Schafft der "Inverted Classroom" eine innovative Lernkultur?

Qualitative Analyse zum expansiven Lernen mit dem Konzept des „Inverted Classroom“ aus subjektwissenschaftlicher Sicht


Bachelorarbeit, 2016

392 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

A. Theoretischer Teil
2. Lernkulturen
2.1 Definition
2.2 Lernkulturwandel und Abgrenzung einer „neuen“ Lernkultur
2.3 „Neue“ Lernkultur im Kontext von Lernarrangements
3. Subjektwissenschaftliche Lerntheorie
3.1 Grundlagen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie
3.1.1 Subjektstandpunkt
3.1.3 Lernprinzip, Bedeutungsstruktur und Bezugshandlung
3.1.4 Lerngegenstand und Lernaspekte
3.1.5 Lernproblematiken und Lernstrategien
3.2 Expansive und defensive Lernhaltungen
3.2.1 Lernbegründungen
3.2.2 Qualitativer Lernsprung
3.2.3 Lernverhältnisse
3.3 Aktueller Stand der Lernforschung aus der Subjektperspektive
4. Das Konzept des „Inverted Classroom“
4.1 Abgrenzung und Definition
4.2 Der „Inverted Classroom“ als innovative Lernkultur
4.3 Das Konzept im Fernstudium

B. Empirischer Teil
5. Untersuchungsverfahren
5.1 Vorstellung des qualitativen Forschungsansatzes
5.2 Das problemzentrierte Interview
5.3 Die Grounded Theory
5.4 Begründung der Erhebungs- und Auswertungsmethode
6. Evaluation
6.1 Feldzugang und Sampling
6.2 Interviewvorbereitung und Interviewdurchführung
6.3 Transkription
7. Ergebnisanalyse
7.1 Auswertung der Interviews
7. 2 Darstellung der Ergebnisse
7.3 Ergebnisinterpretation
8. Handlungsempfehlungen
9. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In Zeiten des stetigen Wandels, permanenter Veränderung und Flexibilisierung ist „Lernen“ bereits seit langem schon zu einem Schlüsselbegriff geworden. Es nimmt in der heutigen Gesellschaft einen zentralen Platz ein. Der Weg führt aus der von Beck (2007) genannten „Ersten Moderne“, der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, in die „Zweite Moderne“ der Wissens- und Informationsgesellschaft. Lernen ist das notwendige Mittel um das in dieser neuen Moderne zur ökonomischen Ressource gewordene Wissen ständig zu erweitern und zu aktualisieren. Lernen ist zu einer lebensbegleitenden, individuellen, selbstbestimmten und selbstorganisierten Aktivität geworden. Parallel dazu haben sich die Neuen Medien rasant weiterentwickelt und sind bereits zum festen Bestandteil von Lebens- und Arbeitswelten geworden. Durch Neuen Medien wird das Lernen immer mehr endgrenzt. Diese „Neue“ Lernkultur verursacht neben den vielfältigen und schon lange andauernden Diskussionen über Lernkonzepte auch gleichzeitig, dass die Lernenden selbst stärker in den Fokus genommen werden. Aufgrund der dynamischen Veränderungen in der heutigen Gesellschaft hat „Lebenslanges Lernen“ gerade in der Erwachsenenbildung eine implizite Bedeutung erhalten. Die psychologische Lernforschung hat bereits seit Jahrzehnten versucht, Lernbedingungen und die dadurch hervorgerufenen Verhaltensweisen mit lerntheoretischen Aspekten zu analysieren. Innerhalb der traditionellen Lernforschung stehen unterrichtliche oder erzieherische Bemühungen, die auf das Individuum einwirken und ein bestimmtes Verhalten hervorrufen im Fokus. Betrachtet wird überwiegend die institutionell bestimmte, zu arrangierende und motivierende Seite des Lernens durch den Lehrer oder die Lernenden selbst (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 10). Die aus den gesellschaftlichen Anforderungen entstandenen und angewandten Lernkonzepte haben bisher, wie auch die Analysen aus der psychologischen Lernforschung, die Lernenden als Objekte betrachtet, welche im Lernprozess, von außen, unter bestimmten Bedingungen, instrumentell gesteuert werden können (Faulstich & Ludwig, 2008, S.4). Die Permanenz der Anforderungen zur stetigen und selbstverantwortlichen Weiterentwicklung verändert nicht nur den Blick auf das Lernen und die Lernenden, sondern stellt auch Fragen. Wie wird heute gelernt? Wie betrachten die Lernenden ihre Lernsituation? Ist das Lernen eine notwendige und hinreichende Bedingung oder wird es als Möglichkeit und individuelle Herausforderung gesehen? Wie werden die Lernangebote genutzt? Anlass dieser Untersuchung ist das Projekt des „Inverted Classroom“ im Studiengang Bildungswissenschaften an der FernUniversität Hagen. Das Konzept des „Inverted Classroom“ wird in der virtuellen und physischen Lernumgebung umgesetzt. Die Studierenden des Erstsemesters des Studiengangs „Bildungswissenschaften“ haben die Möglichkeit an dieser innovativen Lernumgebung teilzunehmen. Die Grundidee des „Inverted Classroom“ ist es, die Wissensvermittlung und das Anwenden zu vertauschen. Die zu vermittelnden Inhalte werden auf Lernvideos ausgelagert, während in der Präsenzzeit die Themen ausschließlich kollaborativ geübt werden sollen. Das Konzept des „Inverted Classroom“ soll die Lernenden in eine aktive, selbstbestimmte Rolle versetzen und in den Mittelpunkt des Lernprozesses stellen. Auch die Lehrkräfte oder Tutoren nehmen eine andere Position ein - von der Frontalvermittlung zur Lernbegleitung. Die Autorin greift die Perspektive aus dem Konzept des „Inverted Classroom“ auf. Sie versteht die Lernenden nicht als Forschungsobjekt eines instruktionalen Lernprozesses, sondern als reflexiv teilnehmende, mitgestaltende Subjekte von Lernprozessen und Lernumgebungen in einer sich wandelnden Lernkultur. Mit der Forschungsfrage „ Inwieweit bietet der „Inverted Classroom“ Raum für expansives Lernen?“ wird vor dem Hintergrund der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie von Klaus Holzkamp untersucht, welche Bedeutung das Konzept für die Studierenden hat, mit welchen Lernhandlungen und aus welchem Begründungszusammenhang heraus damit gelernt wird. Der theoretische Teil beginnt mit dem zweiten Kapitel, in dem zunächst Lernkulturen definiert, abgegrenzt und im Kontext von Lernarrangements betrachtet werden. Im dritten Kapitel wird die subjektwissenschaftliche Theorie ausführlich dargelegt und erläutert. Das Kapitel schließt mit einem Blick auf den aktuellen Stand der subjektwissenschaftlichen Forschung. Im vierten Kapitel wird das Konzept des „Inverted Classroom“ erklärt, als innovative Lernkultur argumentativ eingeordnet und als Konzept im Fernstudium vorgestellt. Mit dem fünften Kapitel folgt der empirische Teil, in dem das Untersuchungsverfahren der Forschung erörtert und begründet wird. Im Anschluss werden Feldzugang und Evaluation der Untersuchung beschrieben. Die Ergebnisanalyse und Interpretation folgen im siebten Kapitel. Die Arbeit schließt mit den aus dieser Forschung gewonnenen Erkenntnissen und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für das universitäre Fernstudium sowie einem Fazit und Ausblick. Die in dieser Arbeit teilweise verwendete männliche Personenform ist als geschlechtsneutral zu verstehen und soll dem Lesefluss dienen.

A. Theoretischer Teil

2. Lernkulturen

Der Begriff Lernkultur ist vielschichtig, variationsreich und aktuell mehr denn je in der Diskussion. Lernkultur verbindet die Begriffe Lernen und Kultur innerhalb verschiedener Bereiche, auf der Grundlage historischer und lernbiographischer Prozesse in unterschiedlichen Dimensionen und Ausprägungen. Die Beschäftigung mit Lernkulturen kann die Notwendigkeit von Veränderungen in den Mittelpunkt stellen und die Reflexion über das Lernen und auch Lehren anregen. Aus der Auseinandersetzung und der zunehmenden Bedeutung des Themas entstehen nicht nur unterschiedliche Sichtweisen, sondern auch vielschichtige Erklärungen für eine potentielle Revision einer vorhandenen Lernkultur, welche dann als „neu“ oder „innovativ“ beschrieben wird (Schüssler & Thurnes, 2005, S. 7). In Zusammenhang mit einem anhaltenden dynamischen Wandel von Lernanforderungen kann das Nachdenken über Lernformen sowie Lern- und Lehrprozesse innerhalb von Lernkulturen einen distanzierten Blick zulassen um neue Perspektiven zu erkennen. Lernkulturen bilden den Rahmen für Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten und setzen durch die Teilnehmenden selbst implizit Grenzen (Arnold & Schüssler, 1998, S. 5). Wie kann Lernkultur jedoch bestimmt werden? Eine Begriffserklärung steht immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Realität, den Gegebenheiten und Sichtweisen (Schüßler & Thurnes, 2005, S. 13). Eine einzige Definition kann nicht festgelegt werden. Die Autorin wird im nächsten Kapitel auf diesen Grundlagen zunächst eine differenzierte Begriffsbestimmung vornehmen und vor dem Hintergrund dieser Forschungsarbeit Lernkultur im Wandel sowie unter dem subjektwissenschaftlichen Aspekt betrachten. Des Weiteren wird eine Abgrenzung und Erweiterung zur „neuen“ Lernkultur vorgenommen und zuletzt im Kontext von Lernarrangements eingeordnet.

2.1 Definition

Das Wort Kultur, von lateinisch „cultura“, kommt ursprünglich aus dem Bereich der Landwirtschaft und bedeutet Pflege, Vervollkommnung oder Kultivierung des Bodens. Kernpunkt der Kultur oder auch Alltagskultur sind Werte, Sinngebungen, Orientierungen, soziale Regeln, Rollen- und Verhaltensmuster, die von Individuen durch Sozialisation und Enkulturation erlernt wurden und in die sie hineingewachsenen sind (Arnold, 1999, S. 31). Zur Kultur gehören ebenso die durch menschliche Aktivitäten hervorgebrachten geistigen und gestaltenden Leistungen sowie die aufgebauten Lebensbedingungen einer Gemeinschaft im Rahmen eines historischen, zeitlich und räumlich abgrenzbaren Bereiches (Hillmann, 2007, S. 471). Lernen wiederum bedeutet im Allgemeinen, dass sich bestimmte Systeme oder Individuen in der Interaktion mit ihrer Umwelt durch passive Reaktion oder aktives Eingreifen verändern (FaulstichWieland & Faulstich, 2008, S. 33). Der grundlegende Aspekt der Verhaltensänderung beim Lernen ist in der klassischen Definition von Bower und Hilgard (1983) berücksichtigt. Die Veränderung des Verhaltens in einer bestimmten Situation resultiert aus wiederholten Erfahrungen, die dieses bewirken, wenn nicht andere Gründe, wie angeborene Reaktionstendenzen, Prägungen oder temporär sensorische oder motorische Zustandsveränderungen vorliegen (S. 31). Prozessual gesehen bedeutet Lernen Akkommodation an ein sich kontinuierlich veränderndes Milieu (Raithel, Dollinger, & Hörmann, 2005, S. 67). Vor diesem Hintergrund begründet die Alltagskultur durch ihre gewohnten, vertrauten Muster die Lernkultur. Die Individuen sind aktiver Teil von Lernkulturen, der durch Konvention und Ablehnung oder Innovation und Weiterentwicklung gekennzeichnet sein kann. Insgesamt bezieht sich eine Lernkultur auf das ganze Lerngeschehen, welches durch individuelle und kollektive Perspektiven und Sichtweisen der Bildungsbeteiligten beeinflusst werden kann (Arnold & Schüssler, 1998, S. 4-7). Umfassend kann man die Lernkultur als einen Abschnitt der gesamtgesellschaftlichen Kultur betrachten, in der Lernangebote, Lerninstitutionen, Lernstile, Lernanreize, Lerninhalte und Lernumgebungen existent sind (Siebert, 2001, S. 142). Lehr- und Lernprozesse finden zu vielfältigen Lernthemen in den unterschiedlichsten Bereichen statt. Durch vorhandene Hindernisse, Schwierigkeiten und Konventionen kann Lernen behindert werden. Lernpotentiale bieten gleichwohl Zugang zu Wissen, welches durch Erfahrungen und Übungen aktualisiert werden kann. Lernkultur kann auch symbolisch, im Sinne eines sozialen Systems, als Lernlandschaft bezeichnet werden, in der Lernaktivitäten, Lernstrategien oder auch Lernarten in differenzierter Ausprägung auf interaktiven Ebenen stattfinden und vollzogen werden (Siebert, 1999, S. 16). Lernkultur innerhalb eines bestimmten Bereiches umfasst zum Beispiel im institutionalisierten Lehr- und Lernkontext, Lernangebote, Lernmöglichkeiten, die Organisation, die Qualität sowie Formen von Lernarrangements (Holtappels, 1995, S. 13). Die Spannweite hängt davon ab, ob auf der Binnenstruktur oder wechselseitig mit dem gesamten Umfeld interagiert wird. Ganzheitlich gesehen, sind Lernkulturen Rahmungen für Lehr- und Lernprozesse, in welchen die Mitglieder kommunikativ, kooperativ und interaktiv zusammenwirken, sich weiterentwickeln und Lernkulturen somit bewusst oder unbewusst selbst neu generieren.

2.2 Lernkulturwandel und Abgrenzung einer „neuen“ Lernkultur

Wie kommt es nun zur Revision einer bestehenden oder traditionellen Lernkultur und warum ist die Debatte um einen Wandel aktueller denn je? In der Vergangenheit haben sich die Sichtweisen auf das Lernen und Lehren immer wieder erneuert und weiterentwickelt. Gerade in den letzten zwanzig Jahren haben sich soziale, politische und technologische Strukturen sowie Informations- und Kommunikationsmedien sehr verändert und beeinflussen die gesellschaftlichen und individuellen Lebens- und Arbeitswelten. Genauso gehen veränderte Sozialformen, der Verlust von standardisierten Handlungsfähigkeiten, Stabilität und leitenden Regeln mit einem Individualisierungstrend einher, welcher den Subjekten Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit abverlangt. Im Zentrum dieser kategorialen Veränderungen steht das Wissen und die Kenntnis um seine Verwendung, als neue wirtschaftliche Ressource und Produktivitätsfaktor (Beck, 2007, S. 70). In der heutigen Wissensgesellschaft steht die Frage im Mittelpunkt, wie das relevante Wissen gefunden, wie es erlernt wird und was dafür zu tun ist. Zusätzlich bekommt die Erlangung, Anwendung und Aktualisierung des Wissens unter dem Gesichtspunkt der gestiegenen Vielschichtigkeit einen anderen Stellenwert und erfordert geradezu eine fortwährende Reflexion über Lehr- und Lernprozesse. Auf der anderen Seite haben lernbiographische Erfahrungen Lehrende und Lernende gleichermaßen geprägt. Aneignungsmechanismen wurden über lange Zeit tief verankert. Verhaltensmuster sind in der jeweiligen Rolle nicht nur eingeübt, sondern zur Gewohnheit und erfolgsversprechenden Überzeugung geworden. Das Bewahren von Wissensbeständen, die Festlegung von Inhalten und Lernmethoden, die Reproduktion von erlerntem Wissen, die Synchronität von Lernprozessen in institutionalisierten Bildungseinrichtungen sowie die Annahme, dass nur gelernt wird, wo gelehrt wird und der Lernende nicht lehrt, ist in traditionellen Lernkulturen noch immer ausschlaggebend (Arnold, 1999, S. 32-34). Betrachtet man diese Entwicklungen, der auf der einen Seite erlernten Verhaltens- und Vermittlungsmuster und der auf der anderen Seite erhöhten Komplexität der Wissensstruktur und -aneignung, richtet sich der Blick nicht nur stärker auf Lernabläufe und die Gestaltung von Lernumgebungen, sondern auch auf Aneignungsprozesse und Lernhaltungen der Lernsubjekte. Lernende sind weitestgehend biographisch durch defensive Lernerfahrungen sozialisiert. Die Defensive besteht darin, dass wenig Lerninteresse vorhanden ist, ein individueller Bedeutungszusammenhang nicht vorliegt und ein Nutzen des Lerngegenstandes nicht festgestellt werden kann. Der Lernprozess wird meist aus strategischen Gründen bewältigt. Die Vermeidung von Sanktionen und das reine Absolvieren eines Lernerfolgs vor Kontrollinstanzen stehen dabei im Vordergrund (Holzkamp, 1993, S. 192-193). Wie verändert sich das mit der traditionellen Lernkultur verknüpfte Bild vom Lernen und Lehren? Verbunden mit den vorher beschriebenen Herausforderungen richtet sich der Blick von der Instruktion hin zu einer Ermöglichung. Die geringe Nachhaltigkeit der Lehr- bzw. Lernmethoden mit einer mäßigen Eigenaktivität der Lernenden und frontaler Wissensvermittlung der Lehrenden ist für die traditionelle Lernkultur kennzeichnend. Lehrende sollen jedoch nicht mehr reine Wissensvermittler sein, sondern vielmehr Initiatoren von methodisch selbstorganisierten, kooperativen Lernprozessen, in der sie eine Berater- und auch Begleitfunktion haben. Relevant ist, dass die Anregung und die Verantwortung für das Lernen von den Lernenden selbst aus gehen, im Sinne eines expansiven Lernens. Die Erkenntnis über Nutzen und Sinn wird im Lerngegenstand erkannt. Lernsubjekte sollten das Vertrauen in die eigenen Lernhandlungen zurückgewinnen und ihre Fähigkeiten einsetzen können (Arnold & Schüssler, 1998, S. 24). Des Weiteren muss das Lernen, als reine Wissensspeicherung oder Akkumulierung, im Hinblick auf die heutige Dynamik, Varianz und die hohe Verfallsrate von gerade noch aktuellem Wissen in Frage gestellt werden (Arnold & Schüssler, 1998, S. 64-66). Eine Lernkultur muss in Abhängigkeit aktueller Anforderungen der „Wissensgesellschaft“ modifiziert und aufgrund eines Lernens, welches heute auf die gesamte Lebenszeit ausgerichtet ist, angepasst werden. Die Forderung des Arbeitsstabs Forum Bildung ist es, Potentiale, wie das Auffinden, die Anwendung, die Reflektion und die Bewertung von Wissen zu fördern. Wissen wird Voraussetzung für eine adäquate Entwicklung, soziale Teilhabe, Lebenschancen und kompetenzbasiertem Handeln (Arbeitsstab Forum Bildung, 2001, S. 4). Mithin erhält das reflexive Wissen, wie die Informationsgewinnung, die Selbsterschließung, die Problemlösung und der kritische Umgang mit Inhalten eine hohe Bedeutung und verdrängt das reine Fach- oder Vorratswissen. Diese Aspekte untermauern eine Aufarbeitung der traditionellen Lernkultur und führen hin zu einer veränderten „neuen“ Kultur einschließlich reflexiver Wissens- und Lernformen (Schüßler & Thurnes, 2005, S. 31). Zu beachten ist jedoch, dass Konzepte, Inhalte oder Ziele sich nicht grundsätzlich verändern. Ein Wechsel der Blickrichtung, das in Frage stellen von Konventionen und eine veränderte Wahrnehmung sind die Basis für einen Paradigmenwechsel (Siebert, 2001, S. 145). Dieser kann von einer Lehr- zu einer Lernkultur führen und diese reformieren (Arnold & Schüssler, 1999, S. 33). Allgemein charakteristisch für eine modifizierte oder auch „neue“ Lernkultur ist neben der Reflexivität, die Verantwortung, die Selbstbestimmung und Selbstorganisation des Lernsubjekts für das Lernen verbunden mit einer Förderung der Erweiterung von Handlungsfähigkeiten und Potentialen. Hierfür müssen durch gesellschaftliche Strukturen und institutionelle Bildungsträger Bedingungen geschaffen werden, in denen Lernprozesse unabhängig und verantwortungsbewusst in den Fokus genommen, Lernangebote, Lerninhalte aber auch Wahlmöglichkeiten bedarfsgerecht weiterentwickelt und zukunftsorientiert angepasst werden (Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung, 2001, S. 67-70). Diese Anpassung muss unter Berücksichtigung einer historischen begründeten, aktuell begonnenen und weitergehenden Entgrenzung des Lernens dynamisch durchgeführt werden und im Hinblick auf Entwicklungen und neu gewonnene Einsichten kontinuierlich korrigiert werden. In einer neuen Lernkultur unterliegen verschiedene Lerndimensionen der Entgrenzung des Lernens und sind dem Diktat der Selbstorganisation unterworfen. Zeit, Ort, Inhalt, Organisation, Form, Konzept und Bedeutung von Lernprozessen integrieren sich in die neue Lernkultur und werden durch veränderte Lernverhältnisse repräsentiert. Diese Lernverhältnisse beinhalten keine gesonderten Lernphasen mehr, sondern ein lebenslanges Lernen, individuell organisiert, in Eigeninitiative, kompetenzorientiert mit unterschiedlichen Informations- und Kommunikationstechnologien in organisierten Netzwerken und individuellem Arrangements (Kirchhöfer, 2001, S. 119- 122).

2.3 „Neue“ Lernkultur im Kontext von Lernarrangements

Der Begriff Lernarrangement bedeutet die Gestaltung von Lernumgebungen und Lernprozessen, die in unterschiedlicher Art und Weise zur Verfügung gestellt und ermöglicht werden. Gieseke und Käpplinger (2001) haben in ihrer Untersuchung zu neuen Lehr- und Lernkulturen in der Erwachsenenbildung einige Charakteristika in Bezug auf Lernarrangements in diesem Forschungskontext herausgearbeitet. In erster Linie kennzeichnen diese Lernarrangements die Verbindung von flexiblen Lernorten, Lernzeiten und Lernmedien, die Verknüpfung von verschiedenen Lernelementen sowie der Wechsel von Präsenz- und tutoriell online betreuten Phasen (Gieseke & Käpplinger, 2001, S. 236-237). Die örtliche und zeitliche Flexibilisierung drückt sich zum einen durch einen selbstverantwortlichen planbaren Ablauf aus und zum anderen durch ein unabhängiges und auch ubiquitäres Lernen. Die Angebote unterschiedlicher Lernmethoden, Medien und auch virtueller Lernumgebungen, multimedialer Strukturen sowie lernnützlicher Unterhaltungselemente werden individuell kombiniert. Prozessual gesehen steht die Handlungsorientierung der Lernenden im Vordergrund, die ein hohes Maß an Aktivität, Selbstorganisation und Selbststeuerung mitbringen müssen. Neben der Aufgabe der Lernenden, Lernwege selbst zu suchen und Lernformen eigenständig zu nutzen, stehen Lerninhalte oder Lerngegenstände jedoch immer noch im Fokus des Lerngeschehens. Unterstützende Maßnahmen durch Lehrkräfte, die das Lernen begleiten oder moderierend agieren, tragen zur Stabilität, Strukturierung, Transparenz und Motivation bei (Schüssler & Thurnes, 2005, S. 66-67). Bei der Kombination von Lernarrangements, dem passenden Setting und der zielgerichteten methodischen Inszenierung spielt zusätzlich die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Die Art und Weise des Lernens und der Einsatz von lernförderlichen Konzepten stehen im unmittelbaren Zusammenhang damit. Selbstorganisierte Lernhandlungen sowie die Förderung der Selbststeuerungsfähigkeit stehen konkret in Verbindung mit einer stärkeren Verknüpfung der Lerninhalte, welche das langfristige Lernen effektiv unterstützen (Arnold & Schüssler, 1998, S. 103). Eine „neue“ Lernkultur wird auch selbst durch die Gestaltung von Lernarrangements geprägt. Beeinflusst wird dieses durch eine individuelle, offene Strukturierung und ein systemisches Konzept in dem Lernressourcen für Lernprozesse vorhanden sind, die von Lehrenden gleichermaßen wie von mitverantwortlichen Lernenden selbstreflexiv genutzt werden (Siebert, 2001, S. 119-120). Im Zentrum stehen hier das Subjekt und sein Lernprozess.

3. Subjektwissenschaftliche Lerntheorie

Das „Forschungsmemorandum für die Erwachsenen- und Weiterbildung“ im Auftrag der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) bestimmt das Lernen als „Herzstück einer Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung“ (Arnold, Faulstich, Mader, Nuissl van Rein & Schlutz, 2000, S. 6). Lernen ist zum Schlagwort in der heutigen Wissensgesellschaft geworden. Gewandelte Lernanforderungen bedingen eine veränderte Interpretation des Lernbegriffs und haben die Produktion vielfältiger Lernkonzepte hervorgerufen. Auf der einen Seite werden die Lernbedingungen sowie die Lernenden und ihre Selbststeuerungsprozesse in den Mittelpunkt gerückt, auf der anderen Seite werden die Lernenden nach wie vor von der Außenperspektive, als Objekte betrachtet und analysiert. Lernen wird mehr von der Bedingungs- und Steuerungsseite her interpretiert (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 4). In den traditionellen Lerntheorien, angefangen mit der behavioristischen Lerntheorie, wurde zunächst grundsätzlich davon ausgegangen, dass hergestellte Lernprozesse gewünschte oder prognostizierte Verhaltensweisen hervorrufen. In den 1960er Jahren änderte sich die Perspektive. Bei den Untersuchungen wurde nun auch eine kognitive Seite mit einbezogen. Innere Vermittlungs- und Verarbeitungsprozesse sowie die Individualität wurden mit berücksichtigt. Darauf aufbauend wurden in der konstruktivistischen Lerntheorie in Bezug auf Lernprozesse auch Aspekte der Selbststeuerung und Selbstorganisation hinzugezogen. Die traditionelle psychologische Lernforschung stützt sich insgesamt mit ihren Lerntheorien weiterhin überwiegend auf die Grundsätze der Instruktion und betrachtet mehr die Seite des Lehrens und des damit verbundenen reglementierten und gesteuerten Lernens. Diese Sichtweise subventioniert eine instrumentelle Perspektive auf die Lernenden (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 4). Unter dem methodischen Gesichtspunkt wird demnach immer noch der Zusammenhang zwischen hergestellten Bedingungen und daraus resultierenden Verhaltensweisen verstanden. Individuelle subjektive Erfahrungswerte der Lernenden werden unter diesen Voraussetzungen als abhängige Größe gewertet und im Rahmen der Forschung wieder objektiviert. Der subjektive Standpunkt der Lernenden sowie subjektive Sachverhalte werden in diesen Untersuchungen schon alleine aus Gründen der Verbindung von Außenbetrachtung und wissenschaftlicher Objektivität nicht berücksichtigt. Die subjektwissenschaftliche Lerntheorie versucht hier einen neuen, ausführlicheren wissenschaftlichen Zugang zur Lernproblematik zu finden, indem das Lernsubjekt konkret in die Analyse mit einbezogen und konzeptualisiert wird. Durch diese Einklammerung des Subjektes auf Grundlage einer Reinterpretation der traditionellen Lerntheorien, ist es möglich umfangreiche Erkenntnispotentiale vom Standpunkt des Lernsubjekts zu verdeutlichen (Holzkamp, 1993, S. 13-15). Im nächsten Kapitel werden die Grundlagen der subjektwissenschaftlichen Theorie vorgestellt, das subjektwissenschaftliche Erkenntnisinteresse herausgearbeitet und die signifikanten Bereiche der Theorie ausführlich dargelegt. Zum Abschluss folgt ein Überblick über den aktuellen Stand der subjektwissenschaftlichen Lernforschung.

3.1 Grundlagen der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie

In der subjektwissenschaftlichen Theorie von Klaus Holzkamp findet ein Wechsel vom Außen- zum Innenstandpunkt statt. Das von außen gesteuerte Verhalten wird als eine begründete und bedeutungsvolle Handlung erfasst. Die begreifbar gemachte Lernhandlung stellt eine Form des sozialen Handelns dar. Bedeutungs- und Begründungszusammenhänge sollen erkannt und verstanden werden (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 12). Der zugrunde gelegte Lernbegriff unterscheidet sich zentral von den didaktischen und instruktionalen Konzepten der traditionellen Lerntheorien. Für die subjektwissenschaftliche Analyse findet, entgegen einer ontogenetischen Sichtweise, keine Diffusion von Lehren und Lernen statt. Die Betrachtung der Lernentwicklung des Kindes und des Heranwachsenden in Wechselbeziehung zum unterstützenden Part der Erwachsenen wird ausgeklammert. Der Blick wird ausschließlich auf das Lernen des erwachsenen Lernsubjektes selbst gerichtet. Lernen soll als Zugang der Individuen zur sachlich-sozialen Welt gesellschaftlicher Bedeutungsrelationen verstanden werden. Es werden nur die Bestimmungen akzentuiert, die ein Lernhandeln vom Handeln zunächst grundlegend spezifiziert (Holzkamp, 1993, S. 180-181). Lernen ist also begründeter Teil des menschlichen Handelns oder primären Handelns, durch das sich das Lernsubjekt neue gesellschaftliche Bedeutungshorizonte zugänglich macht und für sich erweitern kann. Im Fokus steht die Intentionalität. Das Lernsubjekt macht auf der Ebene des primären Handelns durch die Feststellung, dass seine Fähigkeiten für eine bestimmte Handlung nicht mehr ausreichen, eine Diskrepanzerfahrung die es im eigenen Interesse zu überwinden gilt. Die so festgestellte Lernproblematik wird als Lernhandlung ausgegliedert. Durch diese Ausgliederung und kann das Lernsubjekt durch Lernen die Problematik auf der primären Handlungsebene beheben und bei erfolgreicher Lernhandlung seine Handlungsfähigkeit und vorherigen Bedeutungsaufschluss erweitern. Die Überwindung des Lernproblems vollzieht das Lernsubjekt zielgerichtet und eigenständig (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 20-23). Um die Lerngründe des Subjekts zu verstehen, muss man auf die kategorial analytische Bestimmung der Kritischen Psychologie zurückgreifen. Die subjektiven Lebensinteressen werden als elementare subjektive Notwendigkeit eingeteilt, zum einen über gesellschaftlich, individuell wichtige Lebensbedingungen zu verfügen und zum anderen diese zu bewahren und zu determinieren. Aus der allgemeinen Lebensqualität subjektiver Befindlichkeit und der motivationalen Qualität der Handlungsgründe resultiert die vorweggenommene Verfügungserweiterung im Verhältnis zur dafür aufzubringenden Anstrengung kontrovers zwischen echtem Anreiz oder Zwang (Holzkamp-Osterkamp, 1976, S. 57-63). Angelehnt an diesen Gegensatz wird in der subjektwissenschaftlichen Theorie Lernen defensiv oder expansiv betrachtet. Der Lernende zielt mit expansiven Lerngründen auf die eigene Verfügungserweiterung, mit defensiven Lernbegründungen auf die Abwehr von Einschränkung oder Bedrohung der Lebensqualität ab. Das Augenmerk der Theorie liegt auf den Handlungen, Interessen und Begründungen des Lernsubjekts. Die Lebenswirklichkeit wird mit den Bedeutungshorizonten unter dem Interessensbegriff miteinander verbunden (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 24-25). Die Anschauungsweise geschieht aus dem Blickwinkel des Subjektes, als erste Person und nicht vom Außenstandpunkt Dritter (Holzkamp, 1991, S. 7).

3.1.1 Subjektstandpunkt

Angelpunkt der subjektwissenschaftlichen Anschauungsweise ist allgemein die Perspektive des Subjekts oder Lernsubjekts. Das Subjekt steht mit seinen eigenen Plänen, Vorhaben und Intentionen bewusst in Relation zu sich und der Welt, als eine Art „Intentionalitätszentrum“. Das Individuum erlebt seine eigenen Sichtweisen sowie auch die Intentionen andere Individuen. Die verschiedenen Blickwinkel greifen gegenseitig ineinander und sind Ausdruck zwischenmenschlicher Beziehungen mit ihren je eigenen Interessen, Wahrnehmungen, Einordnungen und Bedeutungsmustern (Holzkamp, 1993, S. 21). Die Welt in der sich das Individuum bewegt, handelt, seine Interessen verwirklichen will, die für das Subjekt von Bedeutung ist, beinhaltet auch die Teilhabe an den Ressourcen und die beiderseitige Realisierung gemeinschaftlicher Existenzsicherung (Holzkamp, 1983, S. 291). Universale Aufgabe der Subjekte ist die gesellschaftliche Lebensgewinnung als Auftrag. Dieser expliziert individuelle Handlungen und determiniert die Pläne, Methoden, Ziele und Resultate des Handelns und Lernens, den subjektiven Lebenssinn sowie Bedeutungs- und Begründungsmuster des Handelns (Zimmer, 2008, S. 55). Relevant sind die sachlich-sozialen Bedeutungen, die einerseits aus den Erfordernissen der kollektiven Lebenssicherung, andererseits aus der Realisierung gemeinsamer Lebensinteressen bestehen. Bedeutungen von gesellschaftlichen, klassen- und schichtspezifischen Gegebenheiten stellen für das Individuum Potentiale zum Handeln dar. Die subjektive Handlung bildet eine intermediäre Ebene zwischen den gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen und der individuellen Tätigkeit des Subjektes. Die über die Ontogenese als Kind durch die Unterstützung Erwachsener erlernten Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge, werden später durch die erwachsenen Subjekte intersubjektiv weiter über ihre individuelle Lebenspraxis aufgenommen und erschlossen (Holzkamp, 1983, S. 446-457). Objektiv vorhandene Bedingungen der Gesellschaft bestimmen das Handeln des Subjektes, wenn diese bedeutsam in Bezug auf die eigenen Lebensinteressen sind, Voraussetzungen für die Handlungsintentionen sind und daraus eine subjektive Erhöhung der Lebensqualität folgt. Es geht jedoch nicht um eine einfache Determination durch die Gesellschaft oder die Lebensumstände. Das Individuum kann auch ohne bestimmte Handlungen oder ausgebübte Tätigkeiten zur gesellschaftlichen Lebenserfüllung vom System mitgetragen werden. Die aus Handlungsnotwendigkeiten hervorgebrachten konkreten gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge werden jedoch durch die relative Handlungsfreiheit zu individuellen Handlungsmöglichkeiten, zu denen sich das Subjekt, eben unter Beachtung seiner Lebenswelt, bewusst verhalten kann (Holzkamp, 1991, S. 6-7). Im Einzelnen kann das Individuum diese Handlungsmöglichkeiten ganz oder teilweise ergreifen, ablehnen oder auch zweckentfremdet umsetzen (Holzkamp, 1983, S. 446-457). Die zielgerichtete Relation zur Welt bedeutet für das Subjekt sich selbst aktiv an den Handlungsmöglichkeiten zu beteiligen und diese zur Erweiterung seiner eigenen Lebensbedingungen zu nutzen (Holzkamp, 1983, S. 354). Das Subjekt wird begründete Handlungen auch ausführen oder nicht, wenn es für sich selbst Schaden abwenden will. Es wird nicht gegen seine eigenen Interessen und Bedürfnisse, sondern je aus seiner gegenständlichen historischen Existenz und Situation heraus handeln. Diese Tatsache ist der einzige „materiale Apriori“ der Individualwissenschaft. Im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang gesehen, resultiert aus den begründeten Handlungen ein erforderlicher sozialer Bezug zu den anderen Individuen. Handlungsgründe sind subjektiv-intersubjektiv, für das Individuum aus seinen Lebensinteressen selbst begründbar und somit für andere Individuen sichtbar und in der gegenseitigen Relation nachvollziehbar (Holzkamp, 1983, S. 350). Der Subjektstandpunkt ist also das Ergebnis menschlicher, subjektiv begründeter Handlungen, die jeweils nur vom Subjekt selbst vorstellbar und durchführbar sind.

3.1.2 Handlungen und Lernhandlungen

Kennzeichen menschlichen Handelns ist die geplante, absichtsvolle Tätigkeit, welche freiwillig und gerechtfertigt in eigener Verantwortlichkeit durchgeführt wird. Bei allen Handlungen spielt der kognitive sowie emotionale Bereich, als Teil der psychischen Aktivität, eine wichtige Rolle (Faulstich & Ludwig, 2008, S. 21). Handlungen von Subjekten, die andere Subjekte ein- oder ausschließen, sich also wechselseitig in einer bestimmten Form aufeinander beziehen, enthalten immer auch pädagogische Kriterien, welche beabsichtigt oder auch nicht ein subjektives Handeln und Lernen auslösen (Zimmer, 2008, S. 54-55). In der traditionellen psychologischen Forschung hat das Verhalten gegenüber der Handlung nach wie vor einen signifikant höheren Stellenwert und ist die zentrale Kategorie. Das Verhalten wird von äußeren Lebensverhältnissen beeinflusst und diese Lebensumstände haben bestimmte Auswirkungen auf das Individuum. Die subjektive Handlung und der Mensch als bestimmendes Wesen werden nicht betrachtet. Die von Hacker entworfene und von Volpert weiterentwickelte Handlungsregulationstheorie hat diese Sichtweise insofern etwas überwunden, indem das Handeln als bestimmte praktische Einwirkung auf die Realität angesehen wird. Menschen verändern die Natur durch reale physische Tätigkeit und erschaffen Produkte oder Bedingungen unter Berücksichtigung historischer und sozialer Interdependenz. Des Weiteren werden menschliche Lernhandlungen begrifflich plausibel gemacht indem vor allem die vorweggenommene Erreichung eines bestimmten Ziels durch Handlungsorganisation und Handlungsschritte betont wird. Die Rückkopplung des erfolgreichen Ergebnisses beendet den Handlungsvollzug. Insofern ist die intentionale Handlung des Individuums insgesamt jedoch wieder nur bedingt, da diese sich eben aus der Determination ergibt ein bestimmtes Ergebnis oder ein individuelles Lernziel zu erreichen (Holzkamp, 1986, S. 383-391). Die in der subjektwissenschaftlichen Theorie begründete Handlung nimmt hier den Aspekt der inhaltlichen und gesellschaftlichen Bedeutung mit auf, fragt nach den ursprünglichen, primären Gründen und stellt einen gesellschaftstheoretischen Weltbezug her. Das Individuum wirkt beim Handeln bewusst, subjektiv-aktiv, unter Berücksichtigung der jeweils vorliegenden Weltgegebenheiten, in seinem Möglichkeitsraum auf seine Lebensverhältnisse ein (Holzkamp, 1993, S. 169-171). Darüber hinaus wird Handeln als Ausbau der Lebensqualität gesehen, die sich unter Berücksichtigung von prozessual anthropogenetisch entstandenen kognitiven und emotional-motivationalen Funktionen entfaltet. Das Subjekt erfährt durch diese Erweiterung seiner Bedingungsverfügung den Zweck und die Bedeutsamkeit innerhalb des im Ganzen vorliegenden gesellschaftlichen Handlungszusammenhangs. Die individuelle zweckgebundene

Handlung aus der Handlungsregulationstheorie kann subjektwissenschaftlich sinnvoll eingebettet werden, indem diese als Teilaspekt jener Handlung gesehen wird, die eine Verfügungserweiterung zum Ziel hat (Holzkamp, 1986, S. 396). Die Handlungsregulation kann also nur sekundär, in die übergeordnete, auf inhaltliche Bedeutungszusammenhänge ausgerichtete Lernhandlung einbezogen werden (Holzkamp, 1993, S. 173). Eine Lernhandlung ist jedoch nicht nur eine beabsichtigte und zielgerichtete Verbesserung von Handlungsprämissen. Subjektwissenschaftlich gesehen wird durch Distanz und Reflektion über das bisherige Handeln herausgefunden, wie ein Handlungsproblem durch Lernen überwunden werden kann. Durch das Nachdenken über das bisherige Handeln und das Betrachten und Variieren von Bewältigungsansätzen wird eine kurzfristige Unterbrechung des übergeordneten Ziels vorgenommen um die Schwierigkeiten zu analysieren und zu lösen. Das impliziert eine Veränderung der Einstellung und des Blickwinkels über die eigenen Aktivitäten. Diese Einsicht stellt eine besondere Lernhaltung dar. Das Individuum beschäftigt sich bewusst mit der Frage, wie und wo es etwas zu lernen gibt. Es erhält keine externen Lernvorgaben, sondern wählt freiwillig den Weg eine Handlungsproblematik durch Lernen zu überwinden. Die Betonung liegt hier auf dem intentionalen Lernen zur Überwindung von Handlungsschwierigkeiten und nicht nur auf bloßem Mitlernen. Die Lernhandlung wird aus dem primären Handlungsgeschehen als „Lernschleife“ zur Bewältigung des Problems ausgegliedert. Das Handlungsproblem wird als Lernproblem eingestuft, wird im tatsächlichen Handlungszusammenhang als Bezugshandlung erkennbar und von der Lernhandlung differenziert. Diese Differenzierung findet bereits bei der Wiederholung eines einzigen Handlungsvollzugs statt. Die Wiederholung intendiert die Absicht des Subjektes die Handlungsschwierigkeit durch Üben zu verbessern. Um die Problematik zu überwinden muss das Subjekt sich mit bestimmten Lernprinzipien innerhalb der Lernhandlung der Bezugshandlung qualitativ nähern. Hier kann die Theorie der Handlungsregulation als operativer Aspekt einer Lernhandlung und dementsprechenden umzusetzenden Lernstrategien sekundär einbezogen werden. Subjektwissenschaftlich erweitert wird die Lernhandlung wieder um den inhaltlichen Aspekt. Das Individuum ist nicht nur an der Lernzielerfüllung selbst interessiert, sondern setzt seine Lernprinzipien mit den Aktivitäten in der Bezugshandlung für die übergeordnete Bedeutungsstruktur ein (Holzkamp, 1993, S. 183-186).

3.1.3 Lernprinzip, Bedeutungsstruktur und Bezugshandlung

Was versteht die Subjektwissenschaft unter Bedeutungsstrukturen und Bezugshandlungen? Wie zuvor beschrieben versucht das Individuum durch seine Lernprinzipien über die Lernhandlung der Bezugshandlung näher zu kommen und in die Bedeutungsstruktur einzudringen. Zum Verständnis der einzelnen Begriffe muss ein Beispiel herangezogen werden. Betrachtet man Klavierspielen als eine allgemeine Bedeutungsstruktur, so kann das Individuum durch das Lernprinzip „langsam üben“ mit dieser Lernstrategie eine Lernhandlung ausklammern und in der daneben ausgegliederten übergeordneten Bezugshandlung, in diesem Fall „Klavier spielen“, umsetzen. Die Annäherung an die Bezugshandlung muss das Individuum nicht nur operativ, sondern auch inhaltlich verstehen um das passende Lernprinzip überhaupt umzusetzen. Das bedeutet, dass für das Üben eines Klavierstückes eben das Lernprinzip „Vokabeln üben“ nicht passend ist und in die Bedeutungsstruktur „Fremdsprache sprechen“ gehört. Die separierte Bezugshandlung verlangt ein Lernprinzip, welches dem Subjekt in der Relation zur Bedeutungsstruktur inhaltlich verständlich sein muss um eine bestimmte Lernstrategie erfolgreich zu entwickeln und umzusetzen (Holzkamp, 1993, S. 187). Gesamtgesellschaftlich gesehen sind Bedeutungsstrukturen zunächst in sich selbst zusammenhängend und als Notwendigkeit zur arbeitsteiligen gesellschaftlichen Lebenserfüllung zu betrachten. Individuell werden Bedeutungen in Rückbezug auf den gesamtgesellschaftlichen Bedeutungszusammenhang von den Subjekten für ihre eigene Existenzsicherung aufgenommen, adaptiert und verändert. In diesem Zusammenhang dient die Arbeit, objektiv und wirtschaftlich betrachtet, zur Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens. Als Handlungen werden die psychischen Aktivitäten und Arbeitshandlungen des Einzelnen zur individuellen Lebenserhaltung sowie auch seine getätigte Arbeit, als Beteiligung am gesellschaftlichen Arbeitsprozess, bezeichnet. Bedeutungsstrukturen beinhalten demzufolge alle von Individuen ausgeführten Handlungen in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Handlungsnotwendigkeiten sowie auch die individuellen Bedeutungen der Subjekte, die durch Handlungsvollzug im gesamtgesellschaftlichen Bedeutungszusammenhang umgesetzt werden. Der Bedeutungszusammenhang bildet für das Individuum gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten, an diesen sich das Subjekt zur gesellschaftlichen Existenzsicherung im Ganzen oder individuell je für seine eigene Lebenserhaltung beteiligen kann (Holzkamp, 1983, S. 234-236). Man kann Bedeutungsstrukturen mithin als gesellschaftliche Handlungshorizonte betrachten, die vom Subjekt entdeckt und universal oder konkret auf sich selbst bezogen als subjektive Handlungsmöglichkeiten realisiert werden. Bedeutungsstrukturen repräsentieren in verschiedensten Bedeutungszusammenhängen, Bedeutungseinheiten, innerhalb dieser das Individuum eine Struktur von Handlungsmöglichkeiten vorfindet. Durch Lernen versucht das Individuum seinen Handlungsvollzug in oder mit der Bedeutungseinheit zu entwickeln. Bezieht man die Bedeutungsstruktur wieder auf „Klavier spielen“, so kann ein bestimmtes Klavierstück zum Beispiel eine bestimmte gesellschaftliche Bedeutungseinheit sein. Um dieses Stück strukturell und inhaltlich korrekt zu begreifen und zu spielen, muss das Subjekt die Handlung als Lernhandlung ausgliedern (Holzkamp, 1993, S. 207).

Ende der Leseprobe aus 392 Seiten

Details

Titel
Schafft der "Inverted Classroom" eine innovative Lernkultur?
Untertitel
Qualitative Analyse zum expansiven Lernen mit dem Konzept des „Inverted Classroom“ aus subjektwissenschaftlicher Sicht
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,1
Autor
Jahr
2016
Seiten
392
Katalognummer
V349810
ISBN (eBook)
9783668386044
ISBN (Buch)
9783668386051
Dateigröße
2108 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die in dieser Arbeit teilweise verwendete männliche Personenform ist als geschlechtsneutral zu verstehen und soll dem Lesefluss dienen. Der rund 300-seitige Anhang enthält neben Interviewleitfaden und zehn Interviewprotokollen auch die Konzeptübersicht, Kodierungstabellen und eine Präsentation zum Thema Inverted Classroom.
Schlagworte
schafft, inverted, classroom, lernkultur, qualitative, analyse, lernen, konzept, sicht
Arbeit zitieren
Jessica Felgentreu (Autor:in), 2016, Schafft der "Inverted Classroom" eine innovative Lernkultur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/349810

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Schafft der "Inverted Classroom" eine innovative Lernkultur?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden