"In einigen Tagen geht es wieder ins Feld ...". Soldatischer Kriegsalltag in der k.u.k. Armee (1914-1918)


Diplomarbeit, 2015

118 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Soldatischer Kriegsalltag 1914-1918in der k. u. k. Armee 1914-1918als Thema der österreichischen Historiographie

II. Die Gliederung der k. u. k. Armee am Vorabend des Ersten Weltkrieges

III. Die Fronten
1. Wie fuhrt man einen Zweifrontenkrieg?
2. „Die russische Dampfwalze“: die Nordostfront 1914-1918
3. Die Italienfront (1915 -1918)

IV. Kriegsalltag eines Soldaten im Spiegel von Bildern und Feldpostkarten
1. Vom Elbestrand ins Kärntnerland: ein Sudetendeutscher kommt nach Klagenfurt..
a. Kriegsbeginn
b. Einrücken?
2. An der Ostfront
a. „Der Styrbogen von Czartorysk“
b. „Durch Blut und Blei hinauf“ - Der Einsatz des LIR 9 im Herbst 1915
c. Stellungsbau
d. „Kleinkrieg“ - Patrouillen und Aufklärung, Gefechtsmeldungen
e. Soldatenfriedhöfe und Gefallenenehrung
3. Am Stochod
a. „Des Moskoviters Siegesschrei“ - Die Brussilow-Offensive(n)
b. Feldpost aus dem Feldlager
c. Kaiser Karl: der Letzte in einer langen Reihe
d. Kaiser Karl als „Kriegsherr“
e. „Friedensverhandlungen am Stochod“
4. Das letzte Aufgebot: an der Südwestfront
a. Facetten des Gebirgskrieges
b. Stationen eines Marsches

V. Was vom Kriege übrig blieb

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Glossar (Begriffe, Orte)

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Vor einigen Jahren erhielt ich von meiner Großmutter eine Sammlung von Fotografien aus dem Nachlass ihres Vaters Ernst Watzek. Dieser war von Beruf Fotograf gewesen. In seiner Sammlung befand sich eine größere Anzahl von Aufnahmen und Feldpostkarten, die offensichtlich aus dem Ersten Weltkrieg stammte und sofort mein Interesse erweckten. Ich machte mich an eine provisorische Bestandsaufnahme, transkribierte die Karten und besah mir die Fotos eingehender. Schon bei einer ersten Betrachtung erwies sich das Material als außerordentlich vielfältig und spannend. Soweit ich erkennen konnte, dokumentierte es zunächst einmal den Kriegseinsatz Ernst Watzeks in den Jahren von 1915 bis 1918. Darüber hinaus enthält die Sammlung von rund 200 Fotografien eine Vielzahl von Aufnahmen, die Aspekte des Kriegsalltages in der k. u. k. Armee zeigen. Einige von diesen sind spektakulär. Sie zeigen beispielsweise einen Granatwerfer im Einsatz (Abbildung 11) oder die Explosion einer Granate (Abbildung 12).[1] Andere wirken auf den ersten Blick unscheinbar, enthüllen aber bei genauerer Analyse aufschlussreiche Details. So entstand bei mir der Wunsch, die Sammlung wissenschaftlich im Rahmen meiner Diplomarbeit zu bearbeiten.

Die zentrale Fragestellung lautete: Inwieweit dokumentieren die Fotos und Feldpostkarten den Kriegsalltag in der k. u. k. Armee an Hand eines Einzelschicksals? Welche besonderen Aspekte kann man mit ihrer Hilfe herausarbeiten? Daraus ergab sich das Problem, wann und wo die Fotos aufgenommen wurden. Es ging darum, die Stationen Ernst Watzeks während der Jahre 1915 bis 1918 nachzuvollziehen. Eine weitere Frage war der Entstehungszusammenhang der Aufnahmen. Waren die Aufnahmen gewissermaßen seine Privatsache gewesen oder hatten einige einen offiziösen Charakter? Diese Sachverhalte mussten zu Beginn geklärt werden. Zunächst ging es um eine Bestandsaufnahme und Gliederung: Die Sammlung umfasst rund 200 Fotos[2] (und Feldpostkarten). Watzek diente, wie aus dem Poststempel der Karten ersichtlich, im k.k. Landwehrinfanterieregiment Nr. 9 Teplitz-Leitmeritz (= LIR 9). Diese Angabe war sehr hilfreich. So konnte schließlich nachvollzogen werden, wo Watzek während des Krieges stationiert war, wobei sich folgende Einsatzgebiete bzw. Zeiträume unterscheiden lassen:

- Februar und Juli - August 1915: Böhmen (Teplitz/Teplice).
- Oktober 1915- Juni 1916: Styrbogen bei Czartarijsk: während der 1. Brussilow- Offensive Rückzug an den Stochod.
- Juli 1916- Jänner 1918: Stochod-Front.
- Februar - Juli 1918: Hochfläche der „Sieben Gemeinden“.
- Juli - Oktober 1918: Heeresreserve hinter der Piave-Front.

Die Aufnahmen sind fast durchwegs im Format 13,5 x 9 (13,8 x 8,8 cm) und auf Karton (Stärke 0,5 mm) gedruckt. Die Rückseite ist so gestaltet, dass sie auch als Feldpostkarten zu verwenden waren (Rechteck für die Briefmarke, Adresszeilen, leerer Raum für den Text), was bei einigen auch geschah. Nur wenige Fotos weichen im Format ab und sind auf dünnerem Papier ausgearbeitet. Außer den Bildern Ernst Watzeks finden sich in der Sammlung drei (gezeichnete) Feldpostkarten und zwei Aufnahmen von einem Kollegen aus Teplitz-Leitmeritz. Der Großteil ist auf der Rückseite beschriftet, wobei auf den Feldpostkarten nur eine ungenauere Ortsangabe wie „Russland“ oder „Russland, Wohlynien“ steht. Die nicht verschickten Fotos haben zumeist genaue Bezeichnungen wie „Sumpfgelände bei Potgatje Wol[hynien]“ oder „Czartarijsk“. Manche wurden ein zweites Mal beschriftet, wohl weil die ursprüngliche Schrift verblasste, die gegenwärtig kaum oder gar nicht zu entziffern ist.

Der erste Schritt in der Bearbeitung der Sammlung war, dass versucht werden musste, die Fotos in eine chronologische und geographische Ordnung zu bringen. Es ging dabei um die Klärung von „handfesten Fragen“[3] wie es Ernst Opgenoorth formuliert, bevor eine genauere Analyse inhaltlicher Botschaften vorgenommen wurde. Durch die teilweise sehr eindeutige Beschriftung war die Zuordnung einiger Fotos an bestimmte Regionen einfach bzw. war es nicht weiter schwierig herauszufinden, wo bestimmte Orte liegen. Teilweise konnte dies schon mit einer einfachen Intemetrecherche (über Google oder eine andere Suchmaschine) bewerkstelligt werden. Eine kleine Schwierigkeit stellte allerdings die Tatsache dar, dass es für die russischen (ukrainischen) Ortsnamen mehrere Schreibweisen im lateinischen Alphabet gibt. Speziellere Orte oder zeitgenössische Bezeichnungen konnten mit dieser Methode aber nicht mehr aufgefunden werden. Immerhin ergab sich aber ein grobes Raster als Grundlage für weitere Recherchen.

Ein hilfreicher Umstand war, dass die Feldpostkarten datiert wurden. Ein „Durchbruch“ bei der Bearbeitung konnte aber damit nicht erzielt werden. Der vielversprechendste Anhaltspunkt war die Angabe der Einheit, des „k.k. Landwehrinfanterieregiments Nr. 9. Teplitz-Leitmeritz“ auf den Feldpostkarten (teilweise durch den Regimentsstempel selbst). Mit Hilfe des mehrbändigen Werkes „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ konnte herausgefunden werden, zu welchen übergeordneten Einheiten das Regiment gehörte: Es bildete gemeinsam mit dem LIR 10 die 52. Landwehrinfanteriebrigade, die wiederum der 26. Landwehrdivision angehörte.[4] Dadurch stieß ich schließlich auf eine Monographie aus der Zwischenkriegszeit mit dem Titel „Die 52. Landwehrinfanteriebrigade im Weltkriege 1914-1918“,[5] verfasst von Ernst Wisshaupt, einem ehemaligen Offizier der k. u. k. Armee. Dadurch war es ein Leichtes, die Einsätze des Regiments während des Krieges nachzuvollziehen und eine chronologische und geographische Ordnung für die Aufnahmen zu erstellen. Vorsichtshalber wurden die Angaben Wisshaupts - sofern es möglich war - mit anderen Werken und den erhaltenen Akten des Kriegsarchivs (Österreichisches Staatsarchiv, Wien)[6] abgeglichen. Das Werk selbst erwies sich aber als sehr detailgenau, auch wenn Stil und Darstellung nicht mehr als zeitgemäß bezeichnet werden können.

Am Ende dieses Arbeitsprozesses ergab sich die eingangs skizzierte Ordnung des Materials. Größere Schwierigkeiten gab es nur in Einzelfällen: Eine Aufnahme beispielsweise war mit „Monte Pertica“ beschriftet. Das Problem bestand in diesem Fall darin, dass das LIR 9 niemals auf diesem Berg stationiert gewesen war. Handelte es sich um eine Fehlbeschriftung? War Watzek mit einem Sonderauftrag dort gewesen? Die Auflösung fand sich in Schaumanns „Schauplätzen des Gebirgskrieges“. Er vermerkt zum Sasso Rosso, einem Gipfel auf dem Plateau der „Sieben Gemeinden“ - dort war das L1R 9 im Jahr 1918 stationiert -, dass man von dort eine gute Sicht auf das Grappa-Massiv habe, zum dem der Monte Pertica gehört.[7] Die Beschriftung bezog sich also auf den im Hintergrund erkennbaren Berg.

So blieben am Ende dieses Arbeitsschrittes der ersten Materialordnung nur unbeschriftete Fotos übrig. Einige von ihnen konnten mittels Vergleich mit ähnlichen Aufnahmen (mit ziemlicher Sicherheit) einem bestimmten Gebiet zugeordnet werden. Bei andern ließen sich nur begründete Vermutungen anstellen oder gröbere Datierungen bzw. geographische Zuordnungen vornehmen. Auf Grund der Gestalt der Häuser lässt sich sagen, dass ein Foto in Russland aufgenommen worden sein muss und unmöglich aus Italien stammen kann. Ob es aber von der Styr- oder der Stochodfront stammt, ist nicht festzustellen. Umgekehrt muss die Aufnahme einer gebirgigen Landschaft an der Südwestfront gemacht worden sein. Als zeitlicher Rahmen ergibt sich dann die Zeit Februar bis Juli 1918. Weitere Hinweise für eine Datierung geben u. a. Stahlhelme, die bei den k. u. k. Truppen erst ab 1916 eingeführt wurden.

1n ihrer Gesamtheit ist die Sammlung eine hervorragende Dokumentation des Kriegsalltages in der k. u. k. Armee aus der Sicht eines Regimentes über einen Zeitraum von fast vier Jahren. Geradezu spanend wurde die Bearbeitung dann, wenn es gelang, mehrere Fotos unter einem bestimmten Aspekt zu analysieren, wie es im Fall des Stellungsbaus geschah, oder sie in Verbindung mit Ereignissen zu bringen, die in schriftlichen Quellen erwähnt werden. Letzteres geschah mit einer Aufnahme, die für sich genommen ziemlich unspektakulär erscheint: Sie zeigt die Kirche eines kleinen Ortes namens Czartarijsk (oder Czartorijsk), fotografiert im Winter und aus einer gewissen Entfernung. Für sich genommen ist das nichts Besonderes. Zieht man aber die Quellen heran, so ergibt sich, dass sich die Kirche an der Front bzw. im Niemandsland zwischen den russischen und österreichischen Stellungen befunden haben muss. 1n Verbindung mit zwei schriftlichen Quellen ergibt sich die Schlussfolgerung, dass das Foto wohl deshalb aufgenommen wurde, weil die Kirche Schauplatz eines Gefechts war. Daraus ergibt sich als Analogieschluss, dass zumindest einige der Fotos in offiziellem Auftrag entstanden sind. Dies wurde durch Gespräche meiner Großmutter bestätigt.[8] Sie erinnerte sich an eine Kriegserzählung ihres Vaters, in der er berichtete, dass im Auftrag eines Offiziers Gräber fotografieren musste. Abgesehen von diesem Aspekt zeigen fünf Aufnahmen Kaiser Karl bei Truppenbesuchen im Jahr 1917 und 1918. Die relative Nähe zum Kaiser und seinem Stab lassen vermuten, dass Watzek zumindest von Regimentsseite dazu autorisiert worden war und nicht heimlich fotografierte.[9]

Vom wissenschaftlichen Standpunkt war dies für mich der besondere Reiz an der Arbeit, die Fotos in einen Kontext zu stellen und damit „zum Sprechen“ zu bringen. Dazu kam der persönliche Aspekt. Immerhin begab ich mich damit auf die Spuren meines Urgroßvaters und konnte mit Hilfe der Aufnahmen seinen Weg durch den Krieg nachvollziehen. Das Ergebnis meiner Bemühungen findet sich auf den folgenden Seiten.

I. Soldatischer Kriegsalltag 1914-1918 in der k. u. k. Armee 1914-1918 als Thema der österreichischen Historiographie

Der Erste Weltkrieg ist seit Jahrzehnten ein prominentes Forschungsgebiet der Geschichtswissenschaft und ihrer Nachbardisziplinen.[10] Die Schwerpunkte des Interesses änderten sich seit den 1920er Jahren. In den ersten Jahren nach Kriegsende ging es eher um Gesamtdarstellungen, den militärischen Verlauf und - soweit es Österreich und Deutschland betraf - auch um eine Ursachenforschung bezüglich der eigenen Niederlage. In diesem Zusammenhang ist „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ zu nennen.[11] Scheinbar objektiv berichtet es über die Ereignisse, ist letztendlich aber auch eine Rechtfertigung der Kriegsführung der untergegangenen k. u. k. Armee und ihrer Strategie; im Übrigen ist es die offizielle Publikation des Nachfolgestaates. Neben Werken, die sich mit dem Krieg im Gesamten befassten, erschienen zahlreiche Regimentsgeschichten, wie beispielweise die „Geschichte des steirischen IR 27“[12] oder „Des Kärntner Infanterieregiment Graf von Khevenhüller Nr. 7 letztes Ringen und Ende“.[13] Ein weiteres Werk dieser Kategorie wäre „Das IR Nr. 99 im Weltkrieg 1914 -1918“.[14] Letzteres zeigt, dass ehemalige Militärs in dieser Zeit eine wichtige Rolle bei der historiographischen Darstellung des Krieges spielten. Es wurde von der Kameradschaft ehemaliger Regimentsoffiziere herausgegeben. Auch Wisshaupt hatte während des Krieges als Hauptmann in der k. u. k. Armee gedient.[15] Einzelschicksale von Soldaten wurden zunächst im Rahmen der Literatur dargestellt, die großteils autobiographisch ist. Was die Donaumonarchie betrifft sind Alexander Lernet- Holenias „Die Standarte“ oder Franz Werfels „Barbara oder Die Frömmigkeit“ zu nennen. Der Kriegsalltag in der k. u. k. Armee spielt in ihnen neben anderen Aspekten eine Rolle. Beide Werke zeichnen aus der Sicht der Literatur ein Bild des Ersten Weltkrieges und von Soldatenschicksalen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen historiographische Werke. Bis in die 1960er-Jahre blieb man aber den älteren historiographischen Traditionen verpflichtet, d.h. die Darstellung konzentrierte sich auf die militärischen Abläufe und das Kriegsgeschehen aus der Sicht der Generalität, von einer “historiography of officers”[16] spricht Hannes Leidinger in diesem Kontext. Darüber hinaus begann aber auch eine jüngere Generation von Historikern sich mit dem Thema zu beschäftigen, zu nennen sind hier die Namen Ludwig Jedlicka, Fritz Fellner und Georg Plaschka. Jedlicka publizierte u.a. zum Waffenstillstand von Villa Giusti und seiner Darstellung in der österreichischen Historiographie.[17] Plaschka publizierte zur Problematik der tschechischen Überläufer oder zu Auflösung und Revolution gegen Kriegsende.[18] Einen Meilenstein setzte Anfang der 1990er-Jahre der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, Manfried Rauchensteiner, mit seiner Monographie „Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg.“[19] Diese ist bis heute ein Standardwerk geblieben und in einer erweiterten Fassung im Jahr 2013 unter dem Titel „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918“ in einer überarbeiteten Fassung neu aufgelegt worden.[20] In den 1990er Jahren begannen sich in Wien, Graz und Innsbruck Historikergruppen mit dem Ersten Weltkrieg und neuen Aspekten zu beschäftigen. Zu nennen sind die sogenannte „Innsbrucker Schule“ und der Spezialforschungsbereich „Moderne“ von der Universität Graz. Man beschäftigte sich verstärkt mit Einzelaspekten des Krieges, so der Grazer Zeithistoriker Helmut Konrad, der sich mit „Krieg, Medizin und Politik. Der Erste Weltkrieg und die österreichische Moderne“ auseinandersetzte.[21] Einfache Soldaten und Einzelschicksale rückten nun ins Zentrum des Interesses. Eine der wichtigsten Quellengattungen in diesem Zusammenhang sind Tagebücher und Feldpostbriefe. Mit ihrer Hilfe können Soldatenbiographien erschlossen werden.

