Das außenpolitische Rollenkonzept der EU am Beispiel der europäischen Rohstoffinitiative


Hausarbeit, 2014

34 Seiten, Note: 1,0

Marie Bolderer (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Problemstellung, Zielsetzung und Relevanz der Arbeit
1.2. Vorgehensweise

2. Akteursqualität der EU
2.1. kategoriale Einordnung der EU
2.2. Akteursqualität in den Internationalen Beziehungen
2.3. Überprüfung der Akteursqualität der EU
2.3.1. gemeinsame Handelspolitik
2.3.2. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)

3. Das rollentheoretische Konzept in den Internationalen Beziehungen
3.1. Die EU als Zivilmacht
3.2. die EU als Handelsmacht
3.3. die EU als Großmacht

4. die Rohstoffstrategie der EU
4.1. Hintergrund der Rohstoffinitiative der EU
4.2. Die Rohstoffinitiative 2008/2011
4.3. Operationalisierung der Hypothesen
4.3.1. Arbeitshypothese zum Rollenkonzept Zivilmacht
4.3.2. Arbeitshypothese zum Rollenkonzept Handelsmacht
4.3.3. Arbeitshypothese zum Rollenkonzept Großmacht
4.4. Überprüfung der Hypothesen anhand der Umsetzung der Rohstoffinitiative 2008/2011 im Kongo

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Problemstellung, Zielsetzung und Relevanz der Arbeit

Der Wachstumsstrategie „Europa 2020“ der Europäischen Union (EU) zufolge stellt die Ressourcenknappheit ein gewaltiges Problem für ihre Mitgliedsstaaten dar (vgl. Europäische Kommission 2011b). Als ideologischer Überbau der Wachstumsstrategie wird das „Wachstum-Wohlstand-Tandem“ herangezogen, mit dem die unmittelbaren Folgen der letzten Wirtschaftskrise und die längerfristigen Herausforderungen beantwortet werden sollen. Neben fünf Kernzielen benennt die Europäische Kommission weitere sieben Leitinitiativen zur Konkretisierung der neuen Strategie. Dabei soll die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ (vgl. ebd.) den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft bahnen, welche durch einen langfristig angelegten Aktionsrahmen für Maßnahmen in vielen Politikbereichen herbeigeführt werden soll. Eine dieser Leitinitiative unterstehende Maßnahme ist die 2008 initiierte und 2011 erneuerte europäische Rohstoffinitiative (vgl. Europäische Kommission 2008, 2011a). Die Kommission sieht in der Versorgungssicherheit von Rohstoffen eine zunehmend wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der EU, wobei Europa bei vielen Primärgütern eine hohe Importabhängigkeit aufweist. Ihre Rohstoffstrategie will die EU vor allem in Afrika umsetzen. Dabei müssen neue Maßnahmen im Bereich der EU-Außenpolitik formuliert werden.

Das wesentliche Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit gilt der Frage, ob die gängigen Rollenkonzepte der „Zivilmacht", “Handelsmacht“ und „Großmacht“ das außenpolitische Verhalten der EU im Bereich Rohstoffsicherung in Afrika erklären können. Die empirische Untersuchung des Themas ist aus mehreren Gründen relevant: Zunächst ist es ersichtlich, dass mit der Veröffentlichung eines Strategiepapiers zu jedem beliebigen Thema, mit dem Inkrafttreten einer neuen Richtlinie und Verordnung, im Allgemeinen mit dem Erscheinen jedes beliebigen Policy-Instruments, aus wissenschaftlicher Sicht das Interesse besteht, den Inhalt und die Auswirkungen dieses Instruments (hier die Rohstoffinitiative) zu analysieren. Zumal dieses Papier das erste veröffentlichte Dokument im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik gemäß Art. 207 AEUV nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon darstellt (vgl. Paschke 2011: 893f.). Zweitens, wie das Papier selbst zum Ausdruck bringt, ist die Rohstoffversorgung1, für die Funktion einer Volkswirtschaft unabdingbar und ein brisantes und tagespolitisches Thema. Aus theoretischer Sicht ist das Thema der Arbeit von Bedeutung, weil damit die Rollentheorie auf ihre Gültigkeit am Beispiel der Rohstoffinitiative geprüft wird.

1.2. Vorgehensweise

Ausgehend von der Annahme, dass außenpolitisch handelnde Akteure ein Rollenkonzept entwickeln, soll der (sozial-)konstruktivistische Ansatz der Rollentheorie mit den drei Idealtypen Zivil-, Handels- und Großmacht (vgl. Gaupp 1983; vgl. Kirste/ Maull 1996) vorgestellt und auf die Europäische Union angewendet werden. Es wird nicht die gesamte Außenpolitik analysiert, sondern sich nur auf einen Teilbereich der EU-Außenpolitik konzentriert. Empirisch beobachtbares Verhalten soll an idealtypischen Modellen gemessen und verglichen werden, um zu generalisierenden Aussagen zu gelangen (vgl. Kirste/ Maull 1996: 284). Den theoretischen Rahmen dieser Arbeit bildet die Rollentheorie. Da die Versorgung nichtenergetischer Rohstoffe das Umfeld der Wirtschafts- und Umweltpolitik ebenso wie Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik betrifft, wird vorher zu prüfen sein, ob die EU in diesen Bereichen eine eigenständige außenpolitische Akteursfähigkeit besitzt. Es stellt sich hierbei die Frage, welche Rolle die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung europäischer Außenpolitik spielen und ob die EU als ein einheitliches Gebilde verstanden werden und Träger eines Rollenkonzepts sein kann. Dabei wird der Fokus auf die Gemeinsame Handlungspolitik sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gelegt. Im zweiten Schritt lassen sich von den Idealtypen Zivil-, Handels- und Großmacht Hypothesen und Verhaltenserwartungen für das konkrete außenpolitische Verhalten der EU ableiten und anhand der Rohstoffstrategie im Kongo überprüfen. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse der europäischen Rohstoffinitiative 2011 lässt sich nachweisen, welche Prinzipien handlungsleitend für die europäische Außenpolitik in diesem Bereich sind. Gleichzeitig wird auf das konkrete Rollenverhalten bzw. auf die Umsetzung der Strategie geschaut.

2. Akteursqualität der EU

2.1. kategoriale Einordnung der EU

Nicht nur in der Außenpolitikforschung, sondern bereits in der Analyse der internen Politik existiert ein Streit über das Wesen der Europäischen Union. Als politisches Gebilde sui generis variiert ihre Gestaltung je nach Politikbereich und dabei geht es neben der Frage „What's the nature of the beast?“ (Risse-Kappen 1996) überwiegend um die kategoriale Zuordnung der Europäischen Union in eine internationale Organisation oder ein politisches System.2 Rechtlich gesehen sind die Gründungsverträge der EU sowie der Reformvertrag von Lissabon völkerrechtliche Verträge und im völkerrechtlichen Sinne ist die EU demnach eine internationale Organisation, unabhängig von dem sekundären Gemeinschaftsrecht und der Tiefe der Integration (vgl. Randelzhofer 1994: 40; vgl. Schmidt/ Schünemann 2009: 41). Betrachtet man die Europäische Union allerdings aus dem Blickwinkel der Systemtheorie, so erweist sie sich im Sinne Luhmanns als ein politisches System (vgl. 2000, S. 84), weil sie kollektiv verbindliche Entscheidungen, sei es über die Nationalstaaten oder unmittelbar über die sogenannte Direktwirkung, trifft und damit die zentrale Funktion eines politischen Systems erfüllt3 (u.a. auch an Werken mit Titeln wie „Das politische System der EU“ (vgl. Schmidt/ Schünemann 2009: 45ff.) ablesbar) .

2.2. Akteursqualität in den Internationalen Beziehungen

Da die EU in vielen Bereichen als ein wichtiger internationaler Akteur aufgefasst wird (vgl. Müller-Brandeck-Bocquet 2006: 21), widmet sich auch die Forschung seit geraumer Zeit der Analyse einer europäischen Außenpolitik, insbesondere durch die Etablierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Einführung des Amtes des Hohen Vertreters für GASP.4

Die Außenpolitik der EU ist durch Mehrdimensionalität und Fragmentierung charakterisiert. Insofern stellt sich die Frage, ob die EU als ein eigenständiger Akteur auf der internationaler Bühne auftreten kann, sprich eine außenpolitische Akteursqualität besitzt. Dafür müsste sie zu einem bestimmten Grad eigenständige Entscheidungen treffen und ausführen. Es existiert eine Vielzahl an Literatur zur Akteursqualität der EU5 und zur Erfassung dieser werden in den meisten Studien die beiden „two indispensable concepts“ (Hill 1993: 308) der „actorness“ von Gunnar Sjöstedt (1977)6 und der „presence“ von Allen und Smith (1990)7 herangezogen. Die Komplexität der europäischen Außenpolitik kann man auch umgehen, indem man wie Hocking und Smith die „actorness“ bloß auf die Europäische Kommission überträgt (vgl. 1990: 74f.).

Aus realistischer Sicht besitzen lediglich Nationalstaaten eine Akteursqualität, obwohl es an einer anerkannten Definition, was einen „Akteur“ ausmacht, mangelt (vgl. Sjöstedt 1977: 13; vgl. Jupille/ Carporaso 1998: 213).8 Seit dem Westfälischen Frieden bestehe das internationale System aus gleichberechtigten Staaten, insofern könnten nur Staaten als internationale Akteure angesehen werden (vgl. Sjöstedt 1977: 13):9 „Only states could make treaties, join international organizations and be held account by other states. Legal actorness confers a right participate, but also to be held responsible by other actors, and so incur obligations“ (Bretherton/ Vogler 1999: 16).

Betrachtet man die EU als internationale Organisation, so werden neorealistische und liberal-institutionalistische Ansätze die Akteursqualität der EU als nur schwach ausgeprägt einstufen, da sie vordergründig als Produkt ihrer Mitglieder zählt und folglich ein Instrument der Staaten ist (vgl. Bull 1983: 151; vgl. Bretherton/ Vogler 2006: 14; vgl. Dingwerth/ Blauberger/ Schneider 2011: 70). Auch das Tempo des EU-Integrationsprozess ist dabei weiterhin von den Nationalstaaten bestimmt und kontrolliert, so die Vertreter der intergouvermentalen Integrationstheorie (vgl. Moravcsik 1993: 517ff.)

Betrachtet man hingegen supranationalistische Ansätze der Integrationstheorien kommt der EU durch die Übertragung nationalstaatlicher Souveränitätsrechte eine autonome Rolle zu (vgl. Stone Sweet/ Sandholtz 1998: 8). Die entwickelte institutionelle Eigendynamik der EU könnte insofern von den Nationalstaaten nur bedingt beeinflusst werden. In ihrer Studie über die Vereinten Nationen und die Europäische Gemeinschaft stellten Cosgrove und Twitchett bereits in den siebziger Jahren fest, dass beide durchaus internationale Akteure sind (vgl. 1970: 49), wobei die Autoren andere Kriterien zur Definition eines internationalen Akteurs herangezogen haben.

2.3. Überprüfung der Akteursqualität der EU

Das Konzept der Akteursqualität ist ein „yardstick by which the process of change in EU foreign policy can be monitored“ (Toje 2008: 204). Übertragen auf die EU, impliziert der Akteursbegriff die instrumentell-normativen Möglichkeiten und Ressourcen, sprich die Fähigkeit der EU als Akteur auf das Verhalten von Drittstaaten einzuwirken und eben dieses im Sinne europäischer Werte zu verändern (vgl. Gänzle 2007: 35). Um das Ausmaß der „actorness“ der EU zu erfassen, werden in Anlehnung an Jupille und Caporaso (1998: 214ff) vier operationale Kriterien (siehe Abbildung 1) in den Bereichen Gemeinsame Handelspolitik und GASP/ ESVP untersucht, weil gerade diese beiden Bereiche nach Schukraft das Fundament der EU-Afrikapolitik bilden (vgl. 2007: 128). Die „presence“ wird nicht weiter elaboriert, weil die bloße Präsenz bzw. Existenz der EU in den beiden Untersuchungsarenen unstrittig ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Übersicht der Kriterien für Akteursqualität

Eigene Darstellung in Anlehnung an Jupille/ Caporaso (1998: 14ff). 10

Anhand dieses Analyserasters wird im Folgenden die Akteursqualität der EU in den Politikfeldern Handelspolitik sowie Sicherheits- und Verteidigungspolitik untersucht.

2.3.1. gemeinsame Handelspolitik

Gemäß Abbildung 1 sind die Bedingungen zur Erfüllungen der Akteursqualität im Bereich der Handelspolitik definitiv gegeben. Die de-facto Anerkennung wird durch den Umstand bestätigt, dass die EU durch ihre Rechtspersönlichkeit ein eigenständiges WTO-Mitglied ist. Als Folge der langjährigen Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten sind zahlreiche Vertragswerke entstanden, die die de-jure-Anerkennung manifestieren.11 Auch das Kriterium der Autorität ist durch den Souveränitätstransfer erfüllt. Die gemeinsame Handelspolitik kann man als Außenwirtschaftsbeziehung zu Drittstaaten verstehen, sie ist jedoch ein Teil der Gemeinschaftspolitiken und liegt seit den Römischen Verträgen im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission (vgl. Schmidt/ Schünemann 2009: 172). Insofern muss sie von der intergouvermentalen Außenpolitik im Rahmen von GASP und der ihr unterstehenden Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) getrennt behandelt werden.

Nach dem Vertrag von Lissabon wird die Gemeinsame Handelspolitik der EU in Art. 206 und Art. 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt. Demnach gehören zu den Kompetenzen der Union der Abschluss von Wirtschaftsabkommen, die Gestaltung der Ausfuhrpolitik sowie handelspolitische Schutzmaßnahmen wie die Abwehr unfairer Handelspraktiken (Art. 207, Abs. 4 AEUV). Im Auftrag des Rates und in Beratung eines Lenkungsausschusses, dem sogenannten „133-Auschuss“12, ist die Kommission für die Aushandlung und Verwaltung von Handelsabkommen, die Änderungen von Zollsätzen, Zoll- und Handelsbestimmungen sowie Schutzmaßnahmen zuständig (vgl. ebd.). Abkommen mit Drittländern oder internationalen Organisationen beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit (vgl. ebd.). Das scheint ein Merkmal der Autonomie, die allerdings schwächer ausgeprägt ist, weil die Mitgliedstaaten über den Rat und den 133-Ausschuss Einfluss auf die Kommission ausüben können und die Abkommen teilweise selbst ratifizieren müssen. Unterschiedliche Verfahren zur Einigung über Abkommen stellen die Kohäsion sicher. Die Output-Kohäsion, die letztlich die Fähigkeit der Akteure beschreibt, eine Einigung zu erzielen, ist erfüllt, weil alle drei Dimensionen (Wertekohäsion, taktische sowie prozedurale Kohäsion) vorhanden sind.

2.3.2. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)

Im Vergleich zu anderen Politikfeldern gehören die GASP und EVSP eher zu den Bereichen mit geringen Integrationsfortschritten. Sie bildeten die zweite intergouvermentale Säule des Maastricht-Tempels, wobei die ESVP ein integraler Bestandteil der GASP ist (vgl. Schmidt/Schünemann 2009: 308). Seit dem Lissaboner Vertrag wurde mit dem Amt des „Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik“ und der Einrichtung eines Auswärtigen Dienstes die Effizienz der EU-Außenpolitik gestärkt (vgl. Regelsberger 2008: 267; vgl. Schmidt 2010b: 211). Bei der Georgien-Krise 2008 kann man davon sprechen, dass Europa mit einer Stimme sprach. Gescheitert ist die europäischen Außenpolitik hingegen bei den Jugoslawien-Kriegen 1992 und 1995 sowie der NATO-Intervention im Kosovo 1999, dem Streit im Irak-Krieg oder bei der Libyen-Intervention. Die Europäische Union steht bei großen außenpolitischen Krisen als Verhandlungspartner neben den USA, China oder Russland, wird jedoch aufgrund der Vielzahl von Teilakteuren und ihren unterschiedlichen Interessen nicht als ein verlässlicher Akteur eingestuft, zumal sie auch über keine nennenswerte militärischen Kapazitäten verfügt (vgl. Schmidt/ Schünemann 2009: 299). Die berühmte „Telefonnummer Europas“ fehlt bis heute (vgl. ebd.). Sowohl die de-facto, als auch die de-jure Anerkennung fällt aufgrund der Vielzahl von Teilakteuren nicht einheitlich aus.

Ausschlaggebend ist jedoch das kohärente Auftreten gegenüber Afrika, für das auch die zivil-militärischen Aktionen stehen, darunter im Ostkongo 2003 („Operation Artemis“) und im Tschad (EUFOR-Mission). Auf Betreiben der einstigen Kolonialmächte Frankreich und Belgien unterhielt die EU schon immer Sonderbeziehungen zu den afrikanischen Staaten. Für Schmidt demonstriert das mit Krisen behaftete EU-Afrika-Engagement den Anspruch der EU, ein bedeutender Akteur in Afrika zu sein (vgl. 2010b: 208), obwohl die Kommission und der Rat oft unterschiedliche Ansichten über die Realisierung bestimmter Maßnahmen haben (vgl. Schukraft 2007: 188). De-facto und de-jure Anerkennung sind durch zahlreiche Abkommen mit der Afrikanischen Union, die explizit die Sicherheitspolitik betreffen, gegeben.13

Für das zweite Gütekriterium – Autorität – im Bereich der Sicherheit und Verteidigung kann die Vorgeschichte der ersten außereuropäischen Mission der ESVP („Artemis“) im Kongo dienen. Infolge der Eskalation in der Provinz Ituri bat der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) Kofi Annan die Mitglieder der UN, im speziellen auch den „Hohen Vertreter“ der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, eine Koalition zu formen, um die kriegerische Entwicklung im Osten des Kongos einzudämmen. Frankreich erklärte sich bereit, seine geplante Operation unter dem Codenamen „Mamba“ unter die Ägide der ESVP zu stellen und übertrug damit nationalstaatliche Befugnisse auf die europäischen Institutionen (vgl. Faria 2004: 41). Auch die intergouvermentale Methode wurde aufgeweicht. Der Lissaboner Vertrag ermöglicht mit der Einführung einer „Passerelle-Klausel“ die Bereiche der GASP, die der Einstimmigkeit unterliegen, nach einem einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates in eine Mehrheitsentscheidung zu überführen (vgl. Rat der Europäischen Union 2008).14

Der Aspekt der Autonomie fragt die institutionelle Fähigkeit ab, unabhängig von anderen Akteuren zu handeln. Es lässt sich konstatieren, dass die EU zweifelsohne über ein bestimmtes Maß an eigenen zivilen und militärischen Ressourcen verfügt, jedoch mangelt es ihr in der Praxis an ausreichend autonom geführten militärischen Führungsstrukturen. Die EU muss insofern auf nationale Militärkapazitäten sowie auf die Möglichkeit zurückgreifen, NATO-Hauptquartiere einzubeziehen.

Das Kriterium der Kohäsion kann am Fall der Kongo-Mission „Artemis“ nachgezeichnet werden, da hier ein geschlossenes Zusammenwirken der beteiligten EU-Akteure hergestellt werden konnte. Die erforderliche Kohärenz während der Mission im Kongo hing vom reibungslosen Zusammenspiel zwischen dem Hohen Vertreter, dem EU-Sonderbeauftragten für die African Great Lakes Region, sowie dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) und dem Militärausschuss der EU (EUMC) ab. Die EU demonstrierte mit dem Einsatz ihre Einigkeit, schnell auf Krisensituationen zu reagieren (vgl. Mace 2003: 3). „So sprachen die Kurzfristigkeit der Operation sowie die politische Geschlossenheit bei der Mandatsdurchsetzung für einen funktionsfähigen und flexiblen Krisenreaktionsmechanismus, dessen Unterbeweisstellung zum Ansehensgewinn der EU beigetragen hat“ (Sandewi 2007: 141).

Zusammenfassend lässt sich die These eines globalen Akteurs Europäische Union bestätigen. In beiden Untersuchungsfeldern erfüllt die EU jeweils drei der vier Komponenten die das Ausmaß an actorness messen soll. Das Kriterium der Autonomie ist in beiden Feldern jedoch unterschiedlich stark eingeschränkt. Weist die Handelspolitik lediglich geringe Einschränkungen durch den Einfluss des sogenannten 133-Ausschusses auf, so sind die Mängel in der GSVP schon erheblich und sprechen der EU in diesem Bereich die Akteursqualität ab.

3. Das rollentheoretische Konzept in den Internationalen Beziehungen

Analog zur Innenpolitik gibt es auch in der Außenpolitik dauerhafte Einstellungen und Verhaltensmuster, „die die Summe der geographischen, historischen und situativen Einflüsse und Erfahrungen einer Gesellschaft gewissermaßen in geronnener und verfestigter Form widerspiegeln“ (Kirste/ Maull 1996: 284) und als außenpolitische Kultur bezeichnet werden können (vgl. ebd.). Diese unterschiedlichen außenpolitischen Verhaltensmuster und Akteurspräferenzen sollen mit der Rollentheorie erklärt werden, die ursprünglich aus der Soziologie und Sozialpsychologie stammt (vgl. Schäfers 2008: 34f.) und im Rahmen der Politikwissenschaft als konstruktivistisch, kognitiver Ansatz einzuordnen sind (Schaber/ Ulbert 1994: 144f.; vgl. Kirste/ Maull 1996: 285f.).

Rollen sind generalisierende und normative Verhaltensweisen (vgl. Mayntz 1980: 2043). Eine Rolle anzunehmen, bedeutet das „Verhalten, das vom Inhaber einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung [...] im Umgang mit anderen allgemein erwartet wird“ (Gaupp 1983: 21). Diese Definition betont die Rollenerwartung, die von außen an den Akteur herangetragen wird. Viele Arbeiten zur Rollentheorie konzentrieren sich dagegen auf die eigene Rollenvorstellung des Rolleninhabers. Dieser Ansatz ist bei einer Auswertung des außenpolitischen Handelns eines Staates eher heranzuziehen (vgl. Jönsson/ Westerlund 1982: 131; vgl. Kirste/ Maull 1996: 286f.). In dieser Arbeit werden in Anlehnung an Gaupp Rollen „als geplante - d.h. kollektiv normierte und individuell konzipierte - und von Repräsentanten realisierte Einstellungs- und Verhaltensmuster von Staaten [...] in internationalen Systemen“ definiert (1983: 109). Ein Rollenkonzept entsteht durch einen Prozess der Sozialisierung sowie der Interaktion zwischen Staaten15 und wirkt nachhaltig auf das Rollenverhalten der zentralen Entscheidungsträger (vgl. Kirste/ Maull 1996: 287). Daraus folgend ermöglicht eine systematische Beschreibung des Rollenverständnisses und Rollenverhaltens von Akteuren in diesem Fall die Ableitung von Kriterien für die Bewertung außenpolitischen Verhaltens. Zu beachten ist, dass die Rollenmodelle lediglich Idealtypen aus einer Vielfalt möglicher Rollen darstellen. Kein Akteur repräsentiert vollständig eine Rolle oder handelt dementsprechend rein wert- oder zweckrational. Bevor die drei Idealtypen Zivil-, Handels- und Großmacht auf die Europäische Union bezogen vorgestellt werden, ist es wichtig zu betonen, dass keine klassische rollentheoretische Analyse durchgeführt werden soll, da mehrere Indikatoren abgefragt werden müssten16, was den Umfang und die Ausrichtung dieser Arbeit übersteigen würde.

3.1. Die EU als Zivilmacht

Zivilmacht ist eines von mehreren außenpolitischen Rollenkonzepten, die ein staatlicher Akteur einnehmen kann, wenn „dessen außenpolitisches Rollenkonzept und Rollenverhalten gebunden sind an Zielsetzungen, Werte, Prinzipien sowie Formen der Einflußnahme und Instrumente der Machtausübung, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen“ (Kirste/ Maull 1996: 300).17 Für die Konzeptualisierung des Begriffs fehlten lange Zeit aber zentrale Bestimmungsfaktoren, um aus dem normativen Ideal konkrete Fälle überprüfen zu können. Erst in den 90er Jahren wurde „Zivilmacht“ als ein weit verbreiteter Idealtypus in rollentheoretischen Analysen, die ein neues Erklärungsmodell für außenpolitisches Handeln entwickelten, herausgebildet. Da nicht nur Staaten eine außenpolitische Akteursqualität besitzen (s. Kapitel 2), lässt sich das Rollenkonzept der Zivilmacht auch durchaus auf die Europäische Union übertragen, zumal der europäische Integrationsprozess aus einem sicherheitspolitischen Motiv geboren wurde, nämlich der nachhaltigen Befriedigung Europas (vgl. Jünemann/ Schörnig 2002: 4). Vor diesem Hintergrund prägte François Duchêne vor rund 40 Jahren den Terminus der „civilian power Europe“, der im Mittelpunkt zahlreicher Forschungsstudien stand18 und wie folgt zu verstehen ist: „A civilian power is an antity that does have influence in the international system by using mainly economic, financial and political means, but not military power“ (Stavridis 2001: 3). Auch für Lofthouse und Long ist das Fehlen militärischer Kapazitäten die hinreichende Bedingung für den Status als Zivilmacht (1996: S. 182f), während andere Autoren wie Kirste und Maull darauf beharren, dass dieser Status erst mit der Erfüllung eines Katalogs qualitativer Kriterien vergeben werden kann und militärische Macht unter ganz bestimmten Bedingungen legitim sei (Selbstverteidigung und UNO-Mandat) (vgl. 1996: 299ff.).

[...]


1 Auch die Erdöl- und Gasabhängigkeit der EU mündete 2007, offenbart durch zahlreiche Gaskonflikte zwischen der Ukraine und Russland, in die erste europäische Energiestrategie, die viele energiepolitische Grundsatzpapiere als Nachfolger hat (vgl. Baumann/ Fischer 2012: 153).

2 Die Zuordnung ist besonders wichtig im Zusammenhang mit dem möglichen Demokratiedefizit der EU und ihrer Legitimationsgrundlage. Wenn man die Europäische Union als eine Internationale Organisation einstuft, so lässt sich ein Demokratiedefizit nur schwer begründen, da in den Gründungsverträgen der Begriff „Demokratie“ nicht vorkommt (vgl. Randelzhofer 1994: 41). Seit dem Maastricht-Urteil erkennt das Bundesverfassungsgericht die zweigleisige Legitimationsgrundlage der EU an (Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat sind durch die nationalen Parlamente und die Direktwahl des Europäischen Parlaments legitimiert).

3 Zürn (1996), Abromeit (1998) oder Siedentop (2002) stufen die EU ebenfalls als ein politisches System ein.

4 Es wird bescheinigt, dass mit dem Hohen Vertreter für GASP Javier Solana die Außenpolitik der EU sichtbarer wurde (vgl. Bretherton/ Vogler 2006: 9).

5 Untersuchungen dazu u.a. bei: Cosgrove/ Twitchet (1970), Sjöstedt (1997), Taylor (1982), Gingsberg (1989), Hill (1993), Peterson (1998), Jupille/ Caporaso (1998), Bretherton/ Vogler (1999, 2006), Telò (2006), Gänzle (2007), Jopp/ Schlotter (2007).

6 Weiterentwickelt wurde dieses Konzept von Bretherton und Vogler (1999, 2006).

7 „The central argument here is that Western Europe is neither a fully-fledged state-like actor nor a purely dependent phenomenon in the contemporary international arena. Rather, it is a variable multi-dimensional presence, which plays an active role in some areas of international action and a less active one in others“ (Allen/ Smith 1990: 20).

8 „There is (...) no satisfactory definition of the concept of 'actor' to be found in the literature. It is generally taken for granted that there is no need for any extensive or theoretical discussion of what an international actor really is.“ (Sjöstedt 1977: 13). Keohane und Nye haben beispielsweise sechs Typen von internationalen Akteuren identifiziert (vgl. 1973: 380), während Rosenau in seiner Typologie zwischen „micro actors“ (citizens, officials and leaders, private actors) und „macro actors“ (states, transnational organizations, leaderless publics, social movements) unterscheidet (vgl. 1990: 19).

9 „That the main actors in the international system, the nation states, are easily discerned and can be taken for granted seems to be general opinion.“ (Sjöstedt 1977: 13).

10 „Value cohesion simply refers to the similarity or compatibility of basic goals. If goals are somewhat different but can be made to fix with one other another through issue linkages and side payments, we speak of tactical cohesion. (...) In contrast, procedural cohesion implies some consensus on the rules and procedures used to process issues where conflict exits. (...) To be sure, output cohesion will be affected by the level of agreement on goals and procedures as well as the degree to which it is possible to link issues tactically.“ (Jupille/ Caporaso 1998: 220).

11 Dazu zählen vor allem die Yaoundé-Verträge, die viermal erneuerten Lomé-Abkommen sowie das Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000.

12 Dieser berät die Kommission in handelspolitischen Fragen. Seinen Namen hat er vom Artikel 133 des EGV, der die Handelspolitik der EU regelt. Der 133er-Ausschuss setzt sich aus Experten der Wirtschaftsministerien der EU-Mitgliedsländer zusammen, die vom Rat ernannt werden.

13 Die EU unterstützt die mit der „African Peace Facility“ AU-Friedenseinsätze in einer Höhe von 300 Millionen Euro (vgl. Schmidt 2010b: 2007). Hinzu kommen, die verschiedenen sicherheitspolitischen Dokumente und Strategiepapiere, die aus dem 2. Europäisch-Afrikanischen Gipfel in Lissabon 2007 entstanden sind. Um Konfliktprävention zu betreiben setzte die EU bereits seit 1993 auf den von der OAU geschaffenen Konfliktlösungsmechanismus (vgl. Schmidt 2007: 95).

14 Einschränkend muss erwähnt werden, dass Handlungsmaßnahmen der GASP/ESVP, die lediglich mit qualifizierter Mehrheit abgegeben werden, weniger Gewicht haben, da die EU nicht mit „einer Stimme“ spricht. Für Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen gelten diese Ausnahmen von der Einstimmigkeit nicht.

15 „The first social act creates expectations on both sided about each other's future behavior (...) baded on this tentative knowledge, ego makes a new gesture, again signifying the basis on which it will respond to alter, and again alter responds, adding to the pool of knowledge each has about the other, and so on over time“ (Wendt 1992: 405).

16 Hierzu zählen: Normen, Werte, Weltbild, gesellschaftlich konstituierte außenpolitische Zielsetzungen, Selbst- und Fremdperzeption, historische Erfahrungen, kulturelle Eigenheiten (vgl. Kirste/ Maull 1996: 300; vgl. Kirste 1998: 15ff).

17 Um den Status einer Zivilmacht zu erlangen, bedarf es laut Maull auch zahlreicher innenpolitischer Voraussetzungen wie ein demokratisch-rechtstaatliches System mit garantierten Partizipations-und Grundrechten sowie ausreichenden Wohlstand und „historische Lernprozessen, die die Kosten militärischer Macht und die Notwendigkeit einer Überwindung des traditionellen Sicherheitsdilemmas durch supranationale Kooperation und Souveränitätsverzicht als gesellschaftlichen Konsens in Elite und Bevölkerung etabliert haben“ (1992: 781).

18 Dazu zählen u.a. Galtung (1973), Bull (1983); Hill (1990), Lofthouse/ Long (1996), Manners/ Whitman (1998), Whitman (1998), Smith (2000), Stavidis (2001), Larsen (2002), Maull (2005) und Orbie (2006).

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Das außenpolitische Rollenkonzept der EU am Beispiel der europäischen Rohstoffinitiative
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
34
Katalognummer
V283871
ISBN (eBook)
9783656839361
ISBN (Buch)
9783656839378
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rollenkonzept, beispiel, rohstoffinitiative
Arbeit zitieren
Marie Bolderer (Autor:in), 2014, Das außenpolitische Rollenkonzept der EU am Beispiel der europäischen Rohstoffinitiative, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283871

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