Handlungsorientierung. Grundlagen und Prinzipien im Fremdsprachenerwerb am Beispiel des Deutschunterrichts in Benin


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

28 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Handlungsorientierung als Konzept der allgemeinen Pädagogik

3. Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht
3.1. Grundlagen des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts
3.1.1. Lern- und soziotheoretische Grundlagen
3.1.2. Psycholinguistische und fachdidaktische Grundlagen
3.2 Ziele und Abgrenzung des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts
3.3 Prinzipien des Spracherwerbs und Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts
3.3.1. Prinzipien des Spracherwerbs
3.3.2. Wichtige Elemente und Merkmale eines handlungsorientierten Unterrichts

4. Neues Unterrichtskonzept: Szenariendidaktik
4.1 Zur Didaktik mit Szenarien im Fremdsprachenunterricht
4.2 Darstellung des Entwurfs eines handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts

5. Probleme und mögliche Lösungen des handlungsorientierten Unterrichts in Benin
5.1. Lerntradition und Probleme des handlungsorientierten Unterrichts in Benin
5.2 Mögliche Lösungen des handlungsorientierten Unterrichts

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das westafrikanische demokratische Land Benin zählt ca. 9 Millionen Einwohner und erscheint wie ein sehr buntes Mosaik aus zahlreichen ethnischen Gruppen. Es existieren mehr als 50 Ethnien und dementsprechend ebenso zahlreiche, unterschiedliche Sprachen bzw. Dialekte. Benin ist, ähnlich wie andere Länder Afrikas, durch seine Mehrsprachigkeit gekennzeichnet. Diese Situation besteht nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Muttersprachen der unterschiedlichen ethnischen Gruppen, sondern auch weil die meisten Beniner, wenn nicht sogar alle, mehr als eine Sprache sprechen, die sie in unterschiedlichen Situationen zu kommunikativen Zwecken einsetzen. Alle erwerben vielfältige einheimische Sprachen ohne Unterricht, nur durch die praktische Anwendung der Sprache. Wenn sie einen Alphabetisierungskurs besuchen, tun sie das nur, um die schon bekannte Sprache schreiben und lesen zu lernen. Keine einheimische Sprache wird in der Schule unterrichtet.

Als ehemalige französische Kolonie ist Französisch in Benin die Amts- und Bildungssprache und wird im Unterricht oftmals mühsam erworben, weil die Sprache den Fokus stark auf die Form – also auf Grammatik und Rechtschreibung - legt. Ein Schüler beginnt erst nach sieben Schuljahren, allmählich vernünftiges Französisch zu sprechen, es sei denn, er spricht es zu Hause. Nach demselben Modell werden Englisch und später Deutsch oder Spanisch gelernt, so dass die Schüler die so gelernten Sprachen kaum beherrschen. Hingegen werden die einheimischen Sprachen, die natürlicherweise wie die Muttersprache erlernt werden, sehr schnell erworben.

Seit 2001 ist in Benin ein neues Ausbildungsprogramm in Kraft, dessen Ziel die Förderung der Fremdsprachenkompetenz ist. Beim Deutschunterricht sollen drei Fachkompetenzen gefördert werden:

- mündliche Ausdruckskompetenz
- sachgemäße Reaktion auf das Gehörte oder das Gelesene
- schriftliche Ausdruckskompetenz (vgl. Direction de l’Inspection Pédagogique (DIP) 2007, S.3)

Diese drei Kompetenzen legen den Akzent auf den effektiven und wirksamen Sprachgebrauch, der nur durch die praktische Anwendung der Sprache im Unterricht ermöglicht werden kann. Die meisten heutigen Theorien zum Spracherwerb schlagen vor, sich die Prinzipien des Muttersprachenerwerbs bzw. des ungesteuerten Spracherwerbs für den Fremdsprachenunterricht zunutze zu machen.

Aufgrund dieser Zielsetzung erweist sich die Handlungsorientierung als das grundlegende Konzept des Fremdsprachenunterrichts bzw. des Deutschunterrichts in Sekundarschulen in Benin. Die vorliegende Hausarbeit wird darauf eingehen, welche Grundlagen und Prinzipien dem handlungsorientierten Unterricht zugrunde liegen und wie sie in der Praxis umgesetzt werden können.

Zunächst wird der Definition des Begriffs Handlungsorientierung in der allgemeinen Pädagogik nachgegangen. Dann werden die Grundlagen, die Prinzipien und die Merkmale eines handlungsorientierten Spracherwerbs bzw. Fremdsprachenunterrichts dargestellt. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem neuen Unterrichtskonzept – der Szenariendidaktik – und seiner konkreten Umsetzung anhand einer Unterrichtseinheit. Abschließend werden die Probleme dargestellt, denen ein handlungsorientierter Unterricht in Benin begegnen könnte und mögliche Lösungen werden vorgeschlagen.

2. Handlungsorientierung als Konzept der allgemeinen Pädagogik

Die Wurzeln der Handlungsorientierung im Unterricht gehen auf die Schule des 18. Jahrhunderts zurück, da sich die Pädagogen schon zu dieser Zeit Mühe gaben, die Schüler zum selbstständigen Handeln zu bewegen. Eine einheitliche Definition des handlungsorientierten Unterrichts gibt es in der Literatur nicht. Für Gudjons (2008) „ist der Begriff […] eher ein recht grobes Verständigungskürzel für einen an den Rändern unscharfen Methodenkomplex […]“ (S.8)

Für Jank und Meyer (1996) ist handlungsorientierter Unterricht:

ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer/der Lehrerin und den SchülerInnen vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit der SchülerInnen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können. (S.354)

Das Konzept geht davon aus, dass Lernen ein ganzheitlicher Prozess ist, der „mit Kopf, Herzen, Händen und allen Sinnen abläuft.“ (Jank/Meyer 1994, S.355) Die Ganzheitlichkeit erweist sich demnach als ein wichtiges Prinzip der Handlungsorientierung und setzt sich gegen die allgemeine Praxis der „einseitig kognitiven Zielausrichtung“ durch (vgl. Meyer 1989, II, S.93). Die Schüler sollen mit Leib und Seele mit der Sprache interagieren, sie sollen nach Möglichkeit, unter Einsatz ihrer gesamten Persönlichkeit, genau das lernen, was sie lernen wollen.

Ein Grund dafür, dass das Konzept umstritten ist, beruht auf unterschiedlichen Zielsetzungen und mangelnder Klärung des Handlungsbegriffs. Ein unzureichendes Verständnis des Handlungsbegriffs kann das Konzept der Handlungsorientierung erschweren und zu übertriebenem Aktionismus im Unterricht führen. Es muss verstanden werden, dass sich die Handlung sowohl auf die materielle und die praktische als auch auf die geistige Handlung bezieht. Das materielle Tun soll zu einer kognitiven Leistung führen.

Die Ansätze handlungsorientierten Unterrichts wurden auch in der Diskussion der Fremdsprachendidaktik rezipiert und haben seit Ende der 1980er Jahre deutlich an Einfluss gewonnen.

3. Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht

Wie schon in der Einleitung erwähnt, ist es unbestritten, dass eine Sprache umso schneller erlernt wird, je mehr Gelegenheiten der Lerner hat, mit ihr zu interagieren. Roche (2012) sagt dazu: „Wer mit Sprache etwas tut, also handelt, der erfährt Sprache viel direkter und unmittelbarer.“ (S.32) Aus der praktischen Anwendung hat sich der handlungsorientierte Sprachunterricht als positiv und höchst effizient für Kinder und Jugendliche erwiesen. Die Handlungsorientierung hat sich im Fremdsprachenunterricht als didaktisches Prinzip durchgesetzt. Sowohl lern- und soziotheoretische als auch fachdidaktische Grundlagen haben zu dieser Etablierung beigetragen.