Problematisch bei den Arbeiten zum Ersten Weltkrieg ist, dass die Ostfront im Vergleich zur West- oder Südwestfront weniger umfangreich erforscht wurde. Dies trifft auch auf Österreich zu und liegt daran, dass die Italienfront näher lag und sich der Forschungsfokus per se verstärkt auf diese konzentriert. Zahlreiche Werke der (populär)wissenschaftlichen Literatur beschäftigen sich mit Einzelaspekten und stellen somit direkt oder indirekt auch den Kriegsalltag in der österreichischen Armee dar.[22] Ein dreibändiges Werk zum Krieg an der Südwestfront gab beispielsweise Heinz von Lichem heraus.[23] Aus diesen ragt die Arbeit von Walter Schaumann, der sich jahrzehntelang mit diesem Thema beschäftigte, heraus. Dieser publizierte zahlreiche kleinere und größere Werke und betrieb Feldforschung.[24] Mit dem „Verein der Dolomitenfreunde“ ergrub und rekonstruierte er Stellungssysteme im ehemaligen Frontgebiet, u. a. auch am Plöckenpass. Zahlreiche Details wie etwa das Aussehen und der Verlauf der Stellungen konnten so geklärt werden.[25] Das „Museum der Dolomitenfreunde“ in Kötschach-Mauthen hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Krieg aus der Sicht des Soldaten darzustellen, womit man viel über Einzelaspekte des Kriegsalltages erfährt. Der Verein gibt bis heute (2015) ein Mitteilungsblatt zum Thema heraus.[26]

Neuere Studien beschäftigen sich unter anderem mit dem Schicksal von Kriegsgefangenen, Deserteuren oder Kriegsverbrechen der k. u. k. Armee. Christian Reiter publizierte beispielsweise zum Infanterieregiment Nr. 28; dieses lief in großen Teilen während der Winterschlacht in den Karpaten zu den Russen über.[27] Hannes Leidinger veröffentlichte Arbeiten zu Kriegsgefangenen.[28] Die Historikerin Christa Hämmerle untersucht sozialgeschichtliche Aspekte und die Verschränkungen zwischen Front und Hinterland. Unter dem Titel „Heimat/ Front“[29] hat sie ein Werk veröffentlicht, dass sich mit Kriegsalltag und Gewalterfahrungen befasst. Eine umfassende Gesamtschau zur k. u. k. Armee legte Christian Ortner im Jahr 2013 vor.[30] Er thematisiert aber weniger den Kriegsalltag, sondern militärische Aspekte wie Bewaffnung, Stellungsbau und taktische Verfahren.

II. Die Gliederung der k. u. k. Armee am Vorabend des Ersten Weltkrieges

„Man gab Unsummen für das Heer aus; aber doch nur gerade soviel, dass man sicher die zweitschwächste der Großmächte blieb.“, bemerkte Robert Musil in seinem berühmten Kakanienessay im „Mann ohne Eigenschaften“.[31] Diese Feststellung ist ironisch und völlig zutreffend. Die k. u. k. Armee galt jahrzehntelang als eines die Monarchie einigenden Bänder und genoss das besondere Wohlwollen des Kaisers.

Die österreichisch-ungarische Armee bestand aus drei Teilen. Reichsübergreifend gab es die k. u. k. (kaiserlich und königliche) Armee, das gemeinsame Heer beider Reichshälften. Darüber hinaus bestand die k.k. (kaiserlich-königliche) Landwehr für „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ und als ihr Gegenstück in der transleithanischen Reichshälfte der k.u. (königlich-ungarische) Honved.

Während in der k. u. k. Armee Männer aus allen Kronländern sowie dem Königreich Ungarn dienten, wurden für die Landwehren bzw. den Honved nur Wehrpflichtige aus den jeweiligen Reichshälften rekrutiert. Die Dienstpflicht war bis 1912 um ein Jahr kürzer als im k. u. k. Heer. Die Landwehren, ursprünglich als ein Aufgebot zweiter Linie gedacht, wurden kurz vor Kriegsbeginn umstrukturiert und aufgewertet und waren somit qualitativ mit den Einheiten der gemeinsamen Armee vergleichbar. Bei der Landwehr wurden Stellungspflichtige direkt eingezogen („assentiert“) und mussten ihren Wehrdienst ableisten. Darüber hinaus gab es eine sogenannte Ersatzreserve von mindertauglichen Männern, die nur für den Kriegsfall vorgesehen war.

Das gesamte Habsburgerreich war in 16 Militärterritorialbezirke unterteilt, „die gleichzeitig Korpsbereiche waren und die obersten militärischen Ersatzbehörden darstellten“.[32] Diese konstituierten das gesamte Heer (k. u. k. Armee: Landwehr; Honved). Die Friedensstärke betrug vor Kriegsbeginn rund 400.000 Mann, im Kriegsfall sollten 1,8 bis 2 Millionen mobilisiert werden.[33] Dies waren beachtliche Zahlen, allerdings schöpfte die Habsburgermonarchie ihr Potential im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht voll aus. Nur etwas mehr als ein Viertel (29,1%) der gesamten männlichen Bevölkerung wurde auch für den Kriegsdienst ausgebildet, damit lag man deutlich hinter Russland (rund 37%) und weit hinter Frankreich (rund 86%).[34] Im Jahr 1910 wurden 799.161 Stellungspflichtige untersucht, mehr als 50% sofort zurückgestellt und 20% als „untauglich“ eingestuft. Der Rest wurde zum Wehrdienst eingezogen. Die energischen Reformen des Generalstabschefs Conrad von Hötzendorf führten dazu, dass kurz vor Kriegsbeginn die Zahl der Stellungspflichtigen gesteigert wurde, um so die Schlagkraft der Armee zu erhöhen. 1914 betrug die Friedensstärke 415.000 Mann (Tabelle 1). Auch gelang es ihm, die Ausgaben für die Rüstung zu erhöhen; diese waren von 1870 bis 1910 gekürzt worden. Betrug der Anteil am Gesamtbudget 1870 noch 24,1%, so waren es 1910 nur mehr 15,7%.[35] Letztendlich kamen diese Maßnahmen aber zu spät.

Tabelle 1: RekrutierungskontingentundFriedensstärke, Stand: Juni 1914[36]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Kriegsfall sollte die Armee 17 Korps mit „49 Infanterie-, 11 Kavalleriedivisionen sowie 36 Landsturm und Marschbrigaden“ stellen.[37] Diese verfügten über rund 2.600 Artilleriegeschütze der unterschiedlichsten Kaliber.[38] In der Regel verfügte eine Division nur über 42 Feldkanonen, während eine russische 48 und eine deutsche sogar 72 hatte.[39]

Was die Ausrüstung betraf, sollte es sich als verhängnisvoll erweisen, dass die Armee im Vergleich zur russischen und teilweise auch zur serbischen hinsichtlich ihrer Feldartillerie unterlegen war: Die österreichischen Geschütze hatten eine geringere Reichweite als jene ihrer Gegner. Dies mag im Falle Serbiens auf den ersten Blick verwundern, lag aber daran, dass dessen Armee mit moderneren französischen Schnellfeuergeschützen ausgestattet war. Problematischer war aber, dass die russische Armee in absoluten Zahlen noch mehr Geschütze hatte als die österreichische.[40]

Ein weiteres gravierendes Manko der k. u. k. Armee war die geringe Anzahl von Maschinengewehren. Vor dem Krieg bzw. zu Kriegsbeginn kamen auf 1.000 Mann nur zwei Maschinengewehre, während 1918 eines auf 100 Soldaten kam.[41] Einschränkend ist zu bemerken, dass die Bedeutung dieser Waffe für die Abwehr von allen Armeen vor Kriegsbeginn unterschätzt worden war. Ein weiteres Problem der österreichisch­ungarischen Armee war, dass zunächst zu wenig moderne Gewehre zur Verfügung standen. Reservisten mussten deshalb mit älteren Modellen ins Feld geschickt werden. Was die Rüstungsmängel der k. u. k. Armee betraf, lag dies an der dualistischen Struktur der Monarchie. Lange Zeit hatte sich die ungarische Reichshälfte gewehrt, einer Erhöhung des Militärbudgets zuzustimmen. Erst angesichts der Balkankriege 1912/ 13 war es unter Ministerpräsident István Tisza zu einer Meinungsänderung hinsichtlich des Rüstungsbudgets gekommen.

Ausrüstung und Stärke einer Armee sind ein wichtiger Punkt, ebenso Moral und Ausbildungsstand. Wie sah es damit im Heer der Habsburgermonarchie aus? Über die Zuverlässigkeit einzelner Nationalitäten ist nach dem Krieg viel diskutiert worden. Die Beurteilungen waren lange Zeit kontrovers und schwankten zwischen einer überwiegend positiven, kaisertreuen Einschätzung und dem Vorwurf der Unzuverlässigkeit vor allem slawischer Truppenteile. „Die heutige Auffassung scheint sich in der Mitte zu bewegen“,[42] wobei die Diskussion noch im Gange ist und immer detailliertere Auswertungen das Bild ergänzen.[43]

Auch vor dem Krieg hatten militärische Kreise in Österreich sich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Generalstabschef Conrad von Hötzendorf, Anhänger einer offensiven Denkweise, war der Meinung, dass man durch einen schnellen Sieg oder Erfolg den Zusammenhalt der Armee stärken und die Probleme, die sich aus dem Nationalitätenkampf im politischen Alltag ergaben, damit überspielen könnte. Zu Kriegsbeginn waren die allgemeine Begeisterung und patriotische Stimmung unter der wehrfähigen Bevölkerung groß, und die tauglichen Rekruten kamen ihrem Einberufungsbefehl nach. Die Situation änderte sich erst im Verlauf des Krieges, insbesondere nach den Niederlagen. Viele Truppenteile wurden immer unzuverlässiger und ergaben sich, ohne großen Widerstand zu leisten oder liefen zum Feind über. Daran war zum Teil, oftmals sogar zum überwiegenden Teil, die unfähige Führung der Truppen durch ihre Kommandeure schuld.[44] Ungeachtet dessen blieb die Armee bis 1918 einsatzfähig, und erst in den letzten Wochen und Monaten vor dem Waffenstillstand brach diese in sich zusammen, wobei einige Truppenteile bis zum Schluss kämpften. Im Sommer 1914 aber waren die Soldaten bereit, als sie von ihrem Kaiser zu den Waffen gerufen wurden, und die Armee rückte ins Feld.

III. Die Fronten

Viel war in den Jahren vor 1914 über mögliche Konflikte spekuliert worden. Die Generalstäbe aller Großmächte hatten Pläne für den Ernstfall in ihren Schubladen, deren prominentestes Beispiel der deutsche Schlieffenplan war. Seit Jahren rechnete man schon mit einem großen Krieg, bereitete sich vor.

1. Wie führt man einen Zweifrontenkrieg?

In Österreich-Ungarn rechnete man mit zwei Szenarien und versuchte sich auf diese einzustellen. Der zuständige Mann dafür war Conrad von Hötzendorf, Generalstabschef von 1906 - 1911 und von 1912-1916. Er galt zu Lebzeiten und in der Zwischenkriegszeit als militärisches Genie. Heute fällt das Urteil über seine Tätigkeit ambivalenter aus. Manfried Rauchensteiner urteilt über ihn: „Nun kann man über Conrad Vieles und Abträgliches sagen, man kann aber auch Gutes über ihn sagen, das ist gar keine Frage. Das Conrad-Bild ist vielfach gezeichnet, häufig auch verzeichnet worden. Das hat dazu beigetragen, dass es nach dem Ersten Weltkrieg schon geheißen hat, man kann alles und jeden kritisieren, nur eine Person nicht, den Generalstabschef. Das Wort gut gemeint, aber historisch nicht redlich.“[45]

Conrad rechnete mit zwei möglichen Kriegsfällen: einmal mit einem begrenzten Krieg gegen Serbien, dem sogenannten „Kriegsfall B“ (für den Balkan). Für sich alleine sollte dieser selbst die k. u. k. Armee vor keine besonderen Schwierigkeiten stellen, da man das Heer einer Großmacht gegen jenes eines Kleinstaates aufbieten wollte. Für diesen Fall musste Österreich-Ungarn nur Teile seiner Streitkräfte aufbieten und hatte noch genügend Reserven. Die Schwierigkeit bestand darin, dass Serbien mit Russland einen mächtigen Bundesgenossen hatte. Die Frage, die im Raum stand, wie sich das Zarenreich im Falle eines Angriffs der k. u. k. Armee auf Serbien verhalten werde? Die schlimmste Variante aus Sicht Österreich-Ungarns war ein Angriff Russland an der Ostgrenze. Dafür wurde der „Kriegsfall R“ (Russland) entwickelt. Ähnlich wie das Deutsche Reich musste auch die Habsburgermonarchie mit einem Zweifrontenkrieg rechnen. Die Hauptkräfte waren dann im Nordosten gegen Russland einzusetzen. Für den Balkan verblieb eine Minimalgruppe B, die stark genug sein sollte, um die Angriffe der serbischen Armee abzuwehren. Letztendlich wurde die serbische Armee von den Österreichern unterschätzt. Sie hatte in den Balkankriegen 1912/13 wertvolle Erfahrungen gemacht und konnte mit allen Reserven 1914 gut 400.000 Mann ins Feld schicken. Zahlenmäßig waren sie damit den k. u. k. Truppen auf dem Balkan ebenbürtig.

Um flexibel agieren zu können, entwickelte Conrad einen Aufmarschplan, welcher die k. u. k. Armee in drei Gruppen teilte: Gruppe eins, die A-Staffel, war für den nordöstlichen Kriegsschauplatz vorgesehen; sie sollte rund 30 Divisionen umfassen. Dazu kam die schon erwähnte Minimalgruppe Balkan (zehn Divisionen) und eine B-Staffel (zwölf Divisionen). Der Plan sah vor, dass die A-Staffel und Minimalgruppe sofort in ihr Aufmarschgebiet verlegt werden; die B-Staffel erst dann, wenn Klarheit über die Haltung Russlands herrschte. Im Falle eines begrenzten Krieges gegen Serben sollte sie die Balkanstreitkräfte unterstützen, ansonsten aber in den Nordosten verlegt werden. Mit dieser Aufteilung wollte Conrad das Horrorszenario, dass die Hauptkräfte Österreich-Ungarns frühzeitig gegen Serbien in Marsch gesetzt würden und Russland plötzlich doch in den Krieg eingreifen könnte, verhindern. Außerdem berücksichtigte der Generalstabschef damit die wenig zuverlässigen Bundesgenossen Italien, gegen das Conrad sogar einen Präventivkrieg erwog, und Rumänien. Der Gang der Ereignisse mündete schließlich in jenes Horrorszenario, das Conrad vermeiden wollte.

Nach der Kriegserklärung gegen Serbien wurde planmäßig mobilisiert und der Aufmarsch vorbereitet. Die A-Staffel ging nach Russland ab, die Minimalgruppe an die serbische Grenze. Über die Haltung des Zarenreiches herrschte zunächst noch Unklarheit, und der Generalstabschef entschied zu Beginn der Mobilmachung, dass man die B-Staffel nach Süden schicken könnte. Kurz darauf änderte sich aber die Situation, und es war klar, dass der „Kriegsfall R“ eintreten werde. Angesichts der Lage entschloss sich Conrad, Teile der B-Staffel zuerst auf den Balkan zu schicken, von wo nach erfolgreichem Kriegsverlauf auf den nördlichen Kriegsschauplatz gebracht werde sollten.

Der Aufmarsch und Transport von ca. zwei Millionen Mann war eine hochkomplexe Angelegenheit, die minutiös geplant war. Eine Armee umzudirigieren, hätte ein mittleres Chaos heraufbeschworen, obwohl die Einschätzung der Historiker auseinandergeht: „Wahrscheinlich hätten die Eisenbahnexperten wirksamer improvisieren können, aber Conrad von Hötzendorf scheint die meiste Schuld an diesem Fiasko getragen zu haben“,[46] bemerkt Stevenson. So wurde die B-Staffel (mittlerweile die 2. Armee) in ihren Einsatzraum auf den Balkon gebracht. Was weiter geschah, war Ausdruck strategischer Unentschlossenheit. Bis zu ihrem Abtransport hatte die Südarmee dem Balkonoberkommando zur Verfügung zu stehen und einen Scheinangriff zu führen, um „serbische Truppen von der Hauptachse der österreichischen Invasion abzulenken“.[47] Sie sollte dabei aber nicht die Donau überschreiten. Eine Reihe von Fehlentscheidungen verschlimmerte die Lage der Südarmee. Die restlichen Truppen der Balkanstreitkräfte, die 5. und 6. k. u. k. Armee, griff an und wurde nach Anfangserfolgen von den serbischen Truppen vernichtend geschlagen.[48] Die Soldaten der 2. Armee durften laut Plan zunächst nicht eingreifen. Erst als die Situation unhaltbar war, wurden sie in die Schlacht geworfen. Allerdings waren sie nun nicht zum Abtransport bereit, als sie dringend auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz benötigt wurden. Denn dort bahnte sich inzwischen die nächste Niederlage der k. u. k. Armee an.

2. „Die russische Dampfwalze“: die Nordostfront 1914 - 1918

Drei Armeen wurden im Sommer 1914 nach Galizien und in die Bukowina verlegt, es waren dies die 1., 3. und 4. k. u. k. Armee. Das Aufmarschgebiet für die österreichischen Truppen war wesentlich ungünstiger als für die Russen, weil es im Süden vom Karpatenbogen eingeschlossen wurde und von mehreren Flüssen durchzogen war. Nach den Plänen des Generalstabschefs sollten seine Armeen versuchen, die Russen in Form einer einseitigen Umfassung zu umgehen (bzw. einzuschließen) und so zu schlagen. So war für die 1. Armee und für die 4. Armee ein offensives Vorstoßen nach Nordosten vorgesehen, die 3. Armee sollte während dessen die Ostflanke (mit Lemberg) decken. Zu Beginn verfügten die k. u. k. Truppen über 37 Infanterie- und 10 Kavalleriedivisionen; die russischen Truppen verfügten über 53 Infanterie- und 18 Kavalleriedivisionen, waren zahlenmäßig deutlich überlegen. Dennoch griffen die österreichischen Armeen an und errangen in den Schlachten von Krasnik und Komarow Anfangserfolge. Diese Siege wurden allerdings überbewertet, weil sie nicht gegen die russischen Hauptkräfte erkämpft wurden. Diese waren weiter östlich aufmarschiert. Problematisch an der weiteren Entwicklung war, dass die 3. Armee, die defensiv bleiben sollte,[49] ebenfalls angriff. Das war eine Fehleinschätzung der Lage, im Glauben es nur mit schwachen Kräften zu tun zu haben. Realiter stand den österreichischen Truppenkörpern die Hauptmasse des Feindes gegenüber. Die Folge war eine vernichtende Niederlage: „Als es zum Gefecht kam, stießen weniger als 100 österreichische Infanteribataillone mit 300 Geschützen frontal auf fast 200 russische Bataillone mit 685 Geschützen. Nach dreitätigem Kampf in dem zerklüfteten Gebiet zwischen Gnila Lipa und Zlota Lipa erlitten die Österreicher bei Zlotchow, 40 km westlich von Tarnopol, ihre erste schwere Niederlage.“[50]

Inzwischen gelangte aber die 2. Armee im Nordosten an und wurde an die Front beordert. Das Problem war eine völlige Fehleinschätzung der Niederlage der 3. Armee und eine Überschätzung der Anfangserfolge. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist ein Befehl vom Armeekommando der 3. Armee an die ihr unterstellte 6. Infanteriedivision vom 4. September 1914 (wenige Tage vor der schweren Niederlage bei Lemberg): „Der Erfolg der eigenen nördlichen Nachbararmee ist ein voller Sieg, 20000 Gefangene, 200 Geschütze erbeutet. Die Geschichte wird erst lehren in welch hervorragendem Maße der große Kampf der 3. Armee diesen Sieg ermöglicht hat.“[51]

Noch immer glaubten die österreichischen Generäle, den Gegner besiegen zu können und sogar ein Rückzug des rechten Flügels auf Lemberg wurde dafür in Kauf genommen. Dort folgte eine weitere schwere Niederlage. Schließlich musste der allgemeine Rückzug aller k. u. k. Armeen befohlen werden. Die Festung Przemysl wurde dabei zum ersten Mal eingeschlossen. Zwar gelang es, sie bei einer Offensive im Oktober wieder zu entsetzen, aber der Erfolg hielt nicht lange an. Die Gegenoffensive der russischen Armee warf die österreichischen Truppen wieder zurück. Diese mussten erstmals um deutsche

Truppenhilfe ansuchen und sich in die Karpaten zurückziehen. Dort gelang es, die Front zu stabilisieren. Die k. u. k. Truppen hatten im Sommer und Herbst 1914 an zwei Fronten zugleich angegriffen, obwohl sie zahlenmäßig unterlegen waren. Das Ergebnis dieses Vorgehens waren katastrophalen Niederlagen. Unter anderem kam ein Großteil des aktiven Offizierskorps ums Leben. Dieser Verlust konnte nicht kompensiert werden.

Im Winter 1914/ 15 waren seitens der österreichischen Armee gegnerische Angriffe, deren Ziel ein Durchbruch in die ungarische Tiefebene war, abzuwehren. Andererseits versuchten sie durch eigene Angriffe die Festung Przemysl zu entsetzen, was aber nicht gelang. Diese musste sich im März 1915 den Belagerern ergeben.[52] Die Festung kapitulierte am 22. März 1915, rund 120.000 k. u. k. Soldaten gerieten dabei in Gefangenschaft. Zu einem überraschenden Erfolg wurde die Durchbruchsschlacht von Tarnow-Gorlice Anfang Mai. Sie war ursprünglich nur als begrenzter Angriff deutsch-österreichischer Truppen gedacht, führte aber zu einem Erfolg für die Mittelmächte. Die russischen Truppen befanden sich innerhalb kürzester Zeit auf dem Rückzug und mussten weite Gebiete Galiziens, die sie im Jahr zuvor erobert hatten, wieder aufgeben. Schließlich gelang es sogar, Lemberg zurückzuerobern und ins Gebiet von Russisch-Polen vorzustoßen. Die deutsch­österreichischen Armeen stießen bis an den Fluss Styr vor. Als die österreichisch­ungarische Armee im Herbst 1915 die Offensive alleine fortsetzte, scheiterte sie nach einigen Anfangserfolgen. Keegan bezeichnet sie als „immer öfter versagende Juniorpartner des deutschen Heeres“.[53] Die k. u. k. Armeen wurden zurückgeworfen und waren wieder auf deutsche Unterstützung angewiesen. Sobald diese eintraf, konnte das Blatt gewendet und die Lage stabilisiert werden. Der Bewegungskrieg ging (wieder) in den Stellungskrieg über. Von Jahresende 1915 bis Juni 1916 war es an der österreichischen Ostfront verhältnismäßig ruhig; abgesehen von der Neujahrsschlacht in Ostgalizien kam es zu keinen größeren Kämpfen. Die Truppen nutzten die Zeit, um das Stellungssystem auszubauen und sich gegen eventuelle Angriffe abzusichern. Ähnlich wie der Durchbruch von Tarnow-Gorlice entwickelte sich die Brussilow-Offensive ab Juni 1916 von einem begrenzten Angriff zu einem durchschlagenden Erfolg; diesmal für die russischen Truppen. Ihr Oberbefehlshaber in diesem Abschnitt, General Aleksej Brussilow, hatte seine Armeen mit neuen Taktiken vertraut gemacht. Sein Angriff war zunächst nur als Entlastung und Ablenkung gedacht, die größere Offensive sollte weiter nördlich stattfinden. Die Offensive führte die österreichischen Armeen an den Rand eines Zusammenbruchs. Im Raum von Luck kollabierte innerhalb weniger Tage die Front, und die (noch verbliebenen) Truppen mussten den Rückzug antreten. Viele Einheiten der k. u. k. Armee ergaben sich ohne nennenswerten Widerstand und / oder liefen (nahezu) geschlossen zum Feind über. Es handelte sich großteils um Formationen, die sich aus Tschechen oder Ruthenen zusammensetzten. Wieder gelang es nur, mit eilig herangeführter deutscher Truppenhilfe die Lage zu stabilisieren.

Zu diesem Zeitpunkt erklärte Rumänien den Mittelmächten den Krieg und griff die Donaumonarchie an. Auf dem Papier waren dessen Streitkräfte imposant, in der Realität erwiesen sie sich als der „Koloss auf tönernen Füßen“. Eine improvisierte 14. k. u. k. Armee wurde zum Schutz Siebenbürgens aufgeboten und konnte tatsächlich die Karpatenpässe halten und einen größeren Einbruch auf ungarisches Gebiet verhindern. Deutsche Truppen wurden herangeführt. Die kriegsgewohnten Einheiten der Mittelmächte besiegten innerhalb weniger Wochen die rumänische Armee, die den Großteil ihres Landes preisgeben musste. Nur mit russischer Unterstützung gelang es ihnen, am Pruth die Front zu stabilisieren. Der ursprünglich vielversprechende Kriegseintritt Rumäniens hatte sich für das Zarenreich letztlich negativ ausgewirkt: Anstatt eine Entlastung herbeizuführen, band es Menschen und Material und belastete die angespannte Versorgungslage im Land immer mehr. So war die Brussilow-Offensive, die bis in den Herbst 1916 fortgesetzt wurde, ein Pyrrhussieg. So erfolgreich sie war, endgültig konnte sie die Mittelmächte an der Ostfront nicht besiegen. Die Verluste waren enorm. Nach ihrem Ende beruhigte sich das Kampfgeschehen. Die Februar („Märzrevolution“) des Jahres 1917 brachte zeitweise eine weitere Entspannung der Lage. Die russischen Truppen versuchten immer wieder, mit ihren Gegnern Kontakte anzuknüpfen, was von den höheren Kommandostellen der deutschen und österreichischen Einheiten misstrauisch beobachtet wurde, aber keinesfalls unterbunden werden konnte.

Noch einmal kam es zu größeren Kämpfen, als die Kerenski-Offensive gestartet wurde. Russland war nicht gewillt, aus dem Krieg auszuscheiden. Man blieb zunächst der Entente weiterhin verpflichtet und versuchte den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, indem man wieder angriff. Nach einigen Erfolgen, hauptsächlich gegen österreichische Truppen, schlug das Pendel aber in die andere Richtung aus, und die Russen sahen sich Gegenangriffen ausgesetzt. Sie mussten sich zurückziehen und die Bukowina aufgeben. Letztlich führte die Kerenski-Offensive zum Zusammenbruch der russischen Armee. Nach der Oktoberrevolution („Novemberrevolution“) musste zunächst ein Waffenstillstand geschlossen werden, und in Brest-Litowsk wurden Friedensverhandlungen aufgenommen. An der Ostfront waren die Kampfhandlungen beendet. Eine große Anzahl von Einheiten wurde für andere Fronten frei.

Die deutsche Armee verlegte ihre besten Divisionen an die Westfront, wo die geplante Frühjahresoffensive 1918 den Sieg über die Briten und Franzosen bringen sollte. Und die k. u. k. Armee schickte ihre Einheiten an die Italienfront. Nach Abschluss des Friedens von Brest-Litowsk verblieben im Osten nur wenige Truppen, zumeist aus älteren Jahrgängen bestehend. Diese sollten sicherstellen, dass die Bedingungen des Vertrages - vor allem die notwendigen Getreidelieferungen - eingehalten wurden. Der Krieg mit Russland war im März 1918 beendet. Aber die k. u. k. Armee hatte noch an anderen Fronten zu kämpfen.

3. Die Italienfront (1915 - 1918)

Im Mai 1915 erklärte das Königreich Italien seinem ehemaligen Verbündeten Österreich­Ungarn den Krieg. Dem vorangegangen waren monatelange Verhandlungen zwischen den beiden Ländern, bei denen es um die Abtretung italienischsprachiger Gebiete der Habsburgermonarchie gegangen war. Österreich-Ungarn war zu keinem Zugeständnis bereit.

Auf der anderen Seite bot die Entente für einen Kriegseintritt auf ihrer Seite u.a. die dalmatinische Küste und Teile Tirols. Das veranlasste Italien zum Kriegseintritt auf Seite der Entente-Mächte.

Man wollte die Gunst der Stunde nützen und sofort angreifen. Ein Faktor beeinträchtigte die Erfolgsaussichten: Die italienisch-österreichische Grenze verlief 1915 von der Schweiz bis an die Adria beinahe vollständig in den Alpen. Das Gelände war für einen Angriff ungünstig. Der italienische Generalstabschef Luigi Cadorna hatte zwei Möglichkeiten für eine Offensive: Man konnte versuchen, über den Süden Tirols in das Landesinnere und weiter nach Bayern oder über den Karst nach Triest und Laibach vorzustoßen. Cadorna entschied sich für letztere Variante, wobei an den anderen Abschnitten Entlastungsangriffe durchgeführt werden sollten. Österreich-Ungarn traf der Angriff nicht unvorbereitet. Man hatte aber seit Kriegsbeginn kaum Kräfte zur Verfügung, um die Südgrenze zu schützen bzw. die bestehenden Verteidigungsanlagen auszubauen. Größere Forts gab es nur auf der Hochfläche der „Sieben Gemeinden“. Zum Grenzschutz meldeten sich zahlreiche Freiwillige. Diese freiwilligen Schützen rekrutierten sich aus jungen oder älteren Männern, die für den Dienst in der regulären Armee nicht (mehr) eingezogen wurden. In Kärnten etwa formierten sich vier Regimenter der „Kärntner Freiwilliger Schützen“.[54] Diesen Verbänden aus Freiwilligen gelang es im Verbund mit den wenigen regulären Truppen zu Kriegsbeginn die italienischen Angriffe aufzuhalten, auch weil der Aufmarsch der italienischen Armee nur langsam erfolgte. Eine neue Front bildete sich im Gebirge. Diese „prägte den Kriegsalltag in besonderer Weise, etwa wo die höchste Geschützstellung, wie am Ortler-Vorgipfel, auf 3.852 Meter lag, oder wie im Marmolata-Abschnitt [...], wo kilometerlang tiefe Stollen, Treppen und Unterstände sogar in den Gletscher hineingetrieben wurden“, entstand „eine regelrechte 'Stadt aus Eis'“.[55] Kennzeichen in der ersten Phase der Kämpfe an der Südwestfront war, dass man zunächst nur um einzelne Gipfel bzw. aus strategischer Sicht wichtige Höhenstellungen kämpfe. Im Juni 1915 begann die erste Isonzoschlacht. Bis 1917 folgten zehn weitere, ohne dass der Durchbruch nach Triest und Krain gelang. Mit dem Eintreffen kriegserprobter Truppen von der Ostfront entspannte sich die Lage für die k. u. k. Truppen. Zahlenmäßig blieben sie aber immer unterlegen. Die Südwestfront hielt das ganze Jahr 1915 über, und die Soldaten waren gezwungen, sich auf den Gebirgskrieg einzustellen. Im Winter ruhten die Kämpfe aufgrund der Schneemassen und der permanenten Lawinengefahr zeitweise völlig. Für das Frühjahr 1916 plante Conrad von Hötzendorf einen Gegenschlag. Ziel der groß angelegten Offensive von Südtirol ausgehend war ein Vorstoß der österreichisch-ungarischen Truppen in die venezianische Ebene und die Einschließung der italienischen Armee. Zunächst verlief die Offensive erfolgreich, und es kam stellenweise zu erheblichen Landgewinnen. Doch bald erlahmte die Offensive bzw. wurde diese mit einem italienischen Gegenangriff konterkariert. Während die Kämpfe noch im Gange waren, startete die Brussilow- Offensive, und von österreichisch-ungarischer Seite war man gezwungen, Truppenkörper wieder an die Ostfront zu verlegen. Am Ende stand die Einstellung der Offensive, die nicht den intendierten Erfolg gebracht hatte. „The Austrian offensive failed to reach the Venetian plains, but pushed the Italians out of the northern mountains and into the southern hills.“,[56] resümierte Francis McKay.

In der 6. Isonzoschlacht im August 1916 gelang es den italienischen Truppen, Görz zu erobern. Damit war ein Brückenkopf der k. u. k. Truppen westlich des Isonzo beseitigt. Relativ ergebnislos in Bezug auf Geländegewinne und -Verluste verliefen die weiteren Kämpfe bis zum Jahresende. In der 11. Isonzoschlacht im August 1917 konnten zwar seitens der österreichisch-ungarischen Armee ein weiterer Durchbruchsversuch abgewehrt werden, doch waren die Verluste erheblich, sodass ein Zusammenbruch der Front im Falle eines weiteren Angriffs zu befürchten war.[57] Deshalb entschloss sich die militärische Führung zur Flucht nach vorne und ersuchte dafür um deutsche Unterstützung, die man erhielt. Es war aber „mehr ein Feuerwehrunternehmen als [eine] Antwort auf ein österreichisches Hilfeersuchen“.[58] Was als begrenzter Entlastungsangriff angelegt war, führte zum Zusammenbruch einer italienischen Armee und zur Rücknahme der Front an den Piave, wo die italienische Armee mit Hilfe ihrer alliierten Verbündeten eine neue Front aufbaute. 12. Isonzoschlacht wurde zu einer „der spektakulärsten Niederlagen des ganzen Krieges“,[59] doch führte sie wie auch die anderen Isonzoschlachten keine militärische Entscheidung herbei.

Das Jahr 1918 verging mit weiteren Kämpfen an der Südwestfront, die k. u. k. Armee erhielt zwar Verstärkungen aus dem Osten, litt aber immer mehr unter Mängeln sowohl was den Material-, Personen- als auch was die Nahrungsmittelnachschub betraf. Die Beutegewinne, die man in Folge des Durchbruchs bei Karfreit gemacht hatte, reichten nicht aus, um den Ressourcemangel zu beheben. Munitionsknappheit war eines der Probleme der österreichischen Südarmee. im Juni 1918 fand die letzte Offensive an der Piave statt. Noch einmal wurde alles, was an Menschen und Material verfügbar war, mobilisiert. Auf deutsche Unterstützung musste verzichtet werden. Der Bündnispartner hatte in den Frühjahresoffensiven an der Westfront seinerseits alle kampfkräftigen Einheiten aufgeboten.

Die Juni-Offensive fand dann eigentlich nicht mehr statt. Letztlich war sie nur angedacht, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Bis Oktober 1918 konnte die Fron noch gehalten werden. Unter dem Druck der alliierten Angriffe brachen diese Front aber Ende Oktober schließlich zusammen. Am 3. November 1918 wurde der in der Villa Giusti ausgehandelte Waffenstillstand unterzeichnet. Das österreichische Armeeoberkommando befahl seinen Truppen die sofortige Feuereinstellung, während die Italiener dafür eine Frist von 24 Stunden nach Unterzeichnung des Abkommens ausgehandelt hatten.[60] Durch die unterschiedlichen Befehle der Feuereinstellung gelangten 360.000 österreichisch­ungarische Soldaten inKriegsgefangenschaft.[61]

IV. Kriegsalltag eines Soldaten im Spiegel von Bildern und Feldpostkarten

1. Vom Elbestrand ins Kärntnerland: ein Sudetendeutscher kommt nach Klagenfurt

Ernst Watzek wurde am 22. Juli 1882 in Teplitz-Schönau (Böhmen, heute: Tschechien) geboren. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt ein berühmter Kurort. Warum er seine Heimat verließ, ist unklar. Der wahrscheinlichste Grund dürften familiäre Streitigkeiten, von denen er später immer wieder berichtete, gewesen sein.. Warum es ihn nach Klagenfurt verschlug und wann er hier ankam, lässt sich nicht mehr genau ermitteln. Der Adresskalender des Jahres 1911 verzeichnet ihn als in der Sandwirtgasse 3 wohnhaft. Wenig später zog der städtische Sicherheitswachführer Johann Radif mit seiner Familie in die Neue Weltgasse 4, die ganz in der Nähe lag. Eine von Radifs Töchtern, Emma, heiratete Ernst Watzek. Die beiden bekamen später drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Seiner späteren Frau schrieb er während des Krieges die meisten Feldpostkarten.

Vor dem Krieg arbeitete er bei einem Fotographen namens Wanderer, der sein Atelier in der Domgasse 10 hatte. Auch eine an ihn geschickte Postkarte findet sich in der Sammlung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ernst Watzek mit seiner späteren Frau Emma, geb. Radif. Die Aufnahme entstand während des Krieges, vermutlich 1916.

a. Kriegsbeginn

Der Kriegsbeginn im Sommer 1914 wurde euphorisch begrüßt. Menschenmassen versammelten sich in den Städten und hielten patriotische Kundgebungen ab, Soldaten wurden bei ihrem Abmarsch von jubelnden Mengen begleitet. Man rechnete mit einem kurzen, erfolgreichen Krieg. Die Euphorie hielt einige Wochen bis zu den ersten Niederlagen. Noch am 1. September 1914 titelte beispielsweise die Neue Freie Presse: „Hoffnungsvolle Stimmung vor der nahen Entscheidung. In Erwartung des Erfolges unserer Armee.[62] Eine Karikatur dieser Stimmung findet sich in der Literatur, nämlich in den letzten Tagen der Menschheit von Karl Kraus.[63]

In Klagenfurt, eine Stadt mit ca. 25.000 Einwohnern, kam es ebenfalls zu Aufmärschen und Umzügen. Die lokalen Zeitungen sprachen von einer patriotischen Stimmung, Kundgebungen wurden abgehalten. Gleichzeitig begann man schon nach Feinden Ausschau zu halten. In Kärnten wurde ein slowenischer Geistlicher verhaftet, weil er angeblich „Hoch Serbien“ geschrien hatte. Das Telegrafenamt bat um Mithilfe bei der Jagd nach Spionen und Saboteuren, und in Tarvis wurde ein Mann festgenommen, weil er sich für die Bahngeleise interessierte. Man hielt ihn für einen feindlichen Agenten.[64] Wie Ernst Watzek diese aufgeheizte Atmosphäre des Sommers 1914 erlebte, kann aufgrund fehlender Quellen nicht nachvollzogen werden. Er wird als „ruhiger Mann“, der ungern im Mittelpunkt des Geschehens stand, beschrieben.[65] Auf Gruppenfotos sieht man ihn meistens am Rande (vergleiche Abbildung 4 und Abbildung 5). Da er 1914 bereits zu den „älteren“ Jahrgängen zählte - er war 32 Jahre alt -und keine besondere Funktion in der Armee innehatte, wurde er wohl nicht unmittelbar zu Kriegsbeginn eingezogen, sondern erst später. Möglicherweise rückte er Anfang 1915 bei seinem Regiment, dem LIR 9 in Böhmen ein.

[...]


[1] Fotos - wie dieses -, die aus der vordersten Linie stammen, sind selten. Dies lag an den Einsatzregeln für Fotografen, die beim Kriegspressequartier akkreditiert waren. Aus Gründen der Propaganda machten sie ihre Aufnahmen meist weit hinter der Front. Kampfszenen wurden oft nachgestellt. Nicht-offizielle Fotografen waren hier im Vorteil. Dies merkt Robert Atze zum Thema Fotografieren im Ersten Weltkrieg an. Vgl. Marcel Atze, Willhelm Wagesreiter wagt den Sturmangriff mit der Kamera, in: Marcel Atze/ Kyra Waldner (Hgg.), Es ist Frühling und ich lebe noch. Eine Geschichte des Ersten Weltkrieges in Infinitiven (St. Pölten u. a. 2014), S. 73.

[2] In der Arbeit werden die Begriffe Aufnahme, Foto und Bild synonym verwendet, um unschöne

Wortwiederholungen möglichst zu vermeiden. Darüber hinaus werden Feldpostkarten auch als Fotos bezeichnet, weil auf der Vorderseite ein Foto ist.

[3] Ernst Opgenoorth/Günther Schulz, Einführung in das Studium der Neueren Geschichte. 7. Auflage (Paderborn -München-Wien-Zürich 2010), S. 133.

[4] In jedem Band ist die Kriegsgliederung der k. u. k. Armee bis auf Regimentsebene angegeben. Die nächsthöheren Einheiten waren das IX. Korps und die 4. Armee. Siehe: Edmund Glaise von Horstenau (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-1918, Bd. 3: Das Kriegsjahr 1915. Von der Einnahme von Brest Litowsk bis zur Jahreswende (Wien), S.16f. Die „Landwehrregimenter“ wurden während des Krieges in „Schützenregimenter“ umbenannt.

[5] Ernst Wisshaupt, Die 52. Landwehrinfanteriebrigade im Weltkriege 1914-1918 (Reichenberg 1928).

[6] Die Feldakten der 52. Schützenbrigade finden sich im Bestand „Neuen Feldakten“.

[7] Walter Schaumann, Schauplätze des Gebirgskrieges 11. Pellegrinopass - Pasubio (Cortina d'Ampezzo 1973), S. 377.

[8] Gesprächsprotokoll mit Leontine Jeremias vom 27.12.2014.

[9] Die Aufnahmen für sich genommen wären bei dieser Frage nicht eindeutig genug. So berichtete beispielsweise der Offizier Karl Wallner, dass es ihm bei einem Besuch des Thronfolgers gelungen war, diesen zu fotografieren. Vgl. Marcel Atze, Karl Wallner knipst den Thronfolger Erzherzog Karl, in: Atze/ Waldner (Hgg.), Es ist Frühlung, S.92.

[10] Einen guten Überblick zur Historiographie des Ersten Weltkrieges bietet: Hannes Leidinger, Historiography 1918 - Today (Austria-Hungary), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin http://dx.doi.org/10.15463- /ie1418.10326.http://encyclopedia.1914-1918-online.net/article/historiography_1918 -today_austria- hungary (10.8.2014).

[11] Edmund Glaise von Horstenau (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-1918, 7 Bde. und ein Registerband (Wien 1930-1938).

[12] Hermann Frohlich, Geschichte des steirischen IR 27 (Klagenfurt 1930).

[13] R. Assam, Des Kärntner Infanterieregiment Graf von KhevenhüllerNr. 7. Letztes Ringen und Ende (Graz 1935).

[14] Das IR Nr. 99 im Weltkrieg 1914-1918, hg. Kameradschaft der ehemaligen Offiziere des IR 99 (Wien- Znaim 1929).

[15] Seinen Dienstrang gibt er sogar auf dem Titelblatt seines Werkes „Die 52. Landwehrinfanteriebrigade im Weltkriege“ an.

[16] Leidinger, Historiography 1918 - Today.

[17] Ludwig Jedlicka, Der Waffenstilland von Villa Giusti in der österreichischen Geschichtsschreibung, in: Adam Wranduska/ Ludwig Jedlicka (Hg.), Innsbruck - Venedig. Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972 (Wien 1975).

[18] Richard G. Plaschka, Zur Vorgeschichte des Übergangs von Einheiten des Infanterieregiments Nr. 28 an der russischen Front 1915, in: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, hg. Institut für Österreichische Geschichtsforschung und Wiener Katholischen Akademdie (Graz-Wien-Köln 1965), 455-464.

[19] Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg (Graz: Styria 1997).

[20] Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918 (Wien 2013).

[21] Helmut Konrad, Krieg, Medizin und Politik: der Erste Weltkrieg und die österreichische Moderne (Wien 2000).

[22] Heinz von Lichem, Der Tiroler Hochgebirgskrieg 1915-1918 im Lichtbild (Innsbruck 1986).

[23] Heinz von Lichem, Gebirgskrieg 1915-1918, Bd. 1: Ortler, Adamello, Gradasee (Bozen 1980).

[24] Walter Schaumann, Monte Piano (Bassano 1986); ders., Monte Grappa (Bassano 1991).

[25] Vgl. Schaumann, Schauplätze des Gebirgskrieges; Walter Schaumann/ Peter Schubart, Süd-West-Front. Österreich-Ungarn und Italien (Wien 1993); Gabriele Schaumann/ Walter Schaumann, Unterwegs zwischen Sove und Soca (Klagenfurt u. a. 2002).

[26] Der Dolomitenfreund. Mitteilungen für Mitglieder und Freunde.

[27] Christian F. Reiter, Die Causa des Infanterieregiment 36. Zur Problematik der Tschechen in der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg, in: Der Erste Weltkrieg und der Vielvölkerstaat. Symposium 4. November 2011, hg. Heeresgeschichtliches Museum Wien (Wien 2011), S. 214-237.

[28] Hannes Leidinger, Verena Moritz, Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917-1920, (Wien 2003); Verena Moritz/ Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich 1914-1921 (Bonn 2005).

[29] Christa Hämmerle, Heimat/ Front: Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn (Wien 2014).

[30] Mario Chr. Ortner, Die k. u. k. Armee und ihr letzter Krieg (Wien 2013).k. u. k.

[31] Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften (Hamburg 1952), S. 33.

[32] Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 44.

[33] Die Zahlen zur Stärke des Heeres werden in der Sekundärliteratur unterschiedlich angegeben. Die obigen Angaben beziehen sich auf Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Hämmerle gibt als Friedensstärke vor Kriegsbeginn 415.000 Mann an, und eine Mobilmachungsstärke von 1,5 Millionen für die Front und 1,2 Millionen für das Hinterland, Vgl. Christa Hämmerle, Zur Geschichte der k. u. k. Soldaten an der Südwestfront, in: Nicola Labanca/ Oswald Überegger (Hgg.), Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (Wien 2015) S 157.

[34] Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 42. Denselben Assentierungsgrad für Österreich-Ungarn nennt auch David Stevenson. Der Erste Weltkrieg 1914-1918 (Düsseldorf 2006), S. 67.

[35] Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, S.55.

[36] Hämmerle, Geschichte der k. u. k. Soldaten, S. 176.

[37] Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, S.53.

[38] Das Glanzstück der österreichischen Artillerie war der 30,5 cm Skoda-Mörser, der für den Festungskrieg von der deutschen Armee ausgeliehen wurde. Sein Ankauf ging zurück auf Initiative des Kriegsministers Moritz von Auffenberg, der eine günstige politische Konstellation ausnutzte.

[39] Vgl. Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S. 88. Ein weiteres Problem der k. u. k. Armee war, dass sie keine schnellfeuernden Geschütze hatte. Landwehr- und Honveddivisionen brachten es nur auf 24 Feldgeschütze.

[40] Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 147.

[41] Vgl. Ortner, Die k. u. k. Armee, S. 122.

[42] John Keegan, Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie (Hamburg 2000), S. 64.

[43] Beispielhaft für neueste Forschungen sei an dieser Stelle ein Aufsatz von Christian F. Reiter genannt, der sich mit Vorwürfen gegen das IR 36 beschäftigt, das zu 95% aus Soldaten tschechischer Nationalität bestand. Vgl. Reiter, Die Causa Infanteriregiment 36, k. u. k. S. 215-227. Einer der prominentesten Fälle des Überlaufens von Truppenteilen warjener des IR 28, des Prager Hausregiments, während der Winterschlacht in den Karpaten. Vgl. Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 206. Literarisch verarbeitet wurden diese Ereignisse von Franz Werfel in seinem Roman „Barbara oder Die Frömmigkeit“, wo die verheerende moralische Wirkung auf die k. u. k. Armee geschildert wird. „Der Abfall des Prager Hausregiments“ wird als „Todesmahnung“ für Österreich-Ungarn bezeichnet. Vgl. Franz Werfel, Barbara oder Die Frömmigkeit (Frankfurtam Main1990) S. 156.

[44] Dies traf u. a. auf das IR 28 zu. Vgl. Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 206.

[45] Manfried Rauchensteiner, Wie führt man einen Krieg?, in: Claudia Gigler (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Die große Erschütterung und der Keim des Neuen (Graz 2013), S. 170.

[46] Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S. 95.

[47] Keegan, Der Erste Weltkrieg, S.221.

[48] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass für den Fall eines Zweifrontenkrieges eigentlich ein defensives Verhalten auf dem Balkan vorgesehen war.

[49] Tatsächlich sollte sie eine „aktive defensive“ Haltung einnehmen. Vgl. Keegan, Der Erste Weltkrieg, S. 228. Diese Formulierung ist ein weiteres Beispiel für die unklare und unentschlossene Befehlsausgabe des österreichischen Armeeoberkommandos (= AOK). Dem Balkankommandanten Oskar Potiorek beispielsweise hatte man im Sommer 1914 nur ein Minimalziel vorgegeben und ihm damit freie Hand für seine katastrophalen Offensiven gelassen.

[50] Ebd., S. 231.

[51] Österreichisches Staatsarchiv Wien, Kriegsarchiv (= ÖStA Wien/ KA), NFA, 6 Infanterietruppendivision: FANFADK ID 6. ID 362 (Operative Akten 1-115).

[52] k. uRauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 208.

[53] Keegan, Der Erste Weltkrieg, S. 243.

[54] Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 240.

[55] Hämmerle, Geschichte der k. u. k. Soldaten, S. 173.

[56] McKay, Francis, Asiago. Italy (= Battleground Europe, Barnsley 2001), S. 23. Sinngemäße Übersetzung: Die österreichische Offensive scheiterte und konnte nicht die venezianische Ebene erreichen, vertrieb die italienischen Truppen aber aus ihren nördlichen Stellungen im Gebirge.

[57] Hellmut Andcs, Der Untergang der Donaumonarchie. Österreich-Ungarn von der Jahrhundertwende bis zum November 1918 (Wien 1976), S. 251.

[58] Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S. 448.

[59] Ebd., S. 440.

[60] Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, S. 621.

[61] Ebd.

[62] NeueFreiePresse, 1.9. 1914.

[63] Vgl. Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit (Frankfurt am Main 1986), 1. Akt, 1. Szene: Ein Demonstrant am Ringstraßenkorso in Wien bemerkt nicht, dass er seine Parolen durcheinanderbringt. Er ruft: „Nieda mit Serbien! Nieda! Hoch Habsburg! Hoch! Hoch Serbien!“. (S. 69).

[64] Kärntner Tagblatt, 29.7.1914, 30.7.1914, 1.8.1914; Klagenfurter Zeitung, 30.7. und 1.8.1914.

[65] Gesprächsprotokoll Leontine Jeremias.

Ende der Leseprobe aus 118 Seiten

Details

Titel
"In einigen Tagen geht es wieder ins Feld ...". Soldatischer Kriegsalltag in der k.u.k. Armee (1914-1918)
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Geschichte)
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
118
Katalognummer
V315758
ISBN (eBook)
9783668146679
ISBN (Buch)
9783668146686
Dateigröße
3158 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erster Weltkrieg, Fotos, k.u.k.Armee, Südwestfront 1918, Ostfront 1915-18
Arbeit zitieren
Dr. Helmut Jeremias (Autor:in), 2015, "In einigen Tagen geht es wieder ins Feld ...". Soldatischer Kriegsalltag in der k.u.k. Armee (1914-1918), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315758

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