Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes. Ursachen und Motive


Magisterarbeit, 2015

167 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Forschungsstand
1.3 Methodologie
1.4 Quellen
1.5 Aufbau

2 Polens Aufstandstraditionen und Unabhängigkeitskämpfe

3 Die „polnische Frage“ im Zweiten Weltkrieg
3.1 Die Exilregierung
3.2 Die „Großen Drei“: Ziele der Alliierten im Zweiten Weltkrieg
3.3 Die polnisch-sowjetischen Beziehungen (Juni 1941-Juli 1944)
3.4 Die Konferenz von Teheran

4 Die polnische Widerstandsbewegung
4.1 Der Polnische Untergrundstaat und die Besatzungspolitik
4.2 Der militärische Widerstand
4.3 Der kommunistische Untergrund
4.4 Die Aufstandspläne bis Oktober
4.5 Handlungsfolgen der Diplomatie für den Widerstandskampf

5 Eine Aufstandsvariante: Die Aktion „Gewitter“
5.1 Ziele
5.2 Verlauf
5.3 Scheitern: Warschau tritt auf den Plan

6 Warschau als Kulminationspunkt des Unabhängigkeitskampfes
6.1 Debatte im Exil und die Interaktion mit dem Untergrund
6.2 Subjektive Wahrnehmung der militärischen Lage
6.3 Subjektive Wahrnehmung der politischen Lage
6.4 Entscheidungsfindung
6.5 Motive der Entscheidung
6.6 Die Ursachen des Ausbruchs: Eine handlungstheoretische Erklärung

7 Zusammenfassung

8 Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1 Archivbestände
8.2 Quellen
8.3 Literatur

1 Einleitung

1.1 Fragestellung

Der Warschauer Aufstand vom 1. August 1944 gehört zu den tragischsten Ereignissen der neuesten Geschichte Polens. Statt der erhofften Befreiung nach fast fünf Jahren deutschen Besatzungsterrors, folgte für die Stadt und ihre Bewohner ein erneutes Martyrium. Der Aufstand endete nach 63 Tagen erbitterter Kämpfe mit einer verheerenden Niederlage der Aufständischen um die polnische Untergrundarmee „Armia Krajowa“ (AK, deutsch: Heimatarmee) gegen die Einheiten der Wehrmacht und der SS, einer fast völligen Zerstörung der einstigen Metropole und dem Tod von circa 200.000 Menschen.[1] Der überwiegende Großteil von ihnen waren Zivilisten, gegen die die Deutschen mit äußerster Brutalität vorgingen und auch vor Massenexekutionen nicht zurückschreckten. Die Überlebenden haben sie nach der Kapitulation am 2. Oktober 1944 aus der Stadt vertrieben und viele von ihnen in die Konzentrationslager gebracht.[2] Die Führung der Heimatarmee hat bei ihrer Entscheidung zum Beginn der Kämpfe mit einem raschen Entsatz durch die Rote Armee gerechnet, die sich Ende Juli mit großen Schritten der Weichsel näherte. Doch der Plan ging nicht auf: Anders als erwartet zogen die Sowjets nicht direkt in den Kampf um die Stadt ein.[3] Auch die erhoffte Hilfe der Alliierten für die extrem schlecht ausgestatteten Aufständischen war unzureichend.[4] Trotz der langen Kämpfe war der Aufstand schon am ersten Tag vorentschieden, nachdem die AK zwar große Teile der Stadt in ihren Besitz, aber kein einziges strategisch wichtiges Ziel einnehmen konnte.[5] Die Niederlage der Erhebung versetzte dem polnischen Untergrund einen schweren Schlag, von dem er sich nicht mehr erholen sollte.

In der vorliegenden Arbeit sollen Motive und Ursachen, die zum Ausbruch des Warschauer Aufstandes geführt haben, herausgearbeitet werden. Das ist deswegen erklärungsbedürftig, weil die Entscheidung, unter gegebenen Umständen zur Waffe zu greifen, aus objektiver Sicht irrational erscheint: Das Ende der deutschen Besatzung in Warschau stand angesichts der Entwicklungen an der Ostfront unmittelbar bevor, die Aufständischen waren den deutschen Einheiten deutlich an Waffenmaterial unterlegen und die Einflusssphären in Europa waren bereits im Dezember 1943 auf der Konferenz in Teheran abgesteckt worden. Die Frage, warum dennoch die Entscheidung zum Kampf um die Stadt gefallen ist, steht im Mittelpunkt dieser Arbeit.

1.2 Forschungsstand

Der Warschauer Aufstand ist eines der am besten erforschten Themen der polnischen Zeitgeschichte. Die Kontroversen, die sich um den Warschauer Aufstand ranken, hatten zu Folge, dass die Literatur zu den verschiedensten Aspekten dieses Ereignisses im Laufe der Jahrzehnte fast unüberschaubar wurde.[6] Die Ausmaße der Warschauer Katastrophe führten bereits bei den Zeitgenossen zu lebhaften Debatten um den Aufstand, vor allem um die Frage nach dem Sinn des Unterfangens, das so große Opfer mit sich brachte, und führte vor dem Hintergrund der Katastrophe zwangsläufig zu der Suche nach den Gründen für das Scheitern des Aufstandes, die bis heute im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht und auch in der Publizistik noch über 70 Jahre später zu lebhaften Diskussionen führt.[7] Weil der Warschauer Aufstand erstens zu einem Politikum und zweitens die Publikationen darüber zum großen Teil von unmittelbar beteiligten Personen, wie Offizieren beziehungsweise Soldaten der Heimatarmee oder ehemaligen Mitgliedern des Untergrundstaates beziehungsweise der Exilkräfte, verfasst wurden, handelte es sich dabei nicht immer um sachlich ausgewogene Analysen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufstand im kommunistischen Polen und vor allem während der stalinistischen Zeit, als der Unterdrückungsapparat ehemalige Mitglieder der Anfang 1945 aufgelösten Heimatarmee als Feinde der Volksrepublik definierte und rücksichtlos verfolgte[8], zu einem im öffentlichen Raum tabuisierten Ereignis wurde.[9] Erst nach 1956 konnte der Aufstand in Polen unter Einschränkungen wissenschaftlich diskutiert werden. Während bei den frühen Publikationen im Londoner Exil, wo sich ein großer Teil der politischen Gegner des kommunistischen Regimes befand, überwiegend eine die Entscheidung zum Aufstand verteidigende Stellung bezogen wurde[10], dominierte im Lande aufgrund der politischen Verhältnisse eine mehr kritische Sichtweise, da dort der Aufstand als politisch gegen die Sowjetunion gerichtet galt. Zu den Klassikern dieser Zeit gehören die ausführlichen Monographien von Adam Borkiewicz, der sich weitgehend auf eine detailliere und nüchterne Analyse der militärischen Ereignisse beschränkte und das Politische nur streifte, sowie von Jerzy Kirchmayer, der das Heldentum der Zivilisten und der Soldaten anerkannte, aber gnadenlos mit der militärischen Führung der Heimatarmee abrechnete.[11] Die erste ausführliche Analyse der politischen Ursachen des Warschauer Aufstandes im Exil, die mehrmals neuaufgelegt wurde und bis heute das zentrale Werk zu diesem Thema im Bezug auf die diplomatischen Rahmenbedingungen bleibt, ist die 1971 als Dissertation an der London School of Economics vorgelegte Veröffentlichung des Aufständischen Jan Ciechanowski, der als einer der ersten im Ausland lebenden Historikern mit der im Exil dominierenden Glorifizierung des Aufstandes brach.[12] Die Publikation generierte zu diesem Zeitpunkt aus zwei Gründen einen großen Mehrwert: Erstens, weil Ciechanowski einen unbeschränkten Zugang zu den Archiven des ehemaligen Polnischen Untergrundstaates und der Exilkräfte in London bekam und zweitens, weil er für seine Arbeit viele relevante Zeitzeugen[13] befragte, was zusammengenommen viel hintergründigere Analysen der Entstehungsgeschichte des Warschauer Aufstandes ermöglichte.[14] Auch ein anderer Aufständischer, Janusz Kazimierz Zawodny, der in den USA als Politologe und Historiker wissenschaftliche Karriere machte, trug mit seinen Interviews zur Verbesserung der Quellenlage bei.[15] In der Volksrepublik Polen kam Aleksander Skarżyński 1964 in seiner später mehrmals neuaufgelegten Dissertation zu den politischen Ursachen des Warschauer Aufstandes, auf die sich auch Ciechanowski in seiner Arbeit bezog, zu etwas anderen Schlussfolgerungen. Während Ciechanowski das Desaster einzig und allein der polnischen Seite zur Last legt, sieht Skarżyński die Schuld auch auf der Seite der Westmächte, da diese die polnische Exilregierung als „Spielball um die Macht“ zwischen den Westmächten und der Sowjetunion behandelt haben sollen.[16] Die insgesamt gut argumentierte Arbeit Skarżyńskis hat jedoch den großen Nachteil, dass der Autor keinen Zugang zu britischen oder sowjetischen Archiven hatte. Noch einen Schritt weiter als Skarżyński geht in seiner Argumentation der britische[17] Historiker Norman Davies, der in seinem Werk aus dem Jahr 2003 die angebliche Krise im Lager der Alliierten im Jahr 1944 für das Scheitern des Warschauer Aufstandes verantwortlich machte.[18] Insgesamt wurde dem Thema außerhalb der polnischen Forschung aber nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.[19] Aufgrund seines reichen Quellenmaterials wird das Werk des Franzosen Jean - François Steiner stark rezipiert.[20] In Deutschland ist nach wie vor das vor über 50 Jahren erstmals veröffentlichte Werk von Hans von Krannhals das Maß der Dinge.[21] Allerdings schlossen drei später publizierte Sammelbände die Lücke zum aktuellen Forschungsstand.[22]

Nach der Wende 1989 kam es in Polen zu einer Flut von Publikationen zum Themenkomplex Warschauer Aufstand. Das hing vor allem damit zusammen, dass die kontroverse Rolle der Sowjetunion beim Scheitern des Warschauer Aufstandes unbekümmert diskutiert werden konnte und damit das größte Forschungsinteresse generierte.[23] Die Debatte um die Schuldträger für die Katastrophe von 1944 wurde damit neu entfacht. Auch zum 70-jährigen Gedenktag im Jahr 2014 entstanden neue Monographien, die sich ganzheitlich, unter Einbezug politischer Begleitumstände der Erhebung mit dem Thema auseinandersetzten, wobei immer noch der Fokus auf die die Kampfhandlungen selbst gelegt wird.[24] Darin kam die polnische Forschung fast übereinstimmend zu dem Schluss, dass der Aufstand eine schlecht vorbereitete und durchgeführte militärische Aktion war. Verhältnismäßig nimmt allerdings in den vergangenen Jahren die Anzahl mikrohistorischer Publikationen zu, die Einzelschicksale der Kämpfer und der Warschauer Bevölkerung beziehungsweise ihrer Gruppen wie der Frauen[25] oder der Kinder[26] beleuchten. Während nur noch vereinzelt Monographien zum militärischen Gesamtverlauf des Aufstandes veröffentlicht werden, konzentriert sich die Forschung immer stärker auf Untersuchungen zu einzelnen Stadtteilen oder Kampfeinheiten.[27] Zur Debatte um die Sinnhaftigkeit des Warschauer Aufstandes tragen auch populärwissenschaftliche, zum Teil sehr polemische Publikationen bei, die aufgrund einer mitunter erheblichen Reichweite ihrer Rezeption nicht ganz außer Acht gelassen werden können.[28]

1.3 Methodologie

Ein Großteil der Arbeiten zum Warschauer Aufstand nimmt eine stark wertende Position ein, um vor dem Hintergrund des Wissens um den Ausgang und die Konsequenzen des Aufstandes die „Schuldigen“ für die Katastrophe festzumachen. Bei einigen von ihnen handelt es sich um Scheinerklärungen und es werden Hypothesen aufgestellt, die entweder keiner Überprüfung unterzogen werden oder nichtüberprüfbar beziehungsweise tautologisch sind. Die immer wieder unreflektiert unterstellte Annahme, dass sich die Urheber des Aufstandes der tatsächlich zugetragenen Konsequenzen eines Kampfes um Warschau hätten bewusst sein müssen, womit von der unrealistischen Annahme allwissender Akteure ausgegangen wird, kann für die Suche nach einer Erklärung der Ursachen und Motive für den Ausbruch des Warschauer Aufstandes keine Erkenntnisse liefern. Mit dieser Annahme werden nämlich Handlungsalternativen nicht wie unter realen Bedingungen, sprich wie eine Entscheidung unter Unsicherheit beziehungsweise Risiko, sondern mit der Unterstellung eines sicheren Ausgangs von den Akteuren ausgewählt und vom Forscher bewertet. Immer wieder werden dadurch kontrafaktisch Empfehlungen abgegeben, was die Akteure zur gegebenen Situation hätten machen müssen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, sprich den Warschauer Aufstand beziehungsweise die Unabhängigkeit zu gewinnen.

Soll die Fragestellung dieser Arbeit beantwortet werden, müssen Bedingungen geschaffen werden, die die tatsächlichen Handlungsmuster möglichst gut simulieren. Dazu sind einige methodologische Erweiterungen nötig. Die Handlungen der Akteure dürfen nur vor dem Hintergrund des Wissens, das sie zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung besaßen, bewertet werden und dabei Restriktionen berücksichtigen, die ihre Handlungsfreiheit einschränkten. Es geht dabei also um die „Rekonstruktion der subjektiven Wahrnehmungen“[29]. Sie muss dabei im Zusammenhang mit der Kollektivebene stehen, um institutionelle, rechtliche oder kulturelle Rahmenbedingungen für das Handeln der Individuen zu berücksichtigen. Um schließlich den Warschauer Aufstand als kollektives Phänomen zu erklären und wieder auf der Makroebene zu verorten, muss dieses über den Zwischenschritt der Individualebene mikrofundiert werden.

Die Herstellung der Beziehungen zwischen der Makro- und der Mikroebene können Handlungstheorien leisten.[30] Weil es bei der Analyse der Ursachen und Motive des Ausbruchs des Warschauer Aufstandes zwangsläufig um die Verknüpfung zwischen dem Handeln der Akteure und der Rationalität ihres Verhaltens geht, eignet sich für die Analyse der Rational-Choice-Ansatz als Handlungsregel besonders gut, da darin die Idee der „wechselseitigen Verknüpfung von sozialen Strukturen und individuellen Handlungswahlen“[31] verwirklicht wird. Damit stellen kollektive Phänomene „sowohl die Rahmenbedingungen als auch das Ergebnis individueller Handlungswahlen dar“[32]. Für den Soziologen Hartmut Esser ist von einer rationalen Logik „immer dann die Rede, wenn der Akteur bei seinen Selektionen für die Gewichtung der möglichen Alternativen nach seinen Zielen und Erwartungen eine bestimmte Regel anwendet: die Maximierung der Nutzenerwartung.“[33] Die Zweckrationalität des Handelns macht demnach „der subjektive Sinn zusammenhang zwischen Zielen, Mitteln und dem Handeln“[34] aus.

Der gewählte Weg der Untersuchung lehnt sich an den „Methodologischen Individualismus“[35] als „Konzept der Erklärung kollektiver Sachverhalte unter Rückgriff auf das durch Situationen strukturierte Handeln von individuellen Akteuren“[36] an. Dabei wird ein strukturindividualistisches Interpretationsmuster verwendet, das auf James Coleman zurückgeht und auch von Esser aufgegriffen wurde. Es besteht aus drei Schritten: der „Logik der Situation“, der „Logik der Selektion“ und der „Logik der Aggregation“.[37] Bei dem ersten Schritt, der auf der Makroebene stattfindet, geht es um die Rekonstruktion der sozialen Situation, in der sich die Akteure befinden. Dabei wird ein Bezug zwischen der sozialen Situation und dem Akteur hergestellt. Dazu müssen die typischen Merkmale und Beziehungen der Akteure untereinander angegeben werden, darunter die verfügbaren Handlungsoptionen, Präferenzen und Restriktionen, wobei unter Präferenzen „Wünsche und Ziele des Entscheidungsträgers“[38] und unter Restriktionen „Beschränkungen des Handlungsspielraumes, denen sich das Individuum bei der Verfolgung seiner Ziele gegenübersteht“[39], verstanden wird. Für diese Arbeit würde es bedeuten, die Konstellationen zwischen den für den Ausbruch des Warschauer Aufstandes direkt oder indirekt beteiligten Akteuren zu beschreiben und zu analysieren, welche Konsequenzen und Restriktionen sich daraus für den polnischen Akteur als den Urheber des Aufstandes ergaben. Dabei müssen „die für den Akteur objektiv gegebenen, d.h. von ihm selbst nicht beeinflussbaren Situationsmomente wie ökonomische Ressourcen, soziale Erwartungen der Umgebung oder auch kulturelle Wahrnehmungs- und Deutungsmuster berücksichtigt werden“[40], die den Spielraum möglicher Handlungen einschränken. Diese Faktoren determinieren nicht aus sich heraus das Handeln des Akteurs, sondern müssen vom Handelnden erst interpretiert werden „und nur seine eigene Situationsdeutung, seine subjektive Definition der Situation, erklärt seine Handlungswahl. Der Historiker muss also diese subjektive Situationswahrnehmung entschlüsseln.“[41] Es geht dabei um „plausible Annahmen darüber, wie die Makrowelt auf die individuelle Situationswahrnehmung durch das Individuum und damit auf das individuelle Handeln wirkt“[42].

Beim zweiten Schritt der Analyse, der „Logik der Selektion“, der auf der Mikroebene stattfindet, werden explizit Regeln benannt, nach denen die Akteure ihr Handeln ausrichten. Das ist im vorliegenden Fall die Annahme des rationalen Handelns gemäß der Rational-Choice-Theorie. Die Akteure werden also gemäß der subjektiven, situations- und kontextspezifisch wirkenden Rationalität diejenige Alternative aus einem Set der Alternativen auswählen, von der sie sich den größtmöglichen subjektiven Nutzen versprechen.[43] Die Wahl ist dann als rational zu bewerten, „wenn der Handelnde aus allen Mitteln innerhalb seiner Reichweite das für die Realisierung des beabsichtigten Zwecks angemessenste Mittel wählt“[44]. Dieser Zweck, nach dem die Mittel des Handelns ausgewählt werden, wird durch die Auswertung der Quellen konstruiert. Für den polnischen Akteur wäre beispielsweise die Annahme der Wiederherstellung der Unabhängigkeit oder die Wahrung territorialer Integrität plausibel.

Der dritte Schritt, die „Logik der Aggregation“, ist wieder auf der Makroebene zu finden, wobei dort zu zeigen ist, „wie die relevante Menge an individuellen Handlungsentscheidungen und Handlungen das kollektive Explanandum in der Interaktion verursacht hat“[45]. Da es sich dabei um ein empirisches Problem handelt, muss dieses kollektive Explanandum aus dem spezifischen historischen Kontext heraus rekonstruiert werden.[46]

Die Analyse soll nicht unter der klassischen und mittlerweile zumindest im sozialwissenschaftlichen Kontext veralteten Annahme eines homo oeconomicus, sondern des RREEMM-Modells[47] erfolgen, das auch „nicht-materielle Interessen, altruistische Handlungen, der Einfluss sozialer Strukturen (Institutionen, sozialer Kontext, Netzwerke, Sozialkapital) auf die Handlungsbedingungen und die häufig nichtintendierten, aggregierten Handlungsfolgen“[48] mitberücksichtigt. Im Gegensatz zum homo oeconomicus verfügt ein RREEMM über ein Ressourcenbündel, das er einsetzen kann und „das verschiedenste Ressourcen wie Güter, Wissen und Erfahrung, Kreativität und Kontakte, Zeit und Kraft umfaßt. Mit Hilfe eines Einsatzes seiner Ressourcen versucht er, [...] seine Ziele zu erreichen.“[49]

Von der Rational-Choice-Theorie ausgehend werden folgende Anforderungen an die Akteure gesetzt: Sie verfügen über Ressourcen, die sie für ihre Ziele einsetzen können, haben Präferenzen und können mindestens zwischen zwei Alternativen wählen, um ihre Ziele bestmöglich zu erreichen, wobei Akteure statt über Ressourcen zu verfügen, wie bereits weiter oben ausgeführt, auch Restriktionen unterliegen können, die sie in ihrer Handlungsfreiheit beschränken.[50] Ressourcen können dabei „alle möglichen materiellen und immateriellen Dinge, aber auch gewisse Ereignisse, Zustände, Eigenschaften und Leistungen sein, an denen ein Akteur Interesse findet und die er unter Kontrolle haben oder bekommen kann“[51] sein. Ein Ziel sei gemäß dieser Vorgehensweise „eine Ressource, an der ein Akteur Interesse hat, sie aber nicht kontrolliert, und ein Mittel ist eine Ressource, die ein Akteur kontrolliert und die für die Erreichung des Zieles effizient ist.“[52] Es gilt also bei dem Einsatz der Ressourcen, „mit den kontrollierten Ressourcen möglichst viel an interessanten Ressourcen unter Kontrolle zu bringen, und dabei möglichst wenig aufzugeben, was selbst interessiert.“[53] In der Regel sollten Verhaltensänderungen über Änderungen der Restriktionen beziehungsweise Ressourcen, statt der Ziele erklärt werden, um keine Scheinerklärungen zu generieren[54], also im vorliegenden Fall beispielsweise durch eine veränderte internationale Konstellation.

1.4 Quellen

Die zentralen Quellen, die aus der Geschäftstätigkeit des polnischen Untergrundes und ihrer übergeordneten Instanzen im Exil hervorgegangen waren, sind erhalten geblieben. Einen kaum zu überschätzenden Beitrag bei der Sammlung dieser Dokumente haben zwei Institutionen in London geleistet: Das 1945 gegründete Historische Sikorski-Institut[55] (polnisch: Instytut Historyczny im. Generała Sikorskiego) und das Studium des Untergrundpolens (polnisch: Studium Polski Podziemnej, SPP).[56] Zusammengenommen verfügen das Sikorski-Institut und das SPP über knapp 1000 Meter Akten, zu denen Dokumente aus dem Geschäftsverkehr der polnischen Exilregierung in London, des Oberbefehlshabers der Polnischen Streitkräfte und seines Stabes sowie dem Schriftverkehr der Vertreter des polnischen Untergrundstaates gehören und zum großen Teil online zugänglich sind. Von historisch sehr großem Wert sind auch die Bestände des Józef-Piłsudski-Instituts in New York, die neben der Sammlung vieler Privatarchive von öffentlichen Personen grundlegende Dokumente zum Geschäftsgang der Exilkräfte auch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs beinhalten. Auch sie sind zum großen Teil online zugänglich. Das SPP brachte zudem in den Jahren 1970 bis 1989 eine sechsbändige Quellensammlung zum Thema Heimatarmee und Untergrundstaat heraus.[57] Bereits in den 1950er Jahren ist ein vom „Sikorski-Institut“ und der Historischen Kommission des ehemaligen Hauptstabes der AK ein dreibändiges Werk zu den Polnischen Streitkräften im Zweiten Weltkrieg erschienen. Für diese Arbeit ist insbesondere Band 3 von Bedeutung.[58] Weil es sich beim letzteren nicht um eine Quellensammlung im herkömmlichen Sinne handelt, sondern eher um eine Abhandlung, die Quellen zitiert und sich kommentierend auf diese bezieht, ist das Werk von seinen Kritikern als nicht objektiv eingestuft worden.[59] Doch gerade dieser vermeintliche Nachteil ist im Rahmen dieser Arbeit als Vorteil auszulegen, weil sie gemäß der gewählten Methodik Einblicke in die subjektive Betrachtung der im Zusammenhang mit den zitierten Quellen stehenden Ereignissen gewähren kann. Weil keine zeitgenössischen Quellen von den Besprechungen in der Hauptkommandantur der Heimatarmee vom Sommer 1944 bestehen, werden für diese Arbeit ergänzend Memoiren und anders schriftlich festgehaltene Erinnerungen der beteiligten Personen zusammen mit den weiter oben genannten Interviews für die Rekonstruktion der subjektiven Wahrnehmung herangezogen. Allerdings müssen diese Quellen mit besonders großer Vorsicht behandelt werden, weil sie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst wurden und somit eine Interpretation der Ereignisse geben, die die Kenntnisse der katastrophalen Folgen für Warschau durch die Entscheidung für den Aufstand beinhalten, sodass die dort geschilderten Motive für den Ausbruch der Erhebung nicht mit den tatsächlichen übereinstimmen müssen. Der Schwierigkeitsgrad wird dadurch gesteigert, dass von einigen zentralen Personen wie dem Oberbefehlshaber der Polnischen Streitkräfte der fraglichen Zeit, Kazimierz Sosnkowski, oder dem letzten Befehlshaber der Heimatarmee, Leopold Okulicki, fast keine Erinnerungen oder Aussagen zum Thema Warschauer Aufstand existieren.[60] Für einen tieferen Einblick in die diplomatischen Rahmenbedingungen des Warschauer Aufstandes haben sich hingegen die Dokumente des Auswärtigen Amtes der USA[61] und Großbritanniens[62] sowie der Briefwechsel zwischen den Staatschefs der Alliierten[63] als nützlich erweisen. Für die polnisch-sowjetischen Beziehungen enthält ein vom Sikorski-Institut in London herausgegebener zweiteiliger Quellenband viele wichtige Dokumente.[64]

1.5 Aufbau

Die Arbeit beginnt im Kapitel 2 mit einer geschichtlich-kulturellen Einordnung des polnischen Widerstandes sowie seiner Wirkung und der Handlungsrelevanz in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und damit auch für den Warschauer Aufstand. Die Ursachen seines Ausbruchs können nicht ohne die Kenntnis der internationalen Beziehungen dieser Zeit verstanden werden. Aus diesem Grund werden im Kapitel 3 gemäß der eingangs vorgestellten Methodik die entscheidenden Akteure ausgemacht und ihre Ziele herausgearbeitet genauso wie die Restriktionen, denen sie unterlagen. Dabei wird die Stellung der polnischen Exilregierung innerhalb der Anti-Hitler-Koalition analysiert und die Konsequenzen, die sich für den Widerstand ergaben. Eine wichtige Restriktion für den polnischen Akteur stellten die polnisch-sowjetischen Beziehungen dar, deren Status sich während des Krieges mehrmals veränderte. Ein wichtiges Ereignis war die Konferenz in Teheran, bei der die Staatschefs der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion über die Nachkriegsordnung Europas debattierten und das Schicksal Polens vorbestimmten.

Im Kapitel 4 wird die polnische Widerstandsbewegung vorgestellt, die militärischen und zivilen Widerstand gegen den deutschen und bis Juni 1941 auch sowjetischen Okkupanten im besetzten Polen leistete. In diesem Zusammenhang interessiert auch, ob und inwiefern die Ziele zwischen dem Exil und dem Untergrund differierten und sie sich gegenseitig die Handlungsfreiheit einschränkten. Die ersten Aufstandspläne geben einen Einblick darüber, wie sich der militärische Widerstand den bewaffneten Kampf vorstellte und welche Faktoren das Konzept in seiner frühen Phase beeinflussten. Dabei müssen auch die Beziehungen zum kommunistischen Untergrund berücksichtigt werden.

Die Aktion „Gewitter“, die Thema des Kapitels 5 ist, determinierte als Folge der fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung und der Sowjetunion die Form des bewaffneten Widerstandskampfes, der eine Steigerung gegenüber den bis dahin betriebenen Sabotage- und Diversionsmaßnahmen bedeutete und während ihres Verlaufes immer intensivere Formen annahm. Die Evolution vom begrenzten Kampf in der ersten Phase des Krieges über die Aktion „Gewitter“ bis hin zum Warschauer Aufstand bildet einen Teil der „Logik der Aggregation“ dieser Arbeit. Polens Hauptstadt wird damit in der vorliegenden Untersuchung als Kulminationspunkt dieser Widerstandstätigkeiten und der Aufstand als Kumulierung der individuellen Entscheidungen der einzelnen Akteure verstanden.

Im Kapitel 6 soll der letzte Schritt der Evolution des bewaffneten Widerstandskampfes der Heimatarmee unter die Lupe genommen werden und die genauen Umstände und Hintergründe herausgearbeitet werden, die zur Entscheidung geführt haben, Kämpfe in Warschau auszutragen. Dazu muss zunächst geklärt werden, auf welcher Wissensgrundlage die Akteure ihre Entscheidungen getroffen und wie sie die Situation interpretiert haben. Über die Interaktion zwischen dem polnischen Untergrund und dem Exil in London kann herausgearbeitet werden, welche Handlungsoptionen in der zweiten Hälfte Julis 1944 diskutiert wurden, auch bezüglich des Umfangs der geplanten Kämpfe. Anschließend soll der Verlauf der Entscheidungsfindung rekonstruiert und auf dessen Grundlage die Motive für den Ausbruch des Warschauer Aufstandes dargelegt werden. Den letzten Schritt der Analyse bildet die Einbettung in das handlungstheoretische Erklärungsmodell. Im Kapitel 7 werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst.

2 Polens Aufstandstraditionen und Unabhängigkeitskämpfe

Der Warschauer Aufstand 1944 war nicht die erste Auflehnung Polens gegen eine Fremdherrschaft, sondern stand in einer langen Tradition von Erhebungen, in denen das polnische Volk seine Eigenständigkeit und sein Streben nach der Unabhängigkeit durch bewaffneten Widerstand manifestierte. Sie prägen bis heute noch die Erinnerungskultur Polens: Die seit 1927 gültige Nationalhymne nimmt Bezug auf dieses Erbe, wo es in der ersten Strophe heißt: „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben. Was uns die fremde Macht entrissen hat, werden wir uns mit dem Schwert zurückholen.“[65] Die Traditionslinie der polnischen Aufstände und Unabhängigkeitsbestrebungen beginnt Ende des 18. Jahrhunderts als Preußen, Russland und Österreich das einst mächtige Königreich durch drei Teilungen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 von der politischen Landkarte Europas tilgten.[66] Der nach seinem Anführer Tadeusz Kościuszko, einem Helden des amerikanischen Bürgerkrieges, benannte Aufstand von 1794 als Reaktion auf die zweite Teilung war in diesem Zusammenhang der erste Versuch, die Massen für einen polnischen Freiheitskampf zu mobilisieren. Fortgesetzt wurden diese Traditionen in den Aufständen der Jahre 1830, 1846/48 und 1863.[67] Bei der letzteren Erhebung schafften es die Aufständischen sogar, Untergrundstrukturen zu schaffen, die dem eines Staates ähnelten und beispielsweise die Eintreibung von Steuern erlaubten.[68] Obwohl all diese Aufstände scheiterten, wirkten sie über das kulturelle beziehungsweise kommunikative Gedächtnis bis in die Phase neuerlicher Kämpfe um die Unabhängigkeit im frühen 20. Jahrhundert hinein und prägten über die Literatur und andere Kanäle das polnische Nationalbewusstsein jener Zeit.[69] Die Stunde der Befreiung nach einer 123-jährigen Fremdherrschaft sollte 1918 schlagen, als die Polen aufgrund der für sie günstigen Entwicklungen im Ersten Weltkrieg, der die Schwächung beziehungsweise den Zusammenbruch aller drei Teilungsmächte bedeutete, die Wiedergeburt ihres unabhängigen Staates feiern konnten. Doch der junge Staat musste sich noch seine Grenzen im Osten erkämpfen, weil deren Verlauf auf der Pariser Friedenskonferenz nicht endgültig festgelegt werden konnte.[70] Dabei wurde Warschau wie schon 1830 und 1863 erneut zum Schauplatz eines Unabhängigkeitskampfes gegen die Russen, nachdem die polnische Armee im Zuge des polnisch-sowjetischen Krieges bis vor die Tore ihrer Hauptstadt zurückgedrängt worden ist und sich der junge Staat in seiner Existenz bedroht fühlen musste. Die gewonnene Schlacht im August 1920 ging als „Wunder an der Weichsel“ in die Geschichte ein[71], „der Krieg von 1920 wurde zum Gründungsmythos der Republik“[72] und der Antikommunismus ihr verbindendes Element. Die militärischen Erfolge Polens untermauerten die Position von Marschall Józef Piłsudski als einflussreichste Person im Staat – auch wenn er nur zwischenzeitlich politische Ämter wahrnahm. Er war die Leitfigur der „Legionäre“, bestehend aus Offizieren, die in der von ihm im Ersten Weltkrieg angeführten „Ersten Brigade der Polnischen Legionen“ zunächst an der Seite der Mittelmächte um Polens Wiedergeburt kämpften, aus der eine „Legende [entstand], die die politische Kultur und auch die Politik der späteren Republik prägen sollte“[73]. Im Jahr 1918 waren viele von ihnen als Soldaten der „Polnischen Militärorganisation“ (polnisch: Polska Organizacja Wojskowa, POW), einer militärischen Geheimorganisation innerhalb der Legionen-Strukturen, an der Entwaffnung kriegsmüder deutscher Soldaten in der Provinz Posen beteiligt. Die „Legionäre“ hielten als Gruppe zusammen und „verstanden sich als Elite des Volkes“[74]. Nach Piłsudskis Putsch im Mai 1926 kam es zwar innerhalb dieser Gruppe zu einer Spaltung, nachdem sich einige seiner ehemaligen Weggefährten, wie der spätere Regierungschef im Exil Władysław Sikorski, auf die Seite der rechtmäßigen Regierung gestellt hatten. Doch blieben die Piłsudski-Anhänger auch in der Zeit des autoritären „Sanacja-Regimes“ (1926-39), während der die Opposition gnadenlos verfolgt wurde, Träger der polnischen Staatlichkeit. Als Polen im September 1939 vor den deutlich überlegenden deutschen und sowjetischen Armeen kapitulieren mussten, tauchten viele dieser Offiziere im Untergrund unter und begannen sofort mit der Bildung von konspirativen Strukturen, die auf einen erneuten Kampf gegen die Fremdherrschaft vorbereiten sollte. Polens bewaffneter und ziviler Widerstand gegen die Okkupanten im Zweiten Weltkrieg war damit eine logische Folge der nationalen Tradition und der Biographien ihrer Verfechter. Diejenigen Politiker und Militärs, denen die Flucht in den Westen gelang, begannen wiederum, im Exil die Fortführung der Existenz des polnischen Staates vorzubereiten. Die „polnische Frage“ beschäftigte wie schon im 19. Jahrhundert erneut die Akteure auf der diplomatischen Bühne.

3 Die „polnische Frage“ im Zweiten Weltkrieg

3.1 Die Exilregierung

3.1.1 Entstehung und Struktur

Die Bündnispolitik der „Zweiten Republik“ hat Polen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 nicht vor dem erneuten Verlust seiner Unabhängigkeit bewahrt. Die Kriegserklärungen der Verbündeten Großbritannien und Frankreich an Deutschland am 3. September haben keine reale militärische Unterstützung für das Land in seinem einsamen Kampf gegen die den polnischen Streitkräften deutlich überlegene Wehrmacht im Westen und die Rote Armee im Osten nach sich gezogen. So konnten die beiden Aggressoren nach der Kapitulation Warschaus am 28. September 1939 gemäß dem Geheimprotokoll im deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 die vierte Teilung Polens vollziehen.[75] Doch haben Polens Bündnispartner die Fortexistenz des geschlagenen Staates im Exil ermöglicht. Ein solches Manöver war sogar durch die Aprilverfassung von 1935 vorgesehen, die das Vorgehen im Kriegsfall regelte.[76] Allerdings waren die höchsten staatlichen Würdenträger nach ihrer Flucht aus Polen nicht in der Lage, ihre Ämter wahrzunehmen: Nachdem Oberbefehlshaber Edward Śmigły-Rydz, Staatspräsident Ignacy Mościcki und die Regierung in der Nacht vom 17. auf den 18. September die Grenze zum verbündeten Rumänien überschritten hatten, wurden sie dort auf Druck der Deutschen interniert und waren somit nicht handlungsfähig.[77] Auf Grundlage der Artikel 13 und 24 der Verfassung übertrug Mościcki deshalb sein Amt am 30. September 1939 an einen seiner Vertrauten, Władysław Raczkiewicz.[78] Dieser ernannte am 1. Oktober in Paris General Władysław Sikorski zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Bildung des Kabinetts.[79] Damit war die institutionelle Kontinuität der „Zweiten Republik“ auch nach dem militärischen Untergang Polens völkerrechtlich gesichert. Die Regierung wurde sofort sowohl von Frankreich als auch von Großbritannien und den Verbündeten dieser beiden Mächte als legale Vertretung des polnischen Staates anerkannt.

Diese Kontinuität ging aber mit einem fast vollständigen Elitenwechsel einher. Sikorski distanzierte sich nach seiner Amtsübernahme als Premierminister gleich von seinen Vorgängern, die er als „system of irresponsible Governments“[80] bezeichnete. Die ehemaligen Vertreter des Sanacja-Regimes waren demzufolge in Frankreich stark marginalisiert. Ihr einziger starker Mann in der Exilregierung war der in der Armee hochangesehene General Kazimierz Sosnkowski, der zudem von dem Leukämiekranken Raczkiewicz zu seinem Nachfolger designiert wurde. Raczkiewicz hatte sich zwar nach 1926 ebenfalls dem Sanacja-Regime gefügt, doch verzichtete er im Rahmen der sogenannten „Pariser Vereinbarungen“ zugunsten der Regierung auf seine starken exekutiven Rechte, die sich aus der Aprilverfassung ergaben, und hatte dadurch nur geringen Einfluss auf die laufende Politik. Somit waren die Vertreter der ab 1926 oppositionellen Sozialisten (Polnische Sozialistische Partei, polnisch: Polska Partia Socjalistyczna, PPS), Christdemokraten (Partei der Arbeit, polnisch: Stronnictwo Pracy, SP), Nationaldemokraten (Nationalpartei, polnisch: Stronnictwo Narodowe, SN) und der Bauernpartei (polnisch: Stronnictwo Ludowe, SL) in der Sikorski-Regierung tonangebend, die „eine Bevorzugung der Zentrums- und Rechtsparteien [aufwies], durch die die politische Linke majorisiert wurde“[81]. In dem als Ersatzparlament gedachten 19-köpfigen Nationalrat (polnisch: Rada Narodowa) tagten ausschließlich Vertreter dieser vier Parteien. Damit bleibt festzuhalten, dass die Exilregierung über die Verfassung zwar rechtlich eine Erbin der „Zweiten Republik“ war, jedoch ihre Zusammensetzung einen Bruch mit dem autoritären Regime der Jahre 1926 bis 1939 darstellte.

Kurz vor der Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940 siedelte die Exilregierung vom französischen Angers, wo sie seit Mitte November 1939 tätig war, nach London über. Nach dem Tod Sikorskis bei einem Flugzeugabsturz am 4. Juli 1943 übernahm der Führer der Bauernpartei, Stanisław Mikołajczyk, bis zu seinem Rücktritt am 10. Oktober 1944 das Amt des Premierministers.

3.1.2 Ziele

Am 28. November 1939 definierte die polnische Regierung ihre Ziele.[82] Als ihre Hauptaufgabe im Krieg bezeichnete sie:

„[...] die Befreiung der Gebiete der Republik [Rzeczpospolita] von der feindlichen Okkupation durch eine größtmögliche Beteiligung am Krieg und, neben einem freien und breiten Zugang zum Meer, solche Grenzen für Polen herzustellen, die Sicherheit gewährleisten.“[83]

Dieser Kampf sollte als Verbündeter der Westmächte geführt werden, „auf Basis voller staatlicher Gleichberechtigung [...] sowie enger Zusammenarbeit und Verständigung, sowohl bei der Kriegsführung und bei der Festlegung der Ziele des Krieges als auch beim Friedensschluss“[84]. Für die Staatenordnung im ostmitteleuropäischen Raum strebte Polen eine Konföderation slawischer Länder an, die „auch baltischen Staaten einen Rückhalt gibt sowie den Drang Deutschlands nach Osten abwehrt und Deutschland von Russland abtrennt.“[85] Der künftige polnische Staat soll auf demokratisch-liberalen Grundlagen und nicht mehr auf dem Kult des Individuums aufgebaut sein.[86] Der Ministerrat hatte bereits am 6. Oktober in einem Aufruf versichert, dass es sein Ziel für die Kriegszeit sein wird, „ein großes und starkes Polen wiederaufzubauen, das für alle seine Bürger auch gerecht sein wird“[87]. Hinsichtlich der Grenzen fällt hier auf, dass die polnische Regierung von Anfang an den Standpunkt vertrat, dass Polen auf Kosten Deutschlands für dessen Aggression entschädigt werden sollte – nur dadurch war der geforderte breite Zugang zum Meer möglich – und die Verschiebung der Grenzen im Westen nicht, wie es später praktiziert worden ist, als Ausgleich für die Gebietsverluste im Osten an die Sowjetunion gedacht war. Die polnische Exilregierung ging ohnehin von der Unantastbarkeit der Ostgrenze Polens aus.[88] Von den regierungsbildenden Parteien bekräftigte unter anderem die PPS, dass „die polnisch-sowjetische Vorkriegsgrenze [...] keinerlei Verschiebungen nach Osten bedarf und keinerlei Verschiebungen nach Westen erlaubt“[89]. Diese Betonung resultierte aus der Annektierung polnischer Ostgebiete durch die Sowjetunion nach deren Aggression im September 1939, womit sie die Bestimmungen des Friedensvertrags von Riga verletzte.[90] Dort war am 18. März 1921 die polnisch-sowjetische Grenze festgelegt worden.[91] Sie verlief zwar deutlich weiter westlich als die Grenze des Königreichs Polen-Litauen vor der ersten Teilung im Jahr 1772, aber 150 Kilometer weiter östlich im Vergleich zu der von den Entente-Mächten ausgearbeiteten und insbesondere von den Briten bevorzugten „Curzon-Linie“, die noch während des polnisch-sowjetischen Krieges als Kompromisslösung ausgearbeitet worden war und nur überwiegend ethnisch polnische Gebiete auf polnischer Seite beließ.[92] Das ging mit einer hohen Anzahl an nationalen Minderheiten in der „Zweiten Polnischen Republik“ (1918-1939) einher: Laut Volkszählung von 1931 waren 13,9 Prozent der Gesamtbevölkerung im polnischen Staat ethnische Ukrainer und 3,1 Prozent Weißrussen.[93] Auf polnischer Seite verblieben damit auch zwei große, von anderen Nationen, die innerhalb der UdSSR lebten, beanspruchte Zentren: Wilna (Litauen) und Lemberg (Ukrainer). Die Sowjetunion begründete ihre Ansprüche auf diese Gebiete im Zweiten Weltkrieg mit dem Argument, dass es die Westmächte waren, die die „Curzon-Linie“ ausgearbeitet haben und diese auch von Polen in der kritischen Phase des Krieges Zustimmung fand. Die Sowjets haben deshalb nach dem Einmarsch der Roten Armee im September 1939 vollendete Tatsachen geschaffen und annektierten durch einen Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR vom 1./2. November 1939 ein rund 200.000 Quadratkilometer großes Gebiet, auf dem etwa 5,1 Millionen Polen, 4,7 Millionen Ukrainer und 2 Millionen Weißrussen lebten.[94] Die Grenze zu den von den Deutschen besetzten Gebieten verlief auf Grundlage des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September sogar noch etwas weiter westlich der „Curzon-Linie“.[95] Die Entpolonisierung dieser Gebiete betrieben die Sowjets auf Grundlage des Dekrets „Über den Erwerb der Staatsbürgerschaft der UdSSR durch die Bewohner der westlichen Bezirke der Ukrainischen und Weißrussischen Sowjetrepubliken“ vom 29. Oktober 1939. Dieser zwang die dort lebenden Polen zur Annahme der Staatsbürgerschaft der UdSSR.[96] In den Jahren 1940/41 wurden zudem mehr als 300.000 Polen, meist Frauen und Kinder, aus ihrer Heimat in Ostpolen vertrieben und in Sonderlager in Mittelasien, im hohen Norden oder in Sibirien gebracht.[97]

Die 1939 genannten Ziele hat Sikorski in seiner Grundaussage vor dem Nationalrat am 24. Februar 1942 bestätigt, wobei er das 1941 geschlossene Abkommen mit der Sowjetunion nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 als Realpolitik verteidigte und einen unnachgiebigen Kampf gegen das Dritte Reich an der Seite der Alliierten als größte Pflicht der Polen deklarierte.[98] Der aktive Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit innerhalb der Anti-Hitler-Koalition sowie die territoriale Integrität waren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Grundpfeiler der Politik Polens – auch nach der Amtsübernahme durch Mikołajczyk.

Dieser Kampf sollte auch durch die in Frankreich gebildeten Streitkräfte erfolgen, zu dessen Oberbefehlshaber am 7. November 1939 Sikorski ernannt wurde, der damit die beiden wichtigsten militärischen und politischen Ämter in Personalunion vereinigte. Vor dem Angriff Deutschlands auf Frankreich im Sommer 1940 zählten diese Streitkräfte zwischen 80.000 und 90.000 Mann[99], bis zum Ende des Weltkriegs kämpften insgesamt 300.000 Polen an der Seite der Alliierten.[100] Die in Schottland gebildete Fallschirmjägerbrigade sollte künftig zur Unterstützung eines polnischen Aufstandes eingesetzt werden und blieb deshalb zunächst direkt dem Oberbefehlshaber unterstellt. Insgesamt konnte der eher symbolische Beitrag, den polnische Soldaten zur Niederwerfung Nazideutschlands zu leisten in der Lage waren, trotz der unbestreitbaren Erfolge der Polnischen Luftwaffe in der Schlacht um England 1940 und der Eroberung der strategisch wichtigen Festung Monte Cassino während des Italienfeldzugs im Mai 1944, Polen nicht zu einem gleichwertigen Partner der Alliierten machen.

3.2 Die „Großen Drei“: Ziele der Alliierten im Zweiten Weltkrieg

Nach der Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940 war Polen mit seinen wenigen Divisionen und Brigaden der stärkste Verbündete Großbritanniens. Das sollte sich mit dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion schlagartig ändern. Plötzlich befand sich das zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Hitler verbündete Land im Lager der bis zu diesem Zeitpunkt schmächtigen Kriegskoalition gegen das Deutsche Reich. Bereits am Abend des deutschen Angriffs verkündete Churchill in der BBC, dass die UdSSR auf britische Hilfe zählen kann.[101] In dem britisch-sowjetischen Abkommen vom 12. Juli 1941 verständigten sich beide Parteien auf gegenseitige Hilfe im Krieg gegen Deutschland.[102] Für die Briten war frühzeitig klar, wofür sie in dem Krieg kämpfen. In seiner berühmten Rede vom 13. Mai 1940 sagte Churchill: „Was ist unser Ziel? Ich kann es mit einem Wort nennen: Sieg – Sieg um jeden Preis.“[103] Dies machte deutlich, dass Großbritannien sich auf keine Nebenschauplätze konzentrieren würde und erklärt zusammen mit der Notwendigkeit, einen großen Verbündeten an der Seite zu haben, die spätere nachgiebige Politik gegenüber der Sowjetunion. In der Zwischenzeit hatte sich das militärische Gewicht Polens innerhalb der Anti-Hitler-Koalition durch den Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 weiter verringert. Und auch die US-Amerikaner buhlten um die Sowjetunion als potenziellen Verbündeten gegen Japan. Ihre Ziele für die Nachkriegszeit präzisierten Großbritannien und die USA am 12. August 1941 in der Atlantik-Charta, die später auch die UdSSR unterzeichnete. Sie besagte unter anderem, dass „ihre Länder keinerlei Gebiets- oder sonstige Gebietsveränderungen [erstreben], 2. keine Gebietsveränderungen [wünschen], die nicht mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der betreffenden Völker übereinstimmen, 3. das Recht aller Völker, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen [anerkennen]; und sie wünschen, daß denen souveräne Rechte und Selbstregierung zurückgegeben werden, die ihrer gewaltsam beraubt worden sind.“[104] Wie sich aber später zeigen sollte, musste die Charta flexibel interpretiert werden, um nicht als starre Regelanweisung, sondern nur als Handlungsempfehlung zu dienen und war auch für die Polen ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite diente sie in ihren Augen als Abwehrmechanismus gegen den kommunistischen Einfluss, andererseits hätte die Formulierung die Einverleibung deutscher Gebiete durch die Polen nach dem Krieg verhindern können. Der britisch-sowjetische Bündnisvertrag vom 26. Mai 1942 präzisierte und bestätigte die Allianz zwischen den beiden Staaten, mit dem sich die Sowjetunion die Teilnahme an der Friedenskonferenz nach dem Krieg sicherte.[105] Weil sich beide Seiten im Artikel 5 dazu verpflichteten, „daß sie keine territoriale Vergrößerung für sich selbst erstreben und sich nicht in innerstaatliche Angelegenheiten anderer Staaten einmischen wollen“[106], nahm die polnische Exilregierung den Vertag wohlwollend auf.[107] Allerdings lag dieser Sichtweise ein Trugschluss zugrunde. Während die Polen vom status ante bellum ausgegangen sind, betrachteten die Sowjets die 1939 annektierten polnischen Ostgebiete weiterhin als ihren Besitz.[108] Durch diese unterschiedlichen Sichtweisen waren aber sowohl die Polen als auch Stalin mit der gewählten Formulierung einverstanden.

Bis zur Moskauer Drei-Mächte-Außenministerkonferenz, die vom 19. bis 30. Oktober 1943 stattfand, hatte sich die Lage der Sowjetunion durch den Sieg der Roten Armee bei der Schlacht um Stalingrad am 2. Februar 1943 und das Scheitern der deutschen Offensive im Kursker Bogen im Juli 1943, die mit einer Landung der Alliierten in Italien und einer damit verbundenen Verlegung von Wehrmacht-Truppen an die Apennin-Halbinsel einherging, strategisch stark zugunsten der Sowjets entwickelt. Damit hatte Polen immer weniger Trümpfe in der Hand, um seine Ziele gegenüber seinen Verbündeten und der Sowjetunion durchsetzen zu können. Der Italienfeldzug konnte jedoch vergleichsweise wenig zur Entlastung der Roten Armee beitragen, was die Forderung Stalins nach einer Invasion in Frankreich verstärkte.

3.3 Die polnisch-sowjetischen Beziehungen (Juni 1941-Juli 1944)

3.3.1 Erzwungenes Bündnis: Sikorski-Majski-Abkommen

Eine gelungene Zusammenarbeit zwischen den Briten und der Sowjetunion forderte die Normalisierung der polnisch-sowjetischen Beziehungen. Deshalb drängte Churchill auf eine Verständigung zwischen den „Erbfeinden“[109]. Doch es sollte keine einfache Aufgabe werden. Schließlich bekamen die Polen die sowjetische Besatzungsherrschaft deutlich zu spüren, deren Ausmaße „mit den Verbrechen des NS-Regimes bis zu diesem Zeitpunkt durchaus vergleichbar [waren]“[110]. Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion unterbrach die gerade durchgeführte vierte Deportationswelle der Polen ins Landesinnere der UdSSR. Die Polen forderten die Rückkehr zu den Bestimmungen des Rigaer Friedensvertrages von 1921 als Voraussetzung für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, während die Sowjets diesen Anspruch ablehnten und auf der Anerkennung der „Curzon-Linie“ beharrten. Sie verstanden diese als Kompromisslösung zur Grenzlinie gemäß des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrages vom 28. September 1939 nach der Kapitulation Polens, die etwas weiter östlich verlief.[111] Wie der Verlauf der schwierigen, mehrwöchigen Vertragsverhandlungen im Sommer 1941 zeigt, unterstützten die Briten in der Grenzfrage eher den Standpunkt der Sowjets als den ihres polnischen Alliierten, was auch mit der Popularität der „Curzon-Linie“ in der britischen Öffentlichkeit und bei der politischen Elite des Vereinigten Königreiches zusammenhing.[112] Der andere Grund war der Wunsch Churchills, einen starken Verbündeten im Kampf gegen Hitler zu haben. Die Rückkehr zum Friedensvertrag von Riga hatte Sikorski bereits in seiner Rundfunkansprache am 23. Juni 1941 gefordert und später mehrmals in Gesprächen mit dem britischen Außenminister Anthony Eden und dem sowjetischen Botschafter Iwan Majski wiederholt.[113] Die Sowjets lehnten jedoch eine entsprechende Formulierung in dem Vertrag ab und sprachen sich für einen polnischen Staat mit nach ethnographischen Gesichtspunkten gezogenen Grenzen aus und schlugen vor, die Frage der Grenzen angesichts unterschiedlicher Standpunkte zu einem späteren Zeitpunkt zu erörtern, was der polnische Premier letztlich widerwillig aufgrund britischen Drängens akzeptierte.[114]

In dem am 30. Juli 1941 unterzeichneten Abkommen einigten sich Sikorski und Majski auf folgende Punkte: (1) Die Regierung der UdSSR erklärte, dass die sowjetisch-deutschen Bündnisse vom Jahr 1939, die die territorialen Änderungen in Polen betreffen, unwirksam geworden sind, (2) die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden wiederhergestellt, (3) Polen und Sowjetunion verpflichteten sich zur gegenseitigen Hilfe im Kampf gegen das Hitlerdeutschland[115], (4) die Sowjets erlaubten, polnische Streitkräfte auf dem Gebiet der UdSSR unter polnischem Oberbefehl aufzustellen, (5) eine „Amnestie“ für alle polnische Staatsbürger, die als Kriegsgefangene oder aus anderen Gründen auf sowjetischem Territorium festgehalten wurden.[116]

Die gewählte Formulierung im Punkt 1 bedeutete aus der Sicht Sikorskis, dass der rechtliche Zustand der Gültigkeit des Rigaer Friedensvertrages automatisch aufgrund der Annullierung der deutsch-sowjetischen Verträge von 1939 wiederhergestellt wird, wobei Eugeniusz Duraczyński davon ausgeht, dass es dem polnischen Premier bewusst gewesen sein musste, dass dies den Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR vom 1./2. November 1939 über die Annektierung dieser Gebiete nicht automatisch außer Kraft setzen würde.[117] In der Forschung wird gestritten, ob Sikorski angesichts der katastrophalen Lage der Roten Armee im Sommer 1941 hätte mehr auf diesem Gebiet erreichen können, indem er auf einer Zustimmung der Sowjets zu den 1921 ausgehandelten Grenzen bestanden hätte.[118] Immerhin drohte der sowjetische Botschafter Iwan Majski mit dem Abbruch der Verhandlungen. Für Sikorski schien eine möglichst schnelle Freilassung der polnischen Kriegsgefangenen Priorität genossen zu haben, weshalb eine Hinhaltetaktik nicht in Frage kam. Ohnehin ging die Mehrheit der polnischen Führung im Exil, darunter Sikorski und Botschafter Edward Raczyński, und des britischen Establishments davon aus, dass die Rote Armee von der Wehrmacht geschlagen wird und deshalb nicht die Sowjetunion, sondern die Westmächte über die künftige Grenzziehung in den umstrittenen Gebieten bestimmen werden.[119] Der polnische Premier war deshalb mit den gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Sikorski-Majski-Abkommens erteilten britischen Garantien zufrieden. Die Note des britischen Außenministers Anthony Eden besagte, dass „His Majesty´s Government do not recognize any territorial changes which have been effected in Poland since August 1939”[120]. Doch auch diese Formulierung garantierte nicht, dass Polens Ostgrenze die Gestalt im Sinne des Rigaer Friedensvertrags von 1921 erhält, was Eden noch am selben Tag gegenüber den Abgeordneten des Unterhauses versicherte.[121] Ohnehin tendierte die britische Regierung noch vor dem 22. Juni 1941 dazu, die Vorkriegsgrenzen nicht als unantastbar zu bezeichnen. So hatte Winston Churchill am 5. September 1940 vor dem britischen Unterhaus, allerdings vor dem Hintergrund der Grenzverschiebung Rumäniens durch die Deutschen, gesagt:

„Zu keiner Zeit haben wir, seit Ausbruch dieses Krieges, den Standpunkt vertreten, dass nicht in der territorialen Struktur der verschiedenen Länder geändert werden dürfe. Andererseits beabsichtigen wir auch nicht, irgendwelche territorialen Änderungen, die während dieses Krieges stattfinden, anzuerkennen, es sei denn, dass sie mit der freiwilligen Zustimmung und durch ein gutwilliges Übereinkommen der beteiligten Parteien zustande kamen.“[122]

Diese Formulierung sollte zum Programm der Briten bei späteren Vermittlungsversuchen zwischen Polen und der Sowjetunion werden. Der britische Botschafter in Moskau, Stafford Cripps, erkannte sogar in einem Memorandum an die sowjetische Regierung vom 12. Oktober 1940 „ de facto Soviet sovereignty over Estonia, Latvia, Lithuania, Bessarabia, Northern Bukovina and the occupied parts of Poland”[123] an, was im Einklang mit den bisherigen Analysen des Außenministeriums stand.[124] Unter diesen Umständen darf die britische Garantie, die den polnischen Standpunkt nicht vollständig vertrat und Raum für Interpretationen übrig ließ, nicht überraschen. Das Abkommen über gegenseitige Hilfeleistung zwischen Großbritannien und Polen vom 25. August 1939 garantierte jedoch im Artikel 3 des geheimen Zusatzprotokolls die territoriale Integrität Polens. Dort heißt es:

„The undertakings mentioned in Article 6 of the Agreement [Beistand bei Aggression gegen andere Staaten] should they be entered into by one of the Contracting Parties with a third State, would of necessity be so framed that their execution should at no time prejudice either the sovereignty or territorial inviolability of the other contracting Party.“[125]

Er verpflichtete England zwar nicht zum militärischen Kampf um die Unversehrtheit der polnischen Ostgrenze, verhinderte jedoch die Möglichkeit einer russisch-englischen Verständigung auf diesem Gebiet ohne Zustimmung Polens.[126] Interessanterweise bezogen sich die Polen bis Kriegsende nicht auf die Bestimmungen dieses Zusatzprotokolls. Jacek Tebinka geht dabei vom Unwissen des polnischen Akteurs nach dem vollständigen Elitenwechsel im Herbst 1939 aus.[127] Allerdings berichtete Oberst Leon Mitkiewicz, der spätere stellvertretende Stabschef des Oberbefehlshabers und polnischer Vertreter im Combined Chiefs of Staff (CCS)[128], dass Sikorski-Nachfolger Mikołajczyk sehr wohl von der Geheimklausel wusste, sie aber in ihrer Gesamtheit als schädlich für Polen empfand.[129] In dem geheimen Zusatzprotokoll wurde nämlich ebenfalls präzisiert, dass es sich bei der im Artikel 1 erwähnten „irgendeiner europäischer Macht“[130], deren Aggression „sofortige, jegliche Hilfe und Beistand, die in ihrer [der Vertragsparteien] Macht standen“[131] nach sich zog, um Deutschland handelt, womit hierbei aus der Sicht Mikołajczyks wohl die Nachteile der Klausel lagen, da sie die Frage des sowjetischen Einmarsches und damit auch die Annektierung der polnischen Ostgebiete ungelöst ließ. Tebinkas Annahme passt auch nicht mit der Tatsache zusammen, dass der Botschafter in London und spätere Außenminister Edward Raczyński das Geheimprotokoll im Namen der Republik Polen unterzeichnet hatte.

[...]


[1] Während in der Forschungsliteratur weitgehend Einigkeit über die Anzahl der getöteten Aufständischen herrscht, die mit 15.000 bis 16.000 angegeben wird, schwanken die Berechnungen bezüglich der Opferzahlen bei den Zivilisten erheblich. Für den unteren Wert von 150.000 plädieren u.a. der deutsche Historiker Hans von Krannhals sowie die polnischen Forscher Adam Borkiewicz und Krzysztof Dunin Wąsowicz. Vgl. Krannhals von, Hans: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt am Main 1962, S.214; Borkiewicz, Adam: Powstanie Warszawskie 1944. Warszawa 1969, S.549; Dunin-Wąsowicz, Krzysztof: Warszawa w latach 1939-1945. Warszawa 1984, S.349; Czesław Łuczak hat sich auf die Zahl von 180.000 Opfer festgelegt. Vgl. Łuczak, Czesław: Polska i Polacy w drugiej wojnie światowej. Poznań 1993, S.413; Der obere Wert von 200.000 wird seltener angenommen. Vgl. Kirchmayer, Jerzy: Powstanie Warszawskie. Warszawa 1954, S.424; Die materiellen Verluste des linksufrigen Teils Warschaus, in dem sich die Kämpfe konzentrierten, betrugen beim Einmarsch der Roten Armee am 17. Januar 1945 amtlichen Dokumenten zufolge mindestens zwei Drittel der Bausubstanz, wobei mehr als die Hälfte auf Zerstörungen während des Warschauer Aufstandes und der vom 5. Oktober 1944 bis zum 1. Januar 1945 dauernden planmäßigen Zerstörungsmaßnahmen durch die Deutschen verursacht worden sind. Czesław Madajczyk geht in seinem Standardwerk zur deutschen Okkupationszeit sogar von 80 Prozent aus. Vgl. Madajczyk, Czesław: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945. Köln 1988, S.438; Die Warschauer Altstadt ist bis auf ein einziges Haus zu 100 Prozent zerstört worden. Vgl. Getter, S.72. Die Pläne für die planmäßige Zerstörung konkretisierte im Oktober 1944 Reichsführer SS, Heinrich Himmler, der Befehl dazu soll im Oktober 1944 in den höchsten Dienststellen des Reiches konkretisiert worden sei. Vgl. Befehl an den Reichsminister Dr. Hans Frank Nr.13265 vom 11. Oktober 1944 betreffend der „Neuen Polenpolitik“: „Obergruppenführer von dem Bach hat den neuen Auftrag erhalten, Warschau zu pazifizieren, d.h. Warschau noch während des Krieges dem Erdboden gleichzumachen, soweit nicht militärische Belange des Festungsbaues entgegenstehen“. In: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Bd.7. Nürnberg 1947, S.133. Pläne, Warschau zu einer Provinzstadt zu degradieren, hatte es bereits im Jahr 1940 gegeben. Vgl. Madajczyk, Okkupationspolitik, S.435.

[2] Geschätzt 40.000 Zivilisten wurden alleine im Stadtteil Wola innerhalb von drei Tagen von den Deutschen exekutiert. Vgl. Gursztyn, Piotr: Rzeź Woli. Zbrodnia nierozliczona. Warszawa 2014; Siehe auch: Marszalec, Janusz: Leben und Sterben der Warschauer Zivilbevölkerung. In: Bömelburg, Hans-Jürgen [u.a.] (Hrsg.): Der Warschauer Aufstand 1944. Ereignis und Wahrnehmung in Polen und Deutschland. Paderborn 2011, S.89-128; Getter, Marek: Straty ludzkie i materialne w Powstaniu Warszawskim. In: Biuletyn Instytutu Pamięci Narodowej (43-44) 2004, S.62-74; Sawicki, Tadeusz: Strategie, Kampfhandlungen und Verluste auf polnischer Seite. In: Martin, Bernd/Lewandowska, Stanisława (Hrsg.): Der Warschauer Aufstand 1944. Warschau 1999, S.124-152; Es wird geschätzt, dass rund 90.000 Personen zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt und weitere 60.000 in die Konzentrationslager gebracht wurden, die restlichen der rund 500.000 Warschauer wurden im gesamten Generalgouvernement zerstreut. Vgl. Getter, S.68.

[3] Die Debatte um die Rolle der Sowjetunion beim Scheitern des Warschauer Aufstandes ist eine der kontroversesten zu diesem Thema. Während die eine Seite von unterlassener Hilfeleistung ausgeht, ist die andere der Meinung, dass die Rote Armee zumindest in der ersten Phase des Aufstandes nicht in der Lage war, ins Geschehen einzugreifen. Der in Polen lebende russische Dissident Nikołaj Iwanow bezeichnet Stalins Zögern bei der Hilfe für den Aufstand als „Verbrechen“. Vgl. Iwanow, Nikołaj: Powstanie Warszawskie widziane z Moskwy. Kraków 2010, hier S.15; Diese Meinung vertritt auch Lech Dzikiewicz. Vgl. Dzikiewicz, Lech: Zbrodnia Stalina na Warszawie. Warszawa 1996; Karl-Heinz Frieser kommt indes zum Schluss, dass die Rote Armee in der ersten Phase des Aufstandes Warschau erobern wollte, es aber angesichts der deutschen Gegenoffensive und Versorgungsschwierigkeiten nicht konnte, während sie in der zweiten Phase dazu in der Lage war, es aber nicht mehr wollte. Vgl. Frieser Karl-Heinz: Ein zweites „Wunder an der Weichsel“? Die Panzerschlacht vor Warschau im August 1944 und ihr Folgen. In: Bömelburg [u.a.] (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.2], S.45-64, hier S.62; Siehe auch einordnend: Jaczyński, Stanisław: Die Rote Armee an der Weichsel: Politischer oder militärischer Attentismus? In: Martin/Lewandowska (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.2], S.195-209.

[4] Durch die sowjetische Weigerung, britischen und amerikanischen Fliegern die Landeerlaubnis auf den von ihnen beherrschten Flughäfen zu erteilen, gestaltete sich die Versorgung der Aufständischen aus der Luft sehr schwierig und war auch unabhängig davon mit großen Verlusten verbunden. Der einzige größere Abwurf im Rahmen der Operation „Frantic“, also mit Erlaubnis, auf sowjetischen Flugplätzen zu landen, mit über 100 Bombern der U.S. Air Force am 18. September, kam zu spät, weil die Aufständischen nur noch ein kleines Gebiet in der Stadt beherrschten, sodass der Großteil der Abwürfe den Deutschen in die Hände fiel. Die Sowjets unterstützten die Aufständischen erst auf Druck der Westmächte ab dem 10. September, und zudem sehr sporadisch und ineffektiv. Siehe dazu u.a.: Conversino, Mark J.: Fighting with the Soviets. The Failure of Operation Frantic 1944-45. Lawrence 1997; Duraczyński, Eugeniusz: Die Alliierten und der Warschauer Aufstand. In: Bömelburg [u.a.] (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.1], S.65-87; Dülffer, Jost: Die Einstellung der USA und Großbritanniens: Hilfloses Zögern. In: Martin/Lewandowska (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.2], S.177-194.

[5] Das meldete in seinem Lagebericht am 1. August der Oberbefehlshaber des Aufstandes, Antoni Chruściel. Zitiert bei: Zamojski, Henryk: Jak wywołano Powstanie Warszawskie? Tragiczne decyzje. Warszawa 2013, S.183. Zum Verlauf des Warschauer Aufstandes siehe u.a.: Kunert, Andrzej Krzysztof: Kronika Powstania Warszawskiego. Poznań 2014; Bartoszewski, Władysław: Dni walczącej stolicy. Kronika Powstania Warszawskiego. Warszawa 2004; Borkiewicz, Adam: Powstanie warszawskie 1944. Zarys działań natury wojskowej. Warszawa 1957.

[6] Eine thematisch und chronologisch gegliederte fünfbändige Bibliographie zum Warschauer Aufstand ordnet die bis 2004 erschienene Literatur zum Themenkomplex Warschauer Aufstand, inklusive Zeitschriftenartikel und Beiträgen in Sammelbänden. Vgl. Henzel, Władysław/Sawicka, Irena: Powstanie Warszawskie. Bibliografia selektywna. Bde 1-3. Warszawa 1994; Ders.: Powstanie Warszawskie. Bibliografia selektywna. Bd. 3. Warszawa 1996; Ders.: Powstanie Warszawskie. Bibliografia selektywna. Bd. 4-5. Warszawa 2004.

[7] Das wichtigste Argumentationselement der Aufstandskritiker ist in vielen Fällen ein Angriff auf die romantische Tradition des polnischen Unabhängigkeitskampfes. Vgl. Gawin, Dariusz: Spór o Powstanie. Powstanie Warszawskie w powojennej publicystyce polskiej 1945-1981. Warszawa 2004.

[8] Die Zahl der Opfer der stalinistischen Verfolgungen bei den ehemaligen AK-Mitglieder wird auf 20.000 geschätzt. Die letzten Anführer des Polnischen Untergrundstaates wurden noch während des Zweiten Krieges von den Sowjets verhaftet und in dem sogenannten „Prozess der 16“ in Moskau zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, die u.a. für den letzten AK-Befehlshaber Leopold Okulicki tödlich endete. Zu den Verfolgungen der ehemaligen AK-Mitglieder und Anführer des Untergrundstaates siehe u.a.: Żebrowski, Leszek: Zbrodnie i represje komunistyczne. In: Golik, Dawid (Hrsg.): Żołnierze wyklęci. Warszawa 2013, S.697-714; Kochanowski, Jerzy: Proces szesnastu. Warszawa 1993.

[9] Zum Warschauer Aufstand im kollektiven Gedächtnis der Polen und als Gedenkort siehe u.a.: Sawicki, Jacek Zygmunt: Bitwa o prawdę. Historia zmagań o pamięć Powstania Warszawskiego 1944-1989. Warszawa 2005; Sadowska, Agata: Den Warschauer Aufstand von 1944 erinnern. Zum Wandel der Erinnerungskultur in Polen am Beispiel des Warschauer Aufstandes (1954-2004). Konstanz 2009; Zum Begriff des kollektiven Gedächtnisses und des Erinnerungsortes siehe auch u.a.: Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart 2011.

[10] Vgl. u.a.: Pomian-Dowmuntt, Andrzej: Powstanie Warszawskie. Londyn 1946. Der Autor, der mit seinem bürgerlichen Namen Bohdan Sałaciński hieß, war Mitglied der Hauptkommandantur der Heimatarmee und später Delegat des Oberbefehlshabers Tadeusz Komorowski für die Kontakte mit dem Untergrund in der Volksrepublik Polen. Er schreibt darin, dass die Entscheidung für den Kampf gegen den Okkupanten von der gesamten Gesellschaft getragen wurde und ein Ausbleiben dieses Kampfes in Warschau möglicherweise noch größeren Schaden angerichtet hätte.

[11] Vgl. Borkiewicz, Powstanie warszawskie 1944 [Fn.1]; Kirchmayer, Powstanie [Fn.1].

[12] Ciechanowski, Jan M.: Powstanie Warszawskie. Zarys podłoża politycznego i dyplomatycznego. Londyn 1971. In dieser Arbeit beziehe ich mich auf die neueste, achte Auflage des gleichnamigen Werks, das 2014 im polnischen Pułtusk erschienen ist.

[13] Darunter den AK-Oberbefehlshaber Tadeusz Komorowski und andere Mitglieder der AK-Hauptkommandantur sowie Mitglieder der Londoner Exilregierung aus der fraglichen Zeit.

[14] Der Sohn des Oberleutnants der Heimatarmee und Mitglieds der AK-Hauptkommandantur Kazimierz Iranek-Osmecki, Jerzy Iranek-Osmecki, warf Ciechanowski schon in seiner Rezension von 1971 eine tendenziöse Auswahl und Behandlung der Quellen vor und zweifelte die Glaubwürdigkeit seiner Hauptquelle an. Vgl. Iranek-Osmecki, Jerzy: Powstanie Warszawskie: In: Zeszyty Historyczne 1972, H.2, S.203-216. Die Kritik wiederholte der Autor in seiner 2007 erschienen Monographie. Vgl. Iranek-Osmecki: Jerzy: Powstanie Warszawskie po 60 latach. Warszawa 2007. Die dort aufgestellten Thesen müssen aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen zwar besonders kritisch begutachtet werden. Da der 1984 verstorbene Vater des Autors in Ciechanowskis Wert aber zumindest keine negative Rolle spielt, dürfen sie nicht als reine Polemik betrachtet werden.

[15] Vgl. Zawodny, Janusz Kazimierz: Uczestnicy i świadkowie Powstania Warszawskiego. Warszawa 2004; Siehe auch: Ders.: Powstanie Warszawskie w walce i dyplomacji. Warszawa 2005.

[16] Vgl. Skarżyński, Aleksander: Polityczne przyczyny Powstania Warszawskiego. Warszawa 1964. In dieser Arbeit beziehe ich mich auf die vierte Ausgabe vom Jahr 1974, da darin auch Ciechanowskis Werk rezipiert wird.

[17] Davies hat seit 2014 auch die polnische Staatsbürgerschaft, nachdem er eine Polin geheiratet hatte.

[18] Vgl. Davies, Norman: Aufstand der Verlorenen. Der Kampf um Warschau 1944. München 2004. Die Ansichten von Davies änderten sich jedoch nicht nur im Laufe der Jahre, sondern unterscheiden sich auch je nach Zielgruppe. So schrieb er im Vorwort zur polnischen Ausgabe seiner Monographie über den Warschauer Aufstand als einer „großartigen Auflehnung, die alle Erwartungen übertroffen hat. Die Entscheidung über seinen Beginn – obwohl notwendigerweise riskant – war weder leichtsinnig noch umso weniger ‚verbrecherisch‘. Ich würde auch gerne feststellen, dass obwohl der Aufstand gescheitert ist, die einzelnen Ursachen und der Folgen seines Scheiterns nicht vorhergesehen werden konnten, und die unzweifelhaften Irrtümer und fehlerhaften Einschätzungen seitens der Anführer des Aufstandes sollten nicht als der entscheidende Faktor angesehen werden.“ Vgl. Davies, Norman: Powstanie ´44. Kraków 2004, S.11. Ein ähnlich lautendes, die Polen entlastendes Urteil findet sich in der Einleitung zur englischsprachigen Ausgabe nicht. In seiner 1981 in England erschienenen Monographie zur Geschichte Polens hatte Davies noch ein deutlich kritischeres Urteil gefällt: „There can be little doubt that the decision to launch the Warsaw Rising represents the most tragic mistake in their recent history. [...] Its timing, and its underlying tactical considerations, were woefully misguided. Its political goals were fundamentally unrealistic.“ Vgl. Davies, Norman: God’s Playground. A History of Poland. Vol. 2. 1795 to the Present. Oxford 1981, S.474f. In der polnischen Übersetzung relativierte Davies sein Urteil, indem er dem erstgenannten Satz ein „in den Augen der Polen“ hinzufügte. Vgl. Davies, Norman: Boże Igrzysko. Kraków 2002, S.933.

[19] Für den angelsächsischen Raum wäre noch zu nennen: Bruce, George: The Warsaw Uprising. 1.8. – 2.10.1944. London 1972.

[20] Steiner, Jean- François: Varsovie ´44. Paris 1975. Das Werk ist eine Collage, mit der der Autor die Atmosphäre vor dem Aufstand wiedergeben will. Es ist keine Quellensammlung oder Sammlung von Erfahrungsberichten im engeren Sinne, es kommen auch historische Persönlichkeiten der früheren Jahrhunderte „zu Wort“. Die Aussagen sind nicht autorisiert und anonym wiedergegeben, die Personen wurden nachträglich identifiziert, einige von ihnen gehörten der AK-Führung an. Aufgrund dieser Tatsachen hat Steiners Publikation in dieser Arbeit nur unterstützenden Charakter. Dann wird allerdings die polnische Ausgabe herangezogen, da dort von den Editoren der ursprüngliche Wortlaut der ins Französische übersetzten Aussagen wiedergegeben ist. Vgl. Steiner, Jean- François: Warszawa 1944. Warszawa 1991.

[21] Krannhals von, Warschauer Aufstand [Fn.1]. Die Studie stützt sich u.a. auf die seit 1961 zugänglich gewordenen Akten zum Kriegstagebuch der 9. Armee, die im August 1944 der Heeresgruppe Mitte angehörte und die Weichsellinie gegen die Rote Armee verteidigte. Die nur in Deutschland publizierte Monographie des Warschauer Historikers Włodzimierz Borodziej ist zwar auf einem neueren Stand der Forschung, aber lediglich als Einstiegslektüre für den deutschen Leser gedacht. Vgl. Borodziej, Włodzimierz: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt am Main 2001.

[22] Chiari, Bernard (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003; Bömelburg, [u.a.] (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.2]; Martin, /Lewandowska (Hrsg.), Warschauer Aufstand [Fn.2].

[23] Vgl. Fußnote 3

[24] Siehe u.a.: Drozdowski, Marek Marian: Powstanie sierpniowe 1944. Warszawa 2014; Richie, Alexandra: Warszawa 1944. Tragiczne powstanie. Warszawa 2014; Będkowski, Leszek: 1944. Powstanie Warszawskie. Warszawa 2014; Im Jahr 2013 veröffentlichte Henryk Zamojski eine Monographie, die sich bei den politischen Begleitumständen des Ausbruchs des Warschauer Aufstandes auf die Arbeit von Ciechanowski bezieht und bei der detaillierten Analyse der letzten Tage vor dem Aufstand in der AK-Kommandantur zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie dieser kommt. Vgl. Zamojski, Tragiczne decyzje [Fn.5].

[25] Siehe u.a.: Herbich, Anna: Dziewczyny z powstania. Kraków 2014; Grzebalska, Weronika: Płeć powstania warszawskiego. Warszawa 2014. Wachowicz, Barbara: Bohaterki powstańczej Warszawy. Warszawa 2014.

[26] Mirecki, Jerzy: Dzieci’44. Warszawa 2014; Borowiec, Andrzej: Chłopak z Warszawy. Powstanie warszawskie oczami szestastoletniego żołnierza. Poznań 2014.

[27] Aufgrund der tiefen Gliederung der AK-Einheiten können an dieser Stelle nur exemplarisch einige neuere Literaturhinweise zu den wichtigsten Kampfeinheiten genannt werden. Zur Geschichte der stärksten und elitärsten AK-Kampfeinheit, „Radosław” siehe: Nowożycki, Bartosz: Powstańczy szlak Zgrupowania AK Radosław. Warszawa 2014; Zum Bataillon „Kiliński“ siehe Ders.: Batalion AK Kiliński. Dokumenty z Powstania Warszawskiego. Warszawa 2009; Für Literatur bis 2004 sei hier auf die Bibliographien von Henzel/Sawicka verwiesen [Fn.6].

[28] Siehe u.a: Zychowicz, Piotr: Obłęd´44. Czyli jak Polacy zrobili prezent Stalinowi, wywołując Powstanie Warszawskie. Poznań 2013. Der Autor vertritt die Meinung, dass die Polen während des Zweiten Weltkriegs vor allem das Ziel des Erhalts der „biologischen Substanz“ hätten verfolgen müssen und sich sowohl gegenüber der Sowjetunion als auch gegenüber dem Dritten Reich neutral verhalten sollen. Der Aufstand sei ein Geschenk an Stalin gewesen. Zychowicz sorgte bereits ein Jahr früher mit seinem Buch: Pakt Ribbentropp-Beck. Czyli jak Polacy mogli u boku III Rzeszy pokonać Związek Sowiecki, erschienen 2012 in Posen, für Kontroversen, indem er behauptete, dass sich die Polen 1939 mit den Deutschen gegen die Sowjets verbünden hätten sollen. Die Argumentation in diesem Buch ist nicht konsistent.

[29] Frings, Andreas: Rationales Handeln und historische Erklärung. In: Journal for General Philosophy of Science 38 (2007) H.2, S.31-56, hier S.39.

[30] Diese Methodik hat auch in das Fach Osteuropäische Geschichte Einzug gehalten. Vgl. Frings, Andreas: Sowjetische Schriftpolitik zwischen 1917 und 1941. Eine handlungstheoretische Analyse (=Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd.73), Stuttgart 2007. Ansonsten beschränken sich die Arbeiten auf einige wenige Artikel. Vgl. Frings, Andreas/Johannes Marx (Hrsg.): Neue Politische Ökonomie in der Geschichtswissenschaft/ New Political Economy in History. Historical Social Research 32 (2007), H.4.

[31] Kunz, Volker: Rational Choice. Frankfurt am Main 2004, S.12.

[32] Ebenda.

[33] Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bd. 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt am Main 1999, S.216.

[34] Esser, Situationslogik, S.215.

[35] Zu den Vorteilen der Anwendung des Methodologischen Individualismus in den Geschichtswissenschaften siehe u.a.: Albert, Hans: Methodologischer Individualismus und historische Analyse. In: Acham, Karl/Schulze, Winfried (Hrsg.): Teil und Ganzes. Zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften (=Beiträge zur Historik, Bd.6). München 1990, S.219-239.

[36] Esser, Situationslogik, S.27.

[37] Zur Grundstruktur soziologischer Erklärungen nach diesem Muster siehe: Esser, Hartmut: Soziologie. Allgemeine Grundlagen. Frankfurt am Main 1996, S.83-118; Coleman, James Samuel: Grundlagen der Sozialtheorie. Handlungen und Handlungssysteme. München 1995, S.1-29; Zur Anwendung für die Geschichtswissenschaften siehe: Frings, Andreas: Erklären und Erzählen. Narrative Erklärungen historischer Sachverhalte. In: Frings, Andreas/Marx, Johannes (Hrsg.): Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften. Berlin 2008, S.129-164; Frings, Rationales Handeln, S.31-56; Kunz, Rational Choice, insbesondere S.17-31.

[38] Krol, Gerd-Jan: Ökonomische Verhaltenstheorie. In: May, Hermann (Hrsg.): Handbuch zur ökonomischen Bildung. München 2008, S.19.

[39] Krol, Ökonomische Verhaltenstheorie, S.20.

[40] Frings, Andreas/Marx, Johannes: Wenn Diskurse baden gehen. In: Eder, Frank X. (Hrsg.): Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden 2006, S.91-112, hier S.95.

[41] Ebenda; Frings ersetzt den Begriff der „Logik der Situation“ durch „Definition der Situation“, „angesichts der Tatsache, dass nur diejenigen Situationsmomente für eine Handlung kausal relevant werden, die der Handelnde subjektiv wahrnimmt“. Vgl. Frings, Rationales Handeln, S.37.

[42] Frings, Rationales Handeln, S.39.

[43] Diese Spezifikation der Handlungswahl trifft speziell auf eine Variante der Rational-Choice-Theorie zu, die Werterwartungstheorie (SEU-Theorie), die in den Sozialwissenschaften bevorzugt bei Entscheidungen unter Unsicherheit oder Risiko zum Einsatz kommt, indem sie kalkulierte Wahrscheinlichkeiten als Entscheidungsgrundlage heranzieht. Siehe dazu u.a.: Kunz, Rational Choice, S.43-49; Diekmann, Andreas/Voss, Thomas: Die Theorie rationalen Handelns. Stand und Perspektiven. In: Ders. (Hrsg.): Rational-Choice-Theorie in den Sozialwissenschaften. Anwendungen und Probleme. München 2004, S.17-19; Esser, Situationslogik, S.247-293.

[44] Schütz, Alfred: Das Problem der Rationalität in der sozialen Welt. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd.2. Den Hag 1972, S.22-50, hier S.39; Dieses rationale Handeln kann noch weiter präzisiert werden und zwar „wenn unter gegebenen Bedingungen ein bestimmter Zweck mit dem geringsten Einsatz an Mitteln und den geringsten unerwünschten Nebenfolgen verwirklicht werden kann“. Vgl. Krol, S.21; Dabei kann der Begriff „gleichermaßen zeitliche, physische, psychische und soziale Dimension umfassen.“ Vgl. Reimann, Bruno W.: Rationales Handeln. In: Fuchs-Heinritz, Werner [u.a.] (Hrsg.): Lexikon der Soziologie. Opladen 1944, S.28. Max Weber grenzte den Begriff der Zweckrationalität von Wertrationalität sowie affektualem und traditionalem Handeln ab: „Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert, und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen Zwecke gegeneinander rational abwägt.“ Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1976, S.13.

[45] Frings, Erklären, S.147.

[46] Vgl. Frings, Rationales Handeln, S.41.

[47] RREEMM steht für: „restricted, resourceful, expecting, evaluating, maximazing man“. Siehe dazu: Esser, Allgemeine Grundlagen, S.230-273. Das RREEMM-Modell ist eine Weiterentwicklung des von William Meckling entwickelten REMM-Modells (“resourceful, evaluative, maximazing man”). Vgl. Wilkens, Ingrid: Ressourcenzusammenlegung und Lebenszyklus in eingetragenen Vereinen. Ein Beitrag zur Non-Profit-Forschung. Frankfurt am Main 1996.

[48] Diekmann/Voss, S.13.

[49] Wilkens, S.25.

[50] Vgl. Diekmann/Voss, S.14f.

[51] Esser, Situationslogik, S.38.

[52] Ebenda, S.39.

[53] Ebenda, S.40.

[54] Vgl. Diekmann/Voss, S.16.

[55] 1965 mit dem bereits 1939 in London gegründeten Polnischen Wissenschaftszentrum zum Polen-Institut und das Sikorski-Museum (polnisch: Instytut Polski i Muzeum im. Gen. Sikorskiego) verschmolzen. 1973 schloss sich unter Wahrung der Autonomie das Polnische Historische Institut (früher Historische Kommission des ehemaligen Hauptstabs) dem „Sikorski-Institut“ an.

[56] 1988 verschmolzen diese beiden Einrichtungen, blieben jedoch organisatorisch selbstständig.

[57] Armia Krajowa w dokumentach: 1939-1945. Bde 1-6. Wrocław [u.a.] 1970-1989; Weiter als AK mit der entsprechenden Bandangabe zitiert.

[58] Polskie Siły Zbrojne w Drugiej Wojnie Światowej. Bd. 3. Armia Krajowa. Londyn 1950; Weiter als PSZ zitiert.

[59] Der Kommission stand General Tadeusz Pełczyński vor, der als Mitglied der AK-Hauptkommandantur im Juli 1944 den Ausbruch des Warschauer Aufstandes zum erfolgten Zeitpunkt befürwortete. Zur Kritik siehe u.a.: Kirchmayer, Jerzy: Uwagi i polemiki. Na marginesie londyńskiego wyd. „Polskie siły zbrojne w 2. wojnie światowej”. Warszawa 1958.

[60] Okulicki ist im Februar 1945 von den Sowjets verhaftet worden und starb 1946 im Gefängnis in Moskau. Sosnkowski wiederum verweigerte Kommentare zu seinem politischen und militärischen Wirken. Vgl. Brief Sosnkowskis an Janusz Zawodny, 18. Februar 1966. In: Zawodny, Janusz: Uczestnicy i świadkowie Powstania Warszawskiego. Wywiady. Warszawa 1994, S.405.

[61] Foreign relations of the United States. Diplomatic papers: Insbesondere die Bände: The conferences at Cairo and Tehran 1943. Washington D.C. 1961; 1943. Vol. 3. The British commonwealth. Eastern Europe. The Far East. Washington D.C. 1944; 1944. The British commonwealth and Europe. Washington D.C. 1945; Weiter als FRUS mit der entsprechenden Bandangabe zitiert.

[62] Preston, Paul/Partridge, Michael (Hrsg.): British Documents of Foreign Affairs. Reports and Papers from the Foreign Office Confidental Prints. Part 3. From 1940 through 1945. Series F. Europe. Mehrere Bände. University Publications of America 1997-1998.

[63] Kommission für die Herausgabe Diplomatischer Dokumente beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (Hrsg.): Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945. Berlin 1961.

[64] Instytut Historyczny Imienia Generała Sikorskiego (Hrsg.): Documents on polish-soviet relations 1939-1945. Vol.1: 1939-1943. London [u.a.] 1961; Vol..2: 1943-1945. London [u.a.] 1961-1967.

[65] Die Hymne stammt aus dem Jahr 1797 und war das Marschlied der in Italien gegründeten „Polnischen Legionen“, die an Seite von Napoleon in den Koalitionskriegen kämpften. Vgl. Davies, Igrzysko, S.771.

[66] An den Teilungen 1772 und 1795 beteiligten sich alle drei genannten Staaten, an der Teilung im Jahr 1793 war dagegen Österreich nicht beteiligt. Die Ereignisse vom Jahr 1939 wurden schon zeitgenössisch als die „Vierte Teilung Polens“ bezeichnet. So sprach Sikorski am 14. April 1943 im britischen Unterhaus vom polnisch-sowjetischen Abkommen 1941 als der „Überwindung der vierten Teilung Polens“. Vgl. IMGS, PRM 111 (Online unter: http://polishinstitute.com/prm/prm111b.pdf, letzter Zugriff: 16. März 2015). Völkerrechtlich war dieser Begriff ohnehin nicht korrekt, weil sich Teilungen auf diplomatische und nicht auf militärische Maßnahmen beziehen. Zu den polnischen Teilungen 1772-1795 siehe einführend: Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795. München 1984.

[67] Siehe dazu u.a.: Gill, Arnon: Freiheitskämpfe der Polen im 19. Jahrhundert. Erhebungen, Aufstände, Revolutionen. Frankfurt am Main 1997.

[68] Vgl. Borodziej, Warschauer Aufstand, S.9.

[69] Der einzige erfolgreiche polnische Aufstand fand 1918/19 in Großpolen (Posen) statt. Er erlangte aber weder in der polnischen Geschichtsschreibung noch im Geschichtsbewusstsein der Polen einen ähnlich hohen Stellenwert wie der Novemberaufstand 1830 und der Januaraufstand 1863; Zum kommunikativen Gedächtnis und seiner Abgrenzung zum kulturellen und kollektiven Gedächtnis siehe: Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann, Jan/Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1988.

[70] Zur Genese der polnischen Grenzen der „Zweiten Republik“ Siehe u.a.: Conrad, Benjamin: Umkämpfte Grenzen, umkämpfte Bevölkerung. Die Entstehung der Staatsgrenzen der Zweiten Polnischen Republik 1918-1923 (=Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 84). Stuttgart 2014; Tebinka, Jacek: Polityka brytyjska wobec problemu granicy polsko-radzieckiej 1939-1945. Warszawa 1998.

[71] Der 15. August, auf den die Wende in der vom 13. bis 25. August dauernden Schlacht datiert wird, ist bis heute der Feiertag der Polnischen Armee und fällt nicht zufällig mit Mariä Himmelfahrt zusammen.

[72] Borodziej, Włodzimierz: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. München 2010, S.117.

[73] Borodziej, Geschichte Polens, S.76.

[74] Borodziej, Geschichte Polens, S.147.

[75] Vgl. NS-Archiv. Dokumente zum Nationalsozialismus: Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag (Online unter: http://www.ns-archiv.de/krieg/sowjetunion/vertrag/nichtangriffspakt.php, letzter Zugriff: 9. Juni 2014). Nach der polnischen Kapitulation wurden im deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 die Interessensphären neu abgesteckt, kam es zu einigen Verschiebungen. Vgl. Deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag (Online unter: http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0027_gre&object=facsimile&pimage=5&v=100&nav=&l=de, letzter Zugriff: 27. Februar 2015).

[76] Der Präsident der Republik Polen war darin bevollmächtigt, im Falle eines Krieges seinen Nachfolger zu bestimmen (Artikel 13), vor allem dann, wenn er nicht in der Lage sein sollte, sein Amt auszuführen (Artikel 24). Vgl. Verfassungsgesetz vom 23. April 1935. In: Dziennik Ustaw [Gesetzblatt] (Dz.U.) 1935, Nr.30 Online unter: http://isap.sejm.gov.pl/DetailsServlet?id=WDU19350300227, letzter Zugriff: 3. Mai 2015).

[77] Vgl. Madajczyk, Czesław: Die beiden Hauptströmungen in der polnischen Widerstandsbewegung. In: Jacobmeyer, Wolfgang (Hrsg.): Widerstandsbewegungen in Deutschland und Polen während des zweiten Weltkriegs. Braunschweig 1983, S.55-63, hier S.56.

[78] Ursprünglich nominierte Mościcki den ehemaligen Adjutanten Piłsudskis, Bolesław Wieniawa-Długoszowski, zu seinem Nachfolger, allerdings scheiterte die Ernennung am Widerstand der britischen und französischen Regierung sowie der polnischen Sanacja-Opposition. Vgl. Brandes, Detlef: Großbritannien und seine osteuropäischen Alliierten 1939-1943. Die Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens im Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran. München 1988, S.28f.

[79] Sikorski war am 18. September ebenfalls nach Rumänien geflohen, wurde dort aber als Privatmann nicht interniert. Vgl. Schaaf, Dierk Ludwig: Der vertuschte Verrat. Churchill, Stalin und der Tod Sikorskis. Osnabrück 2003, S.15.

[80] Sir H. Kennard to Viscount Halifax, British Embassy to Poland, Angers, January 9, 1940. Speech by General Sikorski to the other members of the Polish Government. FO 417/41, C603/252/55. In: Preston/Partridge (Hrsg.): British Documents, Vol. 3. Poland, Czechoslovakia and Hungary, January 1940 – December 1941, S.24.

[81] Jacobmeyer, Wolfgang: Heimat und Exil. Die Anfänge der polnischen Widerstandsbewegung. Hamburg 1973, S.51.

[82] Vgl. IMGS, PRM5 (Online unter: http://pism.co.uk/PRM/PRM5.pdf, letzter Zugriff: 12. Mai 2015).

[83] Ebenda.

[84] Ebenda.

[85] Ebenda.

[86] Vgl. Ebenda.

[87] Vgl. Monitor Polski vom 9. November 1939 (online unter: http://www.ambasadaslaska.org/a.pdf, letzter Zugriff: 23. Mai 2015).

[88] Vgl. Ebenda.

[89] Punkte zur Regierungserklärung. PPS-Projekt vom 7. Dezember 1941. IMGS, PRM.Z1 (Online unter: http://pism.co.uk/PRM/PRMZ_1.pdf, letzter Zugriff: 11. April 2015). Die spätere Fassung der Regierungserklärung vom Oktober 1942 bezog sich lediglich auf die Innenpolitik und hatte weitgehend den selben Wortlaut wie die vom November 1939. Vgl. Ebenda.

[90] Vgl. Fußnote 75.

[91] Vgl. Friedensvertrag zwischen Polen und Russland sowie der Ukraine, Riga, 18. März 1921. In: Dz. U. 1921 nr 49 poz. 300 (Online unter: http://isap.sejm.gov.pl/DetailsServlet?id=WDU19210490300, letzter Zugriff: 12. April 2015).

[92] Die Linie verlief östlich der Städte Suwałki und Białystok Polen und unterhalb des Narew-Flusses bis Ostgalizien am Fluss Bug. Hinsichtlich der Gebiete in Ostgalizien verfolgten die Alliierten zwei Alternativen: Entweder eine Abtrennung eines Teils unter Beibehaltung Lembergs als überwiegend polnisch bevölkerten Stadt auf der polnischen Seite (Linie „B“) oder die formelle Beibehaltung des gesamten Ostgaliziens im polnischen Staatsgefüge bei gleichzeitiger Sicherung der Autonomie dieser Gebiete, die die Ukrainer für sich beanspruchten (Linie „A“). Der Name der Linie geht auf eine vom britischen Außenminister George Curzon unterzeichnete Note vom 11. Juli 1920 an den sowjetischen Volkskommissar für Auslandsangelegenheiten, Georgij Tschitscherin, zurück, wobei sie fälschlicherweise behauptete, dass die Demarkationslinie für den Waffenstillstand westlich von Lemberg verlaufen sollte (Linie „A“), obwohl auf der Konferenz in Spa ausgehandelt worden war, dass diese Stadt und das Erdölgebiet westlich davon auf polnischer Seite bleiben (Linie „B“). Die Urheberschaft Curzons für das Dokument wird bereits in der Forschung früherer Jahre bestritten. Gotthold Rhode lehnt gar das aktive Einsetzen Curzons für die nach ihm benannte Linie ab. Vgl. Rhode, Gotthold: Die Entstehung der Curzon-Linie. In: Osteuropa (5) 1955, H.3, S.81-94, hier S.82; Siehe auch: Conrad, S.218-232; Tebinka, S.17-21.

[93] Vgl. Davies, Igrzysko, S.871.

[94] Vgl. Roman, Wanda Krystyna: Die sowjetische Okkupation der polnischen Ostgebiete 1939 bis 1941. In: Chiari (Hrsg.), Heimatarmee, S.87-109, hier S.94f.

[95] Vgl. Fußnote 75.

[96] Vgl. Roman, S.95.

[97] Vgl. Kołakowski, Piotr: Revolutionäre Avantgarde. Der NKVD in den polnischen Ostgebieten. In: Böhler, Jochen/Lehnstaedt, Stephan (Hrsg.): Gewalt und Alltag im besetzten Polen. Osnabrück 2012, S.155-172, hier S.165; Die polnische Exilregierung ging auch nach Kriegsende von 1,5 bis 2 Millionen ausgesiedelten polnischen Staatsbürgern aus. Vgl. PSZ III, S.34.

[98] Vgl. Rede Sikorskis vor dem Nationalrat, 24. Februar 1942. In: IMGS, PRM 39 (Online unter: http://polishinstitute.com/prm/prm89a.pdf, letzter Zugriff: 4. Juni 2015).

[99] Vgl. Borodziej, Geschichte, S.235; Alexander, S.314.

[100] Vgl. Kaczmarek, Ryszard: Historia Polski 1914-1989. Warszawa 2010, S.470.

[101] Vgl. Tebinka, S.138f.

[102] Vgl. Rexin, Manfred (Hrsg.): Die unheilige Allianz. Stalins Briefwechsel mit Churchill 1941-1945. Hamburg 1964, S.435.

[103] Zitiert bei: Rexin, S.35.

[104] Atlantik-Charta, 12. August 1941. Zitiert bei: Rexin, S.435f.

[105] Artikel 5 des britisch-sowjetischen Bündnisvertrages, 26. Mai 1942. Zitiert bei: Rexin, S.436-439, hier S.438.

[106] Zitiert bei Rexin, S.438.

[107] Vgl. Resolution des Nationalrates, 16. Juni 1942. IMGS, PRM.K 18 (Online unter: http://polishinstitute.com/prm/k18.pdf, letzter Zugriff: 17. April 2015).

[108] Vgl. Rexin, S.32.

[109] Vgl. Eden, Anthony: The Reckoning. The memoirs of Anthony Eden Earl of Avon. Boston 1965, S.271: „My immediate purpose, even during the first weeks after Nazi attack on Russia, was to restore relations between the Polish Government, now in exile in Britain, and the Soviet Government.“ Siehe auch: Borodziej, Geschichte, S.237; Den Begriff der „Erbfeinde“ als Bezeichnung für das polnisch-russische Verhältnis benutzt Andrzej Paczkowski und führt seine Anfänge sogar bis ins 18. Jahrhundert zurück, als Russland die polnische Staatlichkeit auszuhöhlen begann und die Polen daraufhin zur Waffe gegen das zaristische Herrschaft griffen. Vgl. Paczkowski, Andrzej: Polen, der „Erbfeind“. In: Courtois, Stéphane: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München 1998, S.397-429, hier, S.397.

[110] Gontarczyk, Piotr: Im Dienste Stalins? Der kommunistische Untergrund in Polen. In: Böhler/Lehnstaedt, Stephan (Hrsg.), S.419-447, hier S.425.

[111] Vgl. Fußnote 88.

[112] Zur den Verhandlungen und zur Debatte um den polnisch-sowjetischen Vertrag siehe u.a.: Duraczyński, Eugeniusz: Układ Sikorski-Majski. Wybór dokumentów. Warszawa 1990, S.21-42; Kacewicz, George: Great Britain, the Soviet Union and the Polish Government in Exile (1939-1945). The Hague [u.a.] 1979, S.92-100; Tebinka, S.138-155; Brandes, S.155-161.

[113] Vgl. IMGS, PRM 63. In: Documents on Polish-Soviet Relations I, S.109; Akte zu den polnisch-britischen Beziehungen im Jahr 1941: IMGS, PRM 39a, insbesondere Nr.26 (Online unter: http://polishinstitute.com/prm/prm39a.pdf, letzter Zugriff: 4. Juni 2015).

[114] Gespräch zwischen Sikorski, Zaleski und Botschafter Majski in Anwesenheit des britischen Außenministers Anthony Eden am 11. Juli 1941. IMGS, PRM 41/4. In: Documents of Polish-Soviet Relations I, S.129; Zu den Vertragsverhandlungen aus sowjetischer Sicht vgl. Majskij, Ivan Michajlovic: Memoiren eines sowjetischen Botschafters. Berlin 1967, S.647-652.

[115] Sikorski sagte zwar am 18. Juni zum britischen Botschafter Cripps, dass sich Polen offiziell im Zustand des Krieges mit der Sowjetunion befindet, Deutschland aber der Feind Nummer eins bleibt und sein Land deshalb zur militärischen Hilfe für die Sowjets bereit sei, wenn sie die polnischen Forderungen akzeptieren. Vgl. Note Sikorskis zum Treffen mit Botschafter Stafford Cripps, 18. Juni 1941. In: Documents on Polish-Soviet Relations I, S.107.

[116] Vgl. Documents on Polish-Soviet Relations I, S.141f.

[117] Vgl. Duraczyński, Układ, S..28.

[118] Jacek Tebinka bezweifelt, dass Stalin trotz der dramatischen Lage seines Landes im Sommer 1941 zu Zugeständnissen bereit gewesen wäre, die den Interessen der Sowjetunion zuwiderlaufen würden. Vgl. Tebinka, S.157; Diese Meinung vertritt auch Eugeniusz Duraczyński, wobei er darauf hinweist, dass Stalin erst als Reaktion auf britische Aussagen eine starre Haltung bezüglich der Grenzen einnahm. Vgl. Duraczyński, Układ, S.74f; Zudem stand Sikorski nach der Unterzeichnung des britisch-sowjetischen (12. Juli) und sowjetisch-tschechoslowakischen Abkommens (18. Juli) unter Druck.

[119] Vgl. Note Sikorskis zum Treffen mit Botschafter Stafford Cripps, IMGS, PRM 39-b, 18. Juni 1941. In: Documents of Polsish-Soviet Relations I, S.105f; Memorandum Raczyńskis an Sikorski und Zaleski, 1. Juli 1944. In: Raczyński, Edward: W sojuszniczym Londynie. Dziennik ambasadora Edwarda Raczyńskiego 1939-1945. Londyn 1960, S.120-122, hier S.121. Die Note ist von der Regierung nicht berücksichtigt worden. Raczyński selbst, der nach dem Rücktritt Zaleskis im August 1941 zum Außenminister nominiert wurde, befand sich nach einem Autounfall am 23. Juni bis Ende Juli im Krankenhaus und konnte so nicht an den Vertragsverhandlungen teilnehmen.

[120] IMGS, PRM 41/3. In: Documents of Polish-Soviet Relations I, S.142.

[121] Vgl. Erklärung des britischen Außenministers vor dem Unterhaus, 30. Juli 1941. In: Preston, Paul/Partridge, Michael (Hrsg.): British Documents on Foreign Affairs. Reports and Papers from the Foreign Office Confidental Print. Part 3. From 1940 through 1945. Series F. Europe, S.257.

[122] Churchills Rede vor dem Unterhaus am 5. September 1940; Churchill, Winston S.: Reden 1938-1940. Ins Gefecht. Zürich 1946, S.406.

[123] Cripps-Memorandum vom 22. Oktober 1940. Zitiert bei: Kacewicz, S.81.

[124] Vgl. Duraczyński, Układ, S.19f.

[125] Geheimprotokoll des Abkommens über die gegenseitige Hilfe zwischen Polen und dem Vereinigten Königreich vom 25. August 1939. Zitiert bei: Prażmowska Anita: Britain, Poland and the Eastern Front 1939. London [u.a.] 1987, S.203.

[126] Vgl. Tebinka, S.57.

[127] Vgl. Ebenda.

[128] Im Januar 1942 in Washington als oberste Kommandozentrale der westalliierten Streitkräfte eingerichtet. Vgl. Rigby, David: Allied master strategists. The Combined Chiefs of Staff in World War II. Annapolis 2012, hier S.1925.

[129] Vgl. Mitkiewicz, Leon: W najwyższym sztabie aliantów 1943-1945. Londyn 1971, S.120f.

[130] Prażmowska, S.203.

[131] Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 167 Seiten

Details

Titel
Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes. Ursachen und Motive
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
167
Katalognummer
V354643
ISBN (eBook)
9783668417670
ISBN (Buch)
9783960950615
Dateigröße
1059 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ausbruch, warschauer, aufstandes, ursachen, motive
Arbeit zitieren
Lukasz Galkowski (Autor:in), 2015, Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes. Ursachen und Motive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354643

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