Wehrhafte Demokratie. Überlegungen zum NPD-Verbotsverfahren


Bachelorarbeit, 2012

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Erhöhtes Gefahrenpotential für die Demokratie? - Die neu aufgeflammte Diskussion um Rechtsextremismus

2. Ausreichender Staatsschutz? Ursprung und Theorie der „wehrhaften Demokratie“
2.1 Unvollendete Demokratie? - Die Weimarer Republik und ihre Verfassung
2.2 Aus Weimar gelernt? - Die „wehrhafte Demokratie“ im Grundgesetz
2.3 Die KPD als gewaltloser Verfassungsfeind? - Das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts

3. Jetzt oder nie? - Gespaltene Meinung um den Nutzen eines NPD - Verbots

4. Literaturverzeichnis

1. Erhöhtes Gefahrenpotential für die Demokratie? Die neu aufgeflammte Diskussion um Rechtsextremismus

„`Was die Republik ausmacht, ist die vollständige Vernichtung dessen, was gegen sie ist.´"1 Dieser, heute nicht mehr zeitgemäße Satz, stammt aus der Zeit der Französischen Revolutionen und wurde von Antoine de Saint - Just, einem Mitstreiter Robespierre´s geprägt. Er befürwortet hier einen offensiven Kampf gegen all jene, die sich gegen den Fortbestand der Französischen Republik aussprechen und in irgendeiner Weise dagegen vorgehen. Im Grundprinzip steht diese Aussage, wenn auch in sehr radikaler Art und Weise, ansatzweise für eine Form der Demokratie, die in der Bundesrepublik Deutsch- land seit der Nachkriegszeit in der Politikwissenschaft als „wehrhafte“ beziehungsweise „streitbare“ Demokratie bezeichnet wird. Verfassungsrechtlich institutionalisiert ist die- se in Art. 9 Abs. 2 GG mit dem Vereinsverbot, in Art. 18 GG, welcher sich mit der Grundrechtsverwirkung befasst, in Art. 20 Abs. 4 GG, der das Widerstandsrecht bein- haltet sowie in Art. 21 Abs. 2 GG, der sich mit dem Verbot politischer Parteien ausei- nandersetzt.2 Der deutschen Demokratie steht somit eine Reihe von verfassungsrechtli- chen Möglichkeiten zur Verfügung, sich gegen ihre Feinde zur Wehr zu setzen. „`Keine Freiheit den Feinden der Freiheit´.“3 Dieser, auch von Saint - Justs stammende und heu- te noch viel zitierte Ausdruck, trifft die Intention, die sich die Verfassungsgeber bei der Etablierung der entsprechenden Schutzartikel zur Bewahrung der Demokratie vorge- stellt hatten, um einiges besser, als das vorangegangene Zitat. Hierin kommt auch der defensive Charakter des Konzepts der „wehrhaften Demokratie“, wie das Bundesverfas- sungsgericht in seinen Urteilen mehrmals betont, speziell im Zuge der beiden Parteiver- bote in den 50er Jahren, besser zum Ausdruck.4

In meiner folgenden Ausarbeitung will ich mich, aus gegebenen, aktuellem Anlass, mit dem Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ beschäftigen. Hierzu möchte ich zunächst einmal auf die aktuelle Diskussion um ein erneutes Verbotsverfahren gegen die als rechtsextrem geltende Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) eingehen, welche im Zuge der Morde des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erneut in den Mittelpunkt rechtsextremer Gewalttaten gerückt ist, da es wahrscheinlich direkte Verbindungen zwischen Parteimitgliedern und der Terroristengruppe gegeben haben soll, wie mehrere Medien berichteten.5 Ein erstes Verbotsverfahren gegen die Partei scheiterte, nach zweijähriger Verhandlungsdauer, im Jahre 2003, als das Bundes- verfassungsgericht den Antrag der Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die NPD für verfassungswidrig zu erklären, zurückwies.6 Aktualität erlangte das Thema für einen erneuten Versuch die Partei für verfassungswidrig erklären zu lassen, als im Zuge der Ermittlungen rund um die „Zwickauer Zelle“ eine mutmaßliche Affinität zur NPD aufkam.7 In diesem Zusammenhang soll auch kurz das Thema Rechtsextremismus und dessen Problematik bei der Begriffsbestimmung aufgezeigt werden.

Der darauffolgende Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich dann mit dem Prinzip der „wehrhaften Demokratie“,8 wie diese im Grundgesetz in Erscheinung tritt sowie mit den Prinzipien der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (fdGO), welche im Termi- nus der „streitbaren Demokratie“ enthalten ist. Dabei ist es zwingend notwendig, sich mit den Begriffsverständnissen des Bundesverfassungsgerichts zu befassen, da diese ei- ne zentrale Rolle bei der Bestimmung des Rahmens zur Anwendung des Demokratie- schutzes, gegen deren Beseitigung durch verfassungsfeindlich agierende Parteien in Deutschland, einnehmen. An dieser Stelle sollen nun kurz die Definitionen der beiden Termini zum besseren Verständnis der weiteren Arbeit gegeben werden. Die Prinzipien auf denen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ beruht, hatte das Bundesver- fassungsgericht bereits im Verbotsurteil gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) entwickelt:

„Dieser Grundordnung liegt letztendlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfas- sungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zu Grunde, [dass] der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertegebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates. Der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt.“9

Weiter heißt es:

„So [lässt] sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestim- men, die unter [Ausschluss] jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundge- setz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Le- ben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlich- keit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition."10

Zum Begriff der „streitbaren Demokratie“ bemerkt das Bundesverfassungsgericht im Urteil gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) folgendes:

Das Grundgesetz „[…] nimmt aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte an- erkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen; soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit der Geg- ner erforderlich sind, werden sie in Kauf genommen. Das Grundgesetz hat also [bewusst] den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsord- nung unternommen.“11

Vor der ausführlichen Erörterung soll jedoch auf die historischen Gegebenheiten eingegangen werden, die zur Etablierung der „streitbaren Demokratie“ im Grund- gesetz der Bundesrepublik geführt haben. Besondere Aufmerksamkeit soll hier, vor dem Hintergrund der späteren Diskussion um ein Pro und Contra eines NPD - Verbots, dem Art. 21 Abs. 2 GG geschenkt werden. Dazu ist es unerlässlich, sich mit den negativen historischen Erfahrungen der Weimarer Republik und deren Reichsverfassung auseinanderzusetzten, um die Ursachen für die Machtübernah- me der Nationalsozialisten nachvollziehen zu können und dabei gleichzeitig mög- liche Schwachstellen der Weimarer Reichsverfassung zu identifizieren. Nach die- sem historischen Überblick, werden die Elemente der „wehrhaften Demokratie“, wie sie zum Schutz der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ im Grundge- setz verankert sind, näher beleuchtet, wobei der Fokus in erster Linie auf der Ana- lyse des Art. 21 Abs. 2 GG liegen soll. In diesem Zusammenhang soll anschlie- ßend auch die Argumentationslinie des Bundesverfassungsgerichts beim KPD - Urteil von 1956, dem bis zum heutigen Zeitpunkt zweiten und letzten Parteiverbot in der Geschichte der Bundesrepublik, nach dem der SRP 1952, untersucht wer- den. Im letzten Abschnitt werden auf Basis des vorher dargestellten theoretischen Rahmens des Parteiverbots als Bestandteil der „wehrhaften Demokratie“, Argu- mente aufgezeigt, welche für oder gegen ein Verbotsverfahren der NPD sprechen. Zuerst soll nun der Hauptgrund für die neu entfachte Diskussion um ein NPD - Verbot im öffentlichen Diskurs dargestellt werden und was überhaupt unter Rechtsextremismus zu verstehen ist.

Nachdem das Thema und die Problematik des Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenig Beachtung in den Medien und im öffentlichen Diskurs fand, was hauptsächlich am schlechten abschneiden der rechtsorientierten Parteien bei Bundestags- und Landtagswahlen lag, hat sich dies im Jahr 2011 schlagartig geändert. Anfang des Monats November finden Polizeibeamte im Zuge eines Ermittlungsverfah- rens wegen eines Banküberfalls eine Waffe, mit der in den vorangegangen Jahren meh- rere Morde an Personen mit Migrationshintergrund begangen wurden sowie rechtsext- remes Propagandamaterial, welches Bezug zu einer Gruppierung namens Nationalsozia- listischer Untergrund aufweist. Die Bundesanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf und sprach sogar von Rechtsterrorismus.12 Im Zuge der weiteren Ermittlungen rund um die „Zwickauer Zelle“ wurden bald darauf Hinweise gefunden, die auf eine direkte Verbin- dung zwischen der Terrorzelle und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) deuten. Nach diesem Erkenntnisgewinn wurde nicht nur von Teilen der Bevölke- rung, sondern auch von Spitzenpolitikern, unter anderem dem Bayrischen Ministerprä- sidenten Horst Seehofer, die Forderung nach einem erneuten NPD - Verbotsverfahrens gestellt.13 Bis Anfang April 2012 sollten nach Beschluss der Innenminister von Bund und Ländern, alle V - Männer aus den Führungspositionen der Partei abgezogen wer- den, um ein mögliches Verbotsverfahren nicht aus den gleichen Gründen, welche schon 2003 das Verfahren zu einem negativen Abschluss brachten, von vorneherein zum Scheitern verurteilt zu wissen. Während vor allem die SPD und einige Bundesländer das Tempo des Verfahrens beschleunigen wollten, warnten viele Spitzenpolitiker aus Regie- rungskreisen vor einem zu schnellen Handeln.14 In den folgenden Monaten wurde unter großem Aufwand, Material über die NPD gesammelt, das dazu dienen soll, einem mög- lichen erneuten Verbotsantrag, eine positive Entscheidung seitens des Bundesverfas- sungsgerichts abzugewinnen. Das nun vorliegende, circa 1200 Seiten umfassende Dos- sier über die Partei enthält brisante Informationen über die Tätigkeiten und ideologi- schen Absichten der als rechtsextremistisch eingestuften Partei. Rassismus und Antise- mitismus spielen in dieser Materialsammlung eine bedeutende Rolle.15 Zudem zeichnet das Beweismaterial ein Bild der Partei, „[…] bei der sich die Ablehnung des demokrati- schen Systems durch den politischen Alltag zieht.“16 Auf dieser geschaffenen Basis wollen die Innenminister im Dezember 2012 über einen erneuten Gang vor das Bundes- verfassungsgericht entscheiden, ob man die 1964 gegründete NPD und somit am längs- ten existierende rechtsextreme Partei, die damals als Auffangbecken für das isolierte und zersplitterte rechte Parteienspektrum gegründet wurde17, verbieten lassen will.

Sobald das Thema NPD angesprochen wird, fällt im Allgemeinen unweigerlich auch der Terminus Rechtsextremismus. Doch was bedeutet dieser genau?

Das erste Problem, das sich bei der Begriffsbestimmung des Rechtsextremismus ergibt, ist die Vielzahl an sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Thema ausei- nandersetzen. Neben Politikwissenschaftlern befassen sich vor allem Vertreter der Sozi- ologie sowie der Geschichts- und Erziehungswissenschaft mit dem Phänomen des Rechtsextremismus. Deren Forschungsschwerpunkte und Erkenntnisinteresse sind meist unterschiedlicher Natur, was zur Folge hat, dass diese Teilbereiche unterschiedliche Schwerpunkte bei dessen Untersuchung festgelegt haben. Dies führt zu zahlreichen Ge- gensätzen bezüglich dessen, was unter dem Terminus Rechtsextremismus verstanden werden soll.18 Im Folgenden soll jedoch lediglich auf die politikwissenschaftliche Di- mension eingegangen werden. Bevor ich mich der Definition des Rechtsextremismus zuwende, muss zunächst einmal geklärt werden, was der Begriff Extremismus über- haupt bedeutet und in welchem Zusammenhang dieser mit dem Terminus Rechtsextre- mismus steht. Backes und Jesse definieren diesen wie folgt: „Der Begriff des politi- schen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesin- nungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte einig wissen [...].”19 Extremismus umfasst somit das breite Spektrum von Linksextremismus auf der einen Seite und Rechtsextremismus auf der Anderen. „Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland er- halten Akteure das Prädikat `extremistisch´, welche die im Grundgesetz verankerten Werte und Normen für die institutionalisierte Austragung von Konflikten ablehnen. Im engeren Sinne wird Extremismus als Fundamentalopposition gegen den demokratischen Verfassungsstaat definiert.“20 Mit der vorgenommen Eingrenzung des Terminus des po- litischen Extremismus, hat sich die Problematik bei der inhaltlichen Bestimmung von Rechtsextremismus nicht gebessert, zumal dieser auch gleichzeitig den Linksextremis- mus umfasst.

Die Spannbreite, was der Begriff alles umfasst, ist nach wie vor sehr breit gefächert. Im Folgenden soll nun eine kleine Auswahl wiedergegeben werden, was Politikwissen- schaftler darunter verstehen. Jaschke versteht unter dem Begriff Rechtsextremismus „[…] die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, […] die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit ausgehen, […] das Gleich- heitsgebot der Menschenrechts - Deklaration ablehnen, […] den Vorrang der Gemein- schaft vor dem Individuum betonen, […] den Weltpluralismus einer liberalen Demokra- tie ablehnen und Demokratiesierung rückgängig machen wollen.“21 Für Richard Stöss zählt die Negation universeller Freiheits- und Gleichheitsrechte der Menschen, ein über- steigerter Nationalismus, die Ablehnung parlamentarisch - pluralistischer Systeme und das Gesellschaftsbild einer Volksgemeinschaft als zentrale Merkmale für Rechtsextre- mismus.22 Pfahl - Traughber definiert Rechtsextremismus als „ […] Sammelbezeich- nung für antidemokratische Auffassungen und Bestrebungen mit traditionell rechts ein- zuordnenden Ideologieelementen […].“23 „Gessenharter zählt Autoritarismus, Antiplura- lismus, Antiparlamentarismus, Zivilisationskritik, Nationalismus einschließlich Rassis- mus sowie Ausländerfeindlichkeit und Dogmatismus zum Rechtsextremismus.“24 Wie sich anhand der gerade angeführten unterschiedlichen Definitionsversuche zeigen lässt, ist ein einheitliches Verständnis nicht vorhanden. Dieser Auffassung ist auch der Bun- desverfassungsschutz, der hierzu anmerkt: „Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein einheitliches Gefüge dar, sondern tritt in unterschiedlichen Ausprägungen nationa- listischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente und unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf.“25

Prinzipiell lassen sich aus oben genannten Definitionsversuchen, einzelne Elemente herausziehen, die sich in gewisser Weise auf die NPD beziehen und ihren Charakter als rechtsextreme Partei untermauern. Das oben genannte Dossier, welches über die Partei erstellt wurde, soll demzufolge mit genügend Material aufwarten können, das dies zweifelsfrei belegen kann sowie die Verbindung zwischen NSU und NPD konkreter aufzuschlüsseln vermag. Dennoch ist der Ausgang der voraussichtlich im Dezember anstehenden Entscheidung immer noch offen, ob man positiv darüber einkommt, das Bundesverfassungsgericht zu Beauftragen und Prüfen zu lassen, ob die Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig zu erklären ist.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass es in der Bundesrepublik die Möglichkeit gibt, eine Partei auf Antrag beim Bundesverfassungsgericht verbieten lassen zu können? Hierzu muss man einen Blick in die jüngste Vergangenheit Deutschlands werfen, genauer ge- sagt, auf die Zeit der Weimarer Republik, welche den Ausschlag für die Etablierung der „wehrhaften Demokratie“, hierzu zählt auch Art. 21 Abs. 2 GG, im Grundgesetz der Bundesrepublik, gab. In diesem Zusammenhang fiel in der Anfangsphase der Bonner Republik immer wieder die These: „Bonn ist nicht Weimar.“26 Damit sollte ausgedrückt werden, dass sich das Grundgesetz gegen die Feinde der Demokratie besser zu wehren vermag, als dies durch die Weimarer Reichsverfassung der Fall gewesen war. Diese war den Machenschaften der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen, da ihr angeblich Ab- wehrmechanismen wie Art.21 Abs. 2 GG fehlten. Um besser verstehen zu können, wel- che Maßnahmen im Grundgesetz zum Demokratieschutz verankert wurden, soll hier zunächst einmal noch die Phase der Weimarer Republik näher betrachtet werden.

2. Ausreichender Staatsschutz? Ursprung und Theorie der „wehrhaften Demokratie“

2.1 Unvollendete Demokratie? Die Weimarer Republik und ihre Verfassung

Nach Beendigung des Ersten Weltkriegs und der vollzogenen Revolution kam es bereits am 19. Januar 1919, nachdem etliche Veränderungen, wie unter anderem das Herabset- zen des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre27, am bisherigen Wahlrecht vorgenommen wur- den, zu den ersten Wahlen der neuen Weimarer Republik. So war es „[…] die zentrale Aufgabe der Nationalversammlung […] die Revolution durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung zum Abschluss zu bringen.“28 Am 6. Februar trat die neugewählte Nationalversammlung erstmals zusammen. Bereits vier Tage später war eine Über- gangsverfassung beschlossen, die bis zum Inkrafttreten der endgültigen Reichsverfas- sung am 19. August 1919 ihre Gültigkeit besaß.29 Und nochmals wenige Tage später, „[…] am 24. Februar begann die parlamentarische Beratung der Reichsverfassung, nachdem der Innenminister [Hugo Preuß] den Regierungsentwurf der Nationalver- sammlung vorgelegt hatte.“30 Nachdem der Entwurf den gesamten institutionellen Weg durchlaufen hatte, in dem viele Kompromisse gefunden werden mussten, trat die Ver- fassung am 14. August, nachdem sie vom damaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 11. August unterzeichnet wurde, in Kraft.31 Nach dieser besaß der Reichstag „[…] zwar das Gesetzgebungsrecht, jedoch bestand daneben die Möglichkeit zur plebiszitären Gesetzgebung auf dem Weg über Volksbegehren und Volksentscheid, und zwar auch auf Initiative des Reichspräsidenten.“32 Dieser wurde, anders als in der Bundesrepublik, direkt vom Volk für eine siebenjährige Amtszeit gewählt und mit faktisch unbegrenztem Recht zur Auflösung des Reichstags ausgestattet. Letztendlich erhielt der Reichspräsident nach Art. 48 der Weimarer Verfassung außerordentliche Notstandsvollmachten, welche, wie sich in der weiteren Entwicklung der Republik zeigten, schwerwiegende Folgen für das politische System hatten.33 Mit diesem Artikel stand ihm „[…] eine umfassende Rechtsgrundlage für den [Erlass] von Notverordnungen und für Grundrechtssuspensionen“34 zur Verfügung, welche „[…] zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“35 dienen sollten.

Die erste demokratische Verfassung auf deutschem Staatsgebiet, wird durchaus sehr kri- tisch in der heutigen Politikwissenschaft beleuchtet. Dabei wird oftmals auf Art. 76 verwiesen, der im Vergleich zum Grundgesetz, eine Verfassungsänderung, sehr leicht ermöglichte. In Abs. 1 heißt es: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung ge- ändert werden.“ Es bestand somit immer die Möglichkeit eine Verfassungsänderung mit den dafür notwendigen Mehrheiten zu vollziehen. Gerhard Anschütz bemerkt hierzu knapp: „Auf dem durch Art. 76 geregelten Gesetzgebungswege können […] Verfas- sungsänderungen jeder Art bewirkt werden […].“36 Auch ist immer wieder die Rede von einer gewissen Wertneutralität, die als eine entscheidende Schwäche der Weimarer Reichsverfassung kundgetan wurde und deshalb auch sehr anfällig gegenüber den Fein- den der Demokratie war.37 „Die Republik von Weimar sei `überwiegend liberal und duldsam eingestellt´ gewesen, der Staat habe `Toleranz auch gegen Intoleranz´ geübt, an wirksamen Handhaben zum Schutz der Weimarer Verfassung habe es gefehlt.“38 Die Problematik der Beschränkung der Freiheit für deren Feinde, vor allem gegenüber ver- fassungsfeindlich gesinnten Parteien, blieb nach Auffassung des Bundesverfassungsge- richt ungelöst: „Die Weimarer Verfassung hat auf eine Lösung verzichtet, ihre politi- sche Indifferenz beibehalten und ist deshalb der aggressivsten dieser `totalitären´ Partei- en [, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP),] erlegen.“39 Adä- quat dieser Auffassung einer allzu großen Liberalität in der Verfassungsordnung der Weimarer Republik, „[…] wird das Ende des Weimarer Staates häufig auch auf einen `legalen Selbstmord der Weimarer Demokratie´ zurückgeführt.“40 Die Gesellschaft von Weimar sei dazu bereit gewesen, „[…] in legalen Formen den Selbstmord zu vollziehen und im Namen von Freiheit und Vernunft diese Freiheit und Vernunft zu begraben.“41 Elementar für den Niedergang der Weimarer Demokratie scheint dieser Ansicht nach, die weitgehend unbegrenzte Demokratie. Das Prinzip „[…] der Mehrheitsentscheidung trage […] das Risiko der Selbstschwächung, ja der Selbstvernichtung [in sich].“42 Im Rahmen dieser Argumentationskette wird sehr oft darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Feinde der Weimarer Republik einer `Legalitätstaktik bedient hätten43 und die Nationalsozialisten auf Basis dieser Wertneutralität „[…] auf formal legalem Wege“44 an die Macht gekommen wären. Das totalitäre Regime etablierte sich auf diese Weise, „[…] ohne die Verfassung zu verletzen.“45 Diese Beobachtung wurde letztendlich bei der Konstituierung des Grundgesetzes berücksichtigt und schlug sich in der Etablierung der „wehrhaften Demokratie“ nieder.46 „Angesichts der Erfahrung, [dass] die Gegner des Weimarer Verfassungssystems die Macht legal erlangen können, seien die Verteidi- gungslinien der Verfassungsordnung des Grundgesetzes weit nach vorn verlegt worden […]“47, um so früh wie möglich gegen die Gegner der Verfassung vorgehen zu können. Hans Copic spricht in diesem Zusammenhang von einem „Präventivkrieg“48 gegen Feinde der Demokratie.

Doch war die Weimarer Reichsverfassung wirklich so wehrlos gegen einen Angriff auf die Demokratie? Den Verfassungsgebern musste durchaus bewusst sein, dass verfas- sungsfeindliche Gruppierungen, Organisationen und Parteien in der Gesellschaft zu fin- den waren, die früher oder später gegen den Bestand der demokratischen Ordnung agie- ren würden. Bei genauerem Hinsehen, lassen sich doch einige Möglichkeiten erkennen, die dem Schutz der Staatsordnung dienen. Diese sollen nun kurz dargestellt werden.

[...]


1 Sontheimer, Michael: Die Revolution frisst ihre Kinder. Nach der Hinrichtung des verräterischen Kö- nigs verteidigen die Franzosen ihre Republik gegen Bedrohungen von außen und innen - und siegten um einen hohen Preis: Der Terror verdüsterte das Bild der Befreiung, in: Spiegel Geschichte 1/2010: Die Französische Revolution. Aufstand gegen die alte Weltordnung, Hamburg 2010, S. 98 - 100 (99)

2 Vgl. Lameyer, Johannes: Streitbare Demokratie. Eine verfassungshermeneutische Untersuchung, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 336, Berlin 1978, S. 13

3 Müller, Reinhard: Verfassungsschutz. Um der Freiheit willen (26.01.2012), http://m.faz.net/aktuell/politik/inland/verfassungsschutz-um-der-freiheit-willen-11626269.html (aufgeru- fen am 01.09.2012)

4 Der defensive Charakter wird in Punkt 2 aufgegriffen und erklärt

5 Vgl. u.a.: Focus: Zwickauer Terrorzelle. NSU-Terrorist war für NPD-Spitzenpolitiker tätig (13.03.2012), http://www.focus.de/politik/deutschland/terrorzelle-nsu-bericht-engere-kontakte-zur-npd- fuehrung_aid_ 723455.html (aufgerufen am 02.09.2012)

6 FAZ: Bundesverfassungsgericht. NPD-Verbotsverfahren endgültig gescheitert (18.03.2003), http://www.faz.net/aktuell/politik/bundesverfassungsgericht-npd-verbotsverfahren-endgueltig-gescheitert- 193297.html (aufgerufen am 02.09.2012)

7 Vgl. Bielicki, Jan/ Leyendecker, Hans: NPD und die Zwickauer Terrorzelle. "Nicht den geringsten Be- rührungspunkt"(14.12.2011), http://www.sueddeutsche.de/politik/npd-und-die-zwickauer-terrorzelle- nicht-den-geringsten-beruehrungspunkt-1.1235237 (aufgerufen am 02.09.2012)

8 Wenn im Weiteren die Begriffe „streitbare“ oder „abwehrbereite“ Demokratie verwendet werden, dann als Synonym für „wehrhafte Demokratie“

9 BVerfGE 2, 1 (12f)

10 Ebd. BVerfGE 2, 1 (13)

11 BVerfGE 5, 85 (138f)

12 Vgl. Stern: Zwickauer Zelle. Das Tagebuch des Terrors (19.11.2011), http://www.stern.de/politik/deutschland/zwickauer-zelle-das-tagebuch-des-terrors-1753058.html (aufge- rufen am 26.08.2012)

13 Vgl. Knapp, Ursula/ Schmale, Holger: Zwickauer Neonazi - Zelle. Die Terror - Spur führt zur NPD (02.12.2011), in: Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/neonazi-terror/zwickauer-neonazi- zelle-die-terror-spur-fuehrt-zur- npd,1477338,11249508.html (aufgerufen am 26.08.2012)

14 Vgl. Spiegel: Debatte über NPD-Verbot. Innenminister wollen V-Leute noch diesen Monat abziehen (22.03.2012 ), http://www.spiegel.de/politik/deutschland/innenminister-wollen-beweise-gegen-npd- sammeln-lassen-a-823158.html (aufgerufen am 02.09.2012)

15 Vgl. Spiegel: Rassismus und Antisemitismus. Dossier des Innenministeriums liefert Vorlage für NPD- Verbot (02.09.2012), http://www.spiegel.de/politik/deutschland/dossier-ueber-npd-liefert-anhaltspunkte- fuer-verbotsverfahren-a-853397.html (aufgerufen am 02.09.2012)

16 Ebd. (aufgerufen 03.09.2012)

17 Vgl. Pfahl - Traughber, Armin: Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der Wiedervereinigung, (2., erweiterte Auflage), Bonn 1995, S. 67

18 Vgl. Winkler, Jürgen R.: Rechtsextremismus. Gegenstand - Erklärungsansätze - Grundprobleme, in: Schubarth, Wilfried/ Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Bonn 2000, S.38 - 68 (38)

19 Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Neuausgabe, Bonn 1996, S. 45

20 Winkler: Rechtsextremismus, S.41

21 Jaschke, Hans - Gerd: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder, Opladen 2001, S.31

22 Vgl. Butterwegge, Christoph: Rechtsextremismus, Freiburg 2002, S. 22

23 Pfahl - Traughber: Rechtsextremismus, S. 18

24 Winkler: Rechtsextremismus, S 46

25 Bundesamt für Verfassungsschutz: Rechtsextremismus, http://www.verfassungsschutz.de/de/arbeits- felder/ af_rechtsextremismus/ (aufgerufen am 03.09.2012)

26 Zypries, Brigitte: Weimar - die unterschätzte Verfassung, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die Weimarer Verfassung - Wert und Wirkung für die Demokratie, Erfurt 2009, S. 17 - 26 (19)

27 Vgl. Möller, Horst: Weimar. Die unvollendete Demokratie, 5. Aufl., München 1994, S. 79

28 Büttner, Ursula: Weimar, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2008, S. 112

29 Vgl. Möller: Weimar, S. 110f

30 Ebd.:, S. 125

31 Vgl. Ebd.:, S. 131

32 Flemming, Jens et al. (Hrsg.): Die Republik von Weimar. Das politische System, Bd. 1, Düsseldorf 1979, S. 8

33 Vgl. Ebd.:, S. 8f

34 Kutscha, Martin: Verfassung und „streitbare Demokratie“. Historische und rechtliche Aspekte der Berufsverbote im öffentlichen Dienst, Köln 1979, S. 32

35 Fromme, Friedrich Karl: Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960, S. 165

36 Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Ein Kommentar, Nachdruck der 14. Aufl. 1933, Darmstadt 1965, S. 403 (Hervorhebung im Original)

37 Vgl. Kutscha: Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 28

38 Ebd.:, S. 28f

39 BVerfGE 5, 85 (138)

40 Kutscha: Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 29

41 Leibholz, Gerhard: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., Karlsruhe 1967, S. 64

42 Kutscha: Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 29

43 Vgl. Ebd.:, S. 29

44 Schmitt - Glaeser, Walter: Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, Berlin u.a. 1968, S. 24

45 Jasper, Gotthard: Die abwehrbereite Demokratie, München 1965, S. 24

46 Vgl. BVerfGE 5, 85 (138)

47 Kutscha: Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 30

48 Copic, Hans: Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, Tübingen 1967, S. 3

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Wehrhafte Demokratie. Überlegungen zum NPD-Verbotsverfahren
Hochschule
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
43
Katalognummer
V336605
ISBN (eBook)
9783668261549
ISBN (Buch)
9783668261556
Dateigröße
795 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteiverbot, wehrhafte Demokratie, NPD, Extremismus
Arbeit zitieren
Daniel Piontkowski (Autor:in), 2012, Wehrhafte Demokratie. Überlegungen zum NPD-Verbotsverfahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336605

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