Symbole leben. Eine Unterrichtseinheit "Wasser" im Religionsunterricht im Jahrgang 6 einer Gesamtschule


Examensarbeit, 1999

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Symbol - Brücke des Verstehens
2.1 Was ist ein Symbol?
2.1.1 Tiefenpsychologische Annäherungen
2.1.2 Theologische und Philosophische Annäherungen
2.1.3 Elementare Symbole
2.2 Zur Wirkung von Symbolen
2.3 Verschränkung von Erfahrung und Symbol
2.4 Symbolbildung
2.5 Didaktische Konsequenzen

3. Unterrichtsplanung
3.1 Religionsunterricht im Kontext von Schule und Schulkultur
3.2 Lerngruppe
3.3 Didaktische Überlegungen
3.4 Methodische Überlegungen
3.4.1 Zur Arbeit mit Fotos als Sprechanlass für (un)bewusste Erfahrungen und Wünsche
3.4.2 Bildnerisches Gestalten als Ausdruck des Verstehens - "Wasser" ist Leben
3.4.3 Psalmen als Mittler zwischen vorgängigen und gegenwärtigen Erfahrungen
3.5 Lernziele
3.6 Übersicht über die Unterrichtseinheit

4. Darstellung und Reflexion ausgewählter Unterrichtsstunden
4.1 Schreiben einer Geschichte zu einem Wasserbild
4.2 Ohne Wasser ist kein Leben - Umgestaltung eines "Dürrebildes" in ein "Bild des Lebens"
4.3 Hoffnung im Versinken - Psalmen als Identifkationsangebot

5. Zusammenfassung der Ergebnisse

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Auf ein Symbol muß man sich einlassen; muß sozusagen die Welt der Engel betreten, wenn man mit ihnen in Kontakt treten will."

Horst Kämpfer

Hilfe, Symboldidaktik! So ähnlich reagieren Kolleginnen und Kollegen, wenn ich ihnen vom Thema dieser Hausarbeit erzähle. Diese Form der Ablehnung ist nur zu verständlich, obwohl oder gerade weil in den letzten zwanzig Jahren seitens der Religionspädagogik mit großer Anstrengung versucht wurde, eine Symbolkunde für den Religionsunterricht zu entwerfen. Beim Thema "Symbol" bewegt man sich noch immer angesichts verschiedenster Symboltheorien, die sich gegenseitig stützen, ergänzen aber auch widersprechen, im "Dschungel kontroverser Verständnisse"[1], ohne zu einer Theorie zu gelangen, die die "religionswissenschaftliche Symboltradition mit den psychoanalytischen, soziologischen, philosophischen, theologischen und sprachwissenschaftlichen Symbolverständnissen zu vermitteln"[2]weiß. Ist somit der Weg zu einem symboldidaktischen Religionsunterricht versperrt oder lässt er sich trotz konzeptioneller Differenzen der Didaktiker beschreiten?

Die Symboldidaktik wird mit hohen Erwartungen besetzt. Nach wie vor steht m.E. die Jugend den Religionen fern, allenfalls findet sich "Interesse an Okkultismus, Esoterik und neoreligiösen Gruppen"[3]. Aber gerade die sich darin offenbarende Vereinsamung bürgt für den religiösen Ernst der Jugend, auf der Suche nach der Begegnung mit dem Heiligen.

Symbole öffnen Wirklichkeitschichten, "die nur sie sichtbar machen können"[4]. Sie präsentieren diese hingegen nicht nur, sierepräsentieren diese auch. Im Verstehen von Symbolen kommt man einem Verstehen derganzenWelt näher. Aber braucht Religion Symbole und brauchen Kinder und Jugendliche Symbole?

Da für Paul Tillich das SymboldieSprache der Religion ist[5]und in ihr sich die nicht-empirische Wirklichkeit auftut underfahrbarist, muss die Religionspädagogik zu einer ganzheitlichen Erschließung des Symbolsinns verhelfen. Symbole können bei der schwierigen Suche nachIdentitäthilfreich sein und in den eigenen Lebensstürmen alsOrientierungshilfe dienen.[6]

Hierin verbirgt sich für mich der Reiz und die Herausforderung der Symboldidaktik, einer Didaktik, die die didaktischen Prinzipien der letzten zwanzig Jahre in sich vereinen kann[7]. Sie scheint in der Lage zu sein, die Schülerinnen und Schüler individuell geistig (sowohl im (entwicklungs-) psychologischen, als auch im philosophisch/ theologischen Sinne) dort abzuholen, wo sie stehen und von dort im Umgang mit SymbolenihrVerstehen der Welt und sich selbst zu fördern. Eine Didaktik also, die per se die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, individuelle "Lernfortschritte" ermöglicht und zudem dazu beiträgt, sich in der realenundverbergenden Wirklichkeit zurechtzufinden.

Wahrnehmung von Symbolen und Erfahrungsfähigkeit sind ineinander verschränkt. Es ist zu fragen,ob die Religionspädagogik angesichts gesellschaftlich bedingter Blockierungen und Einschränkung von Erfahrungsmöglichkeiten[8]Alltagserfahrungen der Schülerinnen und Schüler so aufnehmen und erweitern kann, dass religiöse Erfahrungen gestiftet und in kritischer Reflexion erweitert werden, oder ob sie über die Ebene der Stiftung des Symbolsinnes, der Entwicklung eines "dritten Auges"[9] nicht hinauskommt, oder sogar auch dies nicht hinreichend erreicht.

Im Blick darauf wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit zunächst die Auseinandersetzung mit dem Begriff "Symbol" geführt werden. Es wird um die Entstehung und Wirkung von Symbolen, um die Symbolisierungsfähikeit von Kindern und Jugendlichen und um die Bedeutung von Symbolen in deren Alltag gehen.

Aufbauend darauf wird das folgende Kapitel die getroffenen Überlegungen aufgreifen und einen didaktischen Bezug herstellen. Die konkrete Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand "Wasser" steht im Mittelpunkt und mit ihm die handelnden Schülerinnen und Schüler.

In Kapitel 4 werden die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler unter Fokussierung einer interpretativen Sicht gebündelt. Inwiefern "Wasser" und seine symboldidaktische und methodische Aufbereitung in dieser Unterrichtseinheit die Erwartungen, die an die Symboldidaktik gestellt werden, erfüllen, ist der Auswertung des Unterrichtsversuchs zu entnehmen.

Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse schließlich kurz aufeinander bezogen und diskutiert. Niklas Luhmann hat gesagt, Sinn heißt: Anschluss finden. Darum wird es im Abschlusskapitel gehen.

2. Symbol - Brücke des Verstehens

"Ich halte die Symbolsprache für die einzige Fremdsprache, die jeder von uns lernen sollte."

Ernst Bloch

2.1 Was ist ein Symbol?

Die Aufgabe der Symboldidaktik besteht so nun darin, Symbole im Sinn von Identifikationsangeboten so auf den Vorgang der Subjektwerdung bzw. Identitätsbildung zu beziehen, dass dieser gefördert, begleitet und erneuert wird[10]. Aber was ist ein Symbol? Eine Beschreibung des Unterrichtsgegenstandes "Symbol" im allgemeinen und "Wasser" im speziellen ist geboten.

"Die Gefahr ist groß, allein schon mit dem Wort "Symbol" das damit Angesprochene zu zerreden, das eigentlich Unsagbare sagen zu wollen, rational einzufangen"[11], das Symbol entzieht sich der rational exakten Festlegung des Begriffs "Symbol", es verweist immer auf eine Wirklichkeit, die über die empirische hinausgeht, dem Symbol ist sich nur anzunähern. So ist "Wasser" mehr als H2O: im Wasser drücken sich Menschheitserfahrungen, Leben und Sterben aus und schließlich ist Wasser auch real nicht zu fassen, es rinnt einem durch die Hand.

Das Symbol bezeichnet im allgemeinen Sinne eine besondere Art von Zeichen. Im Unterschied zur Allegorie (und auch zur Metapher) ist es inhaltlich nicht eindeutig zu bestimmen. Als prinzipiell unendlich interpretierbare Variable bedingt es sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext mit seinen möglichen Inhalten und Interpreten und kann so stets neue Bedeutungen erhalten[12].

Der etymologische Zugang zumsymbolon, das "Zusammengefügte", weist auf die Transzendenz hin. Die zerbochene Tonscherbe als Ausweis einer Freundschaft verweist auf diese im Akt des Wiederzusammenfügens.

2.1.1 Tiefenpsychologische Annäherungen

Der Begriff des Symbols findet seinen Ursprung in Sigmund Freuds Psychoanalyse. Symbolbildung verstand Freud als Verdrängungsvorgang menschlicher Triebwünsche in das Unbewusste, der in den Träumen wirksam ist.[13]

Nur aber was verdrängt ist, wird symbolisch dargestellt (Alfred Lorenzer), Symbolisierung deutet auf seelische Krankheit.

Diese negative Deutung des Symbolbegriffs entzerrt Lorenzer in der Unterscheidung zwischen Symbol undZeichenund Symbol undKlischee. Symbole geben dem Menschen in einem angemessenen Umgang mit ihnen die Möglichkeit, sein Verhalten und Handeln besser zu verstehen. Mit der Verdrängung in das Unbewusste gewinnt der Umgang mit Symbolen eine Starrheit, das Symbol verliert seinen Bedeutungsreichtum und bleibt für das Denken, Sprechen und Handeln unerreichbar.

"Was ist ein Klischee, Pappi?" - "Ein Klischee? Ein französisches Wort, und ich glaube, ursprünglich wurde es von den Druckern verwendet. Wenn sie einen Satz druckten, mußten sie die einzelnen Buchstaben nehmen und sie in eine Art gefurchten Stock setzen, um den Satz zu bilden. Aber für Wörter und Sätze, die oft verwendet wurden, hatte der Drucker kleine Stöcke mit Buchstaben, die schon fertig sind. Und diese fertigen Sätze nennt man Klischees."[14]

Im unterrichtlichen Umgang mit einem Symbol wäre der Gott, der nur als autoritärer Vater aufträte, nur als ein strafender, zum Klischee erstarrt. "Wasser", unter der Erfahrung des fast Ertrunkenseins, erstarrt zum Klischee, wenn es ausschließlich Lebensbedrohung darstellt und somit seine Kommunikationsfähigkeit verliert.

In anderer Richtung kann das Symbol sich zum Zeichen hin verschieben. Das Zeichen als eindeutiger Sinnträger ist primär kognitiv gerichtet, es denotiert. Die Kommunikationsfähigkeit ist auch ihm abhanden gekommen, es hat seine Hintergründigkeit verloren, ist "langweilig und eigentlich sogar entbehrlich geworden"[15]. "Vater" wird zum Zeichen, wenn "Vater" im Bewusstsein und auf der emotionalen Ebene keine Reaktion hervorruft, außer der, dass Väter Kinder haben. Weisen "Wasser" und die Formel H2O die gleiche Bedeutung auf, so ist "Wasser" zum Zeichen geworden.

In einer dritten Verschiebung, der zumIdol, zeigt sich das Symbol zwar noch mehrdeutig, dennoch hat es ebenfalls seine Kommunikationsfähigkeit verloren, da die Hintergründigkeit, dasMehr, dem Symbol selbst zugesprochen wird, es gar verehrt wird:

Wasser, du hast weder Geschmack noch Farbe, noch Aroma. Man schmeckt dich, ohne dich zu kennen. Es ist nicht so, daß man dich zum Leben braucht: du selber bist das Leben! ...Du bist eine leicht gekränkte Gottheit![16]

Im unterrichtlichen Umgang mit "Wasser" ist also zu unterscheiden zwischen Symbol (mehrdeutig, z.B. als Sinnträger für Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung), Zeichen (eindeutig) und Klischee, bzw. Idol (eindeutig falsch).

Carl Gustav Jung unterscheidet wie Lorenzer zwischen Symbol und Zeichen. Das Zeichen, alstotes Symbol, stellt eine Analogie für eine andere, komplexe Sache dar. Ist die Bedeutung des Objekts klar, d.h., kann der Inhalt vollständig rational formuliert werden, ist das Symol tot. Lebendig ist es nur, wenn es unübertragbar in rationale Begriffe, in einem Bedeutungsüberschuss verbleibt. Der symbolischen Einstellung des jeweiligen individuellen Bewusstseins ist es also überlassen,anzuerkennen, ob ein Symbolist.

In Übereinstimmung mit Freud unterscheidet Jung zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Aber anders als Freud entwickelt Jung eine Hypothese vomkollektivenUnbewussten. Die Bilder, die aus dem Bereich des kollektiven Unbewussten auftauchen, nennt JungArchetypen. Sie repräsentieren ein universelles "Erbgut menschlicher Vorstellungsmöglichkeiten". "Deshalb begegnen nach Jung spezifische Symbolgrundformen... in allen Kulturen rund um die Welt, bei gleichzeitiger Befähigung jedes einzelnen Menschen, ähnliche Motive neu hervorzubringen"[17].

