Ethnizität in Burma: Kontinuitäten und/oder Diskontinuitäten?


Diplomarbeit, 2012

104 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1 Einleitung
1.1 Fragestellung und These
1.2 Forschungsstand
1.3 Aktueller Bezug

2 Geschichte
2.1 Frühe Geschichte Burmas
2.2 Vom ersten britisch-burmanischen Krieg bis zur Unabhängigkeit
2.3 Vom Militärputsch bis zum ASEAN-Beitritt
2.4 Vom Regierungsumzug bis zu den Wahlen

3 Begriffsdefinitionen
3.1 Burma
3.2 Mandala -Konzept
3.3 Ethnien
3.4 Wir-Gruppen
3.5 Ethnische Identität
3.6 Ethnische Stereotypen
3.7 Ethnische Minderheiten

4 Ethnizität
4.1 Drei Thesen zu Ethnizität
4.2 Primordiale Theorie
4.2.1 Kritik am Primordialismus
4.2.2 Zusammenfassung Primordialismus
4.3 Instrumentalistische Theorie
4.3.1 Kritik am Instrumentalismus
4.3.2 Zusammenfassung Instrumentalismus
4.4 Konstruktivistische Theorie
4.4.1 Kritik am Konstruktivismus
4.4.2 Zusammenfassung Konstruktivismus

5 Ethnische Struktur in Burma
5.1 Historische Begebenheiten
5.2 Ethnische Klassifizierungen
5.2.1 Karen
5.2.2 Shan
5.2.3 Kachin
5.2.4 Wa
5.3 Beziehungen zwischen Tieflandbevölkerung und Hochlandbevölkerung
5.4 Bezeichnungen für die Bergethnien

6 Ethnizität in der vorkolonialen Phase in Burma
6.1 BefürworterInnen der These 1
6.1.1 Renèe Hagesteijn
6.1.1.1 Politische Traditionen im frühen Südostasien
6.1.1.2 Vorstellungen von Ethnizität
6.1.1.3 Freund-Feind-Zuordnung
6.1.1.4 Zusammenfassung
6.1.2 Roland D. Renard
6.1.2.1 Vorkoloniale Phase
6.1.2.2 Flexibilität bezüglich Ethnizität
6.1.2.3 Interaktionen zwischen Tieflandbevölkerung und Hochlandbevölkerung
6.1.2.4 Zusammenfassung
6.1.3 Frank Proschan
6.1.3.1 Entstehungsmythe der Kmhmu
6.1.3.2 Bezug der Kmhmu zu Ethnizität
6.1.3.3 Zusammenfassung
6.2 BefürworterInnen der These 2
6.2.1 Benedict Anderson
6.2.2 Georg Elwert
6.2.3 Weitere WissenschaftlerInnen

7 Conclusio

Literaturverzeichnis

Kurzfassung/Abstract

Danksagung

Für das Gelingen dieser Diplomarbeit möchte ich mich sehr herzlich bei allen lieben Menschen bedanken, die mich auf diesem Weg begleitet und in schwierigen Phasen unterstützt haben

Ein ganz besonderer Dank gilt meiner Familie für den Rückhalt, den sie mir nicht nur in der Zeit der Diplomarbeit, sondern während meines gesamten Studiums gegeben haben, und mir hilfreich auf diesem Weg zur Seite gestanden sind. Im Speziellen möchte ich mich bei meinem Vater für das Korrekturlesen der Arbeit und für hilfreiche Hinweise bedanken

Einen ausdrücklichen Dank möchte ich meinem Diplomarbeitsbetreuer Helmut Lukas aussprechen, der sich um meine Anliegen und Fragen gekümmert und mir wertvolle Empfehlungen und hilfreiche Anmerkungen gegeben hat. Besonders ist sein enormes anthropologisches Fachwissen über den südostasiatischen Raum zu erwähnen, genauso aber auch seine Anekdoten und Erfahrungen über die diplomarbeitsrelevante Thematik hinaus

Ein explizites Dankeschön geht an Petra Hirzer, die im Rahmen des Workshops für DiplomandInnen einen Raum für Austausch und ein Gefühl der Gemeinschaft geschaffen hat. Als Maßnahme gegen den Zeitdruck aufgrund des auslaufenden Diplomstudiengangs konnten sich DiplomandInnen gegenseitig Hilfestellungen anbieten und Problemfelder gemeinsam bewältigen. Besonders positiv ist die immer wieder motivierende und anspornende Art der Lehrveranstaltungsleiterin zu erwähnen

Zuletzt, aber deswegen keineswegs weniger herzlich, möchte ich mich bei allen Men- schen am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie bedanken, die mich - auf welche Art und Weise auch immer - während des Studiums und in der Phase der Diplomarbeit begleitet haben. Ein Dankeschön an alle StudienkollegInnen, die zur gleichen Zeit mit Ihrer Diplomarbeit beschäftigt waren und mir auf verschiedenste Art und Weise Auf- munterung zugesprochen haben. Ein herzliches Dankeschön an alle meine FreundInnen und Bekannten, die mir in irgendeiner Form Unterstützung für die Diplomarbeit zu- kommen ließen oder mir die Möglichkeit gaben, mich gedanklich von der Arbeit zu lösen und einfach mal abzuschalten

1 Einleitung

Das südostasiatische Land Burma beinhaltet eine bewegte und interessante Vergangen- heit, spannende Interaktionen in der Gegenwart und aller Voraussicht nach tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der Zukunft. Aufgrund der Tatsache, dass Südostasien und speziell Burma ein sehr großes geographisches wie auch thematisches Gebiet darstellt, dauerte es einige Zeit, bis es zur Eingrenzung von Themenfeldern und Forschungsge- genständen gekommen ist. Da einerseits Ethnizität ein zentrales Feld innerhalb der Kul- tur- und Sozialanthropologie darstellt und andererseits Burma einen sehr hohen Anteil an Ethnien in Südostasien vorzuweisen hat, kristallisierte sich nach reiflichen Überle- gungen ein Themengebiet heraus, das eine vielversprechende wissenschaftliche Unter- suchung erwarten ließ.

Der wissenschaftliche Diskurs hinsichtlich Ethnizität und die daraus resultierenden Dis- kussionen über Ethnien zeigen ein lohnenswertes wissenschaftliches Betätigungsfeld auf, in diesem Zusammenhang besonders Burma aufgrund historischer Ereignisse im Laufe der Geschichte sowie der mannigfaltigen verschiedenen Ethnien, die das heutige Staatsgebiet bewohnen. Da dieses Themenspektrum den Rahmen einer Diplomarbeit bei Weitem überschreiten würde, gilt es Eingrenzungen vorzunehmen. Der Schwerpunkt liegt deshalb auf der vorkolonialen Phase in Burma. Dabei wird besonders das Blickfeld auf die Ethnien und die in diesem Zusammenhang stattfindende wissenschaftliche De- batte gelegt.

Der Blick in die Vergangenheit Burmas lohnt sich auch, um die gegenwärtigen Struktu- ren und Handlungsmuster besser zu verstehen und im besten Falle auch Prognosen und Handlungsanleitungen für eine zukünftige Entwicklung abgeben zu können. Nur wenn es gelingt, Hintergründe und Strukturen der Vergangenheit konzeptartig darzustellen und Lehren daraus zu ziehen, wird es für die Zukunft möglich sein, problemorientierte Lösungen zu erarbeiten.

In Bezug auf den Diskurs in der Wissenschaft hinsichtlich Ethnizität in Burma und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Meinungsbilder sei angemerkt, dass diese theoretische Auseinandersetzung beispielhaft angeführt werden kann für zahlreiche Analysen und Diskussionen innerhalb der Wissenschaft, die sich bei anderen untersuchungswerten und interessanten Fragestellungen ergeben.

Burma zählt mit Laos zu den ethnisch heterogensten Ländern Südostasiens. Gegenwär- tig ist im Land eine Militärjunta an der Macht. Zwischen den einzelnen Ethnien gibt es mitunter Kooperationen, es kommt jedoch zeitweise auch zu Auseinandersetzungen. Vor allem zwischen der Bevölkerung im Tiefland, in Form der Militärjunta, und der Bevölkerung im Hochland, den sogenannten Bergethnien, kommt es zu Konflikten, die militärische Aktionen zur Folge haben können. Dies ist die aktuelle Lage, weshalb ein Blick in die Vergangenheit nicht nur förderlich, sondern äußerst notwendig erscheint.

Diese Diplomarbeit beschäftigt sich in erster Linie mit der vormodernen Phase Burmas, die im Gegensatz zur Kolonialzeit in der Literatur bis dahin stark vernachlässigt wurde. Es sollen Kontinuitäten und/oder Diskontinuitäten hinsichtlich Ethnizität aufgezeigt werden. Unter WissenschaftlerInnen gibt es unterschiedliche Ansätze und Diskussionen dahingehend, ob es in der vorkolonialen Phase schon eine Form von Ethnien und in Verbindung damit Ethnizität gegeben hat, so wie dies in der Gegenwart im burmesi- schen Staat der Fall ist. Um diese Diskussion beginnen zu können, ist erst einmal eine allgemeine Einführung in die Geschichte Burmas nötig. Die unterschiedlichen Phasen und Interaktionen der vormodernen Zeit in Burma sowie ein knapper Überblick bis in die Gegenwart sind zu beschreiben. Die Begriffsdefinitionen beinhalten der Ethnien- Bezeichnung zugehörige Themenfelder wie Identität, Stereotypen, Minderheiten und Wir-Gruppen. Ferner wird der Begriff Burma und das Mandala -Konzept beleuchtet. Das Kapitel Ethnizität fokussiert sich auf Primordialismus, Instrumentalismus und Kon- struktivismus und die jeweiligen Kritikpunkte. Anhand von historischen Begebenheiten, den Beziehungen zwischen Flachland- und HochlandbewohnerInnen, den Bezeichnun- gen für die Bergethnien sowie den Beispielen der Karen, Shan, Kachin und Wa wird die ethnische Struktur in Burma aufgezeigt. Der Hauptteil der Arbeit wird mit Hilfe einer Literaturanalyse die angesprochene Diskussion aufgreifen, welche Positionierungen hinsichtlich Ethnizität in der vormodernen Phase in Burma von WissenschaftlerInnen bezogen werden. In diesem Teil der Arbeit sollen VertreterInnen für Pro und Kontra herangezogen werden. Nach Darstellung der unterschiedlichen Positionen wird in der Conclusio auf der Grundlage der Literatur eine eigene Positionierung angestrebt.

1.1 Fragestellung und These

Ethnien und Ethnizität sind ein zentrales Themenfeld, mit dem sich die Kultur- und So- zialanthropologie beschäftigt. In der Wissenschaft gibt es bezüglich Ethnizität drei Posi- tionierungen: Die primordiale Theorie, die instrumentalistische Theorie sowie die konstruktivistische Theorie. Einerseits gibt es VertreterInnen der These, dass es bereits im vormodernen Burma eine Form von Ethnien gegeben hat. Auch wenn diese mögli- cherweise nicht identisch mit der heutigen Form von Ethnien sind und mitunter weniger geschlossen waren. Andererseits gibt es die gegenteilige These, dass es in der vormo- dernen Phase von Burma keine Ethnien gegeben hat. Bei dieser Positionierung wird oftmals die Ansicht vertreten, dass es erst durch den europäischen Kolonialismus oder in Folge durch den Nationalismus zur Herausbildung von Ethnien gekommen ist, was es zu überprüfen gilt.

Von daher lautet die zentrale Forschungsfrage wie folgt: Gab es eine Art Ethnien und in Verbindung damit Ethnizität in der vormodernen Zeit in Burma?

Die Hypothese teilt sich dahingehend wie folgt in die zwei entgegengesetzten Thesen auf:

Erstens: In der vormodernen Phase in Burma hat es schon eine Art Ethnien und Ethnizität gegeben. Diese Position wird unter anderem von Renée Hagesteijn, Frank Proschan und Ronald Renard vertreten.

Zweitens: In der vormodernen Phase in Burma hat es keine Ethnien und somit keine Ethnizität gegeben. Diese Position wird von Benedict Anderson und Georg Elwert ver- treten.

1.2 Forschungsstand

In diesem Kapitel wird ein Überblick über den momentanen Forschungsstand hinsicht- lich Ethnizität gegeben. Welche Theorien, Standpunkte und Sichtweisen sind bisher angewendet worden und haben sich bewährt? Welche Theorien sind möglicherweise ad acta gelegt worden? Wie sieht demnach der status quo in Bezug auf Ethnizität aus und welche zukünftigen Entwicklungen zeichnen sich bereits ab, worin in der Forschung neue Wege begangen werden?

Das Credo der Modernisierungstheorien der 1950er und 1960er Jahre lautete, dass die sogenannten Entwicklungsländer ihre Werte einer Änderung unterziehen und sich mo- dernisieren müssten. Zu jener Zeit vertraten SozialwissenschaftlerInnen die Auffassung, dass ethnische Identitäten in politischer Hinsicht stetig an Relevanz verlieren würden. Sogar heute wird Ethnizität im Diskurs der Politikwissenschaften ablehnend bewertet und oftmals mit sogenannter Unterentwicklung gleichgesetzt. Entgegen der Voraussa- gen der Modernisierungstheorie hat Ethnizität jedoch nicht an Bedeutung eingebüßt, sondern es gab sogar ab den späten 1960er Jahren ein ethnic revival in afrikanischen Staaten sowie in vielen Ländern der Welt einen Anstieg von ethnisch geprägter Politik. Deshalb sollte ethnic mobilization nicht länger als eine archaische, vormoderne und nichtrationale Form von sozialer Interaktion angesehen werden (vgl. Kuster/Santschi 2007: 9).

Die Bedeutung von Ethnizität wurde von vielen wissenschaftlichen Fachrichtungen lange Zeit unterschätzt und hat nicht die nötige Bedeutung und Gewichtung erhalten, welche dieser Thematik zustehen sollte. Auch in der Kultur- und Sozialanthropologie wurde Ethnizität erst relativ spät1 als wissenschaftliches Forschungsobjekt entdeckt, jedoch hat es sich nun zu einem zentralen Kernthema anthropologischer Forschung entwickelt und erfährt zumindest in diesem Bereich die nötige Anerkennung.

Bezüglich des aktuellen Forschungsstandes haben sich folgende Erkenntnisse herausgebildet: „Mittlerweile dominiert die Ansicht, Ethnizität sei weder primordial noch völlig situationsabhängig“ (Kuster/Santschi 2007: 9). „There is something of a global ascendancy of the instrumental perspective“ (Glickman/Furia 1995: 12). Damit hat sich nach jetzigem wissenschaftlichen Stand herauskristallisiert, dass eine reine Fixierung auf den primordialen Ansatz nicht zielführend ist, wobei der Zuspruch für die instrumentalistische Sichtweise sicherlich stark zugenommen hat.

An der primordialen Theorie zu Ethnizität wird von Comaroff heftigste Kritik geübt, da trotz fortlaufend neuen Forschungen zum Themenfeld Ethnizität diese Sichtweise im- mer noch in Betracht gezogen wird: „How many more times, for example, is it necessary to prove that all ethnic identities are historical creations before primordialism is consigned, finally, to the trash heap of ideas past?“ (Comaroff 1996: 164)

Zusammenfassend kann festgehalten werden: „All the approaches to understanding ethnicity are not necessarily mutually exclusive, so one possible avenue of research is the integration of the soundest aspects of existing approaches into a coherent theory of ethnicity.“ (Sokolovskii/Tishkov 2004: 192)

Eine neue Beobachtung hinsichtlich Ethnizität sind die sogenannten Ethnizität-Firmen. Dies beinhaltet, dass eine steigende Anzahl von Ethnien wie Kapitalgesellschaften agieren. Dabei wird das Erbe an Kultur zunehmend zu Warengütern. Diese Erscheinung ist nicht neu, auch wenn diese Ansicht von vielen AnthropologInnen nicht so beurteilt worden ist (vgl. Comaroff/Comaroff 2011: 70f).

Eine zukünftige Richtung für die Forschung von Ethnizität stellt die Aufnahme von themenbezogenen Erkenntnissen aus anderen sozialwissenschaftlichen Fachbereichen dar. Dies beinhaltet beispielsweise die Integration von Forschung über Formen des Massenbewusstseins für das Verständnis der Abstammungsmythologien von Ethnien. Ebenso ist in diesem Zusammenhang die Verbindung von psychologischen Theorien der Verhaftung mit einem Verstehen von ethnischen Empfindungen zu erwähnen. Wenn eine ethnische Gemeinschaft als Gruppierung von Menschen fungiert, deren Angehörige einen gemeinsamen Namen und Kulturelemente teilen, beinhaltet dieser Sachverhalt den Mythos von einem gemeinsamen Ursprung und einem historischen Kollektiv- Gedächtnis, welches sich mit einem bestimmten Raum und Gebiet verbindet und ein Solidaritätsgefühl erzeugt. Dies öffnet weitere Zugänge für die Integration von anthro- pologischen, politischen und psychologischen Wissensständen für das Verständnis von ethnischen Phänomenen (vgl. Sokolovskii/Tishkov 2004: 192). Die Zukunft der Ethnizitätsforschung scheint dahingehend ausgerichtet zu sein, den interdisziplinären Ansatz verstärkt wahrzunehmen und gebündeltes Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen vermehrt einzusetzen.

1.3 Aktueller Bezug

Der aktuelle Bezug ergibt sich dahingehend, dass es in Burma seit der Staatsgründung Konflikte gibt zwischen den verschiedenen Ethnien. Konflikte sind auch innerhalb der Ethnien zu verzeichnen, jedoch liegt das Hauptkonfliktfeld eindeutig bei den Auseinan- dersetzungen zwischen der Militärjunta, die sich aus der Ethnie der BurmanInnen zu- sammensetzt, und den sogenannten ethnischen Minderheiten, also rein quantitativ klei- nere Ethnien wie etwa die Karen, Shan und Kachin. Bei diesen Konflikten, die mitunter auch militärisch ausgetragen werden, geht es um den Zugang zu Ressourcen, Einfluss und Machtinteressen. Die Auseinandersetzungen verlaufen oftmals entlang von ethni- schen Zugehörigkeitsmustern. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, den Blick nicht nur auf „ethnische“ Ursachen der Konflikte einzuengen, sondern auch die Rolle von polti- schen und ökonomischen Interessen zu hinterfragen. Nach langen Jahren der selbstge- wählten Isolation sowie Sanktionen von außen, massiven Menschenrechtsverletzungen, fehlender Pressefreiheit und Unterdrückung der Opposition gibt es in letzter Zeit einige Anzeichen für eine Öffnung des Landes sowie minimale Demokratisierungsbestrebun- gen. Inwiefern diese von der Militärjunta tatsächlich ernst gemeint sind muss die Zu- kunft zeigen. Ungeachtet dessen lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, um zu be- trachten, auf welche Art und Weise Ethnien miteinander in Kontakt standen. Ob es da- bei zu Konflikten gekommen ist und wie mögliche Lösungen ausgesehen haben. Denn neben der burmanischen Opposition wird es vor allem darauf ankommen, wie ein zu- künftiger Umgang mit den zahlreichen ethnischen Minderheitsgruppierungen aussehen kann, um alte Konflikte zu beenden und für das Land einen demokratischen Weg in die Zukunft zu ermöglichen. Denn bisher sah es so aus: „Government policy toward indige- nous peoples for the past 40 years have been directed much more at the defeat of their relative autonomy than at their development.” (Kampe 1997: 17)

Dabei macht es Sinn, einen ausgiebigen Blick in die Vergangenheit zu wagen, um einen Bezug zur aktuellen Lage herstellen und ein besseres Verständnis für Lösungsansätze zu erzielen:

„An understanding of how this change occurred might be a first step on the way to rec- onciliation between the Burmans and all the many ethnic minority groups in Burma who believe they have reason to fight the majority. Without recognizing traditional pat- terns and how they have been transformed during the British period, one cannot foresee any end to the present Burmese minority problems short of total conquest by the majority of total separation for these minorities.” (Renard 1988: 89; Hervorhebung von W. K.)

Die Probleme in Burma sind tief verwurzelt und äußerst komplex. Sowohl Menschen innerhalb wie auch außerhalb des Landes können oftmals nur mäßig die Beschaffenheit der schwer zu bewältigen Konflikte in Burma und deren Dynamiken nachvollziehen. Daher sind viele Menschen im Land davon überzeugt, dass die Machtübernahme durch eine demokratisch gewählte Regierung ausreichen wird, die Probleme des Landes zu lösen. Jedoch ist diese Sichtweise zu einfach gestrickt und ignoriert die historischen Erfahrungen des Landes (vgl. Saw U 2007: 219).

2 Geschichte

Die Geschichte Burmas wird in diesem Kapitel thematisiert. Dabei soll der zeitliche Bogen in der vormodernen Zeit beginnen, die Besiedlung des heutigen Burma beschrei- ben und sich über die Phasen der verschiedenen Königreiche, der Kolonialzeit, der Un- abhängigkeit sowie der Zeit der Militärdiktatur bis in die Gegenwart erstrecken. Die Geschichte Burmas wird sehr kompakt präsentiert, da eine ausführliche Beschreibung der burmesischen Geschichte2 den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Außerdem werden im weiteren Verlauf der Diplomarbeit immer wieder historische Rückgriffe her- gestellt.

2.1 Frühe Geschichte Burmas

Nach derzeitiger wissenschaftlicher Ansicht wurde das heutige Gebiet von Burma in drei Migrationswellen besiedelt, worunter sich auch die derzeitig wichtigsten Ethnien befinden. Zuvor war das Gebiet Heimat der Pyu, einer Zivilisation, die danach gänzlich verschwand. Die BurmanInnen wanderten mutmaßlich vor mehr als 3.000 Jahren von Yunnan aus südwärts, zusammen mit anderen linguistischen und kulturellen Gruppie- rungen ein. Dabei besiedelten die BurmanInnen geographisch gesehen die nördliche Ebene im Zentrum des Landes, wo unter König Anawrahtas im Jahr 1044 die erste burmesische Dynastie entstand. Das Gebiet an der südlichen Küste besiedelten die Mon, die Küsten- und Bergregionen im Südwesten die Rakhine, in westlichen Berggebieten die Chin, in den Bergen im Norden die Kachin, im Nordosten auf einem weitläufigen Hochplateau die Shan und in den östlichen Bergregionen die Karen (vgl. Hingst 2003: 45f; Nash/Chaudhury 2004: 162).

Insgesamt waren in der Frühphase des Landes drei große burmesische Dynastien zu verzeichnen: Die Pagan-Dynastie (1044-1287), die Toungoo-Dynastie (1531-1752) und die Konbaung-Dynastie (1752-1885).

Die Pagan-Dynastie wurde durch die zunehmende Stärke der Könige von Pagan be- gründet. Infolge der Vereinigung von ganz Burma zum Königreich Pagan durch König Anoratha stieg die Bedeutung über die Region hinaus an. Durch Kontakt mit Mon und Pyu kam es zur Verbreitung des Theravada-Buddhismus im ganzen Land, wobei der Glaube an nats integriert wurde. Die Hauptstadt Pagan befand sich im Zentrum des gleichnamigen Reichs in Zentralburma und diente als Mittelpunkt für kulturelle, religiö- se und politische Angelegenheiten. Der König hatte die Aufgabe, die Welt der Men- schen mit der Ordnung des Kosmos in Gleichklang zu bringen (vgl. Lukas 2009: 80f).

Im Jahr 1287 fand die Pagan-Dynastie durch das Eindringen der mongolischen Armee ein Ende. Daraufhin entstand im Süden des Landes ein sehr starkes Reich der Mon. Im Jahr 1531 wurde die zweite burmesische Dynastie begründet, welche im Jahr 1752 durch den Einmarsch der Mon ein Ende fand. Jedoch einige Jahre später konnten die BurmanInnen unter König Alaungpayas die Mon endgültig bezwingen. Dieser begründete im Jahr 1755 die dritte burmesische Dynastie. Unter seinen Nachfolgern wurde die Hegemonie der BurmanInnen immer weiter ausgebaut, was die größte Entfaltung des Reiches in der Geschichte bedeutete (vgl. Hingst 2003: 46).

Aufgrund der kurzen und überblicksartigen Darstellung der frühen Geschichte Burmas soll nicht der falsche Eindruck entstehen, dass die verschiedenen Ethnien in dieser Phase unwandelbare und fixe Einheiten gewesen sind, auch wenn die ethnozentristische Geschichtsschreibung eine solche Anschauung vermuten lässt. Dieses einfache Bild in der geschichtlichen Darstellung gilt es kritisch zu hinterfragen.

Anhand von Lieberman geschieht dies, der in der Literatur über das vorkoloniale Süd- ostasien die Tendenz bemängelt, dass ethnische Hauptgruppen, wie BurmanInnen und Mon, als für sich allein stehende politische Kategorien behandelt werden. Besonders bei der Geschichtsschreibung über das Irrawaddy Tal kommt es dazu, wo die wiederkeh- renden Nord-Süd-Konflikte meistens als „nationale“ Kämpfe zwischen den BurmanIn- nen aus dem Norden und den Mon aus dem Süden interpretiert wurden (vgl. Lieberman 1978: 455).

2.2 Vom ersten britisch-burmanischen Krieg bis zur Unabhängigkeit

Insgesamt gab es drei britisch-burmanische Kriege (1824-1826, 1852-1853, 1885), bei denen etappenweise die Eroberung des burmesischen Reichs durch die britische Armee erfolgte. Im ersten britisch-burmanischen Krieg wurden die Provinzen Arakan und Tenasserim annektiert. Im zweiten britisch-burmanischen Krieg wurde Unterburma einverleibt, was zur Folge hatte, dass der gesamte Süden des Landes unter britischer Kontrolle stand. Im dritten britisch-burmanischen Krieg wurden die restlichen Gebiete des burmesischen Reiches unter die Herrschaft der britischen Krone geführt (vgl. Hingst 2003: 51). Die Gründe für die britisch-burmanischen Auseinandersetzungen lagen im Expansionswillen des burmesischen Königs. Hierbei kam es aufgrund der britischen Machtinteressen zu einem Widerspruch. Ferner ging es um Zugang zu Rohstoffen sowie Handelsstreitigkeiten (vgl. Steinberg 2010: 26f).

Nach Beendigung des dritten britisch-burmanischen Krieges wurde Thibaw, der letzte König Burmas, vertrieben und das Land gänzlich unterworfen. Im Januar 1886 wurde das Land als Provinz an die britische Kronkolonie Indiens angeschlossen. Im Jahr 1906 bildete sich die Young Men’s Buddhist Association, eine treibende Kraft im antikoloni- alen Widerstand. Im Jahr 1930 wurde die Saya-San-Revolte, eine religiös motivierte Aufstandsbewegung blutig niedergeschlagen. In der Folgezeit gründete sich die Organi- sation Dobama-Asi-ayon3, die auch unter dem Namen Thakin-Bewegung4 bekannt wur- de, und deren Zielsetzung auf eine umfassende Unabhängigkeit ausgerichtet war. Mit dem 1. April 1937 erfolgte die Loslösung Burmas von der britischen Kolonie und das Land wurde einer eigenen Verwaltung unterstellt (vgl. Ludwig 2009: 157). „In dieser Zeit wurden die halbunabhängigen Shan- und Karen-Fürstentümer unter britische Ober- herrschaft gebracht, aber verwaltungsmäßig nicht voll integriert = ‚Outer Burma‘. Dies ist die Grundlage für bis heute fortwirkende autonomistischen bzw. sezessionisti- schen Bestrebungen der Karen, Shan und Kachin“ (Lukas 2009: 82; Hervorhebung von W. K.) im multiethnischen Unionsstaat Burma.

Zwischen den Jahren 1937 und 1947 stand Burma unter britischer und japanischer Herr- schaft mit sehr eingeschränktem Anspruch auf Souveränität. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde von der burmanischen Nationalbewegung der Kontakt zu Japan ge- sucht. Die sogenannten 30 Kameraden5 wurden dort trainiert und danach in die Burma Independence Army integriert. Die japanische Armee und die Burma Independence Army eroberten im Jahr 1942 Rangun und Burma wurde von japanischer Seite Unab- hängigkeit versprochen. Im Jahr 1943 erlangte Burma die Unabhängigkeit, jedoch stand die burmesische Regierung unter der strikten Führung der japanischen Herrschaft, so dass faktisch keine Unabhängigkeit vorlag. Daher wechselte Bogyoke Aung San mit der Anti-Fascist People’s Freedom League die Fronten und bekämpfte mit der britischen Armee die japanische Besatzung, die im Jahr 1945 besiegt wurde (vgl. Charney 2009: 46ff).

Anfang des Jahres 1947 verhandelte Bogyoke Aung San mit dem britischen Premiermi- nister Attlee und es wurde vereinbart, innerhalb eines Jahres Burma in die Unabhängig- keit zu entlassen. Auf der Panglong-Konferenz erzielte Aung San mit den meisten Eth- nien Einigung über die Bildung eines föderalen Staates. Jedoch erlebte er die Unabhän- gigkeit des Landes am 4. Januar 1978 nicht mehr, da er im Juli 1947 einem von politi- schen Kontrahenten inszenierten Anschlag zum Opfer fiel. U Nu war somit der erste Premierminister des Landes, jedoch hielt die demokratische Phase nicht lange an, da bereits kurze Zeit nach der Unabhängigkeit verschiedene Ethnien sowie kommunisti- sche Gruppen einen Widerstandskrieg gegen die Regierung in Rangun starteten. Dies führte zu einem Bürgerkrieg, der teilweise bis in die Gegenwart andauert. Im Jahr 1958 kam es zur caretaker -Regierung, in der U Nu die Regierungsgewalt freiwillig für eine Übergangszeit an das Militär unter Ne Win abgab und diesen mit der Vorbereitung von Neuwahlen beauftragte. Diese fanden 1960 statt und wurden von U Nu gewonnen, je- doch forderten die Ethnien der Shan und Kachin Autonomie (vgl. Prager 1994: 264).

2.3 Vom Militärputsch bis zum ASEAN-Beitritt

Am 2. März 1962 kam es durch General Ne Win zu einem Militärputsch, der durch Au- tonomiebestrebungen der Kachin und Shan ausgelöst wurde. Fortan wurde der Burmesi- sche Weg zum Sozialismus verfolgt, welcher mehr oder weniger eine Mischung aus Buddhismus und Sozialismus darstellte. Dies geschah durch Isolation gegenüber dem Ausland, Sozialisierung der Wirtschaft und Indoktrinierung der eigenen Bevölkerung. Das Regime beschloss im Jahr 1974 eine neue Verfassung, dem Parlament wurden je- doch keinerlei Befugnisse zugestanden (vgl. Prager 1994: 264f). Im Jahr 1987 wurde das Versagen der ökonomischen Ausrichtung eingestanden und die „Regierung bittet bei der UNO um Anerkennung als eines der ‚Least Developed Countries‘“ (Ludwig 2009: 159).

Das Jahr 1988 war in der burmesischen Geschichte durch zahlreiche Ereignisse geprägt. Es gab massive Proteste gegen die Militärjunta und der Ruf nach Demokratie und Frei- heit wurde laut. Aung San Suu Kyi6 kehrte in das Land zurück und nahm die Rolle der Oppositionsführerin ein. Dem fortwährenden Druck der Straße musste sich Ne Win beugen und trat nach 26 Jahren als Parteivorsitzender zurück. Tausende DemonstrantIn- nen wurden bei den Protesten getötet oder wurden als AnhängerInnen der Demokratie- bewegung zu Flüchtlingen. Durch den Militärputsch von Saw Maung wurde die Hoff- nung auf Veränderungen endgültig zu Grabe getragen. Stattdessen wurde der State Peace and Development Council eingesetzt, der sich gänzlich aus dem Militär zusam- mensetzte (vgl. Prager 1994: 265f).

