Die Entstehung und Entwicklung von Fair Play im Sport

Eine Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart


Bachelorarbeit, 2016

38 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Fair Play - Eine Begriffsgeschichte
2.1 Ein Lehnwort aus dem Englischen
2.2 Der Begriff Fair Play im Bedeutungskontext
2.3 Formelle und informelle Fairness
2.4 Herkunft und Entwicklung des Begriffs
2.4.1 Wurzeln der Fairness in der Antike
2.4.2 Anlehnung an die Ritterlichkeit
2.4.3 England - Wege aus der Exklusivität
2.5 Resümee

3 Ausgewählte Aspekte des Fair Play im 20. Jahrhundert
3.1 Fair Play um die Jahrhundertwende
3.2 Die Renaissance der Olympischen Spiele nach Coubertin
3.3 Wohin hat das 20. Jahrhundert die Fair Play Entwicklung geführt?
3.3.1 Die Frage nach dem „fairen Foul“
3.3.2 und eine Antwort darauf
3.4 Resümee

4 Fair Play in der Schule
4.1 Fair Play - Element einer Olympischen Erziehung
4.2 Fair Play als Erziehungsaufgabe
4.3 Der Bildungsauftrag
4.4 Realisierungsebenen - Praxis im Sportunterricht

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wenn ich in meinem Heimatdorf mit dem Auto unterwegs bin, begegnet mir seit kurzem unweigerlich der Begriff „Fair Play“. Die Bewohner eines benachbarten Straßendorfes, die darunter leiden, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht beachtet wird, appellieren auf einem selbstgemalten Schild an die Durchfahrenden, sich an die Regeln der Straßenverkehrsordnung zu halten. Meine Erfahrung und die vieler anderer ist, dass wir konsequenter Tempo 50 befolgen, seitdem das Schild mit der Aufschrift „Bitte Fair Play“ uns dazu auffordert. Es stellt sich die Frage, warum dieses provisorisch angebrachte Schild wirkungsvoller ist als das seit Jahren relativ wenig beachtete Geschwindigkeitsbegrenzungsschild? Warum ist das so? Warum wollen Menschen fair sein oder was verlangen Menschen, die um faires Verhalten bitten? Fairness, Fair Play, sich fair verhalten - was bedeutet das und woher kommen diese Begrifflichkeiten?

Diese Fragen beschäftigen mich im Grunde, seitdem ich als Kind angefangen habe, Sport zu treiben. Gerade weil sie mir wie oben dargestellt in einem scheinbar völlig „unsportlichen“ Kontext begegnet sind, haben sie meine Neugier in Bezug auf das Ideal Fair Play im Sport geweckt.

Mein zentrales Gebiet der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist der Sport. Der Begriff ist jedoch nicht nur dort zu Hause. Die Definitionsversuche werden zeigen, dass sich sportliche, gesellschaftliche und moralische Aspekte dieses Begriffes nicht immer trennen lassen. Deshalb wird der Begriff zunächst in seiner Vieldimensionalität untersucht.

Die Einstellung, sich einem (sportlichen) Kontrahenten gegenüber „fair“ zu verhalten, war nicht schon immer einfach nur da, sondern hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Die historisch, chronologische Darstellung dieser Grundhaltung, die wir seit etwa 130 Jahren als „Fair Play“ bezeichnen, stellt einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit dar. Zudem soll untersucht werden, inwiefern das Ideal, wenn auch in variierender Form, Teil der Geschichte jener typisch menschlichen Verhaltensweise war und ist, die wir heute als Sport bezeichnen. Diesbezüglich spannt diese Arbeit den Bogen von der Antike, über die Olympischen Spiele der Neuzeit bis zu modernen Didaktik und Methodik des Sportunterrichtes.

2 Fair Play - eine Begriffsgeschichte

2.1 Ein Lehnwort aus dem Englischen

Laut Dictionary of Ethmology setzt sich der Begriff „Fair Play“ aus den englischen Einzelwörtern „fair“ und „play“ zusammen. Das Wort „fair“ kommt ursprünglich vom altenglischen „ faeger “, was so viel hieß wie „hübsch aussehen“ oder „schön“, aber auch, in Bezug auf Objekte, „passend“ (ebd.). Gillmeister (1995) attestiert dem Begriff eine Bedeutungsveränderung im Laufe der Jahrhunderte: „im 12. Jahrhundert ‚frei von Makel‘; im 13. Jahrhundert ‚günstig‘ - im heutigen Englischen in der Kollokation fair weather; im 16. Jahrhundert ,licht, hellfarbig, blond‘ “ (in Gerhardt & Lämmer, 1995, S. 129). Erst im 19. Jahrhundert sei „ fair “ in Verbindung mit dem Sport in England gebracht worden (ebd.).1

Das Wort „play“ dagegen entspringt dem altenglischen „ plegian “, was mit „spielen“ übersetzt wurde. Anfänglich bedeutete es dasselbe wie das althochdeutsche Wort „ pflegan “. Mit der Zeit verschob sich die Bedeutung der germanischen Wortwurzel hin zum mit dem mit „Pflicht“ verwandten „pflegen“ (vgl. ebd.). Während sich die Bedeutungen von „play“ auf eine überschaubare Anzahl beschränken („spielen“ „Spiel“, „Spielzug“, „Theaterstück“), hat „fair“ heutzutage im englischen zahlreiche Bedeutungen und meint wörtlich übersetzt unter anderem „angenehm“, „schön“, „edel“, „geziemend“, „zivilisiert“, „aufrichtig“, „höflich“, „vielversprechend“, „sanft“, „gewaltlos“, „angemessen“, „gleichberechtigt“, „gerecht“, „echt“, „ehrlich“, „regelmäßig“, „unparteilich“, „mit gleichen Chancen“ oder „auf gleicher Ebene“ (Lenk & Pilz, 1989, S. 23).

Zum einen verdeutlicht diese Vielzahl an Übersetzungsmöglichkeiten, die hier bei Weitem noch nicht im vollständigen Umfang genannt wurde, wie schwer es ist, eine einheitliche Übersetzung für den Begriff festzulegen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird das englischsprachige „Originalwort“ oft unübersetzt und in seiner Ursprungsform als „Lehnwort“ in andere Sprachen übernommen (vgl. ebd., 1989). Zum anderen spricht die Tatsache, dass der Begriff im nationalen sowie internationalen Sprachgebrauch und in sämtlichen Gesellschaftsschichten verwendet wird, für seine Universalität. Ein weiterer Grund für die Benutzung des Fremdwortes gegenüber den deutschen Übersetzungen ist, „dass das in seiner Bedeutung so umfassende „fair“ die Suche nach einem jeweils treffenden deutschen Ausdruck erspart. Denn mit keinem deutschen Wort werden alle Bedeutungsgehalte des „fair“ erfasst […]“ (Haubrich (1965) zit. nach Jost, 1970, S. 9). Diese Aussage erklärt, warum man die mannigfaltigen deutschen Übersetzungen des Begriffs nicht nutzt, um beispielsweise das Verhalten eines Sportlers darzustellen, sondern sich in der Regel mit dem kurzen, prägnanten „fair“ ausdrückt.

2.2 Der Begriff Fair Play im Bedeutungskontext

Zu Beginn dieses Kapitels ist es angebracht zu erwähnen, dass sich in der Fachliteratur zu dem oben genannten Thema die Begriffe Fair Play und Fairness in ihren Anwendungsbereichen und ihrer Bedeutung sehr häufig überschneiden, beziehungsweise die Grenzen zwischen den Begriffen mitunter als fließend angesehen werden. Es lässt sich jedoch festhalten, dass „Fairness“ im derzeitigen Sprachgebrauch sowohl häufig in der Philosophie (vgl. Dimitriou & Schweiger, 2015), als auch zur Beschreibung von Verhaltensweisen und Handlungen menschlicher Natur (vgl. Jost, 1970) verwendet wird. Die Bezeichnung menschlichen Verhaltens mit dem Ausdruck Fair Play dagegen geschieht meist in Verbindung mit sportlichen Handlungen (vgl. Müller, 2002). Dafür spricht auch der folgende Gedanke: „Die Idee der Fairness als Fair Play galt und gilt als hoher moralischer Wert des Sports. Der Sport hat diese Idee exportiert auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens“ (Lenk & Pilz, 1989, S. 12). Gemeinsam haben beide Begriffe jedoch die Funktion, dass es sich jeweils um „die Beachtung der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze“ (Jost, 1970, S. 6) handelt, egal ob in der Gesellschaft oder im Sport. Deshalb werden sie häufig synonym gebraucht. Im Folgenden beziehe ich mich also bei der Verwendung dieser Begriffe und insbesondere bei Zitaten auf identische Ideale, es sei denn ein Bedeutungsunterschied ist explizit gekennzeichnet. In der Literatur haben es Autoren und Wissenschaftler, die sich mit Fair Play beschäftigen, oftmals schwer eine einheitliche Definition für den Begriff zu finden. Falls doch versucht wird, diesen äußerst funkelnden und polarisierenden Begriff kurz und knapp zu definieren, bleiben häufig offene Fragen und man kratzt nur an der Oberfläche. Eine simple Übersetzung vom Englischen ins Deutsche hätte beispielsweise eine viel zu ungenaue und flüchtige Betrachtung zur Folge2. Einige Autoren geben sogar an, es sei unmöglich, diesen Begriff auf eine klar formulierte, alle Aspekte umfassende Definition festzulegen. So ist Kircher der Meinung, dass Fair Play „ein Innbegriff von Werten sei“, fügt aber hinzu, dass „die Worte unübersetzbar seien und es sinnlos wäre, sie in einer knappen Formel zu interpretieren“ (1927, S. 23-25). Eine ähnliche Auffassung vertritt Jost, der feststellt, dass „dem Begriff der Fairness eine einheitliche Begriffsdefinition nicht vorliegt und er zudem einen außerordentlich weitläufigen Anwendungsbereich besitzt“ (1970, S. 5).

Im aktuellen Sprachgebrauch beschränken sich Anwendungsmöglichkeiten eben nicht nur auf den Bereich des Sports, sondern der Begriff ist in zahlreichen gesellschaftlichen Zusammenhängen und Diskursen relevant, zum Beispiel in der Politik, bei der Verhandlung um Gesetze, im Verkehr, in der Wirtschaft, in juristischen Fragen und sogar in religiösen Diskussionen. All diese Bereiche sind gewissermaßen nach bestimmten „Gesetzen“ und „Spielregeln“ organisiert. Jeder Bereich des alltäglichen Lebens, der diese Merkmale aufweisen könnte, zeichnet sich dadurch aus, dass der Begriff der Fairness in ihm anwendbar ist. Stellvertretend als „wesentliche Komponente“ für den Gebrauch des Begriffs nennt Jost den Wettbewerb und Konkurrenzsituationen. Die Reduzierung des Begriffs auf das Einhalten von „Gesetz“ und „Spielregel“ ist aber ebenfalls falsch, denn dafür sind in gesellschaftlichen Umgangsformen die Charakterhaltung und Persönlichkeit des jeweiligen Menschen leitend (vgl. ebd., S. 6-9). Kirchers Darstellung von Fair Play als ein „Inbegriff von Werten“ treibt die Definition allerdings voran, denn sie stellt einen gemeinsamen Schnittpunkt der zahlreichen Definitionsversuche dar. So schreibt das Internationale Fair Play - Komitee (Comité International pour le Fair Play/CIFP) in der Deklaration „Fair Play für alle“ im Oktober 1990:

„Fairplay bezeichnet nicht nur das Einhalten der Spielregeln, Fair Play umschreibt vielmehr eine Haltung des Sportlers: Der Respekt vor dem sportlichen Gegner und die Wahrung seiner physischen und psychischen Unversehrtheit. Fair verhält sich derjenige Sportler, der vom anderen her denkt.“ (in DOG, 1991, S. XIII)

Den gleichen Gedankengang verfolgt auch Müller. Er beschreibt den Begriff unter anderem als „facettenreich“, misst ihm aber gleichzeitig einen schon unterschwellig erkennbaren Mehrwert bei, der über das bloße Einhalten von Spielregeln hinausgeht. Er zählt Werte wie „Gerechtigkeit“, „Ehrlichkeit“, „Rücksichtnahme“, „Toleranz“ und „Aufrichtigkeit“ auf, setzt sie jedoch keinesfalls mit „Fairness“ gleich (2002, S. 9).

Anhand dieser Definitionen von Fair Play wird die Tiefe des Begriffs recht deutlich. Mit Fair Play ist demnach nicht lediglich das alleinige Befolgen von Regeln im Sport gemeint, sondern eine Geisteshaltung, die sich im Handeln des Menschen niederschlägt. Von Weizsäcker geht sogar noch einen Schritt weiter. In seiner Ansprache vor der Hauptversammlung des Nationalen Olympischen Komitees spricht er über die Entwicklung einer universellen Sportethik mit Regelungen zur Reduzierung von Problemen im Sport. Diese Regelungen müssten mit dem „Geiste des Fair Play“ vereinbart werden, denn dieser Geist fungiere unter anderem als Orientierung für Anstand und Würde. Für ihn zähle Fair Play zu den Grundsätzen des Sports und der „Geist des Fair Play“ sei einer der Gründe dafür, dass ein niedergeschriebenes Regelwerk nie das gelebte Fair Play ersetzen könne: „Der Sportler, der das Fair Play beachtet, handelt nicht nach den Buchstaben, er handelt nach dem Geist der Regeln“ (vgl. von Weizsäcker, 1985).

Die Formulierung „Geist der Regeln“ scheint auf den ersten Blick mythisch oder gar poetisch zu klingen. Sie mutet sogar ein wenig geheimnisvoll an, trifft aber nach meinem Sprachempfinden genau den Kern des schwer zu fassenden Begriffs Fair Play. Die praktische Umsetzung dieses Begriffs im Kontext menschlicher Handlungen und historischer Entwicklungen zu erschließen, ist ein Ziel dieser Arbeit. Jost spricht im Zusammenhang von Fairness als Begriff der Pädagogik ebenfalls von einer „Tiefenstruktur des Handelns, der kodifizierte Regeln nicht gerecht werden können“ (ebd. 1977).

Mit Rahe (1987) kann man die zahlreichen und verschiedenen Definitionsversuche bezüglich des Fair Play vereinheitlichen. Ihm zu Folge weisen sämtliche Definitionsversuche drei Gemeinsamkeiten auf: „Eine größtmögliche Chancengleichheit, die strikte Einhaltung der Regeln und die Achtung des Gegners und seine Unantastbarkeit“ (in DOG, 1991, S. 15)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit mit dem Begriff eine gewisse Sensibilität im Hinblick auf seine Vieldeutigkeit erfordert. Um diese zu erfassen, soll zunächst der Ursprung der Geisteshaltung Fair Play dargestellt werden.

2.3 Formelle und informelle Fairness

Die folgende Liste scheint besonders geeignet, die Begriffe formelle und informelle Fairness zu verdeutlichen. Ursprünglich stammen die Bezeichnungen von Lenk, der erstmals 1962 und 1964 die geschriebenen und die ungeschriebenen Regeln des Sports in die sogenannte formelle und informelle Fairness eingeteilt hat (vgl. Lenk, in: Pawlenka, 2004). Seine Überlegungen werden im Anschluss an einen eigenen Deutungsversuch erläutert.

In dem von der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG) im Jahre 1988 veröffentlichen „Handzettel zur Fair Play - Initiative des deutschen Sports“ wurden fünf sogenannte „goldene Fair Play - Regeln“ festgehalten (Zitat):

1. „Ich bin aufrichtig.

Ich achte die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln. Zum Sport gehören gleichermaßen Sieg und Niederlage. Ich will mich bemühen, mit Anstand zu gewinnen und zu verlieren.

2. Ich bin tolerant.

Ich akzeptiere die Entscheidungen des Schiedsrichters, selbst dann, wenn sie mir unrichtig erscheinen. Ich betrachte meinen Gegner als Partner.

3. Ich helfe.

Ich kümmere mich um verletzte Gegner, als wenn es meine eigenen Mitspieler wären.

4. Ich trage Verantwortung.

Ich fühle mich für die körperliche und seelische Unversehrtheit meiner Gegner verantwortlich. Ich bejahe Chancengleichheit. Doping ist der schlimmste Betrug. 5. Ich bin für fairen Sport.

Ich weiß, dass nur durch Aufrichtigkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Verantwortung fairer Sport und die Freude am Sport erhalten bleiben.“ (in DOG, 1991, S. 6)

In der ersten Regel ist die Rede von „geschriebenen und ungeschriebenen Regeln“. Die geschriebene Regel kann als formelle Fairness definiert werden. Weitere Aspekte der formellen Fairness finden sich in den Formulierungen „Ich akzeptiere die Entscheidungen des Schiedsrichters“, „Ich bejahe Chancengleichheit“ und „Doping ist der schlimmste Betrug“. Auch für die sogenannten ungeschriebenen Regeln lassen sich in dieser Liste Beispiele finden: „[…] mit Anstand zu gewinnen und zu verlieren“, „Ich betrachte meinen Gegner als Partner“ oder etwa, dass„[…] nur […] Aufrichtigkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Verantwortung […] die Freude am Sport erhalten […]“. Es ist bemerkenswert, dass den Leser beim Betrachten dieser Aspekte nicht das Gefühl überkommt, unwissend zu sein, obwohl sie vielfach als „ungeschrieben“ gekennzeichnet werden. Hier lässt sich klar eine Deckungsgleichheit mit von Weizsäckers „Geist der Regeln“ erkennen, denn auch in seiner Aussage geht es um mehr als nur das Halten an ein vorgegebenes Regelwerk, nämlich das „gelebte“ Fair Play.

Das Konzept dieser zwei Bedeutungsebenen des Fair Play - Begriffs gilt bis heute als „Ausgangspunkt der sportethischen Diskussion um die Binnendifferenzierung der Fairness“ (Senkel, 2014, S. 151).

Unter „formellem Fair Play“ versteht man nach Lenk und Pliz zunächst eine „zwingend vorgeschriebene Normforderung, die Spielregeln einzuhalten“ (1989, S. 37). Ohne die Beachtung der formellen Fairness ist nicht gegeben, dass für alle Sportler und Wettkämpfer gleiche Ausgangsbedingungen für erfolgreiches, beziehungsweise erfolgsorientiertes Spiel vorherrschen. Sie ist eine „Muss - Norm“, deren Bruch durch entsprechende Regeln sanktioniert wird (etwa durch Disqualifizierung) und so überhaupt erst ein legitimes Spiel ermöglicht (vgl. ebd.).

Auf der anderen Seite liegt dem „informellem Fair Play“ die „nicht durch Sanktionen erzwungene Erwartung von Achtung und ritterlichem Geist gegenüber dem Gegner und dem Schiedsrichter“ zugrunde (vgl. ebd.). So wie Lenk der formellen Fairness die Bezeichnung „Muss - Norm“ zuschreibt, so benennt er die informelle Fairness mit „empfehlender Soll - Norm, deren Einhaltung hochgeschätzt, deren Übertretung aber nicht - jedenfalls nicht streng - sanktioniert wird“ (siehe ebd.).

Die Balance zwischen diesen Vorgaben zu halten ist Aufgabe der handelnden Akteure, die so auch einen gewissen Druck auf das „soziale Gefüge“ untereinander ausüben. Einerseits „muss“ das vorgegebene Regelwerk des Spiels eingehalten werden. Andererseits „soll“, der „Gegner nicht als Feind, sondern als zu respektierender Rollenpartner behandelt und geachtet werden - nicht für das Zustandekommen des Spiels, sondern als Person“ (siehe ebd., S. 38). Menschenwürde, Leben und körperliche Unversehrtheit, das heißt die Grundrechte des Menschen, führt Lenk als Muss - Norm an, deren Befolgung im Rahmen der Regeln der jeweiligen Sportart maßgeblich für das faire Spiel sind (vgl. ebd.).

Eine aktuellere Ergänzung dieses Konzepts findet sich bei Loland (2002, S. 14), der sich auf Tuxill & Wigmore (1989) bezieht: „[…] the idea of fair play can be based on general ethical ideas to do with ‘respect for persons‘ “. Loland bündelt die Aspekte der informellen Fairness in folgender Aussage: „[…] players compete with a certain attitude or with certain virtues linked to the values and ‘internal goods’ of sport itself, and is tied to ideas of the morally good“ (S. 15).

Abschließend lässt sich hier der Bezug zu den goldenen Fair Play - Regeln des DOG herstellen, denn die Aussagen „Ich helfe“, „Ich trage Verantwortung“ und „Ich bin aufrichtig“ sind Beispiele des einwandfreien moralischen Verhaltens, das sich an ethischen Grundlagen orientiert.

2.4 Herkunft und Entwicklung des Begriffs

„Moral ideas of the value and meaning of sport are as old as sport itself“. Mit diesem Zitat greift Loland (2002, S. 12) den Ursprung von Moralität und tugendhaften Wertvorstellungen im Sport auf. Um die Herkunft und die allerersten Wurzeln des Konzeptes von Fairness und Fair Play zu ergründen, lohnt sich also ein Blick in die Geschichte des Sports. Auch wenn sich, zumindest in der sehr frühen geschichtlichen Literatur, nicht der Begriff „fair“ wortwörtlich vorfinden lässt, so gab es doch Vorstellungen und Konzepte, die dem modernen Begriff von Fairness und Fair Play sehr ähneln, aber ihnen auch gravierend widersprechen.

2.4.1 Wurzeln der Fairness in der Antike?

Die Spiele der griechischen Antike hatten wenig gemein mit den Werten der im 20. Jahrhundert durch Pierre de Coubertin eingeführten Olympischen Idee, also der moderneren, von Fairness geprägten Auffassung von Wettkämpfen. Fairness und Fair Play sind zwar heute universelle Begriffe, wurden aber bei Weitem nicht immer in der Geschichte akzeptiert und praktiziert (Wilke, 2009). Die Spiele der Antike zeichneten sich aus heutiger Sicht sogar eher durch ein hohes Maß an Gewalt und Ungerechtigkeit aus. So stellt Guttmann (1987) fest: „Respekt gegenüber dem Verlierer, der sein Bestes gegeben hat, war den Griechen unbekannt“. Weiterhin führt er aus, dass nur der Sieger Lob und Ehre erntete und die übrigen Wettkämpfer von den oftmals ungerechten Zuschauern verhöhnt wurden. Aus heutigem Blickwinkel unvorstellbar ist, dass der Verlierer und der Regelbrecher bezüglich ihrer Ehre „in einen Topf“ geworfen wurden. Finley & Pleket (1976) beschreiben anhand einiger griechischer Erzählungen die Brutalität der Spiele. So sei bei den Spielen von 492 v. Chr. ein Gegner ungerecht von Kleomedes getötet worden, weshalb dieser vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Ihm sei der Sieg von den Schiedsrichtern jedoch nicht aufgrund des Totschlags, sondern wegen eines Regelverstoßes abgesprochen worden. Die Gefahr des Todes sei ein Risiko der damaligen sportlichen Wettkämpfe gewesen, weshalb es auch kein Gesetz gab, das diese Art von Tötung verurteilte. In dem berühmten Boxkampf des Kleitomachos von Theben wird ebenfalls das unsportliche Verhalten des Siegers geschildert (Stier, 1957): Dieser sprach, nachdem das launische Publikum seinem Gegner lautstark die Sympathie bekundete, die Zuschauer direkt an und ermahnte sie, ihn doch lieber zu bestärken, da der Gegner kein Hellene sei, sondern „nur“ ein ägyptischer Grieche. Sein nationalistisches Verhalten ist heutzutage natürlich vollkommen verpönt, der moderne Profisport bekennt sich in zahlreichen Kampagnen ausdrücklich zur Völkerverständigung und gegen Rassismus. Im Vergleich zwischen Antike und Gegenwart scheint es also, dass ein unfaires und unsportliches Verhalten zwischen den Athleten selbst aktuell geächtet wird. Die weiteren Ausführungen von Finley & Pleket (ebd.) stellen dar, dass Sportveranstaltungen im antiken Griechenland genutzt wurden, um neben dem Wettkampf beispielsweise auch politische oder diplomatische Ziele zu verfolgen und dass damals versucht wurde, die Nationalität der Sieger im Nachhinein zu manipulieren, um so den Ausrichter der Wettkämpfe gleichzeitig als Gewinner dastehen zu lassen (DOG, 1991). Dies erinnert an aktuelle Zeitgenossen, die nicht akzeptieren können, dass zum Beispiel dunkelhäutige Athleten in der deutschen Fußballnationalmannschaft mitspielen. Den antiken Praktiken gleichen natürlich auch andere Skandale, die aktuell in den Medien aufgearbeitet werden, etwa die Korruptionsaffäre der FIFA um die Vergabe der Austragungsorte der Fußballweltmeisterschaften Katar 2022 und Deutschland 2006.

Zwar weisen die Spiele der Antike wenige Kennzeichen von informeller Fairness auf, enthalten jedoch durchaus Merkmale, die sich mit dem Aspekt der formellen Fairness vergleichen lassen. Dazu zählen Regeleinhaltung, Achtung der Schiedsrichterautorität, sowie eine gewisse Chancengleichheit3 (Lenk & Pilz, 1989). Der Verstoß gegen die Regeln hatte den sofortigen Ausschluss vom Wettkampf zur Folge. Zudem erwartete den schuldigen Athleten Schmach und Entehrung (Wilke, 2009). Man hat also auch damals dem Wettkämpfer, der sich nicht an Regeln hielt, seine Ehre abgesprochen - ähnlich wie heute.

Das Brechen der geschriebenen Regeln wurde demnach als unmoralisch bewertet, wohingegen heutzutage zusätzlich das Nichteinhalten der ungeschriebenen Regeln besonders negativ beurteilt wird. Vielleicht waren die damaligen strengen Sanktionen eine erste Entwicklungstendenz zu den heutigen Leitlinien des Fair Play.

2.4.2 Anlehnung an die Ritterlichkeit

Bei der Erforschung der Geschichte des Fair Play stößt man in den wissenschaftlichen Quellen immer wieder auf den Begriff der Ritterlichkeit. Dieser wurde vor allem durch den Franzosen Pierre de Coubertin aufgegriffen und aufgefrischt, der ihn im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der Olympischen Spiele der Neuzeit als von den Athleten zu beachtendes, moralisches Attribut herausstellte (vgl. Kapitel 3.2 dieser Arbeit). Lenk und Pilz (1989, S. 38) verstehen das folgendermaßen: „Fair Play, das sei die Norm und Verkörperung des ‚ritterlichen Geistes‘ (‚esprit chevaleresque‘), der die Wettkämpfer auch im heftigsten Kampf in wechselseitiger Achtung verbunden sein lässt“. Der Ursprung des Begriffs liegt jedoch im Mittelalter.

Den mittelalterlichen Rittern wurde ein bestimmter Verhaltenskodex zugeschrieben, der sich im alltäglichen sowie im kämpferischen Handeln niederschlagen sollte. Die Aufzählung der sogenannten ritterlichen Tugenden zeigt, warum die beiden Begriffe häufig in einem Atemzug verwendet wurden und immer noch werden. Dazu gehörten Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Verlässlichkeit. Die adeligen Ritter repräsentierten in ihrem Handeln jedoch nicht nur ihr eigenes Verhalten, sondern auch das ihrer Standesangehörigkeit (vgl. Wilke, 2009). Dies forderte in erster Linie eine „Einheit von körperlichen und moralischen Werten“. Die Darstellung der körperlichen Werte schlug sich in „Schnelligkeit“ und „Geschicklichkeit“ nieder, die der moralischen vor allem in „Gerechtigkeit“ (ebd.).

[...]


1 vgl. Kapitel 2.4.3 dieser Arbeit

2 Vgl. Kapitel 2.1

3 Im Vorfeld der Olympischen Spiele war es Pflicht, über einen Zeitraum von mehreren Monaten zu trainieren, sowie an einem gemeinsamen, einmonatigen Training in Elis teilzunehmen, bei dem ebenfalls auf eine vergleichbare Ernährung der Athleten geachtet wurde (ebd.)

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung und Entwicklung von Fair Play im Sport
Untertitel
Eine Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
2.0
Autor
Jahr
2016
Seiten
38
Katalognummer
V369579
ISBN (eBook)
9783668471627
ISBN (Buch)
9783668471634
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entstehung, entwicklung, fair, play, sport, eine, begriffsgeschichte, antike, gegenwart
Arbeit zitieren
Niklas Tänzer (Autor:in), 2016, Die Entstehung und Entwicklung von Fair Play im Sport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369579

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