Einführung technischer Hilfsmitttel im Fußball. Über den potentiellen Einsatz von Torkamera, Chip im Ball und Videobeweis


Bachelorarbeit, 2012

59 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung und Problemstellung

2 Bisheriger Forschungsstand

3 Neuerungen im Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten

4 Pro-Contra-Stimmen in Bezug auf den technischen Neuerungen

5 Wissenschaftliche Interviews mit Vertretern der Fußballbranche
5.1 Untersuchungsfragen
5.2 Untersuchungsobjekte und Untersuchungszeitraum
5.3 Untersuchungsmethode und Untersuchungsinstrument
5.4 Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse
5.4.1 Interview mit dem Schiedsrichter Knut Kircher
5.4.2 Interview mit dem Journalisten Tom Bartels
5.5 Schlussfolgerungen

6 Einfluss der Medien bei der Einführung technischer Hilfsmittel
6.1 Die Rolle der Medien
6.2 Die Macht der Medien (vergangene Beispiele)

7 Mögliche Lösungsansätze für die Umsetzung des Videobeweises

8 Veränderungen für das Spiel Fußball

9 Veränderungen für den Fernsehzuschauer

10 Fazit und Ausblick

11 Literaturverzeichnis

12 Anhang
12.1 Interview mit Knut Kircher
12.2 Interview mit Tom Bartels

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung und Problemstellung

Im Fußball kommt es, wie in jeder anderen Sportart auch, immer wieder zu Fehlentscheidungen seitens der Schiedsrichter. Die Unparteiischen können verständlicherweise nicht jede Entscheidung korrekt treffen, insbesondere da viel im sogenannten Ermessensspielraum der Schiedsrichter liegt. Doch bei objektiv eindeutigen Ent- scheidungen, wenn z. B. der Ball hinter der Linie war oder im Falle von gravierenden Fehlentscheidungen, gibt es Hilfsmittel, die den Schiedsrichtern zur Seite gestellt werden könnten.

Daher wird seit geraumer Zeit über die Einführung technischer Hilfsmittel im Fußball diskutiert. Es handelt sich hierbei um technische Ausstattungen, wie den Videobeweis, die Torkamera und den Chip im Ball. Der Videobeweis soll den Schiedsrichtern helfen, bei schwierigen Entscheidungen auf die Fernsehbilder zurückgreifen zu können und ihre jeweilige Entscheidung somit zu erleichtern. Bei der Torkamera handelt es sich um eine Kamera, die im Tor angebracht wird. Diese soll den Unparteiischen zeigen, ob der Ball hinter der Linie ist oder nicht. Der Chip im Ball ist ein elektronischer Chip, der im Ball installiert wird und ein Signal abgibt, wenn der Ball die Torlinie überschreitet. Diese drei technischen Hilfsmittel würden das Spiel zweifelsohne fairer gestalten, da die Anzahl an Fehlentscheidungen minimiert werden könnte. Es gibt aber auch Kritiker dieser technischen Einführungen. Deren Hauptargument lautet, dass der Spielfluss darunter leiden würde. Es gäbe also zu viele Spielunterbrechungen, worunter die Dynamik des Spiels leide. Als weitere Argumente führen sie an, dass die menschliche Komponente verloren ginge und das Spiel zu sehr von der Technik beeinflusst wäre. Der bereits erwähnte Ermessensspielraum der Schiedsrichter wäre somit nahezu nichtig, was nicht jeder befürwortet.

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dieser Problemstellung und den jeweiligen Pround Contra-Argumenten in Bezug auf die technischen Neuerungen auseinander. Durch Recherche und Interviews versucht sie zu klären, was für bzw. gegen die Einführung dieser Hilfsmittel spricht. Warum ist die Einführung bisher gescheitert bzw. warum wurde sie nicht umgesetzt? Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, schließen sich weitere Fragen an: Welchen Einfluss haben die Medien, um eine solche Einführung zu beschleunigen oder zu verhindern? Welche Auswirkung hätte die Einführung sowohl in medialer Hinsicht, als auch unmittelbar für den Fernsehzu- schauer?

In Kapitel zwei wird zunächst der bisherige Forschungsstand dargelegt. Wie und in welcher Form wurde dieses Thema bislang wissenschaftlich bearbeitet?

Anschließend wird in Kapitel drei ein Vergleich zu anderen Sportarten gezogen, die technische Neuerungen bereits umgesetzt haben. Außerdem setzt sich dieses Kapitel näher mit den Regeländerungen im Fußball auseinander.

Im Folgenden werden die Argumente der Befürworter bzw. der Kritiker in Bezug auf die technischen Änderungen aufgeführt.

Danach befragt der Autor im empirischen Teil anhand von wissenschaftlichen Interviews Fußballexperten, welche Meinung diese zu dem Thema und den oben genannten Fragestellungen vertreten. Des Weiteren soll die Rolle der Medien in dieser Angelegenheit erörtert werden. Anschließend werden die Auswirkungen auf das Fußballspiel und für den Fernsehzuschauer diskutiert, für den Fall, dass eine Umsetzung tatsächlich in Kraft tritt. Schlussendlich wird ein Fazit der Arbeit gezogen.

2 Bisheriger Forschungsstand

In diesem Kapitel wird der Forschungsstand in Bezug auf die technologischen Neuerungen im Fußball untersucht. Wie viel wissenschaftliche Literatur findet sich zu diesem Thema?

Die Thematik der technologischen Neuerungen im Fußball, wie die Torkamera, der Chip im Ball oder der Videobeweis, wurde wissenschaftlich in Deutschland bislang kaum behandelt. Es gibt zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum wenig wissenschaftliche Literatur. Die veröffentlichten Texte beschränken sich auf einige wenige Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, die z. T. auch online publiziert wurden. Allerdings lässt sich auch hier feststellen, dass die Texte in geringer Regelmäßigkeit erscheinen.

Das Spektrum der Publikationen ist sehr breit gefächert. Die Artikel erscheinen teils in Sportfachzeitschriften wie dem FIFA Magazine oder teils in Nachrichtenmagazi- nen, wie dem Focus oder dem Spiegel bzw. auf deren Internetseiten. Das Thema wird jedoch auch in überregionalen, regionalen und lokalen Zeitungen behandelt. Insbesondere im Internet und in verschiedenen Internet-Blogs wird das Thema häufiger diskutiert.

Der englische Sprachraum bietet allerdings mehr Literatur zu dem Thema. Insbesondere die amerikanische Sportzeitschrift Sports Illustrated hat sich mit diesem Thema mehrfach auseinandergesetzt.

Selbst die amerikanische, juristische Zeitschrift California Law Review hat sich in einem langen Artikel mit den Vor- und Nachteilen des Videobeweises beschäftigt. In diesem Artikel finden sich auch Vorschläge zur Umsetzung des Videobeweises. Zwar behandelt dieser Text hauptsächlich die Sportarten American Football und Basketball, dennoch steigt der Autor mit der Kontroverse ein, ob - und in welcher Form der Videobeweis im Fußball eingeführt werden sollte (vgl. Berman, 2011, S. 16831743). Im Hinblick auf die zurückliegende WM 2010 in Südafrika spricht der Autor von „officiating debacles“ hinsichtlich der Schiedsrichterentscheidungen, die mit technischen Hilfsmitteln zu vermeiden gewesen wären (Berman, 2011, S. 1683). Das Thema war zu diesem Zeitpunkt in den USA von Interesse, da die US-amerikanische Mannschaft bei diesem Turnier selbst benachteiligt wurde (vgl. Berman, 2011, S. 1683).

Insbesondere das Tor von Frank Lampard im WM-Achtelfinalspiel zwischen Deutschland und England ließ die Diskussion um die technischen Neuerungen wieder aufflammen (vgl. Vecsey, 2010, S. 3). Auch in diesem Artikel der New York Times wird die Einführung des Videobeweises gefordert: “But the glaring mistake was a reminder that soccer goals - more than baseball home runs or football touchdowns or even hockey goals - are too precious to be squandered” (Vecsey, 2010, o. S.).

Zur EM 2012 in Polen und der Ukraine ließen einige Situationen erneut die Diskussion um die Torlinientechnologie aufflackern. Nach dem Gruppenspiel zwischen der Ukraine und England, bei dem den Ukrainern ein reguläres Tor verweigert wurde, sprachen sich erneut viele Beteiligte für die Einführung einer Torlinientechnologie aus (vgl. Hamann, 2012, o. S.).

Die gängige Meinung der Medien ist, dass die technischen Neuerungen eingeführt werden sollten. Dennoch lässt sich festhalten, dass es kaum wissenschaftliche Literatur zu der Thematik gibt. Auch die englische Literatur beschränkt sich größtenteils auf Zeitschriften und Zeitungen.

Auffallend ist, dass die englischsprachige Literatur fast ausschließlich aus den USA stammt, obwohl der Fußball dort eine geringere Rolle spielt als in Großbritannien.

3 Neuerungen im Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten

In diesem Kapitel werden die Regeländerungen im Fußball näher beleuchtet. Dabei wird zum einen auf die Entscheidungsträger und zum anderen speziell auf die Rückpass- und die Abseitsregel eingegangen. Im weiteren Verlauf folgt die Hinführung zu den technischen Neuerungen. Diesbezüglich werden Vergleiche zu anderen Sportarten gezogen, die bereits ähnliche Technologien einsetzen.

Regeländerungen im Fußball werden durch das IFAB durchgeführt. Das IFAB ist ein Gremium, das sich aus vier Vertretern der FIFA und jeweils einem Vertreter aus England, Nordirland, Schottland und Wales zusammensetzt. Hierin zeigen sich die veralterten Strukturen im Fußball. Es findet sich jeweils ein Vertreter aus den britischen Ländern, da Großbritannien als das Mutterland des Fußballs gilt. In den 126 Jahren des Bestehens des IFAB hat sich die Besetzung durch vier britische Mitglieder nicht geändert.

Das IFAB setzt sich einmal im Jahr zusammen, um über Regeländerungen zu debattieren (vgl. FIFA.com, o. J., o. S.). Das scheint ausreichend häufig zu sein, wenn man bedenkt, dass das IFAB bereits seit über 100 Jahren besteht. Doch wenn die dringende Notwendigkeit zu einer Änderung vorliegt, vergeht viel Zeit bis diese besprochen, geschweige denn umgesetzt werden kann.

Erst 1992 wurde im Fußball die Rückpassregel eingeführt, die es den Torhütern verbietet den Ball nach dem Pass eines Mitspielers in die Hand aufzunehmen. Es scheint unvorstellbar, dass diese elementare Regeleinführung erst 20 Jahre zurück liegt. Grundsätzlich dauert es lange Zeit bis eine Regeländerung im Fußball debattiert bzw. überhaupt durchgesetzt wird.

Die Abseitsregelung gilt bereits seit Jahren als umstritten, vor allem durch die Dis- kussionen, wann ein Spieler als passiv im Abseits gilt und wann als aktiv. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt eine neue Spielsituation beginnt, vereinfacht die Sache keineswegs. In diesen Fällen fehlen klare Richtlinien. Stattdessen wird vom Fingerspitzengefühl der Schiedsrichter gesprochen.

Beim Confederations Cup 2005 wurde aufgrund dessen eine Änderung bezüglich des passiven Abseits getestet. Die Linienrichter wurden dazu angehalten, erst dann auf Abseits zu entscheiden, wenn der betreffende Spieler den Ball berührt. Daraufhin bot sich ein seltsames Schauspiel, bei dem Spieler mehrere Meter umsonst liefen, bis sie den Ball berührten. Dabei war bereits vorher deutlich erkennbar, dass die betreffenden Spieler im Abseits standen. Würden technische Hilfsmittel die Arbeit der Schiedsrichter daher nicht vereinfachen?

Doch statt auf technische Neuerungen zurückzugreifen, führte die UEFA 2009 zwei zusätzliche Torrichter in der Europa League ein (vgl. sid, 2009a, o. S.), die inzwischen auch in der Champions League eingesetzt werden. Der Sinn dieser beiden zusätzlichen Schiedsrichter bleibt zweifelhaft, da diese in den seltensten Fällen in das Spielgeschehen eingreifen. Zudem gibt es nun sechs Unparteiische, die ein einziges Fußballspiel überwachen.

In anderen Sportarten, wie beispielsweise Tennis, ist das Hawk-Eye bereits seit 2006 für die Spieler verfügbar (vgl. Myrrhe, 2007, o. S.). Die Spieler können mithilfe des Falken-Auges strittige Entscheidungen der Linienrichter oder des Stuhlschiedsrichters anzweifeln. Pro Satz stehen den Spielern drei Benutzungen des Hawk-Eyes zu. Sollten sie falsch liegen, verlieren sie eine Option. Wenn sie richtig liegen, bleibt es bei drei Möglichkeiten zur Überprüfung.

Im American Football gibt es den Videobeweis bereits seit 1999. In diesem Fall hat der Trainer pro Spiel zwei Möglichkeiten, eine Entscheidung anzuzweifeln (vgl. American Football Blog, 2010, o. S.).

Im Fußball wurde bereits 2005 zum ersten Mal der Chip im Ball bei der U 17-WM in Peru getestet (vgl. dpa, 2010, o. S.). Doch sieben Jahre später wird über dieses Thema nur noch selten gesprochen. Solche Testläufe sind nicht perfekt und es gibt Verbesserungspotential, doch sieben Jahre sind ausreichend Zeit solche Mängel auszumerzen.

Auch die Torkamera wurde bereits 2006 in der italienischen Serie A eingesetzt (vgl. dpa, 2010, o. S.). Die FIFA und das IFAB prophezeiten, dass „die Torlinientechnologie P eine vielversprechende Zukunft haben [könnte]“ (Werz, 2005, S. 41). Doch nach dieser Ankündigung verschwand dieser Punkt für lange Zeit von der Tagesordnung des IFAB. Im Juli 2010, über vier Jahre später, wurde das Thema erneut verschoben (vgl. Mehr Augen, 2010, S. 17). Bereits 2007 sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter: „‚2007 wird es möglich sein, das System einzusetzen. Das System wird funktionieren“ (dpa, 2010, o. S.). Doch diese Ankündigung wurde nicht eingehalten. Stattdessen sagte FIFA-Generalsekretär Jérôme ValckeI auf der Jahreshauptversammlung des IFAB: „‚Wir wollen das System zur WM 2014 etabliert haben“ (WZnewsline, 2012, o. S.). Das würde bedeuten, dass die Torkamera acht Jahre nach dem ersten Test eingeführt würde. Es vergeht immer wieder viel Zeit vom ersten Testlauf bis zur endgültigen Einführung einer Technik. Doch besonders im Fußball ist diese Tendenz auffällig.

Am 05. Juli 2012 entschied das IFAB unmittelbar nach der EM in Polen und der Ukraine die Torlinientechnologie in Zukunft nun doch einzuführen. Die Entscheidung schreibt jedoch nicht vor, welches System eingesetzt werden muss. D. h., dass sowohl der Chip im Ball, als auch die Torkamera eingesetzt werden können.

Zudem wird die Einführung nicht unmittelbar umgesetzt. Die FIFA will die Torlinientechnologie bei der Club-WM im Dezember 2012 in Japan und anschließend beim Confederations-Cup 2013 und bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien einsetzen. In der deutschen Bundesliga soll das System frühestens zur Saison 2013/2014 eingeführt werden. Außerdem wurde der Beschluss bislang nur auf FIFA-Ebene gefällt. Der europäische Verband UEFA hat bislang noch keine solche Entscheidung bekannt gegeben (Focus, 2012, o. S.).

Da diese Arbeit deutlich vor diesem Beschluss begonnen wurde und zum Zeitpunkt der Entscheidung kurz vor dem Abschluss stand, wird dieser Fakt an dieser Stelle zwar erwähnt, ist aber nicht ausschlaggebend für die Arbeit. Denn die Arbeit untersucht die möglichen Auswirkungen, die diese technischen Neuerungen haben könn- ten. Das ist auch der Grund, warum im bisherigen Verlauf der Arbeit davon ausge- gangen wurde, dass es noch keine derartige Entscheidung gäbe.

4 Pro-Contra-Stimmen in Bezug auf den technischen Neuerungen

Im folgenden Kapitel sind die Argumente der Befürworter und die Begründungen der Gegner der Technologien angeführt. Dabei wird zwischen den einzelnen Techniken, der Torlinientechnologie und dem Videobeweis, unterschieden. Es wird zwar im Folgenden oft nur von der Torkamera gesprochen, doch da der Chip im Ball die gleiche Zielsetzung hat - und zwar zu erkennen, ob der Ball im Tor ist oder nicht - kann dies in einigen Fällen gleich gesetzt werden.

Unter den Fußball-Trainern gilt Felix Magath als der größte Fürsprecher der Technologien in Deutschland. Der derzeitige Trainer und Manager in Personalunion des VfL Wolfsburg forderte bereits 2011 den damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger dazu auf, eine schnellere Einführung der technischen Hilfsmittel voranzutreiben (vgl. sid, 2012, o. S.). Magath ist der Meinung, dass die technischen Neuerungen „‚eine größere objektive Gerechtigkeit im Fußball P gewährleisten‛“ (sid, 2012, o. S.).

Generell gilt es zu unterscheiden, für welche der angesprochenen Techniken sich die Beteiligten aussprechen. Der Videobeweis z. B. scheint deutlich umstrittener zu sein als die Torkamera. Der damalige Manager und heutige Präsident des FC Bayern München Uli Hoeneß hat die Torkamera bereits vor einiger Zeit befürwortet. Er beschreibt sich selbst als einen „‚totale[n] Verfechter der Torkamera‛” (Alex, o. D., o. S.).

Auch Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati spricht sich für die Einführung der Torkamera aus. „‚In einem solchen Fall sind wir Schiedsrichter dafür, dass zumindest die Hintertorkamera eingeführt wird‛” (Alex, o. D., o. S.). Mit dieser Aussage trifft er zeitgleich eine verallgemeinernde These, in der er glaubt, die Meinung aller Schiedsrichter widerzuspiegeln. Ob diese Aussage derart pauschal zutreffend ist, bleibt fraglich, doch er steht mit dieser Äußerung zweifellos nicht alleine da.

Sein englischer Kollege, der FIFA-Schiedsrichter Howard Webb beispielsweise steht den neuen Technologien nicht abgeneigt gegenüber: „‚Ich bin offen für alles, das uns glaubwürdiger macht P Ich werde alle Hilfsmittel, die mir zur Verfügung stehen, nach meinen besten Möglichkeiten nutzen‛" (Spiegel online, 2010, o. S.).

Auch der ehemalige Schweizer FIFA-Schiedsrichter Urs Meier meldete sich nach dem EM-Spiel 2012 zwischen Ukraine und England nach einem nicht gegeben Tor zu Wort: „‚Das wäre zu begrüßen. Das menschliche Auge ist nicht dazu in der Lage, derart knifflige Fragen aufzulösen‛" (Hamann, 2012, o. S.).

Auch FIFA-Präsident Joseph Blatter ist zu Gesprächen bereit, wenn es sich um die Einführung der Torkamera handelt. „‚Es wäre unsinnig, sich darüber keine Gedanken zu machen. Wir müssen dieses Thema wieder diskutieren‛" (Spiegel online, 2010, o. S.).

Der französische Stürmer Thierry Henry, in Diensten des amerikanischen Clubs New York Red Bull, hat sich unlängst für die Einführung des Videobeweises ausgesprochen. Er hält das Argument der Kritiker, dass durch den Videobeweis zu viel Zeit durch Unterbrechungen verloren ginge, für nichtig: „‚I think we need to put in video [replay]. How long will it take to watch the replay? Ten seconds. When you look at it, when there is a controversial goal or a controversial offside or that kind of thing, you lose more time arguing than if you would have showed the replay‛” (Dan, 2010, S. 18). Ironischerweise erzielte Henry selbst im WM-Play-off-Spiel für Frankreich das entscheidende Tor gegen Irland, nachdem er zuvor die Hand zur Hilfe nahm. Henry zeigte Reue und plädierte sogar dafür das Spiel wiederholen zu lassen (vgl. sid, 2009b, o. S.). Der irische Nationaltrainer Giovanni Trapattoni sprach sich im Anschluss an das Spiel vehement für die Einführung des Videobeweises aus: „‚Die Zeit dafür ist reif. In 30 Sekunden könnten verhängnisvolle Irrtümer verhindert werden‛“ (sid, 2009b, o. S.).

Unter den Kritikern der Technik finden sich vor allem Traditionalisten. „Foul ist, wenn der Schiri Foul pfeift P Das ist ein Grundsatz des Regelwerks, das sich über Jahrzehnte bewährt hat“ (Sagmeister, 2010, o. S.), heißt es in einem Kommentar einer österreichischen Zeitung.

Der ehemalige DFB-Präsident Zwanziger glaubt nicht an die Einführung der Torkamera, u. a., weil UEFA-Präsident Michel Platini dagegen votiert (vgl. WZ-newsline, 2012, o. S.). Die beiden Präsidenten der wichtigsten Fußballverbände, Platini und FIFA-Präsident Joseph Blatter, sind keine Befürworter der technischen Regelände- rung, insbesondere in Bezug auf den Videobeweis. Platini zeigt sich in seinen Aussagen besonders drastisch. Er spricht vom „‚Tod des Fußballs und Unterbrechungen im Zweiminutentakt‛“ (Sagmeister, 2010, o. S.). Blatter ist in seinen Aussagen differenzierter. Während er sich vor der WM 2010 in Südafrika noch gegen die Einführung der Torkamera aussprach: „‚Wir wollen nicht, das die Technik Einzug hält ... Wir möchten uns die Emotionen bewahren, vielleicht noch ein bisschen mehr als Emotionen: Leidenschaft‛" (Spiegel online, 2010, o. S.), befürwortet er nun - wie bereits erwähnt - die Torkamera. Er sagt aber zugleich: „‚Den Videobeweis wie im Eishockey wird es nicht geben, dafür gibt es im Fußball zu wenige Unterbrechungen‛" (Spiegel online, 2010, o. S.). Insbesondere die Haltung der beiden Präsidenten hat eine Einführung der Techniken bisher verhindert.

„Warum sich die Granden des Weltfußballverbandes und des europäischen Fußballverbandes gegen die Gerechtigkeit des TV-Bildes wehren, bleibt ein Mysterium“ (Klimkeit, 2010, o. S.), so lautet die Meinung der Befürworter der technologischen Einführung. Daher gestaltet sich die Einführung der Techniken derzeit als schwierig. Denn die endgültige Umsetzung wird nicht von den Fans oder vielen Befürwortern entschieden, sondern von den Gremiumsmitgliedern des IFAB und diese werden die Meinungen von Blatter und Platini nicht ohne Weiteres überhören.

Eine unglaubliche Szene spielte sich bei der WM 2010 in Südafrika im Achtelfinalspiel zwischen Mexiko und Argentinien ab. Das 1:0 der Argentinier wurde von Carlos Tévez aus einer klaren Abseitsstellung erzielt. Der Linienrichter hatte diese Szene, die zum Tor führte, anscheinend im Nachhinein auf der Leinwand im Stadion gesehen. Dennoch konnten er und sein Schiedsrichterkollege die Entscheidung nicht revidieren, da sie ihre Entscheidung erst aufgrund der Videowiederholung gefällt hätten. Dies wäre eine Anwendung des Videobeweises und der ist laut FIFA verboten (vgl. Zaschke, 2010, S. 1).

Die amerikanische Zeitschrift Sports Illustrated fällt im Rückblick auf die Fußball-WM ein vernichtendes Urteil über Blatter und die FIFA und fordert den Einsatz des Videobeweises:

“Whether or not FIFA and Blatter come out of the Dark Ages, soccer's credibility was damaged significantly during this World Cup by a series of officiating blunders, many of which would not have happened if the referee and his crew had access to the same video replays seen by a global audience of hundreds of millions. The use of instant replay in officiating has improved a number of sports, from tennis to cricket to American football, and the argument that soccer's continuous action would prevent judicious use of replay is ludicrous. England's uncounted goal may have been the most glaring correctable mistake of the 2010 World Cup, but it wasn't the only one” (Wahl, 2010, S. 42-45).

Im Folgenden werden weitere Beispiele von Fehlentscheidungen während der WM 2010 aufgeführt (vgl. Wahl, 2010, S. 42-45). Der Autor des zitierten Textes war im Übrigen der amerikanische Sportjournalist Grant Wahl, der 2011 gegen den FIFAPräsidenten Joseph Blatter antreten wollte. Seine Nominierung scheiterte jedoch (vgl. Krauss, 2012, o. S.). Wahl gilt als scharfer Kritiker Blatters und der Strukturen innerhalb der FIFA und als großer Befürworter des Videobeweises.

Ein Artikel des BBC-Journalisten und Kolumnisten der Londoner Times Gabriele Marcotti, erschienen im Wall Street Journal, fasst die sechs Gegenargumente der Kritiker der Techniken in einem Artikel zusammen. Doch Marcotti sagt auch: „All of them can be easily dismantled. Pretty [sic] easily” (Marcotti, 2012, o. S.).

Für das erste Gegenargument, dass „goal-line technology could be unreliable and has not been sufficiently tested” (Marcotti, 2012, o. S.) lautet seine Antwort „to conduct more trials” (Marcotti, 2012, o. S.).

Das zweite Argument bezieht sich auf die Differenzen, die fortan zwischen Profi- und Amateurfußball herrschen würden: „Another is that it destroys the uniformity of the game. There's something beautiful and magical in the fact that everyone who plays soccer P plays the same sport with the same rules. This would somehow make the professional game different from the amateur level” (Marcotti, 2012, o. S.).

Doch Marcotti hat erkannt, dass Profi- und Amateurfußball schon längst nicht mehr vergleichbar sind, u. a. wegen der zusätzlichen Torrichter: „The professional game is already different. In the Champions League and Europa League, there are two extra referee's assistants positioned behind the goals. P In any case, the linesmen in amateur games are often drawn from among the substitutes or family members” (Marcotti, 2012, o. S.).

So führt Marcotti im Folgenden die weiteren Gegenargumente der Kritiker auf und widerlegt diese auf z. T. ironische Weise und mittels drastischer Wortwahl. Immer wieder spricht er von Dummheit: „The final objection might even be the silliest of all. It maintains that controversial incidents generate debate - and debate is an integral part of enjoying soccer P Where to begin with the folly of this argument?” (Marcotti, 2012, o. S.).

In diesem Artikel wird deutlich, dass die Gegenargumente leicht zu widerlegen sind. Daher finden sich immer mehr Befürworter für die Einführung der Technologien. Die Kritiker sind größtenteils Personen, die glauben, dass der Fußball eine solch lange Tradition genießt, die nicht zerstört werden sollte. Um die Meinung einiger Personen zu erfahren, die im täglichen Leben mit dem Fußball konfrontiert werden, hat der Autor zwei wissenschaftliche Experteninterviews geführt.

5 Wissenschaftliche Interviews mit Vertretern der Fußballbranche

5.1 Untersuchungsfragen

Aus dem Theorieteil kristallisieren sich einige Untersuchungsfragen heraus. Zum einen: Warum wurden die technischen Hilfsmittel - trotz so langer Testperioden - noch nicht eingeführt? Diese Problemstellung erstreckt sich über den gesamten Theorieteil (vgl. Kapitel 1-4). Auch die bis jetzt durchgeführten Tests wurden mehrfach angesprochen (vgl. Kapitel 3).

Eine weitere Frage stellt sich im Hinblick auf die Entscheidungsträger: Welchen Einfluss können einzelne Verbände, wie z. B. der DFB oder die Medien auf die Entscheidungsträger ausüben? In den vorangegangen Kapiteln wurde insbesondere die Rolle der UEFA und der FIFA beschrieben. Im Folgenden soll nun besonders die Rolle der Medien und auch die des DFB näher beleuchtet werden.

Die dritte Frage ist eine hypothetische, die sich damit auseinandersetzt, was sich im Fußball verändern würde: Welche Veränderungen würden sich durch die Einführung der verschiedenen Technologien ergeben? Diese Fragstellung ist zum einen im Hinblick auf das Spiel Fußball an sich interessant und zum anderen für die Fußballfans, besonders die TV-Zuschauer.

5.2 Untersuchungsobjekte und Untersuchungszeitraum

Die Untersuchungsobjekte sind zwei Personen, die Kenntnisse auf ihrem Gebiet in Bezug auf den Fußball haben. Es handelt zum einen um einen Vertreter der Schiedsrichter und zum anderen um einen Medienvertreter.

Bei dem Schiedsrichter handelt es sich um Knut Kircher. Kircher ist ein erfahrener Bundesliga-Schiedsrichter, der bereits 179 Einsätze in der höchsten deutschen Fußballliga aufweisen kann. Kircher leitete zudem über 100 Zweitligapartien und war als Unparteiischer in der Champions League und der Europa League respektive dem UEFA-Cup tätig. Neben seinen Einsätzen für den europäischen Fußballverband UEFA war er auch als FIFA-Schiedsrichter bei WM-Qualifikationsspielen im Einsatz (vgl. weltfussball.de, o. D., o. S.). Das Interview mit Herrn Kircher wurde am 10. Juni 2012 zwischen 17:30 Uhr und 18 Uhr geführt, was somit der Untersuchungszeitraum dieser Befragung ist.

Bei dem Medienvertreter handelt es sich um Tom Bartels, der als freier Journalist zumeist für die öffentlich-rechtlichen Sender arbeitet. Bei der EM 2012 war er unter der Federführung des WDR in einigen Spielen der ARD-Live-Kommentator.

Der Untersuchungszeitraum ist der 05. Juli 2012 zwischen 9 Uhr und 9:30 Uhr morgens. In diesem Zeitraum wurde die Befragung mit Herrn Bartels durchgeführt. Die Uhrzeit ist in diesem Fall wichtig, da das IFAB am selben Tag die Entscheidung bekannt gab die Torlinientechnologie nun einzuführen. Die Bekanntgabe des IFAB erfolgte aber erst am frühen Abend.

Als dritter Gesprächspartner war ursprünglich ein hochrangiges DFB-Mitglied geplant gewesen. Die Wahl fiel auf den ehemaligen Sportdirektor des Deutschen Fußball Bundes, Matthias Sammer. Doch unmittelbar vor und während der Europameister- schaft in Polen und der Ukraine war Sammer nicht zu erreichen und im Anschluss an die EM stand er aufgrund der aktuellen Geschehnisse ebenfalls nicht zur Verfügung. Denn Sammer trat am 02. Juli 2012 sein neues Amt als Sportdirektor beim FC Bayern München an.

Aufgrund der Entscheidung des IFAB vom 05. Juli 2012, in der die Torlinientechnologie in Zukunft eingesetzt werden darf, fiel das dritte Experteninterview endgültig weg. Nach der Entscheidung kommt auch kein anderes DFB-Mitglied als Ersatz für Sammer in Frage, da der Beschluss die Ausgangslage verändert hat.

5.3 Untersuchungsmethode und Untersuchungsinstrument

Bei der Untersuchungsmethode handelt es sich um eine Befragung. Eine Befragung wird nach der Art der Kommunikation in eine mündliche oder schriftliche Befragung unterteilt. Zudem wird mittels des Grades der Standardisierung des Fragebogens zwischen einem standardisierten und einem nicht-standardisierten Interview unterschieden. Außerdem wird zwischen einer Einzel- oder einer Gruppenbefragung unterschieden. Entscheidendes Kriterium hierfür ist die Anzahl der Befragten (vgl. Heinemann, 1998, S. 101).

Eine weitere Art der Befragung stellt das qualitative Interview dar:

„Die qualitative Methode der Befragung ist gleichzusetzen mit einem nichtstandardisierten, mündlichen Einzelinterview. Fragen - und Antwortvorgaben und die Ordnung der Fragen sind nicht in einem Fragebogen fest vorgegeben; sie entwickeln sich vielmehr auf der Grundlage eines Gesprächsleitfadens im Laufe der Befragung flexibel während des Gesprächs entsprechend der jeweils gegeben Antworten und der Auskunftsbereitschaft und -kompetenz der befragten Personen“ (Heinemann, 1998, S.115).

Neben der klassischen face to face-Befragung, bei dem sich Interviewer und Befragter im gleichen Raum befinden, gibt es eine weitere Variante:

[...]

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Einführung technischer Hilfsmitttel im Fußball. Über den potentiellen Einsatz von Torkamera, Chip im Ball und Videobeweis
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Sportwissenschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
59
Katalognummer
V353379
ISBN (eBook)
9783668403260
ISBN (Buch)
9783668403277
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sport, Sportwissenschaft, Medien, Videobeweis, Chip im Ball, Sportpublizistik, Torlinientechnik, Sportmedien, Torkamera, Fußball
Arbeit zitieren
Julian Engelhard (Autor:in), 2012, Einführung technischer Hilfsmitttel im Fußball. Über den potentiellen Einsatz von Torkamera, Chip im Ball und Videobeweis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353379

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