Am 27. Mai 1990 fanden Wahlen statt, die von der Oppositionspartei National League for Democracy mit 59,87 Prozent der Stimmen gewonnen wurden. Diesen prodemokra- tischen Wahlsieg erkannte die Militärjunta jedoch nie an. Die konstituierende Sitzung des Parlaments wurde stets abgewehrt, da von Seiten des State Peace and Development Council unvermittelt die Ansicht vertreten wurde, es müsse zuerst zur Verabschiedung einer Verfassung kommen. In der Folgezeit kam es immer wieder zu militärischen Aus- einandersetzungen mit ethnischen Minderheiten, die entweder durch Waffenstillstands- abkommen scheinbar gelöst wurden oder bis in die Gegenwart anhielten. Die Aufnahme in die Association of Southeast Asian Nations erfolgte am 24. Juli 1997 (vgl. Ludwig 2009: 59ff).

Kameraden lebendig gehalten, da sich daraus der eigene Anspruch an Macht legitimiert (vgl. Ludwig 2009: 42).

2.4 Vom Regierungsumzug bis zu den Wahlen

Im Dezember 2005 erfolgte der Umzug aller Behörden der Regierung nach Pyinmana in der Mitte des Landes. Am 22. März 2006 wurde das neue Machtzentrum Naypyidaw getauft, was königliche Stadt bedeutet. Als Beweggründe der Militärjunta für den Re- gierungswechsel wurden Befürchtungen vor Protesten sowie ausländische Interventio- nen angeführt. Die negative wirtschaftliche Entwicklung führte zu fehlenden Perspekti- ven für die Bevölkerung. Deshalb waren Proteste unausweichlich und warteten sozusa- gen nur auf den richtigen Auslöser. Diesen gab es am 15. August 2007, als die Regie- rung die Streichung von Subventionen für Kraftstoffe bekannt gab. Das führte zu einer Verdoppelung der Benzinpreise sowie der Fahrpreise für öffentliche Verkehrsmittel. Am 3. September 2007 begannen im zentralburmesischen Pakokku Proteste durch Mönche und Nonnen gegen die Maßnahmen der Regierung, die blutig niedergeschlagen wurden. Jedoch sprang der Funke auf Yangon und andere Städte über und Hunderttau- sende protestierten gegen das Vorgehen der Militärjunta. Am 2. Mai 2008 wurden durch den Zyklon Nargis weite Teile des Landes verwüstet. Etwa 24 Millionen Menschen waren davon betroffen, 2,5 Millionen wurden obdachlos und etwa 133.000 Menschen kamen zu Tode. Als internationale Organisationen Nothilfe zur Verfügung stellen woll- ten, wurde ihnen von der Regierung wochenlang der Zutritt ins Land verwehrt. Dem für den 10. Mai 2008 angesetzten Verfassungsreferendum wurde offiziell von 92,4 Prozent der Bevölkerung zugestimmt, wobei es zu Unregelmäßigkeiten, Einschüchterungen und staatlicher Propaganda kam. Die Absicht des Verfassungsreferendums lag für die Mili- tärjunta darin, sich ein demokratisches Antlitz zu verschaffen (vgl. Ludwig 2009: 70ff). Dies sollte zum einen die burmesische Bevölkerung beruhigen und zum anderen aus- ländischen BeobachterInnen den vermeintlichen Weg der Demokratie aufzeigen.

Am 7. November 2010 fanden erstmals seit zwei Jahrzehnten in Burma wieder Wahlen statt. Zur Wahl standen VertreterInnen des Unterhauses, des Oberhauses sowie der Re- gionalparlamente. Nach Ansicht internationaler Organisationen und der Oppositionspar- teien fanden die Wahlen weder in einem fairen noch in einem freien Rahmen statt. Be- reits vor der Wahl wurden etwa ¼ der Parlamentssitze für das Militär reserviert. Bei der Wahl gewann dann die Union Solidarity and Development Party, die starke Unterstüt- zung von der Militärjunta erhielt, mit etwa 80 Prozent der Stimmen (vgl. Effner 2010: 1ff; Musch-Borowska 2010).

3 Begriffsdefinitionen

In diesem Kapitel werden die verschiedenen Begriffe erläutert, die in dieser Arbeit Einzug finden. Dabei wird der Versuch unternommen, Definitionen für die einzelnen Begriffe zu finden, ohne jedoch eine allgemeingültige und universale Definition vorzuschreiben. Zuerst wird die Bezeichnung Burma hinterfragt und das Mandala -Konzept erläutert. Danach werden die Begriffe Ethnien, Wir-Gruppe, Identität, ethnischen Stereotypen und ethnische Minderheiten einer Begriffserklärung unterzogen.

3.1 Burma

Die Namensbezeichnungen Burma, Birma und Myanmar sind für das Land geläufig und alle drei Begriffe finden auch Verwendung - teilweise einzeln, aber auch als Doppelbe- zeichnung wie etwa Myanmar/Burma - bei Medien, politischen EntscheidungsträgerIn- nen und NGOs. Mitunter wird eine bestimmte Bezeichnung verwendet, weil sich daraus eine gewisse politische Positionierung ergeben kann, jedoch ist dies keineswegs zwin- gend notwendig.

Im Jahr 1989 wurde der Name des Landes von der Militärjunta in Myanmar umbenannt, verbunden mit vielen Änderungen von Orts- und Flussbezeichnungen. Die Absicht der Militärjunta war, die kulturelle Vielfalt des Landes hervorzuheben und eine Abgrenzung gegenüber der Namensgebung aus der Kolonialzeit zu erreichen. Myanmar war der Be- griff der vorkolonialen Phase gewesen und sollte aufzeigen, dass nicht nur BurmanIn- nen das Land bevölkern. Jedoch gerade nichtburmanische Ethnien und VertreterInnen der Oppositionsbewegung weisen diese Namensänderung zurück, da es sich nach ihrer Ansicht um eine Propaganda der Militärjunta handelte und nicht um die Förderung der ethnischen Vielfalt des Landes. Darüber hinaus wird von LinguistInnen die Bezeich- nung Myanmar von Bama abgeleitet, wodurch der Begriff wiederum nur BurmanInnen einschließt (vgl. Ludwig 2009: 11f).

„Vor dem Hintergrund dieser politisch motivierten Neuinterpretation von Geschichte, die von der Opposition als historischer Betrug bezeichnet und nicht akzeptiert wurde, entwickelte sich die Frage, ob man das Land Myanmar oder Burma nennen sollte, zu einer politischen Glaubensfrage.“ (Hingst 2007: 82)

Der Autor dieser Arbeit verwendet bewusst die Bezeichnung Burma. Das hat zwei Gründe: Zum einen liegt der größte Teil dieser wissenschaftlichen Untersuchung in ei- ner Zeitspanne, die sich vor der Namensänderung in den Begriff Myanmar zugetragen hat. Der zweite Grund liegt in der Tatsache, dass ein großer Teil der Oppositionsbewe- gung und der verschiedenen Ethnien, die von der Militärjunta unterdrückt werden, be- wusst die Bezeichnung Burma und nicht den Begriff Myanmar verwenden.

3.2 Mandala -Konzept

Bevor das Mandala -Konzept nach Wolters eine Erläuterung erfährt, sei zuerst kurz auf Heine-Geldern eingegangen, mit dem sozusagen die Forschung bezüglich vormoderner Staaten ihren Anfang gefunden hat. Bereits 1942 sah er die Wurzeln des Mandala - Modells in den kosmologischen Anschauungen des Hindu-Buddhismus liegen. Dem- nach ist die poltische Ordnung eine Imitation des in Form von Kreisen angeordneten Kosmos. Dabei steht in der hindu-buddhistischen Kosmologie der Berg Meru im Zent- rum mit dem Hindugott Indra als Herrscher, im politischen System Südostasiens fun- giert die Hauptstadt als Symbol für das Zentrum des Reiches. Die Hauptstadt ist der Sitz des Königs und wird umsäumt von vielen politischen Einheiten. Diese bilden die soge- nannten Kreise der Könige und sind dem Herrscher des Zentrums untergeben. Mit Conceptions of State and Kingship in Southeast Asia gelang Heine-Geldern ein bedeu- tender Meilenstein für die politische Anthropologie in Bezug auf Südostasien. Der Un- terschied zu Forschungsansätzen aus der Vergangenheit bestand darin, dass nun die emischen Konzeptionen zu Staat, Königtum und politischer Organisation als soziale Handlungsleitungsmuster im Mittelpunkt der Analyse standen (vgl. Lukas 2011: 257).

„In Southeast Asia, […] the capital stood for the whole country. It was more than the nation’s political and cultural center: it was the magic center of empire. […] [T]he capi- tal city could be shaped architecturally as a much more ‘realistic’ image of the universe, a smaller microcosmos within that microcosmos, the empire.” (Heine-Geldern 1986: 117f)

Die bis zu den 1970er Jahren vorliegenden Forschungsergebnisse hinsichtlich interner Zusammensetzungen und Funktionsweisen der frühen südostasiatischen Staaten, wurde ab diesem Zeitpunkt von verschiedenen ForscherInnen kritisch hinterfragt. Dabei ging es um die These, dass die politischen Gebilde bei weitem nicht so von Zentralismus und Stabilität geprägt waren, wie dies bis dato in der Wissenschaft angenommen wurde. Als wichtige Figur ist hierbei Wolters7 zu erwähnen, der das Konzept des mandala begründete. Der Begriff mandala kommt aus dem Sanskrit und beinhaltet das indische Konzept der Kreise der Könige. Dieses Modell spiegelt auf symbolische Art und Weise die Verbindungen zwischen den politischen Herrschern wieder. Der Ursprung des mandala Konzepts geht auf eine geo-kosmologische Darstellung zurück, die den Plan des Universums beinhaltet. Dieses wird als Kreis angesehen, der sich um eine Achse dreht. Das Bild des Kreises hat auch eine politische Aussagekraft, die beinhaltet, dass der im Zentrum herrschende König von Königen umgeben ist, die mit ihm freundschaftlich oder feindschaftlich verbunden sind (vgl. Lukas 2011: 256).

„Das höchste Ziel eines jeden […] Eroberer ist das, ein samraj zu werden: die anderen zu beherrschen und die ganze ‚Erde‘ zu gewinnen oder ein cakravartin, der das Rad seiner Herrschaft über die Erde rollen läßt, ein caturanta, der die vier Enden der Erde beherrscht, zu werden.“ (Hillebrandt 1923: 150)

Nach Wolters ist in den südostasiatischen mandala -Staaten die Herrschaftsmacht vor- wiegend auf rituelle Handlungen und symbolische Beeinflussungen zurückzuführen. Ferner waren die mandala -Staaten weder in Besitz einer Staatsbürokratie noch gab es eindeutig festgelegte Grenzen. Die Zusammensetzung der mandala -Staaten sah wie folgt aus: Es gab wechselnde Zonen von Einfluss und Macht in Form von konzentri- scher Kreise, deren Steuerung von einem vergleichsweise schwachen Kerngebiet im Innersten des Kreises erfolgte. Dies bedeutete zwar, dass Gebiete unterworfen wurden und dem Zentrum Tributzahlungen leisten mussten, dafür aber überwiegend Selbstbe- stimmung auf kultureller und politischer Ebene inne hatten und auch über eigene Zen- tren verfügten. Im mandala -Staat konnte der Herrscher nur im Zentrum des Staates mit autokratischen Zügen aufwarten, auf die Randgebiete hinbewegend nahmen die Macht und der Einfluss des mandala ab. Damit waren die Grenzen mitunter sehr vage und nicht eindeutig bestimmbar. Mit unterschiedlicher Durchschlagskraft versuchte der Herrscher die Ressourcen an Menschen und Ökonomie in der Peripherie des Staates zu dominieren. Dazu wurde eine Verknüpfung aus militärischem Druck und Diplomatie eingesetzt. Der Grundsatz der mandala -Theorie sieht dabei vor, dass die direkten Nach- barn des Herrschers seine Feinde, dagegen die Nachbarn seiner Nachbarn als Verbünde- te anzusehen sind. Nach militärischen Erfolgen werden die anfänglichen Verbündeten zu Feinden und die Feinde zu Verbündeten. Zusammenfassend kann angeführt werden, dass jeder König mit seinem Reich Bestandteil eines komplexen Systems von abwechselnden Einkreisungen ist und sein eigenes mandala hat. Auf diese Weise bildet das mandala -Modell in einem Schema die sozialen Beziehungen mit den wechselseitigen Rivalitäten und Allianzen ab. Die Identifikation mit dem politischen Herrscher im Zentrum erfolgt über religiöse Symbole (vgl. Lukas 2011: 256f).

Das mandala -Konzept besitzt auch deshalb eine hohe Relevanz, weil damit diverse Besonderheiten der frühen südostasiatischen Staaten besser erläutert werden können, wie etwa die manpower-not-land thesis und die center-not-boundaries thesis8 . Der manpo wer-not-land thesis zufolge „stand für die politischen Zentren im frühen Südostasien die Kontrolle der Bevölkerung und weniger die des Territoriums im Vordergrund.“ (Lukas 2011: 257) Die center-not-boundaries thesis besagt: „Das Zentrum und nicht die Grenzen definieren den Staat.“ (Lukas 2011: 257) Beide Behauptungen stellen die Relevanz und Gewichtigkeit in den frühen Staaten Südostasiens dar, demnach Bevölkerung und Zentrum höher einzuordnen sind als Territorium und Grenzen.

3.3 Ethnien

Die Bezeichnung Ethnie, genauso wie die damit verbundene Bezeichnungen Ethnizität, ethnische Gruppe, ethnische Identit ä t sowie die frühere Benennung der Anthropologie, die Ethnologie, stammen von dem griechischen Wort ethnos ab, was in etwa so viel bedeutet wie Zugehörige zu einem Volk. Ethnien zeichnen sich durch Selbst- sowie Fremdzuschreibung aus. Dies beinhaltet immer eine gewisse Art von Abgrenzung den Anderen sowie dem Fremden gegenüber. Die emische und etische Perspektive können dabei mitunter stark voneinander abweichen.

„Ethnische Gruppen beruhen stets auf einer besonderen Grenzziehung: Der Heraushebung von Unterschieden zu anderen Gruppen und der Betonung der Einmalig- keit und Eigenwertigkeit der eigenen Gruppe. Anders sind stabile Zuschreibungen und soziale Identitäten nicht möglich.“ (Esser 1996: 65) Orywal und Hackenstein (1993: 598) verweisen vor allem darauf, dass Ethnien „endogame Gruppen [sind], die mittels selektierter Traditionen ein sie abgrenzendes Selbstverständnis postulieren.“

Im Zusammenhang mit der Bezeichnung ethnische Gruppen muss auf Ferguson (2006: 53) verwiesen werden, der dazu folgendes erläutert: „My point is that ethnic or other identities are not separable from more tangible, material concerns. Identity and interest are commonly fused into once. So, with due reluctance, I have proposed a new, hopeful- ly more precise term: identerest. To speak of identerest groups and identerest conflicts does not presuppose any one universal basis of antagonism or mobilization. Rather it calls for those bases to be specified. And it calls attention to how material situation and a variety of symbolic understanding come together in groups heading toward lethal struggle, thus joining materialist and cultural/symbolic approaches.” (Ferguson 2006: 53) Ferguson weist darauf hin, dass Ethnizität nicht von materialistischen Bedürfnissen zu trennen ist. Für ihn gibt es keine ethnischen Gruppen9, sondern Ethnien sind Katego- rien. Daher bringt er den Vorschlag ein, nicht die Bezeichnungen ethnische Gruppen zu verwenden, sondern er spricht von identerest groups.

Elwert geht darauf ein, dass Ethnien sich als familienerfassende sowie familienübergreifende Gruppierungen darstellen, die sich selbst eine gemeinschaftliche Identität zusprechen, die unter Umständen auch exklusiv ausfallen kann. Dabei sind zum einen die Kriterien der Zuschreibung wandelbar, welche die Außengrenzen definieren, zum anderen gibt es jedoch den Anspruch auf Dominanz hinsichtlich der Kriterien der Zuordnung (vgl. Elwert 1989: 22). Allgemein formuliert hat es den Anschein, dass ethnische Gruppen als Zwischenstufe zwischen lokalen Verwandtschaftsgruppierungen und der Nation als maximale Kollektivität fungieren (vgl. Tambiah 1994: 431). Ethnische Gruppen tauchen auf und verschwinden wieder. Es kann weder ihre Kurzlebigkeit noch ihre Dauerhaftigkeit vorausgesetzt werden (vgl. Zenner 1996: 394).

In Bezug auf ethnische Gruppen spricht Weber von menschlichen Gruppen, die einen Glauben an ihre gemeinsame Wurzeln auf solch eine Art und Weise inne haben, dass dieser Glaube die Basis für die Schaffung einer Gemeinschaft bereitstellt (vgl. Weber 1972: 237).

In dieser Beschreibung isoliert Weber die grundlegenden Charakteristika des Phäno- mens und richtet es auf ein Bündel von Überzeugungen und nicht auf bestimmte objek- tive Merkmale einer Gruppenzugehörigkeit wie eine gemeinsame Sprache, Religion und besonders auf biologische Merkmale, die im alltäglichen Verständnis mit Rasse verbun- den sind. Es ist dieses Gefühl einer gemeinsamen Abstammung, die wesentlich ist, je- doch ist die Identifikation mit einem gemeinsamen Ursprungs größtenteils, wenn nicht gänzlich, fiktiv und erfunden. Weber besteht darauf, dass der Unterschied zwischen ethnischen Gruppen und Verwandtschaftsgruppen genau auf die Frage der presumed identity zurückzuführen ist. Die ethnische Zugehörigkeit an sich resultiert nicht zwangs- läufig in der Formierung einer ethnischen Gruppe, sondern liefert nur die Ressourcen, die unter den richtigen Umständen in einer Gruppe durch geeignete politische Maßnah- men aktiviert werden können (vgl. Stone 2003: 32f).

Die Bezeichnung ethnische Gruppe kann dazu Verwendung finden, um sich auf ein Netzwerk von Verbindungen zwischen Menschen zu beziehen, jedoch können damit keine Annahmen über den inneren Zusammenhalt oder Zeichen von Beschränktheit getätigt werden (vgl. Lilley 1990: 176). “[T]he analysis of ethnic groups must take into account wider structures and events. Ethnic groups are not fixed entities opposed to one another by stable internal structures and external boundaries. They are, as Wolf so elo- quently describes it, subjected ‘to a rhythm of global scope’.” (Lilley 1990: 181)

Im Bezug auf eine mögliche Isolierung von ethnischen Gruppierungen gilt es Eriksen anzuführen, der dazu folgendes zu sagen hat: “[T]he idea of an isolated ethnic group is absurd. It is through contact with others that we discover who we are, and an ‚isolated ethnic group’ may therefore be compared with the sound of one hand clapping - an absurdity. The fact that two groups are culturally distinctive does not create ethnicity. There must be at least a minimum of contact between their respective members. We therefore have to draw the conclusion that the members of different ethnic groups must have something in common - some basis for interaction - in addition to being different.” (Eriksen 2001: 263; Hervorhebung von W. K.)

In seiner Studie über die Kachin im Norden von Burma hat Leach aufgezeigt, dass strukturale Veränderung und sozio-politische Organisation nur dann einer gewinnbrin- genden Analyse unterzogen werden kann, wenn die Ethnie als Bestandteil eines umfas- senderen sozio-politischen Systems angesehen wird, und der kulturelle Antrieb als Rea- gieren auf ethnischen Druck von außerhalb betrachtet wird. Lehman kommt in seiner Studie über die in den Bergen lebenden Chin in Burma zu dem Ergebnis, dass Organisa- tion und Struktur der Kultur und Gesellschaft der Chin ihre Anpassung an die Umwelt- gegebenheiten sowie die kulturellen Aspekte der Tiefland-BurmanInnen wiederspiegelt (vgl. Lukas 2011: 16f). Das relationale Merkmal ist demnach ein entscheidender Punkt im Bezug auf Ethnien, da Ethnien wie die Kachin oder Chin nicht einzeln vorstellbar sind, sondern immer in Relation mit anderen Ethnien gesehen werden müssen.

3.4 Wir-Gruppen

Wir-Gruppen sind eine Konstruktion, um handlungsfähige Gruppierungen zu ermögli- chen. Eine mögliche Definition kann nach dem Ethnosoziologen Elwert lauten: „[Wir- Gruppe ist ein] Sozialtypus, der seine Identität aus der (subjektiven) Zuschreibung von Eigen- und Fremdbildern schöpft, also erst in Abgrenzung zu Mitmenschen, den ‚Anderen‘, zu gemeinschaftlichen bzw. solidarischem Wesen findet. [Für alle Wir- Gruppen ist es immanent], daß sie auch im besonderen Zustand der ‚Bewegung‘ beste- hen können, d. h. das Erreichen eines postulierten kollektiven Ziels, das mit Stabilisie- rung oder Redefinition des eigenen Gruppenzusammenhangs verbunden wird, rückt in den Vordergrund öffentlicher Kommunikation. [Wir-Gruppen-Formulierungen sind Konstruktionsbegriffe] und bezeichnen also weniger eine soziale Realität, sondern for- dern vielmehr von Einzelnen ein Verhalten, das seiner Zugehörigkeit zur Wir-Gruppe würdig sei.“ (Elwert 1999: 414; Hervorhebung von W. K.)

Ein Wir -Gefühl, das sich nachweislich am prägnantesten in kleinen Gruppierungen bil- det, zeichnet sich auf der anderen Seite über eine hochgradige Dehnbarkeit aus. Die subjektive Einschätzung bezüglich einer Zusammengehörigkeit scheint sich als sehr situationsabhängig darzustellen. Das Andere gibt den Ausschlag über die eigene Grup- penidentität. Von der britischen Sozialanthropologie wird diese Maxime als Segmenta- tion bezeichnet, die Solidarität stets als gleichmäßig oder korrespondierend zur gegen- überstehenden und feindlichen Gruppierung hervorbringt (vgl. Streck 2000: 299).

Elwert machte sich auf dem Feld der Entwicklungssoziologie einen Namen und kam auch aufgrund vieler Feldforschungen in Westafrika hinsichtlich Wir-Gruppen zu der Ansicht: „Die familienübergreifenden Wir-Gruppen, welche Sozialanthropologen in den kolonisierten Ländern fanden, wiesen sehr häufig gerade dort, wo akephale Gruppen die politische Landschaft dominierten, nicht das notwendige Merkmal der Exklusivität auf [….]. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie als exklusives Merkmal zu definieren, war dann die Aufgabe der mit der Verwaltung verbundenen (politisch aber oft ihr wider- sprechenden) Ethnographen und Sozialanthropologen.“ (Elwert 1989: 17; Hervorhe- bung von W. K.)

Elwert verweist darauf, dass vor allem das Zusammenspiel diverser Prozesse zur Stabi- lität von Wir-Gruppen-Prozessen führt und bis hin zu nationalistischen Bewegungen gehen kann. Diejenigen, die Märkte für die eigenen Wir-Gruppen beanspruchen und diejenigen, die über ein Kollektiv nach einer neueren und stärkeren Identität streben, begegnen sich hinsichtlich der Rhetorik auf gleicher Augenhöhe. Denn sie betrachten die gleichen Personen aus einer feindschaftlichen Perspektive heraus und können von daher auch aus den Bemühungen von Personen mit einer anderen Motivationslage, die sich aber in der gleichen Bewegung befinden, ihre Vorteile gewinnen (vgl. Elwert 1989: 29f).

3.5 Ethnische Identität

Identität steht für die kennzeichnenden Eigenschaften eines Individuums oder einer Gruppe und bedeutet daher auch immer eine Unterscheidung und Abgrenzung von an- deren Individuen oder Gruppierungen. Somit handelt es sich bei Identität sowohl um die Eigendefinition als auch um eine Fremdzuschreibung. Daher kann Identität als das Be- wusstsein von Individuen betrachtet werden, einer speziellen Ethnie zugehörig zu sein. Inwieweit cultural stuff und die damit verbundene Konstruktion ethnischer Identität wandelbar ist und ob die Identitätszugehörigkeit mit dem Lebensbeginn festgeschrieben wird, ist an die jeweilige Überzeugung hinsichtlich der theoretischen Sichtweise gebun- den.

Mayburg-Lewis (2003: 100; Hervorhebung von W. K.) beurteilt ethnische Identität dahingehend: „It is the potential, possessed by all human beings, of feeling a special kind of solidarity, analogous to kinship with their fellows. People may feel ‘ethnic’ solidarity on the basis of race, language, religion, history, custom, or a combination of these.”

Der Terminus ethnische Identität fand anfänglich Verwendung bei amerikanischen AnthropologInnen, die damit Gesellschaften der Native Americans bezeichneten, die sich aufgrund des Drucks der Akkulturationsbestrebungen der amerikanischen Regie- rung in einem Prozess des Verfalls befanden (vgl. Schetter 2003: 40). Jenkins (1997: 47) spricht davon, dass „identity is an aspect of the emotional and psychological constitution of individuals; it is, correspondingly, bound up with the maintenance of personal integrity and security, and may be extremely resistant to change.”

Identität stellt jedoch auch einen gesellschaftlichen Prozess dar und ist daher nicht nur auf ein Individuum beschränkt. Kennzeichnend für einen Prozess ist gerade, dass dieser kein statisches Fixum ist, sondern eine Entwicklung stattfinden kann und somit auch Veränderungen möglich sind. Die Relevanz von Grenzziehungen kann in diesem Zu- sammenhang wie folgt erläutert werden: Kulturelle Merkmale, welche als Signalposten für die Grenzen stehen, sind wandelbar, genauso wie die organisatorische Formierung der Gruppierung. Dennoch bleibt sie als Gruppe erhalten, solange die Dichotomie zwi- schen Angehörigen dieser Gruppierung und Außenstehenden anhält (vgl. Heinz 1993: 19ff). „Group identities must always be defined in relation to that which they are not - in other words, in relation to non-members of the group.” (Eriksen 2002: 10; Hervorhebung von W. K.)

Eine doppelte Verbundenheit, also die Übereinstimmung mit sich selbst und mit einer größeren Gruppierung geht mit Identität einher. Dies ist ein Gefühl der Zugehörigkeit, ein sense of belonging zur eigenen Person und gleichzeitig zur dazugehörenden Ethnie. Dies bedeutet, dass jede Identität sowohl eine individuelle als auch eine soziale Komponente beinhaltet. Das Konzept von ethnischer Identität schließt die gegensätzlichen Paare Gemeinsames und Trennendes, sowie Ähnlichkeit und Differenz mit ein. Das Erkunden von Ähnlichkeit mit gleichen Personen verläuft parallel zur Abgrenzung von anderen Personen. Dabei sind sowohl Innen wie Außen die zwei erforderlichen Eigenschaften der Identität einer Gruppe (vgl. Brunner 2002: 52ff).

Identität ist somit ein fortlaufender Prozess einer Subjektivierung in der Beschäftigung mit dem Anderen bei einer gemeinschaftlichen Gestaltung einer sich ständig ändernden sozialen Umgebung. Dabei kann ethnische Identität als eine besondere Ausprägung dieses Prozesses benannt werden (vgl. Stienen/Wolf 1991: 133). Identität beschränkt sich nicht auf die kulturellen Merkmale: „It is not, however, the substantive content of their cultural systems that shapes a people's ethnic identity but the history of their relationship to the state and their position in the structure of society as a whole.” (Guneratne 1998: 751; Hervorhebung von W. K.)

[...]


1 Etwa ab Mitte der 1970er Jahre erlangte das Ethnizitätskonzept Bedeutung innerhalb der anthropologischen Theorie.

2 Für eine ausführliche Beschreibung der Geschichte Burmas sei verwiesen auf: Ludwig (2009): Birma, Steinberg (2010): Burma/Myanmar. What everyone needs to know, Charney (2009): A history of modern Burma.

3 Das Wort Dobama steht für Wir BurmanInnen und die Bezeichnung Asi-ayon bedeutet Zu- sammenschluss. Beeinflussung gab es von der irischen Sinn Féin und deren Kampf für Un- abhängigkeit gegen die britische Hegemonie wurde als Vorbild gesehen (vgl. Ludwig 2009: 40).

4 Mit zunehmendem Selbstbewusstsein nannten sich die Mitglieder der Dobama-Asi-ayon- Bewegung untereinander Thakins. Dies war als eine Brüskierung der britischen Kolonial- macht zu verstehen, da diese Bezeichnung für das Wort Herr steht und als offizielle Anrede für die Kolonialherren fungierte. Die Thakin-Bewegung kann als Ausgangspunkt der moder- nen burmanischen Nationalbewegung angesehen werden (vgl. Ludwig 2009: 40).

5 Mitglieder der 30 Kameraden waren auch Bogyoke Aung San, U Nu sowie Ne Win, die alle bedeutenden Einfluss auf das unabhängige Burma hatten. Die 30 Kameraden wurden zum Ursprung der modernen Armee, der Tadmadaw. Von der Militärjunta wird der Mythos der 30

6 Aung San Suu Kyi ist die Tochter des burmesischen Nationalhelden Aung San, der Burma in die Unabhängigkeit führte. Sie setzt sich für Demokratie in Burma ein, erhielt 1991 den Frie- densnobelpreis und wurde von der Militärjunta immer wieder unter Hausarrest gesetzt.

7 Oliver William Wolters lebte von 1915 bis 2000. Im Jahr 1982 veröffentlichte er die mandala - Studie Culture and Region in Southeast Asian Perspectives.

8 Edmund R. Leach entwickelte diese These als Erster im Artikel Frontiers of Burma und Clif- ford Geertz verfeinerte dies in seinem Buch Negara: The Theatre State in Nineteenth- Century Bali (vgl. Lukas 2011: 257).

9 Soziale Kategorie beinhaltet eine Klasse von Personen, „die sich in einer gemeinsamen Si- tuation befinden und/oder welche ein oder mehrere gesellschaftliche relevante Attribute mit- einander haben.“ (Lukas 2011: 63) Soziale Gruppe ist eine Menge von Personen, „die unter- einander in Übereinstimmung mit feststehenden Verhaltensmustern zu irgendeinem Zweck gemeinsam handeln.“ (Lukas 2011: 63)

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Ethnizität in Burma: Kontinuitäten und/oder Diskontinuitäten?
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie)
Autor
Jahr
2012
Seiten
104
Katalognummer
V278963
ISBN (eBook)
9783656718536
ISBN (Buch)
9783656718529
Dateigröße
848 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnizität, Burma, Myanmar, Kontinuitäten, Diskontinuitäten, Geschichte, Militärputsch, ASEAN, Mandala, Ethnien, Wir-Gruppen, Identität, Stereotypen, Minderheiten, Primordialismus, Instrumentalismus, Konstruktivismus, Theorie, Kritik, Strukturen, Klassifizierungen, Shan, Karen, Kachin, Wa, Tieflandbevölkerung, Hochlandbevölkerung, Bergethnien, Hagesteijn, Traditionen, Freund-Feind-Zuordnung, Renard, Vorkolonialismus, Flexibilität, Interaktionen, Proschan, Kmhmu, Anderson, Elwert, vorkoloniale Phase, Südostsien, Militärjunta, primordiale Theorie, instrumentalistische Theorie, konstruktivistische Theorie, Kolonialismus, Nationalismus
Arbeit zitieren
Wolfgang Krumm (Autor:in), 2012, Ethnizität in Burma: Kontinuitäten und/oder Diskontinuitäten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278963

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