Zur Begründung und Kritik des Stellenwerts von Gerätturnen im Sportunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

13 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Bildungswert des Gerätturnens
2.1 Die konstitutiven Prinzipien des Gerätturnens
2.2 Bildungswert des Gerätturnens
2.3 Austauschbarkeit des Gerätturnens

3 Problembereich des Gerätturnens in der Schule
3.1 Das Gerätturnen in der Praxis

4 Das Konzept des „Freien Turnens“
4.1 Das Freie Turnen in der Schule

5 Die Vielfalt des Turnens – Ordnungsmöglichkeiten
5.1 Ausgangspunkte für die Planung des Gerätturnunterrichts

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Objektiv betrachtet befindet sich das Gerätturnen in der Schule in einer Art Dauerkrise. So stellt das Gerätturnen oftmals eine Art Gratwanderung zwischen Lust und Unlust dar. Es besteht eine vielfach ablehnende Haltung der Schüler gegenüber dem traditionellen Turnen. Viele Schüler zeigen motorische sowie konditionelle Defizite auf, und die unzulängliche Lehrerqualifikation bzw. Lehrermotivation und auch die mangelnde Geräteausstattung der Schulen beeinflussen diesen Werdegang (diese Misere) negativ mit.

Die Aufgabe des Lehrers besteht nun darin, sich diesem Problem zu stellen, die augenblickliche „Turnwirklichkeit“ als eine Herausforderung anzunehmen und zu versuchen, das Gerätturnen wieder zu beleben. Der Lehrer sollte sich hierbei an der Leitidee orientieren, ein Gerätturnen für alle Schüler zu veranstalten, also auch für die Übergewichtigen, die Schmächtigen, die Ängstlichen, die Langgewachsenen, aber auch die Talentierten Schüler.

Hier bietet sich die Möglichkeit, das sogenannte „Freie Turnen“ in der Schule zu etablieren und den Weg, weg vom strengen Leitbild des Kunstturnens zu suchen. Hierbei muss der Lehrer versuchen, aus den schlechten Voraussetzungen und Gegebenheiten möglichst das optimale zu erreichen, nach dem Motto: „Aus wenig viel machen!“

2 Der Bildungswert des Gerätturnens

Hier stellt sich die Frage, welche Funktion das Gerätturnen in der körperlichen Ausbildung der Kinder und Jugendlichen hat und ob diese Funktion von anderen Sportarten übernommen werden kann. Zudem wird die Frage der Austauschbarkeit des Gerätturnens hinterfragt.

2.1 Die konstitutiven Prinzipien des Gerätturnens

Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dem Artikel von Söll (1973, S. 301)

Voraussetzung für die Ausübung vom Gerätturnen ergeben sich einerseits durch den Geräteeinsatz, der den menschlichen Körper erst dazu befähigt, eine beliebige Lage im Raum einzunehmen und andererseits durch den Kraftansatzpunkt, der überwiegend von den Händen gebildet wird und das eigentliche zugreifen, stützen, hängen und schwingen an den Geräten erst ermöglicht.

Die Ausschöpfung der Bewegungsmöglichkeiten im Raum stellt das erste Grundprinzip des Gerätturnens dar. Durch den Einsatz von Geräten werden dem Menschen Bewegungsmöglichkeiten eröffnet, die ihm normalerweise von seinen biologischen Voraussetzungen her, in seiner natürlichen Umgebung, nicht möglich wären. Hier ist an jede nur denkbare Schwung-, Überschlag- und Drehbewegung in beinahe jeder Körperlage zu denken.

Die Perfektionierung der Bewegung stellt das zweite Grundprinzip des Gerätturnens dar. An einer bestimmten Auswahl von Geräten müssen eine Auswahl von sportlich ergiebigen und ansprechenden Bewegungen geturnt werden. Diese müssen nach einem festen Regelwerk und Wettkampfbedingungen absolviert werden. Hier nimmt das konstitutive Prinzip der Perfektionierung der Bewegung einen hohen Stellenwert ein. Ziel ist es, die Qualität der Bewegung in Bezug auf Schwierigkeit, Richtigkeit und Darbietung zu perfektionieren, da die turnerische Bewegung ja keine außerhalb ihrer selbst liegenden Ziele, also zum Beispiel das Erreichen einer bestimmten Weite oder die unmittelbare Überwindung eines Gegners verfolgt.

2.2 Bildungswert des Gerätturnens

Der Bildungswert des Gerätturnens ergibt sich aus den oben genannten Grundprinzipien:

Durch den Einsatz von Geräten wird es dem Menschen ermöglicht, beliebige Lagen im Raum einzunehmen. Dem Menschen wird dadurch die „dritte Dimension“, die raumorientierte Bewegung im eigentlichen Sinne, zugänglich gemacht.

