Verfall von Werten wie Liebe und Freundschaft in einem kapitalistischen System. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Bertolt Brecht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Mahagonnys Geschichte

2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1. Die Weimarer Republik
2.2 Wirkungsstätte Berlin
2.3 Das epische Theater

3. Einleitung

4.Hauptteil
4.1 Die Saat des Kapitalismus
4.2 Die Freunde im System
4.3 Revolte und Erkenntnis
4.4 Neue Regelwerke

5. Fazit: Lebendiger Organismus

Verwendete Literatur

1. Mahagonnys Geschichte

Die drei Betrüger Leokadja Begbick, Willy der Prokurist und Dreieinigkeitsmoses errichten auf der Flucht vor der Exekutive, in einer noch unbewohnten Gegend nahe am Meer die „Paradiesstadt“Mahagonny, um an die Funde der Goldgräber aus den umliegenden Bergen heranzukommen. Der Leitspruch der Stadt ist „Ruhe und Frieden“ und den ankommenden Männern werden Alkohol und Liebesdienste von „Mädchen und Knaben“ versprochen (Brecht, Bertolt: Frühe Stücke, Berlin: Suhrkamp Verlag, 1955, Szene 1, S.315). Überall sind Tafeln mit Regeln und Verboten angebracht, die das Leben in Mahagonny nach den Vorstellungen der Stadtgründer gestalten sollen. Die Einwohnerzahl der „Paradiesstadt“ nimmt rasant zu, da ihr „die Unzufriedenen aller Kontinente“ entgegenziehen (Brecht, 4, S.319). Unter den Neuankömmlingen befinden sich auch vier Holzfäller aus Alaska, Paul Ackermann, Jakob Schmidt, Heinrich Merg und Joseph Lettner, die in Abgeschiedenheit von der Zivilisation die letzten sieben Jahre für ihren Lohn hart arbeiten mussten. Bereits bei ihrer Ankunft in Mahagonny sehen sie Männer mit Koffern aus der Stadt fliehen (Brecht, 5, S.325). Obwohl ihnen Nahrung, Getränke und Mädchen im Überfluss, gegen Bezahlung, zur Verfügung gestellt werden, bemerkt Paul: „Aber etwas fehlt“. Als die Stadt und ihre Bewohner eines Tages durch einen heranrasenden Hurrikan dem Untergang geweiht zu sein scheinen, zerschlägt Paul alle Verbotstafeln und propagiert ein Leben jenseits jeglicher Verbote (Brecht, 11, S.344). Daraufhin verschont der erwartete Hurrikan Mahagonny und die Stadtbewohner erhalten Pauls Leitspruch: “Du darfst es!“ aus der „Nacht des Grauens“ (Brecht, 11, S.340) als neue Maxime aufrecht. Es gilt einzig vier Punkte zu beherzigen und zwar das „Fressen“, den „Liebesakt“, das „Boxen“ und das „Saufen“ (Brecht, 12, S.348). Nachdem sich Jakob zu Tode gefressen hat, sich die Bewohner der Stadt im Bordell vergnügt haben und Joseph bei einem Boxkampf gegen einen Hünen zu Tode gekommen ist, betrinkt sich Paul mit den Männern der Stadt ohne die Zeche für sein initiiertes Gelage zahlen zu können. Mittellos hofft er auf die finanzielle Unterstützung des letzten verbliebenen Freundes aus Alaska, Heinrich Merg, um die Verurteilung zum Tode abzuwenden, doch dieser versagt Paul seine Hilfe. Auch Jenny, eine Prostituierte, die Paul während der Zeit in Mahagonny finanzierte, lässt ihn in der Gerichtsverhandlung im Stich. Paul wird auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Ohne jegliche Form von Erkenntnis: „Und in zunehmender Verwirrung, Teuerung und Feindschaft aller gegen alle“ richtet sich die „Netzestadt“ mit ihren Bewohner schließlich selbst zu Grunde und brennt nieder (Brecht, 20, S.382).

2. Geschichtlicher Hintergrund

2.1. Die Weimarer Republik

Das Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny entsteht im Jahre 1929. Die Weimarer Republik leidet stark unter der Weltwirtschaftskrise und es liegen bereits schwere Auseinandersetzungen, wie etwa der Kapp-Putsch und der Ruhrkampf, beide 1920, oder der Hitler-Ludendorff-Putsch im Jahre 1923, hinter ihr. Der Demokratisierungsgedanke, der die Gründung der Republik anfänglich möglich gemacht hat, wird von einer zunehmend nationalsozialistischen Gesinnung innerhalb der Bevölkerung unterwandert. Die alte Ordnung des Kaiserreiches ist mit der neuen Verfassung offiziell zurückgelassen worden, aber in den Köpfen lebt sie ihre Beständigkeit und schürt unaufhörlich ein Zurückdrängen der demokratischen Gesetze, gegen die auch der demokratisch orientierte Flügel nicht vehement genug angehen kann. In dem Artikel 118 der Verfassung der Weimarer Republik heißt es: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern“, und weiter: „Eine Zensur findet nicht statt.“ (J. B. Metzler, Deutsche Literaturgeschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 7. Auflage, S.393). Tatsächlich ist dieses freiheitlich angepriesene Recht nur eine zur Illusion degradierte Wunschvorstellung ohne jegliche Durchsetzungskraft. Mit der stetigen Unterwanderung der nationalsozialistischen Mächte in der Regierung wird das Recht der freien Meinungsäußerung von den sogenannten „Notgesetzen“ außer Kraft gesetzt. 1925 wird das „Republikschutzgesetz“[1] erlassen. Schriftsteller, die sich gegen bestehende Missstände in ihren Werken aussprechen, werden auf Grundlage dieses Gesetzes plötzlich verfolgt und verhaftet (Ebd., S.393). Die Leserschaft selbst wird kontinuierlich in ihrer Meinungsbildung beeinflusst und auch Brecht gerät zunehmend in den Fokus nationalsozialistischer Literaturkritik. „[…]Diejenigen, die ihnen [den Nationalsozialisten] als Feinde des deutschen Volkes gelten, linke, kommunistische und jüdische Autoren und Kritiker, werden im Parteiorgan der NSDAP, dem Völkischen Beobachter, mit Mitteln der Beleidigung, Denunziation, Verleumdung oder gar Morddrohung attackiert. Josef Stolzing, Münchner Theaterreferent des Völkischen Beobachters, kämpft gegen die „Verjudung“ des Theaters und die Aufführung Brechtscher [sic!] Stücke.“ (Oliver Pfohlmann, Literaturkritik, Geschichte – Theorie – Praxis, hrsg. Thomas Anz/Rainer Baasner, München: Beck Verlag, 2004, S.114). Dramatischer Höhepunkt Brechts Verunglimpfungen ist schließlich die Flucht ins schwedische Exil (1933) und die Aberkennung der Deutschen Staatsbürgerschaft. (Bertold Brecht: Sein Leben in Bildern und Texten, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2000, 173, S.119).

2.2 Wirkungsstätte Berlin

1924 zieht es Brecht vom „spießig und provinziell eingeschätzten München“ dauerhaft in die Millionenstadt Berlin. Bereits im Dezember 1923 kündigt Brecht den geplanten Umzug nach Berlin, in einem Brief an Helene Weigel, mit den Worten an: „Auf nach Mahagonny“(Jan Knopf, Brecht Handbuch in fünf Bänden, Stuttgart; Weimar: Verlag J. B. Metzler 2001, Bd.1, S.181). Der literarische Grundgedanke zu einer möglichen „Paradiesstadt“ namens Mahagonny keimt in Brecht bereits Anfang der zwanziger Jahre, auch wenn dieser sich nach den Erinnerungen von Bronnen[2] und einer ersten schriftlichen Erwähnung in einem Brief vom Juli 1923 zunächst primär auf die nationalsozialistische Entwicklung unter anderem durch Hitler bezieht (Bronnen, Arnolt: Tage mit Bertolt Brecht. Die Geschichte einer unvollendeten Freundschaft, Wien: Desch Verlag, 1960, S.116). Am Deutschen Theater erhält Brecht gemeinsam mit Carl Zuckmayer[3] eine Anstellung als Dramaturg (Jan Knopf: Bertolt Brecht/Jan Knopf, Stuttgart: Reclam Verlag, 2000, S.22). Berlin hat sich in den ersten zwei Jahrzehnten des Zwanzigsten Jahrhunderts aus seinem kleinbürgerlichen Dasein zu einer Weltstadt mit politischem und kulturellem Format entwickelt. Es stellt nun den bevorzugten Wirkungsort für Intellektuelle, Freigeister, Künstler und Schriftsteller dar, wird aber auch zu einem Anziehungspunkt für provinzielle ‚Glücksritter‘, die es auf der Suche nach besseren Lebensumständen und beruflichen Möglichkeiten, trotz wachsender Prosperität und Arbeitslosigkeit, in die Metropole an der Spree verschlägt. Heinrich Mann schreibt 1921, in einem pathetischen Artikel über Berlin: „Die Zukunft Deutschlands wird heute andeutungsweise vorausgelebt in Berlin. Wer Hoffnung fassen will, blicke dorthin.“ (J.B. Metzler, Brecht Handbuch, S.418).

2.3 Das epische Theater

In dieser Zeit, der Verstädterung, der großen Entwicklungen, sowohl auf wissenschaftlicher, als auch auf technischer Ebene, widmet sich Brecht erstmals den Überlegungen zu einem „epischen Theater“. Das Erfordernis einer neuen Theaterreform bergründet Brecht vor dem historischen Hintergrund der letzten vergangenen Jahrhunderte, die er als „wissenschaftliches Zeitalter“ charakterisiert. Der Mensch ist der Natur und ihren Widrigkeiten nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern hat aufgrund der bedeutenden wissenschaftlichen Fortschritte und der innovativen Technisierung an Macht gewonnen. Bei dieser Entwicklung sind aber die zwischenmenschlichen Bereiche weiterhin undurchsichtig geblieben und sind nicht in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtungsweisen gerückt. Das epische Theater soll nun durch seine Darbietung mit einer aufklärerischen, belehrenden Absicht, Einblick in den Lebensalltag zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Beziehungen geben, und dem Zuschauer erleuchtend zur Seite stehen: „Das neue Theater, […], hat demnach zum Ziel, die Sphäre der gesellschaftlichen Verhältnisse dem Verständnis des Zuschauers zugänglich zu machen und auf diesem Wege letztlich auch seiner Kontrolle und seinem zielgerichteten Eingreifen zu unterwerfen[…]“ (Ulrich Kittstein: Bertolt Brecht, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2008, S.36). Zentraler Bestandteil des epischen Theaters ist die treffsichere Konfrontation des Publikums mit allgegenwärtigen Alltagsproblemen, die einen tieferen Einblick in das eigene Leben liefern sollen und die Möglichkeit geben es kritisch zu hinterfragen (Kittstein, Bertolt Brecht, S.37).

Durch die neuartig gestaltete Theaterform kommt es bei der Uraufführung der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny am 09.März 1930 im Neuen Theater Leipzig unter der Regie von Casper Neher[4] zu einem Theaterskandal. Die nationalen und deutschnationalen Lager sehen in dem Stück eine gezielte Provokation in ihre Reihen und stören den Ablauf der Darbietung maßgeblich.

3. Einleitung

Im Folgenden widme ich mich einer eingehenden Textanalyse zu Bertolt Brechts Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny aus dem Jahre 1929, im Hinblick auf den Zerfall der Werte, wie Liebe und Freundschaft, innerhalb eines kapitalistischen Systems.

Es ist in der literaturwissenschaftlichen Forschungswelt mittlerweile nicht unüblich Mahagonny, als „Spiegelbild der kapitalistischen Welt“ zu sehen und damit zeitgleich als Verkörperung, der pulsierenden, dem stetigen Wachstum unterzogenen Metropolen zur Zeit der Verstädterung. (Jan Knopf, Bertolt Brecht, S.105) Mahagonny entsteht aus dem Nichts, seine Wiege ist ein unwirtlicher Ort am Rande einer Wüstengegend. Für die drei betrügerischen Stadtgründer entsteht Mahagonny ausschließlich vor dem Hintergrund der Kapitalerwirtschaftung, die Tatsache, dass die Stadt seine Gründung nur einem defekten Lastwagen verdankt, ist hierbei nebensächlich. Die „Unzufriedenen aller Kontinente“, die sich hoffnungsvoll und neugierig in eine vermeintlich bessere Zukunft aufmachen, und der ursprünglichen Einöde Leben einhauchen, pilgern hierbei nicht dem Kapitalismus entgegen, sondern suchen alle ihre persönliche Erfüllung im global propagierten Glanz Mahagonnys. Die Sehnsucht nach einem einträchtigen Leben in Harmonie treibt sie der „Goldstadt“Mahagonny entgegen. Sie alle erscheinen zunächst wie Suchende auf einer Pilgerreise, deren Ziel sich einzig um einen befriedigenden Grundkonsens menschlicher Glückseligkeit dreht. Eine alles umfassende Erfüllung von Sehnsüchten, vorwiegend im körperlichen Sinne, wird primär nicht maßgeblich für die Suche gewesen sein. Dass eine emotionale Sättigung des Geistes ebenso lebensnotwendig ist und Geld allein nicht glücklich machen kann, wird nicht von allen Protagonisten in Mahagonny intellektuell wahrgenommen. Wie kommt es innerhalb einer Gemeinschaft zu solch einer Diskrepanz zwischen Humanismus und abgestumpfter Gleichgültigkeit?

[...]


[1] „Das Republikschutzgesetz schützte das Leben und die Ehre von Mitgliedern der Reichsregierung und Landesregierungen, stellte die Billigung von Gewalttaten, die Verächtlichmachung und Beschimpfung der republikanischen Staatsform und Verfassung sowie der Reichsfarben unter Strafe und gab den Landeszentralbehörden Vollmachten zum Verbot verfassungsfeindlicher Parteien, Vereinigungen und Presseerzeugnisse.“

[2] Arnolt Bronnen, 1895-1959, österreichischer Schriftsteller, Theaterautor und Regisseur

[3] Carl Zuckmayer, 1896-1977 deutscher Schriftsteller und Dramaturg

[4] Caspar Neher, 1887-1962, deutsch-österreichischer Bühnenbildner und Regisseur, enger Freund Bertolt Brechts

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Verfall von Werten wie Liebe und Freundschaft in einem kapitalistischen System. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Bertolt Brecht
Hochschule
Universität Rostock  (Germanistik)
Veranstaltung
Brechts Werk in der Weimarer Republik
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
17
Katalognummer
V288533
ISBN (eBook)
9783668399228
ISBN (Buch)
9783668399235
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verfall, werten, liebe, freundschaft, system, aufstieg, fall, stadt, mahagonny, bertolt, brecht
Arbeit zitieren
Nadia Naji (Autor:in), 2014, Verfall von Werten wie Liebe und Freundschaft in einem kapitalistischen System. "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Bertolt Brecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288533

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