Schuld im Strafrecht. Diskussion der Schuldbegriffe


Seminararbeit, 2012

40 Seiten, Note: 13 Punkte

Anonym


Leseprobe


Gliederungsverzeichnis

I.Einleitung
1. Schutzstrafrecht statt Schuldstrafrecht

II. Hauptteil
A)Historische Betrachtung der Schuldbegriffe
1.) Die ersten Schuldlehren
a) Zurechnungslehre
b) Historische Schuldlehren
B)Verschieden Schuldbegriffe
1. Der psychologische Schuldbegriff
2. Kritik am psychologische Schuldbegriff
3. Der normative Schuldbegriff
4. Kritik normative Schuldbegriff
5. Der Materielle Schuldbegriff
a) Gesinnungsschuld
aa) Kritik an der „Gesinnungsschuld“
b) Schuld als Andershandelnkönnen
bb) Kritik an der
„Schuld als Andershandelnkönnen“
c) Charakterschuld
cc) Kritik an der „Charakterschuld“
6. Der funktionale Schuldbegriff
a)Tiefenpsychologische Perspektive
b) Sozial-Psychologischer Perspektive
7.) Kritik Funktionaler Schuldbegriff
a) Die Limitierungsfunktion der Schuld
b) Die Prämisse des Determinismus
c) Weitere Kritikpunkte
8.) Der Schuldbegriff der deliberativen Person
a) Verantwortung und öffentlicher Diskurs
b) Die Unschuld der moralischen Person
c) Schuld aus kommunikativer Freiheit.
9.) Kritik am Schuldbegriff der deliberativen Person..
10.) Die Willensschuld
a) Schuld ist metaphysischer Natur
b) Offener Schuldgrundsatz

III. Gesamtergebnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Schuld im Strafrecht - Diskussion der Schuldbegriffe

I.Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit hat das Ziel, den strafrechtlichen Schuldbegriff möglichst präzise zu erklären. Schuld spielt nicht nur für das Strafrecht eine wichtige Rolle, sondern auch in anderen Gebieten, wie Religion, Ethik oder Politik. Es geht hierbei meist in ganz verschieden Richtungen. In der Religiösen Schuld geht es beispielsweise um die Sünde und die Abwendung von Gott. Ethische Schuld zeigt sich durch das Handeln eines Menschen gegen bestimmte Pflichten. Politische Schuld drückt sich durch die Haftung der Staatsbürger für die Handlungen eines Staates aus.1

Die Entscheidung über diese Schuld wird verschieden beurteilt. Über die Religiöse Schuld entscheidet Gott, über die moralische Schuld das Gewissen. Entscheidend in dieser Seminararbeit ist aber die juristische bzw. strafrechtliche Schuld, obwohl diese niemals vollständig losgelöst von ethischen und moralischen Grundsätzen bestimmt werden kann.

Entsprechend den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG) sowie der Menschenwürde (Art. 1 I 1 GG) basiert das deutsche Strafrecht auf dem Schuldprinzip. Grundsätzlich meint Menschenwürde einen sozialen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen allein auf Grund des Menschseins, der Zugehörigkeit zur menschlichen Art, zukommt, ohne an weitere Voraussetzungen geknüpft zu sein. Die Menschenwürde ist nicht abhängig von Eigenschaften, Leistungen oder sozialem Status.2

Sie wird in engem Zusammenhang mit der rechtlichen Gleichheit des Menschen (Art. 3 GG), der Wahrung von Identität und Integrität (Art. 2 GG), der Begrenzung staatlicher Gewaltanwendung (Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG) und der Sicherung individuellen und sozialen Lebens (Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG) gesehen .3

Die Vergeltung eines Vorgangs, den der Täter nicht zu verantworten hat, wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.4 Tat und Schuld müssen dem Täter nachgewiesen werden.5 Die Strafe setzt demnach Schuld voraus.6 Fraglich sind jedoch die Voraussetzungen der Schuld. Liest man hierfür das Gesetz, bekommt man lediglich eine negative Antwort.

Schuld liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn man es mit einer Handlung eines schuldunfähigen Minderjährigen zu tun hat (§ 19 StGB, §§ 1, 3 JGG), der Täter sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand (§ 19 StGB) oder bestimmte seelische Störungen bei ihm vorliegen (§ 20 StGB). Überdies fasst §46 I S. 1 StGB die wesentlichen Aspekte von Schuld als Voraussetzung für die Strafe zusammen. So unterscheidet sich etwa die Schuldform bei Fahrlässigkeitsdelikten von denen einer Vorsatztat.7 Nach §17 StGB entfällt die Schuld, wenn dem Täter die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt. Und §35 StGB bestimmt, das derjenige ohne Schuld handelt, der eine rechtswidrige Tat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr von sich oder eine nahe stehenden Person abzuwenden. Das Schuld unbedingte Voraussetzung für Strafe ist und bei fehlender Schuld nicht bestraft werden kann, ist damit deutlich. Im Hinblick auf die Strafzumessung garantiert der Schuldgrundsatz, „dass die Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen“.8 Nur der Begriff der Schuld selbst wird im Strafgesetzbuch nicht bestimmt. Deshalb entstanden verschiedene Theorien mit dem Versuch, die Schuld begrifflich zu erfassen.

Ziel dieser Seminararbeit ist es die verschiedenen Schuldbegriffe im Strafrecht, die Kritik und deren Begründung näher zu untersuchen. Zum Schluss soll dann in einem Resümee eine eigene Stellungnahme erfolgen. Trotz der Schwierigkeiten, mit denen der Schuldbegriff behaftet ist9 muss sich Schuld auch positiv umschreiben lassen, wenn man sie zur Grundlage strafrechtlicher Sanktionen machen will.

Um die Schuldbegriffe näher erklären zu können, erscheint es sinnvoll zunächst deren Historische Entwicklung darzustellen. Bevor ich jedoch zu den Schuldbegriffen komme, gibt es einen kurzen Diskurs zum Schutzstrafrecht.

1. Schutzstrafrecht statt Schuldstrafrecht

Eine Möglichkeit das Schuldprinzip als strafbegründendes Merkmal zu umgehen, ist das sogenannte Schutzstrafrecht. Dieses wird vor allem durch spezialpräventive Gründen gerechtfertigt. Durch „Abschrecken von Gelegenheitstätern und Unschädlichmachen von nicht zu bessernden Gewohnheitsverbrechern“ soll dies geschehen.10 Es war Franz v. Liszt der sich schon für solche „warnenden und abschreckenden Maßnahmen“ einsetzte, um Straftaten so effektiv wie möglich zu verhindern.11 Es wird dabei ein nach dem Werturteil des Gesellschaft unerwünschter Erfolg mit einem Individuum verbunden, wobei mit der darauffolgenden Strafe eher eine Art „Therapie“ beabsichtigt wird.12 Fraglich ist allerdings, womit dann die Strafe durch diese „wertfreien Maßnahmen“ begrenzt wird. Da es Schuld nicht sein kann, muss es dir prognostische Gefährlichkeit des Täters sein.13 Es ist auch nicht geklärt, wo genau die Grenze solch einer Strafe liegen soll, für die das Schuldmaß nicht gilt. Problematisch ist weiterhin, dass die bereits getätigten, tatsächlichen Resozialisierungsmaßnahmen der Vergangenheit keineswegs erfolgreich waren.14 Aus strafrechtlicher Sicht bestehen gegenüber dem Schutzstrafrecht außerdem bereits Wiedersprüche auf terminologischer Ebene: von einer Handlung als „gewillkürtes Verhalten“, von einem den „Kausalverlauf überdeterminierenden Vorsatz“, von „Vermeidbarkeit als Voraussetzung der Fahrlässigkeit“ kann im Hinblick auf ein deterministisches Schutzstrafrecht kaum gesprochen werden“.15 Ferner wäre bestimmten strafrechtlichen Figuren die dogmatische Grundlage entzogen, namentlich der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, dem freiwilligen Rücktritt oder der Anstiftung. Straftatbestände wie die Nötigung oder Vergewaltigung verlören schließlich ihr Rechtsgut, den freien Willen.16

II. Hauptteil

A)Historische Betrachtung der Schuldbegriffe

Die Schuldbegriffsproblematik ist eines der unklarsten und umstrittensten Themen in der gesamten Strafrechtsdogmatik. Es entstanden und entstehen aus den einzelnen Lehren immer wieder neue Theorien und Ansätze, die die Schuld zu begründen versuchen. Diese sind zum Teil aber nur schwer von einander zu unterscheiden. Im folgenden möchte ich zunächst die historische Entwicklung des Schulbegriffs darstellen.

1.) Die ersten Schuldlehren

a) Zurechnungslehre

Die Zurechnungslehre wurde begründet von Aristoteles . Das Ausgangsprinzip von Aristoteles Zurechnungslehre bestand darin, dass er als zurechenbar nur jene Handlungen betrachtet hat, die mehr oder weniger mit dem Prinzip des sog.

sittlichen Habitus, also der sittliche Tauglichkeit verbunden sind.17

Als Habitus bezeichnet Aristoteles das, „was macht, dass wir uns in Bezug auf die Affekte richtig oder unrichtig verhalten, wie wir uns z.B. in Bezug auf den Zorn unrichtig verhalten, wenn er zu stark oder zu schwach ist, richtig dagegen, wenn er die rechte Mitte hält“.18 Er erkannte somit den Zusammenhang zwischen psychischen Bedingungen des sittlichen Wertes und der sittlichen Beurteilung menschlicher Handlungen.

Nach dieser Auffassung können die unfreiwilligen Handlungen und auch das Nichtwissen überhaupt kein Wertungsobjekt darstellen, weder negativ noch positiv, da in solchen Fällen kein Zusammenhang zwischen dem äußeren Verhalten vom Individuum und seiner sittlichen Tauglichkeit gegeben ist.19 Das Nichtwissen kann dabei zum einen in der Unkenntnis der Tatumstände, zum anderen in der Unkenntnis einer gesetzlichen Vorschrift bestehen. Nach Aristoteles Verständnis handelt nur derjenige im vollen Sinne freiwillig, der sittlich (rechtlich) richtig handelt, der also nicht nur die Tatumstände und die einschlägigen Rechtsnormen kennt, sondern dieses Wissen in seinem Handlungsentschluss auch wirksam werden lässt.

Weiterhin wird das Problem der Beziehung des Prinzips des sittlichen Habitus zu den Begriffen von Unterlassung und Fahrlässigkeit in seinem Werk analysiert. Wie es sich im Prozess der Forschung herausstellt, kann dem Individuum nach Aristoteles Lehre weder Unterlassung noch Fahrlässigkeit zugerechnet werden.

Folglich führt das Prinzip des sittlichen Habitus dazu, dass die Zurechnung im Grunde genommen nur mit den Begriffen von Vorsatz und Handlung eingeschränkt bleibt.

Aristoteles Zurechnungslehre besagt auch , dass das Individuum die Entscheidungsfreiheit auch im Falle des unüberwindbaren Zwanges besitzt, d. h. auch in diesem Fall ist die Person in der Lage, zwischen dem Rechtmäßigen und dem Rechtswidrigen zu wählen. Er kommt somit zum Schluss, dass die Entscheidungsfreiheit beim unüberwindbaren Zwang nicht ausgeschlossen wird, obwohl der Kreis der objektiv gegebenen Möglichkeiten natürlich maximal begrenzt wird.

Zweifelsfrei dabei ist, dass der gegebene Begriff die strafrechtliche Verantwortung jedenfalls ausschließen soll. Wenn der unüberwindbare Zwang vorhanden ist, wird die strafrechtliche Verantwortung wegen des Vorhandenseins des unüberwindbaren Zwanges und nicht wegen des Unvorhandenseins der Entscheidungsfreiheit ausgeschlossen. Treffender formuliert, bleibt die Schuld nicht deswegen aus, dass man hier überhaupt keine Entscheidungsfreiheit besaß. Wegen seiner ausdifferenzierten Beschreibung des Schuldproblems als Grundlage der Strafe wird Aristoteles als Schöpfer der Zurechnungslehre bezeichnet.20

b) Historische Schuldlehren

Der Begriff der Schuld hat im Laufe der Geschichte einen starken Wandel erfahren.21 Lange Zeit galt in der Praxis eher eine Art Erfolgshaftung, als das es auf ein gesondertes Verschulden nicht ankam. Die Schuld wurde sogar lediglich als objektiver Gegensatz zur Gemeinschaft verstanden.22

Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld wurde nicht vorgenommen. Thomas von Aquin war derjenige, der sich für ein ausdrückliches Schuldstrafrecht einsetzte, wonach nur ein solcher Mensch bestraft werden durfte, dessen Tat „aus bewusster Bosheit“ begangen wird, „indem er gleichsam bewusst das Böse wählt“.23 Der handelnde Mensch, das sogenannte „praktische Subjekt“ wurde zum Mittelpunkt für das Verständnis einer Straftat.

Im Römischen Recht gelangte der „rechtswidrige Tatvorsatz“ zur grundsätzlichen Voraussetzung für Strafe. Im Mittelalter entstand schließlich in Italien der Begriff des „Dolus“. Das Schuldmaß beurteilte sich hierbei danach, ob es sich um eine vorbedachte Tat oder eine Affekthafte Tat handelte.24 Derjenige, der willentlich gegen das Recht verstoßen hatte, wurde nur bestraft.

Im deutschen Recht wird seit 1532 zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden. Begonnen hat es mit der „Constitutio Criminalis Carolina“.25

Im 17. Jahrhundert wurde Strafe durch den Absolutistischen Staat, als Instrument präventiver Rechtsdurchsetzung benutzt. Der dort geltenden Zurechnungslehre Pufendorfs ging es an erster Stelle darum, das Recht zu sichern. Die handelnde Person wurde als „Ursache eines Geschehens“ betrachtet und deswegen auch grundsätzlich bestraft.26 Auf die Persönlichkeit des Täters oder die genaueren Tatumstände wurde keine Rücksicht genommen.

B)Verschieden Schuldbegriffe

Nach dem historischen Rückblick möchte ich im zweiten Teil die verschiedenen Formen des Schuldbegriffs im heutigen Deutschland darstellen und und auch deren Kritikpunkte veranschaulichen.

1. Der psychologische Schuldbegriff

Der bis in die Anfänge unseres Jahrhunderts herrschende psychologische Schuldbegriff ist aus dem juristischen Denkstil des wissenschaftlichen Positivismus hervorgegangen.

Der Positivismus ist eine Richtung in der Philosophie, die fordert, Erkenntnis auf die Interpretation solcher, nämlich „positiver“, Befunde zu beschränken, bei denen eine Untersuchung unter vorab definierten Bedingungen einen erwarteten Nachweis erbrachte. Der psychologische Schuldbegriff beruht auf einer streng begrifflichen, klassifikatorischen Systematik, bestehend in der Bildung von Gattungen, Arten und Unterarten, und zweitens auf einem naturalistischen Ansatz.27

Dieser geht prinzipiell davon aus, den Sinn des Gesetzes und die Voraussetzungen der Straftat sämtlich wie empirische Fakten behandeln und ohne Wertung „induktiv“28 erkennen zu können.29 Die Feststellung, dass bestimmte Voraussetzungen gegeben seien, soll rechtliche Schuld begründen.30

Diese dem psychologischen Schuldbegriff zugrunde liegenden Positionen vertritt vor allem v. Liszt in seiner Verbrechenslehre, wobei es für seinen Schuldbegriff und auch bei anderen psychologischen Schuldbegriffen eine Orientierung am Strafzweck der Prävention festgestellt werden kann. Die Zurechnungsfähigkeit zähle aber nicht als Bestandteil der Schuld. Sie wird zur eigenständigen Strafvoraussetzung; es sei nicht einsichtig, innerhalb des Schuldbegriffs die Möglichkeit der Schuld festzustellen, wenn man außer ihr ohnehin noch ihre Wirklichkeit feststellen müsse.31

Psychische Zustände sollen unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammen gebracht werden, nämlich dem „Gemütszustand, der eine Handlung als für den Handelnden charakteristisch, erscheinen lässt“. Aus der rechtswidrigen Handlung soll auf eine „antisoziale Gesinnung“ des Täters geschlossen werden.32

Es ist festzustellen, dass sich die psychische Beziehung des jeweiligen Täters nicht immer auf die soziale Gefährlichkeit seines Verhaltens und des Erfolgs, sondern vielmehr auf die konkrete individuelle Gefährlichkeit seines Handelns und den konkreten individuell bestimmten Schaden des Erfolgs richtet. Die Schuld umschreibt die innere, die psychische Einstellung des Täters zu seiner Tat und tritt in zwei Erscheinungsformen auf. Es ist Vorsatz und Fahrlässigkeit. Dadurch, dass eine objektive Rechtswidrigkeit und damit einhergehend die Vorstellung von „schuldlosem Unrecht“ als Kategorie nicht existierte, bestärkte diese Annahme. Das Strafrechtliche Unrecht wurde immer als „verschuldetes Unrecht“ im modernen Sinne verstanden.

Das eine Person durch Notstandsgesichtspunkte entschuldigt wäre, war bei einem vorsätzlich handelndem nicht mehr möglich. Erst durch Jhering33 und der Begründung der objektiven Rechtswidrigkeit kam es zur Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld und dem Einzug in die Strafrechtswissenschaft.

2. Kritik am psychologische Schuldbegriff

Es ist festzustellen, dass der psychologische Schulbegriff aus mehreren Gründen nicht haltbar ist. Erstens wird schon einmal keine Auskunft darüber gegeben, welche psychischen Fakten denn genau schuldrelevant seien sollen. Somit kann auch die Relevanz zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht begründet werden.34 Bei der Ablösung von einem psychologisierenden Schuldverständnis hat das Unrechtsbewusstsein die größte Schwierigkeit bereitet. Insbesondere ist die Möglichkeit der Schuldfähigkeit eines Verhaltens, das ohne aktuelle Unrechtskenntnis vollzogen wird immer wieder bestritten worden.35

Aber auch den Versuch dem Mangel abzuhelfen, dadurch, dass man Vorsatz und Fahrlässigkeit auf psychische Fakten reduziert wie zum Beispiel Kenntnis oder Unvorsichtigkeit und diese als Anzeichen für eine Antisoziale Gesinnung nimmt, lässt weder erklären, weshalb dieses Anzeichen die Sache vertreten muss, noch warum nicht auch das Fehlen eines psychischen Faktums Indizwirkung haben kann, noch weshalb es hier überhaupt nur um psychische Fakten gehen soll.

Weiterer Kritikpunkt an der psychologische Schuldauffassung liegt darin, dass erstens die Schuld auf die psychische Beziehungen des Täters zu etwas außerhalb seiner Persönlichkeit Stehendem zu begrenzen und zweitens die Schuld als Gattungsbegriff der Schuldarten Vorsatz und Fahrlässigkeit zu definieren. Verständlich erscheint nur, dass die psychische Beziehung zu einem äußeren Ereignis nicht allein die Schuld ausmacht. Selbst dann, wenn diese Beziehung in dieser Art vorliegen würde, käme ein Schuldspruch unter „begleitenden Umständen“36, d. h. in den Fällen von Notwehr, Notstand usw., nicht oder nur in milderem Maße in Frage.37 Außerdem würden Vorsatz und Fahrlässigkeit gerade nicht identische Artmerkmale aufweisen.38

3. Der normative Schuldbegriff

Im Allgemeinen wird Frank39 als der Begründer des normativen Schuldbegriffs angesehen. Er schrieb das Buch „Über den Aufbau des Schuldbegriffs“ im Jahre 1907. Darin sah er insbesondere das Phänomen des entschuldigten Notstands mit dem psychologischen Schulbegriff nicht vereinbar. Einem aus Notstand handelnden Menschen den Vorsatz abzusprechen sei „einfach unlogisch“.40 Bevor die normativen Schuldlehren unter dem strukturellen Aspekt danach gegliedert werden, wie sie jeweils das normative Moment einbringen, ist zunächst auf einige gedankliche Grundlagen dieser Lehren einzugehen. In vielen normativen Lehren wird Schuld als „Vorwerfbarkeit“ umrissen, ein zuerst durch Frank gebrauchter Ausdruck.

[...]


1 Vgl. A. Kaufmann, Unrechtsbewusstsein, S.85.

2 Jarass, in: ders./Pieroth 2000, Art. 1 Rn. 5 f.

3 Pieroth/Schlink 2001, 82 = Rn. 361.

4 BVerfGE 20, 323, 331 ff.; 50, 205, 214.

5 BVerfGE 9, 167, 169.

6 Vgl. die Grundsatzentscheidungen BGHSt 2, 194 (200) sowie BVerfGE 95, 96 (131), 96, 245, 249); sowie stellvertretend für die Literatur: Haft 5.Teil § 3, 1.; Wessels Rn. 396.

7 Vgl. Engisch, S. 112; Köhler, S. 11.

8 Vgl. Achenbach, S. 10 ff.; Siehe BverfGE 50,205(215); 86, 288 (313); vgl. Hochhuth, JZ 2005, 745 (746).

9 Vgl. dazu Oelmüller, S. 11 ff.; W.Kaufmann S. 95 ff.

10 Vgl. Hillenkamp, JZ 2005, 313 (317).

11 Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 6.

12 Vgl. Detlefsen, S. 52.

13 Vgl. Hillenkamp, JZ 2005, 313 (317).

14 Vgl. Hillenkamp, aaO.

15 Vgl. Hillenkamp, aaO.

16 Vgl. Dreher, S. 33,41; Hillenkamp, aaO.

17 R. Loening, Die Zurechnungslehre Aristoteles, Jena, 1903, Vorrede, S. XIII.

18 Bedürfnis, Wunsch, Begehren, Probleme einer philosophischen Sozialanthropologie, Alfred Schöpf, S.92.

19 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Berlin, 1979, Bd. III, S. 3.

20 Loening, die Zurechnungslehre des Aristoteles.

21 Geschichte der Schuld im Strafrecht, Stübinger, S. 273 ff.

22 Wolf, Griechisches Rechtsdenken, Bd. 2, S. 336 ff.; A. Kaufmann, Rechtsphilosophie, Band 2, S. 217; Köhler AT, S.368.

23 Thomas von Aquin, Summa Theologica, XII, 78.Frage, S. 269.

24 Vgl. Köhler, S. 369.

25 Vgl. Radbruch, S. 315 ff.

26 Siehe Pufendorf, De iure naturae et gentium.

27 Achenbach, a.a.O., S. 22.

28 V. Liszt, Lehrbuch, 1. Auflage 1881, S. 105 f.

29 Schünemann in: ders., Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 20; Vgl. z.B. v. Liszt, Lehrbuch, 20.Auflage 1914, S. 163.

30 Schünemann, a.a.O., S. 19; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 332 ff.

31 Radbruch, a.a.O., S. 339.

32 Radbruch, a.a.O., S. 349.

33 Das Schuldmoment im Römischen Privatrecht, 1867.

34 Achenbach Grundlagen, S.43.

35 Krümpelmann, ZstW, 99 S.191 ff.

36 Frank, Über den Schuldbegriff, in: FS der juristischen Fakultät Giessen, 1907, S. 523 f., 546.

37 Frank, a.a.O, S. 522 f.

38 Frank, a.a.O., S. 528.

39 Frank, FS, Jur. Fak. Uni Giessen, 1907, 519.

40 Frank, S. 6; vgl. Roxin AT, S. 856; Tiemeyer, GA 1986, 203 ff. ; Momsen, S.497.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Schuld im Strafrecht. Diskussion der Schuldbegriffe
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Seminar "Hirnforschung, Neuromodulation und freier Wille - Anforderungen an Medizin- und Strafrecht"
Note
13 Punkte
Jahr
2012
Seiten
40
Katalognummer
V336863
ISBN (eBook)
9783668265899
ISBN (Buch)
9783668265905
Dateigröße
738 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strafrecht, Medizinrecht, Schuld, Neuromodulation, Freier Wille
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Schuld im Strafrecht. Diskussion der Schuldbegriffe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336863

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