Citizen Science-Projekte zur Dialogförderung. Ein Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation?


Hausarbeit, 2015

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einleitung

2.0 Citizen Science in der Wissenschaftskommunikation
2.1 Wissenschaft kommunizieren
2.2 Citizen Science
2.3 Naturwissenschaftliche Grundbildung und ihre Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation

3.0 Citizen Science: Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation?
3.1 Studie Price
3.2 Studie Jordan
3.3 Studienergebnisse in Hinsicht auf eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation

4.0 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1.0 Einleitung

Das Verständnis von Wissenschaftskommunikation in Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verändert. Seit dem Memorandum für öffentliches Engagement („PUSH“), das Ende der neunziger Jahre von allen deutschen Wissenschaftsorganisationen unterschrieben wurde, strebt die Wissenschaft statt dem klassischen Monolog, bei dem es nur die Wissenschaft als Sender gibt, einen offenen Dialog mit der Öffentlichkeit an (Winter in Dernbach et al., 2012). Es gibt viele verschiedene Arten, Wissenschaft zu kommunizieren: Von Artikeln in Fachzeitschriften bis hin zu Diskussionen zwischen Wissenschaftlern und Mitgliedern der Öffentlichkeit. Nicht alle Formen der Wissenschaftskommunikation erfüllen dabei gleichermaßen den Anspruch, einen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit herzustellen – und selbst fast zwanzig Jahre nach dem Memorandum sind Dialogformate in der Wissenschaftskommunikation eine Rarität (Winter in Dernbach et al., 2012).

Diese Arbeit möchte eine besonders ambitionierte Form der Wissenschaftskommunikation betrachten: das "Citizen Science", zu Deutsch "Bürgerwissenschaft". Citizen Science-Projekte wollen Laien aktiv in die Forschung mit einbeziehen – meistens, indem Letztere Daten für umfangreiche Forschungsprojekte sammeln. Zweifelhaft ist jedoch, ob alleine die Unterstützung beim Datensammeln ausreicht, um einen Dialog herzustellen und Citizen Science damit als erfolgreiche Form der Wissenschaftskommunikation bezeichnen zu können. Daher stellt sich die Frage: Inwieweit sind Citizen Science-Projekte in der Lage, einen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit herzustellen?

Hinsichtlich dieser Fragestellung steht in dieser Arbeit der Vergleich zweier Studien über unterschiedliche Citizen Science-Projekte im Vordergrund. Als Faktor, mit dem der Erfolg der Wissenschaftskommunikation gemessen wird, dient die Verbesserung des naturwissenschaftlichen Grundwissens der Laien nach Teilnahme an dem jeweiligen Citizen Science-Projekt. In welchem Zusammenhang die naturwissenschaftliche Grundbildung mit einer erfolgreichen Wissenschaftskommunikation steht und wie die Begriffe "Wissenschaftskommunikation", "Citizen Science" und "naturwissenschaftliche Grundbildung" in dieser Arbeit verwendet werden, klärt das zweite Kapitel. Im dritten Kapitel folgt die Vorstellung und Diskussion der beiden Studien, dessen Ergebnis im Fazit zusammengefasst wird.

2.0 Citizen Science in der Wissenschaftskommunikation

2.1 Wissenschaft kommunizieren

Demokratische Gesellschaften fordern Transparenz und Partizipation auf allen Ebenen, darunter auch auf Ebene der Wissenschaft. Die Wissenschaftskommunikation sorgt als eine Art Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft dafür, dass die Öffentlichkeit über die Arbeit der Wissenschaft informiert ist. Gleichzeitig soll Wissenschaftskommunikation der Öffentlichkeit ermöglichen, sich mit ihren Bedürfnissen und Fragen an die Wissenschaft zu wenden. Die Wissenschaft wiederum möchte ihre Forschung anerkannt sehen und sich damit auch dessen finanzielle Förderung sichern (Dernbach et al., 2012). Themen von hoher gesellschaftlicher Relevanz, wie beispielsweise die Frage, welche Rechte Flüchtlinge im eigenen Land haben sollen, sind für sie nur mithilfe der Öffentlichkeit sinnvoll zu klären (Winter in Derbach et al., 2012). Obwohl die Wissenschaft noch nie in totaler Isolation von der Öffentlichkeit gearbeitet hat, ist die aktive Kommunikation für sie nach Dernbach heute immer wichtiger geworden. Wissenschaftler kommen heute auf diverse Weisen mit der Gesellschaft in Kontakt: in Ausstellungen und Museen, auf Vorträgen und Podiumsdiskussionen, in Talkshows, Fachzeitschriften oder über Science-Blogs.

Wissenschaftskommunikation funktioniert – wie alle Formen der Kommunikation – nur mit mindestens zwei aktiven Akteuren. Nicht alleine die Durchführung der Veranstaltungen, die Anzahl der Fachbeiträge in Zeitschriften oder die Präsenz auf Science-Blogs sichert der Wissenschaftskommunikation den Erfolg: Ohne das Interesse und die aktive Teilnahme der Öffentlichkeit kann kein Dialog stattfinden. Erst dann, wenn die Gesellschaft die Möglichkeit hat, auf die Projekte der Wissenschaft Einfluss zu nehmen und zur Forschung beizutragen, erfüllt die Wissenschaftskommunikation ihre Aufgabe. Nach Dernbach soll die Öffentlichkeit wissenschaftliche Erkenntnisse also nicht nur aufnehmen, sondern diese reflektieren und Fragen aufwerfen können: „Die Partizipation der Bürger ist das wichtigste Ziel vieler wissenschaftskommunikativer Formate. Die Menschen sollen nicht nur zuhören und die wissenschaftlichen Weisheiten über sich ergehen lassen, sondern sie sich selbst ein Stück weit erarbeiten und aneignen.“ (Dernbach et al., 2012, S. 9). So werde es immer wichtiger, die Ziele und Methoden der Forschung in der Öffentlichkeit zu diskutieren, als lediglich über Forschungsergebnisse zu informieren (Dernbach et al., 2012).

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Bereich der Wissenschaftskommunikation, der die Bürger aktiv in die Forschung miteinbeziehen will. Im Folgenden soll die Idee und Funktion von „Citizen Science“ vorgestellt werden.

2.2 Citizen Science

Citizen Science ist eine Form der Wissenschaftskommunikation, die es Laien ermöglichen soll, aktiv an wissenschaftlichen Projekten mitzuwirken. Damit steht sie nach Schmitz ganz im Sinne einer demokratischen Gesellschaftsordnung: "Für Citizen-Science-Projekte ist Offenheit auf mehreren Ebenen charakteristisch". (Schmitz, 2014, S. 26) Die Teilnahme von Mitgliedern der Öffentlichkeit an wissenschaftlichen Projekten lässt sich bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurückführen. Ein prominentes Beispiel ist das im Jahr 1900 gestartete Citizen Science-Projekt "Christmas Bird Count", in dem bis heute an einem Tag im Jahr Vögel gezählt werden. Allerdings hat sich Citizen Science in der Form, wie es sie heute gibt – mit ausführlicher Protokollführung beim Datensammeln, der Überprüfung durch Wissenschaftler und vor dem Hintergrund bestimmter Lehrziele – erst innerhalb der letzten 20 Jahre entwickelt. (Bonney et al., 2009)

Überwiegend findet Citizen Science heute bei Projekten Anwendung, in denen große Datenmengen ausgewertet werden müssen. Beispielsweise ruft der Naturschutzbund (NABU) regelmäßig für einen Tag im Jahr zum Vogelzählen auf, und das Onlineportal Galaxy Zoo lässt sich von seinen Nutzern automatisch erstellte Bilder des Weltraums klassifizieren. Die wissenschaftliche Fragestellung hinter den Projekten ist den Teilnehmern dabei nicht bewusst (Westerhaus, 2015) Diese Art von Citizen Science Projekte sind insbesondere für Wissenschaftler interessant, die große Datenmengen benötigen: So können sie sich die Masse der Auswertenden zu Nutze machen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob Citizen Science am Ende nur Ausbeuterei der Laien ist. Vor allem aber: Genügt das Sammeln von Daten dem Anspruch der Wissenschaftskommunikation? Diese Kritik wird häufig geübt (Crain 2014). Schmitz spricht sich ausdrücklich gegen jene Projekte aus, die die Teilnehmer ausschließlich Daten sammeln lassen. Dies sei nicht das eigentliche Ziel des Citizen Science: „Die Wissenschaft soll nicht nur bei Datenerhebung und -auswertung unterstützt werden, vielmehr sollen auch von den Bürgerwissenschaftlern Impulse für die Forschung ausgehen, indem diese neue Fragen aufwerfen und Synergien schaffen“. (Schmitz, 2014, S. 26)

Dieser Anspruch, den Schmitz an Citizen Science-Projekte stellt, steht in Zusammenhang mit der naturwissenschaftlichen Grundbildung, die im Folgenden erläutert wird.

2.3 Naturwissenschaftliche Grundbildung und ihre Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation

Für die naturwissenschaftlichen Grundbildung gibt es mehrere Definitionen, weshalb hier lediglich die in den Studien verwendeten Definitionen vorgestellt werden sollen. Die Studie von Price (siehe 3.1) definiert wissenschaftliche Grundbildung anhand von drei Faktoren: das Verfügen über ausreichend Fachvokabular, um wissenschaftliche Artikel verstehen zu können, das Verständnis vom naturwissenschaftlichen Forschungsprozess und das Wissen um die Bedeutung der Wissenschaft für Gesellschaft wie Individuum (Price & Lee, 2013). Die Vergleichsstudie von Jordan (siehe 3.2) spricht zwar nicht explizit von naturwissenschaftlicher Grundbildung, untersucht aber sehr ähnliche Parameter: den Wissensstand der Teilnehmer über den Versuchsgegenstand, die Kenntnis vom wissenschaftlichen Arbeiten und ihr Verständnis von sowie ihre Einstellung zur Wissenschaft (Jordan et al., 2011).

Die naturwissenschaftliche Grundbildung ist von hoher Bedeutung für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation. Wie bei allen Formen der Kommunikation müssen die beteiligten Akteure dieselbe Sprache sprechen, um einander zu verstehen. Die Bekanntheit inhaltlichen Wissens und Fachvokabular in der Öffentlichkeit bildet eine Grundlage dafür, dass sie an der Forschung teilhaben kann und Wissenschaftskommunikation erfolgreich (im Sinne von Dernbach et al., siehe 2.1) ist. Außerdem lassen sich neue Forschungsergebnisse von Seiten der Öffentlichkeit in dem bereits vorhandenen Kontext betrachten. (Jordan et al., 2011)

Zusammen mit inhaltlichem Wissen hilft die Kenntnis wissenschaftlichen Arbeitens der Öffentlichkeit, Forschungsergebnisse kritisch zu betrachten und sich in den Forschungsprozess einzubringen. Günter Stock von der Helmholtz-Gesellschaft sieht naturwissenschaftliches Grundwissen als Basis dafür an, um Kritik üben zu können: "Wissenschaftliches Beurteilungsvermögen gewinnt man nicht allein durch das Sammeln von Daten, durch das Experiment. Wissenschaftliche Beurteilungsfähigkeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass man die Bedingungen des Experiments sowie die Ergebnisse kontextualisieren, sie in vorhandenes Wissen einbinden und kritisch reflektieren kann." (Helmholtz-Gesellschaft, 2015).

Das Wissen um die gesellschaftliche Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit ist ebenfalls ein Kriterium, um Wissenschaft erfolgreich kommunizieren zu können. Es verhilft der Öffentlichkeit zu einem positiven Bild der Wissenschaft. Positive Assoziationen können Interesse wecken, halten sie doch zumindest eine offene Einstellung aufrecht. Diese erleichtert es der Öffentlichkeit, die Wissenschaft zu verstehen.

Die Beziehung zwischen dem von Schmitz formulierten Anspruch an Citizen Science und der naturwissenschaftlichen Grundbildung klärt das Kapitel 3.3 auf. Zunächst wird anhand zweier Studien der Einfluss verschiedener Citizen Science-Projekte auf die naturwissenschaftliche Grundbildung ihrer Teilnehmer dargestellt. Damit soll die Grundlage für die abschließende Diskussion der Forschungsfrage geschaffen werden.

3.0 Citizen Science: Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation?

3.1 Studie Price

Die Studie "Changes in Participants' Scientific Attitudes and Epistemological Beliefs During an Astronomical Citizen Science Project" von Price & Lee untersucht, inwiefern sich die wissenschaftliche Grundbildung während der Teilnahme an einem Citizen Science-Projekt verändert. Diese Veränderung stellte die Studie in einen Zusammenhang damit, inwieweit die Teilnehmer am Forschungsprozess beteiligt sind, um eine mögliche Korrelation zwischen dem Projektdesign und der oben genannten Einstellung der Teilnehmer zu entdecken.

Als Untersuchungsobjekt wählte die Studie Teinehmer (Laien) des Citizen-Science-Projekts „Citizen Sky“ von Juni 2009 aus, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern drei Jahre lang Daten über einen besonders hellen Stern sammelten und auswerteten. Das Projekt war darauf angelegt, seine Teilnehmer zu bilden: Es bot von Wissenschaftlern moderierte Online-Foren und Live-Chats, in denen Teilnehmer fachliche Fragen stellen konnten, setzte auf Teambildung und ließ die Teilnehmer ihre gesammelten Daten nicht nur selbst auswerten, sondern auch die Ergebnisse in Journalen publizieren. Zur Untersuchung der naturwissenschaftlichen Grundbildung ließ man die Teilnehmer vor dem Projekt und sechs Monate nach Beginn Fragebögen hinsichtlich ihrer Kenntnis wissenschaftlichen Arbeitens und ihrer Einstelllung gegenüber der Wissenschaft ausfüllen. Zusätzlich führten Price und Lee Interviews mit den Teilnehmern, um die Ergebnisse der Fragebögen zu ergänzen.

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die soziale Komponente in Citizen Science Projekten, also der Austausch der Teilnehmer mit Wissenschaftlern und Gleichgesinnten, einen großen Einfluss auf die Einstellung der Teilnehmer zur wissenschaftlichen Arbeit hat. Auch hinsichtlich ihres Erkenntnistheoretischen Glaubens in die Natur der Wissenschaften konnte die Studie signifikante Veränderungen feststellen. Allerdings wiesen die Ergebnisse darauf hin, dass sich bei den Teilnehmern keine ganz neue Vorstellung der Natur der Wissenschaft gebildet hatte, sondern die bisherigen Vorstellungen durch die Mitwirkung an dem Projekt lediglich bekräftigt wurden.

3.2 Studie Jordan

Die Studie "Knowledge Gain and Behavorial Change in Citizen-Science Programs" von Jordan et al., 2011, untersucht den Einfluss eines kurzweiligen Citizen Science Projekts auf das Faktenwissen, die Argumentationsfähigkeit und das Wissen um den Charakter der Wissenschaft der Teilnehmer. Außerdem geht die Studie der Frage nach, ob das Sammeln von Daten das Verhalten der Teilnehmer hinsichtlich des Forschungsgegenstandes ändert und ob sich das Verständnis für die Arbeitsweise und Relevanz der Wissenschaft erhöht.

Die Studie baute ein eigenes Citizen-Science Projekt auf, für das Freiwillige in Zweierteams auf einem Wanderweg das Vorkommen nicht-heimischer Pflanzen am Wegesrand dokumentierten. Dieser Zählung voraus ging ein Trainingstag, an dem die Teilnehmer über die Ökologie und den Einfluss invasiver Pflanzen aufgeklärt wurden und die Bestimmung dieser Pflanzen übten. Die Projektergebnisse wurden schließlich in einem vierstündigen Treffen zwischen Wissenschaftlern und Teilnehmern diskutiert. Vor Projektbeginn, während der Diskussion und sechs Monate nach Projektende dokumentierten Fragebögen den Wissensstand der Teilnehmer über invasive Pflanzen, ihr Verständnis vom wissenschaftlichen Arbeiten und ihre Einstellung zur Wissenschaft.

Im Ergebnis verbesserte sich das Wissen der Teilnehmer über invasive Pflanzen am meisten. Die Einstellung zur Wissenschaft veränderte sich insofern, als dass die Relevanz der Reduktion invasiver Pflanzen nach dem Projekt höher eingeschätzt wurde. Das Bild der Teilnehmer von dem Charakter und der Arbeitsweise der Wissenschaft im Generellen änderte sich dagegen kaum. Besonders auffällig war das Ergebnis hinsichtlich ihrer Kenntnisse über das wissenschaftliche Arbeiten. Die Teilnehmer konnten selbst nach dem Projekt keine Störfaktoren erkennen oder zwischen Korrelation und Kausalität unterscheiden.

3.3 Studienergebnisse in Hinsicht auf eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation

In beiden Studien verbesserte sich das Wissen der Teilnehmer über den Projektgegenstand. Damit verfügen die Teilnehmer nicht nur über einen erweiterten Kontext, in den sie neues Wissen einbetten können – die Studie von Price arbeitete einen weiteren bedeutenden Faktor heraus. Während die Fragebögen eine Verbesserung des inhaltlichen Wissens belegten, schätzten die Teilnehmer im Interview ihr Wissen geringer ein. Dieses Paradoxon erklären Price und Lee damit, dass das im Projekt neu gewonnene Wissen den Teilnehmern deutlich macht, wie viel unentdecktes Wissen es gibt und geben mag (Price & Lee, 2014). Die eigene Unwissenheit über die Welt wird ihnen bewusst, und damit ändert sich auch das Denken über die Bedeutung von Wissen. Damit lässt sich sagen, dass die Teilnehmer in dem Projekt wissenschaftliches Denken erlernt bzw. verfestigt haben - denn dieses zeichnet sich dadurch aus, die Welt kritisch zu reflektieren und "Gegebenheiten" nicht bloß hinzunehmen.

Die Einstellung gegenüber der Wissenschaft verbessert sich insbesondere dann, wenn das Citizen Science-Projekt viele soziale Komponenten aufweist. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest die Studie von Price. Das CitizenSky-Projekt legte seinen Schwerpunkt auf moderierte Online-Foren und Live-Chats und förderte das Arbeiten in Teams. Positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit und das Gefühl, Teil des Forschungsteams zu sein, ließen bei den Teilnehmern eine positivere Einstellung zur Wissenschaft entwickeln (Price&Lee, 2014). Die Idee, Teilnehmer in Gruppen selbst forschen zu lassen, wirkt motivierender, als wenn sie lediglich für sich alleine Daten sammeln. Das gibt ihnen eine Identität im wissenschaftlichen Projekt und die Möglichkeit, einen Einfluss auf den Forschungsprozess ausüben zu können. Dieses Gefühl der Kontrolle über den Prozess ist für die Entwicklung wissenschaftlichen Grundwissens besonders wichtig. (Price & Lee, 2014)

In dem Projekt, das Jordan untersucht, waren ebenfalls kommunikative und soziale

Elemente enthalten, wie der Trainingstag, das Datensammeln in Zweierteams und die abschließende Diskussion. Allerdings gestaltete sich die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Laien unterschiedlich: Während im Citizen Sky-Projekt Laien und Wissenschaftler auf gleicher Ebene kommunizierten, dominierte in dem von Jordan untersuchten Projekt das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Jordan führt die Tatsache, dass das Projekt nur das Wissen der Teilnehmer verbessern, nicht aber ihre Kenntnis über das wissenschaftliche Arbeiten erweitern konnte, auf diesen Frontalunterricht zurück: "The clear gains in content knowledge, coupled with limited gains in understanding the nature of science […] are somewhat expected given what is known about undergraduate learning when lecture is the primary mode of instruction […]." (Jordan et al., 2011:1153). Daher, so Jordan, müsse man den Teilnehmern von Citizen Science-Projekten mehr Raum für aktives, selbstständiges Lernen geben, um ihre Kenntnis vom wissenschaftlichen Arbeiten zu erweitern. (Jordan et al., 2011)

Diese Möglichkeit des selbstständigen Lernens und Forschens bot das in der Studie von Price und Lee untersuchte Projekt. Hier konnten die Teilnehmer ihre gesammelten Daten nicht nur selbst auswerten, sondern ihre Ergebnisse auch veröffentlichen. (Price & Lee, 2014) Jordan konklusiert aus den weniger positiven Ergebnissen seiner Studie, dass Citizen Science-Projekte den Teilnehmern das Gefühl vermitteln müssen, dass ihr Beitrag zum Projekt einen Unterschied macht (Jordan et al., 2011). Solche stark partizipativen Projekte wie das Citizen Sky können nach Bowser an sozialen Normen rütteln und dazu führen, dass die Unterscheidung zwischen "Wissenschaftler" und "Bürger" nicht mehr so leicht zu treffen ist. (Bowser, 2013) Im Fall der Studie von Price ist es damit fast selbstverständlich, dass das Projektdesign zu besseren Kenntnissen der wissenschaftlichen Arbeit bei den Teilnehmern führte: Diese Form von Citizen Science lässt die Grenze zwischen Laie und Wissenschaftler verschwimmen.

Aus der Diskussion der Studienergebnisse lässt sich schließen, dass der Ansatz von Citizen Science wegweisend für die Wissenschaftskommunikation ist. Der Anspruch, den Schmitz (siehe 2.2) an Citizen Science stellt – dass von den Teilnehmern Impulse an die Forschung ausgehen sollen – bildet naturwissenschaftliches Grundwissen und ist damit im Sinne einer erfolgreichen Wissenschaftskommunikation. Jedoch ist die praktische Umsetzung der Projekte ausschlaggebend für deren Erfolg. Im Vergleich der beiden Studien wurde deutlich, dass sich das Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten und die Einstellung gegenüber der Wissenschaft erst in intensiver Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Laien positiv entwickelt. Die Studie von Price und Lee spricht daher die Empfehlung für andere Citizen Science Projekte aus, eine Onlinepräsenz für Foren, Chats, Blogs und zur Gruppenbildung bereitzustellen und den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten, ihre Daten auszuwerten und zu präsentieren. (Price & Lee, 2014)

Auch, wenn Citizen Science-Projekte wie „Citizen Sky“ bislang eine Seltenheit sind, wird die Wissenschaft diese stark partizipative Form der Kommunikation in Zukunft mehr wertschätzen. Schließlich bereichert die Forschung der Bürger die Wissenschaft, indem sie eine andere Perspektive einnimmt. Diese alltagsorientierte Forschung mag zwar fachlich nicht auf dem selben Niveau sein wie die professionelle Forschung, kann dabei aber genauso relevante Erkenntnisse liefern. (Finke, 2014) Außerdem gehört die gegenseitige Kontrolle von Systemen zu demokratischen Staaten dazu: „Moralische und demokratische Verpflichtungen kommen an dem Punkt zusammen, wo wir als Gemeinschaft von Laien angesichts der scheinbaren Macht der Experten unsere Zukunftsfähigkeit durch Zivilcourage sichern können.“(Finke, 2014, S. 86). In Fragen zu Klimaschutz oder Gentechnik kann Citizen Science der Öffentlichkeit weitreichende Möglichkeiten bieten, ihre Umgebung zu gestalten. Doch auch für die Wissenschaft bringt dies Vorteile: Ethisch riskante Themen werden im Dialog mit der Öffentlichkeit eher akzeptiert, als wenn Letztere außen vor gehalten wird. Citizen Science-Projekte, die die Laien aktiv mit einbeziehen und ihnen Mitspracherecht geben, sind damit nicht nur im Sinne einer demokratischen Gesellschaftsordnung, sondern bieten Vorteile für beide Systeme.

4.0 Zusammenfassung und Fazit

Die Forschungsfrage, inwiefern Citizen Science-Projekte den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit fördern, lässt sich nicht eindeutig beantworten – dazu muss zwischen verschiedenen Projektdesigns unterschieden werden. Die Projekte, die die beiden in dieser Arbeit thematisierten Studien untersuchen, unterscheiden sich dahingehend zum Teil erheblich. Das Citizen Science-Projekt in der Studie von Price & Lee gewährte den Laien viel Freiraum zum selbstständigen Lernen und ließ den Wissenschaftlern die Rolle der Moderatoren zukommen. Price & Lee entdeckten nach sechs Monaten der Teilnahme eine signifikante Verbesserung der naturwissenschaftlichen Grundbildung auf allen Ebenen. Die Vergleichsstudie von Jordan dagegen, dessen untersuchtes Citizen Science-Projekt den Laien wenig Eigenständigkeit bot, konnte lediglich eine Erweiterung des inhaltlichen Wissens feststellen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Rolle der Laien im Forschungsprojekt gestärkt werden muss, wenn Citizen Science ein Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation sein soll. Citizen Science-Projekte, in denen Wissenschaftlern den Teilnehmern in Form von Frontalunterricht ihre Arbeit näher bringen wollen, enden schnell in einem Monolog. Selbst in Projekten, wo nicht nur Daten gesammelt werden – wie in dem von Jordan, bei dem ein Seminar und eine Diskussionsrunde dazugehörten – kann nicht von einem Erfolg ausgegangen werden. Diskussionsrunden helfen wenig, wenn sich die Laien nicht als ernst zu nehmender Teil des Forschungsteams verstanden fühlen.

Ein interessanter, aber möglicherweise problematischer Aspekt in dieser Arbeit ist das Verhältnis zwischen der naturwissenschaftlichen Grundbildung der Öffentlichkeit und einer erfolgreichen Wissenschaftskommunikation. Während in Kapitel 2.3 die naturwissenschaftliche Grundbildung als eine notwendige Voraussetzung für die Wissenschaftskommunikation dargestellt wird, dient sie den Studien von Price & Lee und Jordan als Maßstab für gelungene Kommunikation. Demzufolge stehen eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation und die naturwissenschaftliche Grundbildung der Öffentlichkeit in einem äquivalenten Verhältnis. Wenn sie sich allerdings gegenseitig voraussetzen, wie kann dann Wissenschaft kommuniziert werden? In dem Gebiet Ungebildete könnten gar keinen Zugang zur Wissenschaftskommunikation finden, womit letztere ihre wichtigste Aufgabe verfehlen würde. Interessant wäre daher eine eingehendere Untersuchung der Beziehung zwischen Wissenschaftskommunikation und naturwissenschaftlicher Grundbildung. In diesem Kontext ließen sich auch Lösungsansätze entwickeln, wie die Wissenschaftskommunikation breitere Gesellschaftsschichten erreichen kann – und nicht nur die Bildungselite.

In Deutschland und Europa stehen die Chancen für eine Weiterentwicklung von Citizen Science in Deutschland und Europa gut: Mit ihrem Projekt „BürGEr schaffen WISSen“ (GEWISS), das Anfang 2014 startete, wollen mehrere Wissenschaftsgesellschaften Citizen Science-Projekte fördern und ausbauen. Eine der Zielsetzungen bis 2020 ist dabei der verstärkte Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die dazugehörige Online-Plattform (www.buergerschaffenwissen.de) bietet Laien die Möglichkeit, sich über Citizen Science-Projekte zu informieren und sich anzumelden – womit zumindest eine Vorraussetzung für den Dialog geschaffen ist.

Literaturverzeichnis

Bonney, R., Cooper, C. B., Dickinson, J., Kelling, S., Phillips, T., Rosenberg, K. V. & Shirk, J. (2014). Citizen Science: A Developing Tool for Expanding Science Knowledge and Scientific Literacy. BioScience, 59(11), 977–984.

Bowser, A., Shanley, L. (2013). New Visions in Citizen Science. The Woodrow Wilson Center.

Dernbach, B., Münder, H., Kleinert, C. (2012). Handbuch Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer VS.

Finke, P. (2014). Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien. München: oekom Verlag

Helmholtz-Gesellschaft. (2015, 16. Januar). Ist Citizen Science eine Bereicherung für die Wissenschaft?. Abgerufen am 12.09.2015 von http://www.helmholtz.de/wissenschaft_und_gesellschaft/ist-citizen-science-eine-bereicherung-fuer-die-wissenschaft-3413/

Jordan, R. C., Gray, S. A., Howe, D. V., Brooks W. R. & Ehrenfeld, J. D. (2011). Knowledge Gain and Behavorial Changes in Citizen Science Programs. Conservation Biology, 25(6), 1148–1154.

Price, C. A. & Lee, H. S. (2014). Changes in Participant's Scientific Attitudes and Epistemological Beliefs in an Astronomical Citizen Science Project. Journal of Research in Science Teaching, 50(7), 773–801.

Schmitz, J. (2014). Citizen Science: Wissenschaft zum Mitmachen. Password, 10, 26-27.

Westerhaus, Christine. (2015, 22. März). Wie citizen science die Wissenschaft fördert. Abgerufen am 20.09.2015 von http://www.deutschlandfunk.de/buerger-forscht-wie-citizen-science-die-wissenschaft.740.de.mhtml?dram:article_id=313923

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Citizen Science-Projekte zur Dialogförderung. Ein Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Publizistik- und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Wissenschaftskommunikation
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
15
Katalognummer
V312718
ISBN (eBook)
9783668116696
ISBN (Buch)
9783668116702
Dateigröße
390 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kommunikation, wissenschaft, wissenschaftskommunikation, citizen science, bürgerwissenschaft, dialog, partizipation, jordan, price
Arbeit zitieren
Kim Mensing (Autor:in), 2015, Citizen Science-Projekte zur Dialogförderung. Ein Erfolgsmodell für die Wissenschaftskommunikation?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312718

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