Literaturwissenschaftliche Handlungskonzepte. Die Story Generators "MEXICA" und "TALE-SPIN"


Hausarbeit, 2011

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Wozu Story Generators? – Eine Einleitung

2 Literaturwissenschaftliche Handlungskonzeptionen
2.1 „MEXICA“ – Handlung als Ausdruck einer narrativen Grammatik
2.2 „TALE-SPIN“ – Handlung als Figurenhandlung
2.3 Warum zwei Handlungskonzepte?

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis

1 Wozu Story Generators? – Eine Einleitung

Texterstellung mit Hilfe eines Computers, wozu kann das gut sein? Betrachten wir als Literaturwissenschaftler den folgenden Text, so stellt sich auf den ersten Blick nicht zu Unrecht die Frage, welche Erkenntnisse aus einer derartigen Geschichte gewonnen werden können:

“Jaguar_knight was an inhabitant of the great Tenochtitlan. Princess was an inhabitant of the great Tenochtitlan. From the first day they met, Princess felt a special affection for Jaguar_knight. Although at the beginning Princess did not want to admit it, Princess fell in love with Jaguar_knight. Princess respected and admired Artist because Artist's heroic and intrepid behaviour during the last Flowery-war. For long time Jaguar_knight and Princess had been flirting. Now, openly they accepted the mutual attraction they felt for each other. Jaguar_knight was an ambitious person and wanted to be rich and powerful. So, Jaguar_knight kidnapped Artist and went to Chapultepec forest. Jaguar_knight's plan was to ask for an important amount of cacauatl (cacao beans) and quetzalli (quetzal) feathers to liberate Artist.”[1]

Auf den zweiten Blick besitzt ein derartiger, von Maschinen generierter Text jedoch einen ganz eigenen Wert. Die Analyse einer solchen Form literarischen Schreibens kann uns verdeutlichen, wie Geschichten, genauer Handlungen innerhalb einer Geschichte, eigentlich ablaufen und wie wir sie als Handlungen deuten und verstehen können.

In dieser Arbeit soll daher der Versuch unternommen werden, literaturwissenschaftliche Handlungskonzepte anhand von Texten zweier ausgewählter Geschichtengeneratoren zu illustrieren. In einem ersten Schritt wird hierbei der oben angeführte Text des Story Generators „MEXICA“ analysiert und in Bezug zu dem literaturwissenschaftlichen Konzept von Handlung als Ausdruck einer narrativen Grammatik gesetzt.

Zur Kontrastierung wird dann im Folgenden der Text des Story Generators „TALE-SPIN“ vorgestellt, um hieran die Theorie der Handlung als Figurenhandlung zu erläutern. Beide Abschnitte werden hauptsächlich Bezug auf das Werk

„Einführung in die Erzähltextanalyse“ von Jan Christoph Meister und Silke Lahn nehmen, da die Grundzüge der beiden Handlungstheorien in diesem Werk meines Erachtens nach sehr präzise formuliert worden sind.

2 Literaturwissenschaftliche Handlungskonzeptionen

2.1 „MEXICA“ – Handlung als Ausdruck einer narrativen Grammatik

Der in der Einleitung vorgestellte Text stammt von dem von Rafael Pérez y Pérez entwickelten „Story Generator” mit dem Namen „MEXICA”. Charakteristisch für diese Erzählmaschine ist die Orientierung an einem festgelegten Regelwerk, welches der Geschichtsschreibung zu Grunde liegt. Diese als „Story Grammars“[2] bezeichneten Strukturen erklärt der Erfinder „MEXICAs“ wie folgt:

„Story grammars were developed with the objective of creating a theory of story understanding. They represent stories as linguistic objects which have a constituent structure that can be represented by a grammar.”[3]

Ähnlich wie bei der Grammatik innerhalb eines Satzes, ist in der „Story Grammar“- Theorie auch der Aufbau einer Geschichte einem spezifischen Regelwerk unterworfen, welches Verständnis und Nachvollziehbarkeit eines Textes bzw. einer Geschichte ermögliche. Unter Verwendung dieser Theorie erstellt „MEXICA“ seine Geschichten. Der Story Generator baut einzelne Ereignisse zu einem Ereignisstrang zusammen. Während dieses Prozesses überprüft die Maschine in einer Reflexionsphase immer wieder die Kohärenz und Spannung der aufeinanderfolgenden Ereignisse. Wird hierbei eine Inkohärenz bzw. ein abrupter Spannungsabbruch an einer für den Geschichtsverlauf unpassenden Stelle entdeckt, so fügt „MEXICA“ ein weiteres Ereignis ein, um die Kohärenz bzw. den Spannungsverlauf zu korrigieren, damit die Nachvollziehbarkeit der Geschichte gewährleistet bleibt. Pérez y Pérez stellt die Funktionsweise „MEXICAs“ in seiner Arbeit über den Story Generator wie folgt dar:

„During the engagement-mode [MEXICA] produces material driven by content and rhetorical constraints avoiding the use of explicit goal-states or story-structure information. During the reflection-mode the system breaks impasses generated during engagement, satisfies coherence requirements, and evaluates the novelty and interestingness of the story in progress.”[4]

„MEXICAs“ Texte zeichnen sich folglich, wie in dem anfänglichen Beispiel gezeigt, durch eine starke Orientierung an Ereignisstrukturen aus. Wie der Beispieltext verlaufen alle Geschichten des Story Generators nach dem Schema: a tut b, c tut d usw. Dadurch wird besonders deutlich, dass „MEXICA“ anhand von „Story Grammars“ arbeitet.

