Wozu Grammatik? Zur Legitimation von Grammatik im Deutschunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grammatik zwischen Sprachbewusstsein und sozialem Status
2. 1 Grammatik und Sprachbewusstsein
2. 2 Grammatik und der soziale Status in einer Gesellschaft

3 Das Verhältnis von Grammatik und Literatur
3. 1 Grammatik und literarisches Verständnis
3. 2 Grammatik und Textproduktion

4 Grammatik und Orthografie

5 Schlusswort

6 Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Ob bei Facebook, Whatsapp oder das alltägliche Gespräch mit Freunden, Familie oder Kollegen: Grammatik ist überall.

Selbst wenn sie nicht bewusst eingesetzt wird, ist sie elementar in jeder sprachlichen Handlung - redet der Mensch doch durchschnittlich 16.000 Wörter pro Tag.1 Diese sind regelhaft angeordnet, sodass alle Kommunikationspartner einen Sinn aus dem Gesprochenen erkennen und reagieren können. Umso erstaunlicher ist es, dass die Beschäftigung mit Grammatik zwar theoretisch im Rahmenplan für das Land Mecklenburg-Vorpommern bis zur 10. Klasse angesetzt ist, faktisch aber mit dem Ende der 6. Klasse vorbei ist. Stoffumfang und die im Rahmenplan verortete Zentrierung von Literaturunterricht lässt die Grammatik einen untergeordneten Stellenwert einnehmen. In der Oberstufe wird ihr unter dem Kompetenzbereich der Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch im Kerncurriculum Deutsch sogar nur noch eine halbe A4-Seite zugesprochen..2 Es muss sich die Frage der Legitimation von Grammatik gestellt werden, wenn selbst das Bildungsministerium diese in ihren Leitlinien für Lehrkräfte teilweise untergräbt.

In dieser Hausarbeit werde ich mich mit genau jener beschäftigen: Warum ist Grammatik für den Alltag signifikant und welche Berechtigung haben Grammatik und Grammatikunterricht in der heutigen Zeit?

Ich werde herausarbeiten, wieso die Vermittlung von grammatischen Kenntnissen das Bewusstsein für Sprache und den Sprachgebrauch sowie das literarische und orthografische Verständnis fördert und somit die Ausbildung der im Kerncurriculum geforderten Fähigkeiten begünstigt.

2 Grammatik zwischen Sprachbewusstsein und sozialem Status

Grammatik wird oft als ein schwer durchdringbares, teilweise sogar langweiliges bis irrelevantes, ja sogar leidvolles Thema seitens der Schüler angesehen. Schon Lenin wird der Satz zugeschrieben: „Wer lang genug Grammatikunterricht erfahren hat, erträgt die Leiden der Welt besser.“3

Selbst Lehrern scheint das Thema weniger Freude zu bereiten:

Für viele, die Deutsch unterrichten oder einmal unterrichten wollen, ist die Grammatik der am meisten mit Unsicherheit, Abneigung oder sogar Angst besetzte Bereich - nicht selten wegen der Erinnerung an den eigenen Deutschunterricht. Weil man selbst nicht immer verstand, was die Lehrkraft versuchte zu erklären, scheint es sich hier um eine schwierige, vielleicht auch nur intuitiv beherrschbare Geheimwissenschaft zu handeln. Der Rollenwechsel von der Schülerin über die Studentin und Lehramtsreferendarin zur Lehrerin bzw. vom Schüler zum Lehrer erfordert von Ihnen eine erneute und andersartige Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache und mit Ihrem grammatischen Wissen. […] Plötzlich sollen Sie Kinder und Jugendliche mit einem Lernbereich konfrontieren, der eher an Mathematik als an Sprache erinnert, der viele unverständliche Termini enthält und die Wörter der Sprache durch irgendwelche Regeln aufeinander bezieht, wobei jeder einzelnen Regel so viele Ausnahmen entgegenstehen, dass deren Vermittlung wenig reizvoll erscheint.4

Umso wichtiger ist es, sowohl Schülern als auch Studierenden die Bedeutung von Grammatik im täglichen Leben zu erläutern.

2.1 Grammatik und Sprachbewusstsein

In der modernen Welt des 21. Jahrhunderts sind es nur noch wenige, die nicht zusätzlich zu den Face-to-Face-Gesprächen täglich über Chat-Programme kommunizieren. Somit wird Sprache immer bedeutender; genauer: Der Einsatz von Sprache wird bedeutender.

Die Sprachkonstellationen werden disperser und ausdifferenzierter, weshalb auch die Signifikanz des Sprachbewusstseins zunimmt. Den Schülerinnen und Schülern muss die tatsächliche Kompetenzerweiterung durch Grammatikwissen im realen Leben erläutert werden. Kompetenz beschreibt hier:

[…] die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen

Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.5

Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten gilt es für das Leben auszuprägen. Sprachbewusstsein ist eng mit dem situativen Moment von Sprache verknüpft. Bei einem Dozenten wählt man seine Worte bedachter als bei einem Gespräch zwischen guten Freunden. Bei einem Bewerbungsgespräch werbe ich mit Sprache um mich selbst im Gegensatz zu einem Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin. Auch dort mag es Anlässe des Werbens geben, jedoch sind diese in aller Regel ungezwungener als bei Bewerbungsgesprächen. Wenn man mit Freunden chattet schreibt man anders, als man mit den Großeltern spricht. All diese Situationen haben jedoch eine Gemeinsamkeit - sie sind Sprachanlässe:

Die Bindung an eine bestimmte Sprache (mit ihren weitreichenden Konsequenzen von der sinnlichen Wahrnehmung bis hin zum bewussten Handeln) kann zwar nicht grundsätzlich aufgehoben, wohl aber durch Reflexion über Sprache bewusst gemacht und damit relativiert werden.6

Denn:

Arbeit an der Sprache bedeutet gleichzeitig Modifizierung des Sprechbewusstseins, weil Wahrnehmung sprachlicher Unterschiede und Ähnlichkeiten ein Wahrnehmen von

Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Welt ist, für deren Versprachlichung ja die Sprache verfügbares Mittel sein soll.“7

Vielen ist jedoch nur das System der Schulgrammatik vertraut. Ein System, das versucht, vor allem feste Normen zu etablieren, die wenig Raum für Varianz lassen. Die Ursachen der starren und problematischen Schulgrammatik ist aber keineswegs nur bei den Lehrkräften zu suchen: Die Kultusministerkonferenz hat 1982 ein Verzeichnis der grammatischen Fachausdrücke publiziert. Dieses distanziert sich vehement von den verschiedenen Grammatiken und Sprachtheorien der modernen Sprachwissenschaft und ist noch immer die verbindliche Grundlage für die Lehrpläne. Dieses Verzeichnis beherbergt mehrere Probleme: Es fehlen einerseits Definitionen der Fachausdrücke. Zum Beispiel wird das Prädikat in vielen Schulbüchern unterschiedlich beschrieben. Es ist als finite Verbform, als das Vollverb des Satzes, mal als beides zusammen oder auch als alles, was nicht Subjekt ist, beschrieben. Es kommt sogar vor, dass das Prädikat und das Verb gleichgesetzt werden. Andererseits werden irreführende Fachausdrücke benutzt. Wer z. B. Verben als Tätigkeitswörter definiert, vergisst dabei Verben wie haben, bleiben oder auch dürfen. Im Unterricht werden diese Begriffe nur noch abgearbeitet, ohne die Bedeutungen in ihrer Vielfalt wirklich zu verstehen. Leider werden auch neue Erkenntnisse der Wissenschaft, wie z.B. die Feldgliederung, missachtet. Es bleibt ein unbewegliches System.8

Grammatik ist ein Bereich, der zwar Normen beschreibt, gleichzeitig aber flexibel ist und auf die Flexibilität der Sprache gleichsam reagiert. „Denn nicht nur die Stilistik, auch die Grammatik eröffnet Freiräume, die sich der Schreiber nehmen kann.“9

Grammatikunterricht kann nur dann zur Verbesserung des Sprachbewusstseins und somit auch zu kommunikativen Fähigkeiten führen:

[…], wenn er über die Norm informiert und einen Weg zeigt, sich bei Bedarf normgerecht oder normabweichend zu verhalten, wenn er erkennen lässt, wo eigenes und fremdes Sprachverhalten syntaktisch und vor allen Dingen semantisch differieren und welche Folgen sich für die

Sprachverwendung daraus ergeben.10

Des Weiteren dient Grammatik auch als ein Schlüssel zum Verstehen von Medien. Heutzutage sind Kinder und Jugendliche in ständiger Gegenwart von Smartphones, Laptops und Tablets. Auch die Autoren und Produzenten von Texten und Videos sind sich dessen bewusst. Folgt man zum Beispiel Spiegel-Online auf Facebook oder Twitter, generiert dieser im sogenannten Liveticker sofort alle relevanten Artikel und Informationen zu den Geschehnissen in der Welt. Dafür muss man nicht einmal auf die Internetseite gehen; es wird automatisch ans Handy gesendet. Die Kraft der möglichen Manipulationen und Beeinflussungen durch Medien erhält dadurch neue Dimensionen:

Falls es zu den Aufgaben des Sprachunterrichts gehört, die Möglichkeiten sprachlicher Manipulation aufzudecken, um sie so zu verringern - und darüber dürfte man sich heute in der Sprachdidaktik einig sein -, dann erscheint diese Aufgabe unlösbar ohne die Reflexion über Sprache, die notwendigerweise auch den grammatischen Sachverstand einschließt.11

Um sich diese Möglichkeiten der Manipulation, aber auch der Überzeugung, als ein Element seiner praktisch anwendbaren Fähigkeiten anzueignen, bedarf es einer klaren Zielsetzung des Grammatik- und des Sprachunterrichts seitens der Lehrkraft:

[...]


1 http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/mythos-widerlegt-frauen-und-maenner-reden-gleich-viel- a-492546.html (20.03.2015; 13:28 Uhr)

2 Vgl. hierzu den Rahmenplan Deutsch Klasse 7-10 und das Kerncurriculum Deutsch Sek II http://www.bildung-mv.de/schueler/schule-und-unterricht/faecher-und-rahmenplaene/rahmenplaene- an-allgemeinbildenden-schulen/deutsch/ (20.03.2015; 13:45 Uhr)

3 Mackowiak, Klaus (1999): Grammatik ohne Grauen: Keine Angst vor richtigem Deutsch! S. 7.

4 Granzow-Emden, Matthias (2013): Grammatik verstehen und unterrichten. S. 1.

5 Weinert, F. E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverständlich- keit. In: Weinert, F. E. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. 27 - 28.

6 Weisgerger, Bernhard (1977): Die grammatische Perspektive des muttersprachlichen Unterrichts. In: Engel, Ulrich/Grosse, Siegfried (Hrsg.): Grammatik und Deutschunterricht. S. 66.

7 Oomen-Welke, Ingelore (1982): Didaktik der Grammatik: eine Einführung an Beispielen für die Klassen 5 - 10. S. 4.

8 Vgl. Granzow-Emden, Matthias (2013): Grammatik verstehen und unterrichten. S. 9-10.

9 Dürrscheid, Christa (2012): Reich der Regeln, Reich der Freiheit. System, Norm und Normenreflexion in der Schule. In: Günther, Susanne/Imo, Wolfgang/Meer, Dorothee/Schneider, Jan Georg (Hrsg.): Kommunikation und Öffentlichkeit. Sprachwissenschaftliche Potenziale zwischen Empirie und Norm. S. 106

10 Hartmann, Wilfried (1975): Grammatik im Deutschunterricht: didaktische Überlegungen auf generativer Grundlage. S. 23.

11 Weisgerber, Bernhard (1977): Die grammatische Perspektive des muttersprachlichen Unterrichts. In: Engel, Ulrich/Grosse, Siegfried (Hrsg.): Grammatik und Deutschunterricht. S. 66.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wozu Grammatik? Zur Legitimation von Grammatik im Deutschunterricht
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Grammatik und Variation
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
22
Katalognummer
V304771
ISBN (eBook)
9783668032507
ISBN (Buch)
9783668032514
Dateigröße
1401 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grammatik, Deutschunterricht, Grammatikunterricht, Sprache, Sprachbewusstsein, Rechtschreibung, Orthografie
Arbeit zitieren
Sandro Paeplow (Autor:in), 2015, Wozu Grammatik? Zur Legitimation von Grammatik im Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304771

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