Dies bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger als den Vorstoß in neue motorische Dimensionen über die sonstigen Bedingtheiten und Beengtheiten des menschlichen Bewegungserlebens hinaus. Dies kann für die Bewältigung der Lebensverhältnisse in einer technisierten Umwelt, die keineswegs nur „natürliche“ Bewegungen kennt, nicht ohne Bedeutung sein

(Söll, 1973, S. 303)

Aus der Sicht des Gerätturnens werden daher nahezu alle übrigen Sportarten als „Fußgängersportarten“ bezeichnet. Neben dem Gerätturnen gibt es tatsächlich keine andere Sportart, die mit solcher Variabilität und Konsequenz auf die Bewegung im Raum gerichtet ist und den Schülern diese Bewegungserfahrungen ermöglicht. Es darf aber nicht übersehen werden, dass hier auch ein hohes Maß an Bewegungsleistung vom Menschen/Schüler verlangt wird.

Wie bereits in Punkt 2.1 erläutert, stellt beim Gerätturnen die Bewegung selbst und deren qualitative Perfektionierung das Ziel der sportlichen Tätigkeit dar. „Damit wird aber ebenfalls eine neue motorische Dimension eröffnet, nämlich die der menschlichen Bewegungskultur, wie sie in einem gewissen Sinne über die Alltags-, Arbeits- und übrige Sportmotorik hinausführt.“ (Söll, 1973, S.303)

Dies zeigt, dass im Gerätturnen zweifellos auch Elemente des schöpferischen Gestaltens, also des Künstlerischen enthalten sind. In der Praxis (Schule) spielt der gestalterische Aspekt gegenüber der Bewegungsleistung aber eher eine untergeordnete Rolle. Für den Schüler ist sicherlich die Bewegungsleistung die dominierende Herausforderung.

Beim Gerätturnen werden dem Schüler weiterhin Fähigkeiten wie Koordinationsvermögen, Orientierungsvermögen, Bewegungssteuerung sowie soziale Interaktion (aktive Hilfe ist bei vielen Übungen notwendig) abverlangt bzw. gelehrt.

2.3 Austauschbarkeit des Gerätturnens

Der Bildungswert des Gerätturnens kann bei den Mädchen nur zu einem geringen Teil (z. B. Trampolinturnen oder Kunstspringen) und bei den Jungen überhaupt nicht von anderen Sportarten übernommen werden. Die bisherigen Ausführungen bestätigen dies (vgl. Punkt 2.1 und 2.2)

Ein Verzicht auf das Gerätturnen wäre also nur dann zu vertreten, wenn man zu der Überzeugung käme, dass die von ihm wahrgenommenen Bildungsfunktionen so nebensächlich seien, dass sie ersatzlos entfallen könnten.

(Söll, 1974, S. 304)

Die Praxis zeigt jedoch, dass in vielen Schulen das Gerätturnen teilweise bzw. ganz verschwindet, obwohl es in den Lehrplänen durchweg noch eine sehr starke Position einnimmt. Dies liegt an der zunehmend hohen Ablehnung des Gerätturnens durch die Schüler (v.a. Jungen), sowie an der veränderten Einstellung der Lehrer gegenüber dem Gerätturnen.

„Seit langem liegt es ja, zumindest bei den Jungen, unter den Schulsportarten auf dem letzten Platz der Beliebtheit.“ (Söll, 1974, S. 304)

3 Problembereich des Gerätturnens in der Schule

Wie schon in Punkt 2 genannt, befindet sich das Gerätturnen in einer Dauerkrise. Folgende Gründe sind dafür verantwortlich:

Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dem Artikel von Bruckmann (1993, S. 3-4)

- Die ablehnende Haltung der Schüler gegenüber dem Turnen. Die Schüler haben durch ihr „Nicht-Bewegendes“ Freizeitverhalten keine Motivation mehr zur Bewegung und das Interesse muss oft gegen den Willen der Schüler geweckt werden. Weiterhin haben die Schüler teilweise sehr eingeschränkte Bewegungserfahrungen (z.B. durch eine zu frühe Spezialisierung im außerschulischen Sporttreiben), so dass Ängste und Hemmungen auftreten, sobald die Schüler den sicheren Stand verlassen. Auch sind die Schüler, aufgrund von vorgespielten Erlebnissen aus zweiter Hand durch das Fernsehen, nicht mehr neugierig bzw. sind an unmittelbaren Erfahrungen nicht mehr interessiert. Sie verlangen eine sofortige Bedürfnisbefriedigung und haben keine Geduld mehr zum Üben, sobald sich nicht umgehend ein Erfolg einstellt. Das Image des Gerätturnens ist durch die mangelnde Medienpräsenz veraltet, kann mit modernen Sportarten nicht mehr mithalten und wird somit für die Schüler uninteressant.
- Motorische und konditionelle Defizite der Schüler wirken sich negativ auf das Gerätturnen aus. Vor allem die Arm- und Rumpfkraft ist zu gering ausgebildet und als Folge sind die Schüler nicht in der Lage, sich an den Geräten zu halten bzw. zu stützen. Viele Schüler sind mittlerweile „sperrig“ gewachsen, so dass sie ihren eigenen Körper beim Turnen als hinderlich empfinden.
- die unzulängliche Lehrerqualifikation (in fachlicher Hinsicht) und Lehrermotivation wirkt sich negativ auf die Meinung der Schüler gegenüber dem Gerätturnen aus. Dazu kommt noch die in vielen Schulen ungenügende Geräteausstattung.

3.1 Das Gerätturnen in der Praxis

Das, was Gerätturnen im Schulsport leisten kann im Hinblick auf die Bewegungsfertigkeiten, ist begrenzt und damit abhängig von den physischen Bewegungsfähigkeiten der Schüler. Handstände haben in keinem Vermittlungskonzept eine Bedeutung, wenn keine Stützkraft vorhanden ist, um den Körper auf Händen tragen zu können. Reckturnen ist unmöglich, wenn man den Körper nicht stützen kann. Barrenturnen wird zum Ärgernis, wenn man sich nur sitzend darauf aufhält, weil Schwingen im Stütz zum Zusammenbruch führt. Bodenturnen reduziert sich auf Rollen hin und Rollen her, denn Rollen sind ja gar nicht schwer. Brettsprünge wären machbar, wenn zwischendurch nicht der Handstütz notwendig wäre und Minitrampolinspringen macht richtig Spaß, aber leider muss der Flug und die Landung kontrolliert werden, durch meist fehlende Körperspannung. (vgl. Knirsch, 1983, S 13-35) Diese Beispiele zeigen auf, dass sich im Schulturnen etwas Grundlegendes ändern muss.

Häufig werden Versuche unternommen, anstrengende Bewegungen im Gerätturnen durch verspieltes Turnen, durch zu einfaches Turnen zu ersetzen. Durch Üben zum Erfolg zu kommen stößt aber bei den Schülern auf Widerstand und wird als langweilig abgetan. Das Schaffen von einfachen Gerätearrangements im Turnen hat sicherlich seinen Stellenwert. Verschwiegen wird dabei jedoch oft, dass in der Praxis ausgerechnet dabei das Reizvolle der Turngeräte sehr schnell abnimmt und zur Langeweile führt. Einmal gebaute Gerätearrangements wieder zu reizvollen neuen Formen umzubauen kostet, wie jeder Praktiker weiß, Zeit und erfordert noch mehr Geräte. Beides ist meist in der Schulpraxis nicht vorhanden.

Sinnvoll gestellte Bewegungsaufgaben erfordern Bewegungsreize, die für die Schüler keine erkennbare schnelle Lösungsmöglichkeit versprechen. Das pädagogische Geschick liegt darin, die Aufgabenschwierigkeit so zu wählen, dass die Bewältigung durch eigene Anstrengung gelingen kann. Man ist stolz, den Hüftaufschwung alleine geschafft zu haben, möglicherweise auch mit Hubhilfe durch den schräg gestellten Kastendeckel (auch mit gebeugten Beinen, fernab jeder Formvorschrift), fühlt sich gut "oben angekommen" zu sein. Man schlägt "aus Freude ein Rad", "turnt einen Purzelbaum" oder "springt einen Salto vorwärts in die Weichbodenmatte".

„Da es im Sportunterricht wenig Erfolg verspricht, die Bewegungsschwierigkeit und ebenso die Bewegungsvielfalt allzu sehr zu steigern, müssen die einfacheren Bewegungen des Gerätturnens, die dem Großteil der Schüler noch zugänglich sind, im Mittelpunkt stehen.“ (Söll, 1974, S.304-305)

Es soll ein Bewegungsangebot für alle Schüler bestehen (Differenzierung nach dem individuellen Leistungsvermögen der Schüler) und hierzu bietet sich das Konzept des „Freien Turnens“ an.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zur Begründung und Kritik des Stellenwerts von Gerätturnen im Sportunterricht
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Spezielle Sportdidaktik der Sekundarstufe 1
Note
1.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
13
Katalognummer
V305245
ISBN (eBook)
9783668031357
ISBN (Buch)
9783668031364
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
begründung, kritik, stellenwerts, gerätturnen, sportunterricht
Arbeit zitieren
Manuel Kuss (Autor:in), 2004, Zur Begründung und Kritik des Stellenwerts von Gerätturnen im Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305245

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