3.1. Grundlagen des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts

3.1.1. Lern- und soziotheoretische Grundlagen

Die Handlungsorientierung hat sich in der Pädagogik durchgesetzt und ist ein grundlegendes, wenn auch viel diskutiert, „Unterrichtsprinzip“ (Gudjons 2008, S.8). Obwohl Gudjons erkennt, dass umfassende Grundlagen dieses Prinzips bis heute fehlen, ist er davon überzeugt, dass das Prinzip geeignet für den heutigen Unterricht ist. Das Konzept wurde stark von der Reformpädagogik geprägt. Reformpädagogische Strömungen wie die Arbeitsschulbewegung von Gaudig/Kerschensteiner, die Sinnespädagogik von Montessori und die amerikanische Erfahrungspsychologie von Dewey bilden deren wichtigste Basis. Eine andere stellt die Tätigkeitspsychologie der Kulturhistorischen Schule von Wygotkij dar. Der Konstruktivismus erweist sich als eine wichtige Grundlage für das Konzept.

Beim Konstruktivismus steht die Frage im Mittelpunkt, wie Wissen zustande kommt und gelernt wird. Die Vertreter der konstruktivistischen Lerntheorie verstehen:

Lernen als Prozess, bei dem der Einzelne auf der Grundlage seiner erworbenen Denk-, Gefühls- Wollens- und Könnensstrukturen dem Wahrgenommenen durch Akte der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion Bedeutung und Sinne gibt. (Wiater 2010, S.29)

D.h. Wissen wird nur aktiv vom Lernenden aufgebaut und kann nicht vermittelt werden, man lernt durch selbsttätiges und selbstbestimmtes Entdecken und Experimentieren, Beobachten und Erkennen, durch aktive Konfrontation mit dem Lerngegenstand.

Jean Piaget, Vater des epistemischen Konstruktivismus, ist in der Fremdsprachendidaktik sehr bekannt. Er hat sich in seinem entwicklungspsychologischen Ansatz mit den Entwicklungsstadien des Individuums beschäftigt. Seine Erkenntnisse zur Entwicklung des Denkens sind eine wichtige Grundlage für die Beschreibung des kindlichen Spracherwerbs. Das Interesse Piagets lag darin, zu zeigen: „wie sich beim heranwachsenden Menschen kognitive Strukturen aus der Interaktion zwischen Umwelt und Anlagen entwickeln.“ (Wolff 2002, S.73) Er unterteilt den Entwicklungsprozess des Kindes in vier Stufen. Er erklärt, dass sich das Denken von der Wahrnehmung, der Anschauung und dem Handeln löst und zunehmend abstrakter wird.

Das Denken entwickelt sich „vom konkreten über das symbolische und vorbegriffliche Denken zum formalen Denken […] formales oder abstraktes Denken wird nur über Formen der konkreten Erfahrung in Handlungen erworben.“ (Hölscher et al. 2006, S.2)

Von Interesse sind hier nicht die unterschiedlichen Entwicklungsstadien, sondern die Aussage Piagets, dass das Kind nicht automatisch den Prozessen innerhalb dieser Stadien unterworfen ist. Piaget ist der Auffassung, „dass das Kind vor dem Hintergrund der natürlicher [sic] Reifungsprozesse und der Umwelteinflüsse, […] seine kognitive Entwicklung selbst in die Hand nimmt.“ (Wolff 2002, S.75)

Er sieht also das Kind als aktiven Konstrukteur, der passiv fertige Lernstoffe von außen nicht übernehmen kann; stattdessen nimmt er die Einflüsse der Umwelt wahr und verarbeitet sie selbstständig. „Der Konstruktionsprozess ist als solcher kein beliebiger; das Kind konstruiert Begriffe nicht aus sich heraus, sondern ist auf die äußere Wirklichkeit angewiesen.“ (Wolff 2002, S.77) Jedoch basieren Verstehen und Lernen auf bereits vorhandenem Wissen, so dass „Worte, Handlungen und Gesten eines Lehrers […] nicht die Bedeutungen in die Köpfe der Kinder transportieren [können], die sie für den Lehrer haben.“ (Ibd.)

Demzufolge ist der Lernprozess von dem Begriff „Eigenverantwortlichkeit“ geprägt und individuell. Diese Erkenntnis eröffnet der allgemeinen Pädagogie neue Perspektiven. Außerdem gibt es weitere Gründe für die Etablierung der Handlungsorientierung in der Pädagogie, die auch im Fremdsprachenunterricht zum Tragen kommen.

Übereinstimmend mit Piaget wird deutlich, dass Wissen nicht in fertiger Form vermittelt wird. Es macht mehr Sinn, Lernstoffe „soweit wie möglich in Handlungen zu übersetzen“ (Gudjons 2006, S.62), damit der Lerner sein Wissen selber konstruieren kann.

Außerdem haben Gehirnforschungen deutlich gemacht, dass Informationen leichter und dauerhafter gespeichert werden, wenn sie motiviert und interessiert in einer relevanten Situation aufgenommen werden, wenn also eine sinnvolle Vernetzung möglich ist. Handeln erweist sich als bedeutende Unterstützung bei der Vernetzung und beim effizienten Lernen. Gudjons sagt dazu:

Handelnd zu lernen in lebensnahen Problemen, durch Forschen, Entdecken und Erkunden, fördert den Aufbau solcher Netzwerke im Gehirn, weil vielfältige Bezüge eines Problems/ einer Sache deutlich werden. (Ibd.)

Die Notwendigkeit des handlungsorientierten Unterrichts lässt sich auch mit der Erkenntnis des Zusammenhangs von Emotion und Kognition begründen. Dass emotional wichtige Informationen besser behalten werden, ist von der Gehirnforschung gut erforscht und bewiesen.

Mit dem Wandel in der Aneignung von Kultur des heutigen Schülers lässt sich der handlungsorientierte Unterricht ebenfalls begründen (vgl. Gudjons 2008, S.11). Er beruht auf sozialisationstheoretischen Gründen, die sich auf die demographische Entwicklung und das Vorrücken der elektronischen Medien beziehen. Diese Tatsache, sowohl in Europa aber als auch in Benin reduziert die sozialen Erfahrungsmöglichkeiten des Individuums. Die heutige Schule soll demnach die Erfahrungslücke der Schüler überbrücken. Deshalb ist der handlungsorientierte Unterricht: „der notwendige Versuch, tätige Aneignung von Kultur in Form von pädagogisch organisierten Handlungsprozessen zu unterstützen.“ (Ibd. S.68)

Ausgehend von dem Konstruktivismus von Piaget und von den psychopädagogischen sowie soziotheoretischen Gründen soll der Unterricht das Prinzip der inhaltlichen Vollständigkeit eines Themenkanons aufgeben und ganz offen gestaltet werden, damit der Lerner in einem möglichst realitätsnahen Kontext sein Wissen aufbauen kann.

3.1.2. Psycholinguistische und fachdidaktische Grundlagen

Psycholinguistik als interdisziplinär erweist sich als ein interessanter Partner der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts. Sie beschäftigt sich u.a. mit dem Lernen und dem Behalten der Sprache und interessiert sich besonders für die Sprachproduktion, das Sprachverstehen und den Spracherwerb des Individuums, sowohl in der Muttersprache als auch in der Zweit- oder Fremdsprache. Die Zweit- bzw. Fremdsprachenerwerbsforschung, wie es Wolff (2002) zum Ausdruck bringt, […] krankt ein wenig daran, dass in den letzten 20 Jahren das Hauptinteresse der Forschung dem Erwerb grammatischer Strukturen galt und anderen Aspekten der Entwicklung weiterer Sprachen nur wenig Beachtung geschenkt wurde. (S.104)

Man war der Ansicht: „Wer die Grammatik beherrscht, beherrscht die fremde Sprache.“ (Neuner 1993, S.19) Aus Überlegungen zu Prozessen und Strategien der Sprachverarbeitung und zur Erkenntnis der Interaktion zwischen dem sprachlichen Angebot der Umwelt und der Konstruktion neuen Wissens entstanden viele Ansätze der Steuerbarkeit des Spracherwerbs.

Wong (2004) stellt die wichtige Rolle eines gut strukturierten Inputs zum effizienten Spracherwerb in den Mittelpunkt (siehe S.38ff.). Seinem Modell der „Structured Input Activities“ wirft VanPatten (2004) vor, dass das Modell nicht den Spracherwerb erklärt, sondern nur die Inputverarbeitung. (vgl. Roche 2012, S.21). Er stellt fest, dass die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten sowie andere Erwerbsfaktoren in diesem Modell nicht vertreten sind. Aus dem Modell lassen sich aber zwei Grundprinzipien ableiten:

- Der Inhalt ist wichtiger als die Form. Lerner verarbeiten die Bedeutung vor der Form (siehe VanPatten 2004, S.7). Deshalb zeigen Lerner Präferenzen für lexikalische, nicht-redundante sowie bedeutungstragende grammatische Einheiten (vgl. Roche 2012, S.21).
- Das First Noun Principle. Lerner neigen dazu, das erste auftretende Nomen oder Pronomen in einem Satz als Subjekt zu betrachten (siehe VanPatten 2004, S.15), wobei dies nicht bei allen Sprachtypen (bspw. VOS, OSV, OVS) möglich ist.

Die verschiedenen Inputmodelle haben zwar wichtige Beiträge zur Optimierung des Fremdsprachenunterrichts geleistet, offenbaren jedoch auch ihre Grenzen beim Spracherwerb. Roche (2012) bemerkt dazu,

Das Scheitern dieser unterschiedlichen Inputmodelle liegt darin, dass sie ein unterrichtsmethodisches, formfokussiertes Steuerungsverfahren [sind], bei dem nicht mehr das eigentlich vom Lerner gesteuerte Handlungsinteresse im Mittelpunkt des Lernens steht, sondern in Wirklichkeit der Aspekt der Reproduktion kommunikativer Situationen zur Erfüllung struktureller Vorgaben (Formgenauigkeit) in den Mittelpunkt rückt. (S.24)

Obwohl diese Inputmodelle keinen direkten Beitrag zur Begründung der Handlungsorientierung leisten, liefern sie grundlegende Erkenntnisse, so dass Roche (2012) zu Recht sagen kann: „vielmehr verblieben […] wichtige, selbstgesteuerte Aufgaben für output-orientierte Funktionen des Spracherwerbs beim Lerner.“ (S.23)

Außerdem wurde festgestellt, dass sich Zweit- bzw. Fremdsprachenerwerb nicht grundsätzlich vom Erstsprachenerwerb unterscheidet. Beim Erstsprachenerwerb braucht man nicht unbedingt deklaratives Wissen, sondern man sucht instinktiv nach dem Sinn der Wörter, man tastet, probiert aus, vergleicht und systematisiert. Der Erwerbsprozess verläuft intuitiv und schrittweise. Genauso funktioniert der Erwerb einer Zweit- oder Fremdsprache, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Obwohl der Erwachsene rein abstrakte Informationen bzw. Operationen nachvollziehen kann, braucht er die konkrete praktische Erfahrung der Wirklichkeit, um optimaler, effizienter und ökonomischer zu lernen, bzw. eine Sprache zu erwerben. Deshalb sollten die dem Muttersprachenerwerb zu Grunde liegenden Prinzipien im Unterricht eingesetzt werden, damit der Lerner mit dem sprachlichen Stoff interagieren kann. Roche (2012) verdeutlicht dies wie folgt: „Wer mit Sprache etwas tut, also handelt, der erfährt Sprache viel direkter und unmittelbarer.“ (S.32)

Die verschiedenen Grundlagen machen deutlich, welche Ziele sich der handlungsorientierte Unterricht gesetzt hat. Andere Unterrichtskonzepte beruhen auf denselben Grundlagen und sollen im nächsten Schritt vom handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht abgegrenzt werden.

3.2 Ziele und Abgrenzung des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts

Als didaktisches Prinzip soll die Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht die Lernenden dazu befähigen, mit der Sprache zu interagieren. Die sprachliche Handlungskompetenz definieren Bach und Timm (2003) wie folgt:

[…] die Fähigkeit, im Kontext der gemeinsamen Lebenswelt situations- und partneradäquat zu kommunizieren, um sich über bestimmte Inhalte zu verständigen und damit bestimmte Absichten zu verfolgen. Dabei weist der Begriff „Handeln“ noch mehr als der Begriff „Kommunikation“ darauf hin, dass Äußerungen Konsequenzen haben, die gegebenenfalls verantwortet werden müssen. (S.11)

Der handlungsorientierte Fremdsprachenunterricht verfolgt demnach das Ziel, die Lernenden mit dem sprachlichen Vermögen auszustatten, das sie brauchen, um etwas auszudrücken und dessen Wirkung einschätzen zu können. So beansprucht er, die sprachliche Handlungskompetenz der Lernenden für die außer- und nachschulische Lebenswelt zu entwickeln. Die sprachliche Handlungskompetenz zu fördern zieht die Förderung vieler anderer Kompetenzen wie Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und personaler Kompetenz nach sich, die bei der Bewältigung einer Situation zusammenwirken. Weinert versteht demnach mit Recht unter Kompetenzen:

[…] die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (Weinert 2001, S.27f.)

Obwohl der Kompetenzbegriff in der Fachliteratur nicht einheitlich definiert ist, beinhaltet diese Definition von Weinert wichtige Aspekte, die beim handlungsorientierten Unterricht betont werden.

Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, im Rahmen authentischer, d.h. unmittelbar-realer oder als lebensecht akzeptierbarer Situationen inhaltlich engagiert sowie ziel- und partnerorientiert zu kommunizieren, um auf diese Weise fremdsprachliche Handlungskompetenz(en) zu entwickeln. (Bach & Timm 2003, S.11f.)

Diese methodische Ebene setzt ein aufgaben- und ergebnisorientiertes learning by doing, bzw. learning through interaction, in Partner- oder Gruppenarbeit voraus.

Dieses didaktisch-methodische Konzept soll von ähnlichen anderen Konzepten, wie kommunikativem Unterricht und Aufgabenorientierung, abgegrenzt werden.

Gerhard Bach (2009) erwähnt das Missverstehen des Konzepts des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts als das „Einüben bestimmter Handlungsmuster […], die dann in einem nach-schulischen Umfeld zu einer Anwendungsrealität werden würden.“ (S.22) Der handlungsorientierte Unterricht nimmt hingegen die Schule als eine bereits vorhandene Lebenswelt an, „in der unmittelbar gehandelt wird und unmittelbar kommuniziert wird.“ (Ibd.) Im handlungsorientierten Unterricht geht es nicht um ein Vorher-Üben und –Erarbeiten für ein Hinterher-Anwenden, der Fokus liegt vielmehr auf der unmittelbaren Umwelt. Die Handlungsorientierung leitet sich aus den Grundprinzipien der kommunikativen Didaktik her.

Das aufgabenorientierte Lernen wird von manchen Wissenschaftlern mit dem handlungsorientierten Unterricht gleichgesetzt. Ähnlich sind sich die beiden Konzepte darin, dass sie dieselben Zielvorstellung und Bezugskontexte aufweisen. Im aufgabenorientierten Lernen werden, genauso wie im handlungsorientierten Unterricht, Kriterien wie die thematische Relevanz, die Schülerorientierung, die Lernautonomie, die Motivation, die Sprachbedürfnisse u.a. berücksichtigt. Die beiden Prinzipien lassen sich jedoch insofern voneinander abgrenzen, dass das task-based learning den Fokus auf die Phasen und die formale Strukturierung des Unterrichts legt, während die Handlungsorientierung den Unterricht frei gestalten will. Das task-based learning bezieht sich auf die methodische Konzeption des Unterrichts und wird deswegen als „Unterrichtsverfahren“ bezeichnet, die Handlungsorientierung hingegen als „Unterrichtsprinzip“ (Gudjons 2008, S.8).

Die Handlungsorientierung ist durch ihre Betonung der Interaktion gekennzeichnet. Wie Roche (2008) erklärt:

Ein interaktiver handlungsbezogener Fremdsprachenunterricht liefert also authentische, kontextreiche Kommunikationssituationen, situiert die dafür nötigen Sprachmittel, fordert und fördert das Interesse der Schüler, spricht die emotionale Intelligenz direkt an, verlangt Flexibilität und Variation in der Kommunikation und praktiziert damit soziale Kompetenzen. (S.215)

Bei der Interaktion wird eine Beziehung zum Gesprächspartner hergestellt, „Ideen, Emotionen, Erfahrungen, Kenntnisse und Wünsche“ (Bach & Timm 2003, S.11-12) werden übermittelt, weil bestimmte Reaktionen natürlicherweise durch die Relevanz des Inhalts ausgelöst werden. Diese Tatsache verweist auf Grundprinzipien, die die Handlungssituationen bestimmen sollen.

3.3 Prinzipien des Spracherwerbs und Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts

3.3.1. Prinzipien des Spracherwerbs

Aufgrund der oben erwähnten Grundlagen kann Roche (2012) folgende Prinzipien für den Spracherwerb zusammenfassen:

- Gelernt wird, was Relevanz hat (Relevanzprinzip).

Das behandelte Thema soll das Interesse der Lernenden wecken und ihren Bedürfnissen entsprechen. Wie Roche (2012) mit Recht sagt, handelt der Lerner nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung, weil er das beste Verhältnis von Aufwand und Nutzen anstrebt (vgl. S.25).

- Die Grammatik entwickelt sich aus den Wörtern. Nicht umgekehrt. (Lexikalitätsprinzip).

Hier steht die Lexik als Grundlage für Grammatikerwerb, Wörter sind der Schlüssel zum Spracherwerb.

- Gelernt wird, was im Vordergrund steht (Salienzprinzip).

Die Salienz eines Objekts hängt bspw. von seiner Intensität, von seinem Neuheitsstatus, von seiner bedürfnisbezogenen Relevanz oder von seiner ökologischen Validität ab.

- Wenn Sprache in Situation genutzt wird, dann ergeben sich sprachliche Differenzierungen und kulturelle Handlungsfähigkeit (Situativitätsprinzip).

Die induviduelle handelnde Auseinandersetzung mit der Sprache bringt unterschiedliche Sichtweisen und kulturelle Prägungen zum Ausdruck und fördert den interkulturellen Dialog

- Wenn Wörter und Grammatik als Handlungen verstanden werden, dann kann man an ihrem Erfolg lernen (Handlungsprinzip).

Grammatik entwickelt sich beim Spracherwerb nach Bedarf. Es nützt dem Lerner nichts, grammatische Regeln nachzuplappern. Zu Recht bemerkt Roche (2012): „nicht Subjekt, Objekt oder Akkusativ sind das Thema, sondern der funktionale Gebrauch der Grammatik in der praktischen Sprachanwendung.“ (Ibd. S.33)

- In einer Umgebung, in der Deutsch die Zielsprache oder Lingua Franca ist, geschieht das automatisch auf Deutsch (Praktikabilitätsprinzip).

Hier soll erwähnt werden, dass andere Sprachen hierbei nicht als Hindernis gesehen werden sollen, sondern als dem Lernprozess zugehörige, ihn begleitende Elemente.

- Handlungsfähigkeit ist die Grundlage für Vermittlungskompetenzen (Mediationsprinzip), da die Welt beim Handeln erfahren wird.

- Experimentieren und „Fehler“ gehören zur Normalität des Lernens. (Entwicklungsprinzip).

[...]

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Handlungsorientierung. Grundlagen und Prinzipien im Fremdsprachenerwerb am Beispiel des Deutschunterrichts in Benin
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (DaF)
Note
1,00
Autor
Jahr
2013
Seiten
28
Katalognummer
V324185
ISBN (eBook)
9783668235823
ISBN (Buch)
9783668235830
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Handlungsorientierung, Fremdsprache, DaF
Arbeit zitieren
Odile Ahouansinkpo (Autor:in), 2013, Handlungsorientierung. Grundlagen und Prinzipien im Fremdsprachenerwerb am Beispiel des Deutschunterrichts in Benin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/324185

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Handlungsorientierung. Grundlagen und Prinzipien im Fremdsprachenerwerb am Beispiel des Deutschunterrichts in Benin



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden