Krieg, Konsum und Kult. Die Rückkehr der heiligen Drogen im psychedelischen Zeitalter

Kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Themen Traum, Rausch und Wahn


Referat (Ausarbeitung), 2016

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 LSD, die Entdeckung

3 Psychedelische Kriegsführung

4 Die Protagonisten des psychedelischen Zeitalters

5 LSD in der medizinischen Praxis, Psychiatrie und Psychologie

6 Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

In der thematischen Auseinandersetzung mit dem Begriff und dem Ausruf der Psychedelischer Revolution in den Vereinigten Staaten der 1960er Jahre stehen neben den wichtigsten Akteuren zunächst die Entdeckung von LSD (Lysergsäurediethylamid) des schweizerischen Forschers Albert Hofmann im Jahr 1943 im Fokus.

Die Darstellung und die Identifizierung der psychedelischen Drogen sowie die Sichtbarmachung möglicher Grenzzustände Traum, Rausch, Wahn werden anhand von Textausschnitten und Drogenexperimenten kurz geschildert.

Die Autorin untersucht aus kulturgeschichtlicher Sicht und mit Hilfe (populär)wissenschaftlicher Literatur die Bedeutung von Krieg, Konsum und Kult und die Rückkehr der heiligen Drogen im psychedelischen Zeitalter.

In einem der letzteren Abschnitte wird auf die Verwendung von halluzinogenen Substanzen in der Medizin und in der biologischen Forschung aufmerksam gemacht. Mögliche Therapieansätze und vorliegende Ergebnisse einiger Psychotherapeuten werden dabei wiedergegeben.

Damals wie heute sind psychoaktive Substanzen zum festen Bestandteil der Selbstverwirklichung und zur Erweiterung des Erlebnishorizontes geworden. Rauschzustände besitzen eine faszinierende Anziehungskraft - daher wird am Schluss der Arbeit der gegenwärtige Umgang mit bewusstseinserweiternden Substanzen kurz angerissen und mit anderen legalen und illegalen Drogen statistisch gegenübergestellt.

2 LSD, die Entdeckung

Der Schweizer Chemiker A. Hofmann forschte in den 30er Jahren in den Labors des pharmazeutischen Unternehmens Sandoz in Basel und arbeitete mit dem Getreidepilz Mutterkorn, einen Parasiten, der sich an Roggen bildet. Aus dem hochgiftigen Pilz entwickelte er ein erfolgreiches Herz-Kreislaufmittel. Eher durch einen Zufall entdeckte Hofmann bei Wiederholung der Synthese die halluzinogene Wirkung von LSD - die stärkste bewusstseinsverändernde Substanz überhaupt.[1] Daher wird der 16. April 1943 als der Tag proklamiert, an dem die Droge LSD auf die Welt kam. Am 19. April 1943 unternahm A. Hofmann einen Selbstversuch mit 0,25 mg LSD-Tartrat.

„Die letzten Worte konnte ich nur mit grosser Mühe niederschreiben. [...] die Veränderungen und Empfindungen waren von der gleichen Art [wie gestern], nur viel tiefgreifender. Ich konnte nur noch mit grösster Anstrengung verständlich sprechen, und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch informiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad [...] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. [Zu Hause angelangt] wurden Schwindel und Ohnmachtsgefühl zeitweise so stark, dass ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte und mich auf ein Sofa hinlegen musste. Meine Umgebung hatte sich nun in beängstigender Weise verwandelt. [...] die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Sie waren in dauernder Bewegung, wie belebt, wie von innerer Unruhe erfüllt. Die Nachbarsfrau [...] war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze...“ [2]

Wie Hofmann später festhält, zeigte der Selbstversuch, dass es sich bei LSD um einen psychoaktiven Stoff mit außergewöhnlichen Eigenschaften handelte. Er konnte nachweisen, dass die Substanz bereits in geringen Mengen tiefgreifende psychische Wirkungen hervorrief. Besonders faszinierte ihn dabei die erzeugte starke Bewusstseinsempfindung der äußeren und inneren Welt des Menschen. Neben dem gewaltigen Rauschzustand stellte er überraschend fest, dass er sich am nächsten Tag in erstaunlich guter physischer Verfassung befand.[3] Allerdings erlebte er die Experimente im Labor als weniger aussagekräftig und es störte ihm an der Atmosphäre. So kontaktierte er 1951 den Dichter Ernst Jünger und fand in ihm einen passenden Gefährten für seine Reise in tiefere Sinnesswelten. In einem nicht-medizinischen Rahmen wollte er die Wirkung von LSD auf den feinsinnigen Menschen studieren. Hofmann erlebte in der Tiefenphase des Rausches phantastische Träumereien. Hingegen erschienen E. Jünger orientalische Bilder in einer gewaltigen Farbenpracht.

Das Erlebnis eines gemeinsamen und doch parallelen Rausches markierte einen psychedelischen Erlebnishorizont. Nachhaltig beeindruckt wiederholten beide die Versuche mit höheren Dosen um noch weiter in die mystische Erfahrung des Seins vorzustoßen. Tiefe Veränderungen des Bewusstseins und die sinnverschärfend Wirkung des LSD-Rausches hielt E. Jünger in seiner Literatur fest. Darüber hinaus korrespondierten Hofmann und Jünger in enger Verbundenheit miteinander und tauschten sich über weitere magische Drogen und deren mögliche unerlaubte Grenzüberschreitungen aus. Dabei interessierten sie sich für die verschiedensten Facetten der Wirklichkeit und die Auswirkungen halluzinogener Stoffe auf den Geist. Dabei traten besonders sakrale Drogen oder die sogenannten heilige Pilze mit dem Stoff Psilocybin immer wieder in den Fokus der Untersuchungen Hofmanns. Die Frage nach den möglichen Gefahren dieser verschiedenen Substanzen stellte er sich regelmäßig. „Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt. Sie war der Dämon, der höhnisch über meinen Willen triumphierte. Eine furchtbare Angst wahnsinnig geworden zu sein, packte mich. Ich war in eine andere Welt geraten, in andere Räume mit anderer Zeit. Mein Körper schien mir gefühllos, leblos und fremd. Lag ich im Sterben? War das der Übergang?“[4] Hofmann beschreibt ganz offenbar einen seiner ersten schlechten Trips (bad trips).

Im LSD-Rausch verschmelzen die Grenzen zwischen dem erlebenden Ich und der Außenwelt. Je nach Tiefe des Rausches entsteht eine Wirklichkeit in der Veränderungen des Bewusstseins. Laut Hofmann kann das als beglückende oder aber als dämonische Wandlung empfunden werden. Im beglückenden Fall fühlt sich das neue Ich selig verbunden mit den Dingen der Alltagswelt. Die Steigerung dieses Bewusstseinszustandes, dass Ich und Schöpfung eins werden, ähnelt der spontanen religiösen Erleuchtung.[5]

Weniger religiös dafür mehr oder weniger zufällig, gibt es eine Reihe von Entwicklungen, die es ohne LSD wohl so nicht gegeben hätte.

David Watson und Francis Crick entdeckten 1953 wie die Desoxyribonukleinsäure, die die Erbinformation aller Lebewesen tragende DNA, aufgebaut ist. Wie nach seinem Tod bekannt wurde, erklärte Francis Crick, dass ihm die Struktur in Form einer Doppelhelix unter dem Einfluss von LSD gekommen sei. In minimaler Dosierung half ihm LSD bei seiner Forschung.

Zu Beginn der 60er Jahre wurde in Standford unter Leitung von Myron Stolaroff die Erforschung von LSD und seinem Einflussrahmen auf kreative Problemlösungen bei Mathematikern und Computerwissenschaftlern untersucht. Bei den Probanden des Augmentation Research Center wurden später viele Innovationen u.a. die Computer-Maus hervorgebracht.

Ebenso offen sprach Steve Jobs über den Erfolg von Apple und die Einwirkung von LSD auf seine Entwicklungen: "LSD war eine profunde Erfahrung, eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. LSD zeigt dir die andere Seite der Medaille - wenn es nachlässt, kannst du dich nicht daran erinnern, aber du weißt es. Es verstärkte mein Gefühl für das, was wichtig ist - große Dinge zu schaffen, anstatt Geld zu machen und die Dinge, so gut ich konnte, zurück in den Strom der Geschichte und des menschlichen Bewusstseins zu bringen."[6]

3 Psychedelische Kriegsführung

Das Militär und die Geheimdienste interessierten sich ebenfalls für LSD. Der Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten CIA führte nicht nur mit Freiwilligen äußerst zweifelhafte Experimente auf der Suche nach einer Wahrheitsdroge durch. In den 1950er Jahren wurden LSD-Experimente zur Gehirnwäsche und zur chemischen Kriegsführung erforscht. Da LSD bei den Soldaten eher Lachkrämpfe statt Kampfeslust zur Folge hatten, wurde die Droge für die amerikanischen Soldaten des Militärdienstes schnell wieder verworfen und entsprechend als ungeeignet eingestuft. Es blieb die Option LSD, ähnlich wie Atropin, als Waffe der psychedelischen Kriegsführung gegen den Feind einzusetzen. Wirkeinfluss, Dosierungen und Verbreitungsarten wurden dabei von den Forschern untersucht, um den Gegner außer Gefecht zu setzen. Die Analysen führten jedoch dazu, dass aufgrund der komplexen Wirkstrukturen der Einsatz von LSD als Kampfstoff nicht genutzt wurde.[7] In den 1960er Jahren des Vietnamkrieges gilt es daher als wahrscheinlicher, dass die amerikanischen Soldaten unter dem Einfluss von Kokain, Heroin, Cannabis und Opium standen. Rückblickend war der Vietnamkrieg mit über 60.000 toten US-Soldaten der längste Krieg Amerikas, am Ende nahmen 85% der Truppe Drogen, 75% rauchten Marihuana und 20% kehrten abhängig zurück.[8] [9] Die Beteiligung der USA am Vietnamkrieg wurde besonders in den USA selbst stark kritisiert. Die Ablehnung gegenüber der Regierungspolitik wuchs beständig. Eine allgemeine Aufbruchsstimmung entsteht. Es gründeten sich Anfang der 1960er Jahre die verschiedensten Bewegungen und dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um den Vietnamkrieg oder andere Belange wie Bürgerrechte, Frauenrechte oder den Umweltschutz handelte.

4 Die Protagonisten des psychedelischen Zeitalters

Der politische Protest weltweit kann als Folge der Ausweitung und Beschleunigung der globalen Kommunikation gedeutet werden. Für die Antikriegsbewegung bedeutete Krieg eine nationale Schande. Die wohl bekannteste Parole Make Love, not War! wurde zum geflügelten Ausspruch einer ganzen Generation. Dabei spielte LSD als Oppositionsdroge und als Katalysator des Mainstreams eine wichtige Rolle. Die Rebellion gegen das Establishment führte zur Explosion der rauschhaften Substanzen.[10] Protest, Werte, kollektive Identität und die Kunst verschmolzen zur Gegenkultur. Protagonisten der psychedelischen Revolution finden sich zu dieser Zeit viele in den Vereinigten Staaten. Einer von ihnen war der Hedonist Ken Kesey. Er studierte kreatives Schreiben an der Stanford University und nahm an der von der CIA finanzierten Studie zur Wirkung psychedelischer Substanzen am Menlo Park Veterans Hospital in Kalifornien freiwillig teil. Als die Studie vorbei war, jobbte er in einer psychiatrischen Abteilung einer Klinik und übernahm die Nachtschichten. Später entwendete er den Vorrat an LSD und Psilocybin aus den Medizinschränken und konnte sich und eine Gruppe von Freunden über längere Zeit versorgen. Seine Erfahrungen verarbeitete er zu dem Roman Einer flog über das Kuckucksnest. Kesey war fest entschlossen aus den gewohnten Normen auszubrechen. Ähnlich wie in seinem Roman wollte er die Befreiung aus den Zwängen eines psychotischen Systems verwirklichen. Mit dem Buch kam der Erfolg, er verkaufte die Rechte und wurde finanziell unabhängig. Kurze Zeit später gründete er 1962 die Kommune Merry Pranksters. Ken Kesey kaufte einen alten Schulbus, bemalte ihn zusammen mit den Freunden aus der Kommune, fuhr mit ihnen durch die Vereinigten Staaten und veranstaltete Acid Tests als Happenings. Die sogenannten Acid Tests waren wilde Partys, die Kesey gern auf öffentlichen Plätzen veranstaltete. Er bewarb diese mit Plakaten mit der Aufschrift Can you pass the Acid Test und verteilte LSD an sämtliche Zuschauer. Es gab bunte Kostüme, entsprechende Lichtshows und die Musik wurde von den späteren Grateful Dead gespielt. Den Höhepunkt fanden die öffentlichen Partys 1966 in San Francisco. Mittlerweile hatte die Pranksters ihren eigenen LSD-Koch, Augustus Owsley. Die Gegenbewegung zur prüden amerikanischen Gesellschaft schien unaufhaltsam. Der Autor Tom Wolfe begleitete die Busreisen und schrieb die skurrilen Erlebnisse und Begegnungen der Gruppe nieder.[11] „Die Pranksters fielen mit fliegenden Fahnen in Millbrooks tiefgrün verwucherter Schauerroman-Parklandschaft ein, und wie ein außer Rand und Band geratener Wanderzirkus raste der Bus sternenbannergespickt, schier berstend vor tosendem Rock ‘n‘ Roll, durch verschlungenes, grünes Dickicht, vorbei an friedlich schlafenen Teichen und Lichtungen, die mäandernde, schmale Straße hinauf.“[12] Das Buch Der Electric Kool-Aid Acid Test erschien 1968 und wurde ein Bestseller und Zeitdokument der Hippie-Ära.

Im Rahmen weiterer Studien zur Erforschung entheogener Drogen befasste sich Walter N. Pahnke mit der Frage, wie magische Erfahrungen in Mythen und Legenden den Erlebnissen des psychedelischen Rausches ähneln könnten. Die Betrachtungsweise und das Einheitsgefühl der inneren und äußeren Welt, sowie das Raum- Zeitgefühl waren relevante Punkte für Pahnke.[13] Dabei geriet der drogeninduzierte Übergang in eine transzendentale Welt in den Vordergrund seiner Forschung.

Die spirituelle Erfahrungen erkannte auch der Harvard-Professor Timothy Leary. Sein Leitmotiv Turn on, Turn in, drop out[14] (Anmachen, Einpegeln, Ausklinken) wurde zum Motto um der rational-materialistischen Welt zu entfliehen. Der Drogenapostel und Missionar Leary propagierte mit seinem Appell den Gebrauch von LSD. Wegen der teilweise Verherrlichung von LSD speziell bei Jugendlichen sind Leary später von Albert Hofmann schwere Vorwürfe gemacht worden. Learys tragisch schicksalhafte Rolle sei es gewesen, LSD weltweit bekanntzumachen.[15] Die Psychedelische Bewegung erklärte ab 1962 in den USA den LSD-Konsum als Mittel zu einer allgemeinen, unspezifischen Bewusstseinserweiterung.[16] Darüber hinaus bestand Learys Lehre aus einer Art Ersatzreligion für die säkularisierte, materialistische Gesellschaft. Seiner Ansicht nach konnte eine radikale Veränderung des Systems nur durch fundamentale Bewusstseinsveränderung geschehen. Für Forschungszwecke gab Leary psychoaktive Substanzen an seine Studenten weiter. Er war überzeugt davon, dass LSD den Menschen in vielfacher Hinsicht helfen würde, ob in Beziehungsfragen, der Liebe oder der Einstellung zum Leben. Doch es wurde in Harvard immer schwieriger die Versuche seiner Forschergruppe ohne Kritik und Missachtung seiner Kollegen durchzuführen. Darüber hinaus zweifelte die Universität am wissenschaftliche Charakter seiner Studien. Die ablehnende Stimmung und die negative Presse veranlassten Leary die Universität und deren Zwänge zu verlassen. Fortan etablierte er einen Kommunen-Lebensstil, zu seinem erweiterten Kreis gehörten neben Allen Ginsberg, Allan Watts, William S. Burroughs, Richard Alpert auch Aldous Huxley. Trotz des gesellschaftskritischen Lebensentwurf dieser Protagonisten stand die Wissenschaft und die Erforschung des psychedelischen Rausches und der verschiedenen Bewusstseinszustände unter Einfluss und in Abhängigkeit der psychischen Verfasstheit im Vordergrund. Welches Ausmaß die geistige Einstellung des Probanden und der äußere Rahmen (sog. Set und Setting) auf den Verlauf des Rauschzustandes haben, wurde dabei zur zentralen Fragestellung.[17]

Für Aldous Huxley wurde das Meskalin-Experiment zum visionären Erlebnis. Auch er verwies darauf, wie bedeutend die Umgebung auf die Empfänglichkeit und Empfindlichkeit des Rauschzustandes sei. In seinem 1954 erschienen Buch Die Pforten der Wahrnehmung schildert er wortmächtig seine Eindrücke und Visionen nach der Einnahme von Meskalin. Huxley beschreibt eindrucksvoll die gegenständliche Welt in prächtigen Formen, vibrierenden Mustern und hellen Energieknoten.[18] Während seiner Experimente verlor Huxley jedes Gespür für Zeit. Auf Nachfrage seines Assistenten antwortete er: „Sie [die Zeit] scheint reichlich vorhanden zu sein.“[19] Huxley schlussfolgerte außerdem, dass die psychoaktiven Substanzen ihm halfen, gewisse Filter im Gehirn abzuschalten. In diesem Sinne findet keine Bewusstseinserweiterung statt, sondern es werden nur die Pforten zu weiteren Bereichen des eigenen Bewusstseins erschlossen, die sonst im Verborgenen liegen.

„Es ist die Aufgabe des Gehirns und des Nervensystems, uns davor zu schützen, von dieser Menge größtenteils unnützen und belanglosen Wissens überwältigt und verwirrt zu werden, und sie erfüllen diese Aufgabe, indem sie den größten Teil der Informationen, die wir in jedem Augenblick aufnehmen oder an die wir uns erinnern würden, ausschließen und nur die sehr kleine und sorgfältig getroffene Auswahl übriglassen, die wahrscheinlich von praktischem Nutzen ist. Gemäß einer solchen Theorie verfügt potentiell jeder von uns über das größtmögliche Bewusstsein."[20]

Huxley erklärt die Nützlichkeit dieser intakten Filter als evolutionäre Notwendigkeit. Ohne sie wäre es gar nicht denkbar, alltäglichen Beschäftigungen nachzugehen und zu überleben. Die Erforschung transzendentaler Erfahrungen und das visionäre Erleben beschäftigte Huxley zunehmend. Eine Menschheitsentwicklung hin zu einem erweitertem Bewusstsein würde auch die biologischen und materiellen Grundlagen ihrer Existenz auf dieser Erde besser erkennen und Beachtung schenken können. Der Psychiater Dr. Humphrey Osmond, der den Terminus psychedelic (die Seele entfaltend) geprägt hat, unterstützte ihn mit einem Bericht über sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten Psychedelischer Substanzen.[21]

5 LSD in der medizinischen Praxis, Psychiatrie und Psychologie

Bis in die sechziger Jahre hatte LSD bereits einen festen Platz in der psychiatrischen Behandlung eingenommen. Es diente als wesentliches Instrument zur Grundlagenforschung, zur psychiatrischen Ausbildung und für therapeutische Experimente. Zu den Psychiatern und Psychologen, die sich intensiv mit den wirkungsverwandten Halluzinogenen Meskalin und Psilocybin beschäftigen, ist besonders Hymphrey Osmond zu nennen. Der britische Psychiater unternahm verschiedene Selbstversuche mit psychotropen Substanzen. In seiner Forschung interessierte ihn der psychedelische Rausch in Verbindung mit Geisteskrankheiten. Osmond vermutete, das Psychosen durch ein vom Körper selbst erzeugtes Halluzinogen verursacht werden.[22] LSD erwies sich ebenfalls als Halluzinogen und konnte als Rauschmittel therapeutisch, vorzugsweise zur Erzeugung von Modellpsychosen und zur Therapie in der Psychoanalyse genutzt werden. Konflikte und Probleme der Patienten werden freigelegt und intensiver erlebt. Die Firma Sandoz vermerkte für die Indikation von Delysid® Dragees oder Ampullen die Verwendung zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen sowie zur experimentellen Untersuchung über das Wesen der Psychosen.[23] Das Mittel zur psychiatrischen Kur vertrieb Sandoz seit 1949. Depressive und neurotische Patienten bei denen herkömmliche Therapien nicht anschlugen, konnten so auf Linderung hoffen. Je nach Empfindlichkeit und schwere der Erkrankung wurde die LSD-Dosis begleitend durch den Therapeut verabreicht. Auch in Gruppentherapien wurde unterstützend LSD verordnet, um über Erlebnisse unter dem Einfluss von Halluzinogen zu sprechen und mögliche Ursachen zu ergründen. Die Therapieform LSD 25 wurde auch in weiten Teilen Europas praktiziert und angewendet. Der Hamburger Psychiater Walter Frederking versuchte über Meskalin und LSD den Zugang zu seinen Patienten und deren Kindheitserinnerung zu bekommen und so traumatische Erlebnisse besser therapieren zu können. Auch in der Therapie von Suchtkranken konnte die Rückfallquote deutlich gesenkt werden. Allerdings blieben Langzeitstudien aus, da es bereits deutliche Verschärfungen und Vorgaben für die Studien mit neuen Drogen durch die Federal Drug Administration gab.[24]

Zuweilen wurde LSD ausschließlich in der Medizin und in der biologischen Forschung angewandt. Durch die ausgelöste Drogenbegeisterung und dem Massenkonsum bei den Studenten und die rasante Verbreitung von LSD in der Hippie-Bewegung geriet die Substanz immer mehr in die Kritik und wurde bald als Wahnsinnsdroge verteufelt. Es kam zu Horrormeldungen in der Presse und nicht immer sachlichen Diskussionen in der Öffentlichkeit.[25] In der Folge wurden 1966 alle psychedelischen Drogen in den Vereinigten Staaten durch die Gesundheitsbehörde verboten. Die medizinische Anwendung kam zum Stillstand, welchen Umstand besonders A. Hofmann bis zu seinem Tode 2008 zutiefst bedauerte. Als das drakonische Verbot in der Schweiz 2007 etwas gelockert wurde und LSD sowie verwandte Substanzen für Forschungszwecke benutzt werden durften, konnte A. Hofmann mit seinem Sorgenkind LSD ein zumindest etwas versöhnliches Ende nehmen. Albert Hofmann wollte Zeit seines Lebens immer als Forscher und nicht als Guru wahrgenommen werden. Diese Botschaft vermittelte er jeden Teilnehmer der vielen Kongresse, zu denen er noch im hohen Alter eingeladen wurde. Die Droge interessiere ihn hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirkung.[26]

6 Ausblick

Der moderne Rausch begann mit dem öffentlichen Experimentieren psychoaktiver Substanzen und der Entdeckung von LSD. Der elitäre Kreis der Literaten und Konsumenten von Haschisch oder Opium erweitert sich auf Künstler und Musiker und deren Vorliebe für LSD, Psilocybin und verwandte Halluzinogene. Mit der Hippie­Bewegung Anfang der 60er Jahre und der Kraft der Droge starb die Religion und die Spiritualität wurde geboren. Das Recht auf Rausch wurde zum universellen Phänomen und entsprach fortan einem natürlichen Grundbedürfnis. Die Selbstverwirklichung und das Erreichen des persönlichen psychedelischer Erlebnishorizont waren zum Mantra einer ständig wachsenden Gegenkultur geworden.

Unabhängig vom zunehmenden Massenkonsum haben verschiedene Wissenschaftler u.a. Hofmann immer wieder vor der Verharmlosung und den Gefahren von Psychedelika gewarnt. Die intensiven Erfahrungen und der spezifische Wirkungscharakter dieser Substanzen seien mit nicht zu unterschätzenden Gefahren verbunden. Besonders die inneren und äußere Vorbereitungen sind von enormer Bedeutung damit seine Tiefenwirkung erkannt und der Wirkstoff nicht mit einem Genussmittel verwechselt wird.[27] Dennoch sind sich Experten einig darüber, dass Vorurteile und Fehleinschätzungen über LSD oder Psilocybin zu einer heute gescheiterten Drogenpolitik geführt haben. In einem Interview von 2008 sprach der Soziologe Günter Amendt über den Mythos der Droge, seinen eigenen Rauscherfahrungen und deren Legalisierung: „Das armselige Niveau, auf dem die drogenpolitische Debatte heute geführt wird, und die Dummheit, mit der eine neue Generation von Politikern und Auftragsforschern die längst gescheiterte Drogenpolitik noch immer rechtfertigt, verlangt geradezu danach, Erfahrungswissen ins Spiel zu bringen.“[28] Eine veröffentlichte Studie im Wissenschaftsmagazin The Lancet von 2007 zeigt eindrucksvoll wie LSD, MDMA oder Pilze hinsichtlich des Suchpotenzials oder der möglichen körperlichen Schäden gelistet wird. Hierbei wurden eine Vielzahl von legalen und illegalen Substanzen unter Berücksichtigung verschiedenen Faktoren gegenübergestellt. Von hundert Gefahrenpunkten des Klassifikationssystems erhielt Alkohol 72, Heroin 55, MDMA 9, LSD 7, Pilze 6 Punkte. Die Gefahren die wirklich von psychoaktiven Substanzen drohen, sollten diametral dem verantwortungsvollen Einsatz als therapeutisches Hilfsmittel in Relation gesetzt werden.[29]

Literaturverzeichnis

Geschwinde, T.: Rauschdrogen: Marktformen und Wirkungsweisen. Springer, 1984

Hankse, P. und Sarreiter, B.: Neues von der anderen Seite. Die Wiederentdeckung des Psychedelischen. Suhrkamp, Berlin 2015

Hofmann, A.: LSD - mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer »Wunderdroge«. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1993

Huxley, A.: Die Pforten der Wahrnehmung. Himmel und Hölle. 10. Aufl. Pieper Verlag GmbH, München 1981

Leary, T.: Politik der Ekstase. Wegner Verlag, Hamburg 1970

Steininger, R.: Der Vietnamkrieg. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2004

Wolfe, T.: The electric kool-aid acid test. Heyne, München 2009

Bröckers, M.: Was wir LSD zu verdanken haben. TAZ (Berlin). 13.04.2013.

Schäfer, F.: Auf dem Trip. ZEIT online. 08.07.2008

3Sat, Online: https://www.youtube.com/watch?v=sRR_llGpNOk (zuletzt abgerufen am 09.02.2016)

[...]


1 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 2 -26.

2 ebd., S. 29-30.

3 ebd., S. 32-33.

4 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 30.

5 ebd., S. 157-198.

6 Vgl. Bröckers, M. (2013)

7 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 47-53.

8 Vgl. Leary, T. (1970), S. 139.

9 Vgl. Steininger, R. (2004)

10 Internet: https://www.youtube.com/watch?v=sRR_llGpNOk (zuletzt abgerufen am 09.02.2016)

11 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 64 ff.

12 Vgl. Wolfe, T. (2009)

13 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 68 ff.

14 Vgl. Leary, T. (1970), S. 114.

15 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 85.

16 Vgl. Geschwinde, T. (2007), S. 23.

17 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 67 ff.

18 Vgl. Huxley, A.: (1954), S. 14.

19 ebd., S. 18.

20 Vgl. Huxley, A.: (1954), S. 19-22.

21 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 179-180.

22 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 22.

23 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 54 ff.

24 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 40-43.

25 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 70.

26 2. Internationalen Kongreß des Europäischen Collegium für Bewußtseins-Studien (ECBS), Februar 1996 in Heidelberg

27 Vgl. Hofmann, A. (1993), S. 10.

28 Vgl. Schäfer, F.: (2008)

29 Vgl. Hanske, P./ Sarreiter, B. (2015), S. 40-43.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Krieg, Konsum und Kult. Die Rückkehr der heiligen Drogen im psychedelischen Zeitalter
Untertitel
Kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Themen Traum, Rausch und Wahn
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät Institut für Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Kulturen des Wissens: Wissens- und Wissenschaftsgeschichte
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V335050
ISBN (eBook)
9783668249929
ISBN (Buch)
9783668249936
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Albert Hofmann, LSD, Psychedelisch
Arbeit zitieren
Kristin Franz (Autor:in), 2016, Krieg, Konsum und Kult. Die Rückkehr der heiligen Drogen im psychedelischen Zeitalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335050

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Krieg, Konsum und Kult. Die Rückkehr der heiligen Drogen im psychedelischen Zeitalter



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden