Rituale in der Schule

Empirische Analyse eines Wochenrituals in einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe aus Schüler/innen-Perspektive


Bachelorarbeit, 2013

66 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1. Ritualtheorien
1.1.1. Émile Durkheim
1.1.2. Albert Bergesen
1.1.3. Alfred Radcliffe-Brown
1.1.4. Max Gluckman
1.1.5. Roy A. Rappaport
1.1.6. Jörg Zirfas
1.1.7. Mary Douglas
1.1.8. Erving Goffman
1.1.9. Ronald Grimes
1.1.10. Arnold van Gennep
1.1.11. Christoph Wulf
1.1.12. Victor Turner
1.2. Vernetzung

2. Rituale in der Schule
2.1. Anwendung
2.2. Diskussion

3. Methodik und Methodenreflexion
3.1 Methodische Grundlagen der Ausarbeitung
3.2. Methodenreflexion

4. Erhobenes Datenmaterial
4.1. Beobachtung
4.2. Lehrerbefragung
4.3. Lerngruppenbefragung

5. Analyse Montag-Morgen-Kreis als Ritual
5.1. Die Perspektive der Schülerinnen und Schüler
5.2. Die Perspektive der Lehrkraft

6. Fazit

Quellenverzeichnis

1 Einleitung

In meiner Ausarbeitung werde ich mich mit der Thematik der Rituale beschäftigen. Hierbei werde ich mich speziell auf den Montag-Morgen-Kreis als Wochenritual beziehen.

Die Hinterfragung der Funktion und des Nutzens von Ritualen im schulischen Alltag erscheint mir vor dem Hintergrund meiner zukünftigen Tätigkeit als Lehrerin besonders wichtig.

Rituale sind aufgrund der vielfältigen Theorien nicht eindeutig zu definieren und werden trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, in der Schulpädagogik kontrovers diskutiert.

In meiner Arbeit möchte ich herausarbeiten, welche Argumente für und gegen den Einsatz von Ritualen im Allgemeinen und der Einrichtung eines Montag-Morgen-Kreises im Speziellen sprechen. Dies werde ich in einer fundierten Analyse meiner Beobachtung erarbeiten. Es interessiert mich hierbei nicht nur die Position der Lehrkraft, sondern vor allem die Position der Schülerinnen und Schüler. Aus diesem Grund formuliere ich meine Forschungsfrage wie folgt: „Rituale in der Schule – Empirische Analyse eines Wochenrituals in einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe der Klassenstufen eins und zwei aus SchülerInnen-Perspektive“.

Der Aufbau meiner Ausarbeitung wird wie folgt aussehen:

Zunächst werde ich mich mit den unterschiedlichen Ritualtheorien befassen und diese zusammenfassend darstellen. Im Anschluss daran werde ich auf den Gebrauch von Ritualen im schulischen Alltag eingehen, Funktionen aufzeigen, den Nutzen kontrovers diskutiert darlegen und auf die verschiedenen Perspektiven eingehen. Nachfolgend werde ich ein Fallbeispiel beifügen und analysieren. Die Analyse unterstützend, werde ich mich auf eine von mir durchgeführte Befragung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern beziehen. Abschließend erfolgt dann mein Fazit in Bezug auf die Analyse des Montag-Morgen-Kreises als Wochenritual in einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe.

1.1. Ritualtheorien

Diverse Wissenschaftler haben sich mit dem Themenkomplex der Ritualforschung beschäftigt. Da ist es kaum verwunderlich, dass sich in der Forschung unterschiedliche Ritualtheorien entwickelt haben. Demzufolge gibt es keine eindeutige und allgemein gültige Definition des Rituals an sich.

Aus diesem Grund werde ich im Folgenden einige Ritualtheorien aufzeigen und anschließend eine daraus hervorgehende eigene Begriffsklärung beifügen, auf deren Basis ich meine Ausarbeitung stützen werde.

1.1.1. Émile Durkheim

Der Soziologe Émile Durkheim (1858-1917) bezieht Rituale auf das Streben der Gesellschaft nach Homogenität und einer funktionierenden Gemeinschaft. Die Rituale können „gemeinschaftsstabilisierende Kräfte freisetzen, die den Bruch in den Routinen wieder schließen und „anschlussfähig“ machen, dies sei die eigentliche Funktion des Rituals“1. Rituale geben den Mitgliedern einer Gesellschaft Ordnung und vermitteln Zusammenhalt und Dazugehörigkeit.

Dies kann durch kleine Rituale geschehen, durch welche die Mitglieder einer Gesellschaft zeigen, dass sie sich aufeinander abstimmen wollen und so eine Zugehörigkeit darstellen.

Als Beispiel wäre zum Beispiel Winken bei Verabschiedungen denkbar. Diese Gestik ist in unserem Gesellschaftskreis bekannt und anerkannt als Geste des Abschieds.

Doch gibt es neben den kleinen Ritualen, die das Zusammenleben der Gesellschaft ermöglichen, auch große Rituale, welche unter besonderen Performances zelebriert werden. Denkbar wäre beispielsweise die Vereidigung des Bundespräsidenten oder die Feier der Christmette am Heiligen Abend. Durch diese großen Rituale gewinnt der Einzelne, so Durkheim, die Gewissheit der Kontinuität des kollektiven Bewusstseins und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.2

1.1.2. Albert Bergesen

Der amerikanische Soziologe Albert Bergesen (*1942) definiert für die menschliche Existenz ein Kontinuum zwischen den Gegensätzen Individualität und Kollektivität als Parameter desselben fest. Die Rituale haben in seiner Theorie die Funktion des „Vermittlungsmechanismus“ zu übernehmen3. Sie stellen somit sicher, dass die Einzelnen trotz ihrer Individualität ein Teil der Gruppe sind, dieser zugehören und sich mit den Merkmalen derselben identifizieren können.

Diese Parameter spiegeln sich auch in seiner Einteilung der rituellen Handlungsmöglichkeiten in drei sozialen Gesellschaftsebenen – Mikro-, Meso- und Makroebene – wieder, welche er in seiner „Theorie der rituellen Ordnung“ ausführt.

Bei den Ritualen der Mikroebene handelt es sich zumeist um Riten des sprachlichen Gebrauchs, die Mesoebene beschäftigt sich primär mit den alltäglichen Interaktionsritualen und die Makroebene bezieht sich auf die großen, feierlichen Rituale einer Gesellschaft.4

Bergesen klassifiziert fünf Dimensionen der rituellen Ordnung, in denen sich die Rituale bewegen. Diese sind: die hierarchische Abhängigkeit, die Sakralität, der Grad an Distanz und Differenz zwischen Ritual und Teilnehmenden, die Fähigkeit eine bestimmte Anzahl Teilnehmende für ein Ritual zu mobilisieren sowie der Grad an Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit in verschiedenen rituellen Durchführungen.5

Die rituelle Ordnung stellt somit ein Schema dar, welches aufzeigt, wie vielfältige Rituale der Mikro-, Meso- und Makroebene die sozialen Verbindungen und Ordnungen einer Gesellschaft symbolisieren und reproduzieren.6

1.1.3. Alfred Radcliffe-Brown

Der englische Soziologe Radcliffe-Brown (1881-1955) führte den Begriff der „sozialen Basis“ ein. Dieser sollte verdeutlichen, dass alle Mitglieder einer Gemeinschaft sich unter Zuhilfenahme von rituellem Handeln zu kollektiven Handlungen zusammenfinden.7

„[It is the] theory that religious ritual is an expression of the unity of society and that its function is to 're-create' the society or the social order by reaffirming and strengthening the sentiments on which the social solidarity and therefore the social order itself depends“8.

Wie das o.g Zitat von Radcliffe-Brown zeigt, definiert auch er Rituale als Bindemittel des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Er zeigt auf, dass die Gemeinschaft über Rituale definiert wird und andererseits diese braucht, um sich definieren zu können und somit als soziale Gesamtheit zu funktionieren.

1.1.4. Max Gluckman

Der südafrikanische Ethnosoziologe Max Gluckman unterscheidet zwei Aspekte in der Wirkung eines Rituals auf die teilhabende Gesellschaft. Auf der einen Seite schaffen die Rituale ein Kollektivgefühl der Gemeinschaft aufgrund des einheitlichen Rituals. Andererseits sorgt das Ritual aber auch für eine Differenzierung zwischen den teilhabenden Einzelnen, da zum Zwecke der Ausführung einzelnen Personen unterschiedliche Aufgaben im Hinblick auf die korrekte zeremoniale Durchführung zukommen.

So gesehen definiert Gluckman, wie beispielsweise auch Bergesen, unter anderem auch einen hierarchischen Aspekt im Ritual, der bei anderen Theoretikern, beispielsweise Turner9, nicht vorkommt.

Im Vergleich zu anderen Theoretikern, wie beispielsweise Durkheim, schreibt Gluckman dem Ritual zwei Komponenten zu, zum einen das religiöse Element, zum anderen aber auch das oben bereits aufgeführte Kollektivgefühl an der Gemeinschaft. „With this approach, the term 'ritual' could loosely refer to a wide spectrum of formalized but not necessarily religious activities. Henceforth, the study of ritual had to do with society and social relationships, not just religion or religious institutions.“10.

1.1.5. Roy A. Rappaport

Der amerikanische Anthropologe Roy A. Rappaport (1926-1997) legte besonderen Wert auf die Formalität eines Rituals. Dies begründet er damit, dass die Gesellschaftsmitglieder anhand der sichtbar ausgeführten Performance das Ritual und damit einhergehend die Bedeutung dessen erkennen können. So seien sie in der Lage entsprechend darauf einzugehen und im kollektiven Einverständnis unter Berücksichtigung und Wahrung der gesellschaftlichen Konventionen zu handeln.

Er nennt zwei Bedingungen für die Existenz eines rituellen Handelns. Diese wären zum einen das Vorhandensein von Teilnehmenden an dem Ritual und zum anderen die aktive Ausführung des Rituals ansich. Er fügt an, dass ein Ritual meist an einen Ort oder eine Zeit gebunden sei, dies sei aber keine Voraussetzung.

Die Rituale haben die Aufgabe, die üblichen Konventionen innerhalb einer Gemeinschaft zu sichern und den Mitgliedern derselben Handlungssicherheit zu geben. Halten sich die Einzelnen an die ritualisierten Handlungen und agieren korrekt in diesen Mustern, so halten sie den „Sozialvertrag“ zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft aufrecht und unterstützen somit auch die reibungslosen Abläufe des öffentlichen Lebens.11

1.1.6. Jörg Zirfas

Zirfas geht davon aus, dass die Rituale den Alltag der Menschen bestimmen, ferner „strukturieren [sie] unsere festlichen und feierlichen Anlässe und begleiten uns in Krisen und Katastrophen. […] Rituale sind elementare Bausteine des individuellen, sozialen und kulturellen Lebens“12.

Auch sind Rituale oft paradox, denn durch sie wird vielmals versucht eine „kontingente Ordnung“ auf der einen Seite als natürlich, zu gleich aber auch als heilig darzustellen. Es werden Übergänge inszeniert in einer einmaligen Performance. Auch wird durch die Rituale Kollektivität symbolisiert, obschon sie eine differente Rollenaufteilung innerhalb des Rituals haben.13

1.1.7. Mary Douglas

Die britische Sozialanthropologin Mary Douglas (1921-2007) beschäftigte sich in ihren Arbeiten mit der Thematik der Ordnung und Grenzsetzung, so wie das unter anderem auch Rappaport mit seiner Darstellung des Sozialvertrags gemacht hat.

Douglas basiert ihre Theorie jedoch auf der Forschung zu Tabus und Reinheitsvorschriften, welche als Merkmale einer Gesellschaft dienen, innerhalb dieser Gruppe Grenzen definieren und somit eine gesellschaftliche Ordnung ermöglichen.

Diese Richtlinien und Tabus sind wichtig, weil es andernfalls keine Grenzen und auch keine Moralvorstellungen geben würde. Diese ist wiederum aber unverzichtbar für die Ermöglichung von Individualität, da nur durch die Grenzen eine Unterscheidung in „gut“ und „böse“, „loyal“ und „subversiv“ ermöglicht wird und anhand dieser Parameter Unterschiede in den Handlungsweisen und Persönlichkeiten möglich werden und daher Raum für Abgrenzung und Individualität geschaffen wird.14

1.1.8. Erving Goffman

Erving Goffman (1922-1982) stellt Rituale in einen Zusammenhang mit der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation.

Er prägte die Formulierung des „rituellen Kodex“, welcher sich auf die Imagewahrung bezieht und besagt, dass es festgelegte Kommunikations- und Verhaltensregeln gibt, welche für alle an einer Interaktion beteiligten Personen gelten.15

Da durch den rituellen Kodex eine Imagewahrung angestrebt wird, dienen die rituellen Handlungen als Schutzmechanismus vor seelischen Beeinträchtigungen der Psyche, welche ohne einen rituellen Rahmen bei der interpersonellen Kommunikation wesentlich häufiger auftreten würde.

Auf Goffmans Ausarbeitungen zum Thema der Interaktion und den damit verbundenen rituellen Zusammenhänge bezieht sich unter anderem Bergesen in seinen Schriften in Bezug auf die Mesoebene, in welcher es ebenfalls um Interaktionsrituale geht.

1.1.9. Ronald Grimes

Auch Ronald Grimes (*1943) kam durch seine Forschung nach der Ursache, welche für das rituelle Handeln in der Gesellschaft die Verantwortung trägt, zu dem Schluss, dass der Mensch aus ökologischen, biogenetischen und psychosozialen Beweggründen Rituale einsetze. Damit geht Grimes in dieser Hinsicht in die gleiche Richtung wie auch Goffman, indem er feststellt, dass Rituale aus den Bedürfnissen der Menschen heraus entstehen und nur dann funktionstüchtig sind, wenn sie mit den Bedürfnissen von Psyche und Körper harmonieren.

Des Weiteren kategorisierte Grimes den Oberbegriff des Rituals in sechs Ritualtypen: „Ritualisierung (körperlich, ökologisch), Anstandsregel (interpersonal, formal), Zeremonie (zwischen Gruppen, politisch), Magie (technologisch, kausal, Zweck-Mittel orientiert), Liturgie (religiös, sakral), Feier (spielerisch, theatralisch, ästhetisch)“16.

1.1.10. Arnold van Gennep

Der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873-1957) teilte die Gemeinschaft aller Menschen in diverse Untergruppen auf, bspw. Familie, Klassenverbände, durch Alter definierte peer groups u.v.m. „Die Dynamik des sozialen Lebens erfordere aber […] ständig Grenzüberschreitungen, da der Einzelne sich in andere Gruppierungen und Klassen bewegt“17.

Solche Übergänge könnten beispielsweise der Übergang von der Verlobung zur Hochzeit oder vom Kindergartenkind zum Grundschüler / zur Grundschülerin sein.

Infolge der Übergänge, so Gennep in seiner Monographie über die Übergangsriten, entstehen Krisensituationen für den Einzelnen. Um diese zu verwinden, seien die sogenannten Übergangsriten da, die für ihn „nicht nur eine gleich bleibende Funktion, sondern auch eine gleich bleibende Form“18 haben.

Diese unterteilt er wiederum in drei Unterkategorien in Anlehnung an die Phasen der Übergänge Trennungsriten für die Ablösungsphase, Schwellenriten in Bezug auf die Zwischenphase und Angliederungsriten zur Integrationsphase19.

Aufgrund der Universalität seiner Theorie geriet van Gennep in die Kritik, obwohl er explizit betonte, dass „das, was hier gesagt wurde, theoretisch generell gültig, doch muß die gleiche Handlung nicht bei allen Völkern die gleichen Konsequenzen haben, und ich möchte noch einmal betonen, daß ich keinen Anspruch auf absolute Universalität und Gültigkeit meines Strukturschemas der Übergangsriten erhebe“20.

1.1.11. Christoph Wulf

Der deutsche Erziehungswissenschaftler und Anthropologe Christoph Wulf forschte zum Thema der Rituale und Gesten in den vier zentralen Bereichen der Sozialisation: Familie, Schule, Peergroup und Medien.

Wulfs Forschung fokussierte: „Rituale erzeugen das Soziale; sie schaffen Ordnungen und ermöglichen Identifikation. Rituale schaffen Übergänge und erzeugen Erinnerungen; sie haben eine magische Komponente und eignen sich zur Differenzbearbeitung; sie fördern mimetische Lernprozesse und mit ihrer Hilfe die Entwicklung praktischen Wissens und tragen wesentlich zur Entwicklung sozial kompetenter Individuen bei.“21

1.1.12. Victor Turner

Der schottische Ethnologe Victor Turner (1920-1983) vertrat die Ansicht, dass „gerade in unsicheren Zeiten der Veränderung und des Wandels Symbole und Rituale zur Anwendung kämen, um an die Stelle von Ungewissheit wieder Sicherheit zu setzen“.22

Er konzentrierte sich in seiner Theorie auf die Schwellenphase des Gennep'schen Models. Diese Übergangsphase sei durch die Liminalität geprägt, in welcher alle Teilnehmenden durch besondere Gemeinschaftlichkeit verbunden sind. Dieses spezielle Gemeinschaftsgefühl definiert er als Communitas. Besonders zu beachten sei auch, dass in der Communitas keine sozialen Ordnungen Geltung haben und somit alle Teilnehmenden sozusagen gleich wären23.

Turner sagt über die Funktion des Rituals: „Ich begann zu erkennen, daß Rituale besondere Phasen in sozialen Prozessen markieren, in denen Gruppen sich inneren Veränderungen und ihrer äußeren Umwelt anpassen. Aus dieser Perspektive wird das rituelle Symbol zu einem Faktor im sozialen Handeln, zu einer positiven Kraft in einem Handlungsfeld“24.

1.2. Vernetzung

Es gibt sehr viele unterschiedliche Ritualtheorien und nicht eine alleinige, siehe 1.1. Um nicht alle oben genannten Theorien in Auflistung separat stehen zu lassen, ist es wichtig eine Vernetzung zu schaffen und dadurch die gemeinsamen Kernpunkte aufzuzeigen.

Die meisten Theorien vertreten den Standpunkt, dass in den Ritualen die Struktur der jeweiligen lokalen Kultur abgebildet wird25. Sie spiegeln Formen des gesellschaftlichen Miteinanders wieder und schaffen ein Identitätsgefühl für die Bezugsgruppe.

Die theoretischen Ansätze lassen sich allgemein in drei große Gruppen gliedern. Zum einen gibt es die formalen Ansätze, welche sich damit befassen, wie ein Ritual durchgeführt wird. Zum anderen gibt es noch substanzielle Theorien, die besonderen Wert auf den thematischen Inhalt legen. Auch gibt es die funktionalen Theorien, welche sich mit der Funktion eines Rituals für die jeweilige Gruppe beschäftigt26.

2. Rituale in der Schule

2.1. Anwendung

Es ist in der Schule von Vorteil das Klassenklima harmonisch zu gestalten, um eine positive Lernatmosphäre zu schaffen, in welcher sich die Schülerinnen und Schüler wohl fühlen und die Klassengemeinschaft nicht von zu hohem Konkurrenzdenken gefährdet wird.

Besonders in den jüngeren Jahrgangsstufen können die strukturierenden Rituale zur Förderung der Gemeinschaft und zum Vermitteln von Sicherheit beitragen. Gerade Schülerinnen und Schüler, die in den ersten Jahren erst lernen müssen, wie das System Schule funktioniert, wie sie sich mit ihren neuen, so unterschiedlich geprägten, Klassenkameraden arrangieren können und wie sie den Tag in Ablösung der Erziehungsberechtigten eigenständig zu gestalten haben, sind damit anfangs häufig überfordert. Um die daher rührenden Schwierigkeiten möglichst gering zu halten, kann die Lehrkraft in solchen Fällen im Stile eines „Zeremonienmeisters“ handeln und so bestimmte Kooperationsformen nutzen, um eventuelle Konflikte zu beseitigen.27

Um jedoch solch unterstützende Rituale nutzen zu können, ist es notwendig diese gut einzuführen. Es sollte bedacht werden, dass die Rituale von der Lehrperson so gewählt sein sollten, das diese sich damit voll identifizieren kann, um die nötige Authentizität auszustrahlen, weil „die wichtigsten Kräfte für gelingende Pädagogik [...] in der Person der Lehrkraft verborgen [liegen]“28. Doch selbst wenn die Lehrperson die Rituale nach bestem Gewissen vertritt, so muss auch die Schülerschaft hinter den Ritualen stehen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Rituale mit den Schülerinnen und Schülern zu besprechen, bevor diese in den Schulalltag aufgenommen werden. Gibt es dann einen Bestand an festen Ritualen für eine Lerngruppe, so sollten diese auch konsequent umgesetzt werden, um die gewählte Struktur der Gemeinschaft zu unterstützen und Halt zu gewährleisten.

Rituale sind jedoch nicht nur für das sozial-harmonische Miteinander von Vorteil, sie können zum Beispiel auch dabei helfen, den Schulalltag zeitlich zu strukturieren. Viele jüngere Schülerinnen und Schüler benötigen eine übersichtliche Zeiteinteilung, die ihr noch nicht fertig gefestigtes Zeitverständnis unterstützt. Zeitstrukturierende Rituale, wie beispielsweise der Montag-Morgen-Kreis, oder einem Ritual zu Beginn der selbstständigen Wochenplanarbeit oder einer visualisierten Tagesplanankündigung, können die zeitliche Einteilung untermauern. So ist die Lehrkraft dafür zuständig, die Schulzeit für die Schülerschaft transparent zu gestalten, so dass diese die Zeit nicht als ausschließlich belastend und von ungewisser Ausdehnung ansieht. Hierfür ist es ratsam sich verschiedener Rituale zu bedienen, die die Zeit strukturieren und Akzente setzen.29

Durch den Aufbau des Schulalltags, der aus mehreren Blöcken mit sowohl unterschiedlichen Fächern als auch verschiedenen Lehrkräften besteht, gibt es laufend Übergangssituationen. Zu diesen strukturbedingten Übergängen kommen noch jene hinzu, die durch Aktivitätswechsel – auch stundenintern – hervorgerufen werden. In solchen Situationen wird es leicht unruhig und es entsteht ein Durcheinander, weil von einer Tätigkeit zur nächsten eine Umorganisierung notwendig ist. Möglicherweise muss neues Arbeitsmaterial geholt werden, oder die Modalität des Unterrichts ändert sich und generell müssen die Gedankengänge umgelenkt werden.

In diesen Situationen können Rituale helfen den Übergang zu erleichtern. Läutet die Lehrperson beispielsweise jede Wochenplan-Arbeitsphase mit einem bestimmten akustischen Signal, wie zum Beispiel eine Tonfolge auf dem Xylophon, ein, so wissen alle Schülerinnen und Schüler, was sie als nächstes erwartet. Sie können ihre Gedanken auf die nächste Einheit fokussieren und dementsprechend handeln, indem sie beispielsweise ihre Wochenpläne aus dem Fach nehmen und sich an ihren Tisch setzen. Durch ein solches ritualisiertes Eröffnen einer anderen Phase hat die Schülerschaft die Möglichkeit, sich eigenständig vorzubereiten und sich gut auf das folgende Unterrichtsgeschehen einzustellen.

Im Folgenden möchte ich noch eine weitere Anwendungsmöglichkeit darstellen: den positiven Abschluss. Es handelt sich hierbei um ein tägliches Ritual, welches von den performativen Umständen flexibel gestaltet werden kann, im Kern aber immer darauf abzielt, den Schülerinnen und Schülern am Ende eines Schultages die Möglichkeit zu geben, sich gegenseitig zu berichten, was sie an dem Schultag gelernt haben und was sie mit nach Hause nehmen. Durch das abschließende Resümieren über den Lernerfolg des Tages bekommen die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zu erkennen, was sie geschafft haben und warum sie zur Schule kommen. Auch wird durch das Erkennbarmachen der Leistungen die Fähigkeit zur Reflexion von sich selbst und der eigenen Tätigkeit geschult. Durch den hierdurch sichtbaren Erfolg wird die Lernmotivation verbessert, so dass die nächsten Erfolge in Aussicht stehen.

2.2. Diskussion

Rituale sind nicht unumstritten. Sie werden häufig kontrovers diskutiert. Hierfür gibt es viele Pro- und Contra-Argumente, die gegeneinander abgewogen werden müssen, um eine gut begründete Position für oder gegen den Einsatz von Ritualen im Unterricht oder anderswo zu erarbeiten.

In Anlehnung an die Argumente und Gegenargumente von Kaiser30 möchte ich nun die folgenden Punkte gegenüberstellen:

Kritiker sagen, die Rituale würden die Lernenden ausschließlich auf die Lehrperson fixieren und kämen einer Unterwerfung gleich, da die Rituale lediglich zur Disziplinierung dienen.

[...]


1 Hanselmann, P. G.: S. 250

2 Vgl.: Durkheim, E.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 1998: S. 295

3 Vgl.: Bergesen, A.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 1998: S.51

4 Vgl.: Beyerler, D.: S. 101f.

5 Vgl.: Bergesen, A.: S. 66

6 Vgl.: Bergesen, A.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 1998: S. 49ff.

7 Radcliffe-Brown, A.: in: Schäfer, A. / Wimmer, M. (Hrsg.): S. 66f.

8 Radcliffe-Brown, A.: S. 165

9 Schottischer Ethnologe (1920-1983)

10 Bell, C.: S. 39

11 Vgl.: Rappaport, R.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 1998: S. 201f.

12 Zirfas, J.: S. 7

13 Vgl.: Zirfas, J.: in: Wulf, C., Althans, B., Audehm, K., Bausch, C., Jörissen, B., Göhlich, M., Mattig, R., Tervooren, A., Wagner-Willi, M., Zirfas, J.: S.65

14 Vgl.: Bellinger, A., Krieger, D. (Hrsg.), 2008: S. 16f.

15 Vgl.: Goffman, I.: S. 52

16 Grimes, R.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 2008: S. 117

17 Michaels, A.: in: Michaels, A. (Hg.): S. 240

18 Michaels, A.: in: Michaels, A. (Hg.): S. 240

19 Vgl.: Michaels, A.: in: Michaels, A. (Hg.): S. 240f.

20 Van Gennep, A.: S. 155

21 Www.christophwulf.de [Stand: 24.01.2014]

22 Hanselmann, P. G.: S. 251

23 Vgl.: Michaels, A.: in: Michaels, A. (Hg.): S. 242f.

24 Turner, V.: in: Bellinger A. / Krieger, D. J. (Hrsg.), 1998:, S. 252

25 Vgl.: Dücker, B.: S. 209

26 Vgl.: Dücker, B.: S. 209

27 Vgl.: Petersen, S.: S.11 ff.

28 Kaiser, A.: S. 40

29 Vgl.: Petersen, S.: S. 23 f.

30 Astrid Kaiser (*1948), deutsche Erziehungswissenschaftlerin

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Rituale in der Schule
Untertitel
Empirische Analyse eines Wochenrituals in einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe aus Schüler/innen-Perspektive
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (Bildungswissenschaften)
Veranstaltung
Bachelor Modul
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
66
Katalognummer
V289258
ISBN (eBook)
9783656895183
ISBN (Buch)
9783656895190
Dateigröße
759 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rituale, Morgenkreis, Turner, Ritual, Ritualtheorie, empirisch, Grundschule, Erziehungswissenschaft, Bildung, Routine, Lehrer, Sozialform, Unterricht
Arbeit zitieren
Kim Schodde (Autor:in), 2013, Rituale in der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/289258

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