Korpora, Varietäten, Forensik. Grundzüge der angewandten Linguistik


Vorlesungsmitschrift, 2013

43 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorlesung - Was ist Angewandte Linguistik? - Sprache, Kultur und Gesellschaft

2. Vorlesung - Gesprachslinguistik 1: Grundbegriffe

3. Vorlesung - Gesprachslinguistik 2: Anwendungsbeispiele

4. Vorlesung - Soziolinguistik 1: Varietatenlinguistik

5. Vorlesung - Soziolinguistik 2: Kommunikative soziale Stile

6. Vorlesung: Textlinguistik - Readability/Textschwierigkeit als Anwendungsfall

7. Vorlesung - Korpuslinguistik 1: Was sind Korpora

8. Vorlesung - Korpuslinguistik 2: Korpuspragmatik

9. Vorlesung - Forensische Linguistik 1: Traditionelle Forensische Linguistik

10. Vorlesung - Forensische Linguistik 2: Autorschaftszuschreibung

11. Vorlesung - Korpuslinguistik & Programmieren: Warum man programmieren lernen sollte und was die Linguistik damit zu tun hat

1. Vorlesung - Was ist Angewandte Linguistik? - Sprache, Kultur und Gesellschaft

Kultur

- Was ist Kultur

- = kein normativer (dient keiner Norm) Begriff

- Fahrstuhlknöpfe in Japan auf/zu

- Geertz:

- Kultur = offenes, flexibles Konzept; „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“ in dem der Mensch verstrickt ist; Gewebe, das sich ständig in Herstellung und Wand- lung befindet und jederzeit umdeutbar ist; unterliegt ständig neuen Interpretatio- nen und Bedeutungen, ist niemals objektiv und zeigt sich im alltäglichen Tun des Menschen; ist überall, jedoch ist die Kultur des Deutens unabdingbar zur Existenz der Definition von „Kultur“; Code, dessen symbolischer Gehalt entschlüsselt wer- den muss

- Erkenntnislogik der Kulturwissenschaften

- „das, was wir als unsere Daten bezeichnen, [sind] in Wirklichkeit unsere Auslegungen davon [...], wie andere Menschen ihr eigenes Tun und das ihrer Mitmenschen auslegen

- „schon auf der Ebene der Fakten [...] erklären wir, schlimmer noch: erklären wir Erklärun- gen “ (Geertz 2001: 14)

Sprache und Kultur

- Phänomene der „dritten Art“ / „unsichtbare Hand Phänomen“

- Trampelpfad im Wohngebiet

- siehe KELLER

- Naturphänomen / Artefakt (Computer, Rechtschreibreform) Sprachwandel wird hier weder als Naturphänomen noch als Artefakt verstanden, sondern entsteht aus den Einzel- handlungen der Individuen als ungewollte und ungeplante Struktur

- Ergebnis von Invisible-hand-Prozessen

- viele Menschen richten ihr Handeln nach ähnlich gerichteten Maximen aus

- aus den vielen einzelnen Handlungen entsteht eine Struktur, die als solche nicht intendiert ist (z.B. war es nicht geplant, dass Sonne Sonne heißt)

- Sprachwandel wird als Ergebnis des Wirkens einer unsichtbaren Hand gesehen

- unkoordiniertes Verhalten führt zu einer koordinierten Struktur als eine quasi-Koordination

- Sprache als spontane Ordnung ist dabei ein Effekt des Wirkens der unsichtbaren Hand

- Sprache und Sprachwandel ist nach Keller ein Phänomen der 3. Art, also weder vom Men- schen gemacht (Artefakt) noch ein Naturphänomen, dagegen die kausale Konsequenz (Makroebene) einer Vielzahl individueller, intentionaler Handlungen (Mikroebene)

- Sprachwandel vollzieht sich im Einzelnen durch den Gebrauch der Sprache selbst

- ein Spezialfall von Sprachwandel ist der Bedeutungswandel

- nach Rudi Keller ändern sich Wortbedeutungen durch Veränderung der Gebrauchsregeln, denn nach Ludwig Wittgenstein ist die Bedeutung eines Wortes sein regelhafter Gebrauch innerhalb eines Sprachsystems

- Beim Bedeutungswandel verändern die Sprecher die Gebrauchsregeln eines Wortes (durch Wirken der unsichtbaren Hand) dadurch, dass die Sprecher einen zunächst okkasionellen Sinn so häufig erzeugen, dass in der Sprachgemeinschaft mit der Zeit ein Umlernen erfolgt

- Morphologischer Wandel entsteht in der Regel durch Regelverletzungen, Bedeutungswan- del als Sinnspezifizierung durch regelkonforme Spezialverwendung unter Wirken der un- sichtbaren Hand

- Sprache als Phänomen der dritten Art

- Bsp.: Mhd. Nhd. (vrouwe = sozial hochstehend zu Frau = sozial neutral sowie wip = sozial neutral zu Weib = sozial niedrig)

- Die Strukturen der Sprache sind dadurch entstanden, dass Menschen für die Artikulation ähnlicher Ausdrucksbedürfnisse ähnliche Dinge geäußert haben.

- Die Strukturen der Sprache verweisen damit auf die Verwendungskontexte und erhalten ih- re Bedeutung aus diesen Kontexten.

- Sprechen ist mit sozialen Tätigkeiten verbunden.

- Wenn wir sprechen, bedienen wir uns schon immer Mustern, die soziale Bedeutung tragen

- Wittgenstein

- Was bedeuten die Wörter der Sprache?

- Bedeutung des Wortes ist sein Gebrauch Tätigkeit, die damit verbunden ist, ist Teil der Bedeutung des Wortes

- Wenn man Bedeutung von Wörtern verstehen will, muss man Kontext kennen, in dem Wort gebraucht wird Bedeutung ist nur mit Hilfe des Kontextes zu beschreiben

- Wir verstehen Sprache aus dem Kontext

- Kontext: Was ist relevant?

- Denken wir uns eine Sprache (...): Die Sprache soll der Verständigung eines Bauenden A mit einem Gehilfen B dienen. A führt einen Bau auf aus Bausteinen; es sind Würfel, Säulen, Platten und Balken vorhanden. B hat ihm die Bausteine zuzureichen, und zwar nach der Reihe, wie sie A braucht. Zu dem Zweck bedienen sie sich einer Sprache, bestehend aus den Wörtern: "Würfel", "Säule", "Platte", "Balken". A ruft sie aus; B bringt den Stein, den er ge- lernt hat, auf diesen Ruf zu bringen. - Fasse dies als vollständige primi3ve Sprache auf." (PU 2)

- "Was bezeichnen nun die Wörter dieser Sprache?" Was sie bezeichnen, wie soll ich das zeigen, es sei denn in der Art ihres Gebrauchs? Und den haben wir ja beschrieben. (PU 10)

- Kontextualisierung

- = die interaktive Konstitution des relevanten Kontextes innerhalb eines Kommunikations-und Interpretationsprozesses

- Überzeugung, dass komplexe und vielschichtige Wörter oder Sätze nur aus ihrem geeigne- ten sprachlichen Kontext heraus zu sehen und verstehen sind, ebenso wie kulturelle Objek- te nur aus ihren kultur- und alltagsgeschichtlichen Zusammenhängen heraus

- es geht immer darum, die richtigen Bezüge herzustellen

- Bsp.: Wörter wie …Durchzug von…weitgehend trocken…vereinzelt… lassen auf Wetter- bericht schließen

- Bsp.: Wir haben ihre…wir verlangen…Euro…keine Polizei lassen auf Erpresserbrief schließen

- Kontexte können nicht objektiviert werden

- Kontexte können durch Sprache geschaffen werden

Angewandte Linguistik

= Teilgebiet der Sprachwissenschaft; beschäftigt sich interdisziplinär mit Fremdsprachendidaktik, mit der Sprachbeschreibung in Form von Wörterbüchern (Lexikografie) und Grammatiken sowie mit Problemen aus Natur-, Kultur-, Informations-, Rechts- und Geisteswissenschaften unter sprachwissenschaftlichem Ge- sichtspunkt; ebenfalls zum Aufgabengebiet der Angewandten Linguistik zählt die Anwendung linguistischer Theorien, Methoden und Erkenntnisse aus der linguistischen Grundlagenforschung zur Klärung sprachbezo- gener Probleme auf anderen Gebieten; Teilbereiche der Linguistik, die gerne als Bindestrichlinguistiken marginalisiert werden, in Wahrheit aber längst den Anspruch haben, Sprache und Kommunikation gegen- standsadäquater zu modellieren als die vermeintlichen Kerngebiete: Gesprächslinguistik, Textlinguistik und Soziolinguistik

- Disziplinen

- Karl Raimund Popper

- Für POPPER gibt es 2 Gründe Disziplinen zu unterscheiden

- „Disziplinen unterscheidet man einerseits aus historischen und praktisch administ- rativen Gr ü nden [...] und andererseits, weil die Theorien, die wir aufstellen, um unsere Probleme zu lösen, eine Tendenz haben, zu einheitlichen Systemen zusammenzuwachsen“ (ebd., 97)

- Das wichtigste Motiv zur Herausbildung wissenschaftlicher Disziplinen ist dasjenige der notwendigen Reduktion eines Erkenntnisganzen (Welt).

- Ohne Reduktion ist keine Erkenntnisleistung zu erbringen.

- Die Bildung von Disziplinen ist Ausdruck der zunehmenden „ Verwissenschaftlichung “, also einer zunehmenden Rationalisierung der wissenschaftlich zu erfassenden Gegenstände (Balsiger 2005: 57)

- Komplexität reduzieren

- Reduktion ist ein Muss

- Sprache wird unter bekannten Aspekten betrachtet

- Merkmale von Disziplinen

- „Die Wissenschaft widerspiegelt die konkreten Dinge und Erscheinungen nicht in ihrer un- wiederholbaren Individualität, sondern in ihren allgemeinen, gesetzm äß igen Eigenschaften und Zusammenhängen. Als Gegenstände von Disziplinen betrachten wir daher Systeme sol cher Eigenschaften und Zusammenhänge. Als empirische Objekte treten die wirklichen Dinge mit dem erkennenden Subjekt, das sie unmittelbar bzw. durch Geräte vermittelt beobachtet und experimentell untersucht, in der unerschöpflichen Totalität ihrer Eigenschaften in Wechselwirkung. Ein und dasselbe empirische Objekt kann daher f ü r mehrere Diszip linen zum Gegenstand der Untersuchung werden.“ (Guntau, 23)

- Gegenstandsbezug über einen längeren Zeitraum (permanent)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- Merkmale von Disziplinen (Guntau)

- Neben Gegenstandsbezug auch Permanenz des Gegenstandsbezuges in Hinblick auf / was wiss. Diszipl. auszeichnet:

- Kognitiven Orientierung (Disposition der Erkenntnissubjekte, als subjektive Reprä- sentanz des Gegenstandes)

- terminologische Normierung zwecks Disziplinierung der Kommunikation (Fachspra- che)

- prozedurales Wissen: Vorschriften für die Verfahren, die zur Identifizierung der den Gegenstand repräsentierenden Objekte angewandt werden (Wissen zur empirisch- experimentellen Erschließung des Gegenstandes)

- Wissenschaftlichkeitskriterien (Kriterien, die dazu dienen sollen, wissenschaftliches von nicht-wissenschaftlichem Handeln abzugrenzen)

- Institutionalisierung (disziplinäre Institutionen sind soziale Existenzformen von Dis- ziplinen, die ihnen Permanenz verleihen; z.B. durch Professionalisierung, Scientific Community = Individuen, die bezüglich des Gegenstandsbereiches der Disziplin kompetent kommunizieren)

- Unterscheidungsmerkmale von Disziplinen

- „Das, was eine Disziplin von einer anderen unterscheidet, wird also weder allein der Ge-genstand noch allein das Interesse oder das Problem sein, worauf man sich jeweils richtet.

Die Identität wird vielmehr gestiftet durch einen Theorieentwurf oder ein Ganzes von Theo- rien, an dem sich weiterarbeiten läßt.“ (Krüger 1987: 116)

- Merkmale von Disziplinen (Stichweh 1979)

- 1. hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang von Forschern (Scientific

Community)

- 2. ein Korpus wissenschaftlichen Wissens, der sich in Form von Lehrbüchern repräsentiert

findet.

- 3. Fragestellungen, die von der Scientific Community aktuell als problematisch (ungelöst)

angesehen werden.

- 4. Set von Forschungsmethoden und paradigmatischen

- Problemlösungen

- 5. Strukturen, die eine auf die Disziplin bezogene Karriere und fest eingerichtete Prozesse

der Sozialisation erm ö glichen (Ziel: wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden; „Indoktrination“ und „Selektion“)

Grundlagenforschung vs. Angewandte Forschung

- Ergebnisorientierung

- Grundlagenforschung: Entwicklung neuer Theorien oder Weiterentwicklung bestehender. Die wissenschaftlichen Grundlagen einer Wissenschaftsdisziplin sollen gestärkt und die Möglichkeiten geschaffen werden, beobachtete Erscheinungen zu erklären und in ein Weltbild einzuordnen. Disziplin weiter ausbauen

- Angewandte Forschung: Ergebnisse zielen auf eine konkrete Verwertung außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs oder stellen Wissensbasis bereit, die für eine technische Ent- wicklung erforderlich ist. Entscheidungsprimat liegt daher nicht immer bei den Wissen- schaftlern, sondern bei Nutzern oder kommerziellen Verwertern.

(Balsiger 2005: 102f.)

- „Orientierte Forschung“

- „Forschungstypus, der eine Mittelstellung zwischen Grundlagenforschung und angewand-

ter Forschung einnimmt. Dabei soll der Begriff ausdrücken, da in einem ersten Schritt grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse generiert werden, wobei der Forschungsprozeß jedoch nicht einfach stehen bleibt; vielmehr gehören als integrale Schritte die Überführung solcher grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in möglichst verwertungsfähige Produkte. Am Ende eines solchen orientierten Forschungsprozesses mußjedoch nicht in jedem Fall die fer3ge Entwicklung eines möglichen Produktes stehen. Es können ebenso gut entscheidfähige Grundlagen oder Handlungsempfehlungen sein.“

(Balsiger 2005: 104-106)

- Angewandte Linguistik

- „... ist heute generell zu definieren als eine Disziplin, die sich mit der Beschreibung, Erklä-rung und Lösung von lebens- und gesellschaftspraktischen Problemen in den Bereichen von Sprache und Kommunikation befasst.

- Diese Probleme halten sich nicht notwendig an disziplinäre Grenzen; für ihre Bearbeitung reichen vorhandene linguistische Erkenntnisse auch nicht immer aus.“(Knapp u.a. 2004)

- „Das Streben nach Problemlösungen bringt es mit sich, dass die angewandte Linguistik oft

über den vorhandenen linguistischen Forschungsstand hinausgehen und gegenstandsbezogen neue Methoden und theoretische Konzepte entwickeln [muss] und dabei auch auf andere Disziplinen Bezug nehmen muss. Die Unterscheidung von Theoretischer und Angewandter Linguistik wird damit obsolet.“ (Knapp u.a. 2004)

2. Vorlesung - Gesprächslinguistik 1: Grundbegriffe

- Gesprächslinguistik = Analyse gesprochener, meist dialogischer Sprache; Gesprächsanalyse ist eine eigenständige Forschungsdisziplin der Linguistik, hat aber enge Verbindungen zur Textlinguistik und zur Sprechakttheorie; Ziel der Gesprächsanalyse ist die Erforschung verschiedener Gesprächspraktiken, die Mitglieder einer Gesellschaft verwenden, um miteinander zu kommunizieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

= falsches Modell, da Abbildtheoretischer Sprachbegriff hinter diesem Modell steckt Infos in Sprache verpackt und hin und her geschickt = falsch

- Abbildtheoretischer Sprachbegriff

- "Die Grundvorstellung dahinter könnte man etwa folgendermaßen zusammenfassen: Sprachliche Zeichen (Wörter) repräsentieren (bezeichnen, vertreten) etwas, das entweder in der Wahrnehmung oder aber in der Vorstellung oder im Denken von Subjekten schon gegeben ist, also unabhängig von der Sprache schon 'da' ist. (...) Eine Kette von Repräsenta- tionen erstreckt sich dann gleichsam von dieser 'ursprünglichen Präsenz' über die Lautspra- che bis hin zur Schrift: Am Anfang (...) stehen etwa die in der Wahrnehmung gegebenen Dinge und Ereignisse (...) Die sprachlichen Zeichen repräsentieren Klassen solcher Einzel- dinge oder Einzelvorstellungen, und die schriftlichen Zeichen schließlich repräsentieren die ursprünglichen lautlichen Zeichen." (Wellmer 2004; 17) "Auf der einen Seite ist ein sprach- liches Zeichen, auf der anderen Seite das, was es bedeutet." (Wellmer 2004; 21)

- Wort steht für Vorstellung

- In Vorstellung sind Infos enthalten

- Abbildtheorie: Wirklichkeit ist schon da

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

= falsches Modell

Vorstellungen werden in Sprache kodiert (mit Eigenschaften)Zur Theorie der Sprechakte

John Longshaw Austin = Begründer der Sprechakttheorie How to do things with words; er warf ande- ren Philosophen vor, dass sie irrtümlicherweise dächten, sprachliche Bedeutung beschränke sich auf Wahr- heitsbedingungen; seine Kritik zielt darauf ab, dass Sprachphilosophen in der Regel übersähen, dass eine Äußerung immer zugleich eine Handlung darstelle; in einer ersten Theorie unterscheidet Austin zunächst zwischen performativen und konstativen Äußerungen; performative Äußerungen können gelingen oder misslingen, während konstative wahr oder falsch sind; später verwirft er diese Theorie zugunsten einer Theorie, nach der jede Äußerung simultan drei Dimensionen haben kann: Lokution, Illokution, Perlokution

- performativ vs. konstativ

- konstative Äußerungen

- treffen Feststellungen, die je nachdem, ob sie Tatsachen entsprechen oder nicht, wahr oder falsch sind

- Äußerungen, die die Welt beschreiben

- Bsp.: „Simon hat heute Geburtstag.“; „Petra ist verheiratet“; „Es regnet.“

- performative Äußerungen

- stellen den Vollzug einer Handlung dar; sind weder wahr noch falsch

- = sprachliche Handlungen

- Bsp.: „Ich vermache dir meine Uhr.“; „Ich taufe dich auf den Namen Peter.“

- können weiter unterteilt werden in:

- explizit performativ: erfolgen in der 1. P. Sgl. Ind. Präs.; „Ich warne dich….; Ich vermache dir…; Ich wette…; Ich verspreche…“; „Ich warne dich, der Hang ist lawinengefährlich.“

- primär (implizit) performativ: Äußerungsumstände deuten auf die Hand- lung; „Der Hang ist lawinengefährlich.“

- Gelingensbedingungen

- (A.1) Es muss ein übliches konventionales Verfahren mit einem bestimmten konventionalen

Ergebnis geben.

- (A.2) Die betroffenen Personen und Umstände müssen im gegebenen Fall für die Berufung

auf das besondere Verfahren passen, auf welches man sich beruft. (z.B. kann nur der Prof.

die Sitzung beenden, bei Student fkt. es nicht)

- (B.1) Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt

- (B.2) und vollständig durchführen

- (Gamma.1) Wenn das Verfahren für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Ge-fühle haben, oder wenn es der Festlegung eines der Teilnehmer auf ein bestimmtes späteres Verhalten dient, dann muss, wer am Verfahren teilnimmt und sich darauf beruft, diese Meinungen und Gefühle wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten,

- (Gamma.2) und sie müssen sich dann auch so verhalten

- Performativität als Illokution

- (i) Locutionary act: the utterance of a sentence with determinate sense and reference

Die Äußerung von Worten, die einem Vokabular angehören und einer Grammatik folgen. Auf dieser Ebene kann man die Äußerung auf ihre Wahrheit prüfen.

- (ii) Illocutionary act: the making of a statement, offer, promise, etc. in uttering a sentence,by virtue of the conventional force associated with it (or with its explicit performative par- aphrase) die Rolle der Äußerung, z. B. eine Entschuldigung, ein Befehl oder eine Feststel- lung.

- (iii) Perlocutionary act: the bringing about of effects on the audience by means of uttering the sentence, such effects being special to the circumstances of utterance

(Levinson 1983: 236) Die unmittelbare Folge der Äußerung, z. B. die Verpflichtung, ein Versprechen einzuhalten.

- Bsp.: Die Berliner Runde (Elefantenrunde) am Tag der Bundestagswahl 2005 (Schröder hat eine BTwahl stattfinden lassen; Teilnehmer: Westerwell, Fischer, Merkel, Schröder, Stoiber, Biski

- Wirklichkeitskonstruktion im Gespräch

- Arnulf Deppermann (2005): Glaubwürdigkeit im Konflikt - Rhetorische Techniken in Streit-gesprächen - Prozessanalysen von Schlichtungsgesprächen

- Wirklichkeitskonstruktion im Gespräch: Konstitutivität, Interaktivität, Prozessualität, Me-thodizität, Pragmatizität

- miteinander interagieren heißt, aufeinander bezogen zu handeln und damit auch vonei-nander abhängig zu sein

- Ein Anlaß, dieser Abhängigkeit gewahr zu werden und ihre Macht zu verspüren, entsteht,wenn die Selbstverständlichkeit des So-Seins der Welten, die wir im Gespräch aufbauen und die uns präsentiert werden, zweifelhaft wird.

- Wenn kein letzter Beweis zur Verfügung steht, wird klar, daß der Sprecher davon abhängig ist, daß ihm geglaubt wird, und daß der Rezipient davon abhängig ist, daß er dem Sprecher glauben darf.

- "Letzte Beweise" haben wir fast nie - und wenn, dann erweist sich meist, daß sie selbst kommunikative "Fakten" sind und nur für eine Seite "letzte Beweise" darstellen.

- unsere Wirklichkeit ist nicht von sich aus gegeben, sondern hängt von unseren interpretati-ven Leistungen ab

- Zusammenfassung: Unter Bezug auf neuere Entwicklungen der analytischen Sprachphilo-sophie wurde die Vorstellung von Sprache als Medium der Abbildung bzw. Repräsentation von Wirklichkeit verworfen. Sprache wird stattdessen als Werkzeug der sozialen Konstruk- tion von Wirklichkeit verstanden. Der empirischen Erforschung der Prinzipien von Wirklich- keitskonstruktion in Gesprächen haben sich v.a. die Ethnomethodologie (insbesondere die Konversationsanalyse) und die 'discursive psychology' gewidmet. Aus diesen Forschungen wurden fünf Basisprinzipien interaktiver Wirklichkeitskonstruktion gewonnen: Konstitutivi- tät, Interaktivität, Prozessualität, Methodizität und Pragmatizität. Diese Basisprinzipien bil- den grundsätzliche Determinanten, denen die Erforschung der Verhandlung von Glaubwür- digkeit in Gesprächen Rechnung tragen muß und die den Rahmen für meine eigene Unter- suchung abstecken.

- Konstitutivität

- Wirklichkeit im Gespräch beruht auf aktiven Konstruktionsleistungen der Gesprächsteil- nehmerinnen und -teilnehmer
- bei der darstellerischen Konstitution von Wirklichkeit sind folgende Prak3ken wirksam: Ka- tegorisierung, Detaillierung, Selek3on und Kondensierung, Modalisierung und Kontextuali- sierung
- Wirklichkeit wird im Gespräch hergestellt
- Modalität = Art meines Wirklichkeitsbezuges; Modalisierung = welchen Wirklichkeitsbezug ich meinen Äußerungen gebe
- = Dinge kategorisieren, detaillieren, herauspicken
- Bsp.: In Elefantenrunde wird Status durch Redeabfolge konstituiert; Statusfragen durch
Schröder „Schön, dass sie mich jetzt schon ansprechen.“
- Interaktivität
- Wirklichkeit wird von Interaktanden ausgehandelt
- Äußerungen werden auf die Rezipienten zugeschnitten (recipient design)
- Wirklichkeitskonstruktionen gelingen nur dann, wenn
- Darsteller zeigen, wie sie das Gesagte aufgefasst wünschen
- Interaktionspartner zeigen, dass sie das Gesagte aufnehmen und wie sie es verste- hen
- Darsteller zeigen wiederum, ob sie das dokumentierte Verständnis akzeptieren
- Intersubjektivität wird „öffentlich“ hergestellt, Bedeutung wird interaktiv ausgehandelt
- Immer wieder gegenseitiger Versicherung, dass man sich versteht wir brauchen Feed- back der Interaktionspartner
- Prozessualität
- Wirklichkeitskonstruktion ist ein prozessuales Geschehen
- Im Verlauf von Gesprächen werden Sachverhalte entwickelt, Themen gewechselt, Auffas- sungen revidiert oder bestritten etc.
- Jede Äußerung knüpft an einen Kontext an, der durch Verlauf und momentanen Stand des Gesprächs gegeben ist
- Interaktanden signalisieren Differenz-, Kontinuitäts- und Kohärenzrelationen der gegenwär- tigen Äußerung zum vorherigen Interaktionsgeschehen
- Wir können Themen wechseln
- Methodizität
- Interaktanden benutzen methodische organisierte Verfahren der Darstellung mit denen sie Wirklichkeit konstruieren
- Sie verfügen über kulturell verbreitete Muster, mit denen sie die Aufgabe, Wirklichkeitsdar- stellungen zu konstruieren und zu interpretieren, bewältigen können
- Spezifische Methoden der Wirklichkeitsdarstellung sind Kategorisierungsverfahren, Sche- mata der Sachverhaltsdarstellung (Beschreiben, Erzählen oder Argumentieren) und rekon- struktive kommunikative Gattungen (Prüfungsgespräch, Talkshow)
- wir bedienen uns fertiger Muster
- Das Wort erteilen und ausreden lassen explizite Bezüge zu den Normen der kommunika- tiven Gattung
- Pragmatizität
- Wirklichkeiten werden konstruiert nach Maßgabe praktischer Relevanzen, an denen die In- teraktanden ihr Handeln ausrichten
- Wirklichkeitsdarstellungen sind selbst Handlungen und Interaktanden verfolgen Interessen, denen diese Darstellungen dienen sollen
- Darstellungen sind daher nie neutrale Beschreibungen, auch wenn sie von den Darstellern als solche charakterisiert werden
- Wirklichkeitsdarstellungen sind immer interessengeleitet; wir handeln mit bestimmten Zie- len und Intentionen; wir sind nicht subjektiv

[...]

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Korpora, Varietäten, Forensik. Grundzüge der angewandten Linguistik
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Angewandte Linguistik
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
43
Katalognummer
V315363
ISBN (eBook)
9783668141285
ISBN (Buch)
9783668141292
Dateigröße
1771 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprache und Kultur, Wittgenstein, Kontextualisierung, Disziplinen, Grundlagenforschung, Gesprächslinguistik, Soziolinguistik, Korpuslinguistik, Forensische Linguistik
Arbeit zitieren
M.Ed. Henriette Bartusch (Autor:in), 2013, Korpora, Varietäten, Forensik. Grundzüge der angewandten Linguistik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315363

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