Das höfische Ideal in "Tristan und Isolde". Darstellung und Übertragung im Medium Film


Seminararbeit, 2016

27 Seiten, Note: 5,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Êre und triuwe als handlungsbeeinflussende Elemente

4. Der Minnetrank und die Inszenierung des Endes

5. Die Umsetzung von mittelalterlichen Motiven im Film

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Thematik von Tristan und Isolde wird vom öffentlichen Publikum anders wahrgenommen, als es in der Forschung der Fall ist. Dieser Umstand zeigt sich besonders bei Filmen, da dabei der Stoff sowohl interpretiert, als auch gekürzt werden muss, um eine gebräuchliche Vorstellung zu gewährleisten. Dieser Schritt sagt bereits sehr viel über die Umstände der Herstellung aus, da sie durch die Auswahl der Szenen zeigt, wo der Schwerpunkt des Inszenierenden ist und was er dem Betrachter näherbringen möchte. Heute wird die Geschichte von Tristan und Isolde gerne neben Romeo und Julia als Sinnbild einer wahren Liebe betrachtet, doch ist dies nicht eine moderne Zuschreibung, die nichts mit der Vorlage aus dem 12. Jahrhundert zu tun hat? Diese Anschauung ist jedoch nicht neu. Verweisen doch die bildlichen Darstellungen der Romantik im 19. Jahrhundert auf eine ebenso romantische Vorstellung, von der wir selbstverständlich ausgehen, dass sie auch mittelalterlich war. Ehebruch und gesellschaftlicher Druck bleiben ausgeblendet sowie rechtliche Folgen ihrer Liebe. Dieser Punkt scheint jedoch für eine Interpretation von entscheidender Bedeutung und sollte nicht unhinterfragt bleiben. Daran ist ebenfalls zu denken, wenn die filmische Umsetzung untersucht wird, um festzustellen, ob eine Adaption, die der Originalhandlung folgt, überhaupt existieren konnte, oder ob diese als uninszenierbar aufgrund der anderen Erwartungshaltung des Publikums anzusehen ist.

Es stellt sich also die Frage nach der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung oder genauer nach der höfischen Gesellschaftsordnung. War Tristan und Isolde das Ideal der mittelalterlich höfischen Liebe oder ist diese Interpretation neuerer Herkunft? Nachdem eine allgemeine Deutung zur Tristan-Version von Gottfried von Strassburg im Forschungsstand vorgestellt wurde, könnte eine genauere Betrachtung der höfischen Gesellschaft etwas mehr Einblick zu dieser Fragestellung gewähren. Es wird einerseits dadurch versucht, die Handlungen der Charaktere im Buch nachzuvollziehen, aber auch im darauffolgenden Kapitel die Diskrepanz zu ihren Filmpendants. Deshalb werden die neuesten Tristan-Verfilmungen Grundlage dieser Untersuchung.1 Sie sollen im Quervergleich aufzeigen, welche Elemente nach heutigen Massstäben als wichtig anzusehen sind und einen Vergleich zur höfischen Vorlage zulassen. Die letzten Kapitel widmen sich der Umsetzung der Buchvorlage im Film sowie speziell dem Minnetrank und dem Ende. Dieser nicht von Gottfried verfasste Part der Geschichte wird jedoch bereits im Prolog angedeutet, weshalb die gesamte Geschichte einem prädestinierten Ende entgegengeht. Dies und der Minnetrank als fremdes Element werden genauer betrachtet, um auch hier szenisch nachvollziehen zu können, was für Änderungen vorgenommen wurden, weshalb und ob dies aus moderner Notwendigkeit geschehen musste.

Die Filme haben durch ihre bescheidenen Erfolge gezeigt, dass sie nicht dem Geschmack der Massen entsprechen.2 Aber ob dies an der Inszenierung oder der fremden Geschichte liegt, gilt es zu hinterfragen. Somit soll sich zeigen, ob Tristan und Isolde eine mittelalterliche Geschichte bleiben muss, die zur Uninszenierbarkeit verurteilt wurde.

2. Forschungsstand

Die Forschung um Tristan und Isolde hat sich lange Zeit mit dem Spannungsfeld zwischen Minne und Pflicht befasst, was auch hier wieder zum Thema gemacht wird, jedoch erweitert um die Inszenierbarkeit in der filmischen Umsetzung. Die klassische Forschung hat den Schwerpunkt folglich anders gesetzt. Abzugrenzen sind hierbei jene Werke, die die Genealogie der Texte in den Vordergrund stellen, da ihre Thematik für die heutige Umsetzung weniger wichtig ist.3 Ein weiterer Aspekt, der die Forschung beschäftigte, war jener der Gesamtkonzeption, so dass das Werk in seiner Gänze gedeutet werden musste und nicht auf einzelne Szenen reduzierbar ist. Walter Haug hat mit seiner Betrachtung des Prologs hierzu einiges geleistet.4 Die Problematik lag in der Auffassung einer Uneinheitlichkeit, Disparatheit und Ambivalenz des Tristans. Folge war die Begrenzung der Untersuchung auf einzelne Teilaspekte.5

Die Diskrepanz zwischen Minne und Pflicht ist jedoch ein Thema, welches älter ist, als die Deutung nach der konzeptionellen Interpretation. Die Untersuchungen gehen bereits auf das 19. Jahrhundert zurück, wo eine ehebrecherische Liebe Entrüstung versursachte. Ein Gegenpol entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als versucht wurde, die Liebe als Darstellung einer hohen sittlichen Minne zu verstehen. Mit Gottfried Weber negativierte sich dieses Bild jedoch wieder.6 Während die Literaturforschung Tristan und Isolde zum abschreckenden Beispiel machte, sah dies bei den Filmen anders aus. Vielleicht ist es geradezu bezeichnend für einen erneuten Paradigmenwechsel in den 80ern. Tomas Tomasek brachte einen Wechsel dahingehend ein, dass er versuchte, die Gesamtinterpretation wiederaufzunehmen, aber ebenfalls ein optimistischeres Fazit über die Minne im Tristan zu ziehen.7 Auch wenn im Werk der Konflikt zwischen der Gesellschaft und den Liebenden thematisiert wird, so scheint nicht die Lösung des Konflikts die Zielsetzung des Romans zu sein, sondern das Aufzeigen dessen Unvereinbarkeit. Walter Haug bezeichnete 1986 die Liebe zwischen Tristan und Isolde als Sündenfall und Erlösung gleichermassen. Schuldig und rein, korrupt und vollkommen.8

Die Darstellung dieser unversöhnlichen Gegenwelten vollbringt Joachim Bumke in seinem Werk höfische Kultur.9 Durch seine Gegenüberstellung von höfischen Werken und historischen Quellen gelingt es ihm, eine Interpretation zu ermöglichen, die über den Quellentext hinausgeht und schliesslich von entscheidender Bedeutung ist hinsichtlich der Darstellung der Umstände im Film.

3. Êre und triuwe als handlungsbeeinflussende Elemente

Aus heutiger Sicht ist die einvernehmliche Entscheidung Tristans und Isoldes zur Rückkehr aus der Minnegrotte schwer nachzuvollziehen. Dies wohl deswegen, weil das persönliche Erfüllen von eigenen Wünschen niemals einen derart hohen Stellenwert besessen hat wie heute.

Die mittelalterliche Gesellschaft ist nicht mit der höfischen Gesellschaft gleichzusetzen. Vielmehr kann die höfische Welt Tristans als Vorbild für die historische Welt angesehen werden. Beherrscht war diese Vorlage nicht von politischen Ränken, finanzieller Gier und Eroberungslust, sondern von Idealen, die ihre Charaktere definierten. Es lässt sich von einem künstlichen Ausklammern zugunsten des Erreichens hoher Ideale sprechen.10 Diese grundlegenden Attribute waren êre, milte, triuwe, staete.11 Insbesondere die Ehre bestimmte das Verhalten der Charaktere entscheidend. Dies geschah im Zusammenhang mit dem dienest, was als durchaus historischer Fakt zu sehen ist. Noch Ende des 12. Jh. wurden Dienstleute grosser Herren und Söldner von Adligen als Ritter bezeichnet.12 Auch die höfischen Ritter waren an den dienest gebunden. Ihre Dienstpflicht war einerseits an ihren Lehensherrn gebunden, aber auch ihrer Minneherrin schuldeten sie Folgepflicht. Ein Wechselspiel von Ehre und Minne sind die Konsequenz zwischen der Bindung des Ritters und der hohen Dame. Die Ehre war Voraussetzung für eine Werbung, aber auch danach zogen die Ritter aus, um für ihre Minneherrin zu streiten.13 Tristans Weg unterscheidet sich grundlegend von jenem anderer höfischer Ritter wie Erec oder Iwein. Der ehrenvolle Kampf als (Minne)dienst bleibt ihm verwehrt. Erecs verligen gleich, sucht er keine Herausforderungen mehr, was auf den Minnetrank zurückzuführen ist und somit sein Dienstverhalten korrumpiert. Auch bei Brangaine, der Zofe Isoldes, zeigt sich ein Missverhältnis zwischen Dienst und gesellschaftlicher Norm, als diese für ihre Herrin lügt und ihr hilft, die Intrige gegen Marke aufrecht zu erhalten.14 Die Ehre beruhte auf einem System des Anerkennens. Ohne äussere Sicht funktioniert sie nicht.15 Diesem Problem müssen sich Tristan und Isolde in der Minnegrotte stellen. Sie sind zwar glücklich, aber ehrlos:

"und wurden in ir herzen vrô. | die vröude haeten s'aber dô | vil harter unde mêre | durch got und durch ir êre."16

Im Widerspruch dazu giert Marke nach Lust und wird dadurch ehrlos. Eine Frau zu besitzen, um der Sinne Willen, setzt bereits Gottfried mit Hurerei gleich und verdammt dies aufs Schärfste:

"wir bûwen die minne | mit gegelletem sinne, | mit valsche und mit âkust | und suochen danne an ir die lust | des lîbes unde des herzen. | sone birt si niuwan smerzen,"17

Für Gottfried musste die höfische Minne auf edlen Motiven beruhen. Markes Verhalten ist jedoch insofern zu legitimieren, dass er bereits einen Ehrverlust hinnehmen musste, als er Isolde wegschickte. Sie zurückzuholen, hätte seine Stellung verbessern sollen.18

Die Ehre motiviert besonders die Handlungen der Hauptcharaktere, welche sich scheinbar durch ihren Ehebruch am schändlichsten verhalten, doch Gottfried lässt es nicht grundlos aus, diese Begebenheit anzuklagen.

Gottfrieds Exkurse konstruieren eine Gesellschaft, in der Minne das höchste Gut ist und doch ist dies im selben Roman nicht der Fall. Um die von ihm gepriesene leidlose Liebe leben zu können, bedarf es einer anderen Gesellschaft.19 Dies zeigt sich einerseits am Verhalten Markes, aber auch an jenem seiner Vasallen. Der König sollte als der perfekte Ritter gelten, doch Marke kommt diesem Anspruch in keiner Weise nach.20 So wird er von Gandin überrumpelt und unterliegt jeder List. Während Marke durch Unterlassen und Naivität ein schlechtes Beispiel abgibt, sind seine Vasallen verschlagen und feige. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, sich Morold entgegen zu stellen, doch trotz Tristans Aufforderung bleibt es schliesslich an ihm, den Kampf zu bestreiten.21 Auch bei der Brautwerbung ist es der Neffe Markes, welcher keinen Treueeid geleistet hat, der diesem nachkommt, während die Vasallen ihren Schwur nur halbherzig befolgen.22 Tristan verhält sich ehrenhaft an einem Ort, an dem Ehre nur ein leeres Wort ist. Ere ane ere nennt Gottfried diese neidvolle Anerkennung fremder Taten, ohne ihnen den verdienten Respekt zu zollen.23 Die Intention der Ritter kommt nicht von ihnen, nicht von innen, sondern von der gesellschaftlichen Norm, die sie nur scheinbar befolgen.

[...]


1 Veith von Fürstenberg, 1981: Feuer und Schwert - Die Legende von Tristan und Isolde Fabrizio Costa, 1998: Tristan und Isolde - Eine Liebe für die Ewigkeit Kevin Reynolds, 2006: Tristan & Isolde

2 Kiening, 2006, S. 35.

3 Hierzu wäre zu nennen: Schoepperle, Gertrude: Tristan and Isolt. A Study of the Sources of the Romance, 2 Bde., Frankfurt 1913.

4 Haug, Walter: Studien zur Geschichte und Vorgeschichte der Literatur des Europäischen Mittelalters, München 1964.

5 Schnell, 1992, S. 3f.

6 Weber, Gottfried: Gottfrieds von Strassburg Tristan und die Krise des hochmittelalterlichen Weltbildes um 1200, 2 Bde., Stuttgart 1953.

7 Tomasek, Tomas: Die Utopie im >Tristan< Gotfrids von Straßburg, Tübingen 1985.

8 Haug, Walter: Gottfrieds von Strassburg >Tristan<. Sexueller Sündenfall oder erotische Utopie, in: Kontroversen - alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985, Bd. 1, Tübingen 1986, S. 41-52. hier: S. 44 & 46.

9 Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 122008.

10 Bumke, 2008, S. 381.

11 Dinzelbacher, 1992, S. 706.

12 Ehrismann, 1995, S. 170.

13 Voss, 1989, S. 329.

14 Wolf, 1989, S. 235.

15 Eckermann, Art. "Ehre", Sp. 1662-1663.

16 V. 17695-17698.

17 V. 12237-12243

18 Mazzadi, 2012, S. 86.

19 Schnell, 1992, S. 22.

20 Mazzadi, 2012, S. 78.

21 V. 6067f.

22 Tomasek, 1985, S. 59.

23 V. 16332.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Das höfische Ideal in "Tristan und Isolde". Darstellung und Übertragung im Medium Film
Hochschule
Universität Zürich  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Film
Note
5,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
27
Katalognummer
V337097
ISBN (eBook)
9783656984818
ISBN (Buch)
9783656984825
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tristan, Isolde, Höfisch, Ideal, Film, Darstellung
Arbeit zitieren
Benjamin Kettner (Autor:in), 2016, Das höfische Ideal in "Tristan und Isolde". Darstellung und Übertragung im Medium Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337097

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