Darstellung der Kolonialisierung in peruanischen Schulbüchern. Kritische Analyse aus einer antirassistischen postkolonialen lateinamerikanischen Perspektive


Diplomarbeit, 2016

121 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

1. Relevanz des ausgewählten Themas im deutschen Kontext

2. Rassismus in Peru: ein Überblick

3. Bedeutung der Kolonialisierung in Peru und Lateinamerika
3.1 Einführung in die Hierarchie von Menschenkategorien: „la clasificación racial“
3.2 Postkolonialismus und die sozialen Auswirkungen in der lateinamerikanischen Region

4. Das Fach Geschichte im peruanischen Schulsystem
4.1 Problematik des Wissens über die Kolonialzeit (los saberes coloniales) und der ethnografischen Schrift
4.2 Entwicklung des Fachs Geschichte im peruanischen Schulsystem im politischen Kontext im 20. Jahrhundert
4.3 Pädagogische Ziele des aktuellen Lehrplans in unterschiedlichen Schuljahrgängen

5. Untersuchung von peruanischen Schulbüchern
5.1 Das Schulbuch als Forschungsgegenstand
5.2 Methodologie für die Schulbuchanalyse
5.3 Buch „Personal Social 2, Libro de Área“
5.3.1 Bildnerische Darstellung
5.3.2 Textuelle Erzählung der Geschichte
5.3.3 Angestrebte pädagogische Ziele der Aufgaben
5.4 Buch „Personal Social 6“
5.4.1 Bildnerische Darstellung
5.4.2 Textuelle Erzählung der Geschichte
5.4.3 Angestrebte pädagogische Ziele der Aufgaben
5.5 Buch „Historia del Perú 3“
5.5.1 Bildnerische Darstellung und textuelle Erzählung der Geschichte
5.5.2 Angestrebte pädagogische Ziele der Aufgaben
5.6 Buch „Historía, Geografía y Economía 3“
5.6.1 Bildnerische Darstellung und textuelle Erzählung der Geschichte
5.6.2 Angestrebte pädagogische Ziele der Aufgaben

6. Finale Reflexion

Literaturverzeichnis

Einleitung

Um Rassismus in der peruanischen aktuellen Gesellschaft zu thematisieren, ist es zuerst erforderlich, zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Vergangenheit von ganz Lateinamerika zurückzublicken: die Kolonialzeit (15.-18. Jahrhundert). Zu dieser Zeit wurden „Rassenhierarchien“ durch ein institutionalisiertes Kastensystem (sistema de castas) nämlich so etabliert, dass Rassismus auch 300 Jahre nach der Kolonisierung, Unterdrückung und Machtausübung aus Europa immer noch ein großes soziales Problem ist. Auf diese Weise ist es bedeutsam zu erkennen, wie rassistische Praktiken in peruanischen Schulbüchern zu erkennen sind.

Meines Erachtens nach ist die Institution Schule eine der wichtigsten Begleiter in der Entwicklung von den zukünftigen Bürger*innen. Dort werden Weltanschauungen nicht nur gelehrt, sondern auch unbewusst, wie es Pierre Bourdieu ausdrückt, einverleibt. Aus diesem Grund hat diese vorliegende Arbeit die Fragestellungen zu untersuchen, (i) inwieweit Rassismus in der Kolonialzeit etabliert worden ist, (ii) ob es eine Kontinuität des Kolonialismus nach der Unabhängigkeit von Peru gegeben hat, (iii) wie das Fach Geschichte in das peruanische Schulsystem eingeführt wurde und wie es im aktuellen Lehrplan behandelt wird, (iv) wie die Schüler*innen die Eroberung und Kolonialisierung in unterschiedlichen Schuljahrgängen in peruanischen Schulbüchern erlernen, (v) welche pädagogischen Ziele in den konkreten Schulbüchern erwünscht sind und (vi) ob peruanische Schulbücher noch eine postkoloniale Anschauung beinhalten, was die Erklärung der Eroberung und Kolonialisierung betrifft.

Die postkoloniale Perspektive von Peru ist in einem europäischen Kontext von großer Bedeutung, weil die Geschichte der Kolonialisierung Perus genauso wie von anderen lateinamerikanischen Ländern hauptsächlich aus einer eurozentrischen Ansicht definiert worden ist. Die europäische Herrschaft war nämlich systematisiert, strukturiert und legimitiert, sodass die europäische Vorstellung der Weltordnung als Norm angesehen wurde und noch allgegenwärtig ist, wie bei vielen lateinamerikanische Soziolog*innen und Historiker*innen zu lesen ist. Aus diesem Grund ist die Mehrheit der verwendeten Quellen in dieser wissenschaftlichen Arbeit von peruanischen, amerikanischen und lateinamerikanischen Autor*innen. In diesem Sinne kann die hier dargestellte Problematik aus einer Innenperspektive erläutert werden. Dies dient zu einer prüfenden Betrachtungsweise, die für diese wissenschaftliche Arbeit relevant ist. Eine Herausforderung ist dabei eine angemessene Übersetzung zu finden, die zum deutschen Kontext passt.

Die vorliegende Arbeit besteht aus fünf Kapiteln, die aufeinander aufbauen. Die ersten vier Kapitel dieser wissenschaftlichen Arbeit geben sowohl einen Überblick über die Rahmenbedingungen als auch wichtige Hintergrundinformationen, die für die konkrete Analyse von den peruanischen Schulbüchern im Fach Geschichte in Kapitel fünf unerlässlich sind. Deshalb haben alle fünf Kapitel die gleiche Relevanz.

Im ersten Kapitel wird die Bedeutung des ausgewählten Themas in einem europäischen bzw. deutschen Kontext beleuchtet. Dafür ist aufschlussreich, ganz kurz zu erfahren, wie deutsche Schulbücher die Eroberung und die Kolonisierung vermitteln und welche Vorstellungen die Schüler*innen von Lateinamerika und ihren Einwohner*innen bekommen. Dafür ist die Arbeit von Roland Bernhard vom Jahr 2013 von großer Relevanz.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich konkret mit Rassismus in Peru. Hier wird ein Überblick der Dimensionen des Rassismus mit Hilfe der wenigen wissenschaftlichen Studien gegeben, die in Peru durchgeführt worden sind.

Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die Kolonisierungsphase, insbesondere auf: (i) die Einführung der Hierarchie von Menschenkategorien („la clasificación racial“) und (ii) den Postkolonialismus und die sozialen Auswirkungen in der lateinamerikanischen Region. Die Ergebnisse von beiden Teilen des Kapitels sind der Ausgangpunkt für die Analyse der peruanischen Schulbücher im fünften Kapitel.

Im vierten Kapitel stehen folgende Schwerpunkte im Fokus: (i) die Problematik des Wissens über die Kolonialzeit (los saberes coloniales) und der ethnografischen Schrift, (ii) die Entwicklung des Fachs Geschichte in Verbindung zum peruanischen Schulsystem im politischen Kontext im 20. Jahrhundert (iii) die pädagogischen Ziele des aktuellen Lehrplans in unterschiedlichen Schuljahren. Dort wird bestätigt oder kritisch überprüft, inwieweit die pädagogischen Zielsetzungen bei der Erklärung der Kolonialisierung Perus und Lateinamerikas narrative, reflexive und/oder kritische Inhalte beinhalten.

Im fünften Kapitel werden jeweils zwei peruanische Schulbücher aus der Primar und Sekundarstufe konkret untersucht. Dafür ist es unerlässlich, erst einmal zu begründen, warum das Schulbuch als Forschungsgegenstand zu betrachten ist. Darauf folgend wird die Methodologie der Schulbuchanalyse dargestellt. Zu diesem Punkt ist es wichtig zu erwähnen, dass die Methodologie sich auf Folgendes bezieht: (a) die bildnerische Darstellung der Menschengruppen aus Peru, (b) die textuelle Erzählung der Geschichte und (c) die angestrebten pädagogischen Ziele der Aufgaben in den peruanischen Schulbüchern

Ein Fazit und ein kurzer Ausblick auf alle Teile im sechsten Kapitel beschließen diese wissenschaftliche Arbeit.

1. Relevanz des ausgewählten Themas im deutschen Kontext

Wie über die Geschichte von einem ganzen Kontinent wie Lateinamerika erzählt wird und von wem die dazu verwendeten Quellen stammen, ist in einem europäischen Kontext von großer Bedeutung, denn viele europäische Länder wie Spanien, Portugal und Deutschland haben andere Länder und sogar einen ganzen Kontinent wie Lateinamerika mehrere Hunderte Jahren in der Vergangenheit beherrscht. Deswegen ist es wichtig in diesem Kapitel zu erfahren, welche „Wahrheit“ über die Eroberung und Kolonialisierung von Hispanoamerika in einem bedeutenden Land wie Deutschland in deutschen Schulbüchern wiedergegeben wird. Dafür wird das Buch „Geschichtsmythen über Hispanoamerika“ von Roland Bernhard hauptsächlich in diesem Kapitel angewendet, denn es fokussiert genau auf die Entdeckung, Eroberung und Kolonisierung Lateinamerikas in deutschen und österreichischen Schulbüchern des 20. und 21. Jahrhunderts.

Bernhard verdeutlich in seiner Arbeit, dass die Geschichtsbücher an der Schule eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines Geschichts-, Selbst- und Weltbewusstseins der Kinder und Jugendlichen haben. Bei vielen Geschichtsbüchern, die an deutschen Schulen verwendet werden, fällt auf, dass der Bereich der Geschichte Hispanoamerikas nur sehr flüchtig behandelt wird. Darüber hinaus sind viele inhaltliche Fehler zu erkennen, die im Gegensatz zu der neuesten Forschung der Historiker*innen stehen. So besteht der Diskurs über Hispanoamerika oft zum Teil aus Elementen von Helden-, Wunder- und Abenteuergeschichten und auch Tragödien, bei denen Elemente wie das Gute und Böse, außergewöhnliche Zufälle, verkannte Helden sowie Mord, Folter und Blut im Vordergrund stehen. Dadurch bekommen die deutschen Kinder und Jugendliche ein Bild von der Geschichte Hispanoamerikas vermittelt, das einfach nicht der Wahrheit entspricht (vgl. Bernhard 2013; S. 9).

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass besonders Themen fehlerhaft dargestellt werden, die dem mitteleuropäischen Kulturkreis „fremd“ sind. Dazu gehören natürlich auch die Kolonisierung und die Eroberung Hispanoamerikas. Michael Riekenberg hat in der 1980er Jahren acht deutsche Schulbücher analysiert und nach sachlichen Fehlern und Ungenauigkeiten untersucht. Er stellte fest, dass Lateinamerika in diesen Schulbüchern als „ausschließlich passiver, Geschichte erleidender Teilkontinent“ dargestellt werde (vgl. Bernhard 2013; S. 12:). In diesem Sinne kritisiert eine Studie von Alexandra Erhart aus dem Jahr 2004 das Bild der „Indigenen“. So seien „Indigene“ in vielen Schulbüchern als teilweise kultur- und geschichtslose Wesen dargestellt, was mit der Untersuchung von Riekenberg größtenteils übereinstimmt (ebd., S. 16).

Im letzten Jahrzehnt gab es im englisch- und spanischsprachigen Bereich einige Studien, die sich mit der Darstellung Hispanoamerikas und der spanischen Kolonisierung auseinandersetzten. Dabei ist die Studie „The Seven Myths of the Spanish Conquest“ von Matthew Restall aus dem Jahr 2003 von großer Bedeutung, da sie die gängigsten Fehler im Zusammenhang mit der spanischen Kolonisierung darstellt. Restall nennt sieben Mythen, die bei der Perzeption Hispanoamerikas erkannte (vgl. Bernhard 2013; S. 18-20):

1. Myth of Exceptional Men: Lateinamerika wäre von einer kleinen Gruppe von spanischen Abenteurern entdeckt, erobert und kolonisiert worden. Diese Abenteurer hätten außergewöhnliche wissenschaftliche und kriegerische Leistungen geschafft. Jedoch waren Kolumbus und die anderen Eroberer nur gewöhnliche Menschen aus dieser Epoche.
2. Myth of the King´s Army: Lateinamerika wäre zentral gesteuert von der königlich-spanischen Armee erobert worden, die aus professionellen Soldaten bestanden hätte. Ungeachtet dessen ist dies nicht richtig, da kleine unabhängige Expeditionen mithilfe von „indigenen“ Verbündeten Hispanoamerika eroberten, die nicht direkt vom König gesendet worden wären.
3. Myth of the White Conquistador: Es wird oft nicht erwähnt, dass die „indigenen“ Verbündeten der Spanier eine entscheidende Rolle in der Eroberung Hispanoamerikas spielten.
4. Myth of Completion: Der Mythos der kompletten Eroberung Hispanoamerikas nach wenigen Jahren wäre falsch, da sowohl viele „indigene“ Bevölkerungen über Jahrhunderte „nicht erobert“ worden seien als auch „friedliche“ „indigene“ Völker innerhalb des Kolonialsystems autonom gewesen wären.
5. Myth of (Mis)Communication: die Auffassung, dass es eine gute Kommunikation zwischen „Spanier*innen“ und „Indigenen“ gab, sei falsch. Es hätte weder eine perfekte Kommunikation noch ein komplettes Unverständnis zwischen beiden Gruppen stattgefunden.
6. Myth of Native Desolation: Es würde nicht stimmen, dass sich die „indigenen“ Gruppen passiv ihrem Schicksal ergeben hätten und von grausamen Spaniern ausgerottet worden wären. In Wahrheit hätten die unterschiedlichen „indigenen“ Gruppen die hispanoamerikanische Gesellschaft entscheidend mitgestaltet. Des Weiteren wäre es auch nicht wahr, dass die „Indigenen“ die „Spanier“ für Götter gehalten hätten.
7. Myth of Superiority: Die überlegene spanische Waffentechnik und eine vermeintliche überlegene europäische Zivilisation wären nicht die einzigen Gründe für den Ausgang der Reconquista gewesen. In diesem Zusammenhang würde oft vergessen, dass die von den Spaniern eingeführten Krankheiten entscheidend gewesen wären, da durch sie Millionen von „Indigenen“ gestorben wären.

Bernhard stellt schließlich die Problematik dar, dass sich Geschichtsmythen aufgrund von Wiederholung im kulturellen Gedächtnis verfestigen. Hinsichtlich des Eroberungsmythos ist zu erkennen, dass die tatsächlich wichtigen Faktoren der Eroberung, von Europa eingeschleppte Krankheiten und „indigene“ Verbündete der Spanier, nicht in ihrer eigentlichen Bedeutung dargestellt werden. Dagegen würden die Spanier*innen als Übermenschen, fast wie Götter und die „indigene“ Bevölkerung als schwach und passiv dargestellt, die keinerlei Einfluss auf die Gesellschaft gehabt hätten (vgl. Bernhard 2013; S. 208). Es kann auf diese Weise davon ausgegangen werden, dass das von den Schulbüchern vermittelte Bild von Lateinamerika auch die Meinung der Schülerinnen und Schüler über hier in Europa lebende Menschen aus Lateinamerika prägen wird (ebd., S. 211).

Die umfangreiche Arbeit von Bernhard ermöglicht eine kritische Perspektive bei der traditionellen Behandlung der lateinamerikanischen Geschichte in deutschen Schulbüchern. Ungeachtet dessen kann die Entmythisierung der als die einzige Wahrheit angesehenen historischen Annahmen meines Erachtens nach gefährlich sein, weil die ausgeübte Macht und die Herrschaft der europäischen Länder relativiert und somit verharmlost werden würde. In dieser Hinsicht ist meine Meinung zu diesem Thema gespalten. Einerseits kann die Entkräftung von Mythen eine nicht traditionelle europäische Ansicht bei der Vermittlung der lateinamerikanischen Geschichte in deutschen Schulbüchern fördern. Andererseits können Macht und Herrschaft von Europa eine „sanftere“ Konnotation bekommen, da angenommen werden kann, dass die „Indigenen“ auch an der Kolonisierung teilgenommen und es kein komplettes Unverständnis zwischen beiden „Indigenen“ und „Spanier*innen“ gegeben hätten. Infolgedessen ist diese wissenschaftliche Arbeit von großer Bedeutung, weil ein kolonisiertes Land wie Peru seine eigene Version der Geschichte insbesondere hinsichtlich der Eroberung und Kolonisierung in Schulbüchern zeigt.

2. Rassismus in Peru: ein Überblick

Rassismus in Peru ist meines Erachtens nach ein alarmierendes strukturelles Problem, das seit der Kolonialzeit andauert und noch nicht beseitigt werden konnte. Es ist auffällig, dass die Verwendung des Wortes „Rasse“ (raza) bedenkenlos von vielen Peruaner*innen in alltäglichen Kontexten geschieht. Wie Elisabeth Henk erklärt, wird das Wort „Rasse“ (raza) alltäglich benutzt. Dies dient zu einer automatischen Reproduktion von rassistischen Praktiken (vgl. Henk 2010, S. 7). „Somos de diferentes razas pero todos somos iguales“ (wir stammen von unterschiedlichen „Rassen“ aber wir sind alle gleich) ist ein umstrittener Spruch im Alltag, denn er akzeptiert implizit, dass der „wissenschaftliche Rassismus“ aus dem 19. Jahrhundert aus Europa legitim ist. Genauso ist das der Fall bei der Redewendung „para mejorar la raza“ (um die „Rasse“ zu verbessern). Es wird nicht in Betracht gezogen, dass solche Sprüche wie viele andere ihren Ursprung in der europäischen Machtausübung und Herrschaft bei der Kolonialisierung hatten.

Dieser Kapitel hat die Absicht, einen Überblick über die Dimension von Rassismus in Peru zu geben. Es soll die Frage beantworten, wie die diskriminierten Menschengruppen auf Grund ihrer phänotypischen Körpermerkmale in Peru behandelt werden.

„Das Peruanische Institut für Bildung im Rahmen der Menschenrechte und des Friedens“ (Instituto Peruano de Educación en Derechos Humanos y la Paz) kritisiert den Rassismus in Peru sehr scharf. Das Institut erklärt, im gegenwärtigen Kontext von Peru ist zu erkennen, dass Rassismus zu einer Abneigung zwischen unterschiedlichen Menschengruppen in Peru geworden ist, im Sinne von „alle gegen alle“. Die „Mestizen“ diskriminieren die „Schwarzen“, die „Schwarzen“ die „Asiaten“, die „Weißen“ die „Schwarzen“ etc. Deshalb ist Rassismus in Peru, laut dem Institut, bis heute das antidemokratischste Prinzip des Landes. Er ist dafür verantwortlich, dass die Demokratie sich so langsam entwickelt, denn in fast 200 Jahren Unabhängigkeit konnte immer noch kein Bewusstsein von Gleichheit konsolidiert werden (vgl. Instituto Peruano de Educación en Derechos Humanos y la Paz 2005, S. 47).

Sanborn stellt im Gegensatz zum Instituto Peruano de Educación en Derechos Humanos y la Paz dar, dass es eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im Land und ein enormes wirtschaftliches Wachstum in Peru in den letzten Jahren gegeben hat. Die Anzahl der Peruaner*innen, die in extremer Armut leben, ist deutlich verringert worden. Darüber hinaus gibt es eine Tendenz, die „ethnische“ und „kulturelle“ Vielfalt im Land zu feiern, was sich zum Beispiel im Boom der peruanischen Gastronomie und dem internen Tourismus widerspiegelt (vgl. Sanborn 2012, S. 11). Aus meiner Perspektive ist die Hervorhebung der Vielfalt von Peru nicht unbedingt eine positive Veränderung für den Kampf gegen Rassismus, weil Rassismus auf einer theoretischen Ebene in der Öffentlichkeit immer noch nicht diskutiert wird und „das Feiern der kulturellen Vielfalt des Landes“ „Nationalstolz“ entwickeln kann.

Eine weitere positive Veränderung sind Sanborn zufolge die Fortschritte im Bereich der formellen Gleichheit der Rechte aller Menschen, das Verbot von Diskriminierung und die politisch- soziale Einbeziehung der Randgruppen, die vorher an der Gesellschaft praktisch nicht teilhaben konnten. Jedoch sind trotz aller Fortschritte die sozialen Ungleichheiten in Peru wie in den meisten anderen Ländern in Lateinamerika immer noch sehr tief in der Gesellschaft verwurzelt. Besonders für die „indigene“ Bevölkerung, die in ländliche Gebieten wohnt, gibt es immer noch sehr große Hindernisse, Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung und ein akzeptables Einkommen zu bekommen. Jedoch ist die indigene Bevölkerung nicht die einzige Bevölkerungsgruppe, die unter dieser Diskriminierung leidet. So gibt es auch viele arme „Mestizen*innen“, „Afroperuaner*innen“ und viele Frauen, die immer noch im täglichen Leben diskriminiert werden. Deshalb besteht in großen Teilen der Bevölkerung immer noch die Ansicht, dass die existierenden Fortschritte noch nicht spürbar sind (vgl. Sanborn 2012, S. 11).

Rassendiskriminierung ist besonders auch in den peruanischen Medien zu erkennen. So werden Schönheit, Erfolg und Familienglück immer mit europäischem Aussehen assoziiert, was dazu führt, dass Menschen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, sich nach diesem Aussehnen sehnen. Dieser sichtbare Rassismus in den Medien ist Teil der symbolischen Macht der wirtschaftlich starken Bevölkerungsgruppen in der Gesellschaft und schafft ein Bild, als ob die Gesellschaft immer noch eine koloniale Struktur hätte. So werden „Indigene“ und Afroperuaner*innen meist als arme, kriminelle und ausgegrenzte Menschen dargestellt. Obwohl sich in den letzten Jahren das Fernsehen für „Indigene“, Afroperuaner*innen und „Mestizen“ geöffnet hat, sind die „Weißen“ im Fernsehen immer noch die Mehrheit (vgl. Ardito Vega 2010, S. 103-105).

Bei der afroperuanischen Bevölkerung, so Sanborn, ist die Situation etwas anders, da sie im Gegensatz zu der „indigenen“ Bevölkerung, deren Muttersprache oft nicht Spanisch ist, eine kleine „ethnische“ Gruppe der Küstenregion ist, die sogar Spanisch als Muttersprache hat. Für den Staat ist diese kleine Bevölkerungsgruppe praktisch unsichtbar, weil viele Mitglieder dieser „ethnischen“ Gruppe sich nicht gerne als „Schwarze“ wegen der negativen sozialen Wertung bezeichnen lassen (vgl. Sanborn 2012, S. 21-22). Drzewieniecki Wisniewski schildert die Lage der Afroperuaner*innen, deren Darstellung besonders negativ geprägt ist. Sie werden, wie vorher schon erwähnt wurde, als arme Leute, die keine Bildung haben und oft sogar als Kriminelle dargestellt. Dabei wird praktisch ausgeblendet, dass viele Afroperuaner*innen erfolgreich an der Gesellschaft teilhaben. Dies passt jedoch nicht in das Bild eine*r Afroperuaner*s Ausnahme angesehen. Leider wird dieses negative Bild durch die Masin und wird deshalb oft alsenmedien noch weiter verstärkt. In Peru ist dies extrem, wie es auch eine typische Redewendung beschreibt: „La plata blanquea“ (Das Geld macht weiß). Die Gegenfrage zu dieser Feststellung ist logischerweise: Welche Bedeutung hat das „Nicht-Weiße“, das „Schwarze“, das „Indigene“ und das „Afrikanische“? (vgl. Drzewieniecki Wisniewski 2010, S.109-111).

Was wissenschaftliche Untersuchungen von Rassismus in Peru betrifft, sind nur wenige Studien vorhanden. Die wichtigsten Studien wurden in den 1990er Jahren verfasst und sind noch bis heute die Grundlage für die strukturelle und historische Beschreibung dieses Problems. Daraus hat Marisol de la Cadena die Theorie des „neuen Rassismus“ in Peru begründet, die besagt, dass sich in Peru eine „kulturelle Definition von Rasse“ entwickelt hat: die Tatsache, dass das Land in „rassische“ und „ethnische“ Gruppen unterteilt ist, sei eine Kategorisierung sozialen Ursprungs, die die Kultur mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht vermischt, um eine „kulturelle Hierarchie“ zu schaffen. Auf diese Weise stehen auf der untersten Stufe die „Indigene“, die die verarmte Landbevölkerung sind und Spanisch nicht als Muttersprache haben, während auf der höchsten Stufe die westlich- orientierten Menschengruppen stehen (vgl. Ramírez 2013).

Ein Problem ist Folgendes: obwohl die Gleichheit in der peruanischen Verfassung garantiert wird, gibt es von Seiten der Behörden keine Überprüfung, inwieweit einzelne Bevölkerungsgruppen den Zugang zu staatlichen Leistungen wie Gesundheit, Bildung und Justiz haben. So gab es unter anderem in 2005 eine Umfrage zur Ausgrenzung und sozialen Diskriminierung von der Pontificia Universidad Católica del Perú. Außerdem gab es im Jahr 2011 eine weitere landesweite Befragung über „Ethnizität“ und „Rasse“ in Lateinamerika, in der Peru mit Brasilien, Kolumbien und Mexiko verglichen wurde. Die Ergebnisse dieser Umfragen zeigen immer die gleichen Ergebnisse, die auch der Wahrnehmung der peruanischen Bevölkerung entsprechen. Die peruanische Gesellschaft ist von Klassenbewusstsein, Machismo und Rassismus geprägt. Darüber hinaus berichten viele Personen, dass sie selbst diskriminierende Situationen im sozialen und öffentlichen Bereich erlebt haben, wie zum Beispiel in Krankenhäusern, Schulen und bei der Arbeitssuche. Jedoch behaupten diese Personen gleichzeitig, dass sie nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer „ethnischen“ Gruppe diskriminiert wurden, sondern aufgrund ihrer wirtschaftlich prekären Situation, sozialen Schicht oder mangelhafter Bildung. Daraus ergibt sich, dass es weder ursprünglichen Rassismus noch „ethnische“ Diskriminierung in Peru gäbe. Dies sei deswegen eher als Ergebnis einer systematischen Exklusion von einigen sozialen Gruppen zu interpretieren (vgl. Sanborn 2012, S. 13-14).

Im Jahr 2010 hat die Universidad del Pacífico ein Seminar mit dem Titel “La discriminación en el Perú: investigación y reflexión” (Die Diskriminierung in Peru: Untersuchung und Reflektion) organisiert. Nach vielen Untersuchungen über dieses Thema ist zu erkennen, dass es noch viel zu tun gibt, um die Diskriminierung in Peru besser dokumentieren und verstehen zu können, um danach notwendige Veränderungen vorzunehmen. Paradoxerweise ist Folgendes zu erkennen: obwohl die tägliche Erfahrung deutlich aufzeigt, dass Rassismus und andere Vorurteile tief in der peruanischen Gesellschaft verwurzelt sind, ist es für Wissenschaftler*innen sehr schwierig zu erkennen, inwieweit sich diese Vorurteile in konkreten Handlungen widerspiegeln und wie diese die Peruaner*innen konkret betreffen. Das Thema ist einfach zu kompliziert, um es kurz zusammenfassen zu können. Obwohl es viele „Gründe“ für Diskriminierung gibt, sind die wichtigsten Variablen dafür „Rasse“ oder „Ethnie“, Geschlecht und sozioökonomischer Status. Viele Wissenschaftler*innen sind davon überzeugt, dass die „ethnische“ und „rassische“ Diskriminierung der Hauptgrund für die Armut und Exklusion der „indigenen“ Bevölkerung Perus wie auch die Benachteiligung der Afroperuaner*innen ist. Die Verachtung von Seiten der staatlichen Institutionen sowie die rassistische und ausgrenzende Einstellung der politischen und sozialen Elite erklären den geringen, fast nicht vorhandenen Willen, die Qualität der staatlichen Organisationen zu verbessern. Die Frage ist hierbei auch, wer als „indigen“ angesehen wird. In diesem Zusammenhang gibt es auch kleine Unterschiede zwischen den Menschen „indigener Abstammung“, die auf dem Land und in den Städten leben. Dabei werden die „Indigenen“, die vom Land in die Städte migriert sind, nicht mehr von allen automatisch als „indigen“ angesehen (vgl. Sanborn 2012, S. 20-21).

Ramirez ergänzt zu den Ergebnissen, (i) dass bei der „indigenen“ Bevölkerung des Hochlands, den „indigenen“ Gruppen der Amazonasgegend und den Afroperuaner*innen eine größere Wahrscheinlichkeit als bei „Mestizen“ und „Weißen“ besteht, im Bereich Bildung benachteiligt zu werden. (ii) Die Kluft bei den Einkommen hat sich von 2005 bis 2009 noch weiter zum Nachteil der „indigenen“ Bevölkerung verschlechtert. (iii) Die „indigenen“ Gruppen sind im Vergleich zu „nicht-indigenen“ Gruppen benachteiligt, was den Zugang zu Dienstleistungen des Staates angeht. Dies ist durch ihre geringe Kaufkraft begründet, die das Ergebnis ihrer schlechteren Bildung ist. In Peru ist also zu erkennen, dass Diskriminierung im Bereich der Einstellungen der Menschen zu finden ist, während sich die Ausgrenzung in der Existenz von Barrieren widerspiegelt, die den Zugang zu Möglichkeiten und öffentlichen Dienstleistungen erschwert.

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass Rassismus ein strukturelles Problem sowohl im Alltag als auch in den Institutionen und in den Medien ist. Die mangelhafte Diskussion auf einer wissenschaftlichen Ebene in der Öffentlichkeit und eine defizitäre Auseinandersetzung mit der Geschichte, insbesondere der Kolonialzeit, haben zu einer weitverbreiteten Akzeptanz von Rassismus in der peruanischen Gesellschaft geführt.

3. Bedeutung der Kolonialisierung in Peru und Lateinamerika

3.1 Einführung in die Hierarchie von Menschenkategorien: „la clasificación racial“

„Weiß“ (blanco), „Indio“, „Schwarze“ (negro) und andere Menschenkategorien sind bis in die Gegenwart hinein noch soziale unreflektierte Bezeichnungen, deren Ursprung im 15. bis 16. Jahrhundert bei der Kolonialisierung von Lateinamerika liegt. Zu jener Zeit legitimierte die spanische Herrschaft Menschenklassen in einem systematisierten und strukturierten „Kastensystem“ (sistema de castas), obwohl der wissenschaftliche Rassismus (Rassismus aufgrund von phänologischen Körpermerkmalen) im 16. Jahrhundert noch nicht präsent war (vgl. Henk 2010, S. 13-14). In diesem Sinne kommen wichtige Fragen ans Licht: Worüber wurde ideologisch zu dieser Zeit im spanischen Königsreich geredet? Woher kommt die Übertragung von der „Reinheit des Blutes“?

Um eine Antwort auf diese Fragen geben zu können, ist es erforderlich, sich mit dem Kolonialismus als einen langen Prozess und mit seinen Inhalten zu befassen. Conrad verweist darauf, dass die Definition von Kolonialismus drei Aspekte enthält: Erstens wird ein Territorium beherrscht. Zweitens haben die kolonisierten und kolonisierenden Gesellschaften unterschiedliche soziale Ordnungen, und drittens ist die Trennung von beiden Gesellschaften aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsstands berechtigt (vgl. Conrad 2012, S. 3). Osterhammel führt auch aus, dass Kolonialismus eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven sei, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt worden seien. Damit würden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen verbinden, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen würden (vgl. Conrad 2012, S. 4).

Auf diese Weise bezieht sich Volkmar Blum auch auf die Existenz von Rassismus bereits ab 1500 mit Beginn der Kolonialzeit, bevor sich die moderne Rassenlehre um 1850 hauptsächlich in Frankreich und England instituiert hat. Deswegen stellt der Autor zur Diskussion, dass Rassenkategorien ihren Ansatzpunkt in Spanien und Portugal hätten. Der iberische Protorassismus hat nach Blum drei Indizien: Erstens gab es die Vermutung, dass das Wort „Rasse“ ursprünglich im arabischen Vokabular (raz) vorhanden war. Zweitens gibt es eine Verbindung von „Blutsreinheit“ und Christentum in Spanien, und drittens ist die Rechtfertigung der Verfolgung von Konvertierten und Juden. Die erste offizielle Verfolgung von Juden in Spanien im Jahr 1391 hat in einem ungeklärten Massaker stattgefunden. Darüber hinaus wurden Juden zu diesem Zeitpunkt zwangsweise konvertiert. Ca. 10000 Juden wurden ermordet und eine unbekannte Zahl von ihnen wurde als Sklaven*innen verkauft, viele sind geflohen und andere wurden getauft. Die sozialen Strukturen und auch der Alltag von jüdischem Leben haben sich negativ verändert. Im Jahr 1412 sind viele antijüdische Gesetze in Kraft getreten wie z.B. das Verbot, den Wohnort zu wechseln, mit Christen zu speisen oder zu reden, und nur bestimmte Kleidung anzuziehen. Die Juden mussten diese Einschränkungen erleben, bis die Pest im Jahr 1449 nach Sevilla gekommen ist, wobei die Christen den Juden die Schuld dafür gegeben haben. Infolgedessen wurden sie von den Christen vertrieben (vgl. Blum 2001, S.26-27). Mit der Inquisition waren die Konvertierten in einer größeren Gefahr, weil sie sowohl verfolgt worden sind als auch ihr Leben überwacht worden ist. Das Praktizieren vom jüdischen Glauben wurde von der Inquisition bedrängt (ebd. S.29).

Elizabeth Henk und Volkmar Blum sind der Auffassung, dass die Wurzeln des Rassismus in Peru im Spanien des 15. Jahrhunderts liegen. Beide Autor*innen sprechen von diesem Zeitpunkt an vom iberischen Protorassismus. Körpermerkmale waren in der ersten Instanz kein Unterscheidungskriterium bei dem iberischen Protorassismus, sondern die Religionszugehörigkeit, wie schon vorher erläutert worden ist. Die spanischen Juden, die zum Christentum konvertiert waren, wurden ausgeschlossen, um die „Blutsreinheit“ zu beschützen. Im Jahr 1449 sind die ersten Statuten der „Blutsreinheit“ in Kraft getreten. Die Statuten haben durch die Inquisition und die Verfolgung von konvertierten Juden (den neuen Christen) eine neue Ideologie entwickelt, in der gesagt worden ist, dass der Glauben genauso wie die Bewertung von der „Reinheit des Blutes“ erblich waren. Dieses neue biologische Argument war der Grundgedanke für die Inquisition und ihre spätere Rolle bei der Kolonisierung von Lateinamerika (vgl. Henk 2010, S. 14-18). Das Lateinamerika Institut (LAI) der Freien Universität Berlin hat das Dokument online unter dem Namen „Caminos- Eine Reise durch die Geschichte Lateinamerikas“ veröffentlicht, in dem Begriffe wie „Reinheit des Blutes“ erklärt sind. Der Grundgedanke von der „Reinheit des Blutes“ (limpieza de sangre) nach LAI hatte die Abgrenzung von Alt-Christen gegenüber neu konvertierten Christen bzw. Juden und Moslems unterstützt (vgl. Freie Universität Berlin).

Später wurden die Statuten der „Blutsreinheit“ im Jahr 1555 vom Papst anerkannt und beinhalteten die Erblichkeit des Glaubens als Argumentation. Dies hat dazu gedient, dass „reines Blut“ hochwertiger als „unreines Blut“ war. Mit dieser neuen Denkweise waren die Genealogien Argumente für Inquisitionsgerichte. Darüber hinaus hatten die Genealogien die Macht zu entscheiden, wer an militärischen oder religiösen Bereichen teilnehmen durfte (vgl. Blum 2001, S.30-31). Blum postuliert zusätzlich: „Genealogien wurden zur Arbeitsgrundlage der Inquisition und Zulassungsbedingung für die wichtigsten Institutionen (…)“(ebd., S.31). Hieraus ergibt sich, dass die Wurzel vom Rassismus bei der Kolonialisierung von Lateinamerika anfänglich keine phänotypische bzw. biologische Begründung, sondern eine religiöse Rechtfertigung im 15.-16 Jahrhundert in einem spanischen Kontext hatte. Das wurde als Protorassismus bezeichnet. Bedeutungsvoll ist auch hierbei, wie die Erblichkeit des Glaubens mit Phänotypen in den Fällen von Juden und Moslems mit der Zeit in Kontakt bzw. in Verbindung gekommen sind. Dafür haben die Statuten der „Blutsreinheit“ die wichtigste Rolle gespielt, in denen Genealogien zum legitimierten Prinzip geworden sind. Auf diese Weise stellt sich die Frage: Wie wurden Protorassismus und Genealogien während der Kolonialzeit in Lateinamerika umgesetzt?

Wie Conrad und Osterhammel auslegen, hat es sich nicht nur um Differenzierungen zwischen zwei Gesellschaften, sondern vor allem um Macht und Herrschaft gehandelt. Die kolonisierende Gesellschaft dominierte die kolonisierte Gesellschaft, sodass die feste Überzeugung herrschte, dass diese Überlegenheit gerechtfertigt war. Conrad ergänzt dazu, dass das Spektrum der Auswirkungen vom Kolonialismus verbreitet war und es die Weltwirtschaft bestimmte, in der die Asymmetrie geherrscht hat. (vgl. Conrad 2012. S. 5).

Diese wissenschaftliche Arbeit hat nicht das Hauptziel, sich auf einer theoretischen Ebene mit den unterschiedlichen Definitionen von Macht und Herrschaft auseinanderzusetzen. Trotzdem ist es unerlässlich, eine Annährung herbeizuführen, denn es handelt sich in der Kolonialisierung wiederum um Herrschaft und Macht. Imbusch erklärt, dass das Wort Macht nach Klenner folgende Aspekte beinhaltet: (i) die Abhebung von psychischer oder physischer Kraft und Stärke, (ii) ausgeübte Befugnis über die Anderen, (iii) eine existente Staats- oder Regierungsgewalt, (iv) eine herrschende Klasse, (v) ein „supermächtiger“ Staat als Ganzes oder Kolonialmacht und (vi) Wirkungsvermögen (vgl. Imbusch 2012. S. 10). Laufer führt auf diese Weise aus: „Gerade diese Machtunterschiede zwischen ethnischen Gruppen sind jedoch für das Rassismus-Phänomen von besonderer Bedeutung. Rassistische Ideologien können ihren systematischen Charakter erst dann erlangen, wenn rassistische Diskurse sich gesamtgesellschaftlich durchgesetzt haben und verinnerlicht wurden“ (Laufer 2012. S. 55). Hiermit ist es wichtig, den Begriff Herrschaft zu thematisieren, weil dadurch eine „asymmetrische Beziehung zwischen den Akteuren“ (Imbusch 2012. S. 21) entsteht. Bei dieser Asymmetrie gibt es eine Mehrheit und eine Minderheit, ‚ins‘ und ‚outs‘ und ‚haves‘ und ‚have- nots´ (vgl. Imbusch, S. 23). Diese zweigliedrige Einteilung ist in der Kolonialzeit von Lateinamerika besonders präsent.

Die Ausübung von Macht und Herrschaft hat sich in der Diskriminierung von den Nicht-Europäer*innen in Lateinamerika und insbesondere in Peru manifestiert. Elisabeth Henk hat das Vorhaben in ihrem Buch „Von der Scham einheimisch zu sein. Ursachen und Entwicklung des Rassismus in Peru“, die historische Entwicklung des peruanischen Rassismus und damit auch seine Ursachen in Grundzügen darzustellen, umgesetzt (vgl. Henk 2010, 11).

Die dargestellten Ergebnisse rechtfertigen die Aussage, dass überwiegend Macht und Herrschaft die Bestandteile von Kolonialismus in Lateinamerika geworden sind. Conrad erläutert Folgendes dazu: „Der Kolonialismus war Bedingung und zentrale Ingredienz der politischen Ordnung der Welt, aber auch der rechtlichen und ideologischen Legitimierung dieser Ordnung“ (Conrad 2012, S. 5).

Eine Gemeinsamkeit, die alle Kolonien teilten, war die Dichotomie zwischen „Zivilisierten“ (Europäer*innen) und „Unzivilisierten“ (Nicht-Europäer*innen). Diese Zweiteilung basierte auf zwei Kriterien: Geografie und Herrschaft. Zu Beginn war der Dualismus zwischen Christen und Heiden festgelegt, wie es zuvor erläutert worden ist. Danach wurde diese Zweiheit aufgrund von biologisch-rassistischen Argumenten als berechtigt hingestellt (vgl. Zimmerer 2012, S. 11). In diesem Sinne hebt Quijano die Legitimität von Herrschaftsverhältnissen von Europa über Amerika und gleichlaufend die neue Identität von Europa bei dem Kolonialismus und der „Rassenlehre“ hervor: „En América, la idea de raza fue un modo de otorgar legitimidad a las relaciones de dominación impuestas por la conquista. La posterior constitución de Europa como nueva identidad después de América y la expansión del colonialismus europeo sobre el resto del mundo llevaron a la elaboración de la perspectiva eurocéntrica de conocimiento y con ella la elaboración teórica de la idea de la raza como naturalización de esas relaciones coloniales de dominación entre europeos y no-europeos (Quijano 2014, S. 779)[1].

Blum postuliert, dass „Rassenlehre“ und Rassismus eng miteinander verbunden seien. Die „Rassenlehre“ würde verschiedene menschliche Rassen konstruieren und erbliche Unterschiede des Phänotyps mit unterschiedlichen geistigen, sozialen und kulturellen Fähigkeiten verknüpfen, die sie gleichfalls als erblich betrachten würde (vgl. Blum 2001, S. 7). Auf dem Punkt gebracht erläutert Blum, dass die Zuweisung einer „Rasse“ dauerhaft sei und gleichzeitig unveränderte Eigenschaften enthalte. Folgendermaßen entstehen Hierarchien zwischen „Rassen“, in denen „Weiß“ an der Spitze, „Rot“ und „Gelb“ in der Mitte und „Schwarz“ ganz unten angeordnet sind. Gobineau, einer der Begründer des wissenschaftlichen Rassismus, sagte auch dazu, dass die Vermischung von Gelb und Schwarz mit Weiß etwas höher als die nicht- weiße „Ausgangsrasse“ sei. Ungeachtet dessen stehe sie unter „Weiß“ wie z.B. „Mulatten“, die jedoch über „Schwarzen“ stehen und ihnen sogar geistig überlegen seien, allerdings niemals auf derselben Stufe wie die „Weißen“ stehen können (vgl. Blum 2001, S. 7-8).

Vor der Kolonialzeit gab es keine Angaben, dass „Rassen“ als soziales Konstrukt in Amerika existiert hätten. Das bedeutet, dass die Einführung von „Rassenkategorien“ (clasificación racial) erst mit der Kolonisierung vollzogen worden ist. In diesem Sinne erzeugte die Entstehung von biologischen Differenzen neue soziale Identitäten wie „Schwarze“, „Indios“ oder „Mestizen“. Andere Kategorien wie „Spanier“; „Portugiesen“ und „Europäer“ wurden so neu definiert, dass sie nicht mehr nur in Verbindung mit der Herkunft gebracht worden sind, sondern auch Überlegenheit im Gegensatz zu den anderen „Rassen“ implizierten. Auf diese Weise haben die überlegenen „Rassen“ bestimmte Körpermerkmale wie z.B. Hautfarbe ausgewählt, um die unterlegenen „Rassen“ zu unterdrücken (vgl. Quijano 2014, S. 778 ff.).

Demensprechend haben die spanischen Eroberer dieses Gedankengut nach Lateinamerika mitgenommen. Blum erläutert, dass sich die Eroberer zuerst ein Bild von der lateinamerikanischen Gesellschaft und insbesondere von den „Indios“ machen wollten. Nur so konnten sie die „Indios“ einschätzen und später ihre spanische Weltordnung durchsetzen (vgl. Blum 2001, S. 35).

Die Kolonisten haben unterschiedliche „Völker“ wie die Azteken, Chimus, Chinchas, Mayas u.a. in Amerika angetroffen, wobei jedes „Volk“ eine eigene Geschichte, Sprache, Identität und Entdeckungen hatte. Trotz dieser Vielfältigkeit wurden die Einwohner*innen einheitlich nur auf die Bezeichnung „Indios“ reduziert. Die neue zugewiesene Identität „Indios“ hat mit der Zeit eine „rassische“ und koloniale Bedeutung bekommen und sich bis in die Gegenwart durchgesetzt. Es ist auch bedeutsam zu erwähnen, dass sich die Reduktion von Vielfältigkeit auch in anderen Kolonien in anderen Kontinenten wiederholt hat, wie z.B. mit den Ashantis oder den Bacongos in Afrika (vgl. Quijano 2014, S. 801). Am Anfang der Kolonialzeit waren die „Indios“ freie Vasallen innerhalb der spanischen Krone. Ungeachtet dieser Tatsache waren sie schon seit dem Beginn der Kolonialisierung in Kategorien aufgeteilt. Die Aufständischen wurden mit einem Brandzeichen auf der Stirn versehen und als Sklaven*innen verkauft. Die sognannten Naborias (naborías) waren Sklaven*innen aber wurden nicht verkauft; normalerweise haben sie als Diener*innen gearbeitet (vgl. Rosenblat, 1954, S. 145).

Blum vermerkt nachdrücklich, dass „Indios“ in Lateinamerika nicht wie Juden oder Moslems in Spanien behandelt worden sind. „Indios“ galten zuerst als unschuldige Heiden. Deshalb hatten sie am Anfang die Chance, das Christentum zu akzeptieren, und nur wenn sie den christlichen Glauben abgelehnt haben, wurden sie unter der spanischen Herrschaft vernichtet. Da keine in Spanien festgelegte Menschenkategorie zu den „Indios“ gepasst hat, wurde der religiöse Begriff „Konvertierten“ wieder in Betracht gezogen. Nichtsdestotrotz war die Inquisition ab 1480 die einzige zuständige Instanz für die Kontrolle und Bestrafung des Glaubens und nicht mehr das Kolonialreich wie bei den Juden und Moslems in Spanien. Die konvertierten „Indios“ hatten unterschiedliche Benennungen wie „treuer Indio“ (indio fiel), „christlicher Indio“ (indio cristiano), „Seele der Konfession“ (alma de confesión) u.a. erhalten (vgl. Blum 2001, S. 47).

Da die Inquisition den „Indios“ Zeit gegeben hat, bis sie den christlichen Glauben verinnerlichen konnten, hat sie keine unmittelbaren Maßnahmen gegen die „Indios“ vorgenommen. Im Gegenteil, die Inquisition war „nachgiebig“ und hat „nur“ Mumien und Götzenbilder der „Indios“ verbrannt. Nach und nach waren die „Indios“, ihre Religion und Bräuche allerdings in größeren Verdacht geraten. Dies hat zu einer systematisierten Bekämpfung gegen alles geführt, was offiziell nicht als christlich betrachtet wurde (ebd. S. 48). Wie Henk schildert, waren die „Indios“ die einzige Kategorie, die für die Vielfalt von den „Völkern“ in Lateinamerika angewendet wurde (vgl. Henk 2010, S. 27). Ströbele-Gregor macht auch deutlich, dass „Indio“ ein politisches und soziales Konstrukt sei, das es den Eroberern ermöglicht habe, die unterworfenen Völker rechtlich und ideologisch zu einer Gruppe zu homogenisieren (ebd., S. 28).

„Indios“ und Spanier wurden voneinander getrennt und jeweils in die „Republik der Indios“ und „Republik der Spanier“ zugewiesen. In der „Republik der Indios“ mussten sie Tributabgaben zahlen und verpflichtend in den Minen arbeiten (vgl. Henk 2010, S. 29).

Die „Republik der Indios“ war im Verhältnis zu der „Republik der Spanier“ untergeordnet, und aus diesem Grund mussten sie Tribute bezahlen. Als Rechtfertigung hat das Kolonialreich erklärt, dass die Tribute zwei Gegenleistungen für die Freiheit als freie Vasallen der Krone waren. In der ersten Gegenleistung ging es um den Schutz der Krone und die Christianisierung (vgl. Blum 2001, S. 48-49). Anders ausgedrückt bezahlten die „Indios“ für eine aufgezwungene Christianisierung. Dazu erläutert Rosenblat, dass die „Indios“ Kopfsteuern bezahlt haben (vgl. Rosenblat 1954, S. 145). Blum schildert dies folgendermaßen: „Die indianische Bevölkerung bezahlte also die Kosten für ihre eigene Zwangsmissionierung und für Teile des kolonialen Zwangsapparats“ (Blum 2001, S. 49). Die zweite Gegenleistung basierte auf der Kontrolle, Überwachung und Bestrafung von jeder spanischen Privatperson oder von Amtsträger*innen, die die „Indios“ ausgebeutet haben (ebd., S. 49).

Nach Anibal Quijano waren die Assoziierung von Arbeitsverteilung, Gehalt und Menschenkategorien Grundlagen für die Zuweisung von Privilegien. Die Europäer*innen hatten eine bezahlte Arbeit, infolgedessen wurden sie als „Rasse“ mit Privilegien ausgestattet (vgl. Quijano 2014, S. 785).

Die drei großen Kategorien haben nebeneinander in der Gesellschaft koexistiert. Allerdings war das gleichzeitige Vorhandensein nach meiner Ansicht nur eine Illusion. Die Krone versuchte, zwischen „Indios“, „Schwarzen“ und „Spanier“ standesähnliche Grenzen zu ziehen und diese zu perpetuieren (vgl. Blum 2001, S.57). In Mexiko befahl ein öffentliches Dekret von 1781, dass die „Indios“ absolut keinen Kontakt mit „Mulatten*innen“, „Schwarzen*innen“ und keinen anderen Kasten treten durften, um Ehen oder eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Kasten verhindern zu können. Darüber hinaus wurde vermieden, dass die „Weißen“ in indigenen Dörfern und Städten lebten, und Reisende durften auch keine „Indias“ „mitnehmen“ (vgl. Rosenblat 1954, S. 147). Es gab weiterhin noch andere alltägliche Einschränkungen wie Waffen oder Wein zu verkaufen, ein Pferd zu reiten oder die Reducciones[2] zu verlassen.

Ungeachtet dessen hatte die Vermeidung von Vermischungen zwischen „Weißen“, „Indios“ und „Schwarzen“ keinen Erfolg, wie Potthast es verdeutlicht: „Ab dem 18. Jahrhundert wurde es daher immer schwieriger, die alte, auf den drei großen ethnisch ständischen Gruppen der Indigenen, der Schwarzen und der Weißen basierende Ordnung aufrechtzuerhalten“ (Potthast, 2015, S. 248). Aus dieser Tatsache kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Je mehr spanisches Blut Nachkommen von Vermischungen gehabt hätten, desto höher wäre seine Position in der neuen Gesellschaftsordnung gewesen (vgl. Flohr 2016, 35). Wie Blum verdeutlicht, gab es mit der Zeit mehr Mischungen von Menschenkategorien und weniger „ursprüngliche“ Spanier*innen (vgl. Blum 2001, S. 57).

So wurde die „Pigmentokratie“ angesiedelt. Oben stand die „weiße Elite“ (Spanier*innen) und unten die „Indios“ sowie die „Schwarzen“. Die Nachkommen von „Rassenmischungen“ wurden in ein komplexes Kastensystem (sistema de castas) eingeordnet, in dem jede Kaste einen bestimmten sozialen Status besessen hatte (vgl. Henk 2010. S. 29-31).

Blum, vertritt im Gegensatz zu Henk die These, dass die „Schwarzen“ die Kolonialepoche seit ihrem Anfang begleitet haben, als die Konquistadoren Pizarro und Almagro 2000 Schwarze als Soldaten mitgebracht haben. Schon im Jahr 1640 gab es 20000 Schwarze, die in Lima in Peru gelebt haben. Sie, als Sklaven*innen, waren in unterschiedlichen Arbeitsbereichen tätig, wie z.B. auf Schiffen in der Marine, in der Landwirtschaft u.a. Außerdem wurden sie als Sklaven*innen gekauft, verkauft und gemietet. Ein wichtiger Punkt in der Entwicklung von der „schwarzen“ Bevölkerung war besonders das Vermieten von „Schwarzen“, denn es hat ermöglicht, dass viele von ihnen eine Weiterbildung durchführen konnten. Dies ist ihnen zugutegekommen, da sie sich später freikaufen konnten und ihre berufliche Bildung an Wert gewonnen hat (vgl. Blum 2001, S. 54-55).

Zu diesem Punkt ist wichtig in Betracht zu ziehen, dass die spanische Krone und die katholische Kirche nicht für die Sklaverei von „Indios“ waren. Anders ausgedrückt hatte Spanien keinen ideologischen Grund gesehen, um die „Indios“ als Sklaven*innen zu behandeln. Daraus folgt, dass „Schwarze“ anders als „Indios“ behandelt worden sind, denn Menschen aus Afrika wurden als Sklaven*innen aufgrund mangelnder Arbeitskräfte nach Südamerika gebracht (vgl. Blum 2001, S. 56).

Nach Anibal Quijano wurden die Arbeitsverteilung und die „Rassenkategorien“ miteinander in Zusammenhang gebracht. Während die „Indios“ als Diener*innen gearbeitet und die „Schwarzen“ als Sklaven*innen agiert haben, konnten die Spanier*innen und Portugiese*innen als unabhängige Händler*innen, Handwerker*innen oder als Bauer*innen arbeiten und so ein Gehalt bekommen. Das hatte zur Folge, dass die Kontrolle der Arbeitsverteilung mit einer „Rassenkategorie“ gekoppelt war und somit auch die Kontrolle über die dominierten „Rassen“ innehatte (vgl. Quijano 2014, S. 781-782). Quijano beschreibt außerdem, dass bezahlte Arbeit nur für Europäer*innen und die nicht-bezahlte Arbeit für beherrschte „Rassen“ bestimmt war, weil die „Indios“ eine minderwertige „Rasse“ waren und sie nicht verdient gehabt hätten, eine bezahlte Arbeit zu bekommen. In diesem Sinne gewannen die Europäer*innen und die Weißen (los blancos) die höchste Position in der Hierarchie von „Rassenkategorien“ (ebd., S. 785).

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Kastensystem das Scheitern einer illusorischen Trennung von „Weißen“, „Indios“ und „Schwarzen“ aus meinem Blickwinkel widerspiegelt. Blum begründet dies folgendermaßen: „Diese Trennungen hatten jedoch begrenzten Erfolg. Beide Gruppen, indios originarios und schwarze Sklaven*innen, erodierten. Es gab immer mehr Indios, die keine originarios, und immer mehr Schwarze, die keine Sklaven*innen waren. Auf der anderen Seite differenzierte sich die spanische Gesellschaft. Sie bestand immer weniger aus gebürtigen Spaniern (…) und zunehmend aus deren in den Kolonien geborene Nachfahren. Diese wurden Kreole genannt“ (Blum 2001, S. 57) [3] .

Die „Mestizen“ waren eine Minderheit, um die sich die Politik und die Gesellschaft Sorgen gemacht haben. Rosenblat beschreibt, dass die Zahl von „Mestizen“ so rasant gestiegen ist, dass es nicht mehr möglich war, ihnen die entsprechende Erziehung für eine angemessene Anpassung anzubieten. Viele von ihnen waren auch nicht gehorsam, sondern „unangepasst“ und desorientiert zwischen beiden „Kulturen“ der Eltern, d.h. zwischen „Indios“ und „Weißen“. Dies hat dazu geführt, dass sie in ständigem Konflikt und ohne moralischen, familiären und ethnischen Einfluss aus spanischer Sicht waren. Solche Mestizen sind ein gravierendes soziales Problem geworden. Einige Spanier haben deswegen geschrieben, dass Mestizen ganz schwierig zu erziehen waren, viele Laster vom „Indio“-Teil geerbt hätten und infolgedessen das Freiheitsrecht nicht hätten (vgl. Rosenblat, 1954, S. 26-27). Wie Rosenblat weiterhin geschildert hat, waren die Mestizen nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein Gefahr in Peru, weil sie die politische Herrschaft in der Zukunft erreichen (ebd., S. 28) und mit den „Indios“ die Inka- Monarchie wiederherstellen könnten (ebd., S. 90). Fast alle Kolonisten haben mestizische Kinder hinterlassen (ebd., S.82), und ab ungefähr 1560 gab es eine aktive Generation von Mestizen, die sogar an Eroberungsexpeditionen teilgenommen hat (ebd., S. 88).

Unter „Kaste“ versteht Mörner einen mittelalterlichen Begriff, der von den Portugies*innen auf die hinduistische Gesellschaft übertragen worden ist und sowohl für Menschen als auch für Tiere gegolten hat. Der Begriff „Kaste“ bedeutete für Ibarra eine „Rasse“ oder „Ethnie“ (vgl. Blum 2001, S.59). Ramirez legt im online Artikel „¿De Dónde Venimos? El Sistema de Castas del Imperio Español“[4] dar, dass die Kaste (la casta) eine soziale statische Gruppe mit einem genetischen Fundament ist (vgl. Ramirez, 2009). Henk erläutert: „Kinder von Spaniern bzw. Kreolen und Indios wurden als Mestizen (mestizos) bezeichnet. Kinder von Spaniern bzw. Kreolen und Schwarzen als Mulatten (mulatas) und Kinder von Indios und Schwarzen als Zambos (zambos)“ (Henk 2010, 31).

Die neuen Nachkommen von solchen „Rassenmischungen“ haben das Kastensystem so erweitert, dass die Übersicht von den neuen „Menschenkategorien“ nicht mehr anschaulich war. Nach jeder Generation vervielfachten sich die Kasten, weil sich die erste Nachkommenschaft zwischen „Weißen“, „Indios“ und Schwarzen“ untereinander verbunden hat, um danach sich wieder miteinander zu vermischen. Hiermit sind unendliche neue Mischungen von Mischungen entstanden, die nicht mehr überschaubar und administrativ kontrollierbar waren, wie z.B. der „Wolf“ (lobo) oder Zambo. Für einige hatte er einen Anteil von 50% indio und 50% schwarz, während er für andere ganz unterschiedliche Prozentsätze wie 46,88% weiß, 25% indio, 28,12% schwarz oder 75% indio und 25% schwarz beinhaltete (ebd. S. 58).

Ramirez stellt das grundlegende Kastensystem dar, das ich im folgenden Schaubild präsentiere:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kastensystem (vgl. Ramirez 2009)

Eine andere visuelle Darstellung vom Kastensystem mit späteren neuen Kasten ist ein Gemälde von 1777 aus Mexiko (Flohr 2016, 33).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bildquelle: Ignacio María Barreda: Las castas mexicanas [Public domain], via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AIgnacio_Mar%C3%ADa_Barreda_-_Las_castas_mexicanas.jpg

Meiner Einschätzung nach machen beide Bilder deutlich, wie hierarchisch und willkürlich das Kastensystem war. Es kann gesagt werden, dass die „Mestizen*innen“ die höchste Position in der Gesellschaft wegen des Einflusses von „spanischem Blut“ innehatten. Allerdings ist diese Logik nicht mehr verständlich, wenn es um die „Morisken“ geht. Sie standen unter den „Zambos“, obwohl die „Morisken“ auch „spanisches Blut“ hatten, jedoch die „Zambos“ „nur“ von „Schwarzen“ und „Indios“ gezeugt worden sind.

An dieser Stelle muss besonders betont werden, dass es die Möglichkeit gab, seine eigene „Rasse“ zu verbessern (mejorar la raza) (vgl. Henk 2010, 33). Henk erläutert: „ (…) Verband sich das Kind eines Spaniers und einer Mestizin mit einer Spanierin oder Kreolin und verband sich dieses Kind wiederum mit einer Spanierin oder Kreolin, so wurde dieses Kind wieder als vollwertiges Mitglied der spanischen Gemeinschaft angesehen“ (ebd., 33-34). Meines Erachtens nach überzeugt die Möglichkeit der „Rassenverbesserung“ nur teilweise, denn es mussten erst viele Generationen vergehen, um tatsächlich von einer Kaste zu einer hochwertigeren Kaste springen zu können. Darüber hinaus war das „Streben nach einer besseren Rasse“ eine Illusion, weil „Schwarze“, „Indios“ und alle „Rassenmischungen“ niemals „Spanier*innen“ trotz „Rassenverbesserung“ werden konnten.

In dieser Hinsicht entwickelte sich eine Verknüpfung zwischen Status und Kaste, die nicht mit einer geografischen Logik zu tun hatte. Ferrari stellt heraus, dass Rassismus keine eindeutigen Kriterien in Peru beinhaltete, wie z.B. im Nationalsozialismus in Deutschland. Hier wurden alle Juden unabhängig von Status und Herkunftsort kategorisch verfolgt und vernichtet, während in Peru Hautfarbe, traditioneller Lebensstil, Zugehörigkeit zu einer Region und sozioökomische Schichten Kriterien waren, die sich auf vielfältige Weisen kombinieren ließen und den Fremden (el otro) bestimmt hat. Dieses Phänomen steuert die moderne peruanische Gesellschaft noch bis in die Gegenwart (vgl. Laufer 2000, S. 49-50).

Durch die Auswertung der Ergebnisse konnten folgende Aussagen bestätigt werden: Erstens, Macht und Herrschaft spielten eine unumgängliche Rolle bei der Kolonisierung, die bei dem wissenschaftlichen Rassismus bzw. der „Rassenlehre“ in Lateinamerika zum Vorschein gekommen sind. Zweitens, die Diversität der Bevölkerung von Amerika wurde nur auf „Indios“ reduziert. Drittens, die von Spanier*innen festgelegten Menschenkategorien wie „Indios“ und „Schwarze“ konnten nicht untrennbar bleiben, demgemäß wurde ein „Kastensystem“ in der Kolonialzeit etabliert. Dies bedeutete konkret, dass jede Kaste unterschiedliche Rechte, Arbeitsverteilungen und Privilegien besessen hatte.

3.2 Postkolonialismus und die sozialen Auswirkungen in der lateinamerikanischen Region

Es könnte argumentiert werden, dass das Ende der Kolonialzeit eine neue Phase für Peru und Lateinamerika hätte bedeuten können, in der „Indigene“, „Schwarze“ und andere benachteiligte Menschengruppen nicht mehr unterdrückt werden und sowohl Peru als auch die anderen lateinamerikanischen Länder einen neuen Anfang ohne die europäische Macht gehabt hätten. Nichtsdestotrotz sind die Auswirkungen des Kolonialismus im lateinamerikanischen Kontext fortgefahren. Ausgangspunkt dieses Subkapitels ist zu überprüfen, ob es genug „Indizien“ im peruanischen Kontext gibt, um über Postkolonialismus in Peru zu diskutieren. Dafür werden zwei Aspekte hervorgehoben. Zuerst wird Postkolonialismus theoretisch erläutert. Danach werden historische Ereignisse von Peru dargelegt, um den Postkolonialismus in Peru zu begründen.

Was die „Postkoloniale Theorien“ angeht, sind sie im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden und damit relativ jungen Ursprungs“ (Kerner 2012, S. 20). Kerner erläutert, dass der Postkolonialismus kein Ende von Kolonialismus bedeutet. Das Präfix „post“ hat Langzeiteffekte des Kolonialismus zum Inhalt, deren Auswirkungen noch aktuell sind. Die Autorin nennt zwei Rahmenbedingungen, die die Existenz von Postkolonialismus in Lateinamerika ermöglicht haben. Erstens existierten soziale Probleme wie Armut, Autoritarismus und mangelnde Rechtsstaatlichkeit während der Kolonialisierung. Zweitens war die Einprägung von rassistischen und eurozentrischen Gedankengängen in Bereichen wie Kunst, Kultur, Medien und Wissenschaften zu betrachten (ebd., S. 9). Trotz der vielfältigen Darstellung von Kolonialismus sind bestimmte allgemeine Charakteristika davon zu berücksichtigen. Wie Kerner noch dazu ergänzt; seien viele dieser Merkmale und Effekte mit dem formalen Ende des Kolonialismus nicht verschwunden und sie würden daher in postkolonialen Konstellationen nachwirken (ebd. S., 23).

Die aktuelle Debatte über Kolonialismus und Postkolonialismus hebt die These hervor, dass koloniale Herrschaft und Ausbeutungsverhältnisse einen großen Einfluss auf die neue Welt hatten. Deswegen sind koloniale Auswirkungen auch noch aktuell (vgl. Conrad 2012, S. 3). Frantz Canon, einer der wichtigsten Vertreter der postkolonialen Theorien, weist nach, dass Kolonialismus Ausbeutung und Zweiteilung durch ein umfangreiches Spektrum von Auswirkungen bedeutet hat. Wenn über den Kolonialismus gesprochen wird, wird auch über Rassismus diskutiert, weil Rassismus die Kolonialzeit beherrscht hat. Aus diesem Grund ist eine Beziehung zwischen Menschengruppen und sozialem Status entstanden: „man ist reich, weil weiß, man ist weiß weil reich“. Der Autor macht weitere fatale Auswirkungen von Kolonialismus deutlich, wie z.B. (vgl. Kerner 2012, 45-46):

1. Die eingeborenen Gesellschaftsformen wurden zerstört.
2. Die Einheimischen wurden instrumentalisiert und Hass wurde unter ihnen verbreitet.
3. Die Abwesenheit eines Rechtsstaats hat zu Willkür und Machtausübung geführt.

Im lateinamerikanischen Zusammenhang ist Mignolo einer der wichtigsten lateinamerikanischer Denker, der sich des kritischen Verständnisses Lateinamerikas mit anderen Denkern im Projekt Modernidad/Colonialidad (Modernität/Kolonialisierung) widmet. Mignolo stellt fest, es wäre die Grundidee des Projekts gewesen, Kolonialisierung als konstitutives Moment der Moderne zu verstehen und dafür zu sorgen, dass dieser Umstand in deren Selbstbeschreibungen nicht weiterhin verschwiegen worden wäre. Laut Mignolo hat „die Struktur der Herrschaft“ vier unterschiedliche Gesellschaftsbereiche (vgl. Kerner 2012, S. 91):

[...]


[1] Übersetzung: In Amerika war die Idee von „Rassen“ ein Weg, um die Machtverhältnisse der Eroberung zu legitimieren. Die spätere Konstitution von Europa, wie eine neue Identität nach Amerika und die Verbreitung des europäischen Kolonialismus über die ganze Welt, brachten das eurozentrische Wissen und die Naturalisierung von „Rassen“ zwischen Europäer*innen und Nicht-Europäer*innen.

[2] Orte, wo nur „Indios“ wohnen durften.

[3] originarios: gebürtig, stammend oder ursprünglich.

[4] Übersetzung: Woher kommen wir? Das Kastensystem im spanischen Königsreich

Ende der Leseprobe aus 121 Seiten

Details

Titel
Darstellung der Kolonialisierung in peruanischen Schulbüchern. Kritische Analyse aus einer antirassistischen postkolonialen lateinamerikanischen Perspektive
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
121
Katalognummer
V353572
ISBN (eBook)
9783668398887
ISBN (Buch)
9783668398894
Dateigröße
3073 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postkolonialismus, Peru, Schulbuch, Schulbuchanalyse, Bildanalyse, Antirassismus, Kastensystem, Südamerika, Lateinamerika, Geschichte, Pädagogik
Arbeit zitieren
Francis Cuellar (Autor:in), 2016, Darstellung der Kolonialisierung in peruanischen Schulbüchern. Kritische Analyse aus einer antirassistischen postkolonialen lateinamerikanischen Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353572

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