit von „K17“ in einer privaten Fachklinik für Gynäkologie, wobei Schwangere nicht miteingeschlossen waren, begonnen, jedoch erst ein Jahr nach Markteinführung 1957 abgeschlossen.[7]

Grünenthal führte also lediglich wenige Untersuchungen zur Verträglichkeit und Ungiftigkeit des Wirkstoffes durch, ohne die Möglichkeit fetaler Schädigungen überhaupt in Betracht zu ziehen.

3.2 Durch Thalidomid verursachte Schäden

Die durch den Wirkstoff Thalidomid bekannteste und für den Conterganskandal relevante Nebenwirkung war die Dysmelie, d.h. Fehlbildungen an Gliedmaßen. Es kam bei 53% aller Betroffenen zu Missbildungen an den Armen, bei 25% an Armen und Beinen, bei 11% an den Ohren, bei 5% an Armen und Ohren und bei 2 % traten Schädigungen der inneren Organe auf.[8] Bei vielen Betroffenen sind auch Folgeschäden in Form von Herz- Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle und aufgrund übermäßiger Belastung Arthrose, Muskelschwäche und Gelenkverschleiß aufgetreten.[9] Der Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Einnahme des Medikaments und der Art der Schädigung ist weitgehend geklärt. Die Schäden, die durch Contergan beim Embryo verursacht wurden, traten bei der Einnahme etwa zwischen dem 35. und 50. Tag der Schwangerschaft auf (Siehe dazu Anhang: Abbildung 1).

3.3 Der Arzneimittelkonzern Grünenthal

Das Pharmaunternehmen Grünenthal GmbH wurde 1946 in Stolberg mit Sitz in Aachen durch die Unternehmerfamilie Wirtz gegründet und ist bis heute in deren Besitz. Das Unternehmen hat Werkteile in Aachen und Stolberg sowie Tochtergesellschaften im Ausland.[10]

Die Grünenthal GmbH erzielte laut eigenen Angaben im Jahre 2012 bei einer Anzahl von ca. 4400 Mitarbeitern 973 Millionen Umsatzerlöse.[11]

3.4 Markteinführung Contergan

Der Wirkstoff Thalidomid wurde im Juni 1956 von der Firma Grünenthal bei der Gesundheitsabteilung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums als neuer Arzneiwirkstoff angemeldet.

Einen ersten Feldversuch machte die Firma Grünenthal im November 1956, indem sie das thalidomidhaltige Erkältungsmittel „Grippex“ im Raum Hamburg auf den Markt brachte.[12]

Am 1. Oktober 1957 wurden die Präparate unter den Handelsnamen „Contergan“ und „Contergan forte“ in Form von Tabletten, Tropfen, Zäpfchen und Saft durch den Arzneimittelkonzern Grünenthal in der Bundesrepublik Deutschland auf den Markt gebracht, wobei die völlige Ungiftigkeit bei einer starken schlaffördernden Wirkung in der Werbung für dieses Medikament auf beinahe lyrische Art verklärt wurde (Siehe dazu Anhang: Abbildung 3).[13]

3.5 Meldungen des Verdachts über fruchtschädigende Nebenwirkungen und Reaktionen von Grünenthal

Ein Artikel, der 1958 im „British Medical Journal“ erschien, warnte bereits zu diesem Zeitpunkt vor den nicht kalkulierbaren Folgen der Einnahme eines thalidomidhaltigen Präparates in der Schwangerschaft, was Grünenthal als Diffamierung der pharmazeutischen Konkurenz abtat. Später im Jahr 1959 informierte ein Frauenarzt, dessen Frau in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan eingenommen hatte, einen medizinisch-wissenschaftlichen Mitarbeiter von Grünenthal über seinen Verdacht, dass Missbildungen an den Ohren sowie Augenschäden seines Kindes auf das Medikament zurückzuführen seien. Im November 1960 wurde Grünenthal schriftlich von einem Apotheker befragt, ob die Einnahme von Contergan während der Schwangerschaft zu Missbildungen beim Embryo führen könnte, worauf Grünenthal mit einem Schreiben antwortete, in dem es die vorgeburtliche Schädigung durch Contergan ausschloss. Eine gynäkologische Abteilung in einem Krankenhaus in Heilbronn erkundigte sich im Juli 1961 ebenfalls nach der Möglichkeit einer fetalen Schädigung durch das Präparat. Widukind Lenz, Dozent für Humangenetik und Kinderarzt, äußerte am 15.11.1961 gegenüber Dr. Heinrich Mückter, einem Mitarbeiter Grünenthals, seinen Verdacht, dass die Einnahme von Thalidomid in der Schwangerschaft zu Missbildungen führe.[14] Auf einer internen Krisensitzung von Grünenthal gab Dr. Heinrich Mückter zu, dass er schon vor längerer Zeit ein Schreiben des britischen Thalidomid-Lizenznehmers „Distillers“ erhalten habe, das auch die Thematik der Dysplasie bei Neugeborenen betraf. Darauf hin soll Mückter gesagt haben „Ich übernehme die Verantwortung“.[15]

Grünenthal führte also keine Untersuchungen durch, welche die frucht-schädigende Wirkung hätten ausschließen können, behauptete aber dennoch vehement bei Anfragen, dies ausschließen zu können, ohne die nicht kalkulierbaren Schäden an den Neugeborenen zu beachten.

3.6 Marktrücknahme von Contergan

Widukind Lenz, Dozent für Humangenetik in Hamburg, veröffentlichte in der „Welt am Sonntag“ vom 26.11.1961 den Artikel „Mißbildung durch Tabletten“. Diese Zeitung ist eine seriöse, überregionale Sonntagszeitung der Axel Springer AG und erreicht etwa eine Mio. Leser. Der Artikel liegt im Original vor. Über den Autor Dr. G. P. konnte ich nichts ermitteln. Er verarbeitet in seinem Artikel zum Teil mit wörtlichen Zitaten als Primärquelle im Wesentlichen einen Vortrag von Dr. Lenz auf einer Tagung der Rheinisch-Westfälischen Kinderärztevereinigung. Als Zeitzeuge möchte der Autor durch die Veröffentlichung die Öffentlichkeit, die Politik und den Konzern Grünenthal alarmieren.

In diesem Artikel berichtet Dr. G. P. von einer Studie, die den Verdacht des Zusammenhangs zwischen der Einnahme eines bestimmten Wirkstoffes und Missbildungen bei Neugeborenen erhärtete und forderte daher die sofortige Marktrücknahme des Medikaments. Er sprach von seinen vorrangegangen Warnungen diesbezüglich und deren möglicher Missachtung „Sollte diese Warnung, die aus ärztlichem Verantwortungsbewusstsein gegeben wurde, tatsächlich überhört werden?“.[16]

[...]


[1] Vgl. Nuding, Stephan (2011): Profit vor Menschenrecht. Die Geschichte des Conterganverbrechens vom Dritten Reich bis heute, Heerlen 2011. S.23.

[2] Vgl. Gembella, Gero (1993): Der dreifache Skandal, Hamburg 1993. S.172.

[3] Vgl. Entschuldigung für Contergan, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 01.09.2012.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Nuding, Stephan, Profit, 2011, S.21.

[6] Vgl. Gembella, Gero, Skandal, 1993, S.15 f.

[7] Vgl. Nuding, Stephan, Profit, 2011, S.19.

[8] Vgl. Interessenverband Contergangeschädigter Karlsruhe e.V. (Hrsg.): Dysmelieschädigungen. http://www.contergan-karlsruhe.de/med.html (Stand: 06.06.14).

[9] Vgl. Langemak, Shari: Aber die Nebenwirkungen sind die Hölle, in: Die Welt vom 31.01.2013.

[10] Vgl. Wikipedia (Hrsg.): Grünenthal (Unternehmen). http://de.wikipedia.org/wiki/Grünenthal_(Unternehmen) (Stand: 11.06.14).

[11] Vgl. Grünenthal (Hrsg): Zahlen und Fakten. http://www.grunenthal.de/grt-web/Grunenthal_GmbH_Deutschland/Unternehmen/Zahlen_und_Fakten/136701381.jsp (Stand:08.6.2014).

[12] Vgl. Nuding, Stephan, Profit, 2011, S.21.

[13] Vgl. Monser, Catia: Contergan/Thalidomid: Ein Unglück kommt selten allein, Düsseldorf 1993. S.12 ff.

[14] Vgl. Nuding, Stephan, Profit, 2011, S.20 ff.

[15] Vgl. Nuding, Stephan, Profit, 2011, S.23.

[16] Vgl. Mißgeburten durch Tabletten, in: Welt am Sonntag, 26.11.1961.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Umgang der Firma Grünenthal mit dem Contergan Skandal und seinen Opfern
Untertitel
Unter quellenkritischer Berücksichtigung der tagesaktuellen Berichterstattung in der HAZ
Note
12
Autor
Jahr
2014
Seiten
25
Katalognummer
V277916
ISBN (eBook)
9783656711094
ISBN (Buch)
9783656711742
Dateigröße
7847 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
umgang, firma, grünenthal, contergan, skandal, opfern, unter, berücksichtigung, berichterstattung
Arbeit zitieren
Max Hofmann (Autor:in), 2014, Der Umgang der Firma Grünenthal mit dem Contergan Skandal und seinen Opfern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277916

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