In besonderen Situationen, wie Traum, Fantasie und auch in Märchen und Mythen werden sie in Form von Symbolen bewusst. "Wasser" gleichsam alskosmischesSymbol; schon aus der prähistorischen Zeit sind Figuren bekannt, die im Dienst von Fruchtbarkeitskulten standen, indem sie mit "heiligem" Wasser gefüllt wurden; Hydren (hohle, mit Wasser gefüllte Gestalten, die Gräbern beigelegt wurden) sollten den Durst bei der Seelenwanderung stillen. In der abendländischen Antike symbolisierte die "Quelle" das Weibliche, da sie aus ihrem Schoß das Wasser gebar, sie war die Mutter jeder Existenz. Und die Vorstellung der Entstehung der Welt aus Urwassern ist in fast allen archaischen Religionen verbreitet, so bezeugt auch in der Bibel (Gen. 1,2). Im Mythos entspricht so die Suche nach der Quelle des Lebens (-wassers) der Suche nach dem Selbst.

Symbolische Gestaltungen sind sonach kein Ausdruck der Verdrängung in das Unbewusste, sondern "die Sprache psychischer Vorgänge, die sich immer neu artikuliert, wenn das Bereitschaftsmaterial aktueller Erfahrungen von den archetypischen Strukturen das kollektiven Unbewußten aufgegriffen und verarbeitet wird"[18].

Im unterrichtlichen Umgang mit Symbolen ist also zum einen darauf zu achten, dass Wasser als Symbol niemanden eingeredet werden kann, es mussindividuell akzeptiertsein. Zum anderen, dass psychische Vorgänge sich symbolisch ausdrücken können, ohnebewusstsymbolisch verstanden zu werden. So z.B. könnte im Verfassen einer Geschichte, in der der mutige Umgang mit Wasser geschildert wird, in literarischer Gestaltung eine zugrundeliegendes Angst unbewusst sozusagen in sprachlich-metaphorischer Verkleidung zum Ausdruck, zur Sprache gebracht werden.

2.1.2 Theologische und Philosophische Annäherungen

Der Begriff des Symbols in der Theologie gründet sich vielfach auf dem Symbolbegriff Paul Tillichs und seiner Gottesvorstellung. Der Mensch und seine Welt ist nur von einer ihm gegenüberstehenden Größe, dem "Sein-Selbst" zu erklären, wobei der Mensch und alles ihn Umgebende als "Seiendes" bezeichnet ist. Symbole sind im Bereich des "Seienden" angesiedelt, also in der empirischen Lebenswelt der Menschen.[19]

Auch Tillich unterscheidet zwischen Symbol und Zeichen, bzw.repräsentativenunddiskursivenSymbolen. Letztere stehen stellvertretend für Gegenständliches oder Beschreibbares; mathematische Symbole, Piktogramme oder Formeln (H2O) sind eindeutig, also Zeichen. Repräsentative Symbole begegnen einem z.B. im Gemeinschaftsleben, in Kunst[20]und Religion und weisen auf etwas hin, was indirekt ausgedrückt werden muss. Dieser Hinweischarakter, oder "Uneigentlichkeit", ist eines der Kriterien des Tillischen Symbolverständnisses. DieRepräsentation der Wirklichkeit zeigt die Teilhabe an ihr an. Teilhabebedeutet aber auch die Möglichkeit des Teilgebens. Symbole ermöglichen somit eine Vermittlung mit der repräsentierten Wirklichkeit, haben so eineBrückenfunktion. Etwas wesensmäßig Unanschauliches wird dadurch im Symbol anschaulich. Infolgedessen können Symbole aber nicht willkürlich erfunden werden.

Tillich knüpft an Jungs Verständnis an, dass Symbole aus dem kollektiven Unbewussten hervorgehen und durch die Gemeinschaftanerkanntsind. "Sie sind nicht absichtlich erfunden worden, sondern in einer Gruppe entstanden, die indiesembesonderen Symbol,diesemWort,dieserFahne oder was immer es sein mag, ihr eigenes Sein wiedererkennt"[21]. Erlischt die soziale Anerkanntheit der Symbole, so sterben sie.

Sichtbar ist dies z.B. im Verständnis der (christlichen) Taufe: nur wenige verstehen in ihr den (stellvertretenen) Tod und das Leben, sie wird vollzogen aus Tradition, oder eben auch gar nicht mehr. Das Symbol "Taufe" ist in großen Teilen der Gesellschaft gestorben, auch "Wasser" hat in diesem Zusammenhang seinen Symbolcharakter verloren.

Der Symbolbegriff Tillichs findet in der "Anschaulichkeit" eine Entsprechung im Symbolverständis Paul Ricoeurs. Nichtetwasbezeichnet das Symbol, sondern einenanderen Sinn. "Hinter dem unmittelbaren Sinn eines Symbols tut sich ein anderer auf und ist zugleich verborgen"[22]. Dieser "Doppelsinn" des Symbols fordert daher stets zur Interpretation und zum Diskurs heraus, bei der aber die Balance zwischen distanzierter Betrachtung und Verehrung bewahrt werden muss.[23]

Der Ort des Symbols liegt aufgrund seiner Überdeterminiertheit im Schnittpunkt vonRegression und Progression, es ist erinnernd und nimmt teil, weist auf einen Ursprung hin und in die Zukunft, verhüllt und entkleidet.

"Wasser" ist auch das Wasser der christlichen Taufe. Die Taufe ist persönlicher und teilhabender Akt, Teil der äußeren wie auch der inneren Realität, erinnert an den Tod Jesu und gibt Hoffnung für die Zukunft, gibt Hoffnung einem selbst, aber auch der Gemeinschaft. Das "Wasser" ist Mittler dieser Erfahrungen, liegt in deren Schnittpunkt, verbirgt und erschließt die äußere Realität.

In Anlehnung an Tillich unterscheidet Susanne K. Langer zwischen diskursiver und präsentativer Symbolik.[24]Diskursive Symbolik begegnet einem im Symbolsystem "Sprache". Weniger aber, wie etwa bei Tillich, hat die präsentative Symbolik mit Transzendentem zu tun. Symbole sind für Langer unauswechselbare Bedeutungsträger, gleichsam Allegorien, jedoch unmittelbar präsent, wie z.B. ein Kuss oder ein Schluck Wasser. Damit gerät die präsentative Symbolik in die Nähe derÄsthetik, aus der für den Unterricht die Aufgabe zur Schulung der sinnlichen Wahrnehmung folgt. Weniger Interpretation als dasHandelnder Schüler, "durch die es den Dingen dieser Welt neu Bedeutung und Sinn verleiht"[25], ist Mittelpunkt der Symbolerziehung. Im Wasser baden, Wasser trinken. Reinigen, Wasser reinigen, Begießen verleihen dem Wasser, den Pflanzen, dem Leben Bedeutung, da sich hier Leben manifestiert.

Für den Unterricht heißt das, dass aufgrund der Überdeterminiertheit und Vielschichtigkeit darauf zu achten ist, dass es zu einer didaktischen Begrenzung im (handelnden) Umgang mit Symbolen kommt, so z.B. bei "Wasser" in der Aufdeckung der dialektischen Grundspannung zwischen Leben und Tod, "Wasser" als lebensförderndes und lebensbedrohendes Objekt.

2.1.3 Elementare Symbole

Die o.g. didaktischen Begrenzung korrespondiert mit der Grundaufgabe einer umElementarisierungbemühten Religionspädagogik, nämlich wesentliche Inhalte, die ein geistiges Gebilde kennzeichnen und die mit ihnen in Verbindung stehenden Erfahrungen so (in Symbolen) zusammenzuführen, dass die dadurch gewonnenen Aussagen für jeden Menschen anthropologisch von Bedeutung sind. Dies führt zu einer anthropozentrischen Symbolik, so dass als elementare Symbole Teile des Körpers, wie z.B. Herz, Hand, Auge, aber auch "Grundbestände seines (des Menschen, d. Verfasser) Daseins"[26], wie Licht und Dunkelheit, Wasser und Stein, Baum und Tier anzusehen sind, gleichsam Archetypen.

"Wasser" ist für jeden Menschen anthropologisch bedeutsam, denn Wasser ist "viel" und überall. Mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche und des Menschen bestehen aus Wasser, ohne Wasserzufuhr kann kein Leben, kann der Mensch nicht existieren, er ist angewiesen auf einen intakten Wasserkreislauf, sowohl aktiv, als auch passiv. Aber nicht nur das Zuwenig an Wasser, auch das Zuviel bedroht. Sturmfluten und Schiffbruch bringen ebenso Tod, wie Wüste und Dürre.

"Wie der Spaziergänger am Strand mit dem Wellenschlag atmet (und das nicht weiß)"[27], ist Wasser ein für alle(s) unentbehrliches, elementares Gut.

2.2 Zur Wirkung von Symbolen

Die Handlungsmöglichkeiten der Symboldidaktik wären ohne das Bewusstsein um die Wirkungen des Symbols gering, oder gar ziellos. Symbole wirken auf unterschiedliche Weise.[28] Symbole, die bereits in der Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen eine Rolle spielen, zeugen von Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung, sie entlasten aber auch (vgl. 2.1.1 "Verfassen einer Geschichte": durch das symbolische Ausdrücken von Angst, kann "Wasser" einen Teil seiner Bedrohung verlieren, somit entlasten)[29], vermitteln und geben in der Konfrontation mit Sinn Orientierung (z.B. in und durch Umwelterziehung[30]). Symbole verleihen Gefühlen Ausdruck - in bildnerischer Gestaltung, in Sprache. Widerfahrnisse werden durch die Vermittlung äußerer und innerer Erfahrung zustrukturierterErfahrung. Die Brücke, die Symbole schlagen, zwischen empirischer und nicht-empirischer Wirklichkeit, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, schlagen sie auch zwischen vorgängigen Erfahrungen der Menschheit und gegenwärtigen Erfahrungen. Werden diese Erfahrungen in Beziehung gesetzt, könnenneueErfahrungen gemacht, die Erfahrungsfähigkeit erweitert werden.

Die Erfahrung des Durstes und des Wassermangels und der Fürsorge Gottes um sein Volk (z.B. bezeugt in Ex 17, 1-7) kann in der Verschränkung mit eigenen Erfahrungen des Durstes neue Hoffnung auf "Leben" evoziieren. Das "Versinken im Wasser", das Ausstrecken der Hand nach Hilfe kann als das eigene Ausstrecken verstanden werden (vgl. 3.4.3: Psalm 69).

2.3 Verschränkung von Erfahrung und Symbol

Erfahrung bezeichnet zum einen den Prozess der Konfrontation mit Ereignissen, zum anderen die Erfahrenheit als Ergebnis des Prozesses. Unterschieden wird zwischen drei Ebenen der Erfahrung[31]:Alltagserfahrungen, die sich wesentlich in gesellschaftlicher Interaktion vollziehen (und damit zugleich gesellschaftliches Bewusstsein widerspiegeln), individuellereligiöse Erfahrungen, die nicht immerwiederkehrend sind, sogenannteGrenzerfahrungen, undchristliche Erfahrungen, die in der leibhaftigen Erscheinung Gottes in Jesus gründen und von dort her verstanden werden müssen.

Den unterschiedlichen Ebenen der Erfahrung sind unterschiedliche Symbole zuzuordnen:Alltagssymbole(z. B. Plateauschuhe, Kuss als Willkommensgruß, als Zugehörigkeit zur Gruppe),religiöse Symbole(z.B. elementare Symbole oder (quasi religiöse) Alltagssymbole, z.B. Konsumieren) undchristliche Symbole(religiöse Symbole, die auf das Kreuz Jesu gebrochen sind, so z.B. "Kreuz").

Für die Religionspädagogik bedeutet die Verschränkung von Erfahrung und Symbol, Symbole kritisch auf die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler hin zu befragen, so dass die Symbole, angesichts der Erfahrungsarmut von Jugendlichen[32], in dem Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler eine Entsprechung finden.

"Wasser" sowohl als Alltagssymbol (verdrecktes Wasser als Zeichen der Umweltzerstörung), wie auch als elementares religiöses (Reinigung von Körper, Geist und Seele in vielen Religionen), wie auch als elementares christliches[33]Symbol drängt sich hier auf: Schülerinnen und Schüler machen jeden Tag Erfahrungen mit Wasser, bekommen (durch die Medien) ungeachtet der ständigen Verfügbarkeit von frischem Wasser die Umweltzerstörung mit (z.B. Fischsterben), erleben so reines Wasser als "heiliges" und haben auch, trotz Säkularisation, eine Ahnung von dem was sich z.B. in der Taufe vollzieht (z.T. durch eigene Erfahrungen).

Je nach Symbolverständnis können die Schülerinnen und Schüler eigene Erfahrungen mit "Wasser" verschränken, dem Symbol Bedeutung verleihen und darin Sinn und Orientierung gewinnen, wobei Sinn- und Orientierungsgewinn vorsichtig zu verstehen ist:wasdie Schülerinnen und Schüler als Orientierungsgewinn mitnehmen, kann nicht vorgegeben werden.

2.4 Symbolbildung

Es ist zu erwarten, dass Schülerinnen und Schüler anders mit Symbolen umgehen, als Erwachsene und wiederum unter den Schülerinnen und Schülern ein differenzierter Umgang mit Symbolen besteht. Um einen angemessen Umgang mit Symbolen im Unterricht zu erreichen, muss die Auswahl der Symbole mit Grunderfahrungen der Schülerinnen und Schüler übereinstimmen. Diese Grunderfahrungen können an lebensgeschichtlichen Konflikten[34]abgelesen werden, die den Stufen der Symbolfunktion nach James W. Fowler[35]zugeordnet werden können[36].

Der mit dem Grundschulalter einsetzende "Werksinn gegen Minderwertigkeitsgefühle" steht der Stufe des "eindimensional-wörtlichen" Verstehens gegenüber; das Kind versteht religiöse Sprache und Symbole wörtlich. Auf der Ebene der religiösen Symbole sind hier z.B. "Schöpfungsauftrag" und "Werke" anzutreffen. De facto vernichteten die Wasser alles Leben bis auf Noah und die, die mit ihm in der Arche waren. Der Durchzug durch das Schilfmeer als historisches Ereignis.

Der Konflikt von "Identität und Ablehnung gegen Identitätsdiffusion" (wer bin ich?), der zu Beginn des Jugendalters, also mit ca. 11-12 Jahren eintritt, steht dem "mehrdimensional-symbolischen" Verstehen gegenüber. Das religiöse Denken ist "hypothetisch". Die Orientierung an und auch die Übernahme von Glaubensinhalten anderer sind für den Jugendlichen von Bedeutung. Auf dieser Ebene finden sich beispielsweise der "Glaube", "gemeinsame Überzeugungen", "Entfremdung", "Erlösung" und "Hoffnung" in den religiösen Symbolen wieder. Die Mehrdeutigkeit der Symbole wird erkannt, jedoch ohne kritisch mit ihnen umzugehen. Symbole werden noch verehrt, sie selbst sind sinnstiftend: das Dreckwasser als Auftrag, verantwortlich mit der Natur umzugehen, das Taufwasser als Ausdruck, zur Kirche zuzugehören.

Im frühen Erwachsenenalter, der "symbolkritischen" Stufe (ab ca. 16 Jahren), bezieht der Heranwachsende einen eigenen Standpunkt. Aus der Krise der "Intimität gegen Isolierung" (sich im anderen verlieren und finden) gewinnt er eine neue Individualität und vermag seinen früheren Glauben kritisch zu durchdringen. "Gemeinschaft" und religiöse Themen, z.B. christologische, sind als religiöse Symbole von Bedeutung. "Der Ertrinkende bin ich. In meinen Problemen. In der Gesellschaft".

Die letzte Stufe der Symbolfunktion ist die "nachkritische", die auch der reife Erwachsene nicht unbedingt erreicht.

[...]


[1]H. Halbfas,Das dritte Auge, 103.

[2]A.a.O., 104.

[3]P. Biehl,Symbole geben zu lernen II, 12.

[4]A.a.O., 56.

[5]Vgl. P. Biehl,Symbol und Metapher, 30.

[6]Vgl. ders.,Symbole geben zu lernen II, a.a.O., 13.

[7]Vgl. N. Weidinger,Korrelationsdidaktik und Symboldidaktik, 223.

[8]Vgl. P. Biehl,Symbol und Metapher, a.a.O., 63; ders.,Natürliche Theologie als religionspädagogisches Problem, 109.

[9]H. Halbfas, a.a.O., 128.

[10]Vgl. P. Biehl,Symbole geben zu lernen II, a.a.O.,17.

[11]H. Härterich,Symbole - Schlüssel zur Wirklichkeit, 8.

[12]Vgl. Brockhaus, Bd. 21, 518.

[13]Vgl. H. Halbfas, a.a.O., 87 ff.; ders.,Religionsunterricht in Sekundarschulen, 79 ff.; J. Heumann,Symbol - Sprache der Religion, 27 ff.; A. Lorenzer,Der Symbolbegriff und seine Problematik in der Psychoanalyse, 21 ff.

[14]G. Bateson,Ökologie des Geistes, 46 f.

[15]H. Halbfas,Religionsbuch für das 5./6. Schuljahr, 124.

[16]A. de Saint-Exupery,Wind, Sand und Sterne, 165.

[17]H. Halbfas,Das dritte Auge, 90 f.

[18]A.a.O., 91.

[19]Vgl. P. Biehl,Symbol und Metapher, a.a.O. 29 ff.; J. Heumann, a.a.O., 42 ff.; W. Schüßler,Paul Tillich., 55 ff.

[20]Für den Philosophen Jean-Francois Lyotard ist die eigentliche Aufgabe der Kunst, "das Unbegreifliche fühlbar zu machen". Martin Heidegger verweist darauf, dass das Kunstwerk (wie ein Symbol) über sich hinaus "auf etwas anderes hindeutet und dieses andere mit dem bloß Dinghaften zusammenbringt". M. Hauskeller,Positionen der Ästhetik von Platon bis Danto, 75-93.

[21]P. Tillich,Gesammelte Werke Bd. V, hg. von R. Albrecht. (1959-1975). Stuttgart, 216 (zitiert bei W. Schüßler, a.a.O., 56).

[22]F. Johannsen,Was der Regenbogen erzählt, 11.

[23]Eine diskursive Verständigung ist nur möglich, wenn die Schülerinnen und Schüler auchkognitivin der Lage sind, sich diskursiv zu verständigen. In der Unterrichtsplanung ist darauf zu achten.

[24]Vgl. A. Bucher,Symbolerziehung, 119 f.

[25]A.a.O., 120.

[26]H. Halbfas,Das dritte Auge, a.a.O., 135.

[27]G.-A. Goldschmidt,Als Freud das Meer sah, 17.

[28]Vgl. P.Biehl,Symbol und Metapher, 51-59.

[29]Zur therapeutischen Funktion von Symbolen sei hier, da Schule kein Platz klinischer Therapie bieten kann, weiter auf die Ausführungen von Scharfenberg/Kämpfer verwiesen: Scharfenberg, Joachim; Horst Kämpfer. (1980).Mit Symbolen leben. Soziologische, psychologische und religiöse Konfliktbearbeitung: Olten.

[30]Die Mitgliedschaft z.B. bei Greenpeace, Aktivitäten zur Erhaltung der Weltmeere geben Sinn und Orientierung.

[31]Vgl. P. Biehl,Symbole geben zu lernen II, a.a.O., 210.

[32]Vgl. O. Negt,Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche, 210 ff.

[33]Das elementare Symbol "Wasser" tritt ca. 530 mal in der Bibel auf, hingegen andere elementare Symbole: "Herz" (ca. 450 mal) oder "Liebe" (ca. 270 mal).

[34]In Anlehnung an die psychosozialen Krisen nach E. H. Erikson. Vgl. R. Oerter, E. Dreher.Jugendalter, 323.

[35]Vgl. F. Oser, A. A. Bucher,Religion - Entwicklung - Jugend, 1048 f.

[36]Hierbei beziehe ich mich nur auf die Stufen, die die meisten Schülerinnen und Schüler in der Schulzeit durchlaufen.

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Details

Titel
Symbole leben. Eine Unterrichtseinheit "Wasser" im Religionsunterricht im Jahrgang 6 einer Gesamtschule
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
42
Katalognummer
V321282
ISBN (eBook)
9783668306745
ISBN (Buch)
9783668306752
Dateigröße
641 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Symboldidaktik, Symbol, Religion, Halbfas, Baldermann, Biehl, Elementarismus, Wasser, Erfahrung
Arbeit zitieren
Dirk Poppner (Autor:in), 1999, Symbole leben. Eine Unterrichtseinheit "Wasser" im Religionsunterricht im Jahrgang 6 einer Gesamtschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321282

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