Neben der Verwendung der „Story Grammar“-Theorie und der darauf aufbauenden „Engagement-Reflection“-Phase konzipiert „MEXICA“ seine Texte noch unter Berücksichtigung einer weiteren Hauptfunktion: der Verwendung sog. „emotional links“[5]. Diese entstehen als Produkt einer Handlung und beeinflussen wiederum die weiterführenden Aktionen der Figuren:

„In MEXICA, consequences of actions produce emotional links between characters, modify the dramatic tension in the story (…), or produces changes of location for the characters.”[6]

Ein “emotional link” ist somit eine, vom Autor vor dem Schreibprozess festgelegte, emotionale Bindung einer Figur zu einer anderen. In unserem Beispieltext zeigt sich dies z.B. in der Beziehung zwischen Princess und Jaguar Knight, wenn im Text steht: „Princess felt a special affection for Jaguar_knight. […] Princess fell in love with Jaguar_knight.”[7] Diese Liebe ist wiederum Auslöser einer weiteren Handlung, da Princess und Jaguar Knight im weiteren Verlauf der Geschichte ein Paar werden.

Trotz dieses Bezuges auf figurenabhängige Emotionen, welche Handlungen auslösen, fällt bei „MEXICA“ eines klar ins Auge. Die Figuren spielen gegenüber der eigentlichen Ereignisstruktur, welche durch die „Story Grammars“ vorgeschrieben wird nur eine untergeordnete Rolle. Figuren wie Princess, Jaguar Knight oder Artist (wie sie in unserer Geschichte auftreten) wirken ohne weiteres austauschbar. So werden nahezu keine wirklichen, individuellen Charakteristika innerhalb des Textes genannt, welche irgendeine der auftretenden Personen genauer, bzw. einzigartiger charakterisieren würden. Lediglich grundsätzliche emotionale Verbindungen wie Liebe oder Hass werden innerhalb des Textes aufgegriffen. Charaktereigenschaften wie Intelligenz, Musikalität, Toleranz oder jegliche persönliche Eigenarten spielen in den Geschichten „MEXICAs“ keine Rolle. Dass der Story Generator hierfür auch nicht konzipiert wurde, sondern stattdessen ereignisorientiert und somit „Story Grammar“ basierend arbeiten soll, zeigt sich letztlich auch in der Zielsetzung, welche Pérez y Pérez bei der Entwicklung seines Story Generators ausgibt:

„One of the main problems in story generation is the production of a coherent sequence of actions.“[8]

Betrachtet man nun die Geschichte „MEXICAs“ einmal aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, so lassen sich folgende Aspekte herausarbeiten: In der Literaturwissenschaft unterscheiden wir nach Lahn/ Meister innerhalb einer Geschichte zunächst „die Oberflächenstruktur“, also, „die einzelnen Wörter, in der Erzählung die konkreten Inhalte“[9], sowie „die abstrakte Tiefenstruktur“, welche „im Satz die Struktur von grammatischen und syntaktischen Relationen, in der Erzählung die Struktur einer analogen narrativen Grammatik“[10] darstellt. In den Texten von „MEXICA“ ist die Tiefenstruktur der Erzählung eindeutig erkennbar. So verweist beispielsweise, die Einführung des Ortes an dem die Hauptfiguren leben, die Einführung der Hauptpersonen selbst, sowie die explizite Nennung der einzelnen Beziehungen zwischen den Figuren auf diesen narrativ-grammatischen Grundaufbau, da eine klar gegliederte Organisation des Textgeschehens deutlich wird.

Im Gegensatz zu einer von Menschen verfassten Erzählung, in welcher es sich bei der Tiefenstruktur um eine „abstrakte Grundkonstellatio[n]“[11] handelt, wird diese, mangels der sprachlichen und erzählerischen Kompetenz von „MEXICA“, im Text des Story Generators nahezu versprachlicht. Jedes Ereignis und somit die gesamte Handlungsstruktur wird offengelegt und der Leser braucht sich prinzipiell keine eigenen

Gedanken mehr über das Textgeschehen machen, da ihm jegliches Detail präsentiert wird. Die Fähigkeit „zwischen den Zeilen zu lesen“, vielleicht auch zu interpretieren, wird folglich in den Texten von „MEXICA“ nicht benötigt.

Fassen wir nun einmal die Ergebnisse der Untersuchung von „MEXICAs“ Text zusammen, so lässt sich sagen, dass dieser Geschichtengenerator klar ereignisorientierte Texte produziert, welche der narrativen Grammatik bzw. den „Story Grammars“ einer Erzählung unterliegen. „MEXICAs“ Geschichten verdeutlichen uns, wie die Verständlichkeit einer Erzählung gewährleistet wird, nämlich dadurch, dass erzählerische Konventionen eingehalten werden.[12] Ereignisse innerhalb einer Erzählung unterliegen stets einer inneren Logik, welche die Kohärenz des Erzählten bewahrt.

In Bezug auf die Konzeption von Handlung, verwendet „MEXICA“ folglich ein strukturelles Prinzip. Handlung wird als die Abfolge von Ereignissequenzen gewertet, welche einander bedingen und einander beeinflussen. Figuren sind in „MEXICAs“ Texten immer reaktiv und müssen in Bezug zu ihrer Umwelt gesehen werden, wie Raphael Pérez y Pérez in seinem Text über den Story Generator formuliert:

„It is assumed that characters’ reactions to any particular event are conditioned by the story-world context at the moment the action occurred.”[13]

2.2 „TALE-SPIN“ – Handlung als Figurenhandlung

Eine zweite Theorie über Geschichtsschreibung besagt, dass die Handlungen von Figuren als Leitfaden einer Geschichte fungieren. Ein Story Generator, der auf dieser Grundlage konzipiert wurde, verwendet einzelne Figuren, welche jeweils unterschiedliche Motivationen, Eigenschaften und Ziele besitzen. Diese werden dann innerhalb des Schreibprozesses einander gegenübergestellt und reagieren dabei auf die jeweiligen Charakterzüge der anderen, in die Geschichte eingebrachten, Figuren.

Ein Beispiel für einen Story Generator, der seine Geschichten anhand von Figurenhandlungen entwickelt, ist der von James R. Meehan entwickelte Generator “TALE-SPIN”. Zur Illustration bzw. Kontrastierung mit der zuvor erläuterten Geschichte von “MEXICA“, habe ich ebenfalls eine für “TALE-SPIN” charakteristische Geschichte herausgesucht:

"Once upon a time, there was a dishonest fox named Henry who lived in a cave, and a vain and trusting crow named Joe who lived in an elm tree. Joe had gotten a piece of cheese and was holding it in his mouth. One day, Henry walked from his cave, across the meadow to the elm tree. He saw Joe Crow and the cheese and became hungry. He decided that he might get the cheese if Joe Crow spoke, so he told Joe that he liked his singing very much and wanted to hear him sing. Joe was very pleased with Henry and began to sing. The cheese fell out of his mouth, down to the ground. Henry picked up the cheese and told Joe Crow that he was stupid. Joe was angry, and didn't trust Henry anymore. Henry returned to his cave."[14]

[...]


[1] Pérez y Pérez, Rafael; Sharples, Mike (2004): Three Computer-Based Models of Storytelling: BRUTUS, MINSTREL and MEXICA, in: Knowledge Based Systems Journal, 17 (1), Figure 4.1.

[2] Vgl. zu dem Begriff der ,,Story Grammars”: Brewer, William F; Lichtenstein, Edward H. (1981): Event Schemas, Story Schemas, and Story Grammars, in: Long, John [Hg.]: Attention and performance IX, Hillsdale, NJ: Erlbaum, S. 363-383.

[3] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 15.

[4] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 22.

[5] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 22.

[6] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 22.

[7] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, Figure 4.1.

[8] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 22.

[9] Lahn, Silke; Meister, Jan Christoph (2008): Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart: Metzler Verlag, S. 225.

[10] Lahn; Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S. 225.

[11] Lahn; Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S. 226.

[12] In unserem Textbeispiel wäre beispielsweise folgende Umkehrung der Ereignisse erzählkonventionell nicht korrekt: „Princess and Jaguar_knight felt for each other. Now, Jaguar_knight and Princess are flirting.”

[13] Pérez y Pérez; Sharples: Three Computer-Based Models of Storytelling, S. 22.

[14] Meehan, James R. (1977): TALE-SPIN, an interactive program that writes stories, in: 5th international Joint Conference on Artificial Intelligence, S. 97.

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Details

Titel
Literaturwissenschaftliche Handlungskonzepte. Die Story Generators "MEXICA" und "TALE-SPIN"
Hochschule
Universität Hamburg  (Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
13
Katalognummer
V373259
ISBN (eBook)
9783668506084
ISBN (Buch)
9783668506091
Dateigröße
767 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturwissenschaftliche Handlungskonzepte, Story Generators, MEXICA, TALE-SPIN
Arbeit zitieren
Christian Appel (Autor:in), 2011, Literaturwissenschaftliche Handlungskonzepte. Die Story Generators "MEXICA" und "TALE-SPIN", